Honig und Stachel - Britta Blum - E-Book
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Honig und Stachel E-Book

Britta Blum

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Beschreibung

Manchmal muss man ganz unten sein, damit es wieder bergauf gehen kann: „Honig und Stachel“ von Britta Blum als eBook bei dotbooks. Vor zwanzig Jahren hat alles so schön angefangen: Danklef von Brüggen hat Luisa charmant den Hof gemacht und sogar ein richtiges Schloss für sie gekauft. Doch nun ist der Hochwohlgeborene meist auf Geschäftsreise und sie sitzt allein in dem großen, zugigen Anwesen. Als plötzlich Dorle, Luisas ehemals beste Freundin, vor der Tür steht, freut sich Luisa über eine neue Chance. Sie ahnt noch nicht, welches Chaos Luisa mit in ihr Haus und Leben bringt. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Honig und Stachel“ von Britta Blum. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag

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Über dieses Buch:

Vor zwanzig Jahren hat alles so schön angefangen: Danklef von Brüggen hat Luisa charmant den Hof gemacht und sogar ein richtiges Schloss für sie gekauft. Doch nun ist der Hochwohlgeborene meist auf Geschäftsreise und sie sitzt allein in dem großen, zugigen Anwesen. Als plötzlich Dorle, Luisas ehemals beste Freundin, vor der Tür steht, freut sich Luisa über eine neue Chance. Sie ahnt noch nicht, welches Chaos Luisa mit in ihr Haus und Leben bringt.

Über die Autorin:

Britta Blum arbeitete lange als Paartherapeutin, bevor sich die erprobte Vierfachmutter ganz dem Schreiben widmete. Ihre eigenen Söhne schickte Blum nicht nur zum Fußball oder Kampfsport, sondern obendrein zum Ballett und in die Tanzschule – wofür ihr die Damenwelt bis heute dankbar ist. Mit viel Herz und Augenzwinkern verarbeitet die Autorin, die im Rheinland lebt, in ihren Romanen Geschichten aus dem prallen Familienleben.

Britta Blum veröffentlicht bei dotbooks auch folgende Romane:

Babys fallen nicht vom HimmelFamilienleben auf FreiersfüßenKleine Männer sind die größtenSchräge Töne 

***

Neuausgabe September 2015

Copyright © 1999 by Verlagshaus Goethestraße GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/melaics

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-340-8

***

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Britta Blum

Honig und Stachel

Roman

dotbooks.

Kapitel 1Froschkönig werden ist nicht schwer ...

Auf dem Wasser des ehemaligen Schloßgrabens schwammen ein paar Enten. Unweit der ehemaligen Zugbrücke, die längst einer fest gemauerten Brücke Platz gemacht hatte, nistete eine Graureiherkolonie. Dort, wo die Böschung in den alten Erlenbruch überging, brüteten vom Aussterben bedrohte Kleinspechte und Blaukehlchen. In dem Teich, der zum Rosengarten gehörte und von zwei Türmen flankiert wurde, quakten Frösche. Es war das übliche Morgenkonzert, das an Werktagen wie an Wochenenden stattfand. Außerdem fiel die Sonne völlig ungehindert ins Schlafzimmer.

Klappe, dachte Luisa. Licht aus!

Eigentlich war es nicht wirklich ein Gedanke, eher schon ein Impuls, der Lusia an den ersten fünf Tagen der Woche leicht abgemildert und am Wochenende mit voller Wucht überrollte und sich, so schien es ihr zumindest, bereits in ihr vom Schlaf umnebeltes Bewußtsein bohrte, wenn ringsum noch alles dunkel und still war. Sie hatte begonnen, dieses Weckritual zu fürchten. Sie haßte und fürchtete es und wußte zugleich, daß sie sich nur lächerlich machen würde, wenn sie Danklef davon erzählte.

Danklef hatte nicht viel für ihre »Spinnereien« übrig, die er noch immer auf das Wochenbett zurückführte, das »traumatisch« gewesen war. Diesen Ausdruck hatte der Arzt in der Klinik, wo Luisa von den Zwillingen entbunden worden war, benutzt. Der Hausarzt, der sie schon von klein auf betreute, hatte sich sehr viel drastischer ausgedrückt: »Es zerreißt sie, so zart wie sie ist«, hatte er gesagt und dabei den werdenden Vater fast grimmig gemustert, so als ob dieser seiner Frau nach fast zehn Jahren vergeblichen Wartens auf den ersehnten Nachwuchs absichtlich die doppelte Füllung in den Bauch gepflanzt hätte.

Das alles lag nun gut acht Jahre zurück, aus zwei kräftigen Säuglingen waren längst zwei robuste Mädchen geworden, und es war mehr als fraglich, ob ein Trauma so lange nachwirken konnte. Trotzdem hütete Luisa sich, diesen Einwand laut geltend zu machen, weil sie sich auf diese Weise auch noch die letzte Rechtfertigung für etwas genommen hätte, was Danklef als »Spinnerei« wertete.

»Tu etwas dagegen!« pflegte er zu sagen, wenn er sie dabei erwischte, wie sie mit offenen Augen im Bett lag oder sich gar mit einer Schlafbrille gegen die Morgensonne und mit Ohrstöpseln gegen das Quaken – die Frösche waren am schlimmsten – abzuschirmen suchte. Und immer, wenn er das sagte, lag es Luisa auf der Zunge, ihm die Abschaffung seiner Frösche und den Einbau von Rolläden vorzuschlagen. Aber sie äußerte sich nie mehr laut zu dem Thema, denn er liebte seine Frösche und die ewig zugigen Räume des Schlosses fast so sehr wie seine Töchter. Selbst vor der Anschaffung eines neuen Kaminbestecks oder der Zahnspangen für die Kleinen wollte er gefragt werden. Gleichgültig wie eilig es war. Luisa hatte keine Chance, in dieser Hinsicht etwas allein zu entscheiden. Unter der Woche war Danklef zwar immer seltener daheim, doch wenn er dann am Freitagabend oder auch erst am Samstagvormittag kam, bemerkte er jede winzige Änderung.

Was würde ihn heute aufregen?

Luisa schob die Decke zurück und sprang aus dem Bett, zuckte kurz zusammen, als ihre Zehen die eiskalten Steinplatten berührten, und sah sich suchend um. Das provisorisch über die Messingvorhangstange mit den beiden Spitzenschals gehängte Reiseplaid mußte ebenso verschwinden wie die elektrische Heizdecke. Sie mußte sich beeilen, denn obwohl heute Samstag war, konnten jede Sekunde die Zwillinge angelaufen kommen, und dann wäre es zu spät. Wenn etwas Besonderes in der Luft lag, hielt es die Mädchen einfach nicht in ihren Betten, und heute hatten sie einen doppelten Grund. Ihr Vater kam heim, und obendrein hatten sie an diesem Samstag ihren ersten öffentlichen Auftritt auf der Bühne der Grundschule, an der sie die dritte Klasse besuchten.

Es handelte sich um ein Kinderballett nach dem Märchen »Schneeweißchen und Rosenrot«, und Luisa war sich nicht sicher, ob in diesem Fall tatsächlich die tänzerische Begabung über die Verteilung der beiden Hauptrollen entschieden hatte.

Zwillinge, die einander wie ein Ei dem anderen glichen, machten sich immer gut.

Und wenn sie mit Nachnamen von Brüggen hießen, machte sich das auch im Programmheft gut.

Zwei Gedanken, die Luisa beim Wegräumen von Plaid und Heizdecke mit ähnlicher Heftigkeit wie wenig zuvor das »Klappe! Licht aus!« überrollten und ihr schlechtes Gewissen schürten. Was war sie nur für eine Mutter, wenn sie ihren beiden Töchtern den Triumph nicht so ganz gönnte? Zwar nur heimlich, doch das wog kaum weniger schwer, schlüge sich womöglich in ihrem Mienenspiel nieder und verunsicherte die Mädchen.

Hör endlich auf zu spinnen, Luisa! Tu etwas dagegen!

Diesmal war es sie selbst, die den Befehl an sich richtete. Auf nackten Sohlen huschte sie in die große Küche im Parterre, griff nach der gußeisernen Pfanne, die neben Töpfen und Kuchenformen an der weißgekalkten Wand hing und begann, Speckpfannkuchen zu backen. Das Fett spritzte, auf ihren nackten Armen bildeten sich etliche rote Flecken, doch sie kümmerte sich nicht darum.

Ihre Familie mochte ein deftiges Frühstück.

Sie selbst mochte lieber Honig aufs Brötchen. Goldgelb wie flüssiger Bernstein, mild und doch würzig, eine Reminiszenz an ihre Kindheit und die Imkerei, die es gut neun Kilometer weit weg noch immer gab. Am liebsten hätte sie jetzt alles stehen und liegen lassen und wäre hingefahren, doch dazu blieb keine Zeit.

Danklef konnte jede Sekunde eintreffen.

Sarah und Laura mußten jeden Augenblick wach werden.

***

Obwohl es mehr als genug Zimmer im Schloß gab, teilten die Mädchen sich eines zum Schlafen und sogar das Bett. Egal, wie heftig sie sich tagsüber streiten mochten, nachts krochen sie wieder zusammen und entfalteten dicht aneinandergeschmiegt so viel Hitze, daß trotz Zugluft und Kälte binnen kurzem jede Decke überflüssig wurde. Gewöhnlich lag die Daunendecke morgens ebenso auf der Erde wie die Dinge, um die Sarah und Laura tags zuvor mit einer Verbissenheit gekämpft hatten, die ihre Mutter erschreckte und ihren Vater belustigte. Es verging praktisch kein Tag, an dem sich die Besitzgier der Zwillinge nicht auf ein und dasselbe Objekt richtete, und sei es nur ein glänzender Stein oder eine Feder. Später blieb es dann so lange liegen, bis Luisa oder die Putzhilfe es entsorgten. Andernfalls hätte sich das Kinderzimmer binnen kurzem in eine Müllhalde verwandelt. In ihrer Unordentlichkeit waren Laura und Sarah einander ähnlich verbunden wie im Schlaf.

»Ob er schon da ist?« Es war Laura, die das fragte, wobei selbst Personen, die tagtäglich mit den Zwillingen zu tun hatten, die beiden kaum auseinanderhalten konnten und deshalb Wert auf verschiedenfarbige Brillengestelle legten.

Laura trug nun schon die dritte blaue Brille und unterschied sich damit bereits auf den ersten Blick von ihrer Schwester, die sich für ein pinkfarbenes Modell mit lila und silbern schimmernden Punkten entschieden hatte. Eigentlich hätte Laura auch lieber etwas mit Pink gehabt, doch wie meist war sie um Bruchteile einer Minute zu langsam gewesen. Ähnlich wie bei der Geburt übernahm ihre Schwester Sarah gern die Führungsrolle und antwortete oft schon, bevor eine Frage fertig formuliert war, wohingegen die acht Minuten jüngere Laura dazu neigte, kurz zu zögern oder auch Zweifel anzumelden, was einem guten Beobachter half, die beiden auch ohne Brille auseinanderzuhalten. Wer sehr genau hinsah, bemerkte zudem minimale Abweichungen im Knochenbau. Bei aller Robustheit wirkte Laura eine Spur zarter, gelegentlich glaubte man sogar eine vage Ähnlichkeit mit ihrer Mutter wahrzunehmen.

»Glaub’ ich nicht, daß er schon da ist«, antwortete Sarah nun, es klang trotz der dem Wörtchen »glauben« innewohnenden Einschränkung sehr bestimmt. »Er kommt nie vor neun Uhr«, fügte sie hinzu.

»Hoffentlich kommt er heute nicht wieder zu spät.« Laura tastete nach ihrer blau eingefaßten Sehhilfe, ohne die ihre gleichfalls blauen Augen etwas leicht Verwaschenes, Verletzliches hatten, was um so merkwürdiger war, als haargenau dieselbe Farbe und Dioptrienzahl bei Sarah nur strahlend wirkte. Auch dieses Blau gehörte zur Erbmasse des Vaters, es fiel besonders auf, weil zu ihm, als brünettem, fast schon südländischem Typen, eher braune Augen gepaßt hätten.

»Heute doch nicht.«

»Und wenn doch? Wenn er doch zu spät kommt, so wie vorletzte Woche ...«

»Das war was anderes.«

»Wieso war das was anderes?«

»Weil es da nur um diesen komischen Preis ging.«

»Mama war ziemlich stolz darauf, daß sie den zweiten Preis für ihren Heidehonig bekommen hat.«

»Es ist gar nicht ihr Honig und deshalb auch nicht ihr Preis, so geht’s schon mal los.«

»Aber die Verpackung war ihre Idee, und heutzutage kommt es immer mehr auf die richtige Verpackung an, das sagt sogar Bruno, und die Töpfchen für den Heidehonig hat sie genauso wie die Flaschen für den neuen Honiglikör entworfen, so gesehen ist es schon ihr Preis.«

»Der Preis kommt bloß von so einem Imkerverband aus Kleinpusemuckel, das zählt nicht, und Bruno ist nur ein Emporkömmling.« Und wie um auch die letzten Zweifel aus dem Gesicht der Schwester verschwinden zu lassen: »Das sagt er auch.« Es war klar, daß mit diesem stets besonders betonten »er« immer Danklef gemeint war.

»Hauptsache, er ist heute pünktlich«, gab Laura zurück, ohne auf die vorangegangenen Worte einzugehen.

Diese Form der Kommunikation hatte den Zwillingen den Ruf eingetragen, zumindest innerlich noch immer an einer einzigen Nabelschnur zu hängen.

»Er hat es versprochen.«

»Aber neulich ...«

»Diesmal hat er es uns beiden versprochen, das ist etwas anderes. Hast du noch Kekse? Ich hab einen Mordshunger, und auf Schrippen oder Honigkuchen pfeif ich sowieso.«

»Ich glaube, es gibt heute was Gutes zum Frühstück. Es riecht nach Speck, bestimmt gibt es Pfannkuchen.«

»Damit will sie ihn herumkriegen.«

»Vielleicht ist er dann wieder öfter zu Hause.«

»Denk doch mal nach, du Pappnase! Speckpfannkuchen kann er sich auch im Hotel oder so machen lassen.«

»Aber uns gibt’s da nicht.«

»Deshalb kommt er ja immer wieder her. Er kommt nur wegen uns, wetten?«

»Und wegen dem Schloß.«

»Ja, das Schloß ist ein Problem.«

»Es ist aber auch schön und unsere Heimat.«

»Klar ist es schön, was glaubst du, warum die uns in der Schule alle beneiden? Von denen wohnt keiner in einem echten Schloß. Am besten wäre, man könnte unser Schloß in die Stadt verpflanzen, zum Beispiel nach Düsseldorf; da soll’s die schicksten Kleider geben. Oder nach Köln, wo sie jetzt pausenlos drehen, da wären wir heute vielleicht schon im Fernsehen und nicht nur auf der Bühne von so ‘ner doofen Aula.«

»Ich glaube nicht, daß Mama in die Stadt ziehen würde.«

»Muß sie ja auch nicht, sie würde uns sowieso wieder nur alles verbieten, was Bock macht. Komm, rück die Kekse raus, ich weiß genau, daß du noch welche hast.«

»Denk an die Pfannkuchen ...«

»Die verputzen wir hinterher, und dann zeigen wir denen hier in der Provinz mal, was wir so als Ballerinas loshaben.« Sarah klaubte sich gleich zwei mit Schokolade gefüllte Kekse aus der Packung, die Laura hinter dem verschnörkelten Gitter des Kamins hervorzog, der schon lange nicht mehr zum Feuermachen benutzt wurde. Ein Biß in den süßen Doppeldecker, es krümelte auf den Steinboden, ehe die Achtjährige in Pose ging; den kräftigen Hals nach hinten überdehnt, die Arme angewinkelt und die Fersen angehoben, rang sie auf den Zehen um Balance und begann zu tanzen.

Es lag nicht nur an dem flatternden Nachthemd und der fehlenden Musik, daß diese Kostprobe als »Schneeweißchen« eher komisch wirkte. Laura, die noch auf dem Bett kauerte, lachte jedoch nicht, ganz im Gegenteil, es machte sich Skepsis auf ihrem Gesicht breit. Sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob es wirklich eine so gute Idee gewesen war, die Ballettstunden gegen den Willen der Mutter durchgesetzt zu haben. Was, wenn er sie heute auslachen oder sich ihrer schämen würde? Zwei Trampeltiere, mochte er denken und noch seltener kommen. Immer seltener und irgendwann vielleicht gar nicht mehr ...

»He, du trübe Tasse, was ist mit dir los?« Sarah war leise schnaufend zum Stehen gekommen, fünf Minuten Spitzentanz strengten sie eben doch sehr viel mehr an als zwei, drei Stunden Reiten oder Radeln. Was nicht weiter erstaunlich war, weil sie und Laura mehr oder weniger im Sattel groß geworden waren, die Entfernungen von Grundstück zu Grundstück oder Dorf zu Dorfwaren praktisch nur mit Pferd oder Rad zu bewältigen. Hierzulande wußte sich jeder Bauerntölpel auf einem Pferderücken oder einem Fahrrad zu bewegen, das war nichts Besonderes, wogegen diese Ballettschule – die bereits Niederlassungen in Krefeld und Düsseldorf aufgemacht hatte – so etwas wie den Hauch der großen weiten Welt an die »Krickenbecker Seenplatte« trug.

Ein teurer Hauch, den die wenigsten sich leisten konnten, natürlich war es für jemanden wie Danklef kein Problem, seine Töchter mitmachen zu lassen. Das bezahlte er »aus der Portokasse«. Einmal hatte die Mutter, als er das sagte, pedantisch, wie sie war, darauf beharrt, daß sie selbst die Portokasse verwaltete, da hatte er nur gelacht. Eine Mischung aus Ironie und Herablassung verbarg sich hinter diesem Lachen, es war die Vorstufe zu dem Vorwurf der »Spinnerei«. Niemals wollte Laura so versponnen wie ihre Mutter werden und es riskieren, die Zuneigung des Mannes zu riskieren, um den sich, so weit sie zurückdenken konnte, alles drehte. Sie war stolz auf ihn. Allein der Gedanke, wie gleich alle wieder so tun würden, als wäre er einer aus ihrer Mitte, um dann doch mit ihrem überlauten Schnattern und Prahlen – gepaart mit verstohlenen Seitenblicken – zu beweisen, daß dem nicht so war, ließ ihr köstliche Schauder über den Rücken laufen. Ihr Vater war der Größte, und wer das nicht begriff, mußte Lehrgeld bezahlen. So war das, genau so.

***

Bis zur holländischen Grenze waren es nur noch drei Kilometer. Auf der alten Landstraße 373 war es still, das war beileibe nicht immer so gewesen, denn noch vor sieben Jahren waren hier LKW-Kolonnen durchgebraust. Erst der Bau der Umgehungsstraße hatte für die Umweltschützer zum Ziel geführt. Hunderte von Quadratkilometern mit alten Erlenbruchwäldern, zahllosen Feuchtgebieten, Hochmooren und Trockenheiden waren zum Naturschutzgebiet erklärt worden, Fauna und Flora galten als einzigartig in Westeuropa.

»Und du willst es dir wirklich nicht noch einmal anders überlegen?« fragte die Frau auf dem Beifahrersitz des neuen »Morgan Plus 8«, der haargenau so aussah wie der alte, jedoch mit etlichen Neuerungen im Innenraum aufwartete. Das begann bei den gepolsterten Knieschützern unter dem Armaturenbrett und hörte beim neuen Verdeck für mehr Kopffreiheit auf. Von Dorle Bürger waren im Moment lediglich die große Sonnenbrille und ein im Wind flatterndes Tuch, das sie sich um Kopf und Hals geschlungen hatte, zu sehen. Sie fuhren eindeutig zu schnell, so als gelte für sie keine Geschwindigkeitsbegrenzung.

»Nein, ich will es mir nicht überlegen.« Danklefs Stimme klang gelangweilt, was sie erst recht ärgerte. So konnte er nicht mit ihr umgehen, nicht mit ihr.

»Und was reizt dich so an einer Ballettaufführung in einer Aula, wo es nach Schweiß und Pipi riecht? Ich werde nie vergessen, wie es da roch, einfach übelkeiterregend, von den Leuten dort ganz zu schweigen. Lauter Spießer, das sagst du doch selbst immer. Bestenfalls Emporkömmlinge.« Und nach einer winzigen Pause: »Kommt Bruno auch?«

»Warum sollte er?«

»Vielleicht weil er es nicht ohne seine große Lehrmeisterin aushält.«

»Du scheinst noch immer nicht verwunden zu haben, daß er dich vor zwanzig Jahren hat abblitzen lassen.«

»Ich wäre sowieso nicht aus eigenem Antrieb mit ihm zum Abschlußball gegangen, die Idee stammte ...«, sie zögerte kurz: »... nicht von mir.«

»Ich weiß, Luisas Vater hatte damals die glorreiche Idee, dich mit seinem jüngsten Honigzapfer aufs Tanzparkett zu schicken.«

»Uns vier. Ihrem Vater ging es immer darum, uns komplett auftreten zu lassen. Vier Sendboten im Zeichen von Honig und Blütenstaub, er hatte sogar schon mein Ballkleid bezahlt. Echte Spitze mit grüner Seide unterfüttert, damit wollte ich allen den Kopf verdrehen. Vielleicht ist es ganz gut, daß das Kleid damals nicht zum Einsatz gekommen ist, denn wahrscheinlich wäre ich trotzdem bloß die zweite Garnitur gewesen. Du zum Beispiel hast mich nicht mal auf dem Erntedankfest zum Tanzen aufgefordert.«

»Dafür habe ich dir jetzt einen Spitzenjob verschafft.«

»Ob er Spitze ist, wird sich noch herausstellen.«

»Gemessen an deinem alten Job ...«

»Das meine ich nicht, ich rede davon, wie dumm es von dir ist, wegen einer idiotischen Aufführung in der Provinz unseren Termin in München sausen zu lassen.«

»Du wirst mich bestimmt würdig vertreten.«

Hörte sich das nur so an, als wäre dieses Kompliment nicht ohne Widerhaken? Wollte er sie warnen? Sie in ihre Grenzen verweisen? »Trotzdem«, sagte sie laut und spürte, wie es ihr die Kehle zuschnürte. Er hatte es geschafft, sie mit einer scheinbar harmlosen Bemerkung in die dumme Gans zurückzuverwandeln, die sie einmal gewesen war.

Als Luisas Vater sie mit neun Jahren zu sich ins Haus holte, bildete sie sich ein, nun würde alles anders. Sie, die Vollwaise, bekam ein Zimmer direkt neben dem von Luisa, sie wurden gemeinsam im Gymnasium angemeldet, sogar ihr Taschengeld war gleich hoch bemessen, auf den ersten Blick wurden sie völlig gleich gehalten. Doch der äußere Schein trog, denn die unsichtbare Wand, welche die Menschen auf dem Heidehof in zwei Kategorien unterteilte, blieb bestehen und grenzte sie aus. Sie brauchte nur ohne anzuklopfen in ein Zimmer zu stürmen oder eine vorlaute Bemerkung vom Stapel zu lassen, schon bekam sie zu spüren, daß sie nicht wirklich zur Familie gehörte. Sie genoß gewisse Privilegien, die sie von den Angestellten draußen unterschied, doch sie war nicht die Tochter des Hauses, egal welche Wohltaten man ihr angedeihen ließ. Sie war eine Almosenempfängerin, und wenn sie nicht artig war, zeigte man ihr ihre Grenzen. Ohne ein lautes Wort, dafür oft mit diesem leicht irritierten Blick von Luisas Mutter, wenn Dorle etwas tat, was man nur der leiblichen Tochter zugestand. Harmlose Dinge, eigentlich Bagatellen, es reichte schon, wenn sie Luisa in das Ankleidezimmer, das zwischen den Elternschlafzimmern lag – die Frühaufs schliefen getrennt, was Dorle anfangs sehr gewundert hatte –, folgte. In solchen Momenten schien Luisas Mutter sich zu fragen, was um alles in der Welt dieses fremde Geschöpf in dem Raum mit den bis zur Decke reichenden Schränken mit den Fronten aus mattem Schleiflack, dem kippbaren Standspiegel und der Frisierkommode, die jede Woche eine frische Bespannung aus duftigem Batist erhielt, zu suchen hatte. Niemals schien sie auf die Idee zu kommen, daß es Dorle verletzen könnte, wenn sie Luisa bevorzugte. Es war ja nicht nur so, daß Luisa jederzeit freien Zutritt zu diesem Raum hatte, nein, sie durfte auch selbst dieses und jenes Kleid anprobieren, sich bewundern lassen. Dann rückten die Köpfe von Mutter und Tochter immer näher zueinander, Dorle hatte es von der Terrasse aus sehr genau beobachten können. Und jedesmal, wenn die Blicke dort drinnen sich voneinander lösten und das Fenster streiften, unter dem Dorle kauerte, hatte sie einen Mordsschrecken verspürt, der später in kalte Wut umschlug. Hatte sie das nötig? War das gerecht? Einmal legte Luisas Mutter ihrer Tochter sogar die kostbare Perlenkette um, die sie selbst zur Hochzeit geschenkt bekommen hatte und die vor ihr die Mutter und davor die Großmutter von Heinz Frühauf getragen hatten. Ein Familienerbstück, das traditionsgemäß an die Erstgeborene weitergegeben wurde, sobald sie in den heiligen Stand der Ehe trat.

»Wenn du heiratest, wirst du diese Kette tragen, Luisa«, sagte die Frau und lächelte, lächelte sehr zärtlich, was selten der Fall war, denn sie war eine sehr beherrschte Frau, eben eine richtige Lady, sie hatte auch niemals in der Imkerei mitgearbeitet. Sie führte den Haushalt und verausgabte sich im übrigen in ehrenamtlichen Pöstchen und schöngeistigen Hobbys, sie veranstaltete Hauskonzerte und Literaturabende und verstand sich sogar noch auf die Bedienung des alten Spinnrades, das jeder andere allenfalls als Zierat angesehen hätte. So gesehen war es eigentlich kein Wunder, daß Luisa, die ihrer Mutter auch äußerlich sehr glich, sich in eine ähnliche Richtung entwickelte. Ein Wesen, das in diese Zeit eigentlich nicht mehr paßte.

Nichtsdestotrotz war Luisa getreu der Prognose ihrer Mutter mit zwanzig Jahren in den Genuß dieser Perlenkette gekommen. Und damit nicht genug, obendrein angelte sie sich den einzigen akzeptablen Mann weit und breit. Dann allerdings riß Luisas Glückssträhne ab, ihr Bauch blieb flach, sie wurde noch dünner, als sie ohnehin schon war, man begann bereits zu munkeln, wie lange Danklef von Brüggen dieser Kindfrau wohl noch treu bleiben würde. Auch andere Mütter hatten schöne Töchter, Dorle brauchte nur in den Spiegel zu schauen, um zu wissen, wer die Schönste war. Sie selbst war’s. Die begehrlichen Blicke der Jungs sprachen ebenso Bände wie die giftigen ihrer Geschlechtsgenossinnen, und also harrte sie weiter, übernahm nach dem Abschluß der höheren Handelsschule die Buchhaltung für den Heidehof und hoffte darauf, daß ihre Geduld sich auszahlen würde.

Bis kurz vor ihrem dreißigsten Geburtstag harrte sie aus, dann überstürzten sich die Ereignisse. Luisa von Brüggen, geborene Frühauf, wurde schwanger. Die zukünftigen Großeltern spielten verrückt, alle vier, und zogen sich schon aufs Altenteil im sonnigen Süden zurück, noch bevor die Zwillinge das Licht der Welt erblickten. Von jetzt auf gleich war man bereit, in Danklef einen würdigen Nachfolger zu sehen, wobei seine Würde sich ausschließlich auf die Tatsache gründete, daß er auf einen Schlag zwei Kinder gezeugt hatte. Es kam einer Generalabsolution gleich. Am schlimmsten von allen war Heinz Frühauf, der bei der Taufe – der Dorle fernblieb – lauthals geschluchzt haben soll. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er weniger rührselig war.

Offenbar bereitete es ihm auch keine Gewissensbisse, seine Ziehtochter um ihre Heimat zu bringen. »Du könntest bei einem guten Bekannten in Mönchengladbach arbeiten, er macht in Seide, Krawatten und so weiter, bestimmt sehr interessant«, sagte er und fügte hinzu, daß er seinen Nachfolger auf dem Heidehof ja schlecht zwingen könne, sie zu behalten. »Ich weiß nicht, was da zwischen Bruno und dir gelaufen ist, jedenfalls möchte er dich nicht übernehmen, und die nächsten dreißig Jahre hat er als der Pächter das Sagen in der Imkerei, das wirst du einsehen, nicht wahr?«

Sie war gegangen.

Und sie würde zurückkehren.

Sie war auf dem besten Weg, es gab keinen Grund, sich durch einen falschen Zungenschlag aus dem Konzept bringen zu lassen. Auch Danklef von Brüggen würde bald begreifen, daß man sie ernst nehmen mußte.

»Trotzdem?« wiederholte er nun, aus seinem Mund klang ihr Einwand von vorhin sehr kindisch, und genauso wertete er ihn auch, das bewiesen ihr sein spöttisches Auflachen und die folgenden Worte: »Das ist ein sehr weibliches Argument. Und folglich gar keines.«

»Bin ich etwa keine Frau in deinen Augen?« Sie wußte genau, daß dies die falsche Reaktion war, völlig falsch, schon wieder zeigte sie Bauchfell, ließ zu, daß er in der Wunde wühlte, die noch genauso brannte und schmerzte wie früher. Sie kam nicht dagegen an, machte es nur noch schlimmer, es waren die Worte eines in seiner Eitelkeit verletzten Weibchens, die sie gegen ihren Willen losließ. »Sehe ich etwa wie ein Neutrum aus? Willst du das damit sagen? Willst du behaupten, ich wäre gar keine richtige Frau?«

»Im Moment siehst du eher wie eine Haremsdame aus.«

Ihre Selbstverachtung schlug in Häme um. Er tat ihr weh, also würde sie ihm auch weh tun. »Und was bist du? Der Eunuch, der sich davon überzeugen muß, daß niemand ihm die Frau ausspannt?«

»Keine Sorge, mir spannt niemand etwas aus.«

»Und warum mußt du dann heute unbedingt an dieser Posse teilnehmen?«

»Wegen meiner Töchter.«

»Du könntest wenigstens nachkommen. Du weißt genau, wie wichtig dieses Treffen ist. Mano Pastorelli ist so etwas wie ein Sesam-öffne-dich zu der Kundschaft, die wir brauchen.«

»Ich bleibe.«

»Weil du es dir wieder einmal nicht verkneifen kannst, den Schloßherrn zu spielen?«

»Ich bin der Schloßherr. Und Vater. Und Ehemann. Und dein Chef.«

Darauf sagte Dorle nichts mehr. Sie hielt den Blick starr nach rechts gewandt, üppiges Grün huschte an ihr vorbei, ging endlich in eine Allee über, durch deren Blätterdach eine Turmspitze sichtbar wurde.

»Halt an! Ich steige hier aus.« Es war ein Reflex auf diesen Anblick, ihre Hand langte schon nach dem Türgriff.

»Warum hier? Ich kann dich an der Imkerei absetzen. Du wolltest doch den alten Harry besuchen, bevor du nach München weiterfährst.«

»Ich will lieber schon hier raus.« Sie riß ungeduldig an dem Griff, ihr Rock rutschte hoch, normalerweise hätte sie die Chance genutzt, ihre makellosen Beine wirken zu lassen. Diesmal nicht, sie war auch keine Sekunde lang auf Wirkung bedacht, als sie sich das Tuch vom Kopf riß und losmarschierte. Automatisch verfiel sie in den weit ausholenden Schritt ihrer Kindheit, bis ihr Schuhwerk nicht mehr mitspielte. Sehr elegant, abgestimmt auf ihre Kleidung und den Termin, an dem teilzunehmen Danklef sich so beharrlich weigerte.

Seine Absage war ein Schlag ins Gesicht für sie, bis zuletzt hatte sie gehofft, ihn noch umstimmen zu können. Wäre sie sonst an seiner Seite in die alte Heimat zurückgekommen, und sei es nur auf eine halbe Stunde? Die Stippvisite beim alten Harry war lediglich ein Vorwand, sie wollte nichts, absolut nichts mehr mit den Menschen zu tun haben, die sie an jene Zeit erinnerten. Dabei war Harry eine Seele von Mensch. Oft genug hatte er sie vor dem Jähzorn des Mannes bewahrt, dessen Namen sie trug und dessen Job er schließlich übernommen hatte. Es wäre nicht klug, sich ausgerechnet jetzt sentimentalen Gefühlen hinzugeben. Besser, sie schickte ihm eine Kiste Zigaretten oder Wein, davon hatte er mehr als von ihrem Besuch im »Heidehof«, wo sie geboren und aufgewachsen war. Die Bezeichnung »Heimat« wäre für diesen Ort der blanke Hohn, und Danklefs knappes »Ich bleibe« setzte allem die Krone auf. Seine Abfuhr hieb in haargenau die Kerbe, die zuvor Frühaufs geschlagen hatten, doch mittlerweile war sie klüger, viel klüger. Sie sagte es sich vor: Aus Schaden wird man klug. Sie war klug geworden. Sie war klug und schön. Sie war auf dem besten Weg, Furore zu machen, und das keineswegs nur im Job. In Gedanken war sie schon ganz oben angekommen ...

PLOP. Ein tückisches Gurgeln, ein Bleigewicht schien sich an ihren Fuß zu hängen, sie steckte mit einem Absatz im Morast fest. Wie sie diesen Boden haßte, bei dem der Wasserpegel oft nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche stand. Ein Paradies ihr Pflanzen und Tiere und Spinner, sie selbst zählte zu keiner dieser Kategorien.

»Soll ich dir helfen?« rief es hinter ihr.

»Spar dir die Mühe!« Sie sah sich nicht um, sondern nickte und zog mit aller Kraft, bis der Boden sie endlich schmatzend freigab. Sie ging weiter, ohne den Brocken feuchte Erde von ihrem Absatz zu lösen, was jeden Schritt zur Mühsal machte. Sie würde sich rächen, es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihr Stück vom Kuchen bekäme. Ein dickes Stück, das allerdickste, und dann würden sie aufhören, sie mit Almosen abzuspeisen.

Die kleine Bürger, deren Vater ein notorischer Säufer und Schläger gewesen war.

Die kleine Bürger, die es lediglich dem Großmut von Luisas Vater zu verdanken hatte, daß sie nach dem Tod der Eltern aus der Wohnung über der Garage ins Haupthaus der Imkerei hatte umziehen und mit Luisa und Danklef und Bruno das Gymnasium besuchen dürfen.

Wenn die wüßten ...

***

Obwohl er nun schon fast acht Jahre lang sein eigener Herr war und ebenso lange in dem alten Backsteinhaus mit den grünen Holzläden und der Blutbuche, deren herabhängende Zweige die Balustrade der Terrasse berührten, wohnte, hatte Bruno Spaten noch heute manchmal das Gefühl, lediglich auf Probe hier zu sein. Dabei würde sein Pachtvertrag erst in zweiundzwanzig Jahren auslaufen. Ohne jemals mit Luisa darüber gesprochen zu haben, stand fest, daß die Ära »Frühauf« vorbei war, soweit sie den »Heidehof« betraf. Für die beiden Enkel des alten Frühauf gab es längst andere Pläne, daran ließ der stolze Vater von Laura und Sarah keinen Zweifel. Die »Honigmolkerei« des Schwiegervaters war gerade mal gut genug gewesen, um dieses Schloß halbwegs bewohnbar zu machen und die Handwerker zu bezahlen, die zugleich mit den neuen Rechnungen alte Forderungen anmahnten. Für den alten Grafen hatten sie bis zu dessen Tod jahrelang auf Pump gearbeitet, eine Tradition, die sie bei dessen Nachfolger keineswegs fortzusetzen gedachten.

»Schloßherr Danklef von Brüggen«, Bruno sagte es laut, es gab keinen guten Klang in seinen Ohren und noch viel weniger in seinem Herzen. Auch wenn er sich immer wieder selbst zur Ordnung rief, sich der Mißgunst bezichtigte, änderte sich daran nichts. Dabei erschien es ihm keine einzige Sekunde lang erstrebenswert, mit Danklef zu tauschen. Nicht, soweit es dessen Rolle als Schloßherr betraf. Wobei Bruno zugeben mußte, daß sein ehemaliger Klassenkamerad diese Rolle perfekt beherrschte, gerade so, als wäre er damit groß geworden, was keineswegs stimmte. Danklef hatte nur den Dreh heraus, wie man sich stets neue Geldquellen erschloß. Zuerst die Imkerei seiner Schwiegereltern, dann die Gärtnerei seiner Eltern und Luisa. Letztlich hatte Danklef es seinem Einfluß auf Luisa zu verdanken, daß er heute dort stand, wo er stand.

Bruno trat an das handgeschnitzte Geländer der Terrasse und beugte sich vor, es sah aus, als wolle er die beiden durch üppiges Blattgrün brechenden Turmspitzen näher zu sich heranholen. Aber die Entfernung täuschte, es waren gut und gerne neun Kilometer bis zu dem Schloß, zu dem ehemals sowohl die Imkerei wie auch die Gärtnerei gehört hatten. Schnee von gestern, der alte Graf hatte sich nach und nach von seinem Landbesitz trennen müssen, zuletzt war nur noch dieses alte Gemäuer geblieben, das niemand haben wollte. Die Unterhaltskosten waren immens, über jede verrostete Türangel wachten die Denkmalschützer. Nach dem Freitod des Grafen, dessen Ahnengalerie bis zurück ins elfte Jahrhundert reichte und die sogar Verästelungen zum Geschlecht der Krickenbecks aufwies, die dieser Region den Namen gegeben hatten, war der Adelssitz in den Besitz der Kommune übergegangen. Nachdem die vergeblich nach einem potenten Käufer Ausschau gehalten hatte, war das Schloß für eine symbolische Mark – plus Altlasten – angeboten worden. Danklef hatte zugegriffen, prompt wurden Wetten darüber abgeschlossen, wie lange er finanziell durchhalten würde.

Acht Jahre waren eine verdammt lange Zeit, dachte Bruno und ließ seine Augen zwischen den beiden fernen Türmen und dem Frühstückstisch unmittelbar neben sich pendeln. Als er noch ein Junge war, hatte es nichts Schöneres für ihn gegeben, als ab und zu mit Luisa und ihren Eltern an diesem von Buschrosen umrankten Tisch sitzen zu dürfen. Eine Idylle voller Wohlgerüche, eingefangen in dem Honig, der bei keiner Mahlzeit fehlen durfte. Honigkuchen, Milch mit Honig, Honig aufs Brötchen, sogar Honig im Tee, auch Honigkerzen gehörten dazu. Seine Hand ergriff die Bienenkönigin aus Keramik, in deren Bauch exakt ein Standardglas hineinpaßte. Für diesen Entwurf hatte Luisa den zweiten Preis bekommen. Wenn es nach ihm, Bruno, gegangen wäre, so hätte man ihr den ersten Preis zuerkannt. Nicht nur in diesem Falle. Fast zärtlich streichelten seine Finger über die Konturen aus gebranntem Stein.

Ob ihr Mann wenigstens heute pünktlich sein würde?

Zögernd setzte sich Bruno an den Tisch, schenkte sich Tee ein, verrührte zwei Teelöffel Heidehonig in der dampfenden Flüssigkeit, begann ein Brot zu streichen, biß einmal ab, stand auf–und setzte sich wieder hin. Die Vorstellung, ins Schloß zu fahren und dort womöglich mit Danklef zusammenzutreffen, war ihm zuwider. Andererseits wäre es noch schlimmer, wenn Luisa tatsächlich vergeblich wartete und deshalb zu spät käme. So wie letzte Woche, als er an ihrer Stelle den zweiten Preis entgegennehmen mußte. Ohne zu bemerken, was er da tat, löffelte er weiter Honig in seine Tasse und merkte nicht einmal, wie der Tee über den Rand auf die Untertasse und von dort auf das Tischtuch schwappte.

***

Jedesmal, wenn Danklef das schmiedeeiserne Tor öffnete, durchzuckte ihn ein unbeschreibliches Gefühl von Stolz. Deshalb weigerte er sich auch, dieses im Grunde unnütze Tor zu beseitigen, lieber zahlte er regelmäßig für einen neuen Anstrich und ließ die Scharniere alle naselang ölen, was nichts daran änderte, daß die beiden Flügel quietschten und schwergängig blieben. Insgeheim befriedigten diese scheinbaren Mängel Danklef sogar, bewiesen sie doch, wie altehrwürdig und massiv alles an seinem Besitz war.

Ein Traum, er hatte sich vor nunmehr acht Jahren einen Traum erfüllt, der alle Pläne übertraf, die er als junger Mann geschmiedet hatte. Die meisten hatten ihn damals nicht ganz für voll genommen, wenn er gelegentlich der Versuchung erlag, diesen oder jenen Plan für die Zukunft zu skizzieren. Die Mädels hatten bloß albern gekichert, und seine Klassenkameraden hatten ihn hinter seinem Rücken einen Aufschneider genannt. Das hatte ihn vorsichtig gemacht. Er hatte gelernt zu schweigen, was nicht eben einfach war, weil jeder Mensch ein Ventil für seinen Überschwang braucht. Ohne jemanden, der einem zuhörte und bewundernd nickte und so für die nötige Rückendeckung sorgte, war es verflixt schwierig, Visionen in die Tat umzusetzen. Für ihn hatte es lange Zeit keinen einzigen Vertrauten gegeben, nicht einmal in seiner eigenen Familie hatte er Gehör gefunden. Die Eltern gaben sich mit einem neuen Stück Land für die Gärtnerei und einem Stand auf dem Markt in Gier und einem Auftrag für die Wartung der städtischen Grünanlagen zufrieden und senkten schon verschämt die Stimme, wenn von einem Alterssitz im Süden die Rede war. Erst als er nach etlichen frustrierenden Abenteuern mit Mädchen aus seiner Schule und Zufallsbekanntschaften aus der Stadt und dem Deal mit einem Schieber – deswegen wäre er fast vor dem Jugendrichter gelandet – die Qualitäten seiner kleinen Elfe entdeckt hatte, war es aufwärts gegangen mit ihm.

Ob sie noch schlief?

Bei der Vorstellung, wie er sich ins Schlafzimmer schliche, aus seinen Kleidern schlüpfte und ihr bewiese, daß er noch immer und überall der Größte war, regte sich genau jene Gier in ihm, die Dorle Bürger eben vergeblich aus ihm hervorzulocken versucht hatte. Dabei hatte das Mädel alle Voraussetzungen dafür, einen Mann in Stimmung zu bringen.

Hübsch war sie schon immer gewesen, so weit er zurückdenken konnte, hatte sie nie übermäßig viel Babyspeck und auch keine Zahnklammer oder Pickel gehabt, und bereitwillig war sie schon mit fünfzehn, sechzehn gewesen, vielleicht hatte ihn genau das gestört. Sie war sogar mehr als bereitwillig gewesen, fast dreist, so als verfolge sie ein festes Ziel, doch gleichzeitig hing ihr das Stigma der »kleinen Bürger« an, deren Vater ein notorischer Säufer und Schläger gewesen war. Die Tatsache, daß ihre Mutter fünf Jahre nach der Geburt ihrer Tochter einem Bienenschwarm zum Opfer gefallen war, hatte Dorles Reize kaum erhöht. Es wurde so allerlei gemunkelt darüber, warum eines der hübschesten Mädchen aus der Region oft genug übergangen wurde, wenn es darum ging, sich offiziell für eine Begleiterin zum Ball oder zum Schützenfest zu entscheiden. Ein- oder zweimal war ihm damals der Gedanke gekommen, sie seiner Sammlung einzuverleiben, ohne daß jemand etwas davon mitbekäme, doch zum Glück hatte er diesem Impuls nicht nachgegeben.

Das Schicksal hatte ihn für seinen Verzicht belohnt, als es ihm und Luisa noch in demselben Winter den Bus vor der Nase wegfahren ließ, der nur stündlich zwischen Krefeld und Bracht, wo der Heidehof lag, verkehrte. Sie waren schon unzählige Male zusammen mit diesem Bus gefahren, doch ausgestiegen waren sie bis dahin immer getrennt, er eine Station vor ihr in Gier. Diesmal war er sitzen geblieben, als der Fahrer als nächste Station Gier ankündigte. Er hatte das Mädchen, das er von klein auf kannte, nach Hause begleitet und war von diesem Tag an ein regelmäßiger Gast bei den Frühaufs. Obwohl er erst siebzehn und Luisa sogar noch ein Jahr jünger war, stand schon nach wenigen Monaten für alle fest, daß aus ihnen beiden einmal ein Ehepaar werden würde. Kein Fest, das sie fortan nicht gemeinsam besuchten, und ehe sie es sich versahen, waren sie verlobt. Ein paar böswillige Zungen behaupteten, hier hätten sich zwei mittelständische Betriebe gesucht und gefunden, doch das stimmte nicht

Es war Liebe gewesen. Keine Liebe auf den ersten Blick, weil der ja bereits bei der Einschulung gewechselt worden war. Es hatte einer Stunde Wartens in eisiger Kälte bedurft, um ihm zu zeigen, daß die einzige Tochter von Heinz Frühauf keine von vorne und hinten verhätschelte Zimperliese war, die der kleinste Windhauch umpustete. Doch der äußere Anschein trog. Luisa war zart gewesen, das schon, noch zarter als heute, sie wirkte zerbrechlich und für ihr Alter unterentwickelt, vorne nichts und hinten nichts, ihre grauen Augen schienen immer leicht geistesabwesend, doch wenn jemand in ihrer unmittelbaren Nähe Zoten riß, so konnte sie den Betreffenden auf eine Weise ansehen, die ihm das Blut in den Kopf schießen ließ und ihm die Lippen versiegelte. Das war kein empörter oder eisiger Blick, keineswegs, eher schon verriet er Staunen darüber, wie jemand so reden konnte. Hast du das nötig? fragte dieser Blick. Oft genug war Danklef Zeuge geworden, wie dieser und jener großmäulige Knabe sich plötzlich ein Bein ausriß, um Luisa zu gefallen, was jedoch ähnlich an ihr abzugleiten schien wie die eisige Kälte an jener Busstation.

»Du hast schon ganz blaue Lippen«, hatte er gesagt und überlegt, ob er ihr seine Handschuhe überlassen sollte. Schließlich waren ihre Eltern miteinander befreundet.

»Das macht nichts«, sagte sie, »ich stelle mir einfach vor, es wäre schon Sommer und ich säße bei uns auf der Terrasse.«

»Wie kann man sich bei Minustemperaturen im tiefsten Winter vorstellen, es wäre Sommer?«

»Man kann sich alles vorstellen, tust du das nie? Stellst du dir nie vor, wie es wäre, wenn du – na, sagen wir – im Schlaraffenland lebtest und keine Algebraaufgaben lösen müßtest und nie einen Platten mit dem Fahrrad hättest und die Sprache der Bienen verstehen könntest? Oder der Blumen, bei euch daheim sind ja wohl Blumen wichtiger, allerdings finde ich Blumen einfach nicht so lebendig, weil sie nicht summen und tanzen können. Ich glaube, am liebsten wäre ich eine Bienenkönigin. Und du? Was wärst du gerne?«

»Ich werde Millionär.«

»Das ist langweilig.« Ihre grauen Augen hatten sich wieder verschleiert, das lebhafte Funkeln darin war erloschen.

»Das ist kein bißchen langweilig, ich meine ja nicht, daß ich einfach einen Berg Geld haben werde.« Und dann hatte er angefangen, von seinen Plänen zu sprechen, auch wenn er wußte, daß er sie besser für sich behielte, wenn er nicht als Aufschneider abgestempelt werden wollte. Wie durch ein Wunder war das Funkeln in ihre Augen zurückgekehrt, sie hatte ihm ohne einen Mucks zugehört, sogar ihre Lippen bekamen wieder Farbe, und als der Bus neben ihnen hielt, wären sie fast nicht eingestiegen, der Fahrer mußte mehrmals hupen. An jenem Nachmittag im Februar war Luisa den bunten Bildern erlegen, die er vor ihr ausgebreitet hatte. Was er damals in ihren Augen gelesen hatte, war Bewunderung, eine schier grenzenlose Bewunderung. Damals hatte sie ihm blind geglaubt.

Und heute?

Heute, wo sie alles besaß, wovon andere nur träumen konnten, behauptete sie, in seinem Schloß zu frieren und von der Morgensonne und dem Froschkonzert im Teich geplagt zu werden. Und das war längst noch nicht alles. Sie glaubte nicht mehr bedingungslos an ihn, unmerklich schlichen sich Vorbehalte ein. Wenn er davon erzählte, wie er das Tief, mit dem keineswegs nur seine Gärtnerei konfrontiert wurde, bald auffangen und ins Gegenteil verkehren würde, meldete sie immer öfter, in kleinen Nebensätzen oder auch nur mit diesem umflorten Blick, Zweifel an. Hatte sie einen Grund zu zweifeln? War nicht sogar ihre Sehnsucht nach einem Kind in Erfüllung gegangen? Nun hatte sie gleich zwei prachtvolle Mädchen und einen Wohnsitz, gegen den das Schlaraffenland eine Einöde war, und trotzdem hatte sie nichts Besseres zu tun, als heimlich wie ein Maulwurf überall Löcher aufzuwühlen.

Als er mit seinen Gedanken an dieser Stelle angekommen war, war ihm die Lust, Luisa mit seiner Manneskraft zu wecken, gründlich vergangen. Fast schon bedauerte er es, Dorles Angebot nicht angenommen zu haben. Nicht die erotische Offerte, davor warnte ihn sein Instinkt, aber immerhin hätte er zustimmen können, als sie ihn darum bat, ihr nach dem Auftritt seiner Töchter nach München zu folgen. Ein wichtiger Termin, soviel stand fest. Vielleicht würde heute abend die Entscheidung über die Zukunft seiner neuen Geschäftsidee fallen. Luisa mußte sich gewaltig anstrengen, um ihn für seinen Verzicht zu entschädigen.

***

Noch bevor die ersten Schritte in der Halle erklangen, die über fünf Meter hoch und doppelt so lang war und einen phantastischen Resonanzraum für die winzigsten Geräusche bot, strich kalte Zugluft an Luisas nackten Beinen hoch. Ein unmißverständliches Zeichen dafür, daß sich das Eingangsportal geöffnet hatte. Danklef war eingetroffen. Er war früh dran, heute war er früh genug heimgekehrt, die Zeit reichte für ein gemütliches Familienfrühstück, sie hatte sich nicht umsonst in aller Herrgottsfrühe an den Herd gestellt. War das nicht schön? Sie sagte sich, daß es wunderbar wäre, und kämpfte die Angst nieder, die nichts weiter als die Angst vor der Angst war. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen, und wenn sie jetzt fror, so war sie selbst schuld, auch das redete sie sich ein. Es war einfach verrückt, im dünnen Nachthemd und ohne Hausschuhe am Herd zu stehen und Speckpfannkuchen zu backen. Kein Wunder, daß Danklef manchmal meinte, sie spinne.

Nun mußte er an der Treppe angelangt sein, die zu den Schlafräumen hochführte, offenbar war er stehengeblieben und schien zu überlegen, ob er hochgehen sollte.

»Ich bin hier hinten«, rief sie laut, »in der Küche.« Während seine Schritte näherkamen, versuchte sie sich vorzustellen, wie ihr Anblick auf ihn wirken würde. Sie bedauerte nun, sich nicht zuerst angezogen und gekämmt zu haben, bestimmt sah sie wie ein gerupftes Huhn aus, und verfroren obendrein. Kaum so, wie ein Mann sich das wünscht, wenn er nach fünf Tagen »Klinkenputzen« heimkommt.

»Du solltest froh sein«, hatte er noch neulich gesagt, »daß ich mich nicht auf meinen Lorbeeren ausruhe und zusehe, daß meine Firma auch in Zukunft Produkte anbietet, die gefragt sind.« Genau so hatte er sich ausgedrückt, als sie ihn daran erinnerte, daß er schon etliche Wochen mit den Arbeiten vor Ort in Rückstand wäre. Würden seine an regelmäßige Pflege gewöhnten Gewächse in der Gärtnerei begreifen, daß plötzlich Potpourris aus getrockneten oder sonstwie veredelten Blumen den Vortritt hatten? Zugegeben, sie hatte keine Ahnung davon, was die Leute in der Großstadt zu kaufen bereit waren, aber Danklef hatte Recht, was die Entwicklung der Auftragslage im alten Sortiment betraf. Der Absatz stagnierte, egal ob es um Kletterpflanzen, Nadelgehölze, Stauden oder Schnittblumen ging. Das galt zum Glück nicht für den Honig vom »Heidehof« und die von ihr selbst beigesteuerten Behälter, denn sonst wüßte sie nicht, wie sie über den Monat kommen sollte.

War sie tatsächlich blind für die Zeichen der Zeit?

Manchmal glaubte sie das selbst, und am schlimmsten war, daß sie nicht die geringste Lust verspürte, sich mit Keramiktöpfchen »Made in Hongkong« oder Seidenblumen oder anderen Kunstprodukten anzufreunden, egal wie lukrativ und trendgerecht das war. Die Krickenbecker Seenplatte war ihre Heimat, die liebte sie, und wenn sie träumte, dann kreisten diese Träume um eine Bienenkönigin, die im Gegensatz zu einer echten kein Männchen das Leben kostete und auch niemals von einer jüngeren Nachfolgerin verdrängt wurde. So wie im Märchen sollte es sein: Und fortan lebten sie glücklich und zufrieden ...

Draußen polterte etwas, das Geräusch holte sie in die Gegenwart zurück. Danklef war schon wieder über das Radio gestolpert, das sie des besseren Empfangs wegen in den Durchgang von der Halle zum Küchentrakt gestellt hatte. Gleich ist er da, dachte sie, dann ertrank ihr Denken in einer Flut auf sie einstürmender Gefühle, die alle Bereiche von Angst bis Sehnsucht abdeckten. Ihr Herz hämmerte wie verrückt, sie bemerkte nicht einmal den beißenden Geruch, der ihr direkt in die Nase stieg, und sie sah auch nicht, wie sich der eben noch goldgelbe Teig schwarz färbte.

»Und was machst du an einem Samstagmorgen in aller Herrgottsfrühe in der Küche?«

»Speckpfannkuchen, die magst du doch so gerne. Oder magst du die auch nicht mehr?« Der Pfannenwender fiel ihr aus der Hand, streifte ihre Füße und hinterließ einen Fettfleck auf den Fliesen.

»Das da sieht eher wie eine Attacke auf meine Leber aus.« Danklef schob seine Frau kurzerhand beiseite, ergriff die schwere Pfanne und stellte sie mitsamt Inhalt in das ins Mauerwerk eingelassene Steinbecken, das ebenso authentisch war wie die seitlich installierte Pumpe, die mit dem Brunnen draußen korrespondierte. Er genoß diesen Anblick, dafür nahm er gern ein paar Unbequemlichkeiten in Kauf. Niemand von all den Leuten, die er kannte, besaß so etwas, und jeder, dem er auch nur ein Foto von dieser Pracht zeigte, reagierte mit Bewunderung. Da machten die Schickimickis, mit denen er ins Geschäft kommen wollte, keine Ausnahme. Seine spontane Freude gewann die Oberhand über den Ärger, der ihn gelegentlich überkam, wenn Luisa sich allzu ungeschickt anstellte. Manchmal meinte er, sie wolle ihn damit doch noch zu einem dieser seelenlosen Küchenlaboratorien oder anderen modernen Errungenschaften überreden. Dabei wußte er, daß nur wenige Menschen so frei von arglistiger Verstellung waren wie seine Frau, und genau das liebte er an ihr, dafür verzieh er ihr sogar ihre Ungeschicklichkeit. Sie sollte ihm blind vertrauen und an ihn glauben und sich von nichts und niemand gegen ihn aufhetzen lassen.

Ob Bruno es tatsächlich wagte, Zwietracht zwischen sie zu säen?

Jeder außer Luisa selbst wußte, daß Bruno schon in sie vernarrt war, als er noch in kurzen Hosen die Schulbank neben ihr drückte. Lediglich Luisa hielt ihn für einen »guten Kumpel«, eine Art Seelenfreund, über dessen Liebesleben sie sich ebensowenig Gedanken machte wie über den Klatsch, der hierzulande üppig kursierte. Er als ihr Ehemann könnte sie bitten, auch noch die letzte Verbindung zum »Heidehof« zu kappen. Für ihn stand außer Frage, daß sie ihm diesen Gefallen tun würde, wenn er sie nur zärtlich genug darum bäte. Auf diese Weise hatte er sie auch dazu gebracht, den Hof ihrer Eltern für dreißig Jahre an Bruno zu verpachten um damit die notwendigsten Sanierungsarbeiten an seinem Schloß zu finanzieren. Noch lieber wäre es ihm gewesen, sie hätte gleich ganz verkauft, doch in diesem Punkt war sie stur geblieben.

Die Anspielung von Dorle ging ihm nicht aus dem Kopf.

»Und was bist du? Der Eunuch, der sich davon überzeugen muß, daß niemand ihm die Frau ausspannt?«

Dorle war das genaue Gegenteil von Luisa, sie war die geborene Intrigantin, und außerdem war sie scharf auf Geld und auf ihn. Das machte sie zur idealen Geschäftspartnerin. Sie würde sich ein Bein ausreißen, um dieses Meeting heute abend in München in einen Erfolg münden zu lassen. Es war vielleicht gar nicht einmal schlecht, daß sie allein hinführe, denn wenn man den Gerüchten glaubte, war dieser Mano Pastorelli für weibliche Reize ebenso empfänglich wie für eine schnelle Mark. An diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt, hob sich Danklefs Laune wieder, er schaltete nun endgültig auf die Rolle des Landadligen um und war willens, einen mißglückten Pfannkuchen als das zu nehmen, was er war: Ein Beweis für Luisas unveränderte Liebe und ihren guten Willen, ihn zu verwöhnen. Er brauchte sich keine Sorgen zu machen.

»Alles halb so wild«, sagte er laut und unterdrückte das Lachen, das nichts weiter als die Reaktion auf Luisas erschrockenes »Oh!« angesichts der verkokelten Teigfetzen, auf die nun Wasser floß, war. Gleichzeitig schlug sie sich die Hand vor den Mund. Sie war wirklich noch ein Kind, in mancher Hinsicht sogar noch weltfremder als die Zwillinge, weshalb sie den beiden wohl auch zunehmend weniger gewachsen war. Er würde das schon deichseln. Hauptsache, hier bliebe alles beim alten.

»Tut mir leid, das wollte ich nicht. Aber die anderen Pfannkuchen sind okay, sie stehen schon auf dem Tisch.« Luisa redete schnell, viel zu schnell, sie merkte selbst, wie kindisch ihr Verhalten auf ihn wirken mußte. Es gab Momente, in denen sie sich selbst haßte, wenn sie in seiner Gegenwart hilflos und unbeholfen wie eine Stoffpuppe wurde. Damit mußte Schluß sein. Sie steuerte auf den blankgescheuerten Tisch zu, an dem mühelos ein Dutzend Leute Platz fänden. Sie hatte an dem Ende gedeckt, das im Gegensatz zum größten Teil der Küche genug Tageslicht abbekam. In der Mitte stand die große Holzplatte, auf der sich sechs goldgelbe Pfannkuchen türmten, der Steingutkrug mit frischer Buttermilch und das Stövchen für den Tee waren an den Rand gerückt. Es war herrlich, aus der dunklen Kälte ins Helle zu treten, sich von der Sonne kitzeln zu lassen, sie entspannte sich.

»Hm!« sagte es hinter ihr.

»Sie sind wirklich gut gelungen, nicht wahr? Ich habe Schinkenspeck genommen ...«

»Das meinte ich nicht.« Zwei Hände umschlangen von hinten ihre Brüste, rieben sie sanft, erinnerten sie daran, wie schön es war, wenn er sie so zart streichelte. Oftmals, wenn sie allein in ihrem Bett lag, suchte die Erinnerung an diese Berührungen sie heim und ließ sie sogar vergessen, wie gut es tat, in seiner Abwesenheit die Ohrstöpsel benutzen und das Fenster verhängen zu dürfen. Einerseits war es gut, wenn er nicht da war, anderseits war es schlecht. Sie konnte sich einfach nicht entscheiden, was überwog.

»Oh!« sagte sie noch einmal.

»Weiß du, woran ich eben gedacht habe, als ich durchs Tor ging?«

»Daß du es dir überlegt hast und es endlich doch wegkommt? Sarah hat sich schon wieder eine Hose daran kaputtgerissen, und dieses Quietschen geht einem wirklich durch Mark und Bein. Die Mittelstange bekomme ich auch kaum noch gelöst.«

»Nein, das war es nicht, du weißt doch, wie wichtig es ist, hier alles in seinem ursprünglichen Zustand zu erhalten. Ich habe an dich gedacht, Luisa. Wie ich leise die Treppe hochgehe und dich wecke. So.« Diesmal griff er ungestüm zu, sein Becken preßte sich von hinten gegen ihr dünnes Nachthemd, automatisch suchten ihre Hände zwischen Tellern und Bechern Halt, der Geruch des Specks stieß ihr würzig in die Nase, der Druck ließ kurz nach, ein metallisches Ziepen, dann strich ein Lufthauch an ihren Beinen hoch: »Hast du mich nicht vermißt, Luisa?«

»Ich ... die Kinder ... sie können jeden Augenblick hereinkommen.«

»Hast du vergessen, wie laut die Treppe bei jedem Schritt quietscht? Die Treppe ist unsere Verbündete, bis die Mädels unten angekommen sind, sind wir längst fertig.« Luisa nickte.

Als wenig später die Zwillinge in die Küche stürmten, war Luisa schon damit beschäftigt, die Spüle und den Herd zu säubern. Zwischen ihren Beinen klebte es, kein schönes Gefühl, und auch sonst fühlte sie sich nicht gut. Dabei hatten sie gerade das getan, was man »Liebe machen« nannte. Ihr erschien es aber als Betrug, so wie die Frösche dort draußen im Teich, die eine Idylle vorgaukelten, die es nicht gab.

»Ich gehe mich anziehen, fangt ruhig schon ohne mich an.«

»Vergiß das Waschen nicht, Luisa!« Danklef blinzelte, die Zwillinge kicherten los, als ob sie begriffen, worauf ihr Vater anspielte. Luisa spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Klappe! dachte sie. Licht aus! Noch während ihr diese beiden Kommandos durch den Kopf schossen, wurde ihr bewußt, wie man ihr Verhalten nennen könnte. Labil. Konfus. Laura und Sarah nannten es »von der Rolle sein«. Zum Glück hatte sie nicht laut gesprochen, trotzdem fühlte sie sich genau so: völlig von der Rolle.

***

Als der Ostturm vor ihm so nah war, daß er den Kopf zurücklegen mußte, um die Spitze zu erkennen, bemächtigte sich Brunos fast genau jene prickelnde Aufregung, die er vor bald dreißig Jahren immer dann gespürt hatte, wenn er zusammen mit Luisa, Dorle und Danklef einen Streifzug über das Terrain wagte, das unmittelbar zum Schloß gehörte. Es war durch einen schon damals ausgetrockneten Wassergraben sowie eine hohe Mauer von den umliegenden Ländereien abgegrenzt. Mittlerweile wuchsen in dem Graben Farne, Kugeldisteln und Tollkirschen über einen Meter hoch, vereinzelte Spuren verrieten, daß dieser Ort auch heute noch eine magische Anziehungskraft auf Kinder ausübte. Wobei der alte Schloßherr sehr viel nachsichtiger als Danklef gewesen war, wenn jemand sich heimlich Zutritt zum Schloß verschafft hatte. Falls er überhaupt etwas gemerkt hatte. Die beiden in die Jahre gekommenen Rottweiler brauchten nur ein Stück Wurst, um nicht anzuschlagen, und von dem mitgebrachten Nähmaschinenöl mußte man nur ein paar Tropfen in die rostigen Scharniere des Gittertors träufeln, um es möglichst leise aufschieben zu können. Nur einen Spalt breit, Danklef war der kräftigste von ihnen gewesen, ein paarmal hatte er sich das Hemd und sogar die Hose zerrissen, und Luisa hatte den Schaden repariert, damit er später keinen Ärger mit seiner Mutter bekäme. Sie war die einzige von ihnen gewesen, die geschickt mit Nadel und Faden umzugehen verstand. Bei Dorle war Bruno allerdings nie den Verdacht losgeworden, daß sie sich nur so ungeschickt anstellte, um nicht in eine Rolle abgedrängt zu werden, die sie spießig oder – schlimmer noch – subaltern fand. Sie war weder bereit gewesen, die Schultafel zu putzen, noch in der Pause für die Lehrerin etwas beim Bäcker zu holen, und am Ordnungsdienst auf dem Schulhof beteiligte sie sich schon gar nicht, da nahm sie schon eher Nachsitzen oder eine Strafarbeit in Kauf. Auf diesem Hintergrund war es mehr als erstaunlich, daß sie nach dem Abitur keinen ihrer hochfliegenden Pläne realisiert hatte, sondern statt dessen die Buchhaltung im Heidehof übernommen und sogar gelegentlich selbst bei der Versorgung des Bienenvolks geholfen hatte. Zur Zeit ihrer kindlichen Streifzüge wehrte Dorle aber noch kategorisch alles ab, was ihrer Meinung nach unter ihrer Würde war. Ein Außenstehender hätte glatt annehmen können, sie wäre mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, was nun wahrlich nicht stimmte. Wogegen Luisa, auf die das weitaus eher zutraf, nichts dabei fand, ihrem Spielkameraden die zerrissenen Hosen zu stopfen.

Warum? Warum tat sie das?

Ob Luisa etwa damals schon in Danklef verliebt war? Ob sie ihn noch immer liebte? Gab es eine andere Erklärung dafür, daß sie immer mehr von Danklefs Pflichten übernahm und nicht einmal aufmuckte, wenn er sie am Wochenende versetzte? Wobei Bruno sich, während er vor dem Tor bremste und ausstieg, eingestand, daß er sich genau das wünschte: Danklef sollte auch heute zu spät kommen, um Luisa und die beiden Mädchen pünktlich nach Gier zu ihrer Aufführung zu chauffieren. Er stünde ja bereit ...

Ein paar Sekunden später wußte Bruno, daß sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen würde. Jemand hatte die schwere Metallstange in der Mitte arretiert, und dieser Jemand konnte nur Danklef gewesen sein, weil sich sonst keiner die Mühe machte, jedesmal Schwerstarbeit zu leisten, wenn er mit dem Auto vorfahren wollte.

Noch einmal sah Bruno zu dem Turm hoch, in dem sich Luisa ihr Atelier eingerichtet hatte. Hier entwarf sie die Gefäße, die angesichts der Konkurrenz aus Mexiko, Argentinien, China und Kuba mindestem ebenso wichtig wie die Qualität des Honigs selbst waren. Die Importware lief über den deutlich niedrigeren Preis, die Produkte des »Heidehofs« weckten die Kauflust dagegen mit stets neuen Arrangements. Er glaubte Luisa vor sich zu sehen, wie sie sich eifrig über ihre Arbeit beugte, sich für jedes Töpfchen eine Besonderheit einfallen ließ, die es von den anderen unterschied, ihm menschliche Züge verlieh. Die Farben variierten ebenso wie die Mimik, egal ob Arbeitsbiene, Drohne, Ammenbiene, Baubiene oder Bienenkönigin, Luisa schenkte jedem Behälter ein ureigenes Gesicht. Es gab übermütige und schüchterne, glückliche und traurige Honigspender, vermutlich machte das den Erfolg ihrer Arbeit aus. Ab und an, wenn sie sich eine Locke zur Seite strich, blieb etwas Farbe an ihrer Stirn haften, was sie in aller Regel erst bemerkte, wenn man sie darauf aufmerksam machte. Dann wurde sie rot. Einmal hatte er ihr einen solchen Farbklecks mit dem Daumen abgetupft, da war sie zuerst rot und dann weiß geworden.

Heute würde sie bestimmt nicht mehr arbeiten.

Bruno stieg wieder in seinen Wagen und machte kehrt. Ihm blieb noch viel Zeit bis zu der Aufführung in seiner alten Grundschule, falls er jetzt überhaupt hinführe. Er sagte sich, daß er besser fortbliebe und sein Frühstück nachholte und zusähe, daß er sich von der anstrengenden Woche, die hinter ihm lag, erholte. Und wenn gar nichts helfen würde, könnte er ja schon einmal die Mittelwände kontrollieren, die seine Bienen zum Bau gerader, paralleler und möglichst aus Arbeiterinnenbrutzellen bestehenden Waben veranlassen sollte. Es war vergleichsweise einfach, ein Bienenvolk zu dirigieren. Mit seinen Bienen hatte er keine Probleme.

***

Als Luisa fertig angezogen die Treppe ansteuerte, ertönte zu ihren Füßen ein ohrenbetäubendes Gekreische. Laura und Sarah hatten sich wieder einmal gestritten, soeben rollten sie ineinander verkeilt über den Boden, die Brillen waren ihnen von der Nase geglitten, es war nur noch eine Frage der Zeit, wann wenigstens eine der Sehhilfen zu Bruch ging. Ganz zu schweigen von den Blessuren, die sie sich gegenseitig zufügten.

»Hört ihr wohl auf! Hört sofort auf! Und hebt eure Brillen auf!« Luisa erreichte die Mädchen fast gleichzeitig mit Danklef, der aus der Richtung kam, in der sich außer dem Waschkeller lediglich der Aufgang zu ihrem Atelier befand. Ganz kurz lenkte sie der Gedanke daran ab, was er dort wohl gesucht hatte. Neue Munition, um sie mit ihren »Honigtöpfchen« aufzuziehen? Es war wenig wahrscheinlich, daß Danklef selbst die Schmutzwäsche aus seinem Koffer wegräumte.

»Alles halb so wild, sie können sich nur nicht einigen, wer welche Haarspange trägt.«

»Die rosa ist meine, ich hab’ immer rosa«, schrie Sarah, während sie ihre Schwester im Schwitzkasten hielt. Auch bei Handgreiflichkeiten thronte sie meistens obenauf.

»Aber ich bin Rosenrot«, protestierte es gedämpft, weil Lauras Kinn gerade nach oben gepreßt wurde. »Frau Ebeling hat gesagt, daß die rosa Spange zu ...«, der Rest ging in Gurgeln unter.

Luisa preschte vor. In ihrer Phantasie passierte es immer wieder, daß eines der Mädchen dem anderen einen irreparablen Schaden zufügte, einmal hatte Laura schon am Kopf genäht werden müssen, und keinen Monat später hatte sie Sarah ins Krankenhaus gebracht, weil sie Opfer eines geschleuderten Reitstiefels geworden war.

»Laß sie, die beiden brauchen das.« Danklef packte von hinten Luisas Arm, wollte sie festhalten, aber sie entwand sich seinem Griff. Merkte er denn nicht, wie schlimm es war, wenn seine Töchter nicht endlich lernten, wo der Spaß aufhörte?

»Du bist nur Rosenrot, weil du der blöden Ebeling in den Hintern kriechst, du blöde Kuh.«

Ein spitzer Schrei, die Kugel aus Armen und Beinen und Köpfen bewegte sich auf den Durchgang zur Küche zu, die drei Stufen tiefer lag. Stufen mit gefährlich scharfgezackten Kanten, lediglich die Trittfläche war im Lauf der Jahrhunderte immer glatter geworden.

»Sieh dir das an, das sind noch echte Kämpfernaturen, den beiden nimmt später niemand die Butter vom Brot.«

Luisa hatte keine Zeit, Danklef darauf hinzuweisen, daß es womöglich gar kein »später« mehr gäbe, wenn die beiden so weitermachten. Sie beugte sich zu den Zwillingen, und es gelang ihr tatsächlich, die beiden voneinander zu trennen. Keuchend und schnaubend erhoben sie sich, und wenig später stiegen sie in gewohnter Eintracht in die »Familienkutsche«, wie Danklef den Kombi nannte. Sie trugen ihre gut schulterlangen Haare nun beide offen.

»Und wie wollt ihr so tanzen?« Luisa schluckte die Bemerkung hinunter, daß sie wegen der beiden zum Kostüm passenden Spangen tags zuvor extra noch einmal zwanzig Kilometer gefahren war. »Eure Ballettlehrerin hat ausdrücklich gesagt, daß ihr die Haare aufstecken sollt.«

»Die rosa Spange ist genauso affig wie die weiße, so was benutzen wir nicht. Mit Stoffrosen drauf, igitt.«

»Eben habt ihr euch noch um die rosa Spange gebalgt.«

»Das war wegen der Farbe.«

»Und was ist, wenn Frau Ebeling euch so nicht auftreten läßt?«

»Das traut sie sich nicht. Stimmt’s, Papa?« Sarahs Hand tastete unter der Kopfstütze durch nach der Schulter des Fahrers, die ihrer Schwester gesellte sich dazu, im Rückspiegel konnte Luisa sehen, wie ihre Töchter sich vorbeugten und mit einem Ausdruck schier grenzenlosen Vertrauens darauf warteten, daß Danklef ihnen recht gab.

Was konkret sollte er bestätigen? Daß niemand in der Region es wagen würde, den Töchtern des Schloßherrn ernsthaft Widerstand entgegenzusetzen? Spätestens jetzt war der Zeitpunktgekommen, den Zwillingen klarzumachen, daß er nicht Gott der Allmächtige und weder bereit noch willens wäre, jeden Blödsinn abzudecken.