Hinterher ist man immer tot - Eoin Colfer - E-Book

Hinterher ist man immer tot E-Book

Eoin Colfer

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Beschreibung

Wenn der Tod kommt, ist Sense Dan McEvoy, irischer Gangster mit Haarimplantat, hat ein Problem: Der Mob will ihn tot. Die Polizei will ihn tot. Dabei will er nur mit seiner neuen Freundin abhängen. Doch sein alter Erzfeind Mike hat noch eine Rechnung offen mit ihm. Dan soll ein gefährliches Paket an jemand ganz Üblen abliefern. Notgedrungen lässt er sich darauf ein. Da wird er entführt. Von zwei Cops mit einer Vorliebe für Latexanzüge. Als sich schließlich sogar Dans glamouröse Stiefoma in die Jagd auf ihn einschaltet, muss er erkennen: Die Familie ist die tödlichste Bedrohung von allen.

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Über das Buch

Der ehemalige Soldat Daniel McEvoy wollte sich eigentlich als frischgebackener Clubbesitzer in New Jersey zur Ruhe setzen. Seine Freundin Sofi a ist zwar hochgradig neurotisch und verwechselt ihn ständig mit ihrem Ex, aber im Großen und Ganzen ist er glücklich. Doch Dan ist jemand, der Gangster und Chaos magisch anzieht. Gerade noch wollte er seinem Freund Zeb zur Hilfe eilen, der Probleme mit dem irischen Gangsterboss Mike hat – schon befindet er selbst sich in Lebensgefahr. Dan wird abwechselnd von zwei unangenehmen Polizisten und Mikes Männern entführt. Schließlich landet er mitten in einem Pornodreh, nur mit einem knallroten Stringtanga bekleidet. Da weiß er, jetzt muss er sich wehren, und schlägt zu. Lief jetzt etwa die Kamera?

Über den Autor

Nach acht Bänden Artemis Fowl zeigt Eoin Colfer, was noch alles in ihm steckt. Und weil seine irische Heimat Wexford viel zu lieblich ist, hat es ihn mit seinem Helden Dan ins raue New Jersey verschlagen. Dort fliegen ordentlich die Fetzen.

Eoin Colfer

Hinterher ist man immer tot

Roman

Aus dem Englischen von Conny Lösch

List

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Die Originalausgabe erschien 2013

unter dem Titel Screwed

beim Verlag Headline, London.

ISBN 978-3-8437-0692-6

© 2013 by Eoin Colfer

© der deutschsprachigen Ausgabe

Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagmotiv: shutterstock/Snez, shutterstock/A-R-T

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

eBook: LVD GmbH, Berlin

KAPITEL EINS

Cloisters

Essex County, New Jersey

Der großartige Elmore Leonard hat gesagt, man sollte eine Geschichte niemals mit dem Wetter anfangen lassen. Das ist schön und gut – und leicht gesagt, Mr Leonard. Ihre Anhänger werden es sich brav in ihre Moleskine-Notizbücher geschrieben haben. Trotzdem beginnt eine Geschichte manchmal mit dem Wetter, und dann ist ihr scheißegal, was irgendein legendäres Genre-Genie empfiehlt, auch wenn es sich um den großen EL handelt. Fängt also alles mit dem Wetter an, sollte es auch am Anfang stehen, sonst dröselt sich plötzlich alles auf, die Einzelteile fliegen einem nur so um die Ohren, und man hat keine Ahnung mehr, wie man sie wieder zusammenbekommt.

Sie dürfen also mit folgenschweren meteorologischen Bedingungen gleich im ersten Kapitel rechnen, und kämen Kinder und Tiere vor, wären sie auch mit von der Partie – scheiß auf den ewig gestrigen Kerl mit Zigarre und Schielauge aus dem Kino. Die Geschichte ist so, wie sie ist.

Und da sie nun mal so ist, fangen wir einfach damit an:

Ich liege mit einer wunderschönen Frau im Bett und betrachte, wie das morgendliche Sonnenlicht ihr blondes Haar glänzen lässt, ihm eine Art glühenden Heiligenschein verleiht, und zum zigsten Mal denke ich, dass ich dem Glück wahrscheinlich nie wieder so nah sein werde und ihm in diesem Moment bereits sehr viel näher bin, als ich es eigentlich verdient hätte – nach all dem Blut, das ich in meinem Leben schon vergießen musste.

Die Frau schläft, was ehrlich gesagt die beste Zeit ist, um sie zu betrachten. Sofia Delano lässt sich nicht gerne anstarren, wenn sie wach ist. Ein beiläufiger Blick geht in Ordnung, aber fünf ­Sekunden später machen sich bereits ihre Unsicherheiten und Phobien bemerkbar, und plötzlich hat man es mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Besonders dann, wenn sie mal wieder ihr Lithium nicht genommen hat.

Dabei war Sofia ursprünglich frei von Psychosen. Sie wurden ihr regelrecht angezüchtet. Noch im Teenageralter heiratete sie Carmine Delano, der sie schlug und ihre psychischen Defekte so lange kultivierte, bis sie Symptome von Schizophrenie und Demenz sowie eine bipolare Persönlichkeitsstörung entwickelte. Carmine, ihr Prinz, dachte: Leck mich am Arsch, besorgte sich ein Ticket irgendwohin, Hauptsache weit weg, und ließ seine junge lädierte Frau zu Hause sitzen, wo sie sich fortan nach ihm verzehrte. Seither ward er nicht mehr gesehen. Kein Pieps, kein Mucks.

Und niemand verzehrt sich so intensiv wie Sofia Delano. Wäre es eine Kunstform, wäre Sofia Picasso. Die einzige Ablenkung, die sie sich gönnte, bestand darin, den Mieter der Wohnung unter ihrer eigenen zu schikanieren. Zufällig war ich das. Vor sechs ­Monaten tat ich ihr einen recht armseligen Gefallen im Haushalt, und zack, schon war sie überzeugt, ich sei ihr verschollener Ehemann, der seit zwanzig Jahren nicht mehr auf der Bildfläche aufgetaucht war. Zum letzten Mal richtig glücklich war Sofia, als sie und Carmine Ende der achtziger Jahre zusammenkamen, und so ist sie in diesem Jahrzehnt steckengeblieben. Ihre Madonna-Aufmachung ist ziemlich heiß, und als Cyndi Lauper ist sie umwerfend, nur ihre Chaka Khan könnte ehrlich gesagt noch optimiert werden.

Einmal haben wir miteinander geknutscht, aber weiter kann ich guten Gewissens unmöglich gehen. Ich weiß, dass es bei Pärchen durchaus verbreitet ist, so zu tun, als wäre man mit einer ganz anderen Person zusammen, doch sobald einer von beiden wirklich daran glaubt, dürfte mehr im Busch sein, davon bin ich fest überzeugt. Aber küssen ist okay, oder?

Und meine Herren, die kann vielleicht küssen! Als würde sie mir das Pochen direkt aus dem Herzen saugen. Und ihre Augen? Groß und blau, mit viel zu viel Kajal umrahmt. Früher sind Männer für solche Augen in hohle Holzpferde geklettert.

Einmal habe ich mit der Hand ihren Busen gestreift, aber das war keine Absicht, ehrlich. Ich glaube, manchmal weiß sie, wer ich bin. Am Anfang war ich wohl Carmine, aber jetzt … Ich glaube, es gibt einen Hoffnungsschimmer.

Wenn ich also so verflucht edelmütig bin, wie kommt es dann, dass ich jetzt mit dieser verblendeten Frau im Bett liege? Erstens: Sie können mich mal mit Ihrer schmutzigen Phantasie. Und zweitens: Ich liege auf der Decke, und Sofia kuschelt sich darunter. Zum ersten Mal seit sechs Monaten bin ich über Nacht geblieben, weil wir uns gestern Abend eine Flasche Rotwein (dessen Tanningehalt einen Elefanten niedergestreckt hätte) geteilt und dabei Die fabelhafte Welt der Amélie angesehen haben, den wahrscheinlich unbrutalsten Film aller Zeiten.

Wir haben gelacht.

Mit französischem Akzent.

Ich weiß noch, dass ich dachte: So könnte es doch immer sein.

Sofia tickt am optimalsten, wenn sie ihre Medikamente mit zwei Gläsern Wein einnimmt. Dann sieht sie mich plötzlich scharf, und wir können gemeinsam Filme gucken wie zwei verliebte Mittvierziger.

Und ich liebe sie. Ich liebe sie wie ein Highschool-Schüler die Königin des Abschlussballs.

Simon Moriarty, der seit meiner Zeit bei der irischen Armee immer mal wieder als mein Therapeut fungiert, hat mir erklärt, ich würde nach dem Unerreichbaren streben, um dadurch ewig rein zu bleiben. Aber was zum Teufel weiß er schon? Auf dem ganzen Planeten gibt es keinen Mann, der liegen könnte, wo ich liege, ohne dass ihm das Herz aufgeht.

Und glauben Sie mir, Sofia ist nicht unerreichbar. Seit wir uns angefreundet haben, hat sie ihr Bestmögliches getan, um erreicht zu werden. Aber ich kann es nicht, und dieses gemeinsame Rumliegen macht es nicht besser.

Sofia schlägt die Augen auf, und ich denke, bitte, Gott, mach, dass sie mich erkennt.

Mit einer Stimme, die so rauchig ist, dass Katzen allein aufgrund des Klangs schnurren würden, sagt sie: »Hey Dan. Wie geht’s?«

Und da ist er: der perfekte Augenblick. Ich präge ihn mir schnell per Zwinkerfoto ein, dann erst antworte ich.

»Mir geht’s richtig gut«, sage ich, und das ist die Wahrheit. Jeder Tag, an dem ich nicht Carmine sein muss, ist ein guter Tag für D. McEvoy.

»Warum liegst du da obendrauf?«, fragt sie und fährt mir mit dem Finger übers Gesicht, bleibt mit dem Nagel an meinen Bartstoppeln hängen. »Komm unter die Decke, ins Warme.«

Könnte ich machen. Warum nicht? Erwachsene in gegensei­tigem Einvernehmen und so weiter. Aber Sofia kann in null Komma nichts umschalten, und wer bin ich dann?

Carmine?

Ein Fremder?

Und weitere Traumata oder Hirnspielchen kann sie wirklich nicht gebrauchen.

Also sage ich: »Hey, wie wär’s, wenn ich dir einen Kaffee bringe?«

Sofia seufzt. »In zwei Monaten werde ich vierzig, Dan. Die Uhr tickt.«

Ich versuche zu lächeln, aber es wird eine Grimasse draus, und Sofia hat Erbarmen.

»Okay, Dan. Kaffee.«

Sie schließt die Augen und streckt sich, ein langes Bein gleitet unter der Daunendecke hervor.

Ich glaube, vielleicht trinke ich jetzt auch einen Kaffee.

Ich lasse sie mit ein paar Kissen im Rücken und einem dieser Cappuccinos aus Tütchen im Bett sitzen, sie liest Caribbean ­Cruising, eine Zeitschrift, die sie schon hundert Mal gelesen hat, obwohl sie in den vergangenen zwanzig Jahren nur ein paarmal aus dem Haus gegangen ist. Wir beide versprechen uns etwas, bevor ich aufbreche. Ich schwöre hoch und heilig vorbeizukommen, wenn ich im Kasino fertig bin, und mit ihr Manons Rache zu gucken, was nicht gerade meine Lieblings-DVD ist, aber Sofia schwört, sie wird ihre Pillen nehmen, die ich in einer Tasse auf ihrem Nachttisch bereitgestellt habe.

Ich bin optimistisch, dass ich heute Abend erneut auf Wolke sieben schweben werde.

Es könnte der Anfang von etwas richtig Gutem sein. Sofia wird wieder klar im Kopf, und ich lerne ein bisschen Französisch. Das Kasino kommt in die Gänge, und schon seit einem halben Jahr hat niemand mehr versucht, mich umzubringen. Und – sieht man von den wenigen Pennern ab, die ich mit einem Arschtritt aus dem Club befördern musste – das Allerbeste ist: Ich musste schon lange niemandem mehr weh tun.

Daran könnte ich mich gewöhnen.

Man kann glücklich sein. Es ist möglich. Ich habe Menschen in Parks beobachtet oder draußen vor den Theatern. Himmelherrgott, ich hab sogar schon höchstpersönlich ein paar sehr glückliche Exemplare kennengelernt. Vielleicht bin ich ja jetzt selbst mal dran?

Sei bloß nicht zu gut gelaunt, ermahne ich mich. Das Universum duldet Glück nie lange, wobei das wahrscheinlich nicht der Titel eines der Ratgeberbücher sein wird, die kurz vor Weihnachten die Buchhandlungen überschwemmen.

Ich halte im Gehen nach glücklichen Menschen Ausschau, um mein Argument zu untermauern, bin aber noch keine fünf Straßenecken weit gekommen, als mein Handy klingelt. Ohne aufs Display zu schauen, weiß ich, dass mich Zebulon Kronski anruft, einer meiner wenigen Freunde. Ich weiß es, weil er »Dr. Beat« von Miami Sound Machine als seinen persönlichen Klingelton eingestellt hat.

Das allein sagt schon einiges über meinen Freund Zeb. Man muss sich nur mal fünf Sekunden lang die kubanisch-amerikanische Polyphonie anhören, und schon hat man, ohne den Mann je gesehen zu haben, eine präzise Vorstellung. Zeb ist also Arzt, versteht sich. Er hält sich für einen Checker, daher auch der retro-coole Miami-Sound, und außerdem ist er ein dreistes Arschloch, das sich einfach so ein fremdes Handy unter den Nagel reißt und an den Einstellungen rumfummelt. Wer steht schon auf so was? Das Handy eines Mannes ist eine sehr private Angelegenheit, damit macht man keinen Blödsinn. Ich hab noch nie jemanden sagen hören: Hey, du hast an meinem Bildschirmschoner rumgemacht, super.

Das alles ist wahr: Zebulon Kronski ist ein dreistes Arschloch von einem Schönheitschirurgen, das sich selbst für einen Checker hält. Wären wir uns unter normalen Umständen begegnet, hätte ich wahrscheinlich den Raum mit geballten Fäusten verlassen, nur um ihm nicht die Lichter auszuknipsen, aber als wir uns kennenlernten, war ich mit den UN-Friedenstruppen im Libanon stationiert und steckte bis zum Hals in der Scheiße, und so wurden wir bombige Blutsbrüder. Manchmal überlebt man den Frieden nur mit einem Freund aus Kriegszeiten. Der Umstand, dass wir in Nahost auf gegnerischen Seiten standen, spielt dabei keine Rolle. Wir sind beide zu alt, um noch an Seiten zu glauben. Ich setze mein Vertrauen einzig in Menschen. Und nicht in allzu viele.

Im Prinzip stand ich ja auf gar keiner Seite. Ich stand mittendrin.

Ich warte, bis Gloria Estefan mit dem Takt fertig ist, dann zücke ich mein iPhone.

»Hallo«, sage ich und halte mich an die irische Maxime, niemals freiwillig zu viele Informationen rauszurücken.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Sergeant«, sagt Dr. Zebulon Kronski und träufelt mir mit seinem bestenfalls in Holly­wood glaubwürdigen irischen Akzent Gift in die Ohren.

»Morgen, Zeb«, erwidere ich müde und misstrauisch.

Ich kenne einen bei der Army, der am Telefon nicht mal durchblicken lassen würde, dass es tatsächlich Morgen ist, weil sich dadurch seine Position unter Umständen besser einkreisen lässt.

»Hast du den Akzent geübt?«, frage ich. »Ist gut.«

»Echt?«

»Nein, nicht echt, du Hornochse. Dein Akzent ist so schlecht, dass er schon rassistisch ist.«

Die Attacke ist ein bisschen billig, weil Zebulon gerade erst mit dem Schauspielunterricht angefangen hat, sich aber schon für einen Charakterdarsteller hält.

Ich hab so was Verschrobenes, gestand er mir mal nach einer Flasche Illegalem aus den Everglades – vielleicht, vielleicht aber auch nicht, steckte sogar ein Stück Alligatorpenis drin. Ein bisschen was von Jeff Goldblum und ein Hauch von diesem Typen, der Monk spielt. Weißt du, was ich meine? Ich hab mal bei irgendeinerCSI-Serie vorgesprochen. Der Regisseur meinte, ich hätte ein interessantes Gesicht.

Ein interessantes Gesicht? Das kannst du singen, Bruder.

Wie ein normales Gesicht, das zwischen zwei Panzerglasscheiben zerquetscht wurde. Andererseits ist meine eigene Visage auch nicht gerade aufsehenerregend. Der mürrische Ausdruck des harten Mannes steht mir schon so lange ins Gesicht geschrieben, dass er hängenblieb, obwohl der Wind längst gedreht hat.

Unbeeindruckt von meinem Rassismus-Vorwurf kontert Zeb mit ungeschönten Neuigkeiten.

»Mrs Madden ist gestorben, Dan. Wir sind mega gefickt.«

Zeb und ich stehen beide auf den Begriff »mega« und behalten ihn in einer Zeit des ständig im Mund geführten »Wahnsinns« und der schrecklichen Missverständnisse zwischen den Generationen in Hinblick auf »krank«, »krass« und »porno« Situationen vor, die dieses Adjektiv wirklich verdienen.

Mein Herz gerät ins Stottern, und das Telefon scheint mir schwerer zu wiegen als ein Backstein. Ich hätte ans Glücklichsein nicht mal denken dürfen; das hab ich jetzt davon.

Mrs Madden tot? Schon?

Die Information ist falsch. In meinem Leben gibt es derzeit keinerlei Spielraum für Schwierigkeiten. Meine Probleme hängen dichter aufeinander als Patronen in einem Magazin.

Sie darf nicht tot sein.

»Erzähl keinen Scheiß«, sage ich, will aber nur Zeit schinden, damit mein Herz seinen Rhythmus wiederfindet.

»Ich erzähl keinen Scheiß, alter Ire«, sagt Zeb. »Ich hab gesagt mega. Bei mega versteh ich keinen Spaß, das ist unser Code.«

Normalerweise wäre ich nicht so erschüttert, wenn eine Dame, die ich nicht mal persönlich kenne, den Löffel abgibt, auch nicht, wenn sie aus Irland stammt. In diesem Fall aber hängt mein persönliches Wohlergehen davon ab, dass Mrs Madden lebendig genug ist, um ihren Sohn einmal wöchentlich anzurufen.

Das Problem ist folgendes: Mike Madden, der geliebte Sohn, ist ein großer Fisch in unserem kleinen Teich, und mit großem Fisch meine ich, dass er das fieseste Gangsterarschgesicht unseres ruhigen Reviers ist. Mike regelt seine einschlägigen Geschäfte aus seinem Hauptquartier, dem Brass Ring Club auf dem Cloisters Strip. Für ihn arbeiten rund ein Dutzend Schläger mit viel zu vielen Waffen und zu wenigen Highschool-Abschlüssen, die alle ­bereit sind, über seine Witze zu lachen und jedem weh zu tun, der es wagt, Steinchen ins Getriebe der Madden-Maschine zu werfen. Eigentlich ist er eine Lachnummer, dieser falsche keltische Vollhorst mit seinem irischen Dialekt, der wie eine Kopie von Der ­Sieger klingt. Beim Friedenscorps bin ich einigen wie ihm begegnet; selbsternannte Obermotze, die sich einbilden, mächtig zu sein, Muskeln aber von Hirn nicht unterscheiden können – keiner von denen hätte sich lange an der Spitze einer Organisation halten können. Der Nächstbeste stand immer schon bereit, hatte die besseren Beziehungen und eine Kalaschnikow unter dem Jackett versteckt. Aber hier in Cloisters hatte Mike immer leichtes Spiel, weil die Stadt viel zu unbedeutend ist, als dass sich irgendein Gangster mit Selbstachtung hätte breitmachen wollen. Mike ist lange nicht so kapitalkräftig wie andere Bosse, dafür muss er aber auch nicht jede zweite Woche Revierkämpfe führen. Außerdem kann er von morgens bis abends seine Leute volllabern, ohne dass jemand auch nur flüstern würde: »Verdammt noch mal, halt den Rand!«

Niemand außer mir.

Mike und ich hatten im vergangenen Jahr eine kleine Aussprache, nachdem es zwischen mir und seinem Lieutenant zu Spannungen mit teilweise tödlichem Ausgang gekommen war. Zeb war ebenfalls in die Sache verwickelt, was allen Beteiligten böse aufstieß. Das Ende vom Lied war dann, dass ich mich gezwungen sah, einen meiner irischen Kumpel aus alten Armeezeiten zu bitten, sich bis an die Zähne bewaffnet wie ein Kobold in Mrs Maddens Garten in Ballyvaloo einzunisten, damit Zeb und ich weiterhin die gute Luft im Essex County schnuppern konnten.

Ich spürte einen Teil meiner Seele verkümmern, als ich der Mutter meines Gegenspielers drohte. Tiefer war ich nie gesunken, aber ich sah keinen anderen Ausweg. Seit diesem Deal bin ich davon überzeugt, wer Geschäfte mit dem Teufel macht, erfindet sich nach seinem Vorbild neu. Es gab Zeiten, da wäre es mir absolut nicht in den Sinn gekommen, jemandes Mutter zu drohen, egal unter welchen Umständen, schon gar nicht, wenn ich daran denke, was meine eigene Mutter durchmachen musste.

Ich hätte die Drohung doch nie wahr gemacht, sage ich mir jeden Tag. So schlimm bin ich auch wieder nicht.

Vielleicht kann ich wieder werden, wie ich einmal war. Vielleicht mit Sofia neben mir im Bett, wenn ihr Haar golden in der Morgensonne glänzt.

Hört euch das an. Ich klinge wie Céline Dion auf einem Ozean­riesen.

Egal …

Irish Mike Madden ist nur bereit, Zebulon und mich nicht abzuschlachten, solange seine Mutter lebt – oder anders gesagt, er hat angekündigt, uns zu töten, sobald seine Mutter das Zeitliche segnet. Die Umstände im Einzelnen sind dabei gar nicht so wichtig. Im Prinzip sind Zeb und ich jetzt mit heruntergelassenen Hosen an ein Fass gefesselt, und Mike steht mit einer extragroßen Portion Gleitcreme hinter uns.

Metaphorischer Gleitcreme.

Hoffe ich.

Ich bin im Zwiespalt, was diese jüngste Entwicklung angeht. Bei dem Gedanken, erneut in die Schlacht ziehen zu müssen, überfällt mich eine ungeheure Müdigkeit, gleichzeitig bin ich aber auch ein klitzekleines bisschen erleichtert darüber, dass Mrs Madden gestorben ist und ich nicht schuld daran bin. Jedenfalls glaube ich, dass ich nicht schuld daran bin. Allerdings sollte ich meinen Kobold möglichst bald anrufen, denn mein alter Ka­merad, der Mrs Madden in meinem Auftrag im Auge behielt, ist für seine eigenmächtigen Entscheidungen bekannt. Vielleicht hat Corporal Tommy Fletcher sein Auge für was anderes gebraucht.

Ich höre Zeb an meinem Ohr.

»Yo, D-man? Bist du umgekippt?«

Yo? Zeb liebt die Kultur, die er sich hier angeeignet hat. Vergangene Woche hat er bee-yatch zu mir gesagt, und ich musste ihm ernsthaft an die Stirn tippen.

»Ja. Ich bin da. Die Nachricht hat mir nur vorübergehend den Wind aus den Segeln genommen.«

»Du liebe Güte. Noch sehen wir uns die Gänseblümchen nicht von unten an.«

»Also, was ist mit der Mutter passiert? Natürliche Todes­­ursache, oder was?«

Ich hoffe bei Gott, dass es eine natürliche Todesursache war.

»Teilweise war’s natürlich«, sagt Zeb nervenaufreibend vage.

»Was soll das heißen, ›teilweise‹?«

»Na ja, der Schnee und der Blitz.«

»Mach schon, erzähl’s mir, ich weiß, dass du’s kaum abwarten kannst.«

»Ich wünschte, du wärst bei FaceTime. Ohne Video wird man dem kaum gerecht.«

Jetzt stellt Zeb meine Geduld wirklich auf die Probe. Ich hätte nicht so respektlos über seine schauspielerische Begabung sprechen sollen.

»Zeb. Red Klartext.«

»Klartext? Für wen hältst du dich? Shaft?«

Ich schreie ins Handy. »Was ist mit der verfluchten Mutter passiert?«

Ich verliere die Nerven, das heißt, Zeb hat gewonnen.

»Reg dich ab, Ire. Geht’s noch?«

Zeb liebt Spielchen. Sein Lieblingsspiel ist, mir auf die Nerven zu gehen, aber ich habe auch ein paar Spielchen auf Lager. Durch meinen Therapeuten habe ich ein bisschen was über Manipulation gelernt, was nicht wirklich im Lehrplan stand, aber er dachte, es könnte praktisch sein, zumal ich nach New York City ziehen wollte.

»Okay. Ich bin ganz ruhig. Aber ich muss los – hab ein Meeting im Kasino. Kannst ja später noch mal anrufen und mir dann alles in Ruhe erzählen.«

Ich höre förmlich, wie sich Zeb vor Schreck kerzengerade aufrichtet.

»Komm schon, Danny Boy. So viel Zeit muss sein. Vielleicht ist es die letzte Geschichte, die du je zu hören bekommst.«

»Ich sag dir was, sprich sie mir auf die Mailbox, dann hör ich’s mir später an.«

Jetzt habe ich den Bogen überspannt.

»Fick dich, Danny. Du kannst mich mal mit deinen Scheißmeetings. Eine Sekunde lang hast du mich drangekriegt, aber ich will mal nicht so sein. Die alte Lady Madden ist Ski gefahren, kannst du dir das verdammt noch mal vorstellen?«

Ich halte die Frage für rein rhetorisch, doch Zeb wartet tatsächlich auf eine Antwort.

»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, sage ich absichtlich gemein.

»Na dann streng dich an, Ire. Die alte Dame hat sich Skier umgeschnallt und ist raus auf die Pischte.«

»Pischte. Piste. Das ist doch kein Hebräisch, oder?«

»Wenn du schon weißt, was es nicht ist, wieso unterbrichst du mich dann? Manchmal hab ich das Gefühl, du hasst mich.«

Sollte es etwas Nervenaufreibenderes als ein Gespräch mit Dr. Zebulon Kronski geben, würde ich mich lieber erschießen, als es zu versuchen.

»Wir sprechen hier nicht von Abfahrtski, das habe ich nicht behauptet, immerhin war die Frau fünfundachtzig, um Himmels willen, aber sie hat sich mit ihrem Hund über den Acker geschoben, um ihre alte Schwester zu besuchen.« Zeb kichert hämisch. »Ihre ältere Schwester, wohlgemerkt. Ihr Iren seid aus Vulkangestein.«

»Erzähl weiter.«

»Ein Gewitter zieht auf. Riesenregenwolken sitzen bedrohlich auf den Bergen ringsum, deshalb nimmt Ma Madden eine Abkürzung. Wie sich später herausstellt, eine verhängnisvolle Entscheidung.«

Ich muss mir das Theater weiter antun. Ich habe keine andere Wahl.

Bedrohliche Riesenregenwolken, verhängnisvolle Entscheidung, leck mich am Arsch.

»Sie klettert über einen Stägel, wobei ich ewig gebraucht habe, bis ich endlich herausfand, was das ist, das kann ich dir sagen. Das alte Mädchen kraxelt also munter wie Forrest Gump mit hoch erhobenem Skistock über den Zauntritt, ein Blitz fährt hinein und befördert Ma Madden in null Komma nichts ins Jenseits. Ein gottverfluchter Scheißblitz.«

Ein gottverfluchter Scheißblitz. Und hier haben wir das Wetter, Elmore möge es uns verzeihen.

»Du machst doch Witze, oder?«, frage ich absolut unrhetorisch. Allmählich glaube ich, dass mich Zeb verarscht. Das macht er nämlich ständig, und nichts ist ihm dabei heilig. Letztes Jahr wollte er mir während meiner Haartransplantation weismachen, ich hätte Schädelkrebs. Drei ganze Stunden lang hat er es stock und steif behauptet.

»Verarschen, wo denkst du hin? Ihre Augäpfel sind verbrutzelt wie Spiegeleier. Einmalig.«

Das sind schlechte Nachrichten. Die schlechtesten überhaupt. Mike kam mir nie vor wie jemand, der viel vom Vergeben und Vergessen hält.

»Vielleicht ist Mike doch mächtiger, als wir denken«, sage ich, während mir die Tragweite des Geschehenen immer bewusster wird. »Vielleicht begreift er ja, dass ihm der Club ausreichend einbringt, und er lässt die Sache unter den Tisch fallen.«

Zeb schmunzelt. »Ach ja? Und vielleicht hat mein Onkel Mort ein Miezekätzchen, aus dessen Arschloch ich Koks schniefe, bevor ich es ficke. Mike lässt ganz bestimmt überhaupt nichts unter den Tisch fallen.«

Onkel Mort und ich haben das ein oder andere Mal gemeinsam einen gehoben, und jetzt ist Zeb schuld daran, dass sich ein wei­teres groteskes Bild in meine Vorstellung gräbt.

Plötzlich erfasst mich dasselbe eisige Entsetzen, wie wenn man aus Versehen eine E-Mail über ein Superarschloch an genau dieses Superarschloch forwardet.

»Zeb, bitte sag mir, dass dir der untröstliche Mike nicht gegenübersitzt und zuhört, wie du Witze über seine arme, kürzlich verstorbene Mutter reißt.«

»Natürlich nicht«, sagt Zeb. »Ich bin ja kein Vollidiot.«

»Also, woher willst du dann wissen, dass er nichts unter den Tisch fallen lässt?«

»Ich weiß es«, sagt Zeb denkbar ruhig, »weil mir Mike einen seiner irischen Kleeblattschmocks vorbeigeschickt hat. Momentan sitze ich auf dem Rücksitz seines Wagens und lasse mich in den Brass Ring chauffieren.«

»Dann komme ich besser gleich vorbei«, sage ich und beschleunige meinen Schritt.

»Genau das hat der Kleeblattschmock auch gesagt«, erwidert Zeb und legt auf.

Ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass mein Wachhund, Corporal Tommy Fletcher, eigenmächtig aktiv wurde und die alte Dame an eine Autobatterie angeschlossen hat. Mit Gewalt hatte er noch nie Probleme, obwohl er sich auf Facebook selbst als liebenswerten Teddybär beschreibt. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass ein Großteil von Tommys denkwürdigen Scherzen auf Momente extremer Brutalität zurückzuführen sind. Zum Beispiel gab es da vor vielen Jahrzehnten mal eine Nacht im Libanon, in der Tommy und ich mit unserem Colonel zwischen einem Wachturm und einem Bunker auf einem matschigen Hausdach festsaßen und dem Zischen der Hisbollahgranaten lauschten, die über uns hinwegsausten. Ich schwöre bei Gott, dass ich die Melodie von »Jealous Guy« heraushörte und dachte: Matsch?Im Nahen Osten dürfte es doch gar keinen Matsch geben.

Aber der Matsch war gar nicht das Hauptproblem. Schlimmer als die zähe Pampe oder das uns entgegenkommende feindliche Feuer war die Todesangst und wie sie sich bei unserem Vorge­setzten äußerte. Der Colonel, der blauäugig genug gewesen war, seine Jungs auf Wachposten zu begleiten, war jetzt der Ansicht, er dürfe eigentlich gar nicht hier sein und könne daher unmöglich sterben.

Begreifen das diese dämlichen Idioten nicht?, wiederholte er mehrfach mit zunehmend schriller Stimme. Ich wollte mich doch nur ein kleines bisschen solidarisch zeigen, verdammt noch mal. Dafür darf man doch niemanden umbringen.

Und der Colonel behielt recht, die Hisbollah hat ihn nicht getötet, sondern ihm lediglich ein Auge und ein Ohr abgenommen, was Tommy nur wenige Stunden später in den Truppenunterkünften zu der Bemerkung veranlasste: Typisch Offizier. Erwischt man ihn auf dem falschen Fuß, hört und sieht er nichts mehr.

Wenn’s um geistreiche Sprüche geht, war Oscar Wilde ein Waisenknabe gegen Corporal Thomas Fletcher.

Ich beschließe zum Brass Ring rüberzurennen. Downtown Cloisters ist nur ein paar Straßenecken entfernt, und ein Taxi hätte dem neuen Einbahnstraßensystem des Bürgermeisters folgen müssen, was darauf angelegt zu sein scheint, ehrliche Bürger auf dem alltäglichen Weg zur Arbeit in wutschäumende Psychopathen zu verwandeln. Außerdem verschafft mir der kleine Dauerlauf einen klaren Kopf, auch wenn ein joggender Affenmensch in Lederjacke erstaunte Blicke auf sich zieht und die verdatterten Passanten für den Bruchteil einer Sekunde fest davon überzeugt sind, augenblicklich ausgeraubt zu werden.

Männer meiner Statur sollten sich möglichst nicht schnell bewegen, es sei denn beim Wrestling in einem Cage-Match, und normalerweise gebe ich mich schön unbedrohlich zwischen schreckhaften Zivilisten, aber heute handelt es sich quasi um einen Notfall. Ich sage quasi, weil ich relativ sicher bin, dass Mike in seinem eigenen Laden keinerlei Gewalt anwenden wird, außerdem hätte er Zeb wohl kaum Gelegenheit gegeben, mich vorzuwarnen, wenn er mich töten wollte.

Mike weiß, was ich draufhabe, und er hat einen Vorschlag für mich. Ich wette, er hat seinen Auftritt minutiös geprobt.

Siehst du, mein Junge. Ich bin Geschäftsmann. Und was wir hier haben, ist eine Geschäftschance.

Nur dass er Geschäftsschangse sagen würde. Aus irgendeinem Grund kann er das Wort nicht richtig aussprechen, und mir wäre es egal, würde er es nicht in jeden zweiten Satz einbauen. Irish Mike Madden sagt häufiger Geschäftsschangse als der Papst Jesus. Und der Papst sagt sehr oft Jesus, besonders wenn sich jemand von hinten an ihn ranschleicht.

Solche Kleinigkeiten machen mich echt fertig. Einen Kinn­haken kann ich problemlos wegstecken, aber wenn jemand mit den Fingernägeln auf die Tischplatte trommelt oder ein bestimmtes Wort immer wieder falsch ausspricht, macht mich das wahnsinnig. Einmal habe ich einem Mann in der U-Bahn den Kaffee aus der Hand geschlagen, weil er vor jedem Schluck in den Becher geatmet hat. Das war, als würde man in der Frühstückspause neben Darth Vader sitzen. Und ich verrate Ihnen noch was: Drei Mitfahrende haben applaudiert.

Bis zum Brass Ring läuft man circa eine halbe Meile über flaches Gelände, also bin ich bei meiner Ankunft schön aufgewärmt und locker. Ich glaube nicht, dass ich jemandem den Schädel einschlagen muss, aber es kann nie schaden, Verkrampfungen zu lösen. Hat man die vierzig erst einmal hinter sich, tritt man nicht mehr einfach so von null auf hundert in Aktion. Früher konnte ich mit einem sechzig Pfund schweren Rucksack zwanzig Meilen über staubige Straßen in Nahost marschieren; jetzt komme ich außer Puste, wenn ich den Müll rausbringe. Na ja, das ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich kann den Müll ohne weiteres rausbringen, aber ich wollte den Unterschied verdeutlichen. Wir sind alle nicht mehr so jung, wie wir mal waren, abgesehen natürlich von denen, die schon tot sind. Die werden nicht mehr älter. Und wenn ich nicht gleich aufhöre abzuschweifen und mich nicht sofort konzentriere, gehöre ich wahrscheinlich bald dazu.

Staubige Straßen in Nahost? Du liebe Güte …

Mike erstand den Brass Ring zu einem Spottpreis, kurz nachdem der Vorbesitzer zusätzliche Körperöffnungen an sich festgestellt hatte. Für einen Club in Cloisters, Essex County, hat der Laden durchaus Klasse. Die Fassade ist halbherzig auf Seefahrt getrimmt, wozu auch die Holzverkleidung und die Bullaugen gehören, nicht aber die Stahltür mit ihren vielen klobigen Schlössern, die die Oberfläche sprenkeln wie Spione.

Davor steht ein Mann und raucht. Er ist nicht besonders groß, aber er wirkt gemein und nervös. Außerdem ist mir dieser Honk nicht übermäßig freundschaftlich gesonnen, da ich ihm vor ei­niger Zeit schon mal weh tun musste. Genaugenommen habe ich schon sämtliche Angehörige von Mikes Crew zum einen oder anderen Zeitpunkt windelweich geprügelt, weshalb ich in diesem Club zwar willkommen bin, aber eher so, wie Piranhas rohes Fleisch willkommen ist.

»Yo, Manny«, rufe ich und winke ihm zu, als würden wir sonntags zusammen Tennis spielen. »Mike erwartet mich.«

Manny Booker zuckt zusammen wie von einer Ohrfeige getroffen, wahrscheinlich weil ihm unsere letzte Begegnung wieder einfällt.

»Reg dich einfach ab, McEvoy«, sagt er und stranguliert mit der Hand die Luft direkt vor seiner Brusttasche. Nur allzu gerne würde er seine Knarre ziehen und mich erschießen, aber er hat strikte Anweisung, niemals in der Öffentlichkeit eine Schusswaffe zu benutzen.

»Ich bin ganz ruhig, Manny, aber du wirkst ein bisschen schreckhaft. Hast du Angst, dass ihr nicht in der Überzahl seid?«

»Dein Freund sitzt schon drin, Pistole vor der Nase.«

Manny platzt damit raus, mitten auf der Straße.

Ich kann Manny wegen seines Vollbarts nie lange angucken. Er trägt ein Folksänger-Gestrüpp, wie es sich heutzutage auf allen möglichen Gesichtern ausbreitet, was völlig in Ordnung ist, damit hab ich gar kein Problem, zumal ich in den neunziger Jahren selbst mal einen hatte, aber was mich schaudern lässt, ist der Umstand, dass sein langes drahtiges Nasenhaar direkt in den Bart übergeht, wodurch ihm dieser aus der Nase zu wuchern scheint. Wundert mich nicht, dass Mike ihn draußen vor die Tür gestellt hat; wer kommt schon zum Arbeiten, wenn ihn ein Nasenbart umschwirrt? Außerdem hat der Wichser auch noch rote Haare, von weitem sieht es also aus, als hätte Manny was auf die Fresse bekommen und würde sich an dem Blut nicht stören.

Nasenblutbart? Menschen sind Tiere.

Ich stoße beim Reingehen kräftig gegen seine Schulter, nur um ihn an vergangenes Leid zu erinnern. Man weiß nie, ob ich nicht an ihm vorbei flüchten muss, wenn die Verhandlungen schei­tern.

Im Brass Ring liegt hübscher Teppich, schokoladenbraun mit Goldfaden. Stinkvornehm. Und die Bar ist aus poliertem Walnussholz, das dem Trinker Vertrauen in den Barmann einflößt, noch bevor er diesen überhaupt zu Gesicht bekommt. Irish Mike und acht seiner Jungs sitzen in der Lounge, die Knarren vor sich auf dem Tisch. Und mittendrin Zebulon Kronski, der Geschichten aus dem Krieg erzählt. Ich glaube, gerade schwadroniert er davon, wie wir uns kennengelernt haben, in dem Suk draußen vor dem UN-Hauptquartier im Libanon, wo sich Zeb illegal als Schönheitschirurg betätigte und religiösen Fanatikern zu mehr Standhaftigkeit verhalf.

»Also jedenfalls kommt Daniel McEvoy hereinspaziert, gerade als ich einem Milizionär eine Fettspritze in den Schwanz jagen will.«

Mike lacht, aber seine Honks lachen nicht mit, weil sie mich im Gegensatz zu ihm entdeckt haben. Sie springen auf, greifen nach ihren Waffen. Zwei verwechseln ihre Schießeisen und streiten sich wie kleine Kinder darum, bis einer tatsächlich ein Foto aus der Brieftasche zieht.

Es ist beschämend.

Mikes erster Impuls ist, ebenfalls aufzuspringen, aber er hält sich zurück. Schließlich ist er der Boss.

»Daniel, mein Junge«, sagt er. »Setz dich doch.«

Ich tigere ein paarmal um den Tisch, präge mir die Sitzordnung ein, speichere die Stuhlpositionen ab, falls ich Möbel umwerfen muss.

Mike ist nervös. »Setz dich, verdammt noch mal. Du bist kein Spaniel.«

In der guten alten Zeit hätten seine Jungs über so was noch laut gelacht, aber inzwischen bin ich eine bekannte Größe, und deshalb kommt es ihnen jetzt vor, als hätte man einen Gorilla im Zimmer freigelassen.

Ich setze mich zwischen Mike und die Bar, behalte rechts die Tür im Blick und links Zeb, für den Fall, dass ich ihm was auf die dämliche Rübe geben muss, weil er den Karren hier an die Wand fährt.

»Mike«, sage ich und setze eine traurige Miene auf. »Tut mir leid wegen deiner Mutter.«

Mike hat sich ein mit Spitze gerahmtes Bild seiner alten Ma ans Revers geheftet. Wenn das irischer Brauch ist, dann habe ich noch nie davon gehört, dabei habe ich über zwanzig Jahre in dem Land gelebt.

»Ja, sie war eine großartige alte Dame.«

»Wieso sitzt du nicht im Flugzeug?«

Mike wird rot, als hätte ich ihm durch die Blume vorgeworfen, dass er lieber hier mit mir einen Kleinkrieg eröffnet, als seine Mutter in der guten alten Heimat zu beerdigen. Wobei ich natürlich genau das getan habe. Das Problematische an dieser Situation ist, dass Mike so gut wie alle Karten in der Hand hält. Nur meine Einstellung dazu kann er nicht kontrollieren, und diese letzte Karte werde ich ihm erst überlassen, wenn es gar nicht mehr anders geht.

»Ich bin in Irland nicht unbedingt gerne gesehen. Bei der Einreisebehörde hängt ein Foto von mir. Damals war ich mit den Jungs und ein bisschen Semtex unterwegs.« Er erwähnt die Jungs, damit ich weiß, dass von der IRA die Rede ist, wobei ich mir das beim Stichwort Semtex schon fast gedacht hatte.

»Ja, könnte problematisch werden. Warum kommen wir nicht direkt drauf zu sprechen, warum ich hier bin?«

Mike hat Freude an ein bisschen Theater, und deshalb schmerzt ihn meine Bitte. Und dieser Schmerz wiederum zeigt sich in seinem Gesicht, was dank Mikes Kneipenschlägerkartoffelkopf aussieht, als würde jemand einen unförmigen alten Schwamm ausdrücken.

»So einfach ist das nicht, mein Freund«, sagt er und tastet nach dem Bild von Ma Madden an seinem Revers. »Ich bin in Trauer. Ich leide unter Schweißausbrüchen, Durchfall und starken Stimmungsschwankungen. Seit gestern bin ich betrunken.«

Seine Jungs brummen voller Mitgefühl. Sie klingen wie der Wirklichkeit entrückte Mönche.

Zeb meldet sich zu Wort. »Dagegen hab ich was. Drei Dosierungen, zweimal täglich. Sind allerdings Zäpfchen, musst sie dir schön tief reinschieben.«

Tarantino ist der Mann für so was, wobei ich ihm die Dreiecksschießereien, die er manchmal einbaut, nie abgekauft habe. Wen packt schon dermaßen die Wut, dass er losballert, obwohl der Lauf einer Pistole auf den eigenen Kopf gerichtet ist? Aber allmählich glaube ich, wenn Zebulon Kronski einer von den dreien ist, ist einem auch egal, ob man lebend aus der Situation rauskommt. Zeb würde den Dalai Lama dazu bringen, Delphine zu erschießen. Ich brech mir hier einen ab, um ein bisschen Oberwasser zu gewinnen, und er kommt mit Zäpfchen.

»Tu mir einen Gefallen, Mike«, sage ich rasch. »Schieb den kleinen Wichser hier vor die Tür, bevor jemandem die Sicherung durchbrennt.«

Mike schnippt mit den Fingern Richtung Manny. »Da hast du verdammt recht. Dreimal schon hätte ich ihn fast erwürgt. Meine Frau liebt ihn leider. Zeb, der kleine Wunderheiler.«

Bei mir macht es Klick.

Zeb zappelt gar nicht am Haken.

Nur ich.

Zeb ist für Mike von unschätzbarem Wert, denn er hat sich und seine Botoxspritzen bei Mrs Madden unentbehrlich gemacht. Vielleicht geht er gar nicht so lax mit seinem eigenen Leben um, wie ich dachte.

Manny schiebt Zeb Richtung Tür, wobei dieser versucht, Blick­kontakt zu mir aufzunehmen, aber ich habe ihn ignoriert. Zeb hat ein Spiel gespielt und die ganze Zeit so getan, als säßen wir in einem Boot.

»Komm schon, Daniel, Danny Boy. Was ist los?«

Zeb hat dieses schuldbewusste Jaulen in der Stimme. Er weiß es, verdammt noch mal. Und ich will, dass er weiß, dass ich es auch weiß, was typisch ist für unsere pubertäre Beziehung, also lass ich ihn meinen Zorn spüren.

»Ihr Jungs steht doch nicht auf Jesus, oder? Wie sieht’s denn mit Judas aus? Habt ihr den auf der Rechnung?«

Eins muss ich Zeb lassen, ein schlechter Schauspieler ist er nicht. Entsetzen und Verletztheit hat er ausgezeichnet drauf. Zuerst zuckt sein gesamter Kopf unter der Wucht meiner Worte, dann steigt ihm Schmerz in den Blick. Ganz und gar nicht schofel.

»Was willst du mir damit sagen, Dan? Sprich mit mir.«

Aber hier sackt die Nummer in sich zusammen. Jeder, der Dr. Kronski einigermaßen gut kennt, weiß, dass seine Reaktion auf falsche Anschuldigungen normalerweise in zweisprachig geäußerten Variationen der Formulierung Fick dich besteht.

Ich sehe ihm direkt in die Augen. »Du fällst aus der Rolle, Zeb. Dir fehlt es an innerer Motivation.«

Als ihn Manny durch die Schwingtür schiebt, hat er den Mund immer noch nicht wieder zubekommen, und ich kann nicht fassen, dass ich für dieses undankbare Arschloch mehrfach mein Leben riskiert habe. Ich will keinen Dank, aber ein bisschen Solidarität wäre schön.

Mit Zeb verschwindet auch einiges von dem Wahn, der vorher in der Luft lag, und fast scheint es möglich, dass Mike und ich ein ernstes Wort von Mann zu Mann wechseln, doch dann sagt Mike:

»Daniel, ich weiß, dass wir beide uns ein bisschen festgefahren haben, aber ich denke, wir sollten das Ganze als Schangse betrachten.«

Schangse. Ich knirsche mit den Zähnen. Ich muss hier den bestmöglichen Deal rausschlagen, und mich wegen eines falsch ausgesprochenen Begriffs künstlich aufzublasen scheint mir kindisch.

Also haue ich Mike nicht auf die schmierige Fresse. Ich sage: »Mike, du bist in Trauer. Du hast gerade deine Mama verloren, und das wäre für jeden eine traumatische Situation, für uns Iren ist es aber der Weltuntergang.«

Gut, oder? Das hatte ich auf dem Weg hierher geübt.

»Genau das ist es, Dan. Der Weltuntergang. Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.« Mike befingert wieder die Spitze an seinem Revers. »Aber wir haben eine Pflicht gegenüber den Toten, und das bedeutet weiterzuleben. Wir respektieren die Verstorbenen, indem wir das Leben am Kragen packen.«

Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der vorher geprobt hat. Ich nicke eine Weile, als wollte ich die Weisheit seiner Worte verinnerlichen, überlege aber tatsächlich, ob ich es schaffen kann, meine Finger in seinen fetten Nacken zu graben, bevor mich seine Jungs erschießen. Zweifelhaft. Zwischen uns befinden sich drei Meter und ein Tisch.

»So sieht es aus, Daniel«, sagt Mike. »Ich habe einen Vorschlag für dich. Du hast eine echte Schangse, endlich hochzukom­men.«

Er hat es wieder gesagt, und ich merke, wie mein Gesicht verkrampft, als hätte mich jemand geohrfeigt.

»Hochzukommen? Wo hoch?«

»Hochzukommen, so dass ich dich nicht mehr töten muss.«

»Du meinst, mich und Zeb?«

Mike grimassen-grinst, als hätte er sein Gesicht nicht mehr unter Kontrolle. »Na ja, Zeb nicht unbedingt. Er ist Mrs Maddens kleiner Arzt. Sie hat jetzt viel mehr Freunde. Davon profitieren alle – aber du, du bist entbehrlich.«

Phantastisch. Ich bin entbehrlich. Wann war ich es nicht? Das werden sie noch auf den Leichensack kritzeln, in dem ich begraben werde. Soundso war entbehrlich.

»Ist das alles? Du musst mich nicht töten! Wie sieht’s mit Schutz für den Club aus?«

Mike lacht. »Nein. Das ist kein Thema. Hat nicht mal dieselbe Postleitzahl wie ein Thema.«

Das sind gute Neuigkeiten, denn würde Mike damit rechnen, dass ich seinen Vorschlag nicht überlebe – worin auch immer er bestehen mag –, würde er die monatliche Rate in den Topf werfen. Warum nicht? Andererseits könnte er mich natürlich auch reinlegen wollen.

Mike räuspert sich vor seiner großen Ansprache: »Du musst dich fragen, Dan, warum will mir Mister Madden die Schangse geben, etwas wiedergutzumachen?«

Das ist verwirrend: Mike spricht von sich selbst in der dritten Person, aber über mich in der ersten.

»Soll ich die Schangse ergreifen?«, fährt Mike fort. »Oder soll ich die Schangse mit Füßen treten?« Das muss ein Witz sein. Ich spüre eine Schlagader in meiner Stirn pochen.

»Weil man Schangsen wie diese nicht jeden Tag bekommt.«

Aaargh. Ich muss dem Ganzen ein Ende machen. Ich muss etwas sagen.

»Mike, darf ich dir eine Frage stellen?«

Mike ist gedanklich bereits zwei Absätze weiter, ihm bleiben kurzfristig die Worte im Halse stecken. Ich presche vor, bevor er erneut einen Vorwand findet, um Schangse zu sagen.

»Was machst du hier?«

Mike kneift seine kleinen feuchten Augen zusammen, und einen Moment lang verschwinden sie vollkommen aus seinem rotgeäderten Gesicht. »Was machen wir alle hier, Daniel?«

»Nein. Ich meine, was machst du hier? In Cloisters. New Jersey ist ein italienischer Staat. In Jersey gibt es keine irischen Banden. Du bist wie ein Pickel auf dem Arsch eines Supermodels, Mike. Du gehörst hier nicht hin.«

Mikes Stuhl knarzt, als er sich zurücklehnt und ich ihn in seiner gesamten korpulenten Statur bewundern darf, die ich noch vor fünf Jahren als beängstigend empfunden hätte. Jetzt sehe ich lediglich einen alternden Säufer, der sich in einen teuren Anzug gezwängt und dessen Eleganz durch den Stoff ausgeschwitzt hat. Kraft hat der Alte noch, aber wenn er zu viel davon einsetzt, läuft er Gefahr, einen Herzinfarkt zu erleiden. Meiner ungebildeten Ansicht nach bleiben Mike höchstens noch fünf Jahre, bis ihm das Speckfett die Pumpe verstopft. Möglicherweise hätte ich den Prozess beschleunigen können, hätte ich Zeb nicht aus dem Raum schaffen lassen.

»Die Italiener haben keine Lust, sich mit mir anzulegen«, sagt er schließlich, womit er meine Frage tatsächlich sogar beantwortet, wenn auch nicht wahrheitsgemäß. »Wir sind hier eine ruhige kleine Stadt, mein Sohn, und das Blutvergießen wäre es nicht wert.«

»Ja, wahrscheinlich hast du recht«, sage ich scheinbar unbeteiligt, als könnte er den Italienern theoretisch großen Schaden zufügen.

Die schlichte Bemerkung scheint im Widerspruch zu all dem anderen argumentativen Müll zu stehen, den ich so von mir gebe, aber ich habe eine Methode. Zwischen meinen Einsätzen im Nahen Osten als Soldat der irischen Friedenstruppen gab mir mein damaliger Psychotherapeut, Dr. Simon Moriarty, ein paar Tipps für den Umgang mit Autoritäten. Ich kann ihn jetzt praktisch vor mir sehen, wie er ausgestreckt auf dem Bürosofa liegt, auf dem eigentlich ich hätte liegen sollen, eine dicke Zigarre raucht und die Asche in einen Kaffeebecher abstreift, den er auf seinem Ramones-T-Shirt balanciert.

Du musst dir eins klarmachen, Dan. Jeder durchschnittliche Boss hat sich den Platz an der Spitze mit Schikanen erkämpft, weshalb er tief in seinem Innersten glaubt, er habe diesen Platz gar nicht verdient. Du bedenkst ihn also erst mal mit ein paar wohlüberlegten Beleidigungen, nur um ihm zu beweisen, dass du’s draufhast. Wenn du ihn schön ein­geschüchtert hast, machst du ihm Komplimente. Hältst du den Blödsinn zwei Wochen durch, frisst er dir aus der Hand.

Zwei Wochen hab ich nicht, also muss ich mich darauf verlassen, dass Zeb den Boden mit Beleidigungen bereits bereitet hat.

»Nein, die Italiener haben nichts damit zu tun«, fährt Mike fort, rückt seine Schiebermütze auf eine Weise zurecht, die seine Unerbittlichkeit gegenüber italienischen Kriminellen unterstreichen soll. »Das ist wie in Sparta. Wir können hier einfach nicht so viele davon gebrauchen, sonst müssen wir den ganzen Tag Dosenravioli fressen.«

Dosenravioli. Reizend.

»Die Leute dazu hast du jedenfalls«, sage ich und verknüpfe erneut eine Beleidigung mit einem Kompliment.

Mikes Männer lassen die Muskeln spielen, so dass ihre Sakkos knarzen.

»Andererseits hab ich die meisten davon vor wenigen Monaten ganz alleine windelweich geprügelt, obwohl ich verletzt war. Jetzt könnte ich’s wahrscheinlich mit vier oder fünf gleichzeitig aufnehmen, wenn’s sein muss.«

Darauf ist Mike vorbereitet. »Oh nein, mein Junge. Du legst uns nicht noch mal rein. Calvin hat schon einen roten Punkt auf deine Stirn gemalt.«

Und sicher nicht im buddhistischen Sinne, denke ich mal.

Calvin. An den erinnere ich mich. Junger Typ, kennt sich aus mit Polizeiarbeit. Spricht von Spurenmaterial und genetischem Fingerabdruck, ohne eine Miene zu verziehen. Mike himmelt ihn an. Hat den Jungen im vergangenen Jahr direkt zur Nummer zwei befördert. Plötzlich könnte ich schwören, dass ich den Laserpunkt an meinem Hinterkopf spüre.

»Okay, also lass uns zur Sache kommen. Warum bin ich hier?«

»Meinst du jetzt metaphysisch?«, fragt Mike und beweist damit, dass man niemals vor Überraschungen sicher ist.

»Nein. Ich meine, warum sitze ich hier in deinem neuen Clubhaus, obwohl ich meins auf Vordermann bringen sollte, damit du deine Schutzgeldtarife erhöhen kannst?«

»Du bist hier, weil ich dir einen Mord schulde. Du hast mein ganzes Unternehmen um Monate zurückgeworfen. Verdammt noch mal, mein Junge, du hast meine Nummer zwei unter die Erde gebracht, du hast die Schangse gesehen, mir weh zu tun, und du hast die Sch…«

Ich halt’s nicht aus. Verflucht sei mein aufbrausendes Wesen.

»Moment mal, mein Junge. Glaubst du, ich wollte deinen Mann umlegen? Meinst du, das raubt mir nicht den Schlaf? Ich hab ihm jede Möglichkeit gegeben abzuhauen, aber nein, dein Holzkopf von einem Stellvertreter ist mit einem Eispickel auf mich los, und ich habe mich verteidigt. Ich habe eine Schangse gesehen zu überleben und sie genutzt.«

Calvin kichert und entschuldigt sich sofort dafür.

»Tut mir leid, Mike. Er hat das Wort gesagt, du weißt schon, das Wort, das du immer sagst, so wie du’s sagst.«

Mike ärgert sich, dass die Unterhaltung nicht den erwarteten Verlauf nimmt.

»Welches Wort, Calvin? Welches verfluchte Wort kann das sein?«

Ich rette Calvin den Arsch. »Du bist ein Tyrann, Mike, weißt du das? Du findest doch für jeden Scheiß einen Vorwand. Du willst mich töten und meinen Club abfackeln, es sei denn, ich mache was für dich, hab ich recht? Also sag mir einfach, was es ist.«

Anscheinend ist mir zu diesem Zeitpunkt die Psychotaktik flöten gegangen. Lange hat’s nicht gedauert. Vorauseilende Verärgerung.

»Vielleicht bring ich dich auch lieber gleich um«, sagt Mike, pikiert darüber, dass er so leicht zu durchschauen ist. »Hast du dir das auch schon überlegt?«

»Nein, Mike. Wenn du mich tot sehen wolltest, dann lägen jetzt vier oder fünf deiner Jungs im Krankenhaus und ich hätte eine Fleischwunde. Wenn’s hochkommt.«

Mit der Bemerkung ist Mikes Toleranzgrenze ruck, zuck überschritten, und eine Sekunde lang schließt er die Augen. Als er sie wieder aufschlägt, befinden wir uns in Gegenwart von Dark Mike. Mike, dem Gnadenlosen. Dieser Mann hat jegliche zivilisierte Fassade abgestreift wie eine Schlange ihre abgestorbene Haut. Irish Mike hat blutige Revolutionen, Gefängnisaufstände und Messerstechereien hinter sich, und ein paar Jahrzehnte in New Jersey, unterbrochen von dem ein oder anderen Ausflug zu einer Aufführung auf dem Broadway, werden diese Erinnerungen nicht auslöschen.

»Okay, weißt du was? Fick dich, Dan. Fick dich. Ich hol mir hier eine beschissene Migräne, wenn ich mir noch länger deinen beschissenen Scheiß anhören muss.«

Das ist plötzlich eine ganze Menge Scheiße. Als ich noch hauptberuflich Türsteher war, habe ich die Theorie entwickelt, dass es eine direkte Verbindung zwischen der Häufigkeit von beschissener Scheiße in einem Satz und der Anzahl von Sekunden bis zum Erstschlag gibt.

Vier Fäkalausdrücke, und wir haben die Hände aus den Taschen gezogen.

Die Temperatur im Raum scheint zu steigen. Mikes Jungs beugen sich vor wie hochgewachsene Blumen, die der Sonne entgegenstreben. Sie spüren, dass es allmählich so weit sein könnte, dass sie etwas für ihr Geld tun müssen.

»Die Situation ist folgende, pass gut auf«, sagt Mike, Speicheltröpfchen auf den Lippen. »Mir gehört diese Stadt, und du bist mir – verdammte Scheiße – was schuldig, McEvoy. Egal, wie du’s drehst und wendest. Also, du hast zwei Möglichkeiten, dich aus der Scheiße zu ziehen. Entweder jagt dir Calvin jetzt gleich eine Kugel in den Kopf und ich lasse den Fußboden schrubben, oder du lieferst in SoHo ein Päckchen bei einem Typen namens Shea ab, der manchmal ein bisschen überempfindlich reagiert; dafür brauche ich nämlich einen Idioten. Das ist es. Du hast die Wahl. A oder B, C gibt es nicht. Ach warte mal, doch. Es gibt auch noch Möglichkeit C: Calvin schießt dir zuerst in die Eier, dann in den Kopf.«

Möglichkeit B klingt zumindest weniger endgültig als die anderen beiden. Allerdings auch zu einfach: ein Päckchen bei einem Kerl abliefern, der ein bisschen überempfindlich reagiert?

Ein bisschen überempfindlich? Ich wette, das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.

Blödsinn.

Wahrscheinlich will mich Mike als Prügelknaben vorschicken, und zum Schluss gucke ich blöder aus der Wäsche als die Trojaner, die ein hohles Holzpferd in ihre bis vor kurzem noch belagerte Stadt gezogen, den Wachposten freigegeben und sich selbst eine Sauforgie gegönnt haben. Der Vorteil ist natürlich, dass ich nicht lange dumm gucken müsste, da die dämmernde Erkenntnis sicher einen raschen Tod nach sich ziehen würde.

»Nein, Mike. Vergiss es. Ich lass es jetzt drauf ankommen. War­um machen wir nicht so eine Art Death Match draus? Ich gegen zwei von deinen Jungs.«

Mike greift in seine Tasche und zieht ein Tütchen Koks raus, von dem er sich ein bisschen was auf die Handfläche streut und es ableckt wie ein Esel seinen Zucker.

»Ich brauch ein bisschen was, um runterzukommen«, sagt er nach einer Schweigeminute. »Ansonsten, mein Junge, mach ich dich kalt und scheiß drauf. Meinst du, ich weiß nicht, dass du Kugeln kackst? Und wenn du mir bis zum Jüngsten Tag mit frechen Sprüchen kommst, in Wahrheit hast du die Hosen voll, und da bist du auch gut beraten.«

Verdammt. Das Koks scheint Mike ein bisschen schlauer gemacht zu haben.

»Ja, ich hab Schiss, aber ich spring nicht vom Regen in die Traufe. Ich brauche mehr Einzelheiten. Was ist in dem Päckchen? Woher weiß ich, dass mich dieser Shea nicht auf der Stelle erschießt?«

»Ich kann das Päckchen auch abliefern, Mister Madden«, sagt Calvin, auffallend bemüht, sich nach dem Schangse-Debakel wieder beliebt zu machen.

Mike reibt sich mit seinen Stummeldaumen die Augen. »Nein, Calvin. Du bist mein Mann, und ich brauche dich hier. Shea steht unter Strom, ich brauche einen, der Frieden schafft.« Er guckt mich an. »Du bist doch von der Friedenstruppe, oder nicht, McEvoy?«

Mike zieht einen Umschlag aus der Schublade, nimmt den Inhalt raus und blättert ihn auf den Tisch.

»Inhaberschuldverschreibungen, McEvoy. Im Wert von zweihunderttausend Dollar. Besser als Bargeld. Ich schulde diesem Shea etwas, und so will er’s zurückbezahlt bekommen. Diese kleinen Scheißerchen sind fünfzig Jahre alt und haben mehr Blut gesehen als die Schweinebucht – trotzdem sind sie quietschsauber und leichter zu transportieren als Geld. Ich möchte, dass du Mister Shea diese Schuldverschreibungen tagsüber in sein Hotel in SoHo bringst. Ganz einfach. Wenn du das machst, ohne mir weiter mit deinen Klugscheißereien auf den Geist zu gehen, werde ich dich als zu fünfundzwanzig Prozent entlastet betrachten.«

»Fünfundzwanzig Prozent, so ein Scheiß«, sage ich. »Sagen wir fünfzig.«

»Na schön«, erwidert Mike breit grinsend. »Scheiß drauf, fünfzig.«

Verdammt, ich hab mich von Mike Madden reinlegen lassen.

»Und wenn ich dein Angebot ablehne?«

»Du weißt, was dann passiert.«

»Sag’s mir. Buchstabier’s. Wir werden hier doch nicht abgehört, oder?«

Mike leckt sich noch einmal über die faltige Handfläche, und ich sehe zum ersten Mal, dass der Mann auf seine eigene verdrehte Art tatsächlich trauert. Es gibt Menschen, die sich erst besser fühlen, wenn es jemand anderem schlechter geht.

»Wenn du das nicht für mich tust, dann mache ich dich fertig, und diese irre Sofia, die du anscheinend unter deine Fittiche genommen hast, gleich mit. Vielleicht auch deinen Partner im Kasino, mal sehen. Ich weiß es noch nicht. Irgendwas fällt mir ein. Ich kann im Moment nicht richtig drüber nachdenken, aber was die Brutalität betrifft, wird sie in keinem Verhältnis zu dem stehen, was du uns angetan hast. Nichts auf der Welt ist sicherer als das, sieht man von den Inhaberschuldverschreibungen ab.« Mikes Pupillen werden stecknadelgroß. »Also pass auf die Papiere auf, als würde dein Leben davon abhängen.«

Weil es das natürlich tut.

Er muss es nicht sagen, ich kann’s mir denken.