Ice Ship - Douglas Preston - E-Book

Ice Ship E-Book

Douglas Preston

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Beschreibung

Ein geheimnisvoller Riesenmeteorit soll hinter dem Rücken der chilenischen Behörden mit Hilfe einer Crew ausgewählter Wissenschaftler und Techniker auf einer Insel im südlichen Eismeer geborgen und dann abtransportiert werden. Dass der Kapitän des speziell ausgerüsteten Schiffes eine Frau ist, mindert die zunehmenden Spannungen bei der gefahrvollen Expedition nicht. Bald erweist sich die in alten Mythen prophezeite Warnung, der Stein bringe Unheil, als nur zu wahr. Ice Ship von Lincoln Child, Douglas Preston: Spannung pur im eBook!

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Douglas Preston / Lincoln Child

Ice Ship

Tödliche Fahrt Thriller

Aus dem Amerikanischen von Klaus Fröba

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungIsla Desolación, 16. Januar, 13.15 UhrIsla Desolación, 22. Februar, 11.00 UhrNew York City, 20. Mai, 14.00 UhrKalahari-Wüste, 1. Juni, 18.45 UhrTal des Hudson, 3. Juni, 10.45 UhrNew York City, 4. Juni, 11.45 UhrChefetage der EES, 13.00 UhrLloyd-Museum, 7. Juni, 15.15 UhrMillburn, New Jersey, 9. Juni, 14.45 UhrPort Elizabeth, 17. Juni, 10.00 UhrAn Bord der Rolvaag, 26. Juni, 0.35 UhrRolvaag, 0.55 UhrRolvaag, 27. Juni, 15.45 UhrRolvaag, 16.20 UhrRolvaag, 3. Juli, 14.15 UhrRolvaag, 11. Juli, 7.55 UhrChile, 12. Juli, 9.30 UhrPuerto Williams, 11.45 UhrRolvaag, 14.50 UhrRolvaag, 13. Juli, 6.30 UhrRolvaag, 11.15 UhrIsla Desolación, 12.45 UhrIsla Desolación, 16. Juli, 8.42 Uhr.Isla Desolación, 9.55 UhrIsla Desolación, 13.55 UhrIsla Desolación, 14.15 UhrIsla Desolación, 15.05 UhrPunta Arenas, 17. Juli, 8.00 UhrRolvaag, 9.35 UhrIsla Desolación, 13.45 UhrIsla Desolación, 18. Juli, 9.00 UhrRolvaag, 9.30 UhrIsla Desolación, 10.00 UhrIsla Desolación, 10.24 UhrRolvaag, mittagsRolvaag, 12.15 UhrRolvaag, 23.20 UhrIsla Desolación, 19. Juli, 11.30 UhrAlmirante Ramirez, 14.45 UhrRolvaag, 14.50 UhrIsla Desolación, 20. Juli, 14.05 UhrIsla Desolación, 22.40 UhrIsla Desolación, 23.15 UhrIsla Desolación, 21. Juli, 12.05 UhrIsla Desolación, 12.40 UhrIsla Desolación, 23. Juli, 0.05 UhrRolvaag, 24. Juli, 15.45 UhrFranklin-Kanal, 20.40 UhrRolvaag, 23.50 UhrAlmirante Ramirez, 25. Juli, MitternachtRolvaag, MitternachtRolvaag, 26. Juli, 0.30 UhrRolvaag, 1.45 UhrRolvaag, 2.50 UhrRolvaag, 3.40 UhrAlmirante Ramirez, 3.55 UhrRolvaag, 3.55 UhrRolvaag, 4.00 UhrAlmirante Ramirez, 4.10 UhrRolvaag, 7.55 UhrRolvaag, 8.00 UhrAlmirante Ramirez, 8.30 UhrRolvaag, 9.20 UhrRolvaag, 10.00 UhrRolvaag, 10.20 UhrAlmirante Ramirez, 11.00 UhrRolvaag, 11.30 UhrRolvaag, 12.30 UhrRolvaag, 14.00 UhrAlmirante Ramirez, 14.45 UhrRolvaag, 15.30 UhrRolvaag, 15.30 UhrRolvaag, 15.55 UhrRolvaag, 17.00 UhrRolvaag, 17.10 UhrAlmirante Ramirez, 17.15 UhrRolvaag, 17.20 UhrRolvaag, 17.40 UhrRolvaag, 17.45 UhrRolvaag, 18.40 UhrRolvaag, 19.00 UhrRolvaag, 19.10 UhrRolvaag, 19.35 UhrDrake-Straße, 19.55 UhrDrake-Straße, 27. Juli, 11.00 UhrInsel South Georgia, 30. Juli, 12.20 UhrAnmerkung der AutorenEin paar Worte des Dankes

Lincoln Child widmet dieses Buch seiner Tochter Veronica

 

Douglas Preston widmet es Walter Winings Nelson – Maler, Fotograf und Gefährte vieler Abenteuer

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Isla Desolación

16. Januar, 13.15 Uhr

Das namenlose Tal verlief zwischen kahlen Hügeln, eine lang gestreckte, mit spirrigem Moos, Flechten und Trockengräsern bedeckte grau-grüne Fläche. Es war Mitte Januar, der Höhepunkt des Sommers, das Fettkraut in den Spalten und Kerben der Felsformationen stand in voller Blüte. Im Osten erstrahlte die Wand eines Schneefelds in unergründlich tiefem Blau, Kriebelmücken und Moskitos schwirrten durch die Luft. Der Sommernebel, der die Isla Desolación gewöhnlich einhüllt, war aufgerissen, das Tal badete eine Weile im wässrigen Sonnenlicht.

Ein Mann kam langsam über das steinige Flachland, blieb stehen, ging weiter, blieb abermals stehen. Er folgte keinem Pfad – auf den Inseln am Kap Hoorn, im äußersten Süden von Südamerika, gibt es keine Pfade.

Nestor Masangkay trug abgewetztes Ölzeug und einen speckigen Lederhut. Sein schütterer Bart war so vom Meersalz verklebt, dass er ihm in einzelnen Strähnen herunterhing, die bei jedem Schritt wie Lämmerschwänze wackelten. Niemand hörte, wie er die beiden Maulesel verfluchte – ihrer Herkunft, ihres Charakters, ja sogar ihrer bloßen Existenz wegen – und das Ganze von Zeit zu Zeit durch einen Hieb mit dem Knotenstock unterstrich. Er mochte Maulesel nicht, gemietete schon gar nicht. Aber seine Flüche klangen nicht ärgerlich, und die Hiebe fielen nicht sonderlich derb aus.

Masangkays innere Erregung wuchs. Sein Blick schweifte über die Landschaft und sog alle Details in sich auf: den Basaltabbruch, der knapp zwei Kilometer vor ihm wie eine mächtige Säule aufragte, den Vulkanpfropf mit seinen zwei Schloten und das Schichtgestein, das ungewöhnlich offen zu Tage lag. Die Geologie war wirklich vielversprechend.

Er folgte, den Blick auf den Boden gerichtet, weiter dem Verlauf des Tals. Hin und wieder trat er mit den Nagelstiefeln einen kleinen Felsbrocken los. Dann zitterte sein schütterer Bart ein wenig mehr, ein aufgeregter Grunzlaut drang aus seiner Kehle, doch die Tragtierkolonne zog stetig weiter.

Etwa in der Mitte des Tals trat er wieder einen Stein los. Diesmal blieb er jedoch stehen und hob ihn auf. Er inspizierte ihn gewissenhaft. Das Gestein war so weich, dass winzige Partikeln an seiner Haut haften blieben, wenn er mit dem Daumen daran rieb. Er hielt sich den Brocken vors Gesicht, um ihn mit einer Juwelierlupe zu untersuchen: ein mürbes, grünliches Mineral mit weißen Einschlüssen. Er erkannte sofort, dass es Coesit sein musste. Zwölftausend Meilen weit war er gereist, um diesen hässlichen, wertlosen Stein zu finden.

Sein Gesicht zerfloss zu einem breiten Grinsen, er riss die Arme gen Himmel und stieß ein frenetisches Freudengeheul aus. Die Hügel warfen das Echo zurück, es schien hin und her zu irren, bis es schließlich verhallte.

Sein Blick suchte die Erhebungen ab, nahm das Schwemmmuster der Erosion wahr, kehrte zum vulkanischen Schichtgestein zurück, um sich dann wieder auf den Boden zu richten. Er führte die Maulesel ein Stück weiter, so etwa einen Meter, trat noch einmal einen Stein los und drehte ihn mit der Stiefelspitze um, tat dasselbe mit einem zweiten, einem dritten und einem vierten – alles Coesit, das Tal war praktisch damit gepflastert.

Am Rand des Schneefelds ragte ein großer, glatt geschliffener erratischer Gletscherfindling aus der Tundra, dorthin führte er nun die Maulesel und band sie fest. Dann ging er bedächtigen, erwartungsvollen Schrittes zurück in die Ebene, riffelte mit den genagelten Sohlen der Stiefel den Boden, sammelte Steine ein und entwarf im Geiste eine Karte von der Ausdehnung des Coesit-Vorkommens. Es war unglaublich, seine kühnsten Hoffnungen wurden übertroffen.

Masangkay war mit recht realistischen Erwartungen auf diese Insel gekommen, wusste er doch aus Erfahrung, dass Legenden, die man sich in abgelegenen Gegenden erzählt, selten halten, was sie versprechen. Er erinnerte sich an die verstaubte Museumsbibliothek, in der er zum ersten Mal auf die Legende von Hanuxa gestoßen war, glaubte, den Modergeruch der zerfledderten anthropologischen Monografie noch in der Nase zu haben und die verblassten Abbildungen von längst ausgestorbenen Indianern und ihren Gerätschaften vor sich zu sehen. Anfangs hatte ihn das kaum beeindruckt. Von New York City nach Kap Hoorn war es ein verdammt weiter Weg. Und sein Instinkt hatte sich in der Vergangenheit oft als trügerisch erwiesen. Aber nun war er eben doch hier. Um den Lohn für sein Lebenswerk einzustreichen.

Masangkay atmete tief durch. Jetzt bloß nicht verrückt spielen. Er ging zu dem Findling zurück, fingerte unter dem Bauch des ersten Maulesels herum und förderte das Hanfseil und die Diamantenschlinge zu Tage. Dann öffnete er einen der Tragekästen, zog den wasserdichten Sack heraus und entnahm ihm sechs Aluminiumzylinder, das Keybord und den Monitor eines Computers, einen Lederriemen, zwei Metallkugeln und eine Nickel-Kadmium-Batterie. Er setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und fing an, seine Ausrüstung an einer fünf Meter langen, links und rechts mit kugelförmigen Enden versehenen Aluminiumstange zu befestigen. Den Bildschirm hängte er, nachdem er die Batterie eingelegt hatte, in der Mitte auf. Und damit konnte er sich dem Glanzstück seiner Ausrüstung zuwenden: Hightech vom Feinsten, das in dieser Einöde wie ein Anachronismus wirkte. Es war ein elektromagnetisches Spektrometer zur tomographischen Aufzeichnung von Messwerten – über fünfzigtausend Dollar wert, zehntausend bar auf die Hand, den Rest in Raten. Womit er sich angesichts seiner anderen Schulden und Verbindlichkeiten schwer genug tat. Falls das Projekt allerdings so viel Gewinn abwarf, wie er hoffte, konnte er alle Schulden begleichen, sogar die bei seinem alten Partner.

Er schaltete das Messgerät ein, wartete, bis es warm war, rückte den Bildschirm zurecht, fasste den Aluminiumstab am Griff, hob ihn hoch und legte ihn sich wie ein Hochseilartist die Balancierstange in den Nacken, weil er so die Last am besten verteilen konnte. Mit der freien Hand überprüfte er die Anordnung der Geräte, kalibrierte sie, stellte alle Anzeigen auf null und ging, den Blick auf den Monitor gerichtet, mit ruhigen, stetigen Schritten los. Nebel kam auf, am Himmel ballten sich dunkle Wolken.

Etwa in der Mitte der Ebene machte er abrupt Halt und starrte verblüfft auf die Anzeige. Er verstellte ein paar Justierknöpfe. Dann ging er weiter, um aber gleich wieder stehen zu bleiben. Er zog die Stirn kraus. Fluchend schaltete er das Gerät ab, kehrte zum Ausgangspunkt zurück, stellte noch einmal sämtliche Geräte auf null und startete – diesmal im rechten Winkel zur bisherigen Bewegungsrichtung – den nächsten Versuch. Es dauerte freilich nicht lange, bis er abermals anhielt. Aus seiner Verblüffung war ungläubiges Staunen geworden. Er markierte die Stelle durch zwei übereinander gelegte Steine, durchquerte die Ebene der Breite nach und machte, nun sichtlich von Ungeduld getrieben, kehrt. Weicher Regen lief ihm über Gesicht und Schultern, doch das scherte ihn nicht. Er betätigte die Druckertaste, aus dem Computer kroch langsam ein schmaler Papierstreifen. Masangkay hielt ihn sich dicht vors Gesicht, der Nieselregen verwischte schon die Tinte. Sein Atem ging schneller. Zunächst glaubte er an einen Messfehler, aber er sah es ja schwarz auf weiß vor sich: drei Messungen mit identischen Werten. Er wiederholte die letzte Messung, druckte das Ergebnis aus, überprüfte es, zerknüllte den Ausdruck und steckte ihn in die Jackentasche.

Nach der vierten Messung fing er an, unzusammenhängendes Zeug vor sich hin zu brabbeln, hastig und monoton. Er rannte zu den Mauleseln, setzte das Spektrometer auf dem wasserdichten Sack ab und öffnete mit fliegenden Fingern das Packzeug des zweiten Esels. In seiner Hast riss er einen der beiden Tragekästen herunter, der Deckel klappte auf, Spitzhacken, Schaufeln, Probenhämmer, ein großer Bohrer und ein Bündel Dynamitstangen fielen heraus. Er griff zur Spitzhacke, brach mit kräftigen Hieben den steinigen Boden auf und schaufelte das lose Gestein beiseite. Er arbeitete wie ein Berserker. Die Maulesel verfolgten sein hektisches Treiben mit schläfrigem Blick.

Der Regen wurde stärker, an tiefer gelegenen Stellen sammelte sich das Wasser zu flachen Pfützen. Der kalte Wind, der vom Franklin-Kanal herunterwehte, roch nach Eis. In der Ferne grollte Donner. Möwen kreisten schreiend über Masangkay und beäugten ihn neugierig.

Bald war das Loch drei Handbreit tief, kurz darauf schon gut einen halben Meter. Unter der harten Gesteinsschicht stieß er auf angeschwemmten Sand, die Arbeit wurde leichter, er brauchte nur noch die Schaufel. Ein dichter Schleier aus Regen und Dunst verhüllte nun die Hügel. Er gönnte sich keine Pause, riss sich die Jacke vom Leib, wenig später das Hemd und zuletzt sogar das Unterhemd. Schlamm und Wasser vermischten sich mit dem Schweiß, der ihm über Brust und Rücken strömte; seine Rippen und die Muskulatur zeichneten sich wie ein Relief auf seinem nackten Oberkörper ab, der strähnige Bart sog sich mit Wasser voll.

Plötzlich stieß er einen lauten Schrei aus. Er kauerte sich in das Loch, schaufelte mit bloßen Händen Sand und Schlamm beiseite, starrte auf das feste Gestein, das er soeben freigelegt hatte, und ließ es vom Regen vollends freiwaschen.

Vor Staunen und Bestürzung wie betäubt fiel er auf die Knie, als wolle er beten, und legte in einer ehrfürchtigen Geste die verschwitzten, schmutzigen Hände auf das Gestein. Sein Atem ging keuchend, er verdrehte verblüfft die Augen, sein Herz schlug vor Anstrengung, Aufregung und einem unbeschreiblichen Glücksgefühl wie ein Schlaghammer.

In diesem Moment brach eine Schockwelle gleißend hellen Lichts aus dem frisch geschaufelten Loch, gefolgt von ohrenbetäubendem Lärm, der durch das ganze Tal hallte, bis die fernen Hügel ihn verschluckten.

Die beiden angebundenen Maulesel hoben den Kopf. Sie sahen eine Rauchwolke aufsteigen, die sich aber bald zerfaserte und im Regen verlor. Gleichgültig wandten sie sich ab, und bald darauf senkte sich die Nacht über die Isla Desolación.

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Isla Desolación

22. Februar, 11.00 Uhr

Von der einsetzenden Flut getrieben, glitt das lange Borkenkanu rasch durch den Kanal. Ein Mann kniete darin und trieb es, das Paddel in der Hand und weit nach vorn gebeugt, mit erfahrenem Schlag durch das schäumende Wasser. Es zog eine Rauchfahne hinter sich her – von dem Feuer, das in der Mitte des Kanus auf einem feuchten Lehmklumpen schwelte.

Das Kanu machte einen weiten Bogen um die schwarzen Klippen der Isla Desolación, bog in das ruhigere Wasser einer kleinen Bucht ein und setzte knirschend auf dem steinigen Strand auf. Der Mann sprang heraus und zog das Kanu so weit an Land, dass es oberhalb der höchsten Gezeitenmarke lag.

Die Kunde war zufällig zu ihm gedrungen, einer der nomadisierenden Fischer, die ihr einsames Dasein am Ufer dieses kalten Meeres fristeten, hatte ihm davon erzählt. Dass jemand, der wie ein Fremder aussah, diese abgelegene, unwirtliche Insel aufgesucht hatte, war in der Tat bemerkenswert. Aber noch bemerkenswerter war, dass er die Insel allem Anschein nach nicht wieder verlassen hatte, obwohl seit seiner Ankunft schon ein Monat vergangen war.

Der Mann blieb stehen, ein Stück zerbrochenes Fiberglas war ihm aufgefallen. Er bückte sich und hob es auf, fand noch ein zweites, befreite die Bruchstücke von angeschwemmtem Gras und Moos und inspizierte sie sorgfältig: die Überreste eines vor nicht allzu langer Zeit hier gestrandeten Bootes. Aber sicher gab es eine simple Erklärung dafür.

Er war seiner Erscheinung nach ein seltsamer alter Kauz – irgendwie unheimlich, mit langem grauem Haar und einem dünnen Ziegenbärtchen, das ihm wie ein dicht gewobenes Spinnennetz vom Kinn hing. Trotz der eisigen Temperaturen trug er lediglich ein schmutziges T-Shirt und ausgebeulte Shorts. Er führte den Zeigefinger zur Nase, hielt sich ein Nasenloch zu, schnäuzte sich und nahm sich dann das andere vor – nicht gerade anmutig, aber routiniert. Dann kletterte er auf die Klippe am Ende der Bucht, wo er ganz oben Halt machte.

Seine wachen dunklen Augen suchten den Boden der steinigen Ebene ab. So kurz nach der Eisschmelze war sie matschig, daher zeichneten sich alle Spuren noch deutlich ab – Fußspuren und Hufspuren.

Er folgte dem Zickzackkurs, den die kleine Kolonne eingeschlagen hatte, zunächst bis an den Rand des Schneefelds, dann hinunter ins Tal. Auf einem Buckel, von dem aus man das ganze Tal überblicken konnte, endeten die Spuren dann; oder vielmehr: Sie verloren sich in einem ziellosen Hin und Her.

Der Alte blieb stehen und betrachtete das wirre Muster. Irgendetwas dort unten irritierte ihn – ein paar verhuschte Farbflecken, und das Sonnenlicht brach sich an einem Stück poliertem Metall. Er hastete den Buckel hinunter.

Zuerst stieß er auf die Maulesel. Sie waren an einem Findling festgebunden und seit geraumer Zeit tot. Seine Augen suchten das Tal ab und fingen begehrlich zu glitzern an, als er die teuren Ausrüstungsstücke entdeckte.

Dann sah er den Toten.

Er näherte sich ihm mit großer Vorsicht. Der Leichnam lag auf dem Rücken, dreißig Meter neben einem erst kürzlich ausgehobenen Erdloch. Er war praktisch nackt, nur ein paar Fetzen verbrannter Kleidungsstücke klebten noch an dem verkohlten Körper. Die schwarz verbrannten Hände waren nach oben gereckt, die bizarr verrenkten Beine bis dicht an den zerschmetterten Brustkorb gezogen. In den leeren Augenhöhlen hatte sich Regenwasser gesammelt – zwei winzige Seen, in denen sich das Licht des Himmels und die Wolken spiegelten.

Der Alte setzte, als er langsam ein paar Schritte zurückwich, wie eine Katze einen Fuß hinter den anderen. Schließlich blieb er abrupt stehen, starrte auf das Szenario vor sich und verwandte lange Zeit auf den Versuch zu begreifen, was hier eigentlich geschehen war. Dann riss er sich los und konzentrierte sich – ohne freilich dem verkohlten Leichnam den Rücken zuzukehren – ganz darauf, die verstreut herumliegenden wertvollen Geräte und Werkzeuge zu inspizieren.

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New York City

20. Mai, 14.00 Uhr

Der Verkaufsraum von Christie machte mit seinen fahlbraun getäfelten Wänden und den nüchternen, rechteckig angeordneten Deckenleuchten auf den ersten Blick nicht viel her. Und von dem wunderschön im Fischgrätmuster verlegten Parkett war so gut wie nichts zu sehen, so eng waren die bis auf den letzten Platz besetzten Stuhlreihen gestellt, ganz zu schweigen von dem schmalen Streifen dahinter, auf dem sich Reporter, zu spät Gekommene und Neugierige drängten.

Als der Chefauktionator das Podium erklomm, trat erwartungsvolle Stille ein. Die große cremefarbene Tafel hinter ihm, an der bei normalen Versteigerungen gewöhnlich Gemälde oder Kupferstiche hingen, war leer.

Der Auktionator klopfte mit dem Hammer aufs Pult, ließ die Augen über die Anwesenden schweifen, zog ein Kärtchen aus der Reverstasche, überflog es, legte es aufs Pult und wandte sich an sein Auditorium: »Ich könnte mir vorstellen …« – er lauschte verwundert den Vokalen nach, die wegen des leichten Halleffekts ein wenig breiig klangen – »… dass einigen von Ihnen bereits zu Ohren gekommen ist, was wir heute anbieten.«

Die Zuhörer reagierten mit amüsiertem Lächeln.

»Ich bedaure, dass wir das Objekt nicht hier vor Ihnen aufstellen konnten. Dafür war es eine Spur zu groß.«

Leises Lachen. Der Auktionator wollte offenbar die knisternde Spannung bis zur Neige auskosten.

»Aber ich habe einen kleinen Teil davon mitgebracht – ein Beweisstück sozusagen, um Ihnen die Gewissheit zu geben, dass der Artikel, auf den Sie Ihre Gebote abgeben, auch wirklich echt ist.« Er nickte einem schlanken jungen Mann zu, der, eine kleine Samtschatulle in den Händen, mit ein wenig manierierter Gewandtheit aufs Podium trat. Er hakte den Verschluss auf, öffnete den Deckel und zeigte den Inhalt so im Halbkreis herum, dass die Interessenten ihn in Augenschein nehmen konnten. Ein gedämpftes Murmeln lief durch die Stuhlreihen, verstummte aber bald wieder.

In der Schatulle lag, in weißen Satin gebettet, ein knapp zwanzig Zentimeter langer, an der Innenseite mit tückischen Zacken versehener brauner Zahn.

Der Auktionator räusperte sich. »Los Nummer eins – heute unser einziges – wurde hinterlegt von der Navajo Nation, die als Treuhänder für die Regierung der Vereinigten Staaten agiert.« Er ließ den Blick über die Stuhlreihen gleiten. »Es handelt sich um ein Fossil. Ein bemerkenswertes Fossil.«

Er zog kurz sein Kärtchen zu Rate. »1996 verlor ein Navajo, ein Schafhirte namens Wilson Atcitty, in den Lukachukai Mountains an der Grenze von Arizona und New Mexico einige Tiere. Auf der Suche nach ihnen stieß er auf einen großen Knochen, der aus einem Sandsteinflöz in einem abgelegenen Canyon ragte. Geologen nennen diese Verwerfung die Hell Creek Formation, sie datiert aus der Kreidezeit. Schließlich hörte das Museum of Natural History in Albuquerque davon und begann in Abstimmung mit der Navajo Nation mit der Bergung des Skeletts. Während der Arbeiten wurde bald klar, dass es sich um zwei Skelette handelte: einen Tyrannosaurus rex und einen Triceratops. Der Tyrannosaurus hatte dem Triceratops die Fänge dicht unter dem Schädel in den Nacken geschlagen, er wollte das Tier also buchstäblich mit einem Todesbiss enthaupten. Der Triceratops hatte jedoch seinerseits dem Tyrannosaurus das Mittelhorn in die Brust gerammt, und so sind beide Tiere, sozusagen in tödlicher Umarmung, gemeinsam verendet.«

Wieder ein Räuspern. »Ich kann den Film aus Hollywood kaum abwarten.«

Die Bemerkung wurde von seinen Zuhörern mit einem geradezu befreiten Lachen honoriert.

»Der Zweikampf war so heftig, dass Paläontologen unter dem Triceratops fünf Zähne des Tyrannosaurus fanden, die dieser offensichtlich im Eifer des Gefechts verloren hatte. Hier haben wir einen davon.« Er nickte dem Assistenten zu, worauf der die Schatulle schloss.

»Der Steinblock, in dem man die beiden Dinosaurier fand – immerhin ein Koloss von an die dreihundert Tonnen Gewicht –, wurde aus dem Bergmassiv in das Museum in Albuquerque transportiert, von wo man ihn zur weiteren Präparation in das Museum of National History nach New York gebracht hat. Beide Dinosaurier sind nach wie vor im Gestein eingeschlossen.« Er warf kurz einen Blick auf sein Kärtchen.

»Nach Auskunft der von unserem Haus befragten Wissenschaftler handelt es sich um die besterhaltenen Dinosaurierskelette, die je entdeckt wurden. Der Chefpaläontologe des New Yorker Museums geht sogar so weit, sie als den bedeutendsten fossilen Fund aller Zeiten zu bezeichnen.«

Er legte sein Kärtchen weg und griff zum Hammer, was für die drei Beobachter des Hauses Christie das Zeichen war, das Podium zu betreten. Weitere Angestellte warteten im Hintergrund mit dem Telefonhörer in der Hand auf die ersten Anrufe.

»Wir haben auf dieses Los eine Schätzung von zwölf Millionen Dollar und eröffnen mit einem Mindestgebot von fünf Millionen.« Der Auktionator tippte mit dem Hammer sanft aufs Pult.

Im Hintergrund läuteten die Telefone, die ersten Paddles wurden gereckt. Die drei Beobachter verrenkten sich den Hals, um ja kein Zeichen zu verpassen, und gaben jedes Gebot sofort an den Chefauktionator weiter.

»Ich habe fünf Millionen. Sechs. Danke, ich habe sieben.« Das gedämpfte Gemurmel im Saal wurde lauter. »Ich habe acht Millionen.«

Applaus brandete auf, acht Millionen waren bisher für ein Dinosaurierfossil noch nie erzielt worden.

»Zehn Millionen. Elf. Zwölf. Danke, ich habe dreizehn. Vierzehn habe ich. Fünfzehn.«

Die Zahl der nach oben gereckten ovalen Schildchen schrumpfte, nur die Telefonbieter zeigten weiter lebhaftes Interesse. Auf der elektronischen Anzeigentafel neben dem Auktionator kletterten die Zahlen in schwindelnde Höhen.

»Achtzehn Millionen. Achtzehn. Neunzehn – danke.«

Das Stimmengewirr wurde lauter, der Auktionator mahnte durch einen Hammerschlag zur Ruhe.

»Fünfundzwanzig Millionen. Ich habe sechsundzwanzig. Siebenundzwanzig für den Herrn auf der rechten Seite.«

Wieder schwoll das Stimmengewirr an, diesmal beanstandete der Chefauktionator es nicht.

»Ich habe zweiunddreißig Millionen. Zweiunddreißigeinhalb per Telefon. Danke, ich habe dreiunddreißigeinhalb. Vierunddreißig für die Dame ganz vorn.«

Die Atmosphäre im Saal knisterte wie elektrisch geladen. Die Gebote übertrafen die kühnsten Vorhersagen.

»Fünfunddreißig telefonisch. Fündunddreißigeinhalb für die Dame. Sechsunddreißig.«

Dann kam auf einmal leichte Unruhe auf, die allgemeine Aufmerksamkeit wandte sich der Tür zu, die zur großen Galerie führte. Auf den halbmondförmig geschwungenen Stufen stand ein Mann um die sechzig. Eine hünenhafte, wahrhaft eindrucksvolle Erscheinung mit rasiertem Schädel und einem Van-Dyck-Bart. Sein Valentino-Anzug aus dunkelblauer Seide schimmerte bei jeder Bewegung im Licht, das blütenweiße Turnbull & Asser-Hemd ragte drei Fingerbreit über das Revers hinaus, die schmale Krawatte wurde von einem faustgroßen Stück Bernstein gehalten, in dem die einzige je gefundene Archäopteryx-Feder eingeschlossen war.

»Sechsunddreißig Millionen«, wiederholte der Auktionator. Aber seine Augen ruhten – wie aller Augen – auf dem Neuankömmling, der immer noch unter der Tür stand. Seine blauen Augen funkelten vor Vitalität und verstohlenem Amüsement. Langsam hob er sein Schildchen.

Stille, alle hielten den Atem an. Hätte es im Saal jemanden gegeben, der den Mann nicht kannte, so wäre zumindest das Schildchen ein untrüglicher Fingerzeig gewesen: Es trug die Ziffern 001, die einzige Ziffernfolge, die das Haus Christie je fest an einen Klienten vergeben hatte.

Der Auktionator blickte erwartungsvoll zu ihm hinüber.

»Einhundert«, sagte der Mann schließlich leise, aber deutlich vernehmbar.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Bis der Auktionator mit heiserer Stimme fragte: »Wie bitte?«

»Einhundert Millionen Dollar«, sagte der Mann.

Erst als die Stille sich nahezu unerträglich dehnte, sagte der Auktionator mit brüchiger Stimme: »Ich habe ein Gebot von einhundert Millionen Dollar.«

Die Zeit schien still zu stehen. Irgendwo im Haus klingelte ein Telefon, Lichtjahre entfernt.

Endlich machte ein kurzer Schlag mit dem Hammer dem Spuk ein Ende. »Los Nummer eins – für einhundert Millionen Dollar verkauft an Palmer Lloyd.«

Die Anspannung entlud sich in einem Tumult, alle sprangen von ihren Stühlen auf. Frenetischer Beifall, Glückwünsche und Bravorufe brandeten durch den Raum. Doch nicht alle waren vom Ausgang der Auktion begeistert, in den Applaus mischte sich missbilligendes Zischen, begleitet von leisen Buhrufen. Nie zuvor hatte es das Haus Christie erlebt, dass ein Publikum sich derart hysterisch gebärdete und so eindeutig in zwei Lager gespalten war. Nur in einem Punkt schienen sich alle einig zu sein: Sie waren soeben Zeugen eines historischen Augenblicks geworden.

Der Platz unter der Tür war leer, sie konnten dem Mann, der die Emotionen so aufgeheizt hatte, nicht einmal mehr nachstarren. Er hatte das Haus bereits durch die große Galerie verlassen.

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Kalahari-Wüste

1. Juni, 18.45 Uhr

Sam McFarlane saß mit gekreuzten Beinen auf dem staubigen Boden. Das Abendfeuer aus dürren Zweigen warf tanzende Schatten auf das Dornengestrüpp rings um das Lager. Die nächste menschliche Siedlung lag hundertfünfzig Kilometer weit weg – irgendwo hinter ihm.

Sein Blick wanderte über die kleinwüchsigen Gestalten, die auf den Hacken, nackt bis auf die verstaubten kurzen Hosen, mit wachen, glänzenden Augen rings um das Feuer kauerten. San-Buschmänner – es dauerte lange, bis man ihr Vertrauen gewonnen hatte, aber dann besaß man es für immer und ewig. Ganz anders als bei uns zu Hause, dachte McFarlane.

Vor jedem San lag ein gebrauchter Detektor. Die Männer blieben in der Hocke sitzen, als McFarlane aufstand und in ihrer seltsamen Schnalzsprache langsam und ein wenig umständlich zu ihnen sprach. Anfangs gab es unterdrücktes Kichern, wenn er sich mit dem einen oder anderen Wort verhedderte, aber McFarlane besaß ein natürliches Gefühl für fremde Sprachen, und so lauschten ihm die Männer bald wieder mit respektvollem Schweigen.

Am Ende glättete McFarlane den Boden zu seinen Füßen, nahm einen Stock und zeichnete eine Karte in den Sand. Die San reckten den Hals und sahen zu, wie die Karte langsam Form und Gestalt annahm. Und als McFarlane schließlich auf einige markante Punkte deutete, nickten sie verstehend. Die Skizze zeigte die Makgadikgadi-Senke nördlich des Lagers: ein über zweieinhalbtausend Quadratkilometer großes Gebiet aus ausgetrockneten Seen, Sanddünen und Salzpfannen, unbesiedelt und menschenleer. Er zog mit dem Stock einen kleinen Kreis um das Zentrum der Senke, bohrte den Stecken dann in der Mitte in den Boden und sah mit breitem Grinsen auf. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, nur in der Ferne erklang der einsame Ruf eines Ruoru-Vogels. Dann begannen die San leise aufeinander einzureden, die Klick- und Schnalzlaute ihrer Sprache hörten sich an, als kullerten Kieselsteine durch einen Bach. Ein knorriger alter Mann, der Anführer der Gruppe, deutete auf die Karte. McFarlane hatte Mühe zu verstehen, was der Alte sagte, weil er so schnell sprach. Ja, entnahm er seinen Worten, die Gegend sei ihnen bekannt. Er beschrieb McFarlane, wo die Pfade verliefen, die nur die San kannten, und markierte mit kleinen Steinen die Stellen, an denen Sickerwasser, Wild und essbare Wurzeln und Pflanzen zu finden waren. McFarlane hörte ihm geduldig zu.

Dann trat einen Moment Stille ein, und als der alte Mann fortfuhr, bemühte er sich, langsamer zu sprechen. Ja, sie seien bereit zu tun, was der weiße Mann wolle. Aber die kleinen Maschinen, die er ihnen gegeben hatte, machten ihnen Angst. Und sie hätten nicht verstanden, wonach der weiße Mann eigentlich suche.

McFarlane stand abermals auf, zog den Stecken aus dem Sand, kramte aus der Hosentasche ein kleines Stück Eisen, nicht größer als eine Murmel. Er legte es in das Loch, das der Stock im Sand hinterlassen hatte, drückte es in den Boden und bedeckte es mit Sand. Dann nahm er seinen Metalldetektor und schaltete ihn ein. Das Gerät heulte kurz schrill auf. Die San verfolgten die Prozedur stumm, aber sichtlich nervös. McFarlane trat ein paar Schritte zurück, drehte sich um, ging wieder auf die Karte zu und ließ den Detektor dabei dicht über dem Boden kreisen. Über dem im Sand verborgenen Stück Eisen reagierte der Detektor mit einem lauten Heulton. Die San sprangen erschrocken auf, wichen zurück und begannen aufgeregt zu palavern.

McFarlane redete beruhigend auf sie ein, sie krochen wieder an ihre alten Plätze zurück. Er hielt den Metalldetektor dem Alten hin, der ihn schließlich zögernd nahm. McFarlane zeigte ihm, wie er das Gerät einschalten und es langsam kreisend über den Boden führen musste. Wieder das schrille Heulen, der Alte zuckte zusammen, doch dann grinste er. Er wiederholte die Prozedur mehrmals, das Grinsen wurde breiter, bis sein Gesicht vor Lachfältchen ganz zerknittert aussah. »Sun’a ai, Ma!gad’i!gadi !iaad’mi«, sagte er und deutete auf seine Leute.

Mit McFarlanes geduldiger Hilfe griff ein Buschmann nach dem anderen nach seinem Detektor, um ihn über dem im Sand vergrabenen Metallstück auszuprobieren. Schon bald hatten sie ihre Scheu verloren und lachten und spornten sich gegenseitig an. Zu guter Letzt machte McFarlane ihnen ein Zeichen, die San kauerten sich wieder hin, ließen aber den Detektor auf dem Schoß. Sie waren bereit, mit der Suche zu beginnen.

McFarlane zog einen Lederbeutel aus der Tasche, schüttelte ein Dutzend goldene Krügerrands heraus und drückte jedem San feierlich eine Münze in die Hand. Das letzte Licht des Tages verlosch, der Ruoru ließ wieder seinen klagenden Ruf hören. Die Männer nahmen die Goldmünzen ehrerbietig, mit gesenktem Kopf und ausgestreckten Händen entgegen.

Der Anführer stand auf und sagte McFarlane, sie würden morgen ihr Lager abbrechen und mit den Maschinen, die der weiße Mann ihnen gegeben hatte, die Wanderung ins Zentrum der Makgadikgadi-Senke antreten, um dort nach dem großen Ding zu suchen, das der weiße Mann haben wolle. Und sobald sie es gefunden hätten, kämen sie zurück, um ihm zu erzählen, wo es läge.

Plötzlich richtete der Alte die Augen erschrocken zum Himmel. Alle San taten es ihm nach, und auch McFarlane blickte stirnrunzelnd nach oben. Irgendwo weit in der Ferne lag ein rhythmisches, dröhnendes Knattern in der Luft. Die Buschmänner schnellten auf wie verstörte Vögel und flüsterten besorgt miteinander. Am Himmel zeichnete sich ein helles Licht ab, das rasch näher kam. Das Knattern wurde lauter. Der scharf gebündelte Strahl eines Suchscheinwerfers huschte über das Gestrüpp.

Mit einem leisen Schreckensschrei ließ der Alte seine Krügerrand-Münze fallen und verschwand in der Dunkelheit, die anderen San folgten ihm sofort. McFarlane, plötzlich allein gelassen, starrte wütend auf das Lichtbündel, das immer heller wurde und geradewegs auf das Lager zukam. Er konnte den Hubschrauber inzwischen erkennen, es war ein großer Blackhawk, mit eingeschalteten Positionsleuchten, die ihn von oben höhnisch anzublinzeln schienen. Und dann erfasste ihn der Suchscheinwerfer.

McFarlane warf sich hinter einem Dornbusch in den Sand, irgendwie fühlte er sich dem gleißenden Licht und den scharfen Rotoren wehrlos ausgeliefert. Er tastete nach der Waffe in seinem Stiefelschacht. Staub wurde aufgewirbelt, losgerissene Zweige stachen ihm in die Augen. Der Hubschrauber schwebte mit gedrosselter Geschwindigkeit über ihm, bevor er auf einer freien Fläche neben dem Lager zur Landung ansetzte. Ein wahrer Funkenregen flog auf, als der Sog das Lagerfeuer erfasste. Der Helikopter setzte auf, ein Dachscheinwerfer ging an, plötzlich war die ganze Umgebung in grelles Licht getaucht. Die Drehbewegung der Rotoren verebbte, McFarlane stemmte sich hoch und wischte sich den Staub aus dem Gesicht. Er wartete, den Blick auf die Ausstiegsluke gerichtet, die Pistole griffbereit. Kurz darauf wurde die Luke aufgestoßen, ein groß gewachsener, stämmiger Mann trat heraus. Er allein.

McFarlane, hinter dem Dornbusch versteckt, musterte ihn. Der Mann trug Khakishorts, ein Buschhemd und einen Tilley-Hut. Als er auf McFarlane zukam, bemerkte der, dass in einer der Hosentaschen des Fremden etwas Schweres steckte, das bei jeder Bewegung hin und her rutschte.

McFarlane kam langsam auf die Beine, achtete aber darauf, den Busch zwischen sich und dem Hubschrauber zu haben, und richtete die Pistole auf den Fremden. Den schien das nicht zu beeindrucken. Obwohl er sich vor dem Lichtkegel des Landescheinwerfers lediglich als eine Art Schattenriss abzeichnete, glaubte McFarlane, seine zu einem Lächeln entblößten Zähne zu sehen. Als er fünf Schritte entfernt war, blieb der Mann stehen. Er musste gut und gern zwei Meter groß sein, McFarlane hatte noch nie einen solchen Hünen gesehen.

»Sie sind verflixt schwer zu finden«, sagte der Mann.

In der tiefen, wohlklingenden Stimme machte McFarlane Spuren des nasalen Ostküstenakzents aus. »Wer, zum Teufel, sind Sie?«, fragte er, ohne den Lauf der Pistole zu senken.

»Ich finde es wesentlich kultivierter, wenn Schusswaffen weggelegt werden, bevor man sich bekannt macht.«

»Nehmen Sie Ihre Waffe aus der Hosentasche und werfen Sie sie auf den Boden«, verlangte McFarlane.

Der Mann ließ ein glucksendes Lachen hören und brachte das Ding zum Vorschein, das ihm die Tasche ausbeulte. Es war keine Waffe, sondern eine kleine Thermosflasche. »Hilft gegen die Kälte«, meinte er und hielt die Flasche hoch. »Möchten Sie einen Schluck probieren?«

McFarlane starrte angestrengt zu dem Hubschrauber hinüber, aber bis auf den Piloten schien niemand an Bord zu sein. »Ich habe einen Monat gebraucht, um das Vertrauen meiner Buschmänner zu gewinnen«, sagte er vorwurfsvoll, »und nun kommen Sie daher und vertreiben sie in alle Winde. Ich möchte wissen, wer Sie sind und was Sie hier wollen. Und ich kann in Ihrem Interesse nur hoffen, dass es etwas Gutes ist.«

»Ich fürchte, es ist nichts Gutes. Ihr Partner, Nestor Masangkay, ist tot.«

McFarlane fühlte eine jähe innere Leere. Er ließ die Hand mitsamt der Waffe sinken. »Tot?«

Der Mann nickte. »Als er getan hat, was Sie jetzt auch tun. Genaueres wissen wir noch nicht.« Er deutete aufs Feuer. »Wollen wir uns dorthin setzen? Ich war nicht darauf gefasst, dass es in der Kalahari nachts so lausig kalt ist.«

McFarlane ging mit gesenkter Waffe voraus. Von der Feuerstelle war nicht viel übrig geblieben, auch die Zeichnung im Sand hatte der Hubschrauber durch den Rotorensog ausgelöscht. Ihm war unbehaglich zumute, wie immer, wenn er mit zwiespältigen Gefühlen fertig werden musste. »Was hatten Sie mit Nestor zu schaffen?«, fragte er.

Der Mann antwortete nicht sofort. Stattdessen sah er sich um, registrierte die achtlos weggeworfenen Detektoren und die Goldmünzen, die verstreut im Sand lagen. Er hob das kleine braune Eisenstück auf, hielt es hoch und schielte zu McFarlane hinüber. »Wieder mal auf der Suche nach dem Okawango-Meteoriten?«, sagte er.

McFarlane sagte nichts, seine Hand schloss sich nur fester um den Griff der Pistole.

»Sie kennen Masangkay besser als irgendwer sonst. Ich brauche Ihre Hilfe, damit ich sein Projekt zu Ende führen kann.«

»Und was für ein Projekt war das?«, fragte McFarlane.

»Tut mir Leid, ich habe alles gesagt, was ich darüber sagen kann.«

»Dann tut’s mir ebenfalls Leid. Ich habe gehört, was ich hören wollte. Und im Übrigen helfe ich nur noch mir selbst und sonst keinem.«

»Das ist mir bekannt.« McFarlane fühlte wieder Wut aufwallen, er trat rasch auf den anderen zu.

Der hob besänftigend die Hand. »Sie könnten mir doch zumindest bis zu Ende zuhören.«

»Bis jetzt habe ich nicht mal Ihren Namen gehört, und ehrlich gesagt, ich lege auch keinen Wert mehr darauf. Danke, dass Sie mir die Nachricht übermittelt haben, auch wenn es eine schlechte war. Und nun sollten Sie sich in Ihren Helikopter setzen und schleunigst von hier verschwinden.«

»Entschuldigen Sie, dass ich mich nicht vorgestellt habe. Ich bin Palmer Lloyd.«

McFarlane lachte trocken. »Ja. Und ich Bill Gates.«

Aber der Hüne lachte nicht mit, er lächelte allenfalls. McFarlane sah sich sein Gesicht genauer an, er sezierte es geradezu, dann flüsterte er: »Großer Gott.«

»Es ist Ihnen vielleicht zu Ohren gekommen, dass ich dabei bin, ein neues Museum zu bauen.«

McFarlane schüttelte den Kopf. »Hat Nestor für Sie gearbeitet?«

»Nein. Aber ich habe kürzlich zufällig von seinen Aktivitäten erfahren. Und nun möchte ich zu Ende führen, was er begonnen hat.«

»Hören Sie …« McFarlane schob die Pistole in den Hosenbund. »Ich bin nicht interessiert. Nestor Masangkay und ich haben uns schon vor langer Zeit getrennt. Aber ich bin sicher, dass Ihnen das alles bekannt ist.«

Lloyd hielt ihm lächelnd die Thermosflasche hin. »Wollen wir einen zur Brust nehmen, während wir darüber reden?« Ohne die Antwort abzuwarten, setzte er sich ans Feuer – so wie Weiße sich in der Wüste hinsetzen, auf den Hintern nämlich –, schraubte die Kappe ab, schüttete etwas dampfend Heißes hinein und bot das Getränk McFarlane an. Der schüttelte unwillig den Kopf.

»Macht Ihnen die Meteoritenjagd Spaß?«, fragte Lloyd.

»An manchen Tagen schon.«

»Und Sie glauben tatsächlich, dass Sie den Okawango finden werden?«

»Nun, zumindest habe ich’s geglaubt, bevor Sie von oben hier reingeschneit sind.« McFarlane kauerte sich neben ihn. »Hören Sie, ich würde liebend gern weiter mit Ihnen plaudern, aber solange Sie hier sitzen und Ihr Hubschrauber dort drüben steht, werden meine Buschmänner sich mit jeder Minute weiter von hier davonmachen. Darum sage ich’s noch mal: Ich bin nicht an einem Job interessiert, weder in Ihrem noch in sonst einem Museum.« Er zögerte. »Ganz davon abgesehen, dass Sie mir nicht annähernd das zahlen können, was ich bei dem Okawango-Projekt verdienen werde.«

»Um wie viel handelt es sich denn?«, wollte Lloyd wissen und nahm einen Schluck von seinem Getränk.

»Um eine Viertelmillion. Mindestens.«

Lloyd nickte. »Nehmen wir an, Sie finden ihn. Nach Abzug der Schulden, die Sie noch von dem Tornassuk-Fiasko auf dem Buckel haben, wird das für Sie ein Plus/minus-null-Geschäft.«

McFarlane lachte rau. »Jeder hat das Recht, sich zu irren. Mir bleibt jedenfalls genug, um mir den nächsten Felsbrocken vorzunehmen. Da draußen liegen noch jede Menge Meteoriten herum. Da kommt mehr zusammen als das Gehalt eines Museumsdirektors.«

»Ich rede nicht von dem Posten eines Museumskurators.«

»Wovon dann?«

»Ich bin sicher, dass Sie das bereits ahnen. Über Einzelheiten kann ich nicht sprechen, solange ich nicht weiß, ob Sie an Bord sind oder nicht.« Er schenkte nach und hielt McFarlane die Verschlusskappe hin. »Trinken Sie einen auf das Andenken Ihres alten Partners.«

»Alten Expartners.«

Lloyd seufzte. »Sie haben Recht, ich weiß alles über Sie und Masangkay. Es war nicht Ihre Schuld, dass der Tornassuk-Felsen auf diese Weise verloren ging. Wenn jemand dafür verantwortlich ist, dann diese Bürokraten am New York Museum.«

»Warum geben Sie nicht auf? Ich habe kein Interesse.«

»Lassen Sie uns davon sprechen, was ich Ihnen als Gegenleistung anbiete: Ich werde Ihre Viertelmillion Schulden zurückzahlen, damit haben Sie die Gläubiger vom Hals. Wenn Sie das Projekt erfolgreich abschließen, bekommen Sie eine weitere Viertelmillion. Wenn nicht, müssen Sie sich damit begnügen, zumindest die Schulden loszuhaben. So oder so, Sie können jederzeit als Direktor der Planetarischen Abteilung in meinem Museum unterkommen. Ich stelle Ihnen ein Labor auf dem neuesten technischen und wissenschaftlichen Stand zur Verfügung. Sie haben eine Sekretärin, Assistenten, ein sechsstelliges Gehalt – und eine interessante Arbeit.«

McFarlane lachte. »Wunderbar. Und wie lange soll ich dafür an dem Projekt arbeiten?«

»Sechs Monate. In der Einöde.«

McFarlane lachte nicht mehr. »Eine halbe Million für ein halbes Jahr Arbeit?«

»Vorausgesetzt, dass wir Erfolg haben.«

»Wo ist der Haken?«

»Es gibt keinen.«

»Warum ich?«

»Sie haben Masangkay gekannt. Seine Kniffe, seine Art vorzugehen, seine Denkweise. Auf seinem letzten Projekt lastet ein Geheimnis, und Sie sind der Mann, der es ergründen kann. Außerdem sind Sie einer der erfolgreichsten Meteoritenjäger der Welt. Sie haben einen siebten Sinn für diese Dinger. Es heißt, Sie könnten sie riechen.«

So viel Lob machte McFarlane misstrauisch, das roch nach Köder. »Ich bin nicht der Einzige hier draußen.«

Lloyd hielt ihm mit angewinkeltem Ringfinger die Hand hin, ganz kurz blitzte Edelmetall auf.

»Tut mir Leid«, sagte McFarlane, »den Ring küsse ich nur dem Papst.«

Lloyd gluckste amüsiert. »Sehen Sie sich den Stein an.«

McFarlane beugte sich vor. Ein milchfarbener, in Platin gefasster Halbedelstein. Er erkannte ihn sofort. »Hübsches Stück. Die Dinger hätten Sie bei mir en gros kaufen können.«

»Zweifellos. Schließlich haben Sie und Masangkay es geschafft, Atakamite aus Chile rauszuschaffen.«

»Richtig. Deswegen werde ich in der Gegend auch noch immer gesucht.«

»Wir bieten Ihnen angemessenen Schutz.«

»Aha, es ist also Chile, wie? Nun, da muss ich zu meinem Bedauern passen. Ich weiß, wie’s dort im Knast aussieht.«

Lloyd sagte zunächst nichts. Er scharrte mit einem Stecken die halb verwehte Glut zusammen und warf das Holz dann dazu. Das Feuer flammte auf und tauchte den Lagerplatz kurz in helles Licht. »Wenn Sie wüssten, was ich vorhabe, würden Sie gratis für mich arbeiten, Dr. McFarlane. Mit meiner Hilfe werden Sie der gefeiertste Wissenschaftler des Jahrhunderts.«

McFarlane schüttelte den Kopf. »Damit habe ich nichts am Hut. Staubige Labors und bürokratische Korinthenkackerei in Museen reizen mich nicht.«

Lloyd seufzte und stand auf. »Nun, es sieht so aus, als hätte ich meine Zeit verplempert. Ich schätze, wir müssen auf unsere zweite Wahl zurückgreifen.«

McFarlane stutzte. »Und wer wäre das?«

»Hugo Breitling wird mit Freuden bei uns einsteigen.«

»Breitling? Der findet einen Meteoriten nicht mal, wenn er ihm auf den Kopf fällt.«

»Den Thule-Meteoriten hat er immerhin gefunden.« Lloyd klopfte sich den Staub von der Hose. Mit einem Seitenblick auf McFarlane fügte er hinzu: »Und der ist größer als alles, was Sie bislang gefunden haben.«

»Aber sonst hat er nichts entdeckt. Und der Thule-Meteorit war reine Glückssache.«

»Glück ist genau das, was ich für mein Projekt brauche.« Lloyd schraubte die Kappe wieder auf die Thermosflasche und warf sie McFarlane hin. »Hier – feiern Sie eine Ein-Mann-Party. Ich muss wieder los.«

Er ging langsam auf den Hubschrauber zu. Während McFarlane ihm nachsah, wurde der Motor angelassen, die Rotoren drehten sich zunehmend schneller; ihr Sog wirbelte Staub auf und zeichnete abstrakte Muster in den Sand.

Plötzlich wurde McFarlane klar, dass er, wenn der Hubschrauber abhob, nie erfahren würde, wie Masangkay gestorben war und womit er sich vor seinem Tod beschäftigt hatte. Und neugierig war er eben doch geworden, selbst wenn er es nicht wollte. Er warf rasch einen Blick in die Runde – auf die achtlos liegen gelassenen Detektoren, das trostlose kleine Lager, die ausgedörrte, öde Landschaft.

Lloyd blieb an der Einstiegsluke des Hubschraubers stehen und wandte sich um.

»Dann runden Sie wenigstens auf eine Million auf!«, rief McFarlane ihm nach.

Lloyd zog, als wär’s ihm um seinen heiß geliebten Hut zu tun, den Kopf ein und setzte einen Fuß in die Maschine.

»Also gut, dann eben siebenhundertfünfzigtausend!«

Einen Augenblick lang schien Palmer Lloyd zu zögern, dann drehte er sich mit breitem Lächeln langsam um.

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Tal des Hudson

3. Juni, 10.45 Uhr

Palmer Lloyd hegte eine tiefe Liebe zu seltenen und wertvollen Dingen, aber das liebste von allen war ihm Thomas Coles Gemälde »Ein sonniger Morgen am Hudson«. Während seines durch ein Stipendium finanzierten Studiums in Boston war er oft ins Museum of Fine Arts gegangen, wo er dann, als wolle er sich durch nichts ablenken lassen, mit gesenktem Blick durch die Galerien geeilt war, bis er vor dem prächtigen Gemälde stand.

Wann immer es ging, wollte er das, was er liebte, auch besitzen. Da aber das Thomas-Cole-Gemälde um keinen Preis der Welt zu haben war, hatte er den denkbar besten Ersatz erworben. Und so saß er nun an diesem sonnigen Morgen in seinem Büro am Oberlauf des Hudson und blickte durch das Fenster, das genau jenen Flussabschnitt einrahmte, den Coles Bild darstellte. Das Licht am Horizont war an diesem Vormittag ausnehmend klar und schön, die Felder sahen im aufsteigenden Dunst besonders frisch und grün aus, die von der aufsteigenden Sonne angestrahlten Berge im Vordergrund schienen Funken zu sprühen. In der Schlucht hatte sich seit 1827 – dem Jahr, in dem Coles Gemälde entstanden war – nicht viel verändert. Und Lloyd hatte durch umfangreiche Käufe von Land dafür gesorgt, dass es so blieb.

Er schwang seinen Stuhl herum und richtete den Blick über die Marmorplatte des Schreibtischs hinweg auf das Bild, das ihm das gegenüberliegende Fenster zeigte. Die Hügel ringsum nahmen sich neben dem grandiosen Mosaik aus Stahl und Glas, das dort entstand, winzig und unbedeutend aus. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, verfolgte Lloyd zufrieden den Fortgang der Arbeiten. Eine kleine Armee von Arbeitern wieselte durch das Gelände, um eine Vision Wirklichkeit werden zu lassen, die in der Welt ihresgleichen suchte – seine Vision. »Ein Wunder menschlichen Erfindergeistes«, murmelte er vor sich hin.

Im Zentrum der Aktivitäten wölbte sich – im strahlenden Licht des jungen Tages grün schimmernd – eine gewaltige Kuppel: die überdimensionale Replik des Londoner Kristallpalasts, der zu seiner Zeit die erste komplette Glaskonstruktion gewesen war und nach der Fertigstellung im Jahr 1851 als schönstes Bauwerk der Welt gegolten hatte. Leider brannte es 1936 ab. Die Reste wurden später entfernt, damit sie die Nazibomber nicht magisch anzogen.

Hinter der Kuppel aus Glas und Stahl wurden die ersten Steinblöcke der Khefret-II-Pyramide verlegt, einer kleinen Pyramide aus den frühen Pharaonen-Dynastien. Er lächelte etwas wehmütig bei der Erinnerung an seine Reise nach Ägypten: das orientalische Feilschen mit Regierungsvertretern, der Jubel über den Koffer voller Gold, den dann niemand anzuheben vermochte, und all die anderen melodramatischen kleinen Episoden. Die Pyramide war Lloyd teurer zu stehen gekommen, als ihm lieb sein konnte. Aber sie war, wenn auch keine Cheopspyramide, so doch ein eindrucksvolles Bauwerk.

Gerahmte Zeitungsartikel und Titelblätter verschiedener Magazine erinnerten an den Wirbel, den er mit dem Kauf der Pyramide in der Welt der Archäologie ausgelöst hatte. »Wohin wurden all diese Kunstwerke verschleppt?«, titelte eine Zeitschrift provokant und druckte daneben eine Karikatur von ihm ab, wie er sich, den Schlapphut in die Stirn gezogen, mit verschlagenem Blick eine kleine Pyramide unter den Mantel schob. »Der Hitler unter den Sammlern?«, fragte eine andere Schlagzeile. Und auch sein neuester Kauf hatte einen Aufschrei der Empörung ausgelöst: »Der Zahn des Anstoßes: Paläontologen empört über den Verkauf.« Oder die Titelseite von Newsweek, die in großen Lettern fragte: »Was macht man mit dreißig Milliarden?« Um natürlich gleich die Antwort hinzuzufügen: »Ganz einfach, man kauft den Planeten Erde.« Und so war die mit Protesten seiner Neider und selbst ernannter Hüter der kulturellen Moral gepflasterte Wand neben dem Schreibtisch für Lloyd zur Quelle genüsslicher Erheiterung geworden.

In einer Vertiefung in der Schreibtischplatte schlug leise ein Glockenspiel an, in den letzten Ton hinein flötete seine Sekretärin: »Mr. Glinn ist jetzt da, Sir.«

»Bitten Sie ihn herein.« Lloyd konnte die Genugtuung in seiner Stimme nicht verbergen. Es war ein erstaunlich hartes Stück Arbeit gewesen, Eli Glinn dazu zu bewegen, ihn hier in seinem Büro aufzusuchen – vielleicht, weil Glinn und er sich bisher nie persönlich kennen gelernt hatten.

Als Glinn eintrat – sonnengebräunt, mit ausdrucksloser Miene und ohne jegliche Unterlagen –, begann Lloyd automatisch mit seiner gewohnt gründlichen Taxierung. Er hatte in vielen erfolgreichen Jahren als Geschäftsmann die Erfahrung gemacht, dass – sorgfältige Beobachtung vorausgesetzt – schon der erste Eindruck umfassende Erkenntnisse über einen Menschen bringen konnte. Dunkelblondes, kurz gestutztes Haar, kantige Wangenpartie, schmale Lippen. Auf den ersten Blick war dieser Glinn unergründlich wie eine Sphinx. Nichts, was ihm Individualität verlieh oder etwas von seinen Gefühlen oder Gedanken preisgab. Sogar die grauen, Ruhe ausstrahlenden Augen wirkten wie verschleiert. Alles an ihm war durchschnittlich, sogar Größe und Körperbau. Er sah gut aus, ohne wie ein Beau zu erscheinen, war gut, aber nicht betont elegant gekleidet. Das einzig Auffallende an ihm war die Art, sich zu bewegen. Seine Schritte waren lautlos, seine Kleidung raschelte nicht, er bewegte sich leichtfüssig wie das Wild im Wald.

Und es gab noch etwas, das man keineswegs als durchschnittlich bezeichnen konnte: seinen Lebenslauf.

»Mr. Glinn«, begrüßte ihn Lloyd, ging auf ihn zu und streckte ihm die Hand hin. »Danke, dass Sie sich herbemüht haben.«

Glinn nickte stumm, sein Händedruck war weder zu kurz, noch dauerte er zu lange, er war weder schlaff noch der machohafte Griff eines Knochenbrechers.

Lloyd fühlte sich etwas verunsichert, weil es ihm partout nicht gelang, den ihm so wichtigen ersten Eindruck zu gewinnen. Er deutete auf das Fenster, durch das der Blick auf die Bauarbeiten fiel. »Was halten Sie von meinem neuen Museum?«

»Recht groß«, antwortete Glinn, ohne dass auch nur das leiseste Lächeln um seine Lippen spielte.

Lloyd lachte. »Das Getty unter den naturgeschichtlichen Museen. Zumindest wird es das bald sein. Allerdings mit dem dreifachen Budget ausgestattet.«

»Interessant, dass Sie beschlossen haben, es hier zu errichten, hundertfünfzig Kilometer von der nächsten Großstadt entfernt.«

»Was Sie offenbar für einen Anflug von Hybris halten? In Wahrheit tue ich damit dem New Yorker Museum of Natural History einen Gefallen. Wenn ich mein Museum dort gebaut hätte, wären die Jungs ganz aus dem Rennen gewesen. So bleiben ihnen wenigstens noch die Schulklassen und ein paar Reisegruppen.« Lloyd gluckste hämisch in sich hinein. »Kommen Sie, Sam McFarlane erwartet uns. Ich zeige Ihnen unterwegs noch das eine oder andere.«

»Sam McFarlane?«

»Mein Meteoritenexperte. Nun, wenn ich meiner sage, greife ich ein wenig vor. Aber ich werde ihn schon rumkriegen, der Tag ist ja noch jung.«

Lloyd fasste Glinn am Ellbogen – wobei er feststellte, dass das Tuch feiner war, als er gedacht hatte – und geleitete ihn den in weit geschwungenen Serpentinen nach unten führenden Gang entlang und schließlich durch einen Flur, der zum neuen Kristallpalast führte. Von der Baustelle schwappte Lärm zu ihnen herüber, laute Rufe, der scharfe Knall von Nagelpistolen und das Dröhnen der Presslufthammer.

Mit kaum verhohlenem Stolz wies er auf den einen oder anderen Bauabschnitt hin. »Das dort wird die Diamantenhalle.« Er zeigte auf einen großen, in geheimnisvoll violettes Licht getauchten Erdaushub. »Wir haben herausgefunden, dass es in den Hügeln alte Schürfstellen gibt, und so lag es nahe, die Halle dort zu errichten, sozusagen in natürlicher Umgebung. Übrigens der einzige Ausstellungsraum in einem größeren Museum, der ausschließlich Diamanten gewidmet ist. Aber schließlich haben wir die drei größten Exemplare der Welt erworben. Haben Sie davon gehört, dass wir den Japanern den Blauen Mandarin vor der Nase wegschnappen konnten?« Er gluckste boshaft.

»Ich lese Zeitung«, erwiderte Glinn trocken.

»Und dort …« Ein feierliches Tremolo schwang in Lloyds Stimme mit. »Dort werden wir die Galerie der ausgestorbenen Lebewesen unterbringen. Wandermöwen, einen Dodo von der Insel Mauritius, sogar ein Mammut, das in gefrorenem Zustand aus dem sibirischen Eis geborgen wurde. Man hat in seinem Maul zermalmte Butterblumen gefunden – Überreste der letzten Mahlzeit.« Er zwinkerte Glinn zu. »Es ist verblüffend, wie bereitwillig manche Länder ihr so genanntes kulturelles Erbe veräußern, wenn entsprechend hohe Summen geboten werden. Hier kann ich Ihnen ein Beispiel dafür zeigen, was ich meine.« Er winkte seinen Gast durch einen halbfertigen, von zwei Männern mit Schutzhelmen bewachten Torgang, der in eine dunkle, mehrere hundert Meter lange Halle führte. Lloyd schaltete das Licht ein und drehte sich mit triumphierendem Grinsen um.

Vor ihnen erstreckte sich eine täuschend echt nachgeahmte, dem Anschein nach erst vor kurzem fest gewordene Schlammfläche, in der sich die Spuren zweier kleiner Füße abzeichneten. Man hätte meinen können, jemand sei versehentlich über noch frischen Zement spaziert.

»Die Laetoli-Fußspuren«, erklärte Lloyd ergriffen.

Glinn sagte nichts.

»Die ältesten je gefundenen Fußspuren von Hominiden. Stellen Sie sich das vor: Vor dreieinhalb Millionen Jahren haben unsere Vorfahren zum ersten Mal auf zwei Füßen eine Schicht feuchter vulkanischer Asche überquert und dabei diese Spuren hinterlassen. Das ist einzigartig. Bis zu diesem Fund wusste niemand, dass der Australopithecus afarensis aufrecht gehen konnte. Die frühesten Spuren der Menschheit, Mr. Glinn.«

»Das Getty-Institut für Naturschutz wird diesen Erwerb mit Interesse registriert haben«, meinte Glinn.

Lloyd musterte ihn mit einem Anflug von Misstrauen. Glinn war ein außergewöhnlich undurchsichtiger Mann. »Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. Die Leute von Getty wollten die Spuren am Fundort belassen, unausgegraben. Wie lange, glauben Sie, wäre es bei den gegenwärtigen Verhältnissen in Tansania dabei geblieben?« Er schüttelte den Kopf. »Das Getty hat eine Million Dollar dafür hingeblättert, sie wieder zuzuschütten. Ich habe zwanzig Millionen dafür gezahlt, sie hierher bringen zu dürfen, wo Gelehrte, Studenten und unzählige Museumsbesucher etwas davon haben.«

Glenn sah sich in der im Bau befindlichen Konstruktion um. »Da wir gerade von Gelehrten sprechen: Wo sind Ihre wissenschaftlichen Berater? Ich sehe eine Menge Leute in blauen Arbeitsanzügen, aber sehr wenige in weißen Kitteln.«

Lloyd winkte ab. »Die hole ich mir, wenn ich sie brauche. Solange es um den Ankauf geht, weiß ich selbst, was ich haben will. Später werde ich natürlich einen Stab wissenschaftlicher Mitarbeiter aufbauen. Dazu kämme ich die Kuratorien in ländlichen Gegenden ebenso durch wie die großen Museen. Die Jungs in New York ahnen noch nicht, was ihnen blüht.«

Als sie weitergingen, legte Lloyd einen Schritt zu. Er führte seinen Gast zu einer Art Fußgängerkreisel, von dem mehrere Wege abzweigten, über die man dann tiefer in den Kristallpalast gelangte. Am Ende einer dieser Abzweigungen machten sie vor einer Tür mit dem Schild Konferenzraum A Halt, dort wartete McFarlane auf sie. Jeder Zoll von ihm verriet den Abenteurer: blaue, von der Sonne gebleichte Augen, eine rundum verlaufende Delle im strohblonden Haar – vermutlich die Folge, wenn man jahrelang ständig einen breitkrempigen Hut trug. Ein Blick genügte, um zu verstehen, warum dieser Mann sich nie theoretischer Forschungsarbeit verschrieben hatte; er wäre im Neonlicht eintönig grauer Labors so wenig heimisch geworden wie die San-Buschmänner, mit denen er noch vor wenigen Tagen zusammen gewesen war. Und müde sah er aus, wahrscheinlich hatte er während der beiden letzten Tage sehr wenig Schlaf abbekommen.

Lloyd zog einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte die Tür auf. Er ahnte, dass der Raum, den sie nun betraten, auf Glinn überwältigend wirken musste, das ging beim ersten Mal jedem so. Die auf drei Seiten gläsernen, von außen verspiegelten Wände gaben den Blick auf die Eingangshalle des Museums frei: ein riesiges, derzeit noch leeres Achteck als Herzstück des Kristallpalasts. Lloyd wartete gespannt auf eine Reaktion, aber Glinns Miene war wie immer ein Buch mit sieben Siegeln.

Monatelang hatte sich Lloyd den Kopf darüber zerbrochen, mit welchem Aufsehen erregenden Objekt er den gigantischen Raum angemessen ausschmücken könnte. Seit der Auktion bei Christie schien die Antwort klar zu sein. Die kämpfenden Dinosaurier – der in Agonie endende, verzweifelte Überlebenskampf zweier urzeitlicher Riesen –, das gab den perfekten Blickfang ab.

Wenn aber der Traum, den er mit den auf dem Konferenztisch ausgebreiteten Karten, Ausdrucken und Luftaufnahmen verband, Wirklichkeit wurde, dann waren die Dinosaurier zweite Wahl, gemessen an dem, was Lloyd in dem Fall als krönendes Glanzstück des Museums vorschwebte. Er fieberte jetzt schon dem stolzen Tag entgegen, an dem er seinen wahr gewordenen Traum im Zentrum des Kristallpalasts aufstellen konnte.

Er riss sich von seinen Träumereien los und wandte sich an Glinn. »Darf ich Sie mit Dr. Sam McFarlane bekannt machen, der sich bereit erklärt hat, dem Museum bis zum Abschluss eines bestimmten Projekts zur Verfügung zu stehen.« Während McFarlane und Glinn sich die Hand schüttelten, fügte er hinzu: »Noch letzte Woche ist Sam durch die Kalahari-Wüste gezogen und hat, wenn Sie mich fragen, seine unschätzbaren Talente mit der Suche nach dem Okawango-Meteoriten vergeudet. Ich denke, Sie werden mir Recht geben, wenn ich sage, dass wir eine faszinierendere Aufgabe für ihn gefunden haben. Sam, das ist Mr. Eli Glinn, Präsident der Effective Engineering Solutions Inc., kurz EES. Lassen Sie sich durch den nüchternen Firmennamen nicht irritieren, die EES ist spezialisiert auf die Lösung kniffeliger Probleme – von der Hebung mit Gold beladener versenkter deutscher U-Boote bis zur Fehleranalyse nach der Explosion eines Space-Shuttles.«

»Hört sich interessant an«, sagte McFarlane.

Lloyd nickte. »Und dabei kommt die EES gewöhnlich erst nachträglich ins Spiel – nachdem nämlich etwas in die Hose gegangen ist.« Die derbe Formulierung wirkte umso irritierender, als Lloyd sie geradezu genüsslich auszukosten schien. »Ich dagegen habe sie mir geholt, weil sie dafür sorgen soll, dass bei einem bestimmten Projekt nichts in die Hose geht. Und deswegen sind wir heute hier zusammengekommen, Gentlemen.« Er deutete auf den Konferenztisch. »Sam, würden Sie Mr. Glinn bitte erzählen, was Sie bei der Auswertung dieser Daten herausgefunden haben?«

McFarlane zuckte zusammen, er machte einen ungewohnt nervösen Eindruck. »Jetzt gleich?«

»Wann sonst?«, fragte Lloyd zurück.

McFarlane ließ den Blick unentschlossen über den Tisch wandern, dann gab er sich einen Ruck. »Bei diesen Unterlagen handelt es sich um geophysikalische Daten, die auf einer der chilenischen Kap-Hoorn-Inseln gewonnen wurden. Mr. Lloyd hat mich gebeten, sie zu analysieren. Zunächst schienen die Daten … nun, solche Daten kann es überhaupt nicht geben. Beispielsweise bei diesem Ausdruck eines tomographischen Messgeräts …« Er griff nach dem Papier, warf kurz einen Blick darauf und ließ es dann, anscheinend völlig konsterniert, wie eine heiße Kartoffel fallen.

Lloyd merkte, dass er eingreifen musste. »Ich denke, ich werde am besten die Vorgeschichte kurz zusammenfassen. Einer unserer professionellen Scouts ist im chilenischen Punta Arenas zufällig auf einen Mann aufmerksam geworden, der mit elektronischen Geräten handelt. Unter anderem wollte er ein verrostetes Messgerät zur Aufzeichnung tomographischer Echo-Daten verscherbeln. Es handelt sich um ein Gerät der amerikanischen Firma DeWitter Industries, mit dem gewöhnlich fossile Ablagerungen aufgespürt und deren Abbauwürdigkeit geprüft wird. Es war zusammen mit einem Beutel voller Steine und einigen Unterlagen auf einer abgelegenen Insel nahe Kap Hoorn gefunden worden, nicht weit von den sterblichen Überresten eines Prospektors entfernt. Unser Scout hatte instinktiv den richtigen Riecher und hat kurzerhand alles aufgekauft. Bei näherer Durchsicht der Unterlagen – soweit sie noch zu entziffern waren – stellte sich heraus, dass die Geräte einem Mann namens Nestor Masangkay gehört haben.«

Lloyds Blick schweifte zu dem Tisch mit den Unterlagen hinüber. »Bis zu seinem Tod auf dieser einsamen Insel hat der Geologe Masangkay als Spezialist für die Auffindung von planetarischem Gestein gearbeitet. Griffiger gesagt: Er war Meteoritenjäger. Und zwar bis vor etwa zwei Jahren als Partner von Mr. McFarlane.«

McFarlanes Schultern verspannten sich.

»Nachdem unser Scout das in Erfahrung gebracht hatte, schickte er seine gesamte Ausbeute zur Analyse hierher. Im Laufwerk des tomographischen Echolots befand sich eine verrostete, festgebackene Floppy Disk. Einem unserer Techniker ist es gelungen, die Daten zu extrahieren. Unsere Informatiker haben sie analysiert, aber sie wichen so weit von jeder bekannten Norm ab, dass sich kein Sinn ergab. Darum haben wir Sam ins Boot geholt.«

McFarlane hatte sich wieder gefangen. »Zuerst habe ich gedacht, Nestor müsse vergessen haben, das Gerät zu kalibrieren. Doch dann habe ich mir die übrigen Daten angesehen.« Er suchte in den Unterlagen nach dem richtigen Blatt.

Lloyd überbrückte die Pause mit der Anmerkung: »Wir haben keine Expedition zur Bodenuntersuchung losgeschickt, weil wir auf keinen Fall Aufsehen erregen wollten. Stattdessen haben wir bei Low Orbit Geosurvey einen Überflug des Satelliten LOG II geordert.«

Schließlich hatte McFarlane das Blatt mit den Daten gefunden. »Ich wollte das zuerst nicht glauben. Ich habe die Daten immer wieder geprüft, mindestens ein Dutzend Mal. Und nun meine ich zu wissen, was Nestor auf der kleinen Insel gesucht hat.«

»Ach ja?« Glinns Stimme verriet keine drängende Neugier, allenfalls höfliches Interesse.

»Wir haben es zweifellos mit dem größten Meteoriten auf diesem Planeten zu tun«, erklärte McFarlane.

Lloyds Miene verzerrte sich zu einem breiten Grinsen. »Bitte, Sam, sagen Sie Mr. Glinn, wie groß.«

McFarlane hüstelte gegen den Kloß an, den er plötzlich in der Kehle spürte. »Der bislang größte bekannte Meteorit ist der Ahnighito im New Yorker Museum. Er wiegt einundsechzig Tonnen. Der, mit dem wir es hier zu tun haben … wiegt, vorsichtig geschätzt, viertausend Tonnen.«

»Danke«, sagte Lloyd mit strahlendem Lächeln und wandte sich triumphierend zu Glinn um, der aber weiterhin keine Miene verzog. Lloyd schluckte ein paar Sekunden, dann fügte er mit heiserer Stimme hinzu: »Ich will diesen Meteoriten haben. Und Ihre Aufgabe, Mr. Glinn, ist dafür zu sorgen, dass ich ihn auch kriege.«

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New York City

4. Juni, 11.45 Uhr

Der Landrover holperte die West Street hinunter, am Hudson und an den heruntergekommenen Piers vorbei. Der Mittagshimmel hing wie ein verlaufener Farbklecks über Jersey. McFarlane bremste scharf, als ein Taxi quer über drei Spuren preschte, um einen Fahrgast aufzulesen. Aber sonst war es ein geschmeidiges, mechanisches Dahingleiten, er konnte ungestört seinen Gedanken nachhängen. Genauer gesagt: den Erinnerungen an den Nachmittag, an dem der Saragossa-Meteorit auf die Erde gestürzt war.

Er hatte damals gerade die Highschool hinter sich und wanderte – ohne Job und berufliche Pläne, Carlos Castaneda in der Gesäßtasche – durch die mexikanische Wüste. Die Sonne stand tief, es wurde Zeit, nach einem Platz Ausschau zu halten, an dem er seinen Schlafsack ausrollen konnte. Plötzlich ergoss sich helles Licht über die Landschaft, als wäre eine dunkle Wolkendecke aufgerissen. Aber der Himmel war klar, es gab keine Wolken. Im nächsten Augenblick blieb er wie angewurzelt stehen, denn vor dem Schatten, den er auf den sandigen Boden warf, geisterte auf einmal ein zweiter herum – anfangs zerzaust und längenverzerrt, aber er wurde schnell kompakt. Ein seltsames Singen lag in der Luft, gefolgt von einer heftigen Explosion. Er ließ sich auf den Boden fallen, dachte an ein Erdbeben, an eine nukleare Druckwelle, an den Weltuntergang. Dann ging prasselnder Regen nieder. Nur, es waren keine Tropfen, die rings um ihn aufschlugen, sondern tausende winzige Gesteinsbrocken. Er las einen auf – ein kleines, graues, stellenweise schwarz verkrustetes Stück Stein. Es fühlte sich so kalt an, dass McFarlane den Atem des Alls zu spüren glaubte. Und tatsächlich glitzerten Eiskristalle auf dem Stein, der beim Eintauchen in die Atmosphäre eigentlich glühend heiß hätte werden müssen.

Und als er so da gelegen und auf den Gesteinssplitter gestarrt hatte, war ihm plötzlich klar geworden, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen wollte.

Nur, das war viele Jahre her. Heute versuchte er, so selten wie möglich an all die Ideale zu denken, die er damals gehabt hatte. Sein Blick glitt über den Beifahrersitz und den kleinen Lederkoffer, der Nestor Masangkays zerfleddertes Tagebuch enthielt. Auch etwas, woran er so selten wie möglich denken wollte.

Die Ampel sprang auf Grün, er bog in eine schmale Einbahnstraße ein – in das Viertel am unteren Ende von West Village, das Eldorado des Fleischhandels. Überall in den weitläufigen Docks schleppten stämmige Gestalten tiefgefrorene Schweine- und Rinderhälften von irgendeinem Truck zu einem Frachter und umgekehrt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, quasi an der Quelle, warteten Restaurants mit fantasievollen Namen wie »The Hog Pit« oder »Uncle Billy’s Backyard« auf Kundschaft. Krasser hätte der Kontrast zu der mit Glas und Chrom protzenden Zentrale der Lloyd Holdings an der Park Avenue, von der er gerade kam, gar nicht sein können. Er überprüfte noch einmal die Adresse, die er sich notiert hatte. Ja, sie stimmte.

Er brachte den Landrover an einem verfallenen Ladedock zum Stehen und stellte den Motor ab. Als er ausstieg, schlug ihm schwüle, mit penetrantem Fleischgeruch und irgendeinem undefinierbaren Gestank geschwängerte Luft entgegen. Weiter vorn zockelte ein Müllwagen die Straße hinunter, von der hinteren Stoßstange tröpfelte eine giftgrüne Brühe – der unverwechselbare Gestank der New Yorker Müllabfuhr.

Er atmete tief durch. Die Besprechung hatte noch nicht einmal begonnen, und trotzdem hatte er innerlich bereits auf Ablehnung geschaltet. Was mochte Lloyd diesem Mr. Glinn alles über ihn und Masangkay erzählt haben? Nun, es war eigentlich egal, Glinn hätte es sowieso bald erfahren. Gerüchte breiten sich mit der Geschwindigkeit von Buschfeuern aus.