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Sein Vater ist Programmierer und seine Mutter Mathematikprofessorin. Mathe hasst seinen Namen und verschwendet nur ungerne Zeit für die Schule. Zum Verdruss seiner Eltern sitzt er stattdessen lieber vor seinem Computer und spielt Videospiele. Schließlich darf er endlich das heiß ersehnte, neue Spiel seines Vaters testen und taucht ab in eine andere Welt. Level für Level erhält er neue und immer schwierigere Aufgaben. Ist er diesen gewachsen oder ist er zum Scheitern verurteilt? Eins ist sicher, jede dadurch gelernte Lektion wird Mathe nie wieder vergessen.
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Seitenzahl: 408
Veröffentlichungsjahr: 2023
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KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
LEVEL 2
LEVEL 3
LEVEL 5
LEVEL 7
LEVEL 11
LEVEL 13
LEVEL 17
LEVEL 19
KAPITEL 6
LEVEL 23
KAPITEL 7
LEVEL 29
LEVEL 31
KAPITEL 8
LEVEL 37
LEVEL 41
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 0: EPILOG
KAPITEL π: NACHWORT
„Mathe, kommst du zum Essen?“, ertönt die Stimme meiner Mutter.
Ihr habt richtig gehört. Ich heiße Mathe. Zum Leid aller. Oder besser gesagt, zu meinem Leid. Meine Eltern lieben diesen Namen, sonst hätten sie mich ja auch wohl kaum so genannt. Obwohl ich mich immer noch frage wie sie überhaupt auf die Idee kamen ihrem Sohn einen schottischen Namen zu geben, denn schließlich habe ich keine schottische Verwandtschaft. Der einzige Grund, warum ich meinen Namen nicht ganz verabscheue ist, dass mir seine Bedeutung. „Geschenk Gottes“ doch irgendwie gefällt.
Wie dem auch sei, sie hätten sich lieber einmal in einen Schuljungen hineinversetzen sollen, der mit diesem Namen leben muss und durchaus verspottet wird. Denn welch Wunder, ich hasse dieses Fach. Wie die Pest. Zahlen, pfui. Gleichungen, kotz.
Meine Freunde nennen mich eigentlich nie Mathe, alle nennen mich Mat und darüber bin ich froh. Doch immer, wenn wir neue Lehrer bekommen, lautet die erste Aussage: „Dann ist sicher Mathe dein Lieblingsfach!“ In Gedanken bekommt der Tag dann schon ein fettes rotes Kreuz im Kalender.
Und jedes Mal wünsche ich mir dann einen anderen Namen, einen Namen ohne Vorurteile, einen ganz gewöhnlichen Namen, wie Hans, Tom, Matthias oder was weiß ich. Irgendetwas Vernünftiges eben.
Wie gesagt, ich hasse Mathe, zum Frust meiner Eltern. Meine Mutter ist Professorin der Mathematik und in ihrem Gebiet eigentlich eine der einzigen weiblichen Vertretungen und mein Vater Programmierer, beide haben Mathematik studiert und sich dadurch kennengelernt. Da habe ich also wieder einmal voll zugeschlagen. Na ja, es hätte auch noch schlimmer kommen können.
„Mathe, wo bleibst du?“, die Stimme meiner Mutter wird ungeduldig.
„Ich komme ja schon“, schnell fahre ich meinen Computer herunter, bevor ich immer zwei Stufen auf einmal nehme, um nach unten zu kommen.
„Was hast du denn schon wieder so lange getrieben?“, empfängt mich mein Vater vorwurfsvoll. Seine Haare stehen unordentlich in alle Richtungen von seinem Kopf ab, so wie es immer ist, wenn er stundenlang über irgendeinem Projekt hängt und sich dabei immer wieder in die Haare greift. So ist er eben, ihr solltet ihn mal sehen, wenn er arbeitet. Jedes Mal, wenn etwas nicht funktioniert oder auch wenn er nur über eine neue, seiner Meinung nach, umwerfende Idee, nachdenkt, fasst er sich in die Haare. Manchmal zieht er auch leicht an ihnen, sodass ich mir teilweise Sorgen mache, dass sie ihm irgendwann ausgehen werden. Bis jetzt ist das aber Gott sei Dank noch nicht der Fall.
„Ich musste noch schnell eine Aufgabe zu Ende rechnen“, weiche ich aus.
Prompt runzelt mein Vater die Stirn und möchte zu einer Antwort ansetzten, doch meine Mutter kommt ihm zuvor: „Wie schön, dass du dich endlich mal dazu bequemen konntest.“
Autsch, das tat weh. Auch wenn sie nicht ganz unrecht hat. Normalerweise mache ich meine Matheaufgaben nie und wenn ich sage nie, dann meine ich auch wirklich nie. Wer braucht so etwas denn überhaupt? Aber ich habe schon lange aufgegeben mit ihnen darüber zu diskutieren, es bringt sowieso nichts als unnützen Ärger und dicke Luft.
„War aber echt öde“, antworte ich deswegen nur.
Jetzt zieht mein Vater beide Augenbrauen hoch, sodass sich eine steile Falte auf seiner Stirn bildet, sagt aber nichts.
Wortlos schöpft er sich Suppe auf den Teller und vorsichtig linse ich in den Topf. Ein scheußlich aussehendes grünes Etwas schaut mir entgegen. Nachdenklich runzele ich die Stirn, was blubbert denn da bitteschön vor sich hin?
Meine Mutter ist gerade echt auf einem schlimmen Gesundheitstrip oder so. Ständig kommt sie hier mit irgendwelchen neuen Gerichten an, die sie auf jeden Fall ausprobieren muss. Was das da im Topf jetzt wieder sein könnte ist mir deswegen echt schleierhaft.
„Das ist Erbsencremesuppe“, antwortet meine Mutter auf meine nicht gestellte Frage, „die ist sehr gesund und enthält wichtige Vitamine.“
Bevor sie wieder einmal beginnen kann, aufzuzählen, was alles so toll an dieser Speise sein kann, reiche ich ihr schnell meinen Teller. „Sieht lecker aus“, oder auch nicht.
Noch etwas skeptisch betrachte ich die grünliche Flüssigkeit vor mir in meinem Teller, die vor sich her dampft.
„Morgen Mat, was geht?“, begrüßt mich mein bester Freund Albert. Okay, auch er hatte wohl eher Pech mit seinem Namen. Würde er mit Nachnamen Einstein heißen, so wären meine Eltern begeistert wie noch was.
„Morgen Ali, alles bestens, nur das Gewöhnliche. Und bei dir so?“
„Och, ich hatte etwas Krach mit meinen Eltern, als ich ihnen die letzte Klausur hingelegt habe“, meint er schulterzuckend.
„Mathe?“, ich blicke ihn aus dem Augenwinkel an, als wir uns auf den Weg in Richtung Schulgebäude machen.
Ich bekomme keine Antwort, sondern nehme lediglich ein grunzendes Geräusch wahr, was wohl so viel heißen soll, wie „Klar, was denn sonst.“ Im Gegensatz zu mir ist Ali ein sehr guter Schüler, ausgenommen Mathe, aber wer ist darin denn bitteschön gut? Okay, es gibt ein paar Ausnahmen, auch in meiner Klasse ...
„Mach dir nichts aus Mathe, du hast doch sonst immer nur Einsen, da kommt es auf eine vier auch nicht drauf an“, versuche ich ihn aufzubauen.
„Wäre es mit einer vier nur schon getan“, brummelt er in seinen nicht vorhandenen Bart.
Abrupt bleibe ich stehen und prompt läuft er in mich hinein. Wir haben gerade das Schulgebäude betreten, weswegen er hinter mir ist.
„Hey, was soll das?“, unsanft schubst er mich vorwärts.
Ich drehe mich zu ihm um: „Wie, du bist schlechter als eine vier?“ Fassungslos starre ich ihn an, das gibt es doch nicht, er, der immer nur eine eins nach der anderen schreibt, schreibt in Mathe normalerweise niemals etwas Schlechteres als eine vier.
Aus zusammengekniffenen Augen schaut er mich an: „Ja, du hast schon richtig gehört. Dieses Mal ist es eben eine fünf geworden, Gott was kann ich da dafür, bei dem bekloppten Lehrer. “
„Jetzt mach aber mal halblang“, versuche ich ihn zu beschwichtigen. Nur weil ich die Mathematik auch nicht leiden kann, hasse ich unseren Lehrer deswegen nicht. Menschlich gesehen ist er mega in Ordnung, nur sachlich betrachtet wäre er mir als Sportlehrer doch noch um einiges lieber.
„Ja, hast schon recht. Er kann ja nichts dafür, dass wir zu blöd dafür sind, diesen Schwachsinn zu raffen“, seine Miene hellt sich deutlich auf, „auf die nächste Arbeit muss ich aber wohl oder übel noch etwas mehr lernen, sonst bekomme ich sechs Wochen Hausarrest über die Sommerferien.“
„Das wäre scheiße“, entgegne ich. Auch wenn es bis zu den Sommerferien doch noch eine ziemlich lange Zeit ist.
„Was soll’s. Das wird schon irgendwie hinhauen. Was haben eigentlich deine Eltern gesagt?“
Langsam setzen wir uns wieder in Bewegung und machen uns auf den Weg zu unserem Klassenzimmer.
„Denkst du ich bin blöd oder was? Das zeige ich denen doch jetzt nicht! Das reicht, wenn sie das im Zeugnis zu sehen bekommen.“
„Aber du bist doch nicht versetzungsgefährdet oder? Wenn was ist, du weißt, dass du mich bei allem fragen kannst, dann lernen wir eben gemeinsam.“
„Nein, bin ich nicht“, lüge ich ihm ins Gesicht, wenn er wüsste.
„Eyy, gib mal’n Radschge rüber“, murrt Henry neben mir und starrt auf seine Zeichnung, was wohl so etwas wie einen Raben darstellen soll.
„Was willst du haben?“, bei seiner Aussprache muss ich schon immer zweimal nachfragen.
„Deinen Radschge“, wiederholt er. Nachdem zu folgern, dass er gerade aufgehört hat zu zeichnen und er einen Bleistift in der Hand hält, reiche ich ihm wortlos meinen Radiergummi.
„Dange. “
„Schon gut“, ich nehme meinen Stift wieder in die Hand und grüble über meinem leeren Blatt. Wir haben heute ein neues Projekt gestartet, nachdem wir in den letzten Stunden die Grundtechniken des Schraffierens erlernt haben, sollen wir nun ein Bild unserer Wahl zeichnen. Die Themenstellung dazu lautet: „Faszinationen der Natur.“ Himmel, was soll einen daran denn bitteschön faszinieren?
Als hätte er gemerkt, dass ich ihn fragen wollte, wie er um Himmelswillen auf den Raben kam, meint Henry: „Das neue Spiel, das ich habe, ist echt mega, das musst du auch mal ausprobieren und auf dem Cover ist eben so ein Rabe drauf.“
„Ah, musst du mir bei Gelegenheit mal zeigen“, ich starre noch immer auf mein Blatt, „gibt es da auch noch andere Tiere?“
Verwirrt blickt er von seiner Zeichnung auf: „Äh ja, wieso?“
Ich begegne dem warnenden Blick unseres Lehrers und senke die Stimme: „Ich weiß nicht, was ich zeichnen soll.“
„Ach so, dann mal nen Gaul, davon gibt’s da viele“, dann vertieft er sich wieder voll und ganz in sein Bild.
Ein Pferd? In welchem Computerspiel gibt es bitteschön Pferde? Ist er jetzt voll und ganz durchgeknallt und spielt irgendwelche „Wie versorge ich mein Pferd richtig“ oder „Pferdeglück für Mädchen“ Spiele? Ich blicke ihn noch für einen Moment ratlos an, doch er ignoriert mich gekonnt. Mit unserem Kunstlehrer ist nicht zu spaßen, das haben wir bereits auf die harte Tour lernen müssen. In diesem Schuljahr durften wir deswegen schon mehrmals den kompletten Müll auf dem gesamten Schulhof einsammeln, in den Pausen versteht sich.
„Mathe“, ertönt auch schon die warnende Stimme meines Lehrers hinter mir, „wie ich sehe, ist dein Blatt noch immer leer. Was sagt mir das?“
„Dass Ihre Aufgaben be“, ich verstumme, „faszinierend sind“, rette ich noch schnell die Situation.
„So, so, dann sag mir mal bitte, was daran so faszinierend ist, wenn dein Blatt noch immer leer ist“, sein Tonfall nimmt einen bedrohlichen Unterton an.
Uh, jetzt muss ich aufpassen: „Na ja, die Natur ist eben vielfältig und faszinierend, da ist es schwer sich zu entscheiden, aber ich habe mich jetzt entschieden“, komme ich ihm zuvor, bevor er mir noch vorschreibt, was ich zu zeichnen habe, hat er auch schon getan.
„So, so, dann sag mir doch bitte, was du zu zeichnen gedenkst.“ Ouah, wie ich diesen immer gleichen Satzbau hasse.
„Ein Pferd“, antworte ich ihm, da mir auf die schnelle nichts Besseres einfällt.
„Ein Pferd?“, wiederholt er so laut, dass die gesamte Klasse ihn gehört haben muss. Einige Mädchen heben spöttisch ihre Köpfe und beginnen zu tuscheln. Toll gemacht, danke.
„Natürlich“, antworte ich nur und beuge mich tief über mein Blatt, um mit meinem Pferd zu beginnen.
„Himmel, jetzt sag mir aber, was das für ein tolles Spiel ist, dass ich mich hier blamiere und ein Pferd zeichne?“, fahre ich Henry nach dem Kunstunterricht an, als wir uns auf den Weg auf den Pausenhof machen. Dieser wickelt ungestört sein Butterbrot aus und wirft das Papier in die nächste Mülltonne, bevor er genüsslich hineinbeißt. „Na ja“, nuschelt er und es hört sich eher an wie Nascha, aber was soll’s.
„Isch weisch den Namen jescht nischt mesch genausch, abesch.“
Ich unterbreche ihn: „Jetzt schlucke erstmal, damit man auch was versteht.“
Wider Erwarten hört er tatsächlich auf mich und ich wundere mich insgeheim schon. Doch nachdem er geschluckt hat, beißt er sofort wieder von seinem Brot ab: „Hmsch, escht leckesch. Ascho, desch isch so’n neuesch Bascheschpiel.“
„Henry“, fahre ich ihn doch etwas unhöflich an, „benimm dich doch zumindest jetzt einmal anständig. Hättest du nach dem Schlucken nicht wieder abgebissen, so würde ich dich jetzt verstehen. Und bitte, ich möchte keine Krümel auf meinem T-Shirt haben“, zur Verdeutlichung schnipse ich die Krümel fort, die er mir entgegengeschleudert hat, als er meinte mit vollem Mund reden zu müssen.
Stille. Die nächsten zehn Minuten ignoriert er gekonnt meine Anwesenheit und widmet sich nur seinem Brot, erst nachdem er das letzte Stück Kruste in den Mund geschoben, noch einmal genüsslich gekaut und schließlich geschluckt hat, blickt er mich wieder an.
„Eyy, sorry, Mann. Du hast ja recht“, entschuldigt er sich zuallererst, „also, dann eben noch mal von vorn. Des Spiel isch noch richtig neu, also gerade druckfrisch auf dem Markt.“
„Das hätte ich jetzt nicht gedacht, wenn es neu ist“, schmunzle ich, doch er ignoriert meinen Kommentar und fährt fort: „Im Prinzip geht es darum, dass du dir ne Armee auf Gäulen aufbaust und deine Leute ausbildest. Dann kansch in eine Schlacht ziehen und weiteres Gebiet erobern. Je nachdem, was du einnehmen willst, musst du dich eben entscheiden, wie viele Männer und Gäule du mitnimmst und auch welche Waffen, also Gewehre, Schwerter, Katapulte und so’n Kram. Macht echt Bock.“
Ich überlege einen kurzen Moment: „Hm, und was genau ist dann dein Ziel? Geht es dir nur darum deine Fläche zu vergrößern?“
„So in der Art. Erstens ist es mal wichtig, dass du lernst deinen Gegner richtig einzuschätzen, damit du genügend Männer mitnimmst, denn ansonsten ist dein Heer nachher geschrumpft und du fällst im Ranking nach hinten, was echt scheiße ist. Und Zweitens kannst du noch solche komischen Diamanten sammeln, wenn du eine bestimmte Anzahl gefunden hast, dann wird dir eine neue Waffe freigeschaltet, für die man sonst zahlen müsste. Allerdings weißt du nicht, wo du die findest, wenn du die Hinweise aber beachtesch, dann isch des gar net so schwer.“
„Und wie bekommst du dann wieder Männer, wenn dir welche verrecken?“
„Wenn du gewinnst, wechseln die gegnerischen Leute praktisch auf deine Seite und gehorchen dir, so hast du wieder neue Leute. Ansonsten musst du warten, bis deine eigenen aus der Ausbildung kommen.“
„Klingt spannend, also ist man dieses Mal praktisch für Ausbildung, Planung und Durchführung zuständig?“, ich möchte mich noch einmal vergewissern, dass ich das Prinzip des Spiels auch auf jeden Fall richtig verstanden habe, denn so wie er das jetzt erklärt, hört es sich wirklich spannend an. Klar, habe ich bis jetzt auch schon meistens irgendwelche Ballerspiele gespielt, aber noch keins war in dieser Art, dass man alle Bereiche verantworten musste, entweder man war ständig im Krieg, was mit der Zeit doch auch irgendwie öde wird, oder man hat sich nur eine Station aufgebaut, ein Lager, welches man verteidigen musste. Alles in einem hört es sich nach einem großen, abwechslungsreichen Abenteuer an.
„Genau, so ist es. Wenn du Bock hast, kannst heute Nachmittag zu mir kommen, dann zeig ich’s dir“, er klopft mir kameradschaftlich auf die Schultern.
„Klar, gibt es da auch so etwas wie einen Team-Modus?“
Er runzelt nachdenklich die Stirn: „Hab ich bis jetzt ehrlich gesagt noch nicht gesehen, macht auch irgendwie net so viel Sinn, da du praktisch im echten Spiel auch ,echte’ “, er malt Anführungszeichen in die Luft, „Gegner hast.“
„Du meinst, angenommen ich würde mir auch eine Armee aufbauen, so könntest du mich angreifen und wir kämpfen gegeneinander?“, hake ich sicherheitshalber noch einmal nach. Manchmal verwirrt mich Henrys Ausdrucksweise etwas.
„Genau und wenn du verliersch, rutscht du, je nachdem, wie viele Männer du dann noch hast in das passende Ranking dazu rein. So kämpft man nur gegen Gegner, die ungefähr gleich starke Truppen haben. Je größer deine Landfläche und je Stärker deine Truppe wird, in ein je höheres Ranking steigst du auf. Die Gegner werden da dann natürlich auch besser.“
„Manchmal kann das dann aber auch frustrieren oder?“, es ist doch scheiße, wenn man sich zum Beispiel bis in Ranking - keine Ahnung - dreizehn vorgearbeitet hat, dann aber wieder zurückfällt auf Ranking zwei, da man fast keine Männer mehr über hat.
„Manchmal vielleicht, aber es motiviert dich auch und macht süchtig. Ich kann gar nicht mehr mit dem Spielen aufhören.“
„Ich höre, ihr unterhaltet euch mal wieder über irgendein dämliches Spiel“, Ali ist zu uns gestoßen. Im Gegensatz zu uns Zweien spielt er kein einziges Computerspiel, schade eigentlich. Aber das hindert mich nicht daran, ihn als meinen besten Freund zu bezeichnen, Gegensätze ziehen sich an, meint meine Mutter immer.
Menschlich gesehen verbindet mich mit Ali sehr viel, wir schwimmen auf einer Wellenlänge, was ich bei Henry nicht immer behaupten würde. Er ist eher so mein Zockerkumpel, aber das scheint für uns beide so ganz gut zu funktionieren.
„Ja, hast du Bock heute Mittag auch mit zu mir zu kommen?“, Henry hat genau diese Frage schon ich weiß nicht wie oft gestellt und jedes Mal kommt dieselbe Antwort, so auch dieses Mal.
„Nein, du weißt doch, dass ich nachher noch Training habe“, Ali schüttelt den Kopf.
Ali macht seinem Spitznamen alle Ehre und boxt, sein großes Vorbild ist Muhammad Ali, die Boxlegende, vielleicht auch deswegen haben wir ihm den Spitznamen Ali verpasst, Albert ist eben doch kein Name für einen Jungen, da denke ich eher an einen alten Mann.
„Du und dein Training“, bevor Henry noch irgendetwas Hässliches sagen kann, grätsche ich dazwischen, da mir gerade wieder der Rabe in den Sinn kommt, den er im Kunstunterricht gezeichnet hat. „Moment mal und wo kommt da jetzt bitteschön ein Rabe vor?“
Etwas verdattert blickt er mich an: „Rabe?“
„Na, du zeichnest doch einen Raben, weil der aus dem Spiel kommen soll“, erkläre ich ihm meine Frage.
„Ach so, der. Der Rabe ist die Allzweckwaffe, glaub mir, der dient als so ne Art Abhörgerät. Das ist einfach krass. Den kannst du losschicken in ein fremdes Gebiet oder eine fremde Burg und er kundschaftet das dann für dich aus. So kommst du an sehr wichtige und geheime Infos, wie die Truppenstärke des anderen oder seine Ausrüstung. Blöd ist es nur, wenn der andere es bemerkt und deinen Raben killt“, bekomme ich meine Erklärung.
„Aber wenn jeder nen Raben hat, dann achtet doch jeder Spieler auf das verdammte Vieh und will ihn killen?“, die Idee mit dem Raben ist zwar spitze, scheint mir aber nicht ganz durchdacht zu sein.
Henry schüttelt den Kopf: „Nein, der Rabe hat Superkräfte, je nachdem, wie du den ausbildest, kann der sich verwandeln und tarnen und wenn du darin gut bist, dann entdeckt der andere ihn noch nicht einmal. Außerdem ist dein Terrain so groß, dass du ein so kleines Tier nur schwer findest. Ich meine, welcher Spieler verbringt bitteschön die ganze Zeit damit, sein Gebiet nach nem Raben abzusuchen?“
Jetzt hat er mich doch voll und ganz mit seiner Begeisterung angesteckt. Das Spiel scheint Unmengen an Facetten zu haben, auch das mit dem Raben ist mir neu, aber klingt echt gut. Man muss nicht nur seinen eigenen Raben gut genug tarnen, sondern auch noch am besten die wichtigsten Infos so gut wie möglich verstecken, damit ein anderer Rabe sie auf keinen Fall findet.
„Okay, ich bin dabei, wann soll ich kommen?“
„Wenn du magsch, kannst gleich um vier kommen, ich schick dir noch den Link, dann kannst es schon mal installieren. Es ist kostenlos, aber du kansch so noch sehr viele geile Dinge kaufen, der Hammer.“
„Geht klar“, von In-App-Käufen halte ich allerdings nicht mehr so viel, seit ich deswegen riesigen Ärger mit meinen Eltern bekommen hatte.
Das liegt zwar jetzt doch schon einige Jahre zurück, aber damals war ich von einem Spiel so begeistert gewesen, dass ich es völlig in Ordnung fand sehr viel Geld für Zubehör, weitere Level, bessere Ausrüstung und sonst noch was auszugeben, dass ich mir ein Konto mit den Kontodaten meiner Eltern angelegt hatte, nicht sehr clever, ich weiß. Natürlich wussten sie nichts davon und waren irgendwann ziemlich verdutzt über die Abbuchungen auf ihren Kontoauszügen. Na ja und man kann es sich schon fast denken was dann kam, ich habe einen unglaublichen Anschiss bekommen, mehrere Monate Computerverbot und Hausarrest und das ausgegebene Geld musste ich ihnen nach und nach zurückzahlen beziehungsweise wurde auch von meinem Taschengeld abgezogen. Welches Elternteil möchte seinem Kind auch für tausend Euro virtuelle Gegenstände für ein Spiel kaufen, dass es in wenigen Monaten dann sowieso nicht mehr spielt?
Bevor ich überhaupt auf die Türklingel drücken kann, wird die Haustür auch schon aufgerissen und Henry erscheint dahinter: „Wird aber auch Zeit!“
Etwas verdattert blicke ich auf die Uhr an meinem Handgelenk, diese meint es sei kurz vor vier, ich bin sogar zu früh. Aber so ist Henry nun mal, kaum zu bremsen. Ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten macht er kehrt und verschwindet den Flur entlang und die Treppe hinauf in seinem Zimmer. Ich betrete das Haus und lege sowohl Schuhe als auch Jacke in der kleinen weißen Garderobe ab, dann folge ich ihm die Holzstufen hinauf in sein Zimmer. Dort sitzt er bereits wieder auf seinem schwarzen Gaming-Stuhl und starrt auf den Bildschirm vor ihm, auf welchem ich aus der Ferne schemenhaft Gestalten erkennen kann, die in einen Kampf verwickelt scheinen. Leise, um ihn nicht bei seiner Konzentration zu stören, setze ich mich auf den zweiten freien Stuhl neben ihn und betrachte interessiert sein Spiel.
Ich kann nicht sagen, wie viele Reiter sich auf dem Bildschirm tummeln, aber es sind viele. Sie kämpfen mit Lanze und Schwert gegen ihre Gegner, welche zum Teil schon am Boden liegen. Im Vordergrund ist ein Reiter etwas größer zu sehen und direkt unter ihm sehe ich die Bedienungsmöglichkeiten für ihn. Es scheint, als wäre er der Truppenführer über welchen Henry die Schlacht führt und Kommandos an die anderen Kämpfer bezüglich Angriffstaktik und Waffenwahl sendet.
Nach gut weiteren zehn Minuten lehnt Henry sich erleichtert in seinem Stuhl zurück: „Geschafft.“
„Gewonnen?“, frage ich etwas unschlüssig. Auf dem Bildschirm ist das Schlachtfeld zu sehen, überall tummeln sich Pferderücken mit und ohne Reiter. Manche Pferde werden von Soldaten am Halfter weggeführt, andere liegen schwer verwundet am Boden. Überall ist Blut zu sehen und tote oder verwundete Soldaten, aus einem ragt in grausamer Weise eine Lanze. Obwohl Henry aufgehört hat zu spielen, läuft das Spiel wie von selbst weiter. Soldaten verlassen das Schlachtfeld, von beiden Truppen, man erkennt sie an unterschiedlichen Fahnen und Rüstungen. Pferde werden immer wieder weggeführt, wohin ist nicht zu erkennen, Soldaten rappeln sich auf, Waffen werden mit geschleift. Es ist wie, wenn man einen Film anschauen würde. Man käme, würde man genau in diesem Moment zur Tür hereinschauen, nicht auf die Idee, dass Henry bis gerade eben noch mit Feuereifer bei der Sache war. Man würde vermuten, dass wir irgendeinen Actionfilm anschauen würden, es ist surreal.
„Ja, gewonnen“, Henry scheint zufrieden, „ich habe den Befehl zum Abzug erteilt, der Rescht geht von allein“, auch er betrachtet das rege Treiben.
„Warum? Da sind doch noch gegnerische Soldaten auf dem Feld?“, normalerweise endet ein Spiel doch erst, wenn der Gegner ausgeschaltet ist.
„Hast du schon wieder vergessen, dass die restlichen Soldaten des Gegners jetzt mir gehorchen?“, vorwurfsvoll blickt er mich von der Seite an.
Ich nicke: „Stimmt, das hattest du heute Vormittag erwähnt. Aber wieso sollte der Gegner aufgeben, wenn du dann seine Männer bekommst?“
„Nach ner bestimmten Zeit erkennt das Spiel, dass der andere keine Chance mehr hat zu gewinnen, wenn diesem die Waffen oder die Leute ausgehen, die er noch nachträglich entsenden kann. Oder aber der andere Spieler wirft von selbst das Handtuch und ergibt sich, des kann durchaus sinnvoll sein, wenn du nicht noch mehr Waffen, Munition oder Gefolge verlieren möchtest, da des, wie du bereits weisch, darüber entscheidet, in welches Ranking man absteigt.“
„Verstehe“, ich verfolge noch immer mit Spannung das Geschehen. So langsam aber sicher haben alle noch lebenden Teilnehmer das Schlachtfeld verlassen. Plötzlich wird die Location gewechselt und es erscheint ein Gebiet, welches von hohen Mauern umgeben ist, auf dem Bildschirm. Auch hier laufen Männer mit Pferden umher und bringen diese in ihre Ställe. Überall laufen Maschinen oder Werkstätten.
„Des isch mein Gebiet“, erklärt Henry mir, „hier“, er zeigt auf ein Gebäude, „sind die Pferde untergebracht und dort werden sie ausgebildet. Wenn wir hier draufklicken, dann können wir die Ausbildung steuern oder uns den Fortschritt anschauen. Dort hinten sind die Hauptbasis, mein Waffenlager und die Auschbildung der Streitkräfte.“
Die nächsten Stunden verbringen wir vor seinem Bildschirm und er erklärt mir die wesentlichen Teile des Spiels und zeigt mir alle möglichen Anwendungen, bis er in einen weiteren Kampf ziehen muss, da er von einem Gegner angegriffen wird. Ruhig und interessiert lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und verfolge seinen Kampf.
Ich habe noch nicht mal meine Schuhe an ihren Platz gestellt, da sehe ich auch schon meinen Vater im Türrahmen stehen, kein gutes Zeichen. Es muss ihm wirklich etwas unter den Fingernägeln brennen, sonst würde er nicht hier vor mir stehen, sondern vor seinem PC sitzen und an einem seiner Projekte arbeiten. Ich ignoriere ihn und stelle mich unbeteiligt, so als hätte ich ihn noch gar nicht bemerkt.
„Mathe“, seine Stimme klingt verärgert, „du bringst jetzt noch den Müll raus, dann machst du deine Hausaufgaben und räumst dein Zimmer auf. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass die Dreckwäsche nichts unter deinem Bett verloren hat? Dann hilfst du deiner Mutter beim Abendessen vorbereiten.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht er sich wieder um und verschwindet in seinem Arbeitszimmer. Seiner Stimmlage zu urteilen duldet er dieses Mal keinen Widerspruch. Was wohl vorgefallen ist? Stirnrunzelnd stelle ich meine Schuhe ab und hänge die Jacke an den Haken. Dann gehe ich in die Küche, schnappe mir den Mülleimer und gehe hinters Haus, um den Inhalt in die einzelnen Tonnen zu sortieren. Anschließend verschwinde ich in meinem Zimmer. So schlimm sieht es doch gar nicht aus. Okay, die dreckigen Socken liegen unter dem Bett, aber sonst. Schulterzuckend bringe ich die Dreckwäsche zum Wäschekorb und verschwinde vor meinem Computer. Hausaufgaben machen, pah, als ob er wirklich denkt, dass ich die machen würde. Als der PC hochgefahren ist, öffne ich das Spiel, das ich bereits bevor ich zu Henry bin, eingerichtet habe und baue mein Gebiet und meine Truppe auf.
Ich bin völlig in mein Tun versunken, als ich ein Scheppern wahrnehme, welches von unten zu kommen scheint. Erschrocken blicke ich auf meine Uhr. Mist, schon so spät? Schnell beende ich meinen Aufbau und fahre den Computer hinunter, dann mache ich mich auf den Weg in die Küche, meiner Mutter helfen.
Das Gemüse steht bereits auf dem Tisch und ich stelle gerade den Brotkorb ab, als mein Vater aus seinem Büro kommt. Schnell drehe ich mich wieder um und mache mich daran noch die Käse- und Wurstplatte zu holen, die ich zuvor angerichtet habe. Meine Mutter ist gerade zur Gefriertruhe, um das Feierabendbier zu holen, das sie wieder einmal vergessen hat in den Kühlschrank zu stellen. Dann legt sie es immer für eine gewisse Zeit in die Truhe, damit es auch kalt genug ist. Bei warmem Bier sinkt die Laune meines Vaters auf die Höhe des Meeresspiegels ab, unser Haus liegt etwa 500 Meter über Normalnull.
„Danke Mathe, das hast du toll gemacht“, die Stimme meines Vaters hört sich schon fast ehrfurchtsvoll an, wahrscheinlich hat er doch nicht damit gerechnet, dass ich ihm gehorchen werde. Ich nicke nur und setze mich ebenfalls an den Tisch.
„Vielen Dank, Schatz“, wendet er sich nun an meine Mutter, die gerade sein Bier geöffnet hat und es vor ihm abstellt.
„Gern geschehen“, sie setzt sich ebenfalls und reicht uns den Brotkorb herüber.
„Wie läuft deine Arbeit?“, fange ich ein unverfängliches Thema an. Ich kann es irgendwie spüren, dass einer der beiden nachher ein für mich äußerst unangenehmes Thema ansprechen möchte.
„Gut, muss ich sagen, wirklich gut. Das Problem, über welchem ich in den letzten Tagen gehangen bin, scheint sich langsam aber sicher zu lösen. Ich bin zufrieden“, er nimmt eine Scheibe Brot aus dem Korb und mustert die Auswahl an Wurst und Käse. Dann reicht meine Mutter mir den Korb.
Ich bediene mich: „Dankeschön“, bevor auch sie sich noch eine Scheibe nimmt.
„Mist, jetzt habe ich meinen Gemüseaufstrich vergessen“, stellt sie fest und möchte sich gerade erheben, doch ich komme ihr zuvor und laufe schnell zurück in die Küche zum Kühlschrank. Tomaten-Rucola-Aufstrich lese ich auf dem Etikett und rümpfe die Nase. Natürlich noch in der Küche, damit meine Mutter es nicht mitbekommt, sonst müsste ich mir wieder etwas von ihr anhören.
„Hier“, ich stelle das Gläschen vor ihr ab, nehme mir eine Scheibe Schinken vom Teller, lege ihn auf mein Brot und setze mich zurück an den Tisch.
„Vielen Dank“, sie mustert mich argwöhnisch, so hilfsbereit scheint sie mich gar nicht zu kennen. Bonuspunkt für mich. Innerlich recke ich einen Daumen nach oben, gut gemacht Mat.
Schweigend widmet sich jeder seinem Brot. Es ist ungewöhnlich Still für ein gemeinsames Essen an unserem Tisch. Normalerweise muss ich mir entweder irgendwelche Ermahnungen anhören oder meine Eltern erzählen mir, wie enttäuscht sie doch von mir sind, oder aber die Beiden unterhalten sich über irgendein mathematisches Thema, bei dem ich definitiv nicht mitreden kann. Dieser Fall ist mir am liebsten, denn dann kann ich abschalten und muss mich nicht an der Unterhaltung beteiligen. Meistens denke ich dann über mein aktuelles Computerspiel nach.
„Um was geht es denn in deinem neuen Spiel?“, breche ich irgendwann die Stille. Normalerweise erzählt mein Vater schon Wochen bevor er ein neues Projekt beginnt, welche Ideen er hat.
Mein Vater wechselt einen vielsagenden Blick mit meiner Mutter, dann meint er: „Das verrate ich dieses Mal nicht, lass dich überraschen. Es dauert noch ein paar Wochen, dann darfst du es gerne wieder als Erster testen.“
Das muss man ihm wirklich lassen. Meine Eltern wissen beide, wie gerne ich Computerspiele spiele, auch wenn sie nicht immer davon begeistert sind, da meine Schulnoten darunter erheblich leiden. Na ja und eigentlich sind sie auch gegen Ballerspiele und Gewalt, deswegen habe ich mir schon das ein oder andere Mal etwas anhören müssen. Aber sie verbieten es mir auch nicht, was ich zu schätzen weiß. Da mein Vater eben Spiele programmiert, benötigt er immer einen Testspieler, der diese einmal durchspielt, bevor er ihnen den letzten Feinschliff verpasst und er sie an seine Firma übergibt, welche das Spiel dann ebenfalls noch einmal ergiebig testen, bevor es schließlich auf den Markt kommt. Der Prozess ist langwierig, aber dadurch, dass ich die Spiele zuallererst testen darf, was für mich eine große Ehre ist, sind sie fast zu einhundert Prozent perfekt und die Testung der Firma läuft schneller, was ein gutes Licht auf meinen Vater wirft und sich dann auch in seiner Vergütung widerspiegelt.
Verwunderlich ist dieses Mal nur, dass er noch überhaupt nichts hat durchsickern lassen, was das Thema betrifft.
„Dann bin ich aber mal gespannt“, antworte ich wahrheitsgemäß.
Mein Vater legt sein Messer bei Seite, nimmt einen Schluck Bier und blickt mich an: „Einmal etwas anderes, Mathe“, er macht eine Pause, „wir haben eine E-Mail von deinem Mathematiklehrer erhalten.“
Ich verschlucke mich fast an meinem Brot, da ich mir schon fast denken kann, was jetzt als nächstes kommt. Das darf doch nicht wahr sein, hat der meinen Eltern doch ernsthaft eine Mail geschrieben. Ich trinke schnell einen Schluck, bevor ich meinen Blick auf meinem Brot ruhen lasse.
„Bitte schaue mich an, wenn ich mit dir rede“, seine Stimme ist ruhig. Also hebe ich widerwillig den Kopf: „Ja?“
„Gibt es da nicht etwas, was du uns erzählen möchtest?“, fragt meine Mutter vorsichtig, „etwas, was mit deiner letzten Klausur zu tun hat?“, präzisiert sie ihre Frage.
Ich zucke nur mit den Schultern.
„Warum hast du sie uns noch nicht gezeigt?“, fragt mein Vater. Normalerweise lege ich den beiden meine Klassenarbeiten immer auf den Tisch, doch dieses Mal war es mir schon fast ein bisschen peinlich. Ich meine, meine Eltern haben beide Mathematik studiert und ihr Sohn kommt mit einer 5,5 nach Hause? Ich schlucke nur: „Ich dachte, es wäre besser für euch, wenn ihr sie nicht seht“, sage ich deswegen nur.
„Mathe, wir wissen beide, dass du die Mathematik hasst und wir sind dir deswegen auch nicht böse, aber wir fänden es trotzdem angemessen, wenn du uns deine Klausuren zeigst und du weißt auch, dass du uns immer fragen kannst, wenn du etwas nicht verstanden hast“, meine Mutter klingt versöhnlich.
„Allerdings wäre es toll, wenn du endlich mal damit beginnen würdest, deine Hausaufgaben zu machen, dein Lehrer meint, du würdest sie nie machen, damit sich endlich mal etwas an deinen Noten ändert. Oder willst du wegen deiner Mathenote sitzen bleiben?“, mein Vater runzelt die Stirn, „und bitte denk dran, wir geben dir sehr viele Freiheiten. Wir beschweren uns nicht darüber, wenn du stundenlang irgendein Spiel spielst, dass uns nicht so wirklich gefällt und wir dulden es auch, dass du dich mit Henry triffst, obwohl wir der Meinung sind, du solltest lieber mit Ali zum Boxen gehen. Dann ist es doch sicherlich nicht zu viel verlangt, wenn du deinen Hintern endlich hochbekommst und etwas für deine Zukunft tust.“
Erwartungsvoll blicken mich die beiden an. Sie haben ja recht, aber trotzdem. Manchmal wünsche ich mir, sie würden mich einfach anbrüllen, das würde mich kalt lassen. Aber sie sind beide Pädagogen und wissen genau, wie sie ihre Worte wählen müssen, dass ich ein schlechtes Gefühl bekomme.
„Wann ist deine nächste Klausur?“, hakt meine Mutter nach. Dass sie auch immer Klausur sagen muss, es ist doch nur eine Klassenarbeit, aber das habe ich schon lange aufgegeben, bei ihr an der Universität ist es eben eine Klausur. Punkt.
„In zwei Wochen“, antworte ich ohne zu Zögern.
„Okay“, sie scheint ihre nächsten Worte zu überdenken, „wir geben dir noch einmal die Chance das selbst hinzubekommen, schließlich bist du schon groß. Fällt die nächste Klausur allerdings nicht besser aus, dann wird das Konsequenzen mit sich ziehen. Wenn du nicht willst, dass wir dir Nachhilfe geben, dann suchen wir dir einen Nachhilfelehrer.“
„Und dann gibt es auch erst einmal keine Computerspiele mehr. Verstanden?“, mein Vater klingt streng.
Ich nicke nur betroffen. Sie scheinen nicht wirklich wütend, das ist das Problem. Sie wirken lediglich sehr traurig und das macht es in meinen Augen nur noch schlimmer. Ich sehe sie nicht gerne so. Natürlich weiß ich, dass ich bei weitem kein Musterknabe bin und wenn es nach ihnen ginge, dann würde ich wesentlich mehr Zeit mit meinen Schulaufgaben verbringen, als vor dem Computer. Rätselhaft ist mir teilweise nur, warum sie mir das dann nicht verbieten, wahrscheinlich weil sie wissen, dass es sowieso nichts nutzt.
„Welches Thema nehmt ihr denn gerade durch?“, reist mich mein Vater aus meinen Gedanken. Er nimmt einen Schluck von seinem Bier und isst weiter.
Ich überlege fieberhaft, muss dann aber schließlich gestehen: „Ich weiß es nicht.“
„Oh Mathe, was machen wir nur mit dir?“, meine Mutter klingt traurig, doch auch sie widmet sich wieder ihrem Tomaten- Rucola- Brot.
„Dieses Mal habe ich endlich einmal das Gefühl als hätte ich es zumindest etwas verstanden“, Ali lässt sich auf mein Bett fallen. Im Gegensatz zu mir hat er etwas aus seiner letzten fünf in Mathe gelernt und sich aufgerafft etwas dagegen zu unternehmen. Zwar hasst er die Mathematik wie ich immer noch, aber er hat sich dazu durchgerungen und meine Mutter um Hilfe gebeten und ihr hättet sie sehen sollen. Sie hatte fast, aber nur fast, Tränen in den Augen, so sehr hat sie sich darüber gefreut. Und so kam es, dass sie meinem besten Freund nun Nachhilfe gibt. Natürlich haben beide versucht mich zu überreden mitzulernen, aber ich habe mich dagegen gesträubt und sie haben mich dann schließlich auch in Ruhe gelassen.
„Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“
Ich drücke auf Pause, bevor ich mich zu ihm umdrehe: „Natürlich habe ich dir zugehört.“
Er mustert mich hingegen argwöhnisch und schielt an mir vorbei auf meinen Bildschirm: „Sag mal, spielst du schon wieder?“
Ich muss beinahe über seine sehr ähnliche Wortwahl lachen, nicke aber nur.
„Und was ist mit der Mathearbeit morgen?“, er zieht fragend eine Braue hoch.
Ich zucke mit den Schultern. Was soll ich schon dazu sagen? Die letzten zwei Wochen habe ich mir immer wieder vorgenommen endlich etwas zu lernen und meine Aufgaben zu machen, aber jedes Mal, wenn ich mein Buch und mein bisher noch fast leeres Heft zur Hand genommen habe, sind mir unzählige Zahlen, Buchstaben und komisch aussehende Formeln entgegengesprungen und ich habe mich gefragt, wozu um alles in der Welt brauche ich das für mein Leben? Außerdem ist es mir zu viel Denkaufwand. Wer denkt schon gerne über seltsam aussehende Rechnungen nach? Und so habe ich das Buch dann lieber wieder zugeschlagen und in meinen Schrank verbannt.
„Mat, du weißt schon, dass du sitzenbleibst, wenn du in Mathe eine sechs im Zeugnis stehen hast?“
„Ja, ich weiß, aber bis jetzt hat es noch immer auf die fünf gereicht“, weiche ich aus. Bis jetzt, habe ich aber auch noch nie in zwei Arbeiten eine 5,5 geschrieben, aber das muss er ja nicht wissen. Vielleicht werfe ich nachher noch mal einen Blick in meine Aufschriebe, wobei, wohl eher nicht.
„Bist du dir sicher?“, zweifelnd schaut er mich an.
„Nein“, gebe ich kleinlaut zu, „aber was soll’s.“
„Wie du meinst, unser Angebot steht, du kannst gerne mit uns zusammen lernen“, er meint wohl die Tatsache, dass er mit meiner Mutter lernt.
„Ich weiß, das hast du mir jetzt schon einige Male vorgeschlagen. Es tut mir leid, aber ich möchte nicht“, antworte ich wie bereits jedes andere Mal auch.
Inzwischen sieht mein Territorium schon richtig gut aus. Ich habe das weitläufige Gelände so gestaltet, dass es einer Ordnung entspricht, die mir gefällt. So befindet sich neben dem Ausbildungsgebäude der Kämpfer gleich der Sportplatz, auf welchem sie trainieren. Auch die Stallungen mit den Pferden, deren Ausbildungsstätte und ihre Weiden beziehungsweise Trainingsplätze habe ich in der Nähe angesiedelt.
Ein ganzes Stückchen weiter befindet sich die Hauptbasis. Die Munition und die Waffen sind weit verstreut untergebracht und auch die Maschinen und Werkstätten finden an verschiedenen Stellen ihren Platz. Ringsherum habe ich eine hohe Mauer errichtet, welche aus massiven Steinblöcken gebaut ist.
Ich lasse meine Augen über den Bildschirm streifen. Was sehe ich denn da? Vorsichtig zoome ich näher und erkenne tatsäch-lich einen gegnerischen Raben. Schnell greife ich zu meinem Gewehr und schieße ihn vom Ast, auf welchem er gut getarnt untergekommen ist. Der Wahnsinn, ich habe ihn tatsächlich gefunden. Das ist der Erste, den ich erwischt habe und der kann mir jetzt nichts mehr anhaben. Einen potentiellen Gegner ausgeschaltet.
Ein Fenster ploppt vor mir auf. „Maishaube greift dich an“, lese ich den Text. Maishaube? Wie kommt man denn bitte auf diesen Namen?
Das Fenster ist von allein erschienen und es verschwindet auch wieder von allein. Mein Gebiet verschwindet vom Bildschirm, stattdessen erscheint ein Schlachtfeld vor meinen Augen, wie ich es bereits bei Henry gesehen habe. Schnell prüfe ich, welche Waffen ich überhaupt zur Verfügung stehen habe. Da ich angegriffen werde, könnte ich theoretisch auch als leichtes meine Katapulte verwenden, da ich diese nicht lange transportieren muss. Vorsichtshalber stelle ich sie bereit. Wobei es ist doch nur sinnvoll, wenn ich sie gleich zu Beginn einsetze und dadurch meinen Gegner ausschalte, denn ansonsten treffe ich auch meine eigenen Leute. Was ist, wenn mein Gegenüber aber selbst auch Katapulte mitgebracht hat? Dann werde ich auch gleich getroffen. Geistesgegenwärtig stelle ich meine Truppe so auf, dass sie weit verteilt steht. Einen Teil verstecke ich auf Bäumen oder im, beziehungsweise hinter dem Gebüsch. So entsteht der Anschein, als würde ich mit wenigen Männern in den Kampf ziehen wollen. Aus der Ferne kann ich die gegnerische Truppe bereits anrücken sehen. Meine Wächter haben also sehr gute Arbeit geleistet und mir den Angriff sehr frühzeitig gemeldet. Die letzten Bodentruppen haben Stellung bezogen, als mein Feind genau die richtige Entfernung für mein Katapult hat, welches sich durchaus gut einsetzen lässt, da eine große Truppe, die eng beisammen läuft, auf mich zusteuert. Ich zähle innerlich bis drei, dann erteile ich den Befehl und gebe das Feuer frei. Keine zwei Sekunden später schießt das erste Geschoss über den Himmel und landet inmitten der gegnerischen Menschentraube. Einige Männer fliegen in die Luft, Pferde geraten in Panik und galoppieren davon, andere zerfetzt es vor meinen Augen. Bevor sie sich von diesem Schock erholen konnten, fliegt auch schon eine weitere Bombe über den Himmel. Die Idee schien mir sehr verrückt, normalerweise werden Katapulte doch sicherlich nicht dazu verwendet, Bomben zu transportieren. Ein lauter Einschlag ertönt, gefolgt von einem kräftigen Knall und einer enormen Druckwelle, die bis zu uns zu spüren ist. Weitere Männer fliegen in die Luft und es erscheint ein Schlachtfeld vor meinen Augen, obwohl noch gar kein Kampf von Mann zu Mann stattgefunden hat. Mir soll es recht sein, so sind meine Männer bis jetzt noch unversehrt.
Ein Nachteil, den ich nicht bedacht hatte ist, dass eine riesige Staubwolke aufsteigt und mir die Sicht vernebelt. Aufmerksam beobachte ich den Nebelrand, damit ich sogleich reagieren kann, wenn ein Gegner daraus erscheint. Es verstreichen einige Minuten, dann kommt eine große Horde an Reitern auf mich zu, die müssen in der Hinterhand gewesen sein. So eine scheiße! Die Pferde sind so schnell unterwegs, dass es zu spät ist, ein weiteres Mal das Katapult zu laden. Ich sitze allein auf meinem Ross, einige wenige Reiter um mich gesammelt.
Keine Sekunde zu spät und auch keine Sekunde zu früh, sodass der Effekt hinüber wäre, gebe ich den Befehl zum Angriff und meine getarnten Männer kommen aus ihren Verstecken. Problematisch nur, dass die meisten zu Fuß sind. Eilig fordere ich Pferde nach. Die gewünschten Reiter erscheinen und treten meinen Männern bei. Ich versuche auszumachen, welche Waffen der Feind bei sich hat, aber außer Lanzen und Speeren kann ich keine Handschusswaffen erkennen. Wenn ich nun auf Gewehre oder Pistolen umsteige, dann muss ich aber sogleich alle ausschalten, ansonsten werden diese auch nachrüsten. Mein erster Mann geht zu Boden und ich komme zu spät, um ihn noch zu retten, die Lanze durchbohrt bereits seinen Brustkorb, scheiße.
Fieberhaft beobachte ich das Gefecht. Bis jetzt sind wir noch in der Überzahl. Ich rufe weitere Männer und ein Verhältnis von zwei Männern gegen einen entsteht zu meinen Gunsten. Da sehe ich weitere Reiter im Anmarsch, gerade noch weit genug entfernt, um sie zu vernichten, bevor sie hier ankommen. Feuer frei und das Katapult leistet gute Dienste, kein Reiter überlebt.
Immer mehr gegnerische Soldaten gehen zu Boden und ich kapere ihre Pferde und setze meine Männer auf ihren Rücken. Der erbitterte Kampf geht weiter, inzwischen tragen meine Männer alle eine Stahlweste um besser gegen die Lanzenangriffe gewappnet zu sein und es zeigt Wirkung, kein weiterer meiner Männer erliegt einem Angriff, die gute Ausbildung hat sich also gelohnt.
Eine weiße Fahne blinkt auf meinem Bildschirm auf und ich klicke sie an. „Der Feind hat sich ergeben“, murmle ich. Ich betrachte noch einen kurzen Moment gespannt das Treiben und vergewissere mich, dass auch wirklich kein weiterer Angriff von Seiten des Gegners ausgeht, dann lehne ich mich zurück und nehme ein klicken wahr. War das meine Zimmertür? Erschrocken drehe ich mich um und muss erst einmal blinzeln. In der Dunkelheit meines Zimmers erkenne ich aufs Erste nichts. Langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit und ich nehme meine verschlossene Tür wahr. Dann habe ich mir das wohl nur eingebildet.
Ich drehe mich wieder zum Bildschirm um und lasse dabei meinen Blick auf die Uhr schweifen. Kurz nach ein Uhr, so spät?
Ein einstimmiges Murren geht durch die Klasse, als unser Mathelehrer die anstehende Arbeit austeilt. Begeisterung hört sich definitiv anders an. Aber mal ehrlich, wer interessiert sich denn gar für so einen Kram oder kann sich dafür begeistern? „Meine Eltern“, denke ich stöhnend, „wenn die wüssten.“
„So ihr dürft umdrehen“, bekommen wir das Go. Es raschelt, da alle die Blätter wenden. Ich harre noch kurz in meiner Schockstarre aus, bevor auch ich vorsichtig das Blatt wende und auf die Aufgaben schiele. „Berechne ... “, weiter lese ich erst gar nicht. Ich lasse meinen Blick über die Buchstaben, Skizzen und seltsam aussehenden Gleichungen schweifen. Dann stütze ich meinen Kopf in meine Hand, Mann, bin ich müde. Mühsam versuche ich meine Augen offen zu halten, doch so ganz will mir das nicht gelingen.
Schließlich widerstehe ich dem Drang die Augen offen zu halten und nicke ein. Eine große grüne Rasenfläche erscheint vor meinen Augen. Es herrscht reges Treiben. Ich befinde mich inmitten eines großen Marktes. Ein seltsam aussehender Markt, mit seltsamen Verkaufsständen.
„Ich berechne Ihnen Ihre Zukunft“, lese ich auf einem großen weißen Banner, welches quer über ein dunkles Zelt gespannt ist. Wie gebannt marschiere ich darauf zu und begutachte den Herrn, der hinter einem Tisch sitzt, mit Blättern vor sich, auf denen irgendwelche wirr aussehenden Formeln und Gleichungen stehen.
„Guten Tag junger Mann, kann ich Ihnen behilflich sein?“, er deutet mir mit dem Kopf an Platz zu nehmen. Wie gesteuert nehme ich Platz und warte schweigend ab.
„Wie alt sind Sie? Welchen Beruf haben Ihre Eltern? Gehen Sie noch zur Schule? Was ist Ihr Lieblingsfach? Welches Fach können Sie überhaupt nicht leiden? Haben Sie ein Haustier? Welche Sportart treiben Sie? Was machen Sie sonst noch in Ihrer Freizeit? Haben Sie Geschwister und wenn ja wie viele? Sind Sie ledig oder verheiratet? Sind Sie verliebt? Möchten Sie später einmal heiraten? Was ist Ihr Wunschberuf?“, gefühlt unendliche Fragen prasseln auf mich nieder und ich beantworte jede noch so bescheuert klingende wahrheitsgemäß. Dann beginnt das große Rechnen. Der Herr beginnt auf einem weiteren Blatt Buchstaben durch Zahlen zu ersetzen und Gleichungen zu lösen. Er ist so geschickt und arbeitet äußerst zügig und effizient, dass er nicht lange benötigt, bevor er mir lächelnd sein Ergebnis vorstellt: „Also, ich bin überrascht, aber das passt zu Ihnen“, beginnt er, „Sie werden Mathematik studieren und nur noch für die Mathematik leben und diese innig lieben, weswegen es Ihnen auch schwer fallen wird eine Frau zu finden, die sie noch mehr lieben können.“
Nach diesem ersten Satz schalte ich ab und höre nicht weiter zu, was soll der Quatsch? Der hat sich wohl aber um hundertachtzig Grad verrechnet.
Der Mann klopft auf den Tisch, um meine Aufmerksamkeit wieder zu erlangen. Das Klopfen ist echt, erschrocken fahre ich hoch, blinzle und blicke in die Augen meines verärgerten Mathelehrers: „Wir schreiben eine Arbeit und schlafen nicht“, raunt dieser mir zu.
Verdattert blicke ich mich um, ich befinde mich noch nicht mal auf einem Markt, sondern im Klassenzimmer. All meine Klassenkameraden grübeln fieberhaft über den Aufgaben, manchen scheint es ernsthaft leicht zu fallen, nach ihrer Schreibgeschwindigkeit zu urteilen. Mein Blick geht zur Uhr, nur noch zehn Minuten, dann geht mein Blick zurück auf mein Blatt. Unter Aufsicht meines Lehrers greife ich zu meinem Füller und beginne stirnrunzelnd mit der ersten Aufgabe. Das haben wir im Unterricht durchgenommen? Der will mich doch verarschen.
„Könntest du mir bitte mal den Spaten reichen?“, mein Vater deutet auf jenen, welcher am Nussbaum lehnt.
„Natürlich“, ich reiche ihm ihn und verfolge jeder seiner Techniken, als er das Loch aushebt. Es ist Samstag und ich habe meinem Vater angeboten ihm im Garten bei der Arbeit zu helfen. Er nahm das Angebot dankend an. Schon seit Ewigkeiten möchte er eine Treppe vom Rasen auf unsere Terrasse bauen, ist bis jetzt aber noch nicht dazu gekommen. Und so haben wir heute begonnen das Loch auszuheben.
„Wie kann ich dir helfen?“, frage ich ihn und betrachte ihn, wie er die Erde systematisch abträgt und in die Schubkarre lädt.
„Wenn du es dir zutraust, kannst du die Schubkarre mit Erde, sobald sie gefüllt ist, versteht sich, vors Haus fahren und auf den Hänger laden. So kann ich sie nachher fortfahren.“
„Kein Problem“, ich nicke.
„Und so lange ich die erste Ladung fülle, könntest du die zweite Schubkarre aus dem Schuppen holen, dann kann ich Weiterarbeiten, während du leeren gehst“, er hebt eine Schaufel nach der anderen in die Karre und diese füllt sich langsam aber sicher. Ich sollte mich also lieber etwas sputen.
Als ich mit der zweiten, noch leeren Schubkarre wiederkomme, ist die Erste bereits gut gefüllt. Ich stelle die Zweite ab, greife nach der Ersten und mache mich auf den Weg. Ich muss ein Stöhnen unterdrücken, als ich die Griffe anhebe. Man, ist das schwer. Zum ersten Mal bereue ich, dass ich sonst jeglichen Sport meide, morgen werde ich wohl Muskelkater haben, wie schön. Langsam setze ich mich in Bewegung und achte darauf, dass ich nicht zu sehr schwanke, nicht dass mir nachher die gesamte Ladung umkippt und alles auf dem Rasen oder noch besser auf dem Weg landet. Nach einigen Metern habe ich den Dreh raus und traue es mir zu, die Geschwindigkeit etwas zu erhöhen. Im Hof angekommen rätsle ich darüber nach, wie um alles in der Welt ich die Erde nun am schnellsten in den Hänger bekomme. Einfach reinkippen ist da nicht drin, dafür sind die Bordwände um einiges zu hoch. Ich blicke mich etwas hilfesuchend um, als ich eine Schaufel an der Garagenwand lehnen sehe. Aha, mein Vater hat mitgedacht. Ich ergreife sie und beginne damit, den Inhalt in den Hänger zu laden. Dann kehre ich zu meinem Vater zurück, der sich eine Pause gönnt und auf mich wartet.
„Geht das oder sollen wir die Arbeitsplätze tauschen?“, möchte er prompt von mir wissen.
„Es geht schon“, weiche ich aus, er soll nicht denken, dass ich ein Schwächling bin, „ich bekomme das schon hin.“
„Gut“, er nickt, „wenn du magst, können wir später wechseln.“
„Gute Idee“, ich ergreife die volle Schubkarre und mache mich wieder auf den beschwerlichen Weg des Entladens.