Hüter des Klimas - Valérie Guillaume - E-Book

Hüter des Klimas E-Book

Valérie Guillaume

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Beschreibung

"Er rieb sich mit dem Handrücken die vom Salzwasser brennenden Augen. Eben hatte sein Boot den Kamm des Wasserbergs erklommen, da kippte es auch schon krachend und knirschend über die Kante in das tiefe Wellental dahinter. Der Rumpf ächzte und stöhnte wie ein klagendes Lebewesen im Todeskampf. Bug und Kabine tauchten unter Wasser. Undurchdringliche Finsternis umgab ihm. Martin kniff die Lider seiner Augen fest zu und sah in stummer Ergebenheit seinem sicheren Ende entgegen." Helena hat ihr Werk der Zerstörung auf der Erde unvermindert fortgesetzt. Der unerwartete Anstieg des Meeresspiegels hat viele Städte unter sich begraben. Fiona, der Schwan, schwimmt auf dem Meer. Verborgen unter ihren Flügeln ruht Haralds Eiskristall, ein kostbarer Schatz, der den Königreichen des Eiskaisers wieder ihren früheren Glanz verleihen soll. Dafür muss sie ein auserwähltes vierzehnjähriges Mädchen ausfindig machen, denn das Schicksal der ganzen Welt liegt in dessen Händen. Bald lernt Fiona einen jungen Fischer namens Martin kennen, der sich als treuer Freund erweist. Verloren in verwüsteten Ländern machen sie sich auf die Suche nach dem besonderen Mädchen. Ihre Mission führt sie zu fast unüberwindbaren Hürden und ungeahnte Gefahren. Dieser Roman ist der zweite Teil aus der Reihe "Hüter des Klimas" – eine fantastische Geschichte mit ökologischem Hintergrund. Über den ersten Band wurde bereits ein Zeitungsartikel im Hamburger Abendblatt / Bergedorfer Zeitung in der Ausgabe vom 24.12.2020 Nr.300/Jr.146 unter dem Titel "Kinderbuchautorin aus Boberg schreibt den Eiskaiser" veröffentlicht.

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Welt in Not

 

Eine Geschichte von Valérie Guillaume

Gestaltung Helge Hildebrandt

 

ALLE RECHTE VORBEHALTEN:

Die in diesem Buch veröffentlichten Texte und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Das Gesetz über geistiges Eigentum verbietet Kopien oder Reproduktionen, die für den kollektiven Gebrauch bestimmt sind. Jede Darstellung oder Reproduktion, die ganz oder teilweise durch irgendein Verfahren, ohne Zustimmung des Urhebers oder seiner Erben oder Rechtsnachfolger erfolgt, ist rechtswidrig.

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https://www.valerieguillaume.eu/

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Copyright © 2022 by Valérie Guillaume

Inhalt

Prolog

Fiona

Helena und ihre Soldaten

Stellas Fernrohr

Stellas Entdeckungen

Martin

Angriff

Unerwartete Begegnung

Der Überfall

Das Unglück

Vina del Mar

Amelia

In der Falle

Stella und Harald

Helenas Reich

Die Inschrift

Vom Regen in die Traufe

Gestrandet

Sternenflug

Leseprobe: Band 3 - Die Welt am Abgrund

Prolog

Ein bleigrauer Himmel hing über einer vom Wüten des Meeres vielfach durchbrochenen Landzunge. Auf einer der verbliebenen Inseln duckten sich einige schäbige Wellblechhütten im Wind zusammen. Zwischen den rostigen Wänden, überzogen von Schichten ausgeblichener Farbe lag ein trauriger Schulhof. Aus den tiefhängenden Wolken breitete sich ein feiner Nieselregen wie ein dünnes fadenscheiniges Tuch über die verlorene Siedlung aus. Eine Schar brüllender Kinder umzingelte ein verängstigtes, schlankes etwa zehnjähriges Mädchen auf einem trostlosen Schulhof. Der Lauteste und Größte von ihnen zog an einem ihrer beiden schwarzen Zöpfe. Das Opfer neigte schräg das Gesicht und verzog es zu einer schmerzerfüllten Grimasse unter dem Gelächter der lachenden Gruppe.

„Sind bei ihr noch alle Tassen im Schrank? Gerade hat sie mir erzählt, einen Eiskaiser im Traum gesehen zu haben, der im Kampf gegen ein einäugiges Monster seine Königreiche verteidigt!“, verspottete sie eine Mitschülerin.

„Guck mal das Brandzeichen auf ihrer Backe - wie bei Rindern. Sie ist bestimmt auch ein Schlachtvieh!“, rief ein anderer, dominanter mittelgroßer Junge aus der zweiten Reihe.

Das letzte Wort stachelte die Gruppe weiter an. Alle johlten durcheinander „Blödes Schlachtvieh! Wertloses Stück Dreck!!“

Das schrille, immer aggressivere Triumphgeschrei der wilden Horde erfüllte die Luft.

Daraufhin schubsten und stießen die Schüler ihr Opfer im Kreis herum. Das arme, bedrängte Kind keuchte erschrocken und suchte panisch nach einem Ausweg. Aber es gab kein Entkommen. Überall auf ihrem Oberkörper spürte sie den unerträglichen, aggressiven Druck dieser verhassten Menge. Hilflose Wut stieg in ihr auf. Ein Sturm des Zorns tobte in ihrem Kopf. Das Blut pulsierte und kochte in ihren Adern. Sie verzweifelte an ihrer Machtlosigkeit – es waren einfach zu viele brutale Gegner auf einmal. Am liebsten wäre sie ans andere Ende der Welt geflohen, um sich dort in einem tiefen Loch zu verkriechen, weit weg von diesen blindwütigen Angreifern. In dem hoffnungslosen Versuch ihre Peiniger auf Abstand zu halten, ruderte sie ziellos mit ihren dünnen Armen.

Der Ring ihrer Widersacher schloss sich immer enger um sie, als sie unvermittelt einen Spalt zwischen zwei Jungen entdeckte. Durch das Schlupfloch leuchtete ein Sonnenstrahl so hell und verheißungsvoll wie die Fackel der Freiheitsstatue, die sie einmal in einem Bilderbuch bewundert hatte. Mit aller Kraft warf sie sich in diese Richtung, nur um nach wenigen taumelnden Schritten sofort wieder eingekesselt zu werden.

„Lasst mich los!“, schrie sie mit einer Mischung aus Furcht und brodelnder Empörung.

Ihre Tränen und das Flehen um Befreiung schien die Angriffslust der rasenden Mitschüler nur weiter anzufachen, so als würde ihre Schwäche eine tief verwurzelte Grausamkeit in ihnen erwecken. Wie ein Rudel ausgehungerter Wölfe umringten die streitlustigen Kameraden sie noch enger und drohender als zuvor. Ein Mädchen der vorderen Reihe, das dem wehrlosen Kind gegenüberstand, reckte ihren Hals nach vorne und spuckte sie an. Ein Junge neben ihr tat es ihr nach, dann noch einer, bis schließlich alle in diese entwürdigende Attacke einfielen. Ein wahrer Speichelschauer prasselte auf sie nieder. Das gedemütigte Kind hielt ihre Arme schützend vor ihr Gesicht. Die widerliche klebrige Flüssigkeit rann zäh an ihrer Wange und ihren Ärmeln herab. Wie konnten sie nur so grausam zu ihr sein? Was hatte sie ihnen getan? Als der Spuckregen langsam nachließ, hob sie schüchtern den Kopf. Für den Bruchteil einer Sekunde hoffte sie auf Erbarmen und glaubte schon, dass sich die Gruppe nach diesem Gewaltausbruch auflösen und einer anderen Beschäftigung zuwenden würde. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen bahnte sich ein untersetzter Schüler aus einer anderen Klasse zielstrebig einen Weg zu ihr. Sie kannte ihn vom Sehen, hatte aber noch nie mit ihm geredet. Er war gelegentlich in Prügeleien verwickelt und zog zumeist den Kürzeren. Einmal verfolgten ihn die zwei stärksten Jungen der Schule. Damals hatte sie ihren ganzen Mut zusammengenommen und ihn sogar verteidigt, weil er ihr als der Schwächere leidtat. Seine wutentbrannten Rivalen stürzten sich sofort auf dieses freche kleine Mädchen, dass es wagte, sich ihnen in den Weg zu stellen. Die ganze Pause hindurch hatten diese bösartigen Burschen sie rücksichtslos über den Schulhof gehetzt. In letzter Sekunde war ihr die Flucht in eine Toilettenkabine gelungen, wo sie sich bis zum Unterrichtsbeginn erschöpft und zitternd versteckte.

Warum wollte denn dieser Mitschüler ausgerechnet jetzt zu ihr? Hatte er vor sich für ihre Hilfe zu revanchieren und sie jetzt zu verteidigen? Einen Augenblick lang schaute er sie durchdringend an. Eine angespannte Stille herrschte plötzlich in der Gruppe. Mit bebender Stimme wandte sie sich hoffnungsvoll an ihn.

„Sag ihnen bitte…“

Doch er ließ ihr keine Zeit ihren Satz zu beenden. Grob packte er das verzagte Mädchen an den Schultern und warf sie wortlos zu Boden. Beim Anblick der zu seinen Füßen liegenden, hilflosen Gestalt, die seiner Gewalt restlos ausgeliefert war, breitete sich ein grausamer Ausdruck auf seinem Gesicht aus. Begeisterung brandete unter den übrigen Schülern auf.

„Bravo! Zeig´s ihr“

„Mach weiter! Sie hat es verdient!“

Endlich war es ihm gelungen sich aus der Masse zu erheben und seinerseits vergangene Demütigungen abzuschütteln. Er fühlte sich in diesem Augenblick als der größte Junge der Schule. Sichtlich genoss er dieses Gefühl der Unbesiegbarkeit, dieser einmalige Augenblick, der ihm den Rang eines Anführers in den Augen der anderen verlieh. Er sonnte sich in seinem leicht errungenen Erfolg. Das Mädchen stemmte sich zitternd hoch, aber der Junge holte aus und schlug ihr kraftvoll ins Gesicht. Sie verlor erneut das Gleichgewicht und fiel nach hinten. Dieses Mal prallte ihr Kopf auf den Beton. Ihr Schädel schmerzte dumpf und blendende Sterne wirbelten pulsierend vor ihren Augen. Heftige Übelkeit überwältigte sie von einer Sekunde auf die andere. Benommen krümmte sie sich auf dem nassen, schmutzigen Boden zusammen. Schutzlos der Willkür ihrer Feinde ausgesetzt, versuchte sie sich vor der Hölle um sich herum tief in ihr Innerstes zurückzuziehen, der einzige Schutzraum, der ihr noch geblieben war. Erneute Beleidigungen und wüstes Gejohle ertönten in dem entfesselten Mob um sie herum. Sekunden später hagelten von überall her Schläge auf sie ein. Wellen heißen Schmerzes loderten durch ihren ganzen Körper. Starkes Schwindelgefühl übermannte sie und, von Krämpfen geschüttelt, erbrach sie ihren gesamten Mageninhalt in einem gewaltigen Schwall. Angeekelt wandten sich die anderen Schüler von ihr ab und ließen sie einfach in ihrem Elend liegen. Mit flatternden Lidern blickte sie sich um. Durch den Schleier der Tränen verschwamm alles in ihrem Gesichtsfeld. Die schemenhaften Silhouetten der davonlaufenden kichernden Peiniger verblassten schließlich vor dem konturlosen Gebäude. Ihre Schmähungen verstummten und das Mädchen rollte bewusstlos zur Seite. Regenwasser, Schlamm und Blut vermengten sich zu schmierigen Flecken, die das sonderbare Mal auf ihrer Wange, ein bläulich schimmernder Eiskristall, überdeckten.

Fiona

Eine malerische Abenddämmerung tupfte herrliche rötliche Farbtöne in den Himmel. Unter der sich entfaltenden Pracht glitt ein kleiner weißer Punkt, kaum sichtbar in der Unendlichkeit des Ozeans, durch die sanfte Dünung. Es war Fiona, der Schwan. Zügig schwamm sie entlang der nun eisfreien Gestade der Antarktis. Links von ihr erhoben sich auf einer Landzunge mehrere Vulkane. Vor wenigen Tagen waren sie noch unter der meterhohen Eisschicht des Südpols tief begraben, versunken in einem Millionen Jahre langen Schlaf. Seitdem Helena und ihre Soldaten die gesamte Eismasse des kältesten Kontinents der Erde geschmolzen hatten, waren jene Vulkane von einem Tag auf den anderen zum neuen Leben erwacht. Aus ihren Kratern stiegen nun unentwegt düstere von Flammenzungen durchzuckte Rauchwolken empor.

Fiona war beeindruckt von der schier endlosen Weite des Ozeans, der sich vor ihr erstreckte. Mit dem Hereinbrechen der Nacht verschmolzen See und Firmament zu einer dunklen Szenerie, nur gelegentlich erhellt vom Flackern der Feuerberge. Sie schwamm an den schattenhaften, zerklüfteten Felsen der antarktischen Küste entlang und beobachtete den Tanz der sich spiegelnden Sterne auf der Meeresoberfläche. Fiona dachte an ihre Herrin, Stella, die Eisprinzessin. Mit ihr war sie zur Erde gekommen, um den Eiskaiser und seine Gefährten vor dem Ertrinken zu retten, nachdem Helena, die neue Hitzekönigin, alles Eis auf der Welt vernichtet hatte. Stella wollte die Flüchtlinge auf ihrem Planeten Urania in Sicherheit bringen. Obwohl die eisige Heimat der Eisprinzessin nicht weiter von der Erde entfernt war als der Mond, entzog sich diese bis heute den präzisen, aber kalten Augen sogar der bestentwickelten Satelliten und Instrumente der Weltraumforschung, die die Menschen je erfunden hatten. Ebenso wie die Prinzessin selbst, blieb ihr kleines Reich vor allen Nachforschungen verborgen. Auf Urania führten Fiona und Stella ein schönes und friedliches Dasein. Der Schwan erinnerte sich noch sehr lebhaft an Stellas spannende Erzählung über die Entstehung ihres Planeten. Die Eisprinzessin nahm Platz auf ihrem Sessel aus blank poliertem Eis, schlug die Beine übereinander und machte es sich bequem. Ihr intensiver Blick schien durch Fiona hindurch tief in die Vergangenheit zu reichen.

„Vor einer Ewigkeit schlug ein Asteroid auf der Antarktis ein. Der Aufprall war so heftig und der Himmelskörper so groß, dass ein Stück des bereits zu jener Zeit vereisten Kontinents aus der Erde gerissen und hinaus ins Weltall geschleudert wurde. Dieses enorme Trümmerstück umrundet seither den Ort seiner Herkunft auf einer stabilen Umlaufbahn. Eines Tages bin ich am Fuße jenes Berges aufgewacht, auf dessen Gipfel jetzt mein Schloss thront. Im Gegensatz zu allen anderen Lebewesen, kann ich mich daran erinnern, als wäre dieses Ereignis gestern geschehen. Die gleißende Sonne blendete mich vor dem Hintergrund der eisigen Schwärze des Weltalls. Ich setzte mich hin und sah mich um. Ein eisbedeckter See erstreckte sich inmitten einer verschneiten hügeligen Landschaft, die sich am Horizont merklich krümmte. Flimmernde Sternenmuster tanzten funkelnd über dem Schnee. Ich war von der unberührten prachtvollen Schönheit dieses winzigen Planeten bezaubert. Erfüllt von Lebensfreude und Dankbarkeit für seinen unbekannten Schöpfer reckte ich meine Arme in den samtschwarzen von unzähligen goldenen Punkten durchzogenen Himmel.“

Das Bild der eisigen Heimat stieg in Fiona auf. Märchenhafte weiße Berge, die wie schützende Mauern ihren kleinen See umkreisten. Was würde sie jetzt nicht alles geben, um auf diesem vertrauten Fleckchen reinen kristallklaren Wassers zu verweilen. Stella hielt ihn stets eisfrei, damit Fiona sich von all den darunter verborgenen leckeren Pflanzen ernähren konnte.

Die Eisprinzessin liebte Schwäne, jene Tiere, die von jeher als Symbol der Reinheit und des Lichts galten. Während eines ihrer zahlreichen Aufenthalte auf der Erde, hatte sie viele von ihnen gesehen. Deren anmutige und äußerst elegante Erscheinung begeisterte sie jedes Mal aufs Neue. Schon lange bevor sie Fiona im hohen Norden entdeckt hatte, empfand sie die Last ihrer Einsamkeit in ihrem unberührten Exil als erdrückend. Sie sehnte sich nach Gesellschaft, um die Freuden ihres hübschen kleinen Winterparadieses teilen zu können.

Eines Tages fand sie unweit vom Schloss des Eiskaisers, am Ufer eines Fjords in Spitzbergen eine ganze Schwanenfamilie. Vater, Mutter und sechs niedliche Küken lagen leblos auf der zugefrorenen Wasseroberfläche. Stella hatte bei diesem Anblick gespürt, wie sich alles in ihr zusammenzog. Sogleich hatte sie versucht einen nach dem anderen wiederzubeleben, bis eine vorbeiziehende Robbe ihr erklärte, dass die Tiere schon vor Stunden verstorben waren.

„Sie haben vergiftetes Wasser geschluckt“

Stella hörte ihr verdutzt zu.

„Wodurch wurde das Wasser vergiftet?“

„Durch Pestizide. Das sind chemische Stoffe, die die Menschen auf Obst, Gemüse, Tee und Kräuter spritzen, um Insekten oder Schnecken aus ihrer Landwirtschaft fernzuhalten. Auf diese Weise können sie viel mehr ernten, hat man mir erzählt. Deren Gift ist aber leider für alle Lebewesen gefährlich. Wenn es in den Kreislauf des Wassers gerät, sterben auch die Schwäne daran.“

Die Robbe senkte traurig den Kopf auf die Eisdecke und ruhte sich weiterhin aus.

Bestürzt, trug Stella die toten Geschöpfe auf den Strand. Dort grub sie im Schnee eine Vertiefung und legte die regungslosen Körper nebeneinander. Sie war gerade dabei die Tiere mit Schnee und Sand zuzudecken, als sich plötzlich das schmächtigste von den Küken leicht bewegte. Die Augen der Prinzessin weiteten sich. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, schnappte hörbar nach Luft und nahm das zarte Tier aus dem Loch heraus. Es schaute Stella flehend an. Die Prinzessin schloss es auf Anhieb in ihr Herz und fütterte das hilflose Wesen mit allen Heilkräutern, die sie fand. Stella war gerührt von dem kleinen Vogel, mit seinem flauschigen, silbergrauen Gefieder und niedlichen Schnabel. Dem Schwan zuliebe verlängerte die Eisprinzessin ihren Aufenthalt auf Spitzbergen um mehrere Monate. Geduldig wartete sie, bis sich das geschwächte Tier vollständig erholt hatte und kräftiger wurde. Dann kam der Moment, indem sich entscheiden musste, ob sich ihre Wege trennen würden. Stella nahm das wunderbare Geschöpf in ihre Hände und hob es bis zu ihrem Gesicht. Ihre Blicke trafen sich. Das Küken schaute sie intensiv an. Noch nie hatte sie einen so intelligenten Ausdruck in den Augen eines Tieres erlebt. Darin lag eine tiefe Weisheit vermischt mit unendlicher Dankbarkeit.

„Möchtest du mich auf meinen Planeten begleiten? Dort gibt es einen See mit leckeren Pflanzen. Wir könnten zusammenbleiben und ich werde dich mein ganzes Wissen lehren.“

„Wunderbar. Ich kann mir keine größere Freude vorstellen, als deine Schülerin zu sein“, gab der Schwan zurück, ohne zu zögern.

Überglücklich über diese Antwort, erkannte die Prinzessin zugleich in dem zauberhaften Tier eine ungewöhnliche Gabe. Es konnte sprechen. Als sie auf Urania ankamen, nannte Stella ihre neue Freundin Fiona, was „hell“ bedeutete. Mit dem inzwischen strahlend weiß gewordenen Federkleid machte der Schwan seinem Namen alle Ehre. Darüber hinaus gab es etwas Unglaubliches, das die Eisprinzessin zunehmend in Staunen versetzte. Von Woche zu Woche wuchs eine goldene Krone auf Fionas Kopf. Auf deren Vorderseite funkelte ein lupenreiner Diamant. Der Eisprinzessin war noch kein Schwan auf der Erde mit einem derartigen Schmuckstück begegnet. Selbst Fiona wusste nicht, warum diese Krone aus ihrem Schädel wie eine kostbare Blüte spross.Erst bei der Rettung des Eiskaisers und seiner Trolle hatten Harald und Stella das Rätsel lüften können. Eines Tages war Harald über die watschelnde Schwanenfamilie geflogen. Dabei hatte sich glitzerndes Schneepulver aus dem Eiskristall seines Zepters rein zufällig gelöst und war sacht auf Fionas Kopf heruntergerieselt. Das Schwanenküken hatte weder von dem über ihnen fliegenden Eiskaiser noch von den Schneeflocken auf ihrem kuscheligen Gefieder Notiz genommen. Es war ausschließlich damit beschäftigt seinen Eltern und Geschwistern hinterher zu schwimmen. Diese besonderen frostigen Kristalle hatten jedoch den Samen für das Wachstum ihrer Krone gelegt. Und so wurde sie allmählich zu einer einmaligen Schwanenprinzessin. Bei ihrer letzten hastigen Reise zur Rettung des Eiskaisers und seiner Gefährten war ein Abbild von Haralds Eiskristall über ihrer Krone mit zunehmend gleißender Leuchtkraft erschienen, je näher sie an ihn herankamen. Erst als sie und Stella, den Eiskaiser und seine Begleiter aus deren Notlage erretteten, erfuhr Fiona die Wahrheit über ihre wundersame Verbundenheit mit dem Herrscher der Eiswelten auf der Erde.

 

Helena und ihre Soldaten

Dichter Nebel umhüllte wabernd die Flanken der rauchspeienden Vulkane. Schlanke, trübe Meeresarme schlängelten sich durch die kahlen, hochaufragenden Gebirge. Eine Bergkette brach tosend in sich zusammen. Felsbrocken, Geröll und Steine krachten donnernd und polternd lawinenartig in die brausenden, bräunlich aufgewühlten Gewässer. Auf dem gegenüberliegenden Berg bewegte sich ein purpurroter Schwarm roter Soldaten auf das Wasser zu. In ihrer Mitte lief eine vielfach größere, fremdartige Gestalt. Auf ihrem Kopf zuckten knisternd die Flammen ihrer Feuerkrone und aus ihrem einzigen, glühenden Auge funkelte ein unbändiger Zorn. Sie stapfte wütend durch den Schlamm des Berghanges, auf dem die letzten kümmerlichen Spuren des einstigen Schnees von rasenden Wasserläufen überspült wurden. Die unerwartete, innerhalb kürzester Zeit großangelegte Eisschmelze der Antarktis löste gewaltige Erdrutsche ungeahnten Ausmaßes aus, schließlich hatte das uralte Eis hier wie Zement die Felsen zusammengehalten. Aber die Folgen des von ihr brutal erzwungenen Schmelzens der Millionen Jahre alten Eisschichten kümmerten Helena keineswegs. Alles lief genau nach ihrem Plan, bis auf ein Detail. Ein ganz unvorhergesehenes, unerwünschtes Ereignis fachte ihre zunehmende Wut an.

„Wenn ihr unfähigen Idioten das Meer schneller erwärmt hättet, wären Harald und seine mickrigen, lächerlichen Männchen ertrunken. Sie hätten sich unwiderruflich im Wasser aufgelöst und ich wäre meinen Widersacher endlich für immer losgeworden.“

Die Soldaten marschierten stumm mit gesenktem Kopf um sie herum. Keiner wagte es ihr zu widersprechen.

„Jetzt hat diese dahergelaufene Prinzessin sie alle mitgenommen und ihr Schwan irrt über die Meere mit Haralds Eiskristall. Dahinter steckt irgendein perfider Plan meiner Gegner. Das Ganze verheißt nichts Gutes für meine Macht.“

„A…ber“ ertönte eine zitternde, kaum hörbare Stimme.

Einer ihrer Schergen wagte es tatsächlich seine Stimme zu erheben. Augenblicklich schwang ihr Haupt herum und sie fixierte hasserfüllt den zutiefst erschrockenen Unglückseligen. Eine furchterregende Fratze verzerrte ihr ohnehin schon abscheuliches Gesicht in dem bereits das Todesurteil für den Delinquenten geschrieben stand.

„Was?! Was sagst du?!! Wie kannst du elender Wurm es wagen mir zu widersprechen?“, fauchte sie mit gifttriefendem Abscheu.

Sie beugte sich zu dem Krieger, packte ihn am Kragen und schleuderte ihn über die Masse seiner Kameraden. Schreck und Todesangst lag auf dem blau gefärbten Gesicht ihres Opfers. Er flog im hohen Bogen über die wogende Armee und sein Körper prallte mit einem widerwärtigen Klatschen auf einen rußgeschwärzten Felsen, dessen messerscharfe Kanten ihn regelrecht zerteilten. Seine jämmerlichen Überreste glitten herab und blieben in einer Lache aus Blut zu Füßen des gleichgültigen Gesteins liegen. Die Köpfe der übrigen Soldaten gruben sich noch tiefer zwischen ihre Schultern. Jeder vermied es, die Aufmerksamkeit der tobsüchtigen Hitzekönigin auf sich zu lenken.

„Hört auf so zu tun, als wärt ihr unschuldig an diesem Desaster. Ich muss jetzt diesem verdammten Schwan hinterherjagen. Dabei habe ich so viel anderes zu tun! Die Ozeane müssen zusätzlich erwärmt werden, damit endlich jegliches Leben auf der Erde ausgelöscht wird und das glorreiche Zeitalter meiner Alleinherrschaft beginnen kann. Habt ihr das immer noch nicht verstanden oder seid ihr einfach zu dumm dazu?“

Ihr Auge loderte bedrohlich und eine Feuersbrunst flackerte züngelnd auf ihrem Kopf. Ihr pechschwarzer Umhang bauschte sich auf wie eine Gewitterwolke. Einem Impuls folgend bückte sie sich zu ihren furchtsamen Dienern herab. Ihre knochigen Finger bohrten sich in ihre Uniformen und sie warf mehrere von ihnen in einem gellenden Gekeife in alle Richtungen.

 

Stellas Fernrohr