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»Eine der besten Liebesgeschichten des Jahres!« Beth O’Leary
Dreizehn Jahre, nachdem ein tragisches Ereignis in der Highschool ihre Leben für immer veränderte, begegnen sich Helen Zhang und Grant Shepard zum ersten Mal wieder. Helen ist Bestsellerautorin und Grant Teil des Writers‘ Room, der an der TV-Adaption ihrer Jugendromane arbeitet. Während Helen - brillant, schön und verschlossen - gegen ihr Impostorsyndrom und ihre Schreibblockaden kämpft, ringt der nach außen charmante und witzige Grant mit seiner Vergangenheit und wiederkehrenden Panikattacken. Ihre Zusammenarbeit ist kompliziert und elektrisierend. Und obwohl Helen Grant niemals verziehen hat, könnten sie füreinander der Schlüssel sein, um Frieden mit ihrer Vergangenheit zu schließen.
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Seitenzahl: 551
Veröffentlichungsjahr: 2025
»Eine der besten Liebesgeschichten des Jahres!« Beth O’Leary Dreizehn Jahre, nachdem ein tragisches Ereignis in der Highschool ihre Leben für immer veränderte, begegnen sich Helen Zhang und Grant Shepard zum ersten Mal wieder. Helen ist Bestsellerautorin und Grant Teil des Writers’ Room, der an der TV-Adaption ihrer Jugendromane arbeitet. Während Helen – brillant, schön und verschlossen – gegen ihr Impostorsyndrom und ihre Schreibblockaden kämpft, ringt der nach außen charmante und witzige Grant mit seiner Vergangenheit und wiederkehrenden Panikattacken. Ihre Zusammenarbeit ist kompliziert und elektrisierend. Und obwohl Helen Grant niemals verziehen hat, könnten sie füreinander der Schlüssel sein, um Frieden mit ihrer Vergangenheit zu schließen.
Yulin Kuang ist Drehbuchautorin und Regisseurin. Sie wurde einmal von einem Hallmark-Film gefeuert, weil sie »zu hip für Hallmark« war, und ist die Drehbuchautorin von Emily Henrys PEOPLE WE MEET ON VACATION sowie die Autorin und Regisseurin des bevorstehenden Films BEACH READ für 20th Century Studios. Sie lebt in Pasadena mit ihrem Mann Zack und ihrer orangefarbenen Katze Eloise.
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der amerikanischem Originalausgabe:
»How To End A Love Story«
Für die Originalausgabe:Copyright © 2024 by Yulin Kuang
Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Textredaktion: Anne Schünemann, Schönberg
Umschlagmotiv: © Alan Dingman
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-7477-2
luebbe.de
lesejury.de
Für Zack – dieses Buch ist ein LiebesbriefUnd für die ältesten Töchter von Zuwanderereltern – es ist auch ein Liebesbrief an euch
In dieser Geschichte geht es unter anderem um komplizierte Trauerarbeit, Selbstmord und den Tod eines Geschwisterteils.
Alles in allem ist die Beerdigung ihrer kleinen Schwester eine ziemlich langweilige Angelegenheit.
Helen Zhang (die Gute, die Schlaue, die Langweilige – zumindest laut Michelle, die nun in Frieden ruhen möge) sitzt in der ersten Reihe zwischen ihren trauernden Eltern. Wäre Michelle jetzt hier, würde sie leise über irgendetwas Belangloses vor sich hin kichern – vermutlich über das unbeabsichtigt phallusartige Blumengesteck auf ihrem geschlossenen Sargdeckel. Wäre Michelle jetzt hier, würde sie ungeduldig mit dem Fuß wippen, weil sie es nicht erwarten könnte, zum Rauchen auf die Toilette zu verschwinden, und weil sie bereits überlegen würde, wie sie sich noch vor dem anschließenden Totenmahl davonstehlen könnte. Wäre Michelle jetzt hier, wäre es nicht so verdammt still.
Der Körper von Helens Mutter erzittert unter einem lautlosen Schluchzen, und sie umklammert die Hand ihrer überlebenden Tochter so fest, dass Helen schon während der Begrüßungsworte des Pastors jegliches Gefühl in den Fingern verloren hat. Ihr Vater starrt auf die Holzstaffelei mit dem Foto aus Michelles zweitem Highschooljahr, dann wandert sein Blick zuerst zu dem schmucklosen Kirchenfenster (nicht zum ersten Mal wünscht sich Helen, sie wären Katholiken – allein schon wegen der Stimmung) und schließlich zu den Schuhen des Pastors. Überall dorthin, wo er nicht Gefahr läuft, dass ihm jemand entgegenblickt.
Helen hat ihre Tränen bereits während der ersten achtundvierzig Stunden aufgebraucht, in denen sie wie ein verwundetes Tier zitternd, weinend und allein in ihrem Zimmer gelegen und über existenzielle Fragen nachgegrübelt hat, die zu schwerwiegend waren, um sie in pathetische Worte zu fassen. Mittlerweile ist der Brunnen versiegt, und übrig geblieben ist eine immer größer werdende Verbitterung, die droht, sie zu verschlingen. Sie hasst die abgedroschenen Worte des Pastors, der versucht, Michelles kurzem Leben eine Bedeutung zu verleihen. Sie hasst Moms Tränen, und sie hasst, dass Dad keine Regung zeigt. Vielleicht hasst sie sogar sich selbst. Aber warum? Wenn sie auf jemanden wütend sein sollte, dann auf Michelle …
Eine Tür im hinteren Bereich der Kirche öffnet sich knarrend – ein später Trauergast vermutlich –, und das plötzliche Prickeln in Helens Nacken kann nur eines bedeuten: Er ist es.
Leises Gemurmel breitet sich den Mittelgang entlang aus, und obwohl Helen sich ermahnt, sich nicht umzudrehen, nicht in seine Richtung zu schauen, ist ihre Mom doch nicht so verloren in ihrer Trauer und bemerkt, wie sich die Stimmung im Raum mit einem Mal ändert. Sie dreht sich nach hinten und stößt ein dramatisches Heulen aus, das Helen unwillkürlich peinlich ist.
Helen wendet sich nun ebenfalls um, und sie hatte recht: Es ist Grant Shepard. Der verdammte Grant Shepard. Jahrgangssprecher, Homecoming-King, Partytiger, von Freunden und Lehrern geliebter Footballstar. Und der Mörder meiner Schwester.
Wobei der letzte Punkt vor Gericht wohl nicht standhalten würde – es gab genug Augenzeugen, die berichteten, dass die sechzehnjährige Michelle Zhang letzten Freitag um zwei Uhr morgens absichtlich vor den Geländewagen des achtzehnjährigen Grant Shepard gelaufen ist (und damit einen grauenvollen Stau auf der Route 22 verursacht hat). Außerdem gab es genug Suchanfragen in Michelles Browser-Verlauf, die ein solches Vorhaben bestätigten. Und das Schmachvollste für ihre Eltern: Es gab genug positive Ergebnisse im toxikologischen Gutachten, die den Lokalreportern die Grundlage lieferten, von einer »schwierigen Jugend« zu sprechen.
In Hinblick auf Michelle, nicht auf Grant.
Jeder hatte Mitleid mit Grant: Wie traurig, wie tragisch, wie selbstsüchtig von diesem Mädchen – einer mehr oder weniger Fremden, irgendeiner Zehntklässlerin mit selbstmörderischen Tendenzen –, das einen klugen jungen Mann wie ihn dazu gezwungen hat, für den Rest seines vielversprechenden, glanzvollen Lebens mit der Schuld leben zu müssen, jemanden unabsichtlich getötet zu haben.
»Du«, sagt Mom, die nach Luft schnappend im Mittelgang steht, als wäre sie Teil einer griechischen Tragödie.
Grant Shepard steht regungslos da, als würde er bloß existieren, um von trauernden Müttern atemlos angestarrt und von chinesischen Tanten und Onkeln mittleren Alters argwöhnisch beäugt zu werden.
Er sieht genauso aus, wie die Grant Shepards dieser Welt nun mal aussehen, und trägt einen marineblauen Pullover über einem blütenweißen Button-down-Hemd, als wäre er auf dem Weg zu einer Versammlung des Schülerrats, um über das Motto für den Abschlussball zu diskutieren. Seine Krawatte ist perfekt geknotet, seine dunkelbraunen Haare sorgsam gekämmt, und er sieht zu gut aus – zu jung, zu attraktiv, zu lebendig –, um hier in diesem Raum zu sein.
Grant lässt den Blick durch die Kirche wandern, ein unruhiger Ausdruck liegt in seinen sanften braunen Augen. Er weiß, dass es ein Fehler war, hierherzukommen, das ist nicht zu übersehen. Er dachte vermutlich, dass es okay wäre. Dass sie verstehen würden, dass er Michelle die letzte Ehre erweisen möchte. Und vielleicht … vielleicht dachte er sogar, dass sie ihm vergeben würden.
Was für ein gigantisches Ego ist nötig, um sich selbst einzureden, dass seine Anwesenheit hier erwünscht wäre?
»Nein«, erklärt Helens Mom energisch und presst ihre Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß werden.
Grant hebt beinahe beschwichtigend die Hände. »Ich wollte nicht –«
»Sie will, dass du gehst«, sagt Helen schließlich mit fester Stimme. »Sofort.«
Grants Blick fällt auf sie. Er zieht den Kopf ein, als er versteht. Während er sich abwendet, murmelt er ein leises »Entschuldigung«.
Es ist so dramatisch, dass Helen ihm am liebsten nachgebrüllt hätte: Und wage es nicht, dein dämliches Gesicht jemals wieder hier blicken zu lassen!
Als wären sie in einem Film und nicht in einer presbyterianischen Kirche, in die sie seit über sieben Jahren keinen Fuß gesetzt haben.
Aber das ist es nicht wert, denn es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, dass die Grant Shepards dieser Welt jemals wieder den trauernden Familien Zhang dieser Welt – den atemlosen Müttern, den regungslosen Vätern, den lästernden Tanten und Onkeln und allen anderen – über den Weg laufen werden.
Also führt Helen ihre Mutter zurück zu ihrem Sitzplatz. Während sie den Mittelgang hinuntergeht, fällt ihr Blick auf das Foto der lächelnden Michelle.
Na, das hat dir gefallen, was?, denkt Helen herausfordernd. Ich wette, das hat dir an deiner Beerdigung am allerbesten gefallen.
Dreizehn Jahre später
Als Dienstagvormittag das Telefon klingelt, weiß Helen sofort, dass es sich um gute Nachrichten handelt. Ihre Literaturagentin Chelsea Pierce verpackt schlechte Nachrichten gern in teilnahmsvollen, aber prägnanten E-Mails – Sie wollten es nicht – scheiß auf sie –, aber wenn es gute Nachrichten sind, greift sie lieber zum Telefon.
»Ich hoffe, du hasst deine Wohnung, du ziehst nämlich schon bald nach Hollywood!«
Helen lacht, und im nächsten Moment meldet sich ihre Skepsis. Freu dich nicht zu früh. Es ist noch nichts unterschrieben. Es kann immer noch alles den Bach runtergehen.
In solchen Situationen reagiert sie sofort abergläubisch. Als ihr erstes Buch der Ivy-Papers-Reihe veröffentlicht wurde, ermahnte sie sich: Sei nicht zu vorschnell. Vielleicht hassen es die Leute, oder noch schlimmer: Vielleicht liest es gar keiner. Nachdem das Buch zum Bestseller geworden war und die New York Times sie auf die Liste der aufstrebenden Autorinnen im Bereich Young Adult gesetzt hatte, dachte sie: Das hat nichts zu sagen. Die Arbeit ist immer noch dieselbe wie vor der Erwähnung auf dieser Liste, und was, wenn ihnen das zweite Buch nicht gefällt?
Zu jedem Meilenstein ihrer bisherigen Karriere hatte sie stets eine gedankliche Gegenerklärung parat – da war auch die Ankündigung keine Ausnahme, dass ein paar hochgestochene Leute aus Hollywood ihr Buch über launische Privatschüler und ihre dunklen, akademischen Geheimnisse in eine sexy Serie verwandeln wollen.
»Wie gehen Sie mit dem Hochstaplersyndrom um?«, hat sie einmal einen sehr viel erfolgreicheren, erfahreneren Autor während eines Gala-Brunchs gefragt.
»Nun, ab einem gewissen Punkt ist es einfach deplatziert, finden Sie nicht?«, lautete seine Antwort.
Als sie sechs Wochen später die Tür ihrer neuen, direkt am Meer gelegenen Wohnung gegenüber des Santa Monica Piers öffnet (sämtliche Lebenshaltungskosten während der Vorbereitungsphase und der Produktion werden – zusätzlich zum Tagessatz – vom Filmstudio übernommen), denkt Helen, dass sie diesen »gewissen Punkt« vielleicht gerade erreicht hat.
Die Wohnung ist mit teuren beigefarbenen Möbeln ausgestattet, und es riecht wie in einem trendigen Hotel. Es ist Ende September, die Herbstsonne fällt durch die deckenhohe Glasfront, die auf den privaten Balkon hinausführt, und Helen fragt sich, ob sie hier zu einer völlig neuen Person werden wird. Zu jemandem, der auf seine Morgenroutine schwört und seinen inneren Frieden gefunden hat. Im Dachgeschoss gibt es einen Gemeinschaftsbereich, den sie für Partys reservieren kann (sie kennt nicht genug Leute in der Stadt, um eine Party zu schmeißen, aber sie nickt der Hausverwalterin dennoch höflich zu), und von ihrem Küchenfenster aus sieht man auf die Veranda ihrer neuen Nachbarin, der Oscar-Gewinnerin Frances McDormand.
»Das ist so was von L.A.«, meinen ihre Freunde von der Ostküste, als sie es ihnen erzählt.
»Wer?«, fragt ihre Mom während ihres ersten FaceTime-Anrufs von Küste zu Küste.
»Frances McDormand, Mom.« Helen packt seufzend ihren Einkauf aus. »Sie ist Schauspielerin, du kennst sie bestimmt. Sie war in …« Sie hält inne, und es scheint, als wäre Frances McDormands glorreiche, von zahllosen Preisen gekrönte Karriere wie ausgelöscht. Sie war in Miss Pettigrews großer Tag, aber den hat Mom sicher nicht gesehen. »Ich glaube, sie hat mal die Queen gespielt. Oh, und sie war die Mom in Moonrise Kingdom!«
»Nein, die kenne ich nicht«, sagt ihre Mom. »Aber egal. Was kochst du zum Abendessen?«
Helen gibt pflichtbewusst Auskunft – nur etwas Einfaches, ich muss erst noch mehr Töpfe und Pfannen besorgen, und nein, ich vergesse das Gemüse schon nicht, danke, Mom – und ringt die Hände, während sie einem weiteren vierzigminütigen Vortrag über die zahllosen Erdbeben im L.A. County lauscht.
»Wenn sich die Erde auftut, springe ich direkt in den Spalt, dann ist es kurz und schmerzlos«, sagt sie, als sie mit ihrer Rice-Bowl mit Tomaten und Ei fertig ist. »Mach dir nicht so viele Sorgen. Ich hab dich lieb. Bis bald!«
Sie gibt Einzug in neue Wohnung in L.A. in die Spotify-Suchleiste ein und lässt die wohldurchdachte Playlist eines Fremden über die hochmodernen Bluetooth-Boxen abspielen.
Sie ist nie cool genug gewesen, um selbst Songlisten zu erstellen. Solche Dinge überlässt sie lieber anderen Leuten, die die gleichen, soundtrackwürdigen Momente erlebt haben – gemütlicher Oktobermorgen in der Küche zum Beispiel, oder: Aufbruch in eine ungewisse Zukunft –, und hofft, dass sie ihr ganz genau sagen, welche Songs die Gefühle in solchen Situationen am besten zur Geltung bringen, so wie ein violetter Schal grüne Augen besonders betont.
Während Stevie Nicks schmachtend davon singt, wie die Zeit sie mutiger und Kinder älter werden lässt, verstaut Helen ihre Kleidung nach aufsteigender Länge in dem begehbaren Schrank und denkt über die Momente nach, in denen sich das Leben fein säuberlich in Kapitel einteilen lässt.
Reisen ist eine Möglichkeit, eine neue Seite aufzuschlagen, hat ihre Therapeutin ihr einmal erklärt. Vielleicht werden Sie endlich fähig sein, etwas Neues zu schreiben.
Helen streicht das »Vielleicht« in Gedanken mit wilder Entschlossenheit durch.
Sie hofft, dass dieses Kapitel kurz und produktiv ausfallen wird.
Als am Mittwoch das Telefon klingelt, weiß Grant bereits, dass es ein beschissenes Gespräch wird.
»Geh einfach zu dem Meeting«, beschwatzt ihn seine TV-Agentin Fern. »Was ist so schlimm daran?«
»Ich konnte das Buch nicht leiden«, erklärt er, und das stimmt tatsächlich.
Privatschüler im Teenageralter und ihr Sexleben sind nicht gerade seine Welt, und er hat gehofft, dass er seiner Arbeitslosigkeit mit etwas Interessanterem ein Ende setzen würde – etwa mit einem Feature (das er fertigstellen wird, sobald er die Zeit dafür gefunden hat) oder wenigstens mit einem Entwicklungsvertrag (es ist nicht seine Schuld, dass er die wichtigste Phase im Jahr versäumt hat, in der die Studios sich Pitches für neue Projekte ansehen und für die kommende Saison planen, immerhin musste er seiner Mom helfen, die irgendwelche zwielichtigen Handwerker engagiert hatte, deren Arbeit so mies war, dass er den ganzen Sommer über in New Jersey festsaß, um die Böden in ihrem Haus zu entfernen und neu zu verlegen).
»Dann gefällt dir die Vorlage eben nicht, mit solchen Dingen sind wir doch bisher immer klargekommen«, erinnert ihn Fern. »Es macht dich sogar zu einem besseren Kandidaten als irgend so einen Typen, der von den Büchern begeistert war. Du siehst die Schwachstellen und weißt, wie man sie ausbügelt, bla-bla-bla.«
»Ich war an derselben Highschool wie die Autorin«, gesteht er schließlich.
»Aber das ist doch wunderbar …«
»Nein«, erwidert Grant missmutig. »Ist es nicht. Sie konnte mich nicht ausstehen.«
»Also das ist ja wirklich lächerlich, jeder mag dich.« Fern klingt, als würde sie sich von der Vorstellung, jemand könne ihn nicht mögen, auf mütterliche Weise angegriffen fühlen. »Außerdem kommt sie gar nicht zu dem Meeting. Du triffst dich lediglich mit dem Show-Runner und den Executive Producern.«
»Ich …« Er nimmt einen beruhigenden Atemzug – länger ausatmen, als man einatmet – und schüttelt den Kopf. »Ich will jetzt nicht darüber diskutieren. Es muss doch noch etwas anderes geben. Was ist mit Jasons Spin-Off? Das war doch ein gutes Meeting, oder?«
»Ihr Budget reicht nicht für einen Drehbuchautor deines Kalibers«, erklärt Fern ausdruckslos. »Und du wirst dich nicht mit dem Gehalt eines Co-Producers zufriedengeben, nachdem wir dich endlich zum Co-EP hochgepusht haben.«
Grants IMDb-Profil fasst seine bisher erreichten Karrierestufen im Bereich Drehbuch folgendermaßen zusammen: Staff Writer, Story Editor, Executive Story Editor, Co-Producer, Producer und Co-Executive Producer. Viele Drehbuchautoren, die er kennt, haben es nicht über die erste Stufe hinausgeschafft, und so viel unterscheidet ihn nicht von denen. Ihm ist klar, dass er den Erfolg, den er hatte, nicht verdient hat, und er war sich seiner Karriere nie sicher.
Er schluckt eine Ibuprofen und massiert sich die Schläfen. »Wie wäre es mit einem Feature?«
»Sobald dein Entwurf fertig ist, lese ich ihn sehr gern. Bis dahin bist du Drehbuchautor fürs Fernsehen. Damit verdienst du genug Geld für uns beide. Und in diesem Fall wird keine Pilotfolge gedreht, sondern gleich als Serie produziert. Eine prestigeträchtige« – er verzieht höhnisch das Gesicht, doch Fern geht nicht weiter darauf ein – »und mit Spannung erwartete Serie. Die Leute vom Studio haben dein Material geliebt, der Show-Runner hat bereits deinen Entwurf gelesen. Soll ich ihnen jetzt ernsthaft mitteilen, dass sie bloß ihre Zeit verschwendet haben?«
Grant seufzt. Er weiß irgendwie schon jetzt, dass es ein Fehler ist, als er klein beigibt. »Na gut, dann gehe ich eben zu dem Meeting.«
Am Abend googelt er Helen Zhang, Young-Adult-Autorin. Ihr Autorinnenfoto ploppt auf, und sie sieht mehr oder weniger so aus, wie er sie in Erinnerung hat, bloß älter und wohlsituierter. Intelligente, abwägende Augen, dieselbe gerade Körperhaltung wie damals in der Kirche bei der Beerdigung ihrer Schwester. Sie lächelt nicht – die Helen aus seiner Erinnerung hat auch nie gelächelt, also passt das durchaus –, und er sieht nach all den Jahren immer noch die steife, humorbefreite Chefredakteurin der Schülerzeitung in ihr.
Ihre Wege haben sich vor der Nacht, die sein Leben verändert hat, kaum gekreuzt. Helen hing mit den Nerds ab, die allesamt besessen von einer Laufbahn an einer der Elite-Unis waren. Sie gab sich keine Mühe, ihre abwertenden Blicke vor ihm und seinen Freunden vom Football-Team und der Cheerleader-Truppe zu verbergen, und verdrehte bei den Football-Fan-Events der Schule und allem anderen, das seinem Leben als Siebzehnjähriger einen Sinn gab, regelmäßig die Augen.
Und danach … danach hat sie durch ihn hindurchgesehen, sobald sie sich im selben Raum befanden.
Was würde Fern wohl sagen, wenn er ihr erklären würde, dass er den Job aus Rücksicht auf seine psychische Gesundheit nicht annehmen kann? Er lacht über sich selbst. Sie würde ihn vermutlich an seine Hypothek erinnern (er hätte den Bungalow in Silver Lake nicht kaufen sollen, aber er hatte angenommen, dass The Guys vor der endgültigen Absetzung zumindest noch eine letzte Staffel bekommen würde), ihm das attraktive Gehalt (minus zehn Prozent) schmackhaft machen und ihm erklären, dass Therapien Geld kosten.
Als er ein paar Tage später einen Anruf erhält und ihm der Job offiziell angeboten wird, hat er beschlossen, sich nicht mehr zu wehren. Eine Therapie kostet tatsächlich Geld, und falls Helen Zhang ein Problem damit hat, dass er zur Drehbuch-Crew für ihre Serie zählt, dann kann sie das gern mit seinem Anwalt für Medienrecht besprechen.
Helen steht auf dem Parkplatz am Fuß des Fryman Canyons und dehnt ihre müden Muskeln. Die frühmorgendliche Kälte hat sich wie eine schattenhafte Decke über die parkenden Autos gelegt.
Mein Kalender ist geradezu abartig voll, aber ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf meinem täglichen Morgenspaziergang begleiten, stand in der E-Mail von Suraya, die als Show-Runner für die Serie verantwortlich sein wird. Fryman ist eine hübsche Strecke, wenn man sie noch nie gelaufen ist, und es wäre von meinem Haus bloß die Straße hoch.
Helen ruft Surayas Adresse in Studio City auf der Homepage der Immobilienplattform Zillow auf (gekauft vor neun Jahren für moderate 1,3 Millionen Dollar) und klickt sich aus reiner Neugierde durch die Innenansichten. Eine weiterführende Recherche ergibt, dass Suraya mit einer Mixed-Media-Künstlerin liiert ist, mit der sie zwei reizende Kinder im Grundschulalter hat.
Sie überlegt, ob sie ihre Rechercheergebnisse an ihre beiden engsten Autoren-Freundinnen Pallavi und Elyse schicken soll. Es gab eine Zeit, da hätte sie den Zillow-Link in ihren Gruppenchat gestellt, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, und die beiden hätten sich darauf gestürzt wie Ameisen auf einen Picknickkorb.
Pallavi, Elyse und Helen haben sich vor fast zehn Jahren kennengelernt, als sie alle drei als junge, aufstrebende Autorinnen eine Lesung in einer Buchhandlung besuchten, die so vollgestopft war, dass man die Antworten des gefeierten Schriftstellers in der letzten Reihe unmöglich verstehen konnte. Pallavi hatte damals gerade mal zwanzigtausend Abonnenten auf YouTube, und Elyse hatte bereits eine Kurzgeschichtensammlung veröffentlicht, während Helen als Assistentin in einem Verlag arbeitete, der sich auf wissenschaftliche Anthologien spezialisiert hatte, und davon träumte, dass ihre Vorgesetzten eines Tages erkennen würden, dass ein literarisches Genie ihre E-Mails verfasste und Termine vereinbarte.
Sie waren nicht die Art von Freundinnen, die sich jedes Wochenende zum Brunch trafen. Elyse bezeichnete Pallavi gern als verzweifelt, Pallavi fand Elyse zu wertend, und Helen war sich sicher, dass sie den beiden viel zu ernst vorkam und sie nicht glaubten, dass man mit ihr auch Spaß haben konnte. Aber sie bekamen alle innerhalb eines Monats ihre ersten Buchverträge – ein Zufall, der sich in ihren frühen Zwanzigern wie ein Wink des Schicksals anfühlte –, und so gingen sie eine Art strategische Schwesternschaft ein. Sie trafen sich mehrmals im Monat, um »Pläne zu schmieden«, tauschten sich über ihre aufkeimenden Karrieren aus und beantworteten die Fragen der anderen (Auf welchem Foto wirke ich am interessantesten? Würdest du mein Buch wirklich kaufen, wenn es dieses grauenhafte Cover hätte?) mit der Ehrlichkeit junger, strebsamer Menschen, die die großen Ambitionen der anderen respektierten.
Ihre Treffen waren in den letzten Jahren seltener geworden, aber sie feierten immer noch die Veröffentlichung ihrer Bücher gemeinsam und auf Social Media, sie amüsierten sich in Nachrichten über alberne Dinge, die jemand aus ihrem gemeinsamen Bekanntenkreis bei einem Interview von sich gegeben hatte, sie diskutierten über Screenshots von diversen E-Mails (Bin ich verrückt, oder hasst mich mein neuer Lektor?), und sie trafen sich mindestens einmal im Quartal auf ein paar Drinks.
»So werden Freundschaften unter Erwachsenen definiert«, meinte Pallavi bei ihrem letzten Treffen im April. »Nehme ich mir zumindest zweimal im Jahr Zeit für ein persönliches Treffen? Dann sind wir gut befreundet. Schaffen wir es öfter als zweimal? Dann sind wir praktisch eine Familie.« Sie lachten gemeinsam, und Helen verspürte eine gewisse Erleichterung – so fühlt sich das Erwachsenenleben an.
Aber seit die Neuigkeit raus ist, dass ihr Buch verfilmt werden soll, ist sie sich da nicht mehr so sicher. Sie hat den beiden im Juli geschrieben, nachdem sie den Vertrag unterzeichnet hatte, und als Antwort bloß ein knappes Gratuliere von Pallavi und ein Konfetti-Emoji von Elyse erhalten. Danach gab es mehrere Instagram-Posts, die nahelegten, dass sich die beiden ohne sie auf einen Drink getroffen hatten, und sie fragte sich, ob ihr etwas Offensichtliches entgangen war und ob sie die beiden um eine Erklärung bitten konnte, ohne auf erbärmliche Weise bedürftig zu wirken (die Antwort war Nein). Sie hat ein Treffen zu dritt vorgeschlagen, aber sie haben in den Monaten vor ihrer Abreise nach L.A. keinen passenden Termin mehr gefunden.
Nun beschleicht sie das bange Gefühl, dass sie nie wieder etwas von Pallavi und Elyse hören wird, wenn sie aufhört, den beiden zu schreiben.
Das sind vermutlich die Dinge, über die man normalerweise mit seiner Schwester reden würde – mit einer richtigen Schwester, nicht mit einer, die gezwungenermaßen dazu geworden ist. Mit einer Schwester, mit der man aufgewachsen ist und die ohne große Erklärung versteht, warum dein fehlerhaftes Gehirn derart subtile Veränderungen der Dynamik in einer sozialen Gruppe nicht verarbeiten kann, ohne in dramatisch tiefer Verzweiflung zu versinken. Andererseits würde sie der Verlust von Freundschaften wohl nicht so sehr treffen, wenn sie noch eine Schwester hätte, mit der sie reden könnte, und sie zwingt ihre Gedanken in eine andere Richtung, bevor sie sich in altbekannte gefährliche Gefilde begeben.
Neues Kapitel, neue Probleme.
Als sie Suraya näher kommen sieht (»Endlich! Zoom schafft es einfach nicht, die Essenz einer Person einzufangen, nicht wahr?«), fällt es ihr schwer, sich nicht beeindruckt, fasziniert und geschmeichelt zu fühlen, dass diese viel beschäftigte und angesehene Frau die Verantwortung für ihre Serie übernehmen möchte. Suraya ist kleiner als sie, was die Tatsache, dass es echt schwer ist, mit ihr Schritt zu halten, noch beeindruckender macht.
»Sie sind natürlich unser kreatives Genie – vierzig Wochen auf der Bestseller-Liste sprechen für sich«, meint Suraya, als der Wanderweg sie an einer schnatternden Gruppe junger, bestens ausgestatteter Influencer vorbeiführt. »Wir sind sehr froh, dass Sie sich zu den anderen in den Writers’ Room gesellen werden.«
Helen hat sich während der Eingangsbesprechungen mit dem Produzenten einen Platz im Team der Drehbuchautoren erbeten und mit einem klaren Nein gerechnet – ihre Agentin hat ihr unzählige Schauergeschichten über andere Autoren erzählt, die sich Schreiduelle mit den Drehbuchautoren geliefert haben, und über Projekte, die geplatzt sind, weil der Autor sich zu sehr eingemischt und die Experten nicht in Ruhe ihre Arbeit machen lassen hat. »Wir können nachfragen, aber ich würde nicht darauf beharren«, meinte Chelsea zurückhaltend. »Es kann ziemlich hart sein, einem Haufen Drehbuchautoren dabei zuzusehen, wie sie dein Buch neu schreiben.«
Umso überraschter war Helen, als Suraya sofort zugestimmt und ihr versichert hat, dass sie im Writers’ Room herzlich willkommen sei.
»Ich habe sämtliche Bücher gelesen, die Sie mir empfohlen haben«, erklärt Helen nun, erpicht darauf zu zeigen, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht hat. »Und ich weiß, dass sich einiges aus den Büchern ändern wird. Ich werde nicht übermäßig exzentrisch und nervtötend sein, versprochen.«
Suraya winkt ab. »Seien Sie ruhig exzentrisch und nervtötend, wenn es Ihnen wichtig erscheint. Das ist Ihre Rolle im Writers’ Room. Beschützen Sie das Buch, wenn wir uns zu weit davon entfernen. Es bringt nichts, wenn wir so viel Arbeit hineinstecken, und am Ende hassen Ihre Leser alles, was wir getan haben.«
Helen nickt. »Natürlich. Aber das werden sie nicht. Ich vertraue Ihnen.«
Suraya wirft ihr lachend einen Seitenblick zu. »Das ist wirklich nett«, sagt sie. »Aber ich würde mich in dieser Stadt an Ihrer Stelle mit solchen Äußerungen zurückhalten.«
»Ist L.A. wirklich so schlimm?« Helen ist klar, dass sie wie eine arglose Hinterwäldlerin wirkt. Aber da die Leute sie ohnehin dafür halten werden, kann sie es genauso zu ihrem Vorteil nutzen.
»L.A. ist im Prinzip eine Industriestadt, was gut ist, wenn man derart von seiner Arbeit besessen ist wie ich«, erklärt Suraya. »Es ist bloß so, dass die Leute hier dazu neigen, von Anfang an überfreundlich zu sein, und manchmal vergessen, dass ihre eigenen Interessen nicht unbedingt immer mit denen des Gegenübers übereinstimmen, und im nächsten Augenblick findet man sich in der Deadline wieder – das ist ein Branchenblatt, das Sie unbedingt lesen sollten, falls Sie es nicht schon tun –, weil das Projekt wegen ›kreativer Differenzen‹ gescheitert ist.«
»Oh.« Helen ist unsicher, was sie darauf erwidern soll.
Suraya wirft ihr einen scharfsinnigen Blick zu. »Wir wollen beide, dass diese Serie gut wird. Vergessen Sie das nie, wenn die Dinge, die wir im Writers’ Room von uns geben, Sie zwischendurch um den Verstand bringen.«
»Das mache ich. Aber dazu wird es nicht kommen. Ich freue mich, dass ich dabei sein darf«, sagt Helen bekräftigend, und ihr wird klar, dass sie es auch so meint.
»Oh doch, das wird es.« Suraya lacht, und sie erreichen den höchsten Punkt ihrer Wanderung. »Ich bin eine sehr nervenaufreibende Person, wenn man zu viel Zeit mit mir verbringt, und das werden Sie. Und ich bin nicht die Einzige. Wir haben noch sechs weitere Drehbuchautoren, das sind zu viele, um die nächsten zwanzig Wochen gänzlich ohne zwischenmenschliche Streitigkeiten hinter sich bringen zu können.«
»Ich freue mich schon darauf, die anderen kennenzulernen«, sagt Helen.
»Sie sind toll«, versichert ihr Suraya. »Meine Assistentin plant ein Abendessen und Drinks, bevor wir anfangen, damit Sie nicht ins kalte Wasser springen müssen. Sind Sie aufgeregt? Nervös?«
Helen nickt. »Die ganze Gefühlspalette. Wie am ersten Schultag.«
Sie ist sich ziemlich sicher, dass sie ehrlich geantwortet hat, aber sie ist sich nicht sicher, ob »Gefühle« der richtige Ausdruck für die verworrenen Gedankenstränge in ihrem Kopf ist. Das hier muss unbedingt klappen. Sie muss unbedingt beweisen, dass es eine gute Entscheidung war, ihr Leben in New York für ein Sabbatical in Hollywood aufzugeben. Sie muss unbedingt diese unerwünschte Blockade loswerden, die dazu führt, dass sie Ideen für eine neue prägnante Young-Adult-Reihe mit einer Geschwindigkeit plant und verwirft, die derart alarmierend ist, dass sie es sogar bei ihrer Therapeutin zur Sprache gebracht hat. »Was, wenn ich keine andere Geschichte in mir habe?«, wollte sie wissen, während sie sich (peinlicherweise) fragte: Wer bin ich, wenn ich keine erfolgreiche Autorin bin?
Suraya lächelt. »Meine Jüngste hat letztes Jahr mit der Vorschule begonnen. Sie war unglaublich aufgeregt, aber dann hat sie den ganzen ersten Tag nur geweint und wollte, dass wir sie abholen, weil sie die anderen Kinder nicht mochte.«
»Das wird mir nicht passieren«, verspricht Helen.
»Natürlich nicht. Das war keine Metapher, ich wollte Ihnen bloß etwas über meine Kinder erzählen.«
»Oh«, haucht Helen ein wenig verlegen.
»Das ist ein Berufsrisiko«, meint Suraya. »Es ist Teil unserer Arbeit, viel zu viele persönliche Details preiszugeben, und zwangsläufig landet irgendwann eine völlig belanglose Information auf dem Tisch, sodass man plötzlich irrelevante Dinge über die Kinder anderer Leute weiß.«
»Haha«, erwidert Helen und fühlt sich wie eine Idiotin.
»Man gewöhnt sich dran.« Suraya klopft ihr sanft auf die Schulter. »Ach, und wenn Sie dort hinaufblicken, dann sehen Sie George Clooneys Haus.«
Grant wechselt bereits zum dritten Mal vor dem Dinner das T-Shirt und kommt sich zum dritten Mal dämlich dabei vor.
Schließlich entscheidet er sich für ein einfaches schwarzes T-Shirt und eine Varsity-Crew-Jacke, die er vor ein paar Jahren auf dem Flohmarkt an der Melrose Avenue gekauft hat. Er war zwar weder auf der Highschool noch am College in der Rudermannschaft, aber seine Ex-Freundin Karina hat ihm versichert, dass das keine Rolle spielt. »Es wird cool aussehen, wenn du sie am Set trägst.« Und das stimmte. Zumindest in Kleidungsfragen hat sie ihn nie falsch beraten.
Die letzten eineinhalb Wochen hat er darüber nachgegrübelt, ob er mit Helen in Kontakt treten soll, bevor der Writers’ Room beginnt, die Entscheidung aber so lange hinausgeschoben, bis es zu spät war, und nun sitzt er in einem Uber, das ihn zu einem Fisch-Restaurant an der West Side bringt, und überlegt, ob die Varsity-Jacke vielleicht ein Fehler war.
Vielleicht war die ganze Sache ein Fehler, aber jetzt ist es zu spät für einen Rückzieher.
Als er an den für sie reservierten Tisch tritt und Helen nirgendwo entdeckt, ist er nicht erleichtert, sondern spürt, wie sich langsam Angst in ihm breitmacht. Irgendetwas wird passieren – er spürt, dass sich das kosmische Gleichgewicht gegen ihn wendet –, und er möchte es eher früher als später hinter sich bringen.
»Schön, dass du auch endlich vorbeischaust«, meint Suraya, die bereits ein Mini-Crab-Cake in der Hand hält. »Alle zusammen, das ist Grant, meine Nummer zwei.«
Es sind die üblichen Verdächtigen, die sich zu dieser Schwülstiges-Teen-Drama-Ausgabe des Writers’ Room zusammengefunden haben. Das Autorenteam bestehend aus Ehemann und Ehefrau, die klug-witzig-gemeinen Mittzwanziger, und die Mini-Suraya, die in diesem Fall Saskia heißt und Suraya offensichtlich an ihr zwanzig Jahre jüngeres Ich erinnert.
Suraya hebt den Blick und strahlt. »Und hier ist unser Ehrengast, Helen Zhang.«
Alle am Tisch jubeln, und auch Grant sieht auf.
Sie ist es.
Die Helen Zhang der Gegenwart. Sie sieht … gut aus. Die Haare hat sie zu einem Messy Bun zusammengebunden, und aus dem Plisseerock ihres dunkelblauen Strickkleids blitzt immer wieder ein hellblauer Schimmer auf, während sie näher kommt. Sie wirkt furchteinflößend, wie aus dem Ei gepellt und erwachsen, und er fühlt sich mit einem Mal schrecklich unvorbereitet auf diesen Moment.
Helen lächelt zaghaft, während sie von einem zum anderen blickt und ihm dabei glücklicherweise keine besondere Beachtung schenkt – er kann nicht beurteilen, ob es Absicht ist oder sie ihn schlichtweg nicht erkannt hat.
»Helen, das sind Tom, Eve, Owen, Saskia, Nicole und Grant.«
Helen fährt zu ihm herum, und er fühlt sich wie ein aufgespießtes Insekt.
»Wir kennen uns«, erklärt sie knapp. Ihr schneidender Tonfall erinnert ihn an eine Schere, die sofort jeden Faden des Schicksals durchtrennt, der die Frechheit besitzt, sich zu entspinnen. »Grant und ich waren an derselben Highschool.«
Sie hat ihn sofort wiedererkannt, wie er da so neben Suraya steht, als wäre das alles ein kosmischer Witz. Er überragt immer noch alle, sieht allerdings schlanker aus als zu seiner Highschool-Football-Zeit. Trägt er tatsächlich eine Collegejacke? Kurz fragt sie sich, ob das hier ein schlechter Scherz für die Versteckte Kamera ist.
Suraya zieht die Augenbrauen hoch und wirft Grant (Grant!) einen verwirrten Blick zu. »Das hast du in deinem Vorstellungsgespräch aber nicht erwähnt.«
Grant schlüpft aus seiner Jacke und nippt an seinem Wasser. Er will offensichtlich Zeit gewinnen. Dabei mustert er sie über den Rand seines Glases hinweg. Obwohl sie weiß, dass sie es nicht sein sollte, ist sie gespannt, was er als Nächstes sagen wird, und starrt auf die Muskeln an seinem Hals (wann hat sie sich zuletzt Gedanken über Grant Shepards Hals gemacht?). Schließlich schluckt er und stellt beiläufig das Glas ab.
»Ich fand es nicht fair. Die Schule in den Büchern ist nicht vergleichbar mit der Schule, an der wir waren«, erklärt er lässig und wendet den Blick von ihr ab, als wäre das alles nicht weiter wichtig. »Außerdem wollte ich den Job, weil du immer schon an mich als Drehbuchautor geglaubt hast, Suraya.«
»Speichellecker.« Suraya verdreht die Augen. »Er ist meine Nummer zwei«, erklärt sie Helen. »Wenn ich nicht da bin, hat Grant das Kommando im Writers’ Room.«
»Ah.« Ihr Mund ist trocken und ihr wilder Herzschlag dröhnt in ihren Ohren, während sie mit aller Kraft versucht, sich normal zu verhalten, was auch immer das in diesem Umfeld bedeutet.
Grant hebt den Blick und sieht sie an. Komm schon, scheint sein Gesichtsausdruck ihr sagen zu wollen. Es muss nicht unangenehm sein, wenn wir es nicht zulassen.
Es ist, als würde er eine Verbindung nutzen, die nur entsteht, wenn zwei Leute dreizehn Jahre lang versuchen, dieselbe Sache zu vergessen, und sie befürchtet, sich gleich übergeben zu müssen.
»Du musst uns nachher sämtliche Peinlichkeiten aus Grants Highschool-Zeit erzählen«, meint Suraya, mit der sie mittlerweile per Du ist – so, wie mit allen anderen im Team.
»Was gibt es Leckeres zu essen?«, fragt Helen stattdessen.
Und auch wenn sie mit jeder Faser ihres Körpers spürt, dass es falsch ist, dass so etwas unmöglich passieren kann, dass es doch Gesetze geben muss, die so etwas verhindern – isst sie sich durch eine endlose Abfolge an Appetithäppchen und lacht höflich über die Witze der anderen, die das Eis brechen sollen, während Grant Shepard am anderen Ende des Tisches sitzt.
Es wird zu einem heimlichen Spiel, wer normaler damit umgehen kann, und vielleicht schaffen sie es sogar die nächsten zwanzig Wochen, Höflichkeiten auszutauschen und sich respektvolle Blicke zuzuwerfen, ohne dass jemand Helens tote Schwester oder die Art, wie sie zu Tode kam, zur Sprache bringt.
Manchmal wünschte ich, du wärst nicht meine Schwester.
Als Suraya nach dem Essen vorschlägt, auf die Dachterrasse umzuziehen, geht Helen voran, um einen Tisch zu besetzen, während die anderen sich frisch machen und mit Freunden und Babysittern telefonieren. Grant kommt als Erster mit zwei Drinks hinterher – Margaritas, was sich unangemessen feierlich anfühlt. Er zögert kurz, was ihm so gar nicht ähnlich sieht und sie sofort wütend werden lässt.
»Ist einer davon für mich?«, fragt sie.
»Wenn du möchtest.« Er stellt das Glas ab.
Ihre Leben hätten weit, weit entfernt voneinander verlaufen sollen, ohne dass sie sich nach dem Abschluss jemals wiedersehen. Helen nimmt einen Schluck und weiß, dass sie das Spiel, das sie spielen – und von dem sie nicht einmal weiß, worum genau es sich handelt –, verlieren wird.
»Ich finde, du solltest aussteigen«, erklärt sie plötzlich.
Grant hebt die Augenbrauen, dann nippt er gelassen an seinem Drink. »Ach, findest du das?«, fragt er gelangweilt.
Sie hasst die Tatsache, dass ihm nichts, was sie sagt oder tut, nahegeht, während sie weder ein noch aus weiß. Das Gefühl, das sie am ganzen Körper beben lässt, ist gleichzeitig vertraut und völlig fremd. Die unerwartete Nähe zu ihm. Ihr Herz springt ihr beinahe aus der Brust, und sie steht kurz davor, auf dem Holzboden der Dachterrasse zusammenzubrechen oder den Mörder ihrer Schwester genau dorthin zu befördern. Was rein rechtlich gesehen nicht stimmt, erinnert sie sich. Es war nicht seine Schuld. Trotzdem würde ihr gebrochenes Herz ihm am liebsten ins Gesicht schlagen.
»Ja. Es ist mehr als unangebracht – und grausam –, dass du hier bist.«
Ihr ist bewusst, dass sie mal wieder schrecklich formell klingt, als wäre sie von viktorianischen Geistern großgezogen worden, und sie bereut sofort, dass sie überhaupt etwas gesagt hat.
»Das wäre etwas übertrieben, nicht wahr?«, fragt er, wie der größte Arsch.
»Nein, eigentlich nicht. Wie … wie ist es überhaupt dazu gekommen?«
»Sie haben mir dein Buch geschickt, ich war bei dem Meeting, Suraya ist toll, sie findet mich toll, und hier sind wir nun.«
»Du hättest niemals zu diesem Meeting gehen sollen«, erklärt Helen. Der Alkohol und die Wut lassen ihre Wangen glühen. »Du hättest ablehnen sollen. Dir etwas anderes suchen. Irgendetwas.«
»Tja …« Er lacht. »Na ja.«
»Hast du kein schlechtes Gewissen, dass du den Job angenommen hast?«, fragt sie.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortet er und kippt den Rest seines Drinks herunter. »Ich habe eine Hypothek und Rechnungen zu bezahlen, und auch wenn jemand, der zwei Sekunden nach seiner Landung in L.A. bereits einen angenehmen Job als Drehbuchautorin in der Tasche hat, glaubt, dass die Jobs hier bei uns vom Himmel fallen, bloß weil er Glück gehabt hat, ist es bei Weitem nicht so.«
Wie kann er es wagen!, protestieren die viktorianischen Geister in ihrem Kopf.
»Ich hatte kein Glück – es ist mein Buch«, erklärt sie bissig. »Und wenn es dir finanziell nicht so gut geht, ist das zwar schade, aber nicht mein Problem, oder?«
Grant stößt die Luft aus, kneift die Augen zusammen und presst einen Finger an die Schläfe. Er sieht aus, als hätte er Schmerzen. Gut.
Als er schließlich erneut das Wort erhebt, klingt seine Stimme kontrolliert und ruhig, und sein Blick ist direkt auf ihre Augen gerichtet. »Helen, ich wollte deine Schwester nicht töten, und ich musste seit damals jeden einzelnen Tag damit leben. Ich bitte dich nicht, mir zu verzeihen, aber du weißt so gut wie ich, dass sie einfach vor ein x-beliebiges Auto gesprungen ist. Es hätte jeden treffen können, aber es war nun mal zufällig meines.«
Sie kann nicht glauben, was er da gerade gesagt hat, vielleicht hat sie ihn falsch verstanden. Sie meint, einen Funken Verzweiflung in seinem Blick zu erkennen, und seltsamerweise fragt sie sich, was in Grant Shepards Leben passiert ist, seit sie ihn zum letzten Mal gesehen hat.
»Das ist mir egal«, zischt sie. »Es war dein Auto. Du bist gefahren.«
Grant zuckt zusammen, und ein rachsüchtiges Gefühl der Befriedigung macht sich in ihr breit. Dieser Abend hätte der Beginn eines neuen Kapitels werden sollen. Ein Karriere-Highlight. Die Tatsache, dass sie sich Gedanken über diesen verdammten Grant Shepard macht, scheint ein grausamer Scherz des Universums zu sein und ein Zeichen dafür, dass sich kleine Schwestern selbst aus dem Grab heraus an Orte schleichen, an denen sie nicht erwünscht sind.
»Ich will nicht, dass du an der Serie mitarbeitest«, erklärt Helen.
Sie spürt das Verlangen, ihre Worte zu unterstreichen, indem sie ihm den Finger in die Brust sticht, aber es gibt wohl nichts Unangebrachteres, als Grant Shepard auch noch zu berühren.
»Okay, aber ich werde nicht kündigen«, erwidert er, und sein Blick ist kalt, hart und leer. »Wenn du mich loswerden willst, geh zu Suraya.«
Man hört bereits, wie die anderen Drehbuchautoren die Treppe zur Dachterrasse heraufkommen, und ihr Gespräch endet abrupt. Grant setzt ein höfliches, aber gleichmütiges Gesicht auf. Was für ein Monster, denkt Helen automatisch.
»Ich muss leider schon gehen«, erklärt er Tom, dem Mann des Autorenehepaars. »Es war nett, euch alle wiederzusehen, und ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit.« Er prostet Helen mit dem verbitterten Abklatsch eines Lächelns und einem Glas Wasser zu und macht sich auf den Weg nach unten.
Saskia, die kleingewachsene asiatische Autorin, die aussieht, als hätte sie gerade ihren Schulabschluss gemacht, setzt sich auf Grants Platz und schenkt Helen ein zögerliches und gleichzeitig hoffnungsvolles Lächeln.
»Es ist so schön, dich kennenzulernen«, erklärt sie aufgeregt, und das ist mehr, als sie den ganzen Abend über von sich gegeben hat. »Ich hoffe, es ist okay, wenn ich das jetzt sage, aber ich bin ein Riesenfan. Es ist mein erster Job als Mitarbeiterin im Writers’ Room, und allein die Einladung zum Bewerbungsgespräch war ein unfassbares Glück.«
Neue Szene. Helen schlägt in Gedanken eine leere Seite auf und zwingt sich, Saskias Lächeln zu erwidern. »Es ist auch mein erstes Mal beim Fernsehen«, gesteht sie. »Als hätte man mich kopfüber ins Haifischbecken gestoßen.«
»Dann können wir einander beistehen«, beschließt Saskia eifrig. »Es ist kaum zu glauben, wie jung du bist. Und du hast schon so viel erreicht.«
Helen kommt dieser Satz bekannt vor. Seit ein paar Jahren kommen immer wieder andere junge asiatische Autorinnen auf sie zu – bei Veranstaltungen, über die persönlichen Nachrichten auf diversen Social-Media-Plattformen, und manchmal sogar per E-Mail, wenn sie besonders unerschrocken sind und es schaffen, die Adresse herauszufinden. Sie sagen, dass sie zu ihr aufsehen. Sie wollen wissen, wie sie es geschafft hat. Sie sind stolz auf sie, und vielleicht auch ein wenig neidisch. Früher hat sie sämtliche Bitten um Ratschläge beantwortet – sie fühlte sich geschmeichelt, wollte helfen, und vielleicht war es auch ein sicherer Rahmen, um etwas von ihren verdrängten Schuldgefühlen zu kanalisieren. Ich bin ein gutes Vorbild, sagte sie sich bei jeder wohldurchdachten Antwort. Ich bin ein gutes Mitglied der Gemeinschaft. Ich hinterlasse metaphorische Landkarten und Hinweisschilder für alle, die nach mir kommen. Doch irgendwann wurde es zu viel – der Erfolg wurde größer, und sie wurde von Anfragen überschwemmt –, und mit jeder unbeantworteten Nachricht wuchs auch das schlechte Gewissen, das sie verdrängen musste.
Sie sieht Saskia an und versucht, so etwas wie eine kleine Schwester in ihr zu sehen.
Michelle hätte dich gehasst. Der bissige Gedanke kommt völlig unerwartet. Du wirkst zu erbittert.
Suraya wirft Helen einen Blick zu, als wollte sie fragen, ob alles in Ordnung sei.
Helen schluckt. Nein, es ist nicht alles in Ordnung.
Sie spürt einen Stich im Herzen und gleich darauf im ganzen Körper, als sie sich vorstellt, den Satz laut auszusprechen. Sie stellt sich vor, wie Suraya sie ansehen würde, wenn sie ihr sorgfältig zusammengestelltes und offensichtlich auch freundschaftlich verbundenes Autorenteam noch vor dem ersten Tag im Writers’ Room sprengt. Sie stellt sich vor, wie sie alles hinwirft und mit eingezogenem Schwanz nach Manhattan zurückkehrt – es hat sich herausgestellt, dass man es doch nicht »überall« schafft, bloß, weil man es hier geschafft hat.
Sie drückt die Schultern durch. Sie kann das.
Sie wird Grant Shepard nicht die Genugtuung geben.
Helen nickt Suraya zu und lächelt. Ihr geht es großartig.
Grant schafft es, die Panikattacke die ganze vierzigminütige Uber-Fahrt lang von der West Side nach Silber Lake im Zaum zu halten. Doch sobald er seine Alarmanlage deaktiviert hat und sie leise piept, ist alles vorbei.
Er sieht dunkle Punkte und hat ein Klingeln in den Ohren, und es ist einfach zu wenig Luft im Flur, als er in die Küche stolpert. Mit zitternden Händen zieht er sein Handy heraus und scrollt durch die Kontakte. Er könnte seine Therapeutin anrufen, aber es ist spät, und sie hat Kinder. Fern, seine Agentin, fällt sofort flach. Sie reagiert allergisch auf Gefühle.
Er scrollt weiter – andere Drehbuchautoren, Leute, mit denen er in geschlossenen, professionellen Settings Wunden aufgerissen hat, um neue Geschichten zu finden und erzählen zu können. Keiner von ihnen steht ihm auf persönlicher Ebene nahe genug, um ihn an einem Freitagabend um elf durch eine Panikattacke zu begleiten.
Sein Daumen wischt über Tropfen, die plötzlich auf dem Display landen – verdammt, er weint – und stoppt bei Karina, Kostüm.
Sie geht nach dem dritten Klingeln ran.
»Ich habe fünf Minuten, dann muss ich zurück aufs Set. Was ist los?«, fragt sie.
»Ich, ähm, ich … ich habe eine Panikattacke«, erklärt Grant.
»Scheiße«, erwidert sie. »Ist jemand bei dir?«
»Nein.« Er fühlt sich wie der größte Versager.
»Atme«, befiehlt sie. »Länger ausatmen als einatmen. Eins … zwei … drei.« Sie zählt weiter, bis sie bei zehn angelangt sind und seine Atmung wieder regelmäßig ist.
»Danke«, sagt er. »Tut mir leid, dass ich dich von der Arbeit fortgeholt habe. Es ist nur … ich hatte sonst niemanden.«
»Willst du mir erzählen, was passiert ist?«, fragt sie.
»Ähm.« Er denkt daran, wie unfair das hier ihr gegenüber ist. Daran, dass sie vor fünf Monaten Schluss gemacht haben und er ihr immer noch ein paar Schallplatten zurückgeben muss. »Nein. Es ist nicht wichtig. Du solltest zurück zum Set.«
Es folgt eine Pause am anderen Ende der Leitung.
Schließlich seufzt sie. »Du solltest dir jemanden zum Reden suchen, Grant. Nicht mich, aber … irgendjemanden …«
»Ja. Danke.«
»Schönen Abend noch«, sagt sie und legt auf.
Grant weiß, dass er vermutlich ganz leicht »irgendjemanden zum Reden« finden würde. Da ist zuallererst seine Therapeutin, zu der er ohnehin wieder einmal gehen sollte. Aber es gab auch Zeiten, da war ihm elf Uhr abends noch nicht zu spät, um sich in einer Bar eine hübsche, verständnisvolle Frau mit einem offenen Ohr zu suchen. Jeder mag dich, hat seine Agentin ihm versichert, und das stimmt zum Großteil auch. Er ist nicht unattraktiv und strahlt gerade genug Traurigkeit aus, um interessant zu wirken.
Der Anfang ist noch nie Grants Problem gewesen. Es ist vielmehr so, dass keine seiner Beziehungen den zweiten Akt überlebt. Mit ihm auszugehen, mit ihm zu leben, ihn zu lieben macht am Ende alle zu traurig, weil er sie zu viel braucht. Und er fühlt sich immer zu schönen, komplizierten Frauen hingezogen, die klug genug sind, um irgendwann zu verstehen, dass es nicht in ihrer Verantwortung liegt, ihn zu therapieren, auch wenn sie inständig hoffen, dass es ihm eines Tages wieder gut gehen wird.
Während er sich den Geschmack des missglückten Abends von den Zähnen putzt, überlegt er, ob Helen es Suraya schon gesagt hat. Er fragt sich, wie sich das Gespräch wohl angehört hat.
»Ist dir klar, dass du einen Mörder engagiert hast?«
Suraya würde nach Luft schnappen und Helen versichern, dass sie keine Ahnung hatte, und dann würde sie Grants Agentur anrufen und ihnen die Hölle heiß machen, weil sie sie in eine so grauenhafte Situation gebracht haben, ohne sie vorher darüber aufzuklären. Man würde ihn fallen lassen, er würde nie wieder einen Job bekommen, und alle, mit denen er jemals zusammengearbeitet hat, würden flüstern: Wir wussten es. Wir wussten, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Wir haben es alle gespürt.
Ihm ist klar, dass er übertreibt und dass das theoretisch ungesund ist, aber irgendwie fühlt er sich damit besser. Mit der Vorstellung, dass ihn seine Vergangenheit einholt. Dass der Tag, vor dem er sich so lange gefürchtet hat, endlich da ist. Er spielt alle Worst-Case-Szenarien durch, bis er zu dem ältesten seiner verdrängten Gedanken vorstößt, den er tief unter jahrelangen Therapiesitzungen und den gut gemeinten Behauptungen seiner Freunde begraben hat, denen er nicht annähernd so viel Glauben schenkt wie der Wahrheit. Er hätte es verhindern können. Hätte er bloß schneller gebremst. Wäre er bloß aufmerksamer gewesen.
Grant weiß, dass er zu Recht Schuldgefühle hat und dass er diese vermutlich für den Rest seines Lebens haben sollte. Im Vergleich zu dem großen Ganzen ist es ein geringer Preis, den er zu zahlen hat.
Er hätte sich bei Helen entschuldigen sollen, als er die Chance dazu hatte. Und das hätte er auch getan, wenn er bei klarem Verstand gewesen wäre. Vielleicht kann eine Entschuldigung die Sache noch retten. Er beschließt, ihr morgen eine E-Mail zu schreiben.
Dieser Gedanke ist beruhigend genug, dass er schließlich einschläft, wobei er als letztes Bild Helen Zhang vor Augen hat, die ihn zuerst als Teenager und dann als Erwachsene mit einem kühlen, fordernden Blick ansieht und ihm mit fester Stimme erklärt, was er im Geheimen schon immer gewusst hat – dass seine Anwesenheit nicht erwünscht ist und er sich verziehen soll, bevor er irgendjemanden noch mehr verletzt.
»Ich weiß«, erklärt er Helen in seinem Traum, der eigentlich eine Erinnerung ist. »Wann hörst du endlich auf, mich daran zu erinnern?«
Helen kann nicht schlafen, also steht sie auf und tut, was sie immer tut, wenn sie nicht schlafen kann und sich selbst nicht genug liebt, um sich davon abzuhalten. Sie holt ihren Koffer unter dem Bett hervor, öffnet das innere Seitenfach und zieht eine alte Festplatte heraus. Sie verbindet die Festplatte – die von Geistern heimgesucht wird, wie ihr Teenager-Ich jedes Mal ergänzt – mit ihrem Laptop und beginnt, an einer alten emotionalen Wunde zu kratzen, die nie wirklich verheilt ist.
Dateien Michelle bei der Arbeit Bio Englisch Latein 2 Mathematik Sport Fotografie Weltkulturen
Helen klickt sich durch die Dateien, die eine digitale Zusammenfassung des letzten Semesters im Leben ihrer Schwester darstellen. Michelle hat in der siebten Klasse aufgehört, Tagebuch zu schreiben, nachdem Helen sie ermahnt hatte: »Warum um alles in der Welt willst du ein schriftliches Geständnis ablegen, das Mom und Dad jederzeit finden könnten?«
Diesen Satz wird Helen ihrem vierzehnjährigen Ich niemals verzeihen.
Anstelle eines Tagebuches hat sie nun lediglich eine Festplatte mit alten Aufsätzen und Mathe-Aufgaben. Früher war sie der romantischen Vorstellung erlegen, dass es ihr vielleicht gelingen würde, ihre kleine Schwester nach ihrem Tod besser zu verstehen. Dass sie etwas Neues aus den bruchstückhaften Aufsätzen über Dust-Bowl-Fotografie und das Leben der Brontë-Schwestern erfahren würde.
Sie standen sich nach Helens Wechsel an die Highschool nicht nahe genug, um sich einander anzuvertrauen. Helen war ihre kleine Schwester vor ihren neuen Freunden ein wenig peinlich, und Michelle beschloss, dass es ihr als Achtklässlerin genauso ging, was Helen betraf.
In Helens Erinnerung ist Michelle fortwährend ein missmutiges Teenagermädchen, das durch die Tür in ihr höhlenartiges Zimmer verschwindet – in dem es immer irgendwie nach überreifem Obst roch –, nachdem sie von ihrer Familie, den Lehrern oder der Welt im Allgemeinen bitter enttäuscht worden war.
Im Stillen hat Helen immer gehofft, dass sie während ihrer Ausgrabungsversuche auf der alten Festplatte ihrer Schwester eine Jahrhundertentdeckung macht – etwas findet, das Licht auf das Geheimnis der letzten Lebensjahre ihrer Schwester wirft, und zwar in Michelles eigenen Worten. Den Entwurf für einen eigenen Roman vielleicht, unvollendete Gedichte oder sogar einen halb fertig geschriebenen Abschiedsbrief.
Aber da war nichts, und irgendwann beendete Helen diese mehr als bescheuerte Art, sich selbst zu verletzen, für die sie eigentlich viel zu schlau war. So schlau, dass sie in ihren eigenen Büchern über die Suche nach verloren gegangenen Briefen schrieb – in ihren Büchern über brillante, gebildete Teenager, auf der Suche nach lang vergessenen akademischen Geheimnissen, überschattet vom tragischen Unfalltod der kleinen Schwester der Hauptfigur. Büchern, die bald als Fernsehserie veröffentlich werden, ruft Helen sich in Erinnerung. Sie hat diese persönliche Wunde schon oft genug in Gold verwandelt, und es wird Zeit, die Geschichte endlich ruhen zu lassen, denn sie hat ihren Zweck im kreativen Schreibprozess bereits mehr als erfüllt.
Such dir eine neue Wunde, die du aufreißen kannst, das hier wird langsam langweilig, tadelt sie sich selbst. Erzähle eine neue Geschichte.
Trotzdem sitzt sie hier vor ihrem Laptop und klickt sich durch die Dateien.
Vielleicht gibt es ja im nächsten Ordner etwas, das sie bisher übersehen hat.
Ihr Name gefällt mir«, schwärmt die Empfangsdame und schenkt Grant Shepard über ihr Pult hinweg ein strahlendes Lächeln.
Helen verspürt den Drang, sich abzuwenden und zurück zum Auto zu gehen. Sie stehen auf dem Bürgersteig vor dem Outdoor-Restaurant in Mid-City, in dem sie sich verabredet haben, und Grant flirtet mit der Empfangsdame.
»Der ist leider nicht mein Verdienst«, erklärt er mit einem lässigen Lächeln. »Aber danke, Ihrer ist auch sehr hübsch.«
»Wir brauchen eine zweite Speisekarte«, unterbricht Helen die beiden genervt.
Grant und die Empfangsdame mit dem hübschen Namen (Rose, wie auf ihrem Namensschild zu lesen ist) sehen sie an, als hätten sie sie ganz vergessen.
»Selbstverständlich«, sagt Rose, wirft Grant einen mitfühlenden Blick zu und greift nach einer zweiten Speisekarte. »Bitte folgen Sie mir.«
Sie sitzen auf der Veranda unter dem Schatten einer Bougainvillea an einem Tisch mit Blick auf die Straße. Helen wird mit einem Mal klar, wie öffentlich dieser Ort ist, und bereut, dass sie dem Treffen zugestimmt hat. Seine E-Mail (ohne Betreff) war kurz und unerwartet gewesen. Würde gern mit dir reden, bevor die Arbeit anfängt. Falls du Zeit hast. Mittagessen?
Sie hat die E-Mail an die Assistentin ihrer Agentin weitergeleitet, die sofort verstand und ohne Umschweife und ohne direkten Kontakt zwischen Helen und Grant ein Datum und einen Ort festgelegt hat.
»Also«, sagt sie, nachdem der Kellner ihnen stilles oder Sprudelwasser angeboten, die Spezialitäten des Tages verkündet (Tagliata vom Rind, italienische Hochzeitssuppe) und ihre Bestellungen aufgenommen hat, um anschließend zu verschwinden.
Endlich.
»Also«, wiederholt Grant mit einem zögernden Lächeln, das vermutlich seine beste Waffe in jeder Diskussion ist.
»Worüber wolltest du sprechen?«, fragt Helen.
Er schweigt, als müsste er seine Möglichkeiten abwägen.
»Ich habe nach dem Kennenlerndinner nichts von Suraya gehört«, meint er schließlich und legt die Sonnenbrille auf dem Tisch ab. »Nur von ihrer Assistentin, die mir die Zufahrtsgenehmigung für Montag übermittelt hat.«
Helen sieht auf die Straße hinaus. Hoffentlich glaubt er nicht, dass sie ihm verziehen hat.
»Wenn du nicht den Anstand hast, von selbst zu gehen, lastet das auf deinem Gewissen«, sagt sie. »Ich werde die Arbeit an der Serie nicht mit Last-Minute-Problemen sabotieren, obwohl man mich vorab hätte informieren sollen.« Sie wirft ihm einen mehr als empörten Blick zu.
Grants Mundwinkel zucken, als würde er das auch noch komisch finden. Sie hasst es, dass sie sich immer irgendwie lächerlich fühlt, wenn sie ihren Ärger zur Schau stellt – als wäre er ein Mantel, der ihr nicht mehr wirklich passt, nachdem er viele Jahre im hintersten Teil des Kleiderschranks gehangen hat.
»Das ist das Problem in Hollywood«, sagt er und gießt Wasser in ihre beiden Gläser. »Es sind nur noch sehr wenige wirklich anständige Leute in unserem Business übrig.«
Sie hat das Gefühl, als würde er innerlich über sie lachen – die arme Helen und ihre albernen Moralvorstellungen –, und hat plötzlich das Bedürfnis, ihn zu Boden zu schleudern, um triumphierend auf ihn hinabzublicken.
»Ich wette, du hältst dich selbst für anständig«, meint sie unbeeindruckt, während er sein Glas hebt. »›Tut mir leid, dass ich deine Schwester umgebracht habe, darf ich dich zum Essen einladen?‹«
Grants Hand hält auf halbem Weg zum Mund inne. Er stellt das Glas ab, und die Adern an seinem Hals treten auf ziemlich spektakuläre Art hervor.
»Helen«, erwidert er leise. »Ich finde, wir sollten ein paar Grundregeln aufstellen.«
»Grundregeln«, wiederholt sie. Seine Worte fühlen sich seltsam auf ihrer Zunge an.
»Wir werden zusammenarbeiten, und es ist im Interesse der Serie, wenn wir … freundlich miteinander umgehen«, fährt Grant fort. »Von Autorin zu Autor.«
Du siehst zu gut aus, um Autor zu sein, will Helen ihm an den Kopf werfen. Du warst nie ein unbeholfener, verlegener Teenager und musstest einen starken Charakter ausbilden, um dein Äußeres zu kompensieren.
Seine dunkelbraunen, leicht zerzausten Haare schimmern leicht rötlich im Sonnenlicht, und die Pflanzen sorgen gerade für genug Schatten, dass die attraktiven Kanten seines Gesichts noch besser zur Geltung kommen. Es ist unfair, dass sie denselben Beruf ausüben, obwohl er ein solches Gesicht besitzt. Sie weiß noch, dass der junge Grant Shepard auf beinahe unerreichbare Art gut aussehend war.
Der erwachsene Grant Shepard ist auf schmerzhafte Weise unwiderstehlich.
»Freundlich«, wiederholt Helen. »Klar. Auf jeden Fall professionell, würde ich sagen.«
Wenn ihm der Nachsatz aufgefallen ist, kümmert es ihn nicht. Er trommelt nachdenklich mit den Fingern auf das Leinentischtuch.
»Im Writers’ Room wird viel über das Privatleben gesprochen«, fährt Grant fort. »Deine Bücher spielen an einer Highschool – vermutlich werden die anderen nach unseren gemeinsamen Erinnerungen fragen.«
Welche gemeinsamen Erinnerungen? Sie haben vor dem Unfall kaum jemals miteinander gesprochen, und danach natürlich überhaupt nicht mehr. Sie vermutet, dass die Lehrer und ihre Mitschüler sie in diesen drei letzten Schulwochen absichtlich voneinander ferngehalten haben, als hätten sie befürchtet, dass Helen eines Tages ihre sorgfältig verpackte Trauer nehmen und Grant sie an ihm auslassen würde.
»Es sollte ein sicherer Ort für einen Erfahrungsaustausch sein«, erklärt er und lässt sie nicht aus den Augen. »Und ich würde gern wissen, ob es Themen gibt, die wir vermeiden sollten. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, wie viel du von deinem eigenen Leben preisgeben willst. Deine Schwester –«
»Michelle ist tabu«, unterbricht Helen ihn abrupt. »Ich will nicht über sie reden. Auf keinen Fall.« Sie schluckt. Es kommt nicht mehr sehr häufig vor, dass sie Michelles Namen laut ausspricht.
Er nickt knapp. Verstanden.
Eine altbekannte Frage steigt in ihr hoch. Wie war es danach für dich? Es ist ein Gedanke, den sie jedes Mal so schnell wie möglich verdrängt, denn er führt unweigerlich dazu, dass sie es sich vorstellt, und das wiederum führt zu einem Augenblick ungewollten Mitgefühls. Es muss schrecklich gewesen sein. Mitgefühl, das sich schließlich in Schuldgefühle verwandelt, Schuldgefühle, dass er sich überhaupt über diese Dinge Gedanken machen muss, während Helen sich weigert, ihnen noch mehr Raum in ihrem Leben zu geben, als sie ohnehin schon an sich gerissen haben. Und dann hasst sie diese Schuldgefühle, weil sie nicht dafür verantwortlich ist, dass er mit dieser Erinnerung leben muss. Im nächsten Moment ist die Wut wieder da, und mit ihr die zugeschlagene Tür, hinter der sich der Selbstmord ihrer Schwester verbirgt. Die Frage, auf wen sie wirklich wütend ist. Und dann dreht sich diese ungesunde Spirale weiter und weiter, bis Vergangenheit und Gegenwart sich vermischen und sie alles noch einmal erlebt, anstatt es zu reflektieren, wie ihre Therapeutin ihr einmal erklärt hat. Am besten ist es, wenn sie sich an die bewährte Regel hält, sich keinerlei Gedanken über Grant Shepard zu machen.
Grant Shepard, der ihr gerade gegenübersitzt und offensichtlich darauf wartet, dass sie fortfährt. Helen versucht, die Geister der Vergangenheit lange genug zu vertreiben, um wieder zurück in das Gespräch zu finden.
»Alles andere ist … schätze ich … in Ordnung, wenn es der Serie dient.«
Grant hebt eine Augenbraue. »Alles?«
Helen zuckt mit den Schultern. »Klar.«
»In wen warst du an der Highschool verliebt?«, fragt er und lehnt sich stirnrunzelnd zurück.
Helen schüttelt lachend den Kopf. »In niemanden aus deinem Universum.«
»Im Writers’ Room muss da aber weitaus mehr kommen«, sagt er, und sie hat das Gefühl, als hätte sie gerade eine Bewertung in einem Wettbewerb bekommen, ohne zu wissen, dass sie überhaupt daran teilnimmt. »Details sind hilfreich.«
»Ich weiß«, erwidert sie genervt. »Ich bin selbst Autorin.«
Das Essen kommt (hausgemachte Pasta für ihn und ein verlegener Salat für sie), und sie spürt, wie Grant sie beobachtet, während der Kellner den Brotkorb zwischen ihnen auf dem Leinentischtuch abstellt.
»Du glaubst also nicht, dass wir ein Signalwort brauchen, wenn wir über unsere Highschoolzeit reden?«, fragt er, und sie lässt sich von seinem lockeren Tonfall nicht täuschen. Sie spürt seine Anspannung, und er wirkt allgemein sehr vorsichtig. »Was, wenn meine Gefühle verletzt werden?«
Es sind nicht deine eigenen Gefühle, um die du dich sorgst, denkt sie und spießt ein Crouton auf.
»Ich wette, du bist stärker, als du glaubst«, sagt sie. »Sonst hättest du diesen Job nicht bekommen.«
Er stößt ein kurzes bellendes Lachen aus und greift nach seiner Gabel.
»Weißt du, ich bin gut in meinem Job«, sagt er, bevor er einen Bissen Pasta probiert. »Manche würden sogar meinen, dass du mich weit unter dem Marktwert bekommen hast.«
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dich überhaupt nicht bekommen«, erinnert sie ihn und fragt sich, wie lange sie die Gesellschaft des anderen noch ertragen müssen, bevor es in Ordnung ist, den Kellner um die Rechnung zu bitten.
»Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dich überhaupt nicht bekommen.«
Grant widersteht dem Drang, sich mit der Hand übers Gesicht zu fahren, denn womöglich hätte er sich dabei die Maske der kaum noch aufrechtzuerhaltenden Höflichkeit heruntergerissen und offenbart, wie er sich wirklich fühlt – nämlich wie ein fratzenhaftes Monster, dessen Therapeutin sich einmal dazu veranlasst sah, ihn daran zu erinnern, dass es »Dinge gibt, die man tun kann, es aber immer eine gute Idee ist, sich zu fragen, ob man sie auch tun sollte«.
Er weiß, dass er den Job hinwerfen sollte. Helen hat ihn an dem Kennenlernabend so huldvoll darum gebeten, dass er kurz vor sich gesehen hat, wie er auf ein Knie sinkt, ihren Ring küsst und sie um Vergebung bittet.
Aber er ist sich auch ziemlich sicher, dass er gute Arbeit leisten kann – sehr gute sogar –, und er hängt dem philosophischen Gedanken nach, dass er zwar sehr viele Dinge hätte tun sollen, dass er aber nun mal hier sitzt und sie beide versuchen, das Unvermeidliche zu umgehen, obwohl es doch eigentlich besser für alle wäre, wenn er seine Energie darauf verwenden würde,
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