Hitlers Griff nach Asien 1 - Horst H. Geerken - E-Book

Hitlers Griff nach Asien 1 E-Book

Horst H. Geerken

4,8

Beschreibung

Horst H. Geerken lebte von 1963 bis 1981 in Indonesien. Neben seiner beruflichen Tätigkeit für einen deutschen Konzern bereiste er intensiv große Teile des indonesischen Archipels und wurde so zum Kenner von Land, Kultur und Menschen. Immer wieder stieß er sowohl bei seinen beruflichen wie auch privaten Aktivitäten auf Zeitzeugen, die die Zeit der japanischen Besetzung und die Präsenz der Deutschen Kriegsmarine in Indonesien noch erlebt hatten. Das weckte sein Interesse dauerhaft und später recherchierte er ausgiebig in deutschen und indonesischen Archiven und gewann erstaunliche Erkenntnisse. Die Beziehungen des Deutschen Reichs zum damaligen Niederländisch-Indien waren offenkundig viel intensiver und vielfältiger als bisher angenommen. Kaum jemandem ist bekannt, dass Hitlers Interesse an dem so weit entfernten Archipel außergewöhnlich stark war und dass tausende deutscher Marinesoldaten in Ost- und Südostasien im Einsatz waren, oder dass deutsche U-Boote bis weit in den Pazifik vordrangen. Der Autor hat seine Erkenntnisse in den zwei Bänden ‚Hitlers Griff nach Asien‘ verarbeitet. Es ist eine faszinierende Dokumentation über die deutsche Kriegsführung in einer Region, die bisher von Historikern vernachlässigt worden ist. (A.B.)

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In Erinnerung an meine vielen indonesischen Freunde, die als Freiheitskämpfer ihr Leben für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes Indonesien riskierten, und für Anette

Inhalt

Dank

Vorwort

Hitlers Machtergreifung und wie mein Interesse für Niederländisch-Indien geweckt wurde

Meine Einschulung und Kriegsbeginn

Traumziel Niederländisch-Indien im Dritten Reich

Walther Hewel und Adolf Hitler sowie Emil Helfferich, Freiherr von Trott und Ernst A. Bohle

Hitlers Pianisten

Hitlers Anti-Raucher-Kampagne

Handelsbeziehungen des Dritten Reichs mit Niederländisch-Indien

Die deutsch-britischen Beziehungen

Beginn des Zweiten Weltkriegs, Reaktion der Niederländer und Eintritt Japans in den Krieg

Beginn des U-Boot-Kriegs im Atlantik

Handelsschiffe und Prisen als Blockadebrecher

Okkupation Südost-Asiens durch Japan

Radio XGRS (German Radio Station), ‚Shanghai Calling‘

Das Massaker von Nanking

Der Untergang der

Van Imhoff

Die Birma- und die Trans-Sumatra-Eisenbahn

Maritime Katastrophen im Zweiten Weltkrieg in Südost-Asien

Jüdisches Leben in Niederländisch-Indien und der Exodus der Juden im Dritten Reich

Das Tagebuch von Walther Hewel

Gründe für die Errichtung deutscher Stützpunkte in Südost-Asien

Die letzten Blockadebrecher und der Mangel an Kautschuk

Die Yanagi-Mission

Stützpunkte der Deutschen Kriegsmarine in Südost-Asien und Ankunft der ersten Boote

Operation Monsun

Ausblick auf Band 2

Anlage 1: Zusammenstellung von deutschsprachigen Büchern über Niederländisch-Indien, die zwischen 1930 und 1945 erschienen sind

Anlage 2: Einladung für Walther Hewel vom ‚Nationalklub von 1919‘

Anlage 3: Bericht von Prof. Dr. Karl Haushofer aus der Zeitschrift

Deutsche Wacht

Anlage 4: Lebenslauf von Walther Hewel, 1944

Anlage 5: Auskunft vom Polizeipräsidenten in Berlin über Blanda Ludwig

Anlage 6: Heiratsurkunde Hewel/Ludwig

Personenregister

Sachregister

Verwendete Archive und Bibliotheken

Literatur zu den Quellenangaben

Quellenangaben der Abbildungen

Dank

Meine Lebensgefährtin Anette Bräker hörte mir immer geduldig zu, wenn ich ihr Geschichten aus meinem früheren Leben erzählte. Immer wieder regte sie an, diese oder jene Geschichte aufzuschreiben, damit sie nicht verloren ginge. Ich befolgte ihren Rat, und nach einigen Schwierigkeiten lag mein erstes Buch ‚DER RUF DES GECKOS‘ vor, das die 18 Jahre, die ich in Indonesien verbracht habe, ebenso wie die Kolonial- und die neuere Geschichte Indonesiens zum Inhalt hat. Ohne Anettes Anregung und Unterstützung wäre auch das jetzt vorliegende Buch nicht entstanden. Daher möchte ich ihr zuallererst danken. Weiterhin bin ich ihr und Michaela Mattern großen Dank schuldig, da mir beide als Lektorinnen außerordentliche Dienste geleistet haben.

Während meines langjährigen Aufenthalts in Indonesien und bei meinen Recherchen zu dem Buch ‚DER RUF DES GECKOS‘ stieß ich immer wieder auf Verbindungen, die im Dritten Reich zwischen Deutschland und Indonesien, dem damals von Japan besetzten Niederländisch-Indien, geknüpft worden waren. Mein Interesse wurde geweckt. Ich forschte in deutschen und indonesischen Archiven und Nationalbibliotheken und fand neue, bis heute nicht bekannte und nicht veröffentlichte Dokumente aus dem Zeitraum von 1942 bis 1945. Während dieser Zeit hatte Deutschlands Achsenpartner Japan Niederländisch-Indien besetzt.

Besonderer Dank gebührt der Nationalbibliothek (Perpustakaan Nasional Republik Indonesia) und dem Nationalarchiv (Arsip Nasional Republik Indonesia) der Republik Indonesien in Jakarta und dem Soekarno-Archiv (UPT Perpustakaan Proklamator Bung Karno) in Blitar (Ostjava). Von allen von mir besuchten Archiven und Bibliotheken erhielt ich in Indonesien die mit Abstand beste und schnellste Betreuung! Mikrofilme waren in wenigen Minuten zum Anschauen bereit, Fotokopien erhielt ich in kürzester Zeit. In Deutschland dauerte dies oft Wochen. Hier kann man von einem sogenannten Entwicklungsland noch eine ganze Menge lernen.

Meinen besten Dank für eine freundliche und effektive Unterstützung möchte ich besonders dem Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin ausdrücken. Auch viele Informationen, die ich im Institut für Zeitgeschichte in München gefunden habe, flossen in das vorliegende Buch ein.

Ebenso möchte ich dem Journalisten Iwan Ong Santosa und dem Historiker Didi Kwartananda in Jakarta meinen Dank aussprechen. Bei gemeinsamen Gesprächen brachten sie mich auf neue Spuren.

Meinem Freund Jürgen Graaff danke ich für seine Recherchen über Sendeanlagen, die aus Deutschland nach Niederländisch-Indien und Shanghai geliefert wurden. Mit Hilfe seines Privatarchivs und der von ihm verwahrten ‚Historischen Senderliste‘ konnten die technischen Daten und Wege der Geräte bis in den Fernen Osten und nach Australien rekonstruiert werden.

Hardy Zöllner, der noch als Schüler die ehemalige Deutsche Schule in Sarangan besucht hatte, danke ich für die freundlichen Gespräche und die erhaltenen Informationen. Aufgrund seiner Initiative wird heute durch eine in Sarangan angebrachte Plakette an die ehemalige Deutsche Schule und die deutsch-indonesische Freundschaft erinnert.

Auch der Zeitzeuge Friedrich Flakowski, der mit seiner Mutter und Schwester in Niederländisch-Indien interniert war und nach Japan abgeschoben wurde, unterstützte mich dankenswerterweise mit wichtigen Informationen, Bildmaterial und Originaldokumenten, die in das Buch eingeflossen sind. Leider ist er in der Zwischenzeit verstorben.

Das Tagebuch des mit mir befreundeten und schon vor Jahren verstorbenen Günther Fust, eines weiteren Zeitzeugen, wurde mir freundlicherweise von Herrn Dr. Walter Jäcker zur Verfügung gestellt. Dafür danke ich ihm sehr. Einige interessante historische Begebenheiten aus der Zeit von Günther Fust in China sind in dieses Buch mit eingeflossen.

Ebenso danke ich Herrn Dr. Claus Dieter Heinze. Herr Heinze wurde auf Sumatra geboren und hat mir freundlicherweise ein Briefdokument seiner Mutter zur Verfügung gestellt.

Mein besonderer Dank gebührt meinem Freund Horst Jordt, dem Präsidenten der Walter-Spies-Gesellschaft-Deutschland, und Baronin Victoria von Plessen für die Bereitstellung von Dokumenten und Fotos aus dem privaten Archiv über Victor1 Baron von Plessen in Wahlstorf.

Posthum möchte ich dem Asienexperten Professor Dr. Hans Bräker und dem Stabsarzt der ‚Indischen Legion‘, Dr. R. Madan, für viele Informationen zu Subhas Chandra Bose, dem indischen Freiheitskämpfer, danken.

Auch meinem langjährigen Freund Hans Mauder möchte ich posthum danken. Als Soldat bei der Deutschen Luftwaffe war er während des Zweiten Weltkriegs in Kondor-Aufklärungsmaschinen im Atlantik als Funker und Navigator eingesetzt. Stundenlang konnte er mir Geschichten über den U-Boot-Krieg im Atlantik erzählen.

Für Informationen und Fotos zu den Aktivitäten der Autofirma Borgward in Indonesien, die in Teil 2 der Dokumentation folgen, danke ich Frau Monica Borgward und dem Autor von mehreren Büchern über die Firma Borgward, Herrn Peter Kurze, ganz herzlich.

Frau Ayumi Schürmann danke ich für ihre Hilfe bei der Übersetzung des in japanischer Schrift geschriebenen Buches von Kiyokazu Tsuda über das Nachbauprojekt der Radaranlage Würzburg, zu dessen Realisierung der mir persönlich bekannte Telefunken-Ingenieur Heinrich Foders mit einem U-Boot über Singapur nach Japan entsandt wurde.

Mein ganz besonderer Dank und meine große Achtung gehört den vielen indonesischen Freiheitskämpfern, die mir noch Anfang der 1960er Jahre von der Zeit der japanischen Okkupation, den Anfängen der von Soekarno gegründeten freiwilligen Armee der ‚Verteidiger des Vaterlandes‘ PETA (Pembela Tanah Air) und des anschließenden fast fünfjährigen Freiheitskampfes berichteten. Über diesen Themenbereich habe ich mich oft mit meinen lieben indonesischen Freunden Wibowo, General Otty Soekotjo, Lt. Col. Daan Jahja, Umar Kayam und General M. Ng. Soenarjo unterhalten. Viele Informationen dieser Zeitzeugen sind in dieses Buch mit eingeflossen. Daan Jahja und Wibowo – mit denen ich 18 Jahre lang vertrauensvoll zusammengearbeitet habe – hatten besonders am Aufbau der ersten Volksarmee des Landes, der PETA, ab 1942/43 und beim Kampf für die Unabhängigkeit Indonesiens bis Ende 1949 aktiv mitgewirkt.

Ebenso danke ich posthum Admiral Martadinata, dem Oberbefehlshaber der indonesischen Marine ALRI, für interessante Gespräche über den deutschen Marine-Stützpunkt in Surabaya und die Deutsche Schule in Sarangan. Er war ein Offizier der ersten Stunde und erhielt ab 1945 als junger Kadett in der Zweigstelle der ersten indonesischen Militärakademie SORA in der ‚Deutschen Schule Sarangan‘ Deutsch- und Sportunterricht. In der provisorischen Militärakademie in Yogyakarta wurde er von deutschen Marineoffizieren unterrichtet.

Die vielen indonesischen und deutschen Zeitzeugen, von denen ich in den 1960er Jahren und danach Informationen erhielt, kann ich leider nicht alle aufführen. Ihnen gebührt jedoch mein besonderer Dank für die vielen offenen und ehrlichen Gespräche.

Horst H. Geerken

Im Winter 2014/15

1 In der Literatur wird von Plessens Vorname Victor oft mit ‚k‘ geschrieben. In diesem Buch wird Baron Victor von Plessen des Öfteren vorkommen. Ich habe immer das korrekte ‚Victor‘ mit ‚c‘ verwendet, so wie von Plessen auch seine Briefe und Dokumente unterschrieben hatte.

Abb. 1 Übersichtskarte ‚Südraum‘ (Niederländisch-Indien und Malaya) Die Niederlande im Größen vergleich

1. Vorwort

Als mein Buch ‚A MAGIC GECKO, CIA’s Role Behind the Fall of Soekarno‘ im Sommer 2011 in Indonesien veröffentlicht wurde, besuchte ich mit meiner Lebensgefährtin Anette die große GRAMEDIA-Buchhandlung in Kuta auf Bali. Zu unserem großen Schrecken mussten wir sehen, dass jeweils etwa 50 Exemplare meines Buches in Englisch und Bahasa Indonesia direkt neben einem Stapel der Übersetzung von Hitlers Mein Kampf platziert waren. Hitlers Mein Kampf wurde auf Bahasa Indonesia übersetzt und war gerade ein Bestseller in Indonesien.

Ganz in der Nähe meiner Bücherstapel lag ein anderer Bestseller mit dem Titel Hitler mati di Indonesia, übersetzt: ‚Hitler starb in Indonesien‘. Wie kommt es, dass Hitler – trotz der durch ihn begangenen Gräueltaten und Kriegsverbrechen – bis heute auf Indonesier eine so große Faszination ausübt, die teilweise sogar in Verehrung gipfelt?

Schon in den Jahren 1963 bis 1981 – als ich beruflich in Indonesien tätig war – hatte ich dies immer wieder beobachtet, aber damals fehlte mir die Zeit und auch das Interesse, mich intensiv mit dieser Thematik zu beschäftigen. Ich hatte berufliche Aufgaben, die mich voll in Anspruch nahmen.

Dem Phänomen der Hitler-Verehrung wollte ich aber nun nachgehen, und ich begann zu recherchieren. Neue Hinweise und Aspekte, die ich in Deutschland und in Indonesien fand, veranlassten mich, die Ergebnisse meiner Recherchen in einem Buch festzuhalten. Zu meiner großen Überraschung waren die Beziehungen Hitlers und des Dritten Reichs zu Indonesien – dem damaligen Niederländisch-Indien – erheblich vielfältiger und intensiver, als ich zunächst angenommen hatte. Genauso überrascht war ich, herauszufinden, dass einer der engsten Vertrauten Hitlers der Schlüssel zu der Verbindung nach Niederländisch-Indien war. Die Wichtigkeit dieses wenig beachteten Mannes wurde in der historischen Aufarbeitung des Dritten Reichs bisher nicht erkannt.

In dem vorliegenden Buch habe ich viele für mich überraschende Fakten zusammengefasst, die bisher nicht näher untersucht worden sind. Wer weiß heute noch, dass deutsche Marinesoldaten in Niederländisch-Indien, Malaya und Singapur stationiert waren? Oder dass indische Truppen in Europa an Hitlers Seite kämpften? Oder dass deutsche Unterseeboote bis nach Australien und in den Pazifik vorgedrungen sind?

Im Blickpunkt dieses Buches stehen nicht die allgemein bekannten Verbrechen Hitlers mit den moralischen Aspekten, sondern primär die politischen, technischen und logistischen Gesichtspunkte des deutschen Kriegsschauplatzes im fernen Asien.

Keinesfalls soll der Eindruck erweckt werden, Hitler in einem positiven Licht darstellen zu wollen. Seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind historisch belegt und in keiner Weise entschuldbar. Darüber ist schon viel geschrieben worden. Sie gehören nicht zum Themenbereich dieses Buches. Hier sollen lediglich die Fakten des Kriegsschauplatzes im fernen Asien, die Entbehrungen der deutschen Soldaten bei den monatelangen Fahrten in den U-Booten und die zu meisternden technischen Herausforderungen beleuchtet werden. Der geschichtlichen Wahrheit wegen soll man allerdings auch historisch belegte Kriegsverbrechen, die von Seiten der deutschen Kriegsgegner – der Alliierten – begangen wurden, nennen dürfen.

Es ließ sich natürlich nicht vermeiden, dass bei einem Buch über das Dritte Reich aus historischen Gründen oft der Name des damaligen Staatsoberhaupts und Oberbefehlshabers der deutschen Wehrmacht, Adolf Hitler, sowie Namen von Personen seiner näheren Umgebung erwähnt werden. Auf einigen in diesem Buch veröffentlichen Aufnahmen sind auch das Hakenkreuz, der Hitlergruß und andere Nazi-Symbole zu sehen. Dies geschieht aus rein historischen Gründen und dient nicht der Verherrlichung der Nazi-Zeit. Diese historischen Aufnahmen haben oft eine schlechte Qualität, aber aus dokumentarischen Gründen habe ich sie trotzdem in dieses Buch aufgenommen.

Der Seekrieg im Atlantik wurde bereits in hunderten Büchern beschrieben. In den Marinearchiven findet man über fast jedes Atlantik-Boot Unterlagen zu Einsätzen, Auftrag und Besatzung. Die Präsenz der Deutschen Kriegsmarine während des Zweiten Weltkrieges in Südost-Asien, in Australien, vor der Küste Neuseelands und besonders in Niederländisch-Indien wird in diesen Untersuchungen kaum erwähnt. Dabei hatte die Präsenz des nationalsozialistischen Dritten Reichs, zusammen mit dem Achsenpartner Japan, in Südost-Asien ungewöhnlich große Auswirkungen. Die Kolonialmächte wurden vertrieben und viele Länder erhielten ihre Unabhängigkeit. Die Machtverhältnisse in diesem Raum haben sich grundlegend geändert.

Lag es an der Kriegsmüdigkeit der Deutschen oder an dem geringen Interesse, das man Niederländisch-Indien und Malaya – dem Gebiet, das während des Zweiten Weltkriegs als ‚Südraum‘ bezeichnet wurde – nach Kriegsende entgegenbrachte? Über diesen Kriegsschauplatz im fernen Asien findet man in den Marinearchiven nur wenig. Auch die Dokumentation über den Einsatz deutscher U-Boote in diesem Raum ist äußerst lückenhaft. Alle Einsätze in diesem Raum wurden durch die Deutsche Kriegsmarine als streng geheim eingestuft, mache Einsätze waren sogar so geheim, dass keinerlei Dokumente darüber angefertigt werden durften. Selbst der Oberbefehlshaber der deutschen U-Boote, Admiral Karl Dönitz, scheint nach Kriegsende den Seekrieg der Deutschen Kriegsmarine in Südost-Asien vergessen zu haben. In dem über 500 Seiten umfassenden Buch über seine Erinnerungen von 1935 bis 1945, 10 Jahre und 20 Tage, erwähnt Dönitz den Einsatz von deutschen U-Booten in Südost-Asien nur nebensächlich auf mageren 40 Zeilen!

Vielleicht war der deutsche Kriegsschauplatz für die Berichterstattung zu fern. Unter den annähernd sechshundert deutschen Kriegsberichterstattern fand ich nur einen einzigen, der den ‚Südraum‘ bereiste. Es war Heinz Tischer, der auf der zweiten Fahrt des Hilfskreuzers Thor nach Japan reiste. Der Hilfskreuzer Thor wurde bei einem Feuer im Hafen von Yokohama zerstört. Dabei verbrannten auch sein Bildmaterial und seine Berichte. Es wird wohl noch ein zweiter Kriegsberichterstatter erwähnt, ein Leutnant Hermann Kiefer, der im April 1944 an Bord von U 861 nach Südost-Asien fuhr. Das Boot erreichte erst Ende September 1944 Penang. Da dies nur wenige Monate vor der Kapitulation des Deutschen Reichs war, konnte ich wohl aus diesem Grund keine Berichte von ihm finden. Kiefer blieb zunächst in Penang und kam nach der Kapitulation Japans in Singapur in britische Kriegsgefangenschaft.

Ein weiterer Grund, weshalb aus dem weit entfernten ‚Südraum‘ nicht so intensiv wie von den anderen Fronten berichtet werden konnte, lag sicherlich auch an den damals noch nicht so gut entwickelten Kommunikationsmöglichkeiten.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wollten die Deutschen nichts mehr von Krieg hören. Inzwischen ist genügend Zeit vergangen, aber leider sind nun auch die meisten Zeitzeugen gestorben, die glaubwürdige und zuverlässige Informationen hätten liefern können. Der deutsche Seekrieg in Südost-Asien ist ein vergessener Krieg geworden. Zum Glück hatte ich mich schon Anfang der 1960er Jahre in Indonesien mit diesem Thema – wenn auch nur am Rande – befasst und noch viele Hinweise von indonesischen und deutschen Zeitzeugen sammeln können.

Mancher Leser wird sich fragen, was ein Kapitel über die deutsch-britischen Beziehungen mit einem Werk, das sich primär mit Südost-Asien beschäftigt, zu tun hat. Der Indische Ozean war von Südafrika bis zur Malaiischen Halbinsel mit Singapur von britischen Kolonien und Besitzungen umgeben. Der Indische Ozean war eigentlich ein britisches Meer. Daher waren die Beziehungen Deutschlands zu Großbritannien von entscheidender Bedeutung. Mehrere Frauen um Hitler versuchten auf höchster Ebene eine Allianz zwischen dem Deutschen Reich und dem Vereinigten Königreich gegen den Bolschewismus im Osten zu schmieden. Unter diesem Gesichtspunkt und den damit zusammenhängenden interessanten Geschehnissen habe ich dieses Thema mit aufgenommen. Auch bei dem Kapitel über Hitlers Pianisten besteht ein enger Zusammenhang mit Niederländisch-Indien.

Die deutsche Militärpräsenz in Niederländisch-Indien hat eine lange Geschichte. Bereits im 17. Jahrhundert traten viele Tausend abenteuerlustige deutschsprachige junge Männer die Reise nach Niederländisch-Indien an, um als Matrosen oder Soldaten, aber auch als Handwerker, Kaufleute oder Beamte in die Dienste der Niederländer zu treten. Oft waren mehr als die Hälfte der Menschen im Dienste der VOC2 Ausländer: Deutsche, Österreicher, Polen und Schweizer. Der Anteil der deutschen Söldner war immer am größten.

Ende des 18. Jahrhunderts sandte der Herzog Carl Eugen von Württemberg für 300.000 Gulden ein Söldnerheer mit 2.000 Soldaten und Offizieren zur Unterstützung der VOC in die niederländische Kolonie. Es waren meist Abenteurer, die Glück und Wohlstand in dem unbekannten tropischen Land suchten. Viele trieb aber auch die pure Not in die Klauen der Werber. Die Söldner wurden ausgebeutet und erniedrigt. Die Verpflegung, die Ausrüstung und die ärztliche Versorgung waren katastrophal. Malaria, Cholera, die Vitaminmangel-Erkrankung Beriberi und andere tropische Krankheiten grassierten in ihren Reihen. Unterhaltung gab es keine, dafür floss der billige Arak, ein aus Palmzuckersaft und Reismaische gewonnener Branntwein, in Strömen. Trunk- und Spielsucht waren die Regel.

Die Sterberate war durch das feuchte und heiße Klima in den Tropen, durch unbekannte Tropenkrankheiten und durch eine fehlende Hygiene extrem hoch. Schon bei der monatelangen Überfahrt auf den Segelschiffen starben 10 bis 20% der Passagiere. Es sind mehr Soldaten an Seuchen und Krankheiten zugrunde gegangen als an Kampfhandlungen. Vertragsgemäß wurden laufend Ersatzmannschaften nachgeschickt. Selbst seine eigenen Söhne verschacherte der Herzog von Württemberg an die Holländer, allerdings als Offiziere. Er hatte genügend Kinder zur Auswahl. Seine Frauen und Konkubinen gebaren ihm rund 150 Nachkommen, darunter knapp 80 anerkannte Söhne. Den Familiennamen seiner nach Niederländisch-Indien verkauften Söhne, ‚von Franquemont‘ – benannt nach einer kleinen Grafschaft in Ost-Frankreich, die damals zu Württemberg gehörte – konnte man bis zum Zweiten Weltkrieg in Indonesien verfolgen. Einige der ‚von Franquemont‘ müssen sich – wie die meisten der einfachen Soldaten – mit einer hübschen Javanerin in den Tropen häuslich niedergelassen haben.

Nur ein paar Dutzend der mehreren Tausend deutschen Söldnern fanden den Weg zurück in die europäische Heimat. Nach Ablauf ihrer Dienstzeit bekamen sie meist keinen Schiffsplatz auf den Schiffen der VOC. Auf den mit Pfeffer, Muskat und anderen Produkten ihrer Kolonie voll beladenen Schiffen war für das ausgediente Menschenmaterial kein Platz vorgesehen. Der Profit war den Niederländern wichtiger als das Wohl der ausgedienten Soldaten – und der Herzog von Württemberg kümmerte sich auch nicht mehr um sie. Der Gewinn für den Herzog von Württemberg war auf jeden Fall gewaltig: Durch den Verkauf der Söldner, durch das Kopfgeld für die Gefallenen und die Einsparung von deren Renten.

Auch die Marine des Norddeutschen Bundes, der Königlich Preußischen Marine und danach der Kaiserlichen Marine waren in Südost-Asien und im Pazifik präsent, um deutsche Interessen in diesem Raum anzumelden. Bis dahin hatten die Briten, die Franzosen, die Niederländer und die Vereinigten Staaten dort bereits Gebietsansprüche geltend gemacht.

Ab 1859 waren es die Segelfregatte SMS (Seiner Majestät Schiff) Thesis, der Schoner SMS Frauenlob und das Transportschiff SMS Elbe, die unter dem Kommando des Flaggschiffes SMS Arcona in Ostasien operierten. Die Durchschlagkraft und die Zahl der Kriegsschiffe wurde im Deutschen Kaiserreich immer weiter ausgebaut, von der ‚Ostasiatischen Kreuzerdivision‘ zum ‚Deutsch-Ostasien-Geschwader‘. Ab 1896 waren dann auch Panzerschiffe und Große Kreuzer wie die SMS Kaiser, die SMS Deutschland, die SMS Kaiserin Augusta, die SMS Fürst Bismarck, die SMS Scharnhorst oder die SMS Gneisenau in diesen Gewässern im Einsatz. Bis zu 20 Kriegsschiffe waren im ‚Deutsch-Ostasien-Geschwader‘ vereint. Für die Versorgung der Schiffe und für Reparaturen mussten immer noch fremde Häfen angelaufen werden. Dies änderte sich, als Deutschland im Jahre 1897 Tsingtau in China besetzte und dort einen ersten Marinestützpunkt aufbaute.

Ab 1885 erwarb Deutschland Gebiete in Neuguinea und im Pazifik und errichtete die folgenden Schutzgebiete, die sich ab 1899 als Kolonien unter der direkten Verwaltung des Deutschen Reichs befanden und nun ebenfalls deutsche Marinestützpunkte erhielten:

das Kaiser-Wilhelms-Land, das war der nordöstliche Teil der Insel Neuguinea, der zweitgrößten Insel der Welt,

das Bismarck Archipel mit Hunderten Inseln, deren bekanntesten Neu-Pommern (heute: New Britain), Neu-Mecklenburg (heute: New Ireland) und Neu-Hannover (heute: New Hanover) waren.

Das Kaiser-Wilhelms-Land und der Bismarck Archipel bildeten zusammen die Kolonie Deutsch-Neuguinea. Weitere deutsche Schutzgebiete waren:

die Bougainville-Inseln, die alle Teil des heutigen Papua-Neuguineas sind,

die heute unabhängigen Salomonen-Inseln,

die nördlichen Marianen, heute Außengebiet der USA,

die heute unabhängigen Marshallinseln, die Palauinseln, die Karolinen und Nauru, sowie

Deutsch-Samoa, das heutige unabhängige West-Samoa. (West-Samoa ist nicht zu verwechseln mit den östlichen Samoa-Inseln, dem American-Samoa, einem großen Militärstützpunkt der USA.)

Abb. 2 Deutscher Kolonialbesitz in China, Südost-Asien und dem Pazifischen Ozean vor dem Ersten Weltkrieg

Vor und während des Ersten Weltkriegs kreuzten besonders viele deutsche Kriegsschiffe in den Gewässern von Niederländisch-Indien. 1910 besuchten SMS Scharnhorst, SMS Leipzig und SMS Luchs Sumatra sowie Borneo (heute: Kalimantan). 1911 besuchte SMS Scharnhorst Batavia (heute: Jakarta). 1913 kam die SMS Scharnhorst zusammen mit SMS Gneisenau erneut nach Batavia. Anschließend besuchten die beiden Schiffe die Kleinen Sunda-Inseln. Bereits 1914 war das Schlachtschiff SMS Scharnhorst erneut in Sumatra und Borneo. Deutschland hatte während dieser Zeit noch seine Kolonien in Südost-Asien und im Pazifik, womit die starke Präsenz der deutschen Marine mit nun bis zu 24 Kriegsschiffen und 17.000 Mann Besatzung in diesem Raum zu erklären ist.

Nach dem Ersten Weltkrieg besuchte 1927 und 1931 der neue Kreuzer SMS Emden III Batavia. 1926, 1927 und 1931 waren der Leichte Kreuzer SMS Hamburg, 1933 SMS Köln und 1934 SMS Karlsruhe in verschiedenen Häfen Niederländisch-Indiens. 1937 war die SMS Emden III nochmals in Surabaya und in Belawan/Ostsumatra. Die vielen Besuche deutscher Kriegsschiffe in Niederländisch-Indien nach dem Ersten Weltkrieg stärkten das Zusammengehörigkeitsgefühl der dort lebenden und tätigen Deutschen.

Mir liegt der Brief einer Mutter, Melanie Heinze, vom 14. Dezember 1937 vor, die über den letzten Besuch der SMS Emden III mit seiner 665 Mann starken Besatzung in Sumatra ausführlich und begeistert berichtet: Es war herrlich, wieder mal ein Erlebnis, das man nie vergessen wird. Die SMS Emden III war auf einer mehrmonatigen Weltreise und legte am 11. Dezember 1937 im Hafen Belawan in Nordsumatra an. Der Hafen Belawan ist nur wenige Kilometer von Medan entfernt, der bis heute größten Stadt Sumatras.

Der Flottenbesuch der SMS Emden III wurde mit großem Aufwand gefeiert. Ein Höhepunkt für einige deutsche Familien war die Taufe ihrer Kinder auf deutschem Boden, an Bord des Schiffes. Am Sonntag, 12. Dezember 1937 wurden in der Offiziersmesse durch den Marinepfarrer Werner zwölf deutsche Kinder getauft und von Kapitän Brückmeier ein Ehepaar getraut. Jedes Kind bekam einen Offizier der SMS Emden III zum Paten. Frau Heinze schreibt:

Es war selten schön. [...] Wir Mütter saßen mit den Täuflingen in der vordersten Reihe und dahinter in strammer Haltung die Offiziere, die Paten der Kinder![...] Es war, Ihr könnt es Euch denken, ganz wunderbar! Es gab ein Fußballspiel, ein Mittagessen mit einer wohlschmeckenden Reistafel und viele persönliche Begegnungen mit der Mannschaft. Fünf Tage lag das Schiff in Belawan. Dieses Beispiel soll zeigen, wie positiv ein Flottenbesuch während des Dritten Reichs von den in Niederländisch-Indien tätigen Deutschen aufgenommen wurde.3

Wie kam es, dass Hitlers Interesse an Niederländisch-Indien – dem so weit von Deutschland entfernten Land – viel größer war als an den ehemaligen deutschen Kolonien in diesem Raum? Und von wem wurde Hitler so gut über Niederländisch-Indien informiert?

Diese Frage war für mich auch ein Initiator zu diesem Buch! Die Antwort auf diese Frage erschloss sich mir sehr bald in der Person Walther Hewels. Er hat bisher in den Untersuchungen über das Dritte Reich kaum eine Rolle gespielt, obgleich niemand außer Eva Braun das Privatleben Hitlers so vertraulich und innig teilte wie dieser Mann. Walther Hewel werden wir in beiden Bänden dieses Buches immer wieder begegnen. Es ist erstaunlich, dass bis heute kein Historiker die Akten und Dokumente von Hewel, die in verschiedenen Archiven verteilt liegen, ausgewertet hat. Hewel hatte in Berlin die Schlüsselrolle für alle Vorgänge inne, die Niederländisch-Indien betrafen.

Leider ist es mir trotz mehrmaliger Versuche nicht gelungen, mit den Nachkommen und der Verwandtschaft von Walther Hewel in Kontakt zu kommen. Vermutlich sieht man nicht gerne, dass die so gut wie unbekannte Rolle, die Hewel im Dritten Reich spielte, ans Tageslicht gebracht wird. Dabei hat Walther Hewel – wie wir noch sehen werden – im Dritten Reich in vieler Hinsicht sogar eine durchaus positive Vermittlerrolle gespielt.

Viele Informationen in diesem Buch basieren auf Gesprächen mit indonesischen Zeitzeugen, die selbst noch auf den deutschen Stützpunkten auf Java und Sumatra und in der von Soekarno gegründeten Armee während der japanischen Okkupation, der PETA (Pembela Tanah Air/Verteidiger des Vaterlandes), gedient hatten. In neuerer Zeit hatte ich weitere Gespräche mit indonesischen Fachleuten, Sammlern und Historikern, die gegenüber einem in ihren Augen neutralen Ausländer – wie ich es bin – viel offener reden, als sie es je einem ehemaligen Kolonialherrn, einem Niederländer, gegenüber tun würden. Ich habe daher, wenn ich über die Niederländer spreche, die Stimmung und Gefühlslage meiner indonesischen Partner so wiedergegeben, wie diese die damaligen Ereignisse empfunden haben.

Je tiefer ich bei meinen Recherchen in indonesischen und deutschen Archiven und Bibliotheken in die Materie einstieg, desto interessantere Funde zeigten sich. Leider sind viele Dokumente über die deutsche Militärpräsenz in Südost-Asien den Wirren des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen.

Im Gegensatz zu den vielen Büchern, die über den Seekrieg des Zweiten Weltkriegs im Atlantik geschrieben wurden, habe ich über die Operationen der deutschen Marine in Südost-Asien bisher kaum Literatur gefunden. Auch meine vielen Gespräche in neuerer Zeit mit Offizieren der indonesischen Marine ALRI, die erst lange nach Kriegsende in den Dienst der Marine traten, blieben fruchtlos. Alle hatten die Zeit des Zweiten Weltkriegs entweder gar nicht oder nur als Kind erlebt und mussten nach dem endgültigen von der Weltgemeinschaft erzwungenen Abzug der Kolonialmacht Niederlande im Dezember 1949 ihre ganze Kraft dem Wiederaufbau ihres Landes und der neuen Streitkräfte widmen.

Hinzu kommt, dass in der Regierungszeit von Soeharto, dem zweiten indonesischen Präsidenten, versucht wurde, vorhergehende politische Ereignisse aus dem Gedächtnis der indonesischen Bevölkerung zu streichen. Soeharto stand im Schatten des ersten Präsidenten Soekarno, dem Kämpfer für die Unabhängigkeit. Soeharto versuchte, dies durch die Unterdrückung von Informationen über Soekarno zu ändern. Selbst die indonesischen Schulbücher wurden entsprechend geändert. Es gelang ihm allerdings nicht: Soekarno war und bleibt der wahre Held des Volkes, der Indonesien in die Unabhängigkeit führte.

Mehrere Gespräche Anfang der 1960er Jahre mit Admiral Martadinata, dem Oberbefehlshaber der indonesischen Marine und einem Mitstreiter und Unterstützers Soekarnos, gaben mir viele Hinweise über den deutschen Marinestützpunkt in Surabaya und die Deutsche Schule in Sarangan. Leider kam er, nur kurz nachdem Soeharto durch einen von der CIA unterstützten Putsch an die Macht kam, auf mysteriöse Weise ums Leben.

In den 1960 und 70er Jahren habe ich alle ehemaligen deutschen Marinestützpunkte besucht, Surabaya, Batavia (heute: Jakarta), Sabang, Singapur und Penang. In keinem dieser Orte konnte ich noch nennenswerte Überbleibsel der damaligen kurzen deutschen Militärpräsenz finden.

Die fast 350 Jahre dauernde niederländische Kolonialzeit und der anschließende fünfjährige Unabhängigkeitskampf gegen die rückkehrenden Niederländer ist für jeden Indonesier eine peinliche und beschämende Periode, die man am besten vergessen möchte. Um diesen dunklen Zeitabschnitt auszuklammern, beginnt das Geschichtsbewusstsein der Indonesier eigentlich erst ab 1950. Ich musste also in den 1960er Jahren auf Informationen von Zeitzeugen zurückgreifen, die bereits in der von Soekarno aufgestellten freiwilligen Armee der ‚Verteidiger des Vaterlandes‘ gedient hatten. Zum Glück gewann ich viele Freunde unter diesen. Viele davon sind im Laufe der Jahre in verantwortungsvolle Positionen der indonesischen Verwaltung und der Streitkräfte aufgestiegen. Sie konnten mir noch viel über den südostasiatischen Kriegsschauplatz erzählen.

Es ist mir nicht gelungen, heute noch deutsche Zeitzeugen zu finden, die auf einem U-Boot oder Blockadebrecher der Deutschen Kriegsmarine in indonesischen Gewässern oder auf einem der deutschen Stützpunkte im ‚Südraum‘ gedient hatten. Ich konnte mich lediglich mit zwei Ehefrauen unterhalten, deren Männer – einer als Kommandant – im U-Boot Krieg im weit von Niederländisch-Indien entfernten Atlantik eingesetzt waren. Als ich 1963 nach Indonesien kam, hätte ich noch die Möglichkeit gehabt einige deutsche U-Boot-Männer zu befragen. Allerdings hatte ich damals – wie schon gesagt – wegen meiner Aufgaben als Delegierter eines deutschen Konzerns nicht die Zeit, mich mit diesem Thema intensiver zu beschäftigen. Außerdem wurde damals dieses Thema, mit dem Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg, fast noch tabuisiert.

Anfang der 1960er Jahre waren noch einige Mitglieder von U-Boot-Besatzungen in Indonesien anzutreffen. Mir waren zwei Hilfskräfte an der Deutschen Botschaft bekannt. Einer war als Mitglied einer U-Boot-Besatzung auf Java geblieben. Der zweite war auf dem Stützpunkt Sabang tätig. Auch ein leitender Angestellter bei Siemens-Indonesia gehörte zu einer U-Boot-Mannschaft, ein weiterer, ein U-Boot Kommandant, war in den 1960er Jahren in Bandung für einen deutschen Chemiekonzern tätig. Bis auf einen blieben alle bis zu ihrem Lebensende in ihrer neuen Wahlheimat Indonesien. Eine ganze Reihe von ihnen kämpfte sogar auf Seiten der indonesischen Freiheitskämpfer zunächst gegen die Briten und danach gegen die zurückkehrenden Niederländer, bis die Unabhängigkeit Indonesiens endgültig besiegelt war.

In den 1960er und 1970er Jahren besuchte der U-Boot Kommandant, Oberstleutnant zur See Horst Geider, noch mindestens zwei Mal Indonesien. Er war zunächst bis November 1942 Kommandant von U 61, und ab Dezember 1942 bis Februar 1944 Kommandant von U 761. Weitere Details wie Einsatzpläne und Einsatzorte konnte ich nicht in Erfahrung bringen, aber vermutlich war Kommandant Geider mit einem anderen Boot für eine geheime Mission in Niederländisch-Indien. Bei seinen beiden Besuchen kam er auf dem Weg nach Malang in Ostjava durch Jakarta. In Malang wollte er eine befreundete indonesische Familie besuchen. Die Freundschaft mit dieser Familie stammte aus der Zeit, als er mit seinem U-Boot in der deutschen Marinebasis Surabaya lag. Von den Nachfahren dieses Mannes, der nach dem Krieg eine leitende Stelle bei Mercedes-Benz in Stuttgart innehatte und 1993 verstarb, hätte ich sicherlich noch Hinweise erhalten können. Trotz intensiver Bemühungen meinerseits scheiterte eine Kontaktaufnahme mit seinen Nachkommen am Datenschutz.4

Im Internet, aber auch in Fachbüchern habe ich viele Verwechslungen und Fehler bei den Kennnummern der deutschen U-Boote und der entsprechenden Kommandanten feststellen müssen. Nach meinen gründlichen Recherchen habe ich hier nach bestem Wissen und Gewissen die meiner Meinung nach richtigen Bezeichnungen und Daten verwendet. Eine Gewähr dafür kann jedoch nicht übernommen werden.

Auch bei Datums- und Zeitangaben gibt es oft eine Differenz. Dies hängt auch mit dem Zeitunterschied zwischen Deutschland und Südost-Asien zusammen, je nachdem, von wo aus das Geschehen betrachtet wurde.

Der Name Indonesien für die ehemalige niederländische Kolonie Niederländisch-Indien wird offiziell erst ab der Unabhängigkeitserklärung vom 17. August 1945 gebraucht. Es war der deutsche Schiffsarzt und Wissenschaftler Adolf Bastian, der Ende des 19. Jahrhunderts den Namen ‚Indonesia‘ geprägt hatte, der sich dann auch international durchsetzte. Diese Bezeichnung, die den gesamten Archipel umfasste, wurde von der indonesischen Unabhängigkeitsbewegung aufgegriffen. Das Wort ‚Indonesia‘ war politisch aufgeladen und durfte während der holländischen Kolonialzeit öffentlich nicht ausgesprochen werden. Die Holländer sahen darin einen Angriff auf ihren Machtanspruch. Jede Bestrebung für eine Vereinigung der Einwohner des Archipels, über die Grenzen von Stammeszugehörigkeit, Rasse, Religion und Sprache hinweg, wurde von der Kolonialregierung mit allen Machtmitteln verhindert. ‚Teilen und Herrschen‘ war ihr Prinzip für den Machterhalt. Das Wort ‚Indonesia‘ stärkte jedoch das Nationalbewusstsein und den Zusammenhalt der Nation.

Für die Zeit des Dritten Reichs verwende ich für den indonesischen Archipel die damals offizielle Bezeichnung ‚Niederländisch-Indien‘ und für den Raum Niederländisch-Indien und Malaya, in dem sich die Stützpunkte der deutschen Kriegsmarine befanden, den von der Deutschen Kriegsmarine geschaffenen Begriff ‚Südraum‘.

Obwohl die Bezeichnung Indonesien für den Archipel schon während des Zweiten Weltkriegs immer öfter von Deutschen und Japanern und auch von der indonesischen Bevölkerung benutzt wurde, verwende ich das Wort Indonesien der historischen Korrektheit wegen erst nach der offiziellen Unabhängigkeitserklärung durch Soekarno vom 17. August 1945.

Krieg und Politik haben so viel junges Leben auf beiden Seiten der Fronten zerstört, das für etwas Schöneres und Besseres vorbestimmt sein sollte. Alle Menschen, Sieger und Verlierer, haben nach diesem Krieg gelitten. Zerstörte Seelen und zerstörte Landschaften blieben auf beiden Seiten zurück – auch in dem von Europa so fernen Kriegsschauplatz in Südost-Asien. Die blaue und stille Javasee wurde ein großes Seemannsgrab!

Viele Informationen aus den verschiedensten Quellen habe ich nun zusammengefügt. Im Zuge der Recherchen wurde der Umfang des gefundenen Materials so groß, dass ich das Werk in zwei Bände aufteilen musste.

2 Vereenigde Oost-Indische Compagnie/Vereinigte Niederländisch-Ostindische Compagnie

3 Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Dr. Claus Dieter Heinze, dem auf Sumatra geborenen Sohn von Frau Melanie Heinze. Die kursiv geschriebenen Textteile sind Originalzitate

4 Information von Karl Schulz, ehemaliger Mercedes-Mitarbeiter, der mit seiner Ehefrau Herrn Geider bei seinen beiden Besuchen in Jakarta betreute.

2. Hitlers Machtergreifung und wie mein Interesse für Niederländisch-Indien geweckt wurde

Wie mir meine Mutter erzählte, war der Sonntag im August 1933, als ich im Sternzeichen des Löwen um vier Uhr am Morgen in Stuttgart das Licht der Welt erblickte, ein sehr heißer Sommertag. Der 13. August war ein ereignisreicher Tag: Genau sieben Jahre vor mir wurde Fidel Castro geboren, und 28 Jahre nach meiner Geburt begann der verhängnisreiche Mauerbau, der Deutschland viele Jahre in Ost und West trennte.

Ich wurde genau 195 Tage nach dem Ende der Weimarer Republik durch die Machtergreifung Hitlers und in dem Jahr geboren, in dem Albert Einstein, Bertold Brecht und Heinrich Mann Deutschland verließen. Nach schlimmer Arbeitslosigkeit, Inflation und allgemeiner Verarmung feierte die große Masse der Deutschen Hitler als den ‚Retter des Vaterlandes‘. Der verlorene Erste Weltkrieg, die Erniedrigung danach und die Probleme der Weimarer Republik ebneten den Weg für Hitlers anfänglich überwältigenden Erfolg.

In ganz Deutschland wurden Autobahnen gebaut, innerhalb von nur drei Jahren hatten Millionen Arbeitslose wieder Arbeit, und einen Volkswagen konnte man für nur 1.000 Reichsmark bestellen. Hitler baute die modernste Armee Europas auf. Es ging wieder aufwärts! Schon Mitte der 1930er Jahre hatte Deutschland den höchsten Lebensstandard seiner Geschichte zu verzeichnen. Hitler schien alles zu gelingen! Nach der Schmach des Versailler Vertrags waren die Deutschen wieder stolz und jubelten ihm zu.

Ich hörte als Kind nur Positives und Bewundernswertes über unseren ‚Führer Adolf Hitler‘: keine Arbeitslosigkeit, Weltenwende, Zeitenwende! Die chaotischen Zustände der Weimarer Republik waren zu Ende und es kam etwas Neues! Kein Wunder, dass der Nationalsozialismus für viele auf den ersten Blick attraktiv war. Man hoffte auf bessere Zeiten und glaubte, nur Hitler könne dieses Wunder vollbringen. Den Anfang dazu hatte er schon gemacht!

Hitler prägte den Ausspruch von der ‚Neuen Ordnung‘, der dann auch von den Achsenmächten übernommen wurde. Italiens Mussolini sprach von der Ordine Nuovo und der japanische Politiker und Premierminister Fürst Konoe Fumimaro von Shintesai. Selbst der zweite indonesische Präsident Soeharto nannte noch 1966 sein Programm zum Aufbau der Nation Orde Baru, Neue Ordnung!

Durch die Olympiade 1936 konnte Hitler seine internationale Akzeptanz festigen. Alle Gäste berichteten von der sich toll entwickelnden Reichshauptstadt Berlin, dem Trubel der unzähligen Menschen aus vielen Nationen, den vielen Autos, dem imposanten wogenden Fahnenmeer und den großen Erfolgen der deutschen Sportler. Besonders beeindruckt waren die ausländischen Gäste von dem neuen Olympiastadion mit 100.000 Sitzplätzen, das nach nur zweijähriger Bauzeit anlässlich der Olympiade 1936 eröffnet wurde. Es war eine Meisterleistung der Architekten, Planer und Baumeister.

Dieses bereits gigantische Olympiastadion sollte nach den Plänen Hitlers und seines Architekten Albert Speer an Größe noch weit übertroffen werden. Bis in den Krieg hinein wurde in der Nähe von Nürnberg an dem mit Abstand größten Stadion der Welt gebaut. Es sollte 90 Meter hoch werden und 405.000 Menschen fassen. Aufzüge für 100 Personen sollten die Menschen zu den oberen Rängen bringen. Die Bauarbeiten für dieses gigantische Projekt wurden erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges eingestellt.

Noch gigantischer waren die Pläne und Modelle, die Hitler 1936 für Berlin enthüllte. Berlin sollte zur ‚Welthauptstadt Germania‘ umgebaut werden. Monumentale Gebäude waren geplant. Die ‚Große Halle‘ sollte mit einer Grundfläche von 315 mal 315 Metern und einem 320 Meter hohen Dom die größte Halle der Welt werden und über 180.000 Menschen fassen. Es sollte ein architektonisches Meisterstück werden. Ein Triumphbogen, viermal größer als der in Paris, war geplant. Der Größenwahn Hitlers nahm seinen Anfang!

Die pompöse ‚Neue Reichskanzlei‘ mit einer Gebäudefront von 420 Metern wurde nach Hitlers eigenen Plänen in einer Rekordbauzeit von nur gut einem Jahr Anfang 1939 fertiggestellt. Für den Innenausbau wurden nur Marmor und andere wertvolle Baustoffe verwendet. Die ‚Welthauptstadt Germania‘ war eine Machtdemonstration. Die Nazi-Ideologie sollte in Stein gehauen sein!

Durch die Bombenangriffe der Alliierten und bei dem Kampf um Berlin kurz vor Kriegsende wurde die ‚Neue Reichskanzlei‘ nur leicht beschädigt. Auf Befehl der Sowjetunion wurde sie von 1949 bis 1953 nach und nach gesprengt und dem Erdboden gleichgemacht. Das Olympiastadion hat die Kriegswirren allerdings fast unbeschadet überstanden. Nach Umbauarbeiten, einer Modernisierung und einer Teilüberdachung, fasst das Olympiastadion in Berlin nun 75.000 Besucher. Es ist das einzige Gebäude der geplanten ‚Weltstadt Germania‘, das bis heute erhalten geblieben ist und auch genutzt wird.

Meine Eltern waren eifrige Rundfunkhörer. Wenn Hitler seine Ideen, Ideologien und politischen Programme darlegte, saßen sie vor unserem Volksempfänger. Der Volksempfänger, ein einfaches Rundfunkgerät in einem schwarzen Bakelit-Gehäuse, wurde im Auftrag von Propagandaminister Joseph Goebbels entwickelt und war ein wichtiges und gelungenes Instrument zur Beeinflussung der Massen. Für einen Preis von 75 Reichsmark, für den einfacheren ‚Kleinempfänger‘ sogar nur 35, wurden die Geräte millionenfach produziert. Bis zur Einführung des Volksempfängers gab es weniger als vier Millionen Radiogeräte in Deutschland. 1941 waren es bereits knapp 16 Millionen5. Bisher hatte noch keine Nation der Welt das Radio zu einer so massiven Massenbeeinflussung eingesetzt wie Hitler.

Die Volksempfänger wurden mit großem Aufwand und einprägsamen Schlagworten wie Deutscher! Kauf den Volksempfänger! oder Ganz Deutschland hört den Führer mit dem Volksempfänger! beworben. Alle Bürger sollten für die Parolen des Führers über den Volksempfänger – im Volksmund ‚Goebbelsharfe‘ genannt – erreichbar sein.

Mein Vater rauchte damals viel. Aus meiner Sicht als Kind konnten er und seine Gäste gar nicht genug rauchen, denn ich sammelte Zigarettenbildchen. Jeder Packung Zigaretten lagen Bildchen bei, die wir Kinder sammelten und tauschten, bis der Satz für ein Album komplett war. Sammeln und Einkleben waren aber nicht nur bei uns Kindern Mode, auch die Erwachsenen sammelten kräftig mit. Die Auflage der Zigarettenbilder ging in die Milliarden. Es gab die verschiedensten Themenbereiche wie Sport (zum Beispiel die Olympiade 1936 in Berlin), Film, Deutsche Kolonien, Flaggen und Uniformen, oder die Hetzschrift ‚Raubstaat England‘. Für mich war der Themenbereich ‚Deutsche Kolonien‘ der Wichtigste. Schon damals war ich von den farbigen Menschen und den exotischen und tropischen Landschaften, mit blauem Meer und einfachen Hütten unter Kokospalmen, fasziniert.

Wenn ich für meine Mutter etwas einkaufen sollte, ging ich gerne in den Kolonialwarenladen in unserer Straße. Schon der Name ‚Kolonialwarenladen‘ ließ Assoziationen von fernen exotischen Ländern aufkommen. Es gab immer noch den ‚Kolonialwarenladen‘, obwohl die deutschen Kolonien schon seit Ende des Ersten Weltkriegs nicht mehr existierten.

Hier war das Eldorado meiner jugendlichen Fantasiewelt! Eine Welt mit bunten Emaille-Schildern von tropischen Landschaften, von exotischen Gerüchen und fremden Lebensmitteln. Auf den Päckchen mit Sago stand als Ursprungsland ‚Bismarck Archipel‘ mit einem bunten Bild von zwei dunkelhäutigen Eingeborenen, die einen Baumstamm aushöhlten. Ich war als Kind fasziniert! Dort konnte man sogar Baumstämme essen!

Auf den Emaille-Schildern wurde geworben für ‚Hollandia Cacao‘, ebenso wie für Suppenwürfel und Kaffee aus der ehemals deutschen Kolonie Togo. Überseeische Erzeugnisse wie Kaffee, Reis, brauner Zucker, Kokosflocken, Grieß und Bohnenkerne standen in offenen Säcken auf dem Fußboden. Petroleum und süßen Portwein gab es vom Fass. Manchmal gab es sogar Bananen. In den großen Schubladen hinter der Theke wurden die verschiedensten Gewürze, Tabak und vieles andere lose aufbewahrt. Neben hölzernen Kaffeemühlen mit einer Handkurbel standen bunt verzierte Blechdosen in den Regalen. Dies ließ meine Kinderaugen leuchten und weckte in mir schon damals Sehnsüchte und Träume nach der großen weiten Welt.

Wir waren – und sind es noch – eine kosmopolitische Familie, die über mehrere Kontinente verstreut ist. So war es nicht ungewöhnlich, dass meine Mutter schon in jungen Jahren mehrmals im europäischen Ausland war. Mit 17 oder 18 Jahren war sie bereits ein Jahr in Toulouse in Südfrankreich. Danach war sie noch länger bei unseren Verwandten in Holland. Dort hatte meine Mutter auch die niederländische Sprache erlernt. Die Beziehungen meiner Eltern zu den Niederlanden waren eng. Meine Mutter hat schon in jungen Jahren mein Interesse für Niederländisch-Indien geweckt und das hat sich bis heute kontinuierlich verstärkt. Dieses faszinierende Land war das ferne Land, das mir seit meiner frühen Jugend am nächsten war!

Neben der Musik haben mir meine Eltern die Freude an Literatur vorgelebt. Die reichhaltige Bibliothek meiner Eltern war immer ein Anziehungspunkt für mich. Es gab viele bebilderte Bücher über die ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika und dem Pazifik. Vermutlich durch die verwandtschaftlichen Beziehungen meiner Mutter zu Holland, gab es auch viele Bücher über Niederländisch-Indien in holländischer Sprache.

Meine Eltern wollten schon in frühem Alter das Interesse ihrer Kinder für Bücher wecken. Daher wurden immer wieder gezielt Bücher in meine Reichweite gelegt, deren Bilder mich in ihren Bann zogen. Als ich noch nicht lesen konnte, faszinierten mich bereits die Fotos und Zeichnungen von Reisterrassen auf Java oder von dem tropischen Dschungel auf Sumatra. So hatte ich bereits im Alter von drei oder vier Jahren meinen ersten Kontakt mit dem heutigen Indonesien. Dieser Anreiz fruchtete, denn ich habe früh mit dem Lesen begonnen. Schon als Junge hatte ich durch die Bilder von Niederländisch-Indien das Andere, das Fremde, das Tropische im Auge. Leider haben nur wenige dieser Bücher die Wirren des Zweiten Weltkriegs überlebt.

5 Frei/Schmitz, Journalismus im Dritten Reich, S. 84

3. Meine Einschulung und Kriegsbeginn

Das Jahr 1939 war besonders ereignisreich. Ich war nun schon sechs Jahre alt und kann mich daher noch an viele Einzelheiten erinnern. Das ganze Jahr über lag schon eine besondere Anspannung über dem Land, meine Eltern lauschten fasziniert den Reden Hitlers und den Nachrichten aus dem Volksempfänger: man spürte, dass etwas passieren würde!

An vielen öffentlichen Gebäuden wurden Schilder mit der Aufschrift Juden ist der Zutritt verboten‘ aufgestellt. An der Türe unseres Kolonialwarenladens wurde ein Schild mit der Aufschrift ‚Juden nicht erwünscht‘ angebracht. Immer weniger Menschen mit dem diskriminierenden Judenstern auf der Brust waren auf den Straßen zu sehen. Damals wusste ich noch nicht, warum sie nach und nach verschwanden. Proteste gab es in der Bevölkerung gegen die Euthanasie-Programme der Nationalsozialisten, gegen die Deportation der Juden blieben sie aus!

Am 1. September 1939 war es so weit! Vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein dröhnte Hitler mit der Sondermeldung aus dem Radio: Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! Der Panzerkreuzer Schleswig-Holstein nahm die Danziger Westerplatte unter Beschuss. Schon Monate zuvor wurde immer wieder erzählt, dass die Polen die in Schlesien lebenden Deutschen unbegründet drangsalierten, vertrieben und töteten, dass sie dort schon seit März Truppen mobilisieren würden und dass die Polen einen Krieg gegen Deutschland planten. Nun sagten die Deutschen, Hitler habe die Polen oft genug gewarnt, endlich die Übergriffe gegen die Deutschen in Schlesien einzustellen. Die Geduld des Führers sei zu Ende und die Polen müssten nun endlich fühlen, wenn sie nicht hören wollten! Hitler sagte: Wir werden von nun an mit den Polen in der gleichen Sprache reden, wie sie mit uns!

Auch in Südost-Asien änderte sich mit Beginn des Zweiten Weltkriegs schlagartig das Leben der dort lebenden Deutschen. Zum Beispiel wurden in den britisch besetzten Gebieten Malaya, Singapur und Birma alle deutschen Bürger interniert. Nur wenige Tage vor Kriegsbeginn wurden einige vom Deutschen Konsulat in Singapur aufgefordert, sich schnellstmöglich auf ein im Hafen liegendes deutsches Handelsschiff zu begeben, das sie nach Batavia bringen würde. Dadurch gelang noch einigen in Singapur lebenden deutschen Männern die Flucht in das zunächst noch neutrale Niederländisch-Indien. Nach Kriegsausbruch gaben die Briten auch den deutschen Frauen und Kindern noch 48 Stunden Zeit, Singapur zu verlassen. Viele verließen mit dem niederländischen Dampfer MS Both Singapur und wurden nach Batavia gebracht.6

Diese Männer, Frauen und Kinder entgingen zunächst einer Internierung durch die Briten. Sie kamen jedoch in Niederländisch-Indien nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Niederlande vom Regen in die Traufe. In den Internierungslagern der Niederländer hatten sie ein viel schwereres Los zu ertragen.

Nur zwei Tage nach der Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutsche Reich wurde durch das Oberkommando der Kriegsmarine der zuvor erteilte Befehl zum Seehandelskrieg nach Prisenordnung wieder aufgehoben. Hitler hatte angeblich vor, nach Beendigung des Feldzuges gegen Polen wieder Frieden mit seinen Nachbarn Großbritannien und Frankreich zu schließen. Nachdem die Verhandlungen scheiterten, begann Anfang Oktober 1939 ein intensiver Seehandelskrieg.7

Heute ist mir natürlich klar, dass die Expansionspolitik Hitlers nach Osten eindeutig und von langer Hand geplant war. Die deutsche Bevölkerung wurde durch eine gezielte Propaganda auf einen Krieg vorbereitet. Hitler wollte einen deutschen Korridor bis zu dem vom Mutterland getrennten Ost-Preußen schaffen. Nur 17 Tage nach der Deutschen Wehrmacht marschierte die Rote Armee von Osten her in Polen ein. Kurz zuvor war der Hitler-Stalin-Nichtangriffspakt geschlossen worden.

Noch bevor ich in die Schule kam, nahm mich meine Mutter ab und zu mit ins Kino. In der Wochenschau zeigte sie mir stolz den ‚Führer‘ und die deutschen Soldaten, die an jedem Frontabschnitt siegreich waren. Hier sah ich, wie Bomben abgeworfen wurden, wie Granaten an der Ostfront einschlugen, wie die Feinde sich mit erhobenen Händen ergaben. Wir Kinder jubelten. Ein richtiger Krieg! Wir Kinder, aber nicht nur wir Kinder, waren beeindruckt von den Propaganda-Aufmärschen der Sturmabteilung SA der NSDAP, den gewaltigen Fahnenwäldern und den Soldaten, die im Stechschritt an Hitler vorbei defilierten.

Die Sprengung des durch die britische Marine stark beschädigten Schlachtschiffes Admiral Graf Spee durch ihren Kapitän wurde in der Wochenschau nicht erwähnt. Kurz nach Kriegsbeginn hatte der Kapitän in einer ausweglosen Lage vor der Küste Uruguays das stolze Schiff versenkt, um seiner Mannschaft das Leben zu retten. Der ‚ruhmlose‘ Untergang der Admiral Graf Spee führte bei Hitler zu einem heftigen Wutausbruch. Er wollte, dass alle Männer den Heldentod sterben sollten, nicht nur Kapitän Langsdorff, der freiwillig aus dem Leben schied.

Wie in jedem Krieg wurde auf beiden Seiten gelogen. Erfolge wurden aufgebauscht und Niederlagen verschwiegen. Aber diese Erkenntnis blieb nicht nur mir als Kind, sondern offenbar auch vielen Erwachsenen damals verborgen. Erst die heutigen Kommunikationsmittel erlauben viel weitreichendere Informations- und Aufklärungsmöglichkeiten.

Ich war sechseinhalb Jahre alt, als ich im Frühjahr 1940 in Stuttgart in die Grundschule kam. Der Schulunterricht begann mit einem lauten und deutlichen ‚Heil Hitler‘. Im Dritten Reich herrschte Grußpflicht! An besonderen Tagen, wenn die deutsche Armee wieder einen Sieg zu vermelden hatte, standen noch das Deutschlandlied‘ und das ‚Horst-Wessel-Lied‘ auf dem Morgenprogramm. Die Schule war im Dritten Reich ein Ort des Gehorsams und sie diente der Weiterverbreitung des nationalsozialistischen Gedankenguts. Überall auf der Welt ist die Jugend am leichtesten beeinflussbar und das Naziregime wusste, wie man Kinder für sich einnimmt: Wandern, Sport, Abenteuerromantik, Lagerfeuer, gemeinsames Singen, Kameradschaft!

Siegesmeldungen der deutschen Truppen wurden täglich vom Klassenlehrer verkündet; wir malten schwerbewaffnete deutsche Kriegsschiffe mit Hakenkreuzfahnen; wir sangen ‚Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg [...]‘, und man wollte uns beibringen, dass die Franzosen auf ewig unsere Todfeinde seien. Die Nationen und Rassen wurden in wertvolles und wertloses Menschenmaterial eingeteilt.

Fast täglich wurden uns in der Schule die nach dem Ersten Weltkrieg durch den Vertrag von Versailles verlorenen Gebiete aufgezählt. Das Sudetenland, Pommern, Lothringen, die ehemaligen deutschen Kolonien. Sie sollten für das Deutsche Reich zurückerobert werden. Die Lehrer sprachen von der ‚Koloniallüge‘ der damaligen Siegermächte. Wir Kinder verstanden das nicht, aber wir spürten die Spannung! Als Hitler 1936 wieder das Rheinland besetzt hatte, nahmen Großbritannien und Frankreich diesen Bruch des Versailler Vertrags ohne großen Protest hin. Hitler fühlte sich in seiner Expansionspolitik gestärkt und hoffte, dass diese beiden Mächte erneut einlenken würden.

Die Fronten verlagerten sich immer weiter nach Osten und Westen und unsere Lehrer sprachen stolz von den tapferen Soldaten an der Front und vom schnellen Endsieg. In jeder Schulklasse hing eine bunte Landkarte Europas, auf der die Lehrer täglich die Fähnchen, welche die deutsche Front markierten, weiter nach Osten und Westen schoben. Hitler kam seinem Ziel, einem neuen Europa mit einem Großdeutschen Reich als Mittelpunkt, zunächst schnell näher. Nun grüßten wir nicht nur mit ‚Heil Hitler‘, von nun an riefen wir auch ‚Sieg Heil‘. Wir Kinder wurden mit irrsinnigen heldischen Parolen trunken gemacht. Der Funke der Begeisterung sprang auf uns über, denn wir waren noch jung und konnten nicht hinterfragen, was uns die Erwachsenen sagten.

Der Blitzkrieg gegen Frankreich war im Grunde eine Fortsetzung des Ersten Weltkriegs. Er dauerte nur vom 10. Mai bis zum 25. Juni 1940. Bereits am 14. Juni 1940 fand die Siegesparade deutscher Truppen in Paris statt. Am 25. Juni 1940 wurde in Compiègne in dem historischen Eisenbahnwaggon, in dem Deutschland 1918 die Kapitulationserklärung unterzeichnen musste, das Waffenstillstandsabkommen mit Frankreich unterzeichnet. Diesmal diktierte Hitler die Bedingungen. Hitler schrie ins Mikrophon: Ich habe den Versailler Vertrag den Franzosen vor die Füße geworfen! Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und der Erniedrigung und Knebelung durch den Versailler Vertrag waren die Deutschen wieder stolz und wurden wieder gefürchtet! Das deutsche Volk jubelte!

Der Waffenstillstand kam einer Kapitulation Frankreichs gleich und teilte Frankreich in das freie Vichy-Regime im Süden unter Marschall Henry Philippe Pétain, dem Generalinspekteur der französischen Armee, und in eine deutsche Besatzungszone im Norden. Pétain reichte Hitler die Hand und bot seine Zusammenarbeit mit dem Nazi-Regime an. Er machte die Juden und die Kommunisten in Frankreich für die Niederlage verantwortlich. Ohne Widerspruch aus der Bevölkerung begann die Auslieferung der französischen Juden an Deutschland und die französischen Bürger begannen, für die deutsche Kriegsindustrie zu arbeiten. Nach Kriegsende wurde Pétain wegen seiner Kollaboration mit Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt.

Für die Aufrüstung des Militärs musste mit den Ressourcen in Deutschland sparsam umgegangen werden. Man wurde im Reichsrundfunk laufend mit Parolen ermahnt, wie:

Gas sparen hilft Siegen! Heize nicht elektrisch! Kampf dem Verderb!

Überall in den Städten und Dörfern erinnerten Plakate daran, Energie zu sparen. Die elektrische Energie wurde nun für die Kriegsindustrie benötigt. Auch vor Spionage wurde mit Plakaten wie Feind hört mit! gewarnt, in Deutschland, wie auch bei unseren Kriegsgegnern.

Ab Anfang 1940 heulten immer öfter die Luftschutz-Sirenen. Im Wohnort meiner Eltern, Stuttgart, wurden schwere Luftangriffe erwartet und die Bevölkerung sollte gewarnt werden. Zur Verdunklung wurden die Rollläden geschlossen und man nähte große schwarze Tücher, die noch zusätzlich an den Fenstern aufgehängt wurden. Kein Lichtstrahl durfte nach draußen dringen, um den feindlichen Bomberverbänden kein Angriffsziel zu liefern. Auch die Scheinwerfer der Kraftfahrzeuge wurden verdunkelt und bis auf einen schmalen Schlitz abgedeckt, damit kein Lichtstrahl nach oben dringen konnte.

Abb. 3 Deutsches Plakat ‚Feind hört mit‘ von 1941

Abb. 4 Auch britische Plakate warnten vor Spionage

Der Zweite Weltkrieg war nun vor unserer Haustüre! Anfangs waren es nur feindliche Aufklärungsflugzeuge, doch schon bald folgten die Bomber mit ihren Begleitjägern. Dann erfüllte das angsterregende Dröhnen und Brummen der in geordneter Formation anfliegenden Bombergeschwader die Luft. Die Ankündigung Churchills, Luftangriffe auf deutsche Städte zu fliegen, wurde nun Realität.

Die ersten Angriffe der RAF (Royal Air Force) erfolgten am 11. und 12. Mai 1940 auf Mönchengladbach. Darauf folgten weitere Bombardements auf Wilhelmshafen, Berlin, Hamburg und das Ruhrgebiet. Die deutsche Luftwaffe flog ab dem 7. September 1940 nun auch Angriffe auf London und ab 15. November 1940 auf Coventry. 1943 änderten die Alliierten ihre Strategie. Bisher wurden hauptsächlich militärische, strategische oder industrielle Ziele bombardiert. Betroffen waren hier besonders Essen im Ruhrgebiet, Münster und Köln. Aber nach einem Beschluss des britischen Kriegsministeriums und der Royal Air Force sollte nun gezielt die zivile Bevölkerung getroffen werden. Die Verluste sollten möglichst hoch sein, um die Moral zu untergraben. Alle Städte Deutschlands mit mehr als 100.000 Einwohnern sollten zerstört werden. Es folgten groß angelegte Flächenbombardements der Royal Air Force mit bis zu 1.000 Flugzeugen pro Angriff. Churchill bezeichnete diese Angriffe als ‚Moral Bombing‘.

Churchill wollte den Widerstand der Bevölkerung gegen Hitler stärken, aber er erreichte genau das Gegenteil. Durch die Bombenangriffe wurden das deutsche Volk und das Regime noch enger zusammengeschweißt. Selbst Bürger, die bisher skeptisch gegenüber dem Dritten Reich eingestellt waren, wollten nun durchhalten.

Erst Ende 1941, nachdem das Deutsche Reich den Vereinigten Staaten von Amerika den Krieg erklärt hatte, traten die USA offiziell in den Krieg ein. Zuvor schon hatten die USA Großbritannien massiv mit kriegswichtigem Material versorgt. Das Ziel der US-Luftwaffe war im Gegensatz zu Großbritannien zunächst nicht die Massenvernichtung der deutschen Zivilbevölkerung. Sie wollten mit möglichst wenigen, aber zielgenauen Bomben strategisch wichtige Ziele wie Produktionsstätten der Rüstungsindustrie, Raffinerien, Eisenbahnbrücken oder Stromkraftwerke zerstören. Gegen Kriegsende wurde diese Taktik aber nicht mehr befolgt und sie schlossen sich den Briten und damit dem Flächenbombardement an.

Nur wenige Menschen wissen heute noch, dass über zwei Millionen deutscher Schulkinder während des Krieges evakuiert wurden, Kinder, die oft nur sechs oder sieben Jahre alt waren, so wie ich selbst. Die Kinder aus den Großstädten wurden von den Eltern getrennt, um sie vor den Luftangriffen zu schützen. In ländlichen Gebieten wurden sie bei Familien einquartiert. Für die zwei Millionen Kinder bedeutete dies Trennung von der Mutter, oft über mehrere Jahre, mit Heimweh, Hunger und Misshandlung. Zehntausende sahen ihre Eltern nie wieder.

Ich war noch nicht einmal sieben Jahre, alt als ich von meinen Eltern und Geschwistern getrennt wurde. Erst fünf Jahre später, mit knapp 12 Jahren, durfte ich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wieder nach Hause. Hitler ist also nicht nur verantwortlich für Millionen vergaster Juden, Millionen gefallener Soldaten auf beiden Seiten, für zerstörte Landschaften und Städte, sondern auch für viele gebrochene Kinderseelen. Nach Kriegsende wurden diese Kinder vergessen. Man überließ sie ihrem Schicksal. Man hatte größere Sorgen als psychologische Betreuung.

6 Information durch den Zeitzeugen Fred Flakowski

7Bericht über Aufenthalte in Japan von Admiral P. W. Wenneker, Marineattaché Deutsche Botschaft Tokio,www.deutsches-marinearchiv.de, S. 2

4. Traumziel Niederländisch-Indien im Dritten Reich

Wie bereits erwähnt, wurde ich schon im Kindesalter durch Bilder und Zeichnungen aus Büchern meiner Eltern mit Niederländisch-Indien vertraut. In der Grundschulzeit machten Abenteuerromane aus Sumatra und Celebes bei uns Schülern die Runde. Aber mein ganz besonderes Interesse für den Archipel am Äquator hatte mein Geographie-Lehrer im Gymnasium durch seine Erzählungen über den riesengroßen Archipel verstärkt. Auch ein großer Teil der deutschen Bevölkerung war von Niederländisch-Indien und besonders von Bali verzaubert! Seit Anfangs des letzten Jahrhunderts wirkt die Insel Bali wie ein Magnet auf Maler, Musiker, Filmemacher, Schriftsteller, Schauspieler und die oberen Zehntausend.

Gregor Krause, ein Deutscher, der nach Abschluss seines Medizinstudiums eine Asienreise machte, trat in den Dienst der niederländischen Kolonialregierung ein und wirkte Jahrzehnte an verschiedenen Stellen des Archipels als Arzt, unter anderem auch um 1912 auf Bali. Er machte Bali durch seine ab 1920 erschienenen Bücher bekannt. Besonders nach seinem mit vielen Illustrationen erschienen Werk Bali: Volk, Land, Tänze, Feste, Tempel war es die vermögende Crème de la Crème der Gesellschaft Europas und der Vereinigten Staaten, die eine ganz exklusive Abwechslung von ihrem Alltag auf der Insel Bali suchte.

Den Charme der Insel machen aber nicht nur die Vulkane, die Berge, die langen Strände, die wunderschöne tropische Landschaft, die exotischen Rituale und vielen Tempelfeste, die einzigartige und nur auf Bali zu findende Hindukultur oder das trotz Äquatornähe gemäßigte Klima aus. Es sind besonders die friedlichen, freundlichen und attraktiven Balinesinnen und Balinesen, deren ganzes Leben von Magie und Religion durchdrungen ist. Bali ist ein Land der geborenen Künstler, obwohl jeder Balinese in erster Linie einem Erwerb als Reisbauer oder Handwerker nachgeht. Aber jede Arbeit wird für einen Balinesen zur Kunst, beim Bau von Reisterrassen oder beim Bau von Tempelanlagen. Bali ist eine malerische Insel, die es geschafft hat, ihre einzigartige Kultur und Tradition über Jahrhunderte hinweg zu bewahren, selbst während der 350 Jahre andauernden niederländischen Kolonialherrschaft.

Im Jahre 1931 fand in Paris eine ‚Kolonialausstellung‘, die Exposition Coloniale Internationale statt, die sechs Monate geöffnet war. Sie wurde von 35 Millionen Menschen aus aller Welt besucht. Obwohl Deutschland die Ausstellung mit dem Argument ‚Frankreich und die andern Kolonialmächte wären Ausbeuter der Kolonien‘ kritisierte, fanden dessen ungeachtet Hunderttausende deutsche Bürger – wenn nicht Millionen – den Weg nach Paris. Die deutsche Kritik hing sicherlich auch mit dem Verlust der eigenen Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg zusammen. Bücher, Filme, Bildberichte und Ausstellungen wie diese, in denen die vergangene Kolonialzeit verherrlicht wurde, waren bei den Deutschen immer noch sehr beliebt und weckten große Sehnsüchte nach fremden Ländern.

Die Kolonialmächte präsentierten auf der Exposition Coloniale Internationale stolz ihre Kolonien und deren Produkte. Sie wollten der übrigen Welt zeigen, wie ‚gut‘ es der einheimischen Bevölkerung unter ihrer Herrschaft ging. Über Profit, Ausbeutung und Erniedrigung der Einheimischen erfuhr man natürlich nichts.

Neben anderen Staaten hatten auch die Niederlande einen Pavillon, in dem die Stile des kolonialen ‚Niederländisch Ost-Indien‘ repräsentiert wurden. Neben einer javanischen Moschee gab es auch einen balinesischen Hindutempel zu sehen. In einem balinesischen Theater wurden Tänze einer Tanzgruppe aus Bali gezeigt, die unter der Leitung von Tjokorde Gede Raka Sukawati nach Paris gereist war. Tjokorde Gede Raka Sukawati war der Fürst von Ubud auf Bali und ein Mitglied des Volksraat (People‘s Council) der niederländischen Kolonialregierung. In Paris ehelichte er eine europäische Zweit- oder Drittfrau und hatte dadurch, nach seiner Rückkehr in seinem Heimatort Ubud auf Bali, für erhebliches Aufsehen gesorgt.

Entgegen anderslautenden Darstellungen in der Literatur und im Internet, war Walter Spies – der auf Bali lebende deutsche Maler und Musiker – zur Kolonialausstellung selbst nicht in Paris. Es gilt aber als sicher, dass die Tänze der balinesischen Tanzgruppe unter dem Einfluss von Walter Spies entstanden, da dieser eng mit Tjokorde Gede Raka Sukawati befreundet war. Bei künstlerischen Projekten arbeiteten die beiden immer eng zusammen. Auf Walter Spies werde ich an anderer Stelle noch zurückkommen.

Anlässlich der Ausstellung wurde von R. Goris, einem holländischen Beamten und Liebhaber Balis, die schöne Broschüre The Island of Bali: Its Religion and Ceremonies (Batavia 1931) herausgegeben. Darin sind auch Fotos von Walter Spies enthalten. Primär war diese Broschüre jedoch ein Werbeprospekt der holländischen Regierung, um den Tourismus auf Bali zu fördern.

Der Indonesische Archipel spielte schon seit dem 17. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der deutschsprachigen Literatur. In der Bibliographie deutschsprachiger Literatur über Indonesien von meinem leider schon früh verstorbenen Freund Werner Müller sind 1.962 Titel aufgeführt. Offensichtlich angeregt durch die Pariser Kolonialausstellung wurde nach 1931 ein richtiggehender Boom deutschsprachiger Literatur, die sich mit Niederländisch-Indien befasste, ausgelöst. Dieser Boom erreichte im Dritten Reich einen Höhepunkt. Diese Bücher waren Abenteuerromane, Kinderbücher, Fachliteratur, Reiseerzählungen, Kunstbände, Sprachführer, Romane, Groschenhefte, Schriften der christlichen Missionen und so weiter.

Eine Zusammenstellung der Neuerscheinungen deutschsprachiger Bücher über den Archipel von 1930 bis 1945 ist als Anlage 1 am Ende des Buches zu finden. Sie geht weit darüber hinaus, was Werner Müller über diesen Zeitraum aufgezeigt hat. Viele Veröffentlichungen der christlichen Missionen oder Werke über spezielle Sprachforschungen wurden nicht mit aufgeführt, da sie auch im Dritten Reich nicht von allgemeinem Interesse waren. Die Zusammenstellung soll lediglich einen Eindruck von der Vielzahl der Neuerscheinungen vermitteln.

Von 1930 bis Kriegsende erschienen weit über 300 neue Publikationen über den indonesischen Archipel. Selbst während der Kriegsjahre von 1939 bis 1945 waren es noch annähernd 90 Neuerscheinungen, deren Anzahl mit den Kriegsjahren allerdings stark abnahm. Auffallend ist, dass für die Region Niederländisch-Indien viele Autoren in ihren Werken schon den von dem deutschen Arzt und Wissenschaftler Adolf Bastian geprägten Namen ‚Indonesien‘ verwandten, obwohl der Archipel noch unter niederländischer Kolonialherrschaft stand. Die Nennung des Begriffs ‚Indonesien‘ für den Archipel war – wie bereits erwähnt – in der niederländischen Kolonie streng verboten.

Von vielen Autoren wurde auch oft der von dem deutschen Arzt, Zoologen, Biologen, Philosophen und Maler Ernst Haeckel geprägte malerische Namen ‚Insulinde‘ für den Archipel verwandt. Dieser malerische Begriff hat sich international leider nicht durchsetzen können.

Die Werke des Barons Victor von Plessen (veröffentlicht 1936 und1944) und von Hans Hasso von Veltheim-Ostrau (veröffentlicht 1943) erregten in Deutschland – obwohl der Krieg bereits in seiner Endphase war – noch beträchtliches Aufsehen. Neben dem Buch Bei den Kopfjägern von Borneo von Victor von Plessen erschien 1941 über diese Expedition auch der Erlebnisbericht von Dr. Walther Schreiber, Mit der Kamera unter Kopfjägern: Die Filmexpedition des Barons von Plessen ins Innere Borneos. Ein Erlebnisbericht. Der Autor hat diesen Bericht mit Zeichnungen vermutlich aus den Einträgen der Tagebücher des Barons von Plessen und seines Kameramanns Dr. Friedrich Dalsheim zusammengestellt.

Victor von Plessen war ein hervorragender Kenner Niederländisch-Indiens. Bereits 1924/25 unternahm er seine erste Bali-Expedition, bei der er den herrlichen ‚Weißen Star‘ (Leucopsar) der Insel wieder entdeckte. Seine zweite Expedition führte ihn nach Celebes (heute: Sulawesi) und zu den kleinen Inseln der Flores-See. 1930/31 drehte er in Bali seinen Film Insel der Dämonen und 1934/35, bei seiner vierten und letzten Expedition, auf der Insel Borneo den Film Die Kopfjäger von Borneo.

Abb. 5 Erlebnisbücherei Heft 24/1941, Borneo-Expedition von Baron von Plessen8

Veltheim-Ostrau war 1938 Gast bei Walter Spies auf Bali. Er schwärmt in seinem 1943 veröffentlichten Buch Tagebücher aus Asien 1937-1939 noch von Bali als dem ‚paradiesisch, friedvoll und weltfernen Eiland‘. Bei der Veröffentlichung seines Buches im Jahre 1943 operierten in den Gewässern bei Bali bereits deutsche U-Boote und nur wenige 100 Kilometer westlich von Bali, in Surabaya, waren deutsche Marinesoldaten und eine deutsche Flugstaffel stationiert. In den Gewässern Niederländisch-Indiens waren schon Tausende Seeleute, Kriegsgefangene, Internierte und Zwangsarbeiter umgekommen. Von ‚paradiesisch und friedvoll‘ keine Spur! Der Krieg war bereits in Niederländisch-Indien angekommen! Wie alle Deutschen wusste dies Veltheim-Ostrau vermutlich nicht, denn aus diesem Raum gab es praktisch keine Kriegsberichterstattung.

Besonders bei den Jugendbüchern fiel die Vielzahl der Literatur auf, in der die niederländisch-indische Region eine Rolle spielte. Die Jugendbücher von Julius Moshage, wie Weiße Kohle am Tigerberg, Bau einer deutschen Wasserkraftanlage in Sumatra oder Schätze der Südsee wurden von uns Kindern mit großer Begeisterung gelesen. Seine Bücher Die Abenteuerfahrten der Juliana‘ oder Der Zauberer von Nias, Eine Erzählung aus der Südsee