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Ein stilvoller Geburtstag auf dem Landsitz der Familie Holmes – was könnte da schon schiefgehen? Für Hunter B. Holmes und seine Freunde ist seine Geburtstagsfeier auf Rosemoor Hall eine willkommene Gelegenheit, das britische Landleben zu genießen – zwischen eleganten Salons, exzellentem Whisky und einem Hauch Nostalgie. Doch aus der prunkvollen Feier wird bald schon eine kriminalistische Herausforderung, als ausgerechnet auf dem Anwesen der Holmes die Leiche eines der einflussreichsten Männer des Städtchens gefunden wird. Hunter versucht, das Geflecht aus alten Fehden und gut gehüteten Geheimnissen zu entwirren und stößt dabei auf Rätsel, deren Wurzeln weit in die Vergangenheit reichen. Was passierte in jener verhängnisvollen Nacht vor dreißig Jahren? Und wer tut alles, um die Wahrheit zu verbergen? Schnell wird Hunter klar, dass nicht nur die Ermittlungen knifflig sind, auch die Beziehung zu seiner Familie ist komplizierter, als ihm lieb ist. Ein Cosy-Crime voller britischem Charme, skurriler Charaktere und einer Prise mörderischer Familienintrigen!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Eine Leiche zum Geburtstag
von
Wolf September
Impressum
Wolf September
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.wolfseptember.de
Instagram: wolf_september_info
Facebook: autorwolfseptember
Lektorat & Korrektorat
Matti Laaksonen - www.mattilaaksonen.de
Coverdesign: Lilly Schwarz
Bildrechte: © Ravven /© natalt - de.depositphotos.com
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Vielen lieben Dank an meine Testleser
Björn, Sandra, Susan, Rina, Antonia, Tina, Stefan und Lisa
die mich mit Tipps, Hinweisen und
sehr umfangreichem Feedback unterstützt haben.
Schön, dass es Euch gibt
Hunter lehnte sich entspannt in seinen Sitz zurück, während der Zug langsam das geschäftige London hinter sich ließ und sich den weiten Wiesen und ruhigen Tälern von Meadowfield Hills näherte. Die Metropole verblasste in der Ferne und die Gebäude wichen den grünen Weiten Südenglands.
Steven hatte seinen Kopf auf Hunters Schulter gelegt und blickte hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft, der leichte Wind strömte durch das halb geöffnete Fenster herein und trug den Duft von frisch gemähtem Gras und die ersten warmen Aromen des nahenden Herbstes mit sich. Hunter spürte das sanfte Rucken des Zuges, das wie ein gleichmäßiger Herzschlag durch den Wagen pulsierte.
Regelmäßige Atemzüge streiften sein Kinn, ein Lächeln lag auf Stevens Lippen. Die Sonnenstrahlen fielen flackernd durch die Baumreihen und tauchten das Abteil in warmes Licht.
Hunter lehnte sich zurück und betrachtete seine Mitreisenden. Es war das erste Mal, dass er seine Freunde aus London mit in sein altes Leben nahm. Wobei er weder seinen Partner David noch Steven gekannt hatte, als er vor knapp drei Jahren das letzte Mal auf Rosemoor Hall gewesen war.
Ihm gegenüber saß David mit seiner Freundin Roberta, die sich leise unterhielten und dabei Händchen hielten. Ihre Blicke begegneten sich immer wieder, begleitet von kleinen, liebevollen Gesten, die Hunter ein unwillkürliches Lächeln auf die Lippen zauberten. Roberta zog Davids Hand näher zu sich und drückte einen schnellen Kuss auf seine Knöchel, bevor sie sich wieder ihrer Unterhaltung zuwandte, als wäre nichts gewesen. Er konnte sehen, wie Davids Wangen sich röteten, während er einen Moment lang die Worte suchte, um das Gespräch fortzusetzen. Seit einem knappen halben Jahr waren David und Roberta nun ein Paar. Damals hatte David gerade im Scotland Yard angefangen und Roberta war noch im Innendienst der Spurensicherung gewesen.
Auf dem Sitz neben David herrschte dagegen Ruhe. Hunters Butler, Godric, saß mit geschlossenen Augen auf seinem Platz, sein Atem ging gleichmäßig und ruhig. Sein makelloser Anzug wirkte, als wäre er gerade frisch gebügelt worden. Hunter vermutete, dass er schlief – zumindest so lange, bis ein leises, aber tiefes Schnarchen erklang, da wusste er es. Godric gegenüber las Lee, der Gerichtsmediziner, in einem Buch mit dem Titel ‚Wege der Weisheit‘. Er sah dabei überaus konzentriert aus, als saugte er jeden einzelnen Satz in sich auf. Auf dem Bahnsteig von Sankt Pancras hatte er das Buch fortwährend vor Hunters Nase herumgeschwenkt, bevor sie in den Zug gestiegen waren. Zumindest hatte er so erreicht, dass Hunter der Titel im Gedächtnis geblieben war.
Das gemächliche Rattern der Räder und das sanfte Rauschen des Windes, der durch das Fenster wehte, beruhigten seine Gedanken. Dennoch spürte er ein unterschwelliges Kribbeln – eine Mischung aus Vorfreude und Unbehagen. Auf der einen Seite freute er sich darauf, nach Rosemoor Hall zurückzukehren, seine Mutter zu sehen und all die vertrauten Menschen aus dem Dorf wiederzutreffen. Auf der anderen Seite war da sein Vater.
Hunters Kiefer spannte sich an, als er an ihn dachte. An ihn und ihre Auseinandersetzungen, weil sein Vater nie vollständig akzeptiert hatte, dass Hunter sich für eine Karriere bei der Polizei statt für die Geschäfte der Grafschaft entschieden hatte – ganz anders als sein Bruder Crispin.
Die Felder draußen waren in goldene und grüne Töne getaucht, die im klaren Sonnenschein leuchteten. Hinter den Hügeln lagen kleine Dörfer, deren Häuser wie Spielzeugmodelle wirkten. Ab und an hielt der Zug an einem Bahnhof, um Fahrgäste aus- und zusteigen zu lassen. Hunter beobachtete die Szenen auf den Bahnsteigen – Menschen, die sich umarmten, Kinder, die aufgeregt winkten – und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit jeder Meile, die sie Meadowfield Hills näher kamen, spürte er, wie die Vorfreude auf zuhause in ihm wuchs.
„Bist du schon aufgeregt?“, raunte Steven ihm zu. Er setzte sich auf und schaute Hunter mit einem warmen Ausdruck in den Augen an, der die ganze Welt um sie herum für einen kleinen Moment ausblendete.
„Ein wenig“, gestand er und erwiderte das Lächeln.
„Wegen deiner Geburtstagsparty?“, fragte Steven. In seiner Stimme schwang eine Mischung aus Neugier und Belustigung mit.
Hunter beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Wegen der Party nicht mal so sehr. Ich freue mich einfach, die ganzen Leute wieder einmal zu sehen.“
„Wie groß wird diese Party eigentlich?“, schaltete sich David in das Gespräch ein.
Hunter blickte nachdenklich Richtung Decke und wiegte seinen Kopf. „Hmm … so hundertfünfzig bis zweihundert Gäste.“
Roberta lachte auf und schüttelte den Kopf. „Für einen 44. Geburtstag? Das ist ja fast wie ein runder! Wie viele kommen, wenn du fünfzig wirst?“
„Bei den Holmes sind die Schnapszahlengeburtstage das, was bei anderen die runden Geburtstage sind“, erklärte Hunter mit einem Zwinkern.
Steven nickte, hob den Zeigefinger und fügte hinzu: „Das ist Tradition.“ Dabei klang er, als hätte er diesen Fakt nicht zum ersten Mal gehört.
„Ganz genau.“ Hunter streckte sich im Sitz und schob seine Beine in den Raum zwischen Davids Füßen, was dieser mit einem gespielt missbilligenden Blick bedachte.
„Wenn du zu deinen Füßen willst, sag Bescheid, dann tauschen wir die Plätze“, kommentierte er das Eindringen in seinen Dunstkreis.
Neben ihnen hatte sich Lee aus seiner Lektüre losgerissen und beugte sich über den Gang zu ihnen. „Wie lange fahren wir eigentlich noch?“, flüsterte er verschwörerisch. „Der alte Mann hier schnarcht ganz fürchterlich.“
„Das ‚alt‘ möchte ich mir verbitten“, murmelte Godric mit geschlossenen Augen, der wacher war, als es den Anschein erweckte. „Und ich schnarche nicht, ich atme nur sehr tief.“
Ein Grinsen huschte über Hunters Gesicht, als Steven den Kopf schüttelte und leise lachte. Die Anspannung der vergangenen Tage, die bevorstehende Feier und der Gedanke an die Begegnung mit seinem Vater verschwanden aus seinem Geist. Hier, umgeben von seinen Freunden, fühlte er sich in diesem Moment einfach nur wohl.
Die Sonne stand hoch, als der Zug endlich in den kleinen, alten Bahnhof von Meadowfield Hills einfuhr. Drei Stunden hatte die Fahrt gedauert, die für Hunter dieses Mal wesentlich kürzer erschienen war, wohl auch dank seiner Freunde.
Mit einem Quietschen kam der Zug schließlich zum Stillstand. Anstelle der lauten Geräuschkulisse von London herrschte hier dagegen Ruhe. Lediglich das Krähen eines Hahns und Hundegebell drangen durch das noch immer geöffnete Fenster zu ihnen herein.
Hunter atmete tief ein und genoss die klare Luft, die durchzogen war von Landgeruch und dem Rauch der Kamine. So sehr er London liebte, nur hier duftete es nach Heimat. Er stand auf und holte wie auch seine Freunde die Koffer aus den Gepäckablagen, bevor sie das Abteil verließen.
Im Gegensatz zum majestätischen Sankt Pancras in London wirkte dieser Bahnhof wie aus einem anderen Jahrhundert. Die malerische Architektur aus dunklem, verwittertem Holz und die schmiedeeisernen Verzierungen an den Fenstern und Türen verliehen dem Gebäude eine verschrobene, fast märchenhafte Atmosphäre. Die schmuckvollen Ornamente schienen Geschichten vergangener Tage zu erzählen, als Reisende hier noch in feinen Anzügen und Kleidern ausgestiegen waren.
Fast automatisch fühlte sich Hunter zurückversetzt in seine Kindheit. Damals hatte er oft zusammen mit Brian staunend am alten Holzgatter gestanden und die Züge, die ankamen und abfuhren, beobachtet. Er konnte fast den Klang von Kinderstimmen hören, das Lachen von Brian und ihm, wie sie sich hier vor den Zügen versteckt hatten. Das Gatter war noch immer da, die Holzlatten vom Wetter gegerbt, die Farbe abgeblättert – und trotzdem strahlte es für Hunter den Charme jener unbeschwerten Tage aus. Es schien, als wäre die Zeit hier tatsächlich stehengeblieben.
Das Kopfsteinpflaster unter seinen Füßen, in dessen Fugen sich dunkelgrünes Moos festgesetzt hatte, berichtete ebenfalls von den Jahren, die vergangen waren. Genau wie das verrostete Dach über den Gleisen. An den schlanken, eisernen Säulen, die es trugen, wuchs dichter Efeu empor und schlang sich um das Metall wie grüne Schlagadern. Alles zusammen verlieh dem Bahnhof einen viktorianischen Touch, als wäre er direkt einer Geschichte von Dickens entsprungen.
Kaum waren sie ausgestiegen, pfiff der Schaffner und der Zug setzte sich langsam in Bewegung, verschwand bald hinter dem nächsten Hügel, und das rhythmische Rattern der Räder verlor sich in der Ferne, bis es schließlich ganz verstummte.
David, Roberta und Lee sahen sich neugierig um. Ihre Blicke glitten über die alte Bahnhofshalle und die dahinterliegenden Gebäude von Meadowfield Hills.
Hunter ging zu Godric, der ein wenig abseits der anderen stand. Er schien ganz in Gedanken versunken – ein Ausdruck von Rührung lag auf seinem Gesicht, während er die Häuser hinter dem Holzzaun betrachtete.
„Alles gut, Godric?“, fragte Hunter und klopfte ihm sanft auf die Schulter.
Er nickte zaghaft. „Weißt du, so gern ich London mag, es tut gut, wieder einmal hier zu sein.“
„Ich weiß, was du meinst.“ Er lächelte ihn an und zog Steven, der ebenfalls zu ihnen gekommen war, zu sich. Für einen Augenblick stand er da und ließ die friedliche Stimmung des Städtchens auf sich wirken.
Vor dem Bahnhofgebäude stand eine imposante, offene Kutsche, die von zwei kräftigen Rappen gezogen wurde. Hunter erkannte Baldwin, der in der Pferdezucht seines Vaters arbeitete. Mit seinen Gummistiefeln und der staubigen Arbeitsjacke sah er aus, als wäre er direkt aus den Ställen auf den Kutschbock gesprungen, um sie abzuholen. Als Baldwin ihn entdeckte, winkte er ihm zu.
Hunter ließ Steven los und steuerte direkt auf ihn zu.
„Master Holmes. Es freut mich, Sie zu sehen. Hatten Sie eine gute Anreise?“ Baldwin ergriff Hunters Hand und schüttelte sie mit einem kräftigen Händedruck. „Ihre Mutter meinte, ich solle Sie mit der Kutsche abholen. Taxi könnten Sie wieder in London fahren.“
Hunter lachte auf. Das war typisch seine Mutter. Er musterte die polierten Räder und die in der Sonne glänzenden Messingverzierungen. Agatha hatte sie wohl auf Hochglanz bringen lassen.
„Hey. Kommt her.“ Er winkte den anderen zu. „Wie wäre es mit einer kleinen Kutschfahrt nach Rosemoor Hall?“ Während Godric Baldwin ebenfalls begeistert die Hand schüttelte und sich nach seinem Befinden erkundigte, sprang auf die Gesichter der anderen freudige Überraschung. Roberta klatschte begeistert in die Hände, was David dazu brachte, sie erstaunt anzusehen. Nur Lee wirkte, als ginge ihn das alles nichts an. Mit einem stoischen Gesichtsausdruck ergriff er seinen Koffer und ging auf die Kutsche zu. „Sieht ziemlich alt aus, Sherlock“, stellte er mit einem kritischen Blick fest. „Sollten wir nicht lieber ein Taxi nehmen?“
„Du hast doch nicht etwa Angst, Dolittle?“, entgegnete Hunter amüsiert. „Diese Kutsche hat schon meine Ururgroßeltern sicher aufs Schloss gebracht.“
„Genau das meinte ich.“
Hunter schüttelte amüsiert den Kopf und holte seinen Koffer vom Bahnsteig. Gemeinsam mit Steven und David wuchteten sie einen nach dem anderen auf den Träger der Kutsche.
Lees war der letzte.
Als David ihn anheben wollte, schnaufte er. „Hey Lee, was hast du da drin? Backsteine?“
Auch das Holz protestierte mit einem lauten Knarzen, als der Koffer darauf landete.
Kurz darauf hatten alle Platz genommen und das Gespann setzte sich mit Baldwin und Godric auf dem Kutschbock in Bewegung. Godric, der selbst auf den abgewetzten Ledersitzen Haltung behielt, bildete einen starken Kontrast zu Baldwin, der daneben kauerte wie ein Schwimmtierchen, aus dem die Luft entwichen war.
Die Straße schlängelte sich durch das Städtchen, vorbei an den Cottages, an deren Fassaden Efeu und wilder Wein wucherten. Ihre schiefergedeckten Dächer leuchteten in der Mittagssonne wie poliertes Silber und der Rauch, der aus den Kaminen aufstieg, verlieh dem Ort eine gemütliche, heimelige Atmosphäre. Das dumpfe Rumpeln der Kutschenräder über das unebene Pflaster wurde nur gelegentlich von einem leisen Klingen unterbrochen, wenn ein Stein gegen die Speichen schlug.
Hunter konnte nicht anders als zu grinsen, als sie gemächlich an den Gärten vorbeifuhren, die in einer Explosion aus spätsommerlicher Blütenpracht standen – rote, gelbe und violette Blüten, die den Eindruck erweckten, als hätte ein Maler seine Farben auf die Gärten getupft.
Egal, was gewesen war, und egal, wie lange es her war – dieser Anblick war für Hunter die Quintessenz seiner Kindheit. Hier war er aufgewachsen, hatte unzählige Sommer in genau diesen Gärten gespielt, war durch diese Straßen gerannt und hatte das Leben als ein endloses Abenteuer gesehen.
Zwischen den Dächern ragte der Kirchturm der St. Andrew’s Church auf, ein vertrautes Wahrzeichen, das über Meadowfield Hills thronte. Und am Horizont, vor der sanft geschwungenen bewaldeten Hügelkette, konnte Hunter schließlich die Dachspitzen der markanten Türme von Rosemoor Hall erkennen.
„Bist du nervös?“, raunte Steven ihm zu und sah ihn an.
Sein Blick glitt über die vertraute Szenerie. „Nervös ist vielleicht das falsche Wort“, antwortete Hunter nachdenklich. „Vielleicht ein bisschen aufgeregt. Aber ich bin wirklich froh, wieder einmal hier zu sein.“
Lee, der auf der gegenüberliegenden Bank saß, lehnte sich vor und musterte die vorbeiziehende Landschaft mit einem mitleidigen Blick. „Und in diesem Kaff bist du aufgewachsen, Sherlock?“ Er zog eine Braue hoch. „Das erklärt einiges.“
„Wo wir gerade so nett plaudern, Dolittle: Wo wurdest du eigentlich geboren?“
„Das tut nichts zur Sache.“
Ein breites Grinsen schob sich auf Hunters Lippen. „Auch das erklärt einiges.“
„Also ich finde es wunderschön“, meinte Roberta, ihre Hand suchte Davids, während sie die malerischen Häuser und Gärten bewunderte, die an ihnen vorüberzogen. „Südengland ist einfach ein Traum. Schau nur, wie hübsch die Blumen vor den Cottages blühen!“
„Man fühlt sich fast wie in Downton Abbey“, warf David ein. „Ich bin aber vor allem auf Rosemoor Hall gespannt.“
Hunter lachte auf. „Also, wenn du einen Kasten wie in Downton Abbey erwartest, wirst du enttäuscht sein. Es ist ein bisschen verwinkelter. Stell dir eher eine kleinere Version von Balmoral vor.“
„Der Sommersitz der Windsors, Balmoral?“, fragte Roberta mit aufgerissenen Augen.
„Ja, zumindest ein bisschen.“ Hunter schaute zu Godric, der sich zu ihnen umgedreht hatte. „Stimmt doch, oder Godric?“
Godric straffte seinen Körper und antwortete mit fast schon andächtiger Miene. „Es bestehen durchaus Ähnlichkeiten.“
Die Kutsche passierte den kleinen Marktplatz und bog in den Dukes Way ein, der direkt zum Schloss führte. Die Räder rumpelten über das unebene Kopfsteinpflaster und Hunter erkannte viele der vertrauten Geschäfte wieder. Die kleine Bäckerei verströmte den verführerischen Duft von frischem Brot und Gebäck, der Hunter im Gedächtnis geblieben war, und auf der Bank davor saß ein Mann, der genüsslich in einen Bagel biss. Sie fuhren an Tobys Friseursalon vorbei, in dem Hunter als Kind seine ersten Haarschnitte bekommen hatte, und am ‚The Wild Rose‘, der Pub, in dem er die meisten Abende seiner Jugend verbracht hatte. Doris, die Wirtin, goss gerade die Blumen vor den Fenstern. Als sie Hunter entdeckte, rief sie: „Willkommen zuhause“, und winkte ihm zu.
Ein paar Minuten später erreichten sie das Eingangstor zu Rosemoor Hall. Die hohe Bruchsteinmauer, die die Gärten um das Schloss umspannte, wirkte wie eine Grenze zwischen der Außenwelt und Hunters Vergangenheit. Hinter der Mauer ragte das Haupthaus von Rosemoor Hall mit seinen zahlreichen Türmen und Schornsteinen auf, die sich stolz in den Himmel bohrten. Ihn durchströmte ein warmes Gefühl der Vertrautheit, nachdem er aus der Kutsche gestiegen war und vor dem schmiedeeisernen Tor stand.
Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, als er den Fahnenmast neben der breiten Pforte betrachtete. Sofort kam ihm wieder der Moment in den Sinn, als er die Unterhose seiner Großmutter zu ihrem 80. Geburtstag gehisst und wie sie im Wind geflattert hatte. Er konnte sich noch genau an ihren entsetzten Blick erinnern – an das rote Gesicht und den erhobenen Zeigefinger, mit dem sie ihm eine „unverschämte Frechheit“ vorhielt. Sie hatte danach fast vier Wochen kein Wort mehr mit ihm gesprochen und seine sofortige Unterbringung in einem Internat gefordert, um ihm solche Flausen aus dem Kopf zu treiben.
Im Internat war er zwar im darauffolgenden Sommer sowieso gelandet, soweit er wusste, hatte sein kleiner Streich aber keinen Einfluss darauf gehabt. Vielmehr war sein Vater der Meinung gewesen, dass es sich für adeligen Nachwuchs gehörte, in einem Internat zu sein. „Bildung und Disziplin“, wie er immer gepredigt hatte.
„Kaum zu glauben, dass du in so etwas großgeworden bist“, meinte Steven, der von hinten an Hunter herangetreten war. Sein Blick hing auf dem imposanten Gebäude.
Hunter nickte und gab ihm einen Kuss. „Ich freue mich schon, dir alles zu zeigen.“
Auch David und Roberta standen staunend neben der Kutsche. „Wow“, raunte David. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in einem echten Schloss übernachten würde.“
„Gibt es auch ein Schlossgespenst?“, fragte Roberta aufgeregt und ging zum Tor, um durch das Gitter in den Garten zu schauen. „Was sind das für geniale Rosen! Diese Farben …“
Hunter lächelte stolz. „Meine Mutter führt die Tradition der Holmes fort und züchtet die Rosen selbst. Jede einzelne Sorte hat ihre eigene Geschichte und was das Gespenst angeht, es gibt da durchaus Geschichten … aber das soll dir besser auch meine Mutter erzählen.“
Lediglich Lee stand ein wenig gelangweilt wirkend mit den Händen in den Hosentaschen vor der Mauer. „Ganz nett, Sherlock. Ein bisschen wie in Disneyland.“
Hunter kommentierte seinen Einwurf mit einem mitleidigen Grinsen und drehte sich um, Baldwin und Godric hievten gerade die Koffer von der Gepäckablage. „Wartet, ich helfe euch“, rief er ihnen zu und lief zusammen mit David und Steven zu ihnen.
Als alle ihr Gepäck hatten, ging Hunter voraus durch das Tor, während ihm die anderen folgten. Im Garten duftete es unwiderstehlich. Als sie kurz vor dem Eingang waren, wurde die schwere Holztür geöffnet und Hunters Mutter Agatha trat heraus. Sie schlug ihre Hände entzückt zusammen und lief dann auf Hunter zu, ein paar Schritte hinter ihr stolzierte sein Vater. Er war noch genauso, wie ihn Hunter in Erinnerung hatte. Glattrasiert, strenger Seitenscheitel und wie immer in passender Kleidung, was in diesem Fall einen legeren Anzug, Hemd und Weste ausmachte. Mit seinem gewohnt überheblichen Blick schritt er ohne Eile auf die Gruppe zu.
Hinter ihm folgte ein Mann im mittleren Alter, offensichtlich Godrics Nachfolger, der hastig versuchte, mit Mr Holmes’ Tempo Schritt zu halten. Hunter erinnerte sich, dass seine Mutter bei ihrem letzten Besuch von einem neuen Butler erzählt hatte.
„Hattet ihr eine gute Anreise?“, fragte Agatha strahlend und umarmte Hunter überschwänglich, bevor sich auch Steven in ihre Arme zog, während sie den anderen die Hände schüttelte.
„Vielen Dank, Mum, hatten wir.“
In der Zwischenzeit hatte Hunters Vater die Gruppe erreicht. Sein Blick war streng und ein kaum merkliches Nicken genügte ihm fürs Erste als Gruß an die Anwesenden. „Ich bitte dich, Agatha. Sie sind mit dem Zug gekommen. Da sollte eine gute Anreise selbstverständlich sein. Wir leben nicht mehr in den Zeiten, in denen man tagelang in einer ungefederten Kutsche unterwegs war“, kommentierte er trocken.
„Also bitte, Holmsy, würdest du hin und wieder mit der Bahn fahren, würdest du so etwas nicht behaupten.“ Agatha zog eine Schnute, während Hunter im Blick seines Vaters Missfallen erkannte. Er hasste diesen Kosenamen, was Hunters Mutter nicht davon abhielt, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu benutzen.
„Hunter“, sagte Henry knapp und reichte ihm die Hand.
„Dad.“ Hunter ergriff sie, wobei er darauf achtete, genügend Druck in die Berührung zu legen und ihm tief in die Augen zu sehen. Er wollte ihm gleich von Anfang an zeigen, dass er ihm etwas entgegenzusetzen hatte, um eventuellen Diskussionen über sein Leben vorzubeugen. „Darf ich dir meinen Lebensgefährten Steven Flechter und meine Freunde vorstellen?“
„Deinen Lebensgefährten …“ Henrys Augenbraue hob sich kaum merklich, als müsste er diese Information erst einmal verarbeiten. „Ja, natürlich.“ Er reichte Steven die Hand, doch die Begrüßung war eher zögerlich und formell. „Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Hunter. „Es freut mich, dass du zumindest an einigen Traditionen unserer Familie festhältst und deinen Geburtstag hier auf Rosemoor Hall feierst.“
Hunter lächelte seine Bemerkung weg, ohne sie zu kommentieren. „Das sind meine Freunde und Kollegen Roberta Jenkins, David Cloverfield und Lee Chang“, fuhr er stattdessen mit der Vorstellung fort.
Henry schüttelte ihnen die Hände und Hunter kam es vor, als wirkte er dabei etwas freundlicher als Steven gegenüber – genau das hatte er erwartet, und Steven prognostiziert. Hunter kannte die Einstellung seines Vaters zu seiner Homosexualität nur zu genau. Und so genau wie er sie kannte, so egal war sie ihm inzwischen. Stevens Worte hallten in seinem Kopf nach: „Es ist mir egal. Ich bin mit dir zusammen, nicht mit deinem Vater.“
„Godric, alter Junge, wie geht es dir?“ Henry schlug dem alten Butler freundschaftlich auf den Oberarm.
„Vielen Dank der Nachfrage, Lord Holmes. Es ist alles bestens. Ich freue mich außerordentlich, wieder einmal auf Rosemoor Hall sein zu dürfen.“ Hunter bemerkte, dass Godric, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, mit einem kritischen Blick auf den Mann, der schräg hinter Henry stand, schielte.
„Darf ich dir deinen Nachfolger vorstellen? Bill Chambers.“ Henry wies auf ebendiesen und winkte ihn zu sich.
Bill trat vor, reichte Godric die Hand und neigte den Kopf in einer angedeuteten Verbeugung. „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“
Godric quittierte seine Äußerung mit einem wohlwollenden Lächeln und einem leichten Nicken. „Das freut mich zu hören“, erwiderte er, setzte dabei aber seinen näselnden Tonfall auf, was für Hunter ein deutliches Signal war, dass er nicht sehr viel von dem neuen Butler hielt.
„Würdest du unseren Gästen ihre Zimmer zeigen, Bill?“, beendete Hunters Mutter die Begrüßung, indem sie fröhlich lächelnd in die Hände klatschte. „Hunter und Steven, ihr schlaft in Hunters altem Zimmer. Und Godric für dich haben wir das Zimmer im Gardencottage zurechtgemacht.“
„Wo ist dieses Gardencottage?“, flüsterte Steven Hunter zu.
Er deutete auf ein größeres Haus im viktorianischen Stil, das inmitten von Rosenbeeten in einiger Entfernung zum Haupthaus stand. „Dort sind unsere Mitarbeiter untergebracht.“
„Richtig!“, fuhr Henry dazwischen. „Das Personal hat seinen eigenen Bereich. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Ich werde bei den Stallungen gebraucht. Wir sehen uns heute Abend beim Empfang.“ Mit einem knappen Nicken in Hunters Richtung drehte er sich um und stolzierte davon.
„Dürfte ich Sie bitten, mir zu folgen.“ Bill deutete mit einer ausladenden Handbewegung zum Eingangstor. David, Roberta und Lee folgten ihm, während Godric ihm noch einen Moment mit zusammengepressten Lippen nachsah. „Bis später“, verabschiedete er sich und ging mit seinem Koffer in Richtung des Gardencottages.
Hunter nahm Steven bei der Hand und schlenderte gemeinsam mit Agatha den anderen nach.
„Dein Vater ist heute wohl leider mit dem falschen Fuß aufgestanden. Entschuldigt sein Verhalten. Vor Abenden wie diesem ist er immer ein wenig … nervös.“ Sie schenkte Hunter ein entschuldigendes Lächeln.
„Ich weiß nicht, was du meinst, Mum. Er ist doch wie immer.“ Hunter zwinkerte ihr zu und warf einen flüchtigen Blick zu Steven, der ihn wissend ansah, dazu jedoch schwieg.
„Hunter hat gesagt, dass über hundertfünfzig Gäste zur Geburtstagsparty kommen, stimmt das?“, fragte Steven.
„So in etwa“, erwiderte Agatha. „Für eine Feier auf Rosemoor Hall sind es eher wenige.“ Sie knuffte Hunter in die Seite. „Mein Sohn mag nun einmal keine großen Bälle.“
Steven blies Luft durch seine Zähne. „Aber hundertfünfzig Menschen sind ganz schön viel, finde ich.“
„Eigentlich nicht“, entgegnete Agatha. „Es sind ein paar von Hunters alten Schulfreunden, Leute aus dem Ort, Verwandtschaft und so weiter.“ Sie schlug die Hände zusammen und blickte gen Himmel. „Wir mussten deine Tante Margery einladen …“ Sie verzog das Gesicht, als hätte sie in etwas Saures gebissen. „Na ja, so wie ich sie kenne, hat sie sich spätestens zum Dessert so einen hinter die Binde gekippt, dass sie ohnehin nichts mehr mitbekommt und ins Bett verschwindet.“ Dann wandte sie sich wieder an Steven. „Entschuldige Steven, aber meine Schwägerin und ich … Ach, egal.“ Sie blieb vor der Tür stehen und drehte sich zu den beiden. „Bis heute Abend, ihr zwei.“
„Kommst du nicht mit rein?“, fragte Hunter und deutete auf die Tür.
Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Nein“, erwiderte sie bestimmt. „Ich habe noch etwas mit deinem Vater zu besprechen.“ Dann zwinkerte sie den beiden zu und ging in Richtung der Stallungen davon.
„Gibt das jetzt Stress?“, flüsterte Steven, nachdem sie außer Hörweite war.
„Keine Angst. Vater tut zwar so, als wäre er der Herr im Hause Holmes, aber in Wirklichkeit ist es Mum. Wenn die beiden alleine sind, ist er lammfromm.“ Ein Grinsen schlich sich auf Hunters Lippen, als er an all die Momente in der Vergangenheit dachte, in denen seine Mutter das letzte Wort gehabt hatte, so wie damals, als sie Henry überzeugt hatte, den neuen Wagen in Blau statt in Schwarz zu bestellen – obwohl er Schwarz als „den einzig würdigen Farbton“ bezeichnet hatte. „Schwarz ist so deprimierend, Holmsy“, hatte sie gesagt, und damit war das Thema erledigt gewesen. So lief das immer mit ihnen.
Ein Hauch von Nostalgie durchzog Hunter, als er sein altes Zimmer betrat. Er blieb einen Moment in der Tür stehen, während seine Hand unbewusst über den Türrahmen glitt. Es sah noch genauso aus wie früher – bis hin zur leicht verzogenen Schublade seines alten Schreibtisches. Selbst die Vorhänge mit den tiefblauen Mustern hatten die Jahre überstanden. Der unverkennbare Duft, der ihm entgegenschlug, katapultierte ihn sofort zurück in seine Jugend. Es war die vertraute Mischung aus Veilchen, dem süßen Aroma der Rosen, die direkt unter seinem Fenster blühten, und dem rauchigen Geruch von verbranntem Holz aus dem Kamin. Er stellte seinen Koffer neben das breite Himmelbett, dessen schwerer Baldachin ihm immer das Gefühl gegeben hatte, in einer sicheren Höhle zu schlafen – behütet und abgeschottet vom Rest der Welt.
Steven spazierte mit großen Augen durch das Zimmer und blieb vor den Fenstern stehen. „Wow. Und das war dein Zimmer?“
Hunter lachte leise auf. „War es und ist es.“ Er folgte ihm zu den Fenstern und stellte sich hinter ihn. Behutsam schlang er seine Arme von hinten um Stevens Bauch und legte sein Kinn auf dessen Schultern, während er hinaussah. Im hinteren Bereich des Gartens standen Agathas Rosen noch immer in voller Blüte und hinter der Bruchsteinmauer erstreckte sich der Park mit seinen sanft ansteigenden Hügeln, auf deren höchstem Punkt der Wald begann und sich wie ein dunkelgrünes Meer in die Ferne erstreckte. Hunter entdeckte die Kastanie, seinen Rückzugsort aus Kindertagen, und glaubte sogar, zwischen den Ästen sein altes Baumhaus zu erkennen, in dem er so oft gesessen hatte, fernab von dem Trubel des Schlosses und dem versnobten Getue seines Vaters.
„Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang? Ich zeige dir die Stallungen.“
„Auf jeden Fall.“ Steven drehte sich in Hunters Umarmung und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. „Ich will alles sehen und ich will alles wissen. In einem so alten Gemäuer gibt es bestimmt jede Menge Geschichten zu erzählen.“
Hunter grinste. „Ah, du willst also Klatsch und Tratsch. Dann sollten wir später einen Abstecher in die Küche machen.“
Bevor Hunter und Steven nach unten gingen, fragte er bei den anderen nach, ob diese sie begleiten wollten. Doch David und Roberta hatten mit Godric ausgemacht, eine kleine Führung durch Meadowfield Hills von ihm zu bekommen, und Lee zog es vor, auf seinem Zimmer zu bleiben und sich für den Abend auszuruhen. Insgeheim freute sich Hunter über ihre Absagen – es gab ihm die perfekte Gelegenheit, allein mit Steven durch die Anlagen von Rosemoor Hall zu schlendern und ihm die Orte zu zeigen, die ihm so viel bedeuteten.
Die beiden bummelten Arm in Arm durch die weitläufigen Rosengärten des Schlosses, die das Anwesen wie einen bunten Gürtel umgaben. Der Duft der Rosen hing wie eine sanfte Wolke über dem Gelände – süß und betörend. Die sorgfältig gepflegten Beete waren reinste Farbexplosionen: tiefes Rot, zartes Rosa, reines Weiß und leuchtendes Gelb. Jede Blüte schien perfekt in ihrer Form, ein Meisterwerk der Natur, liebevoll hervorgehoben durch die kunstvolle Gartenarbeit, die Agatha zusammen mit den zwei Gärtnern des Anwesens geleistet hatte. Die alte Steinmauer, die die Grünanlagen vom restlichen Schlossgelände trennte, war an einigen Stellen von Efeu und wildem Wein überwuchert, was dem Garten trotz seiner Gepflegtheit einen verwunschenen, märchenhaften Anstrich verlieh. Es schien, als ob die Natur jeden Versuch, sie zu zähmen, mit einem eigenen, stillen Triumph beantwortete. Das Zwitschern der Vögel wurde nur vom leisen Knirschen ihrer Schritte auf dem Kiesweg unterbrochen.
„Und das hat alles deine Mutter angepflanzt?“, fragte Steven neugierig.
„Nicht alles, aber einen Großteil davon.“ Er deutete auf einen knorrigen Kletterrosenstock, der an der Bruchsteinfassade an einem der Türme nach oben rankte. „Der Rosenstock dahinten ist angeblich schon über zweihundert Jahre alt. Die Rosenzucht hat ähnlich wie die Pferdezucht eine lange Tradition in unserer Familie.“
„Schau mal da.“ Steven zog Hunter sanft zu einer alten Bank, die unter einem Pavillon hinter dem Schloss verborgen lag. Der Pavillon war bis auf den Eingang fast vollständig mit Kletterrosen zugewachsen.
Steven ließ sich auf die weiß gestrichene Bank sinken, breitete die Arme auf der Rückenlehne aus und schloss die Augen. Er sog tief Luft ein und ließ sie langsam wieder entweichen. „Dieser Duft“, raunte er.
Hunter lehnte sich an eine der Säulen und ließ seinen Blick schweifen – nicht um den Garten zu bewundern, sondern um Steven zu beobachten. Sein Gesicht war entspannt, sein Brustkorb hob und senkte sich in gleichmäßigem Rhythmus, und ein sanftes Lächeln spielte um seine Lippen. Für einen Moment dachte Hunter, dass es keinen schöneren Anblick gab. „Es freut mich, dass du dich hier wohlfühlst.“ Er setzte sich neben ihn, seine Hand streifte Stevens Wange, bevor er ihn zärtlich küsste. „Dieser Pavillon war als Kind mein zweitliebstes Versteck.“
„Nur dein zweitliebstes?“ Steven öffnete ein Lid und sah ihn fragend an.
Hunter nickte. „Mein liebstes war das Baumhaus oben in der alten Kastanie. Das zeige ich dir morgen. Heute schaffen wir das nicht mehr, aber wir sind ja eine Woche hier – also noch genügend Zeit.“ Er ließ den Blick durch den rosenumwachsenen Bogen schweifen. „Gefällt es dir wirklich?“
„Gefallen? Ich liebe es“, erwiderte Steven und sah Hunter tief in die Augen. „Nicht so sehr wie dich, aber es kommt ziemlich nah ran.“
Unweigerlich legte sich ein breites Lächeln auf Hunters Gesicht. Er ließ ihn nicht aus dem Blick, beobachtete, wie sein Freund die Augen wieder schloss und den Kopf in den Nacken legte. Eine Weile genoss er einfach den Moment, dann beugte er sich vor, näher zu ihm. „Wollen wir weiter?“
Steven öffnete die Lider, funkelte ihn verschmitzt an und sprang auf. „Wollen wir! Wohin?“ Er streckte Hunter die Hand entgegen, als wäre er bereit für das nächste Abenteuer.
„In diese Richtung.“ Hunter deutete in Richtung der Stallungen und zog Steven an der Hand mit sich, während sie durch die alte Holztür aus den Rosengärten hinausgingen. Der Übergang vom süßen Blumenduft der Rosen zur erdigen Atmosphäre der Stallungen schlug ihnen entgegen, fast wie ein Wechsel von einer Welt in die nächste.
Schon waren sie an den alten Pferdestallungen, die aus dem gleichen grauen Bruchstein gebaut waren wie das Schloss selbst. Hunters Vater hatte die Gebäude vor einigen Jahren fast komplett entkernen und mit modernster Technik ausstatten lassen.
Das schwere Holztor stand einladend offen, aus dem Inneren drang das gelegentliche Schnauben eines Pferdes oder das Scharren von Hufen auf dem Steinboden. Der würzig-aromatische Duft von Heu und Leder lag in der Luft.
Sie betraten das Gebäude.
„Na, alter Junge, wie geht’s dir?“ Hunter musste unweigerlich lächeln, als er an die erste Box auf der rechten Seite trat, wo ihm Snowflake, sein Lieblingsschimmel, über das Tor entgegenschaute. Der Hengst reckte den Kopf über das geschwungene Gatter und schnaubte zufrieden, als er ihn kraulte.
„Ist das deiner?“, fragte Steven und kam ebenfalls näher.
„Gewissermaßen.“ Liebevoll strich Hunter über Snowflakes Mähne. „Er kam zur Welt, als nur Godric und ich zuhause waren“, erklärte er. „Es gab Komplikationen und seine Mutter starb bei der Geburt. Ich saß die ganze Nacht bei ihm im Stall, um ihn zu beruhigen. Das hat uns irgendwie zusammengeschweißt.“ Snowflake schnaubte erneut, als würde er Hunters Worten zustimmen, und nickte. „Er ließ lange Zeit niemanden auf sich sitzen außer mir.“ Hunter tätschelte den Hals des Schimmels, bevor er sich abwandte. „Bis später, alter Junge.