Ich dachte schon, du fragst mich nie - Gabriella Engelmann - E-Book
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Ich dachte schon, du fragst mich nie E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

Kann das Chaos noch ein bisschen größer werden?, fragt Sophie Hartmann sich. Tochter Pauli leidet am ersten Liebeskummer, Schwester Geli an notorischem Hang zu falschen Männern und dann bricht sich Tochter Liv ausgerechnet kurz vor Eröffnung des gemeinsamen Restaurants die Hand. Dummerweise ist Sophie in der Küche ein Totalausfall, selbst mit ihrem Wahlspruch "Familie ist das Allerwichtigste" stößt sie hier an ihre Grenzen. Zum Glück beweist das Schicksal Sinn für Humor und schickt Hilfe von unerwarteter Stelle. Doch während sich in Sophies Umfeld alles zum Besten wendet, muss sie selbst erkennen, dass sie ihre eigenen Wünsche und Träume viel zu lange begraben hat ... Nach "Zu wahr, um schön zu sein" zeigt Bestsellerautorin Gabriella Engelmann wieder ihre komische Seite: Die turbulente Geschichte um Sophie Hartmann und wie sie lernt, wieder auf die Liebe zu vertrauen, lässt uns beim Lesen seufzen, schmunzeln und laut lachen. Vor allen Dingen aber zeigt sie, dass die richtige Frage zur rechten Zeit alles möglich machen kann – selbst das Glück.

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Gabriella Engelmann

Ich dachte schon, du fragst mich nie

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Kann das Chaos noch ein bisschen größer werden?, fragt Sophie Hartmann sich. Tochter Pauli leidet am ersten Liebeskummer, Schwester Geli an notorischem Hang zu falschen Männern und dann bricht sich Tochter Liv ausgerechnet kurz vor Eröffnung des gemeinsamen Restaurants die Hand. Dummerweise ist Sophie in der Küche ein Totalausfall, selbst mit ihrem Wahlspruch „Familie ist das Allerwichtigste“ stößt sie hier an ihre Grenzen. Zum Glück beweist das Schicksal Sinn für Humor und schickt Hilfe von unerwarteter Stelle. Doch während sich in Sophies Umfeld alles zum Besten wendet, muss sie selbst erkennen, dass sie ihre eigenen Wünsche und Ziele viel zu lange begraben hat ...

Nach »Zu wahr, um schön zu sein« zeigt Bestseller-Autorin Gabriella Engelmann wieder Humor und ihre komische Seite: Die turbulente Geschichte um Sophie Hartmann und wie sie lernt, wieder auf die Liebe zu vertrauen, lässt uns beim Lesen seufzen, schmunzeln und laut lachen. Vor allen Dingen aber zeigt sie, dass die richtige Frage zur rechten Zeit alles möglich machen kann – selbst das Glück.

Inhaltsübersicht

WidmungMottoProlog1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. KapitelRezepteTapas »Best of Siebzigerjahre-Hits« à la GeliFalscher Hase im SpeckmantelRosa HeringssalatWaldorfsalatKalter HundToast HawaiiRezepte Casa del SolPa amb oliTumbetMallorquinischer MandelkuchenCrema catalanaDanksagung & SchlusswortLeseprobe »Zu wahr, um schön zu sein«
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Für meine Großeltern, die in mir die Liebe zu Mallorca geweckt haben

 

Für Bernd und Heiko (in loving memory)

 

Und für T.

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»Das Leben ist zu kurz, um Dinge zu tun, die man nicht wirklich liebt.«

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Prolog

Sophie – Hamburg

Ein Unglück kommt selten allein

»Das Glück aber zum Glück ebenfalls«, hält Sophie dagegen.

»Das wäre wirklich zu hoffen«, sagt Liv.

»Wer’s glaubt, wird selig«, unkt Pauli.

Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum.

Diesen Satz hatte ich schon verinnerlicht, bevor ich weder das Alphabet fehlerfrei aufsagen noch eins und eins zusammenzählen konnte. Meine Mutter hat ihn mir von klein auf eingetrichtert und sich ihre Träume erfüllt, wann immer es ging. Mittlerweile bin ich selbst Mama, und heute ist der große Tag meiner zweiundzwanzigjährigen, ältesten Tochter.

Nein, sie heiratet nicht, sie eröffnet ein Cook-up-Restaurant.

Verheiratet ist sie mit ihrem Beruf als Köchin, und das, seit sie genüsslich schmatzend ihren ersten Löffel Grießbrei verputzt hat.

»Toi, toi, toi, Schatz, ich bin unglaublich stolz auf dich. Trinken wir auf dein Wohl und darauf, dass das Restaurant-Projekt ein Hit wird«, sage ich, mein Herz zum Bersten voll von Mutterliebe.

»Danke, Mama«, sagt Liv und gibt mir ein Küsschen auf die Wange. »Ohne dich, Geli und Pauli hätte ich das alles nicht geschafft. Schade, dass Papa nicht dabei sein kann.«

Wir Erwachsenen stoßen mit einem Glas Crémant auf den Erfolg an, meine Tochter Pauline mit Cranberry-Schorle. Sie ist mit fünfzehn zu jung für Alkohol und findet Rauschmittel aller Art zum Glück (noch) unfly, also weit schlimmer als uncool.

Uns bleibt eine halbe Stunde bis zum Eintreffen der dreißig Gäste, die meine Tochter zur Eröffnung eingeladen hat.

»Ich wisch hier noch mal eben durch«, sagt meine Schwester Angelika, genannt Geli, und zugleich beste Freundin. Sie lehnt am Tresen, der den Innenraum des Restaurants von der offenen Küche trennt. »Falls jemand von der Presse ins Allerheiligste will.«

»Nimmst du dafür den Feudel, den du anhast?«, fragt Pauli und grinst sich eins.

Geli trägt einen buntgemusterten Minirock aus Nicki, ein fliederfarbenes, hautenges Oberteil und Overknee-Stiefel. Geli, mein sexy Seventies-Girl.

»Nein, zu wenig Stoff und nicht saugfähig genug«, kontert sie grinsend und zupft dann am Ärmel von Paulis Kleid. »Ich glaube, ich schnapp mir dafür lieber dein Outfit. Es ist doch aus Biobaumwolle, nicht wahr?«

Pauli giggelt, Liv holt unter der Spüle einen Wischeimer, Putzmittel und Lappen hervor und reicht alles ihrer Tante. »Danke, Tantchen, bist ein Schatz.«

Mit dem Hinweis »Schaue noch mal vorn nach dem Rechten« gehe ich in den Gastraum. Das Liv’s besticht durch eine gelungene Mischung aus hellem puristischem Interieur und hübschem Blumenschmuck, an dem Pauli und ich in den vergangenen Tagen gewerkelt haben: kleine Einweckgläser, gefüllt mit zarten Zweigen weißer Kirschblüten, grünem Blattwerk und hellrosa Ranunkeln. Die dominierenden Farbtöne der Deko sind weiß-silber-grün, dazu passend habe ich Servietten und Tischkarten ausgewählt, die Geli mit kalligrafischem Geschick beschriftet hat.

Aus den Lautsprechern perlt leise Chill-out-Musik, von Pauli verächtlich als Spotify-untauglich bezeichnet.

Ich summe leise mit, während ich die Kerzen auf den insgesamt zwölf Tischen anzünde, die das Liv’s nach und nach in warmes, sanftes Licht tauchen.

Gerade als ich einen letzten, prüfenden Blick auf alles werfe, ertönt ein gellender Schrei. Oh mein Gott, das klingt nach Liv! Ich stürze Richtung Küche und fege dabei einen Teil der Deko herunter. »Was ist passiert?«, frage ich panisch, und dann sehe ich sie: Meine Tochter liegt auf dem kalten, harten Küchenfußboden, ein Bein seltsam verrenkt, die Haare zerzaust und – das ist das Allerschlimmste – wimmernd vor Schmerzen, die ich ihr sofort abnehmen würde, wenn ich nur könnte.

Neben ihrem Kopf liegt der umgekippte Putzeimer, und das ausgelaufene Wischwasser nimmt gerade Kurs auf ihr zur Seite gedrehtes Gesicht.

»Ich rufe den Notarzt«, sagt Geli, kreideweiß im Gesicht, und umklammert das Handy.

Ich schiebe meine Knie als Kissen unter Livs Kopf. Von den Millionen Gedanken, die durch meinen Kopf wirbeln wie Flocken in einer Schneekugel, zählt nur einer: Ich muss Liv beruhigen. Und mich selbst auch, sonst bin ich ihr keine Hilfe. »Alles gut, meine Kleine«, sage ich beschwichtigend und streichle ihr Gesicht. »Der Arzt ist unterwegs und hilft dir gleich. Hältst du es noch einen Moment aus?«

»Es tut so weh«, jammert sie, obgleich sie sonst nicht mal eine Miene verzieht, wenn sie sich irgendwo stößt oder beim Kochen verbrennt. »Ich habe mir unter Garantie was gebrochen. Was machen wir denn jetzt?«

»Keine Panik, es ist bestimmt nicht so schlimm, wie du denkst«, versucht Pauli sie zu trösten.

Ich hingegen denke: Es ist noch schlimmer.

Viel, viel schlimmer.

Es zerreißt mir das Herz, zu sehen, wie meine Tochter leidet. Doch das ist leider nicht der einzige Anlass zur Sorge.

In spätestens zehn Minuten kommen Gäste, die allesamt verköstigt werden wollen.

Ich kann dummerweise nicht kochen.

Und Geli hat nur Trash-Essen aus den Siebzigerjahren wie »Falscher Hase«, »Käseigel« oder »kalter Hund« auf der Pfanne.

Und wo bleibt eigentlich Ben, unser Aushilfskoch?

Es heißt: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Dieser Spruch soll beruhigen. Doch so wie’s momentan aussieht, wird hier in den nächsten Stunden garantiert weder gegessen noch gekocht, denn der Notarzt, der kurze Zeit später eintrifft, vermutet nach dem ersten vorsichtigen Abtasten einen Oberschenkelhalsbruch sowie einen Splitterbruch des rechten Handgelenks. Heildauer mindestens acht Wochen, Reha inklusive.

Während sich alles um mich dreht und ich versuche, nicht zu hyperventilieren, fällt mir noch ein Spruch aus der Kindheit ein: Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.

Das Problem ist: Es gibt keinen Wienerwald mehr, wo wir zumindest Hähnchen für die Gäste holen könnten.

Und auch keine Lösung für die Katastrophe, die gerade über das Liv’s hereingebrochen ist, noch bevor wir das für die Dauer von zwei Monaten gemietete Cook-up überhaupt eröffnet haben …

[home]

Drei Wochen zuvor

1

Marc – Palma de Mallorca

Kühlschrankinhalt Wohnung Palma:

zwei Flaschen José-Ferrer-Weißwein, Iberico-Schinken, Kühlpads, Manchego-Käse, Flan, Limetten, gesalzene Butter, eine Flasche Cava, Eier

Erde an Marc. Hörst du mir zu?«

Alba guckt mich so streng an wie eine missgelaunte Gouvernante ihren flegelhaften Schützling. Ich nehme es ihr nicht übel: Wir kennen uns lange, sind ein super Team und wirklich gut befreundet, also darf sie ab und zu so gucken.

»Ich habe dir gerade gesagt, dass wir beim morgigen Meeting mit den Leuten der Blanco-Hotelkette immens vorsichtig vorgehen müssen. Die sind restlos überzeugt von ihrem Konzept und lassen sich ganz sicher nicht gern ins Handwerk pfuschen, egal ob sie uns beauftragt haben oder nicht.«

»Was genau haben denn deine Recherchen ergeben?«, frage ich und setze mein Ich-bin-total-interessiert-Gesicht auf, obwohl ich in Gedanken dort war, wo ich nicht sein sollte, nämlich bei … Nun ja, lassen wir das.

Wenn ich nicht gerade abgelenkt bin, bin ich in der Regel äußerst interessiert an dem, was Alba sagt, denn

 

ich lebe exzellent von meinem Job als einer der erfolgreichsten Unternehmensberater für Hotellerie und Gastronomie europaweit und gedenke, das auch künftig zu tun,

Alba ist eine äußerst kluge und fähige Mitarbeiterin (zudem hochattraktiv), und ich bezahle sie fürstlich für Erkenntnisse und Aussagen dieser Art,

ich nehme jeden ernst, mit dem ich es zu tun habe.

 

Nun ja, fast.

 

Was mich allerdings hindert, Alba mit der nötigen Konzentration zu folgen, ist dieses plötzliche innerliche Rasen. Fühlt sich an, als trainiere mein Herz für die Olympischen Spiele in der Disziplin 400-Meter-Lauf. Ich hätte gestern Abend in meinem kleinen Anfall von Melancholie vielleicht nur eine Cerveza Tramuntana trinken sollen anstelle von drei Mojitos – man wird schließlich nicht jünger.

»Meine Spione haben mir Folgendes zugetragen«, raunt Alba und senkt dabei die Stimme, als sei mein Büro verwanzt und sie die Mata Hari von Palma. »Im Blanco-Hotel stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis in keinster Weise. Nehmen wir das Daybed auf der obersten Terrasse im sechsten Stock beziehungsweise den gesamten Loungebereich im fünften. Optisch ein Traum, keine Frage, denn man fühlt sich über den Dächern der Stadt wie in Marrakesch. Doch es gibt dort oben keinerlei Service. Nada, niente, gar nichts. Wenn du etwas zu essen oder zu trinken haben möchtest, musst du es dir selbst holen, und zwar von der Bar im Erdgeschoss. Ist das zu fassen bei einem Preis von 250 Euro die Nacht? Wohlgemerkt pro Person.«

»Wie bitte?«, frage ich ungläubig.

»Die offizielle Begründung für diesen Totalausfall an der Servicefront lautet, dass das Hotel keine Schanklizenz für die oberen Etagen hat.«

»Nicht dein Ernst?!«

Alba verzieht ihre wunderschönen, vollen Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Doch. Meine Informantin hat das Blanco, wie besprochen, explizit unter dem Aspekt der Beschwerden von Gästen im Internet getestet und ist in die Bar gegangen, um sich ein Glas Cava, eine Flasche Wasser, ein Bocadillo und einen café con leche zu holen. Die gelangweilten Kellner sind noch nicht einmal im Ansatz auf die Idee gekommen, ihr ein Tablett zu geben. Doch Tablett hin oder her, hast du schon mal versucht, so viele Dinge auf einmal unfallfrei in den Fahrstuhl und dann wieder hinaus auf die Terrasse zu balancieren? Urlaub geht eindeutig anders.«

Nein, habe ich nicht, denn ich pflege nicht in Absteigen dieser Art abzusteigen. Ich logiere für gewöhnlich fürstlich in Luxushotels, in denen ich keinen Finger krümmen muss, es sei denn, ich führe ein Glas Wein an meine Lippen.

»Denk mal an die komfortablen Servicetasten an den Sonnenschirmen in Beachclubs wie dem Assaona am Passeig Portixol«, ereifert sich Alba, die die Schwachstelle des Blanco-Hotels offenbar persönlich nimmt. Doch Alba hat recht. In diesem Hipster-Club bekommt man auf Knopfdruck alles, was das Herz begehrt, auch das bezaubernde Lächeln einer wunderhübschen Kellnerin. Oder ihre Handynummer, wenn man es charmant genug anstellt.

Doch zurück zum eigentlichen Thema: »Und was erzählt Monique sonst noch so?«

»Im Badezimmer ist ihr die Leiter auf den Kopf gefallen, auf der die Handtücher hängen, der Fernseher funktionierte nicht, und sie fand zur Krönung des Ganzen einen pinkfarbenen Slip aus Spitze in einem Fach des Kleiderschranks.« Alba schüttelt sich angewidert.

»Bist du schockiert von der mangelnden Sauberkeit oder vom Design der Unterwäsche?«, frage ich amüsiert. »Stört dich die Farbe Pink, oder stehst du einfach nicht so auf Spitze?«

»Punktlandung in allen drei Bereichen«, erwidert sie, ohne mit den schwarz getuschten Wimpern zu zucken. »Im Übrigen sagt Monique, dass die Freundlichkeit des Personals generell ein Problem darstellt. Sie findet die Mitarbeiter blasiert und nicht besonders engagiert. Auch beim Frühstück musste sie viel zu lange warten, bis Speisen oder die Kaffeebohnen in der Maschine nachgefüllt wurden.«

»Mit anderen Worten: Der Service muss dringend verbessert werden, schließlich ist das Blanco ein Fünf-Sterne-Luxusschuppen in bester Lage und keine Jugendherberge«, fasse ich zusammen. »Ich sehe allerdings nicht, warum es ein Problem geben sollte. Wir machen beim morgigen Meeting klar, dass im Bereich Personal aufgestockt werden muss, und zwar ohne jede Diskussion. Die Geschichte mit der fehlenden Schanklizenz stammt aus dem Bereich der mallorquinischen Mythen und Märchen. Die haben einfach keine Lust, einen Kellner für die Lounge auf der Terrasse abzustellen und dafür Geld auszugeben. Aber das müssen sie, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. In der Altstadt von Palma wimmelt es nur so von traumhaften Boutique-Hotels.«

»Sehe ich genauso«, sagt Alba. Ihre langen, zartgliedrigen Finger hämmern energisch Notizen für das morgige Meeting in die Tastatur.

Nachdem sie gegangen ist, öffne ich meinen riesigen Hightech-Kühlschrank, denn ich brauche dringend Wasser gegen den Kater, der so penetrant in meinem Kopf miaut, als hätte ihm jemand auf den Schwanz getreten.

Ich trinke ein Glas agua sin gas, da klingelt das Handy.

»Buenos días, mi amor«, schnurrt Conchita am anderen Ende der Leitung. »Bleibt es bei unserem Essen heute Abend?«

Ich habe Conchita versprochen, für uns beide zu kochen.

»Aber natürlich tut es das«, erwidere ich. Allerdings ohne den Schmusezusatz mi amor, denn dafür gibt es meinerseits keinerlei Anlass.

Poch, poch, dröhn – die Kopfschmerzen werden stärker.

Sollte ich mir doch eine Aspirin einwerfen?

»Muy bien, ich freue mich.« Aus Conchitas Schnurren wird laszives Gurren. »Bis später also.«

Ich murmle »Adiós« und schaue aufs Handy. Es ist kurz nach elf, ich muss einkaufen gehen, wenn ich genug Zeit haben möchte, Tapas variadas und eine Paella mit Meeresfrüchten zuzubereiten.

Hm, was gibt’s eigentlich als Dessert? Der (fertig gekaufte) Flan reicht nicht für zwei Personen.

Kochen macht mir riesigen Spaß, doch Nachtisch ist absolut nicht meine Stärke, keine Ahnung, wieso.

Am einfachsten wird es sein, ich besorge eine Ensaimada und Turrón Almond Crocanti mit Meersalz bei Jaume, dem Delikatessenladen um die Ecke. Doch vorher muss ich unbedingt zum Mercat de L’Olivar 1, der Fischhalle Palmas.

Gedacht, getan, ab aufs Fahrrad und rein ins Vergnügen.

Beim Anblick von silbrig glänzenden Seehechten, den inseltypischen Felsmuscheln, Taschenkrebsen und Langusten in den Kühltresen der Markthalle läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ich bin hier schon als Kind gemeinsam mit meiner Großmutter Ilse einkaufen gegangen.

Ilse und ihr Mann Walter gehörten zu den ersten Deutschen, die eine Finca und Land auf der Insel erworben und bis zu ihrem Tod auf Mallorca gelebt haben. Bei der Erinnerung an Ilse wird mir warm ums Herz, aber auch ein bisschen wehmütig, denn sie fehlt mir. Sie hätte sich sofort begeistert auf den frischen Seewolf gestürzt oder auf den kiloschweren Oktopus, den ich allerdings nicht mehr esse, seit ich weiß, wie unfassbar klug diese Tiere sind.

»Hola, Marc, cómo estás?«, fragt Miguel, der Händler, bei dem ich am liebsten kaufe. »Was soll’s heute sein? Wir haben fangfrischen Zackenbarsch.« Miguel entstammt einer Familie, die seit Generationen vom Fischfang lebt. Trotzdem muss sein Warenangebot durch Zukäufe aufgestockt werden, denn auch die Gewässer Mallorcas sind größtenteils leer gefischt.

Ich antworte: »Muy bien, gracias«, und widme mich meinem Vorhaben. Alles in Zusammenhang mit der Zubereitung von Speisen erfordert volle Aufmerksamkeit, einen gewissen Sinn für Logistik, Achtsamkeit und ein Herz für die Welt der Kulinarik, das habe ich schon früh gelernt. Ich diskutiere eine Weile mit Miguel darüber, welcher Fisch und welche Meeresfrüchte sich am besten für die Paella eignen, höre mir den neuesten Marktklatsch an und betrachte das lebhafte Treiben bei den Händlern um mich herum.

Im Gegensatz zu früher gibt es angesagte, neue Imbissstände, die Sushi, Austern und Bowls im Angebot haben. Die Zeit steht auch in den Mallorquiner Markthallen nicht still. Apropos Zeit: Ich muss dringend los.

Nachdem ich daheim den Fisch im Kühlschrank verstaut und eine weitere Flasche Cava kaltgestellt habe, gehe ich zu Fuß durch die schmalen Gassen von Palmas Altstadt zu Jaume.

Schon beim Betreten des kleinen Lädchens, das versteckt in einer Seitenstraße der Plaza Major liegt, sehe ich sie: eine äußerst attraktive Brünette, deren Kurven in einem roten Kleid toll zur Geltung kommen, mit Sonnenbrille im Haar, Sommersprossen auf den leicht gebräunten Armen und dem Dekolleté. Ihre markante Nase ist ein kleines bisschen schief, die Locken nicht so seidig glänzend, wie es das klassische Schönheitsideal verlangt. Sie ist nicht mehr ganz jung, schätzungsweise Mitte vierzig. Auf ihren vollen Lippen liegt ein herber Zug, der so gar nicht zu den warmen, haselnussbraunen Augen passt, mit denen sie einen kurzen Blick auf mich wirft. Ich schlängle mich an ihr vorbei zum Regal mit den süßen Köstlichkeiten und atme den Duft ein, der sie umgibt: eine wunderbare Mischung aus Vanille, Mango, Jasmin und Sandelholz.

Ein Duft von Sonne, Heimkommen und Abenden am Kamin.

In dem Moment, als ich mir die letzte Packung Turrón de Almendra aus dem Regal nehmen will, greift auch sie danach.

Es prickelt, knistert und … ja, es gibt einen Funkenschlag.

Sie sagt: »Lo siento mucho«, doch es muss ihr nicht leidtun.

Wow! Diese plötzliche Berührung war zugleich wunderbar sanft und so aufregend, wie ich es lange nicht mehr erlebt habe.

Nicht mehr seit …

Ritterlich, wie ich bin, reiche ich ihr die Süßigkeit und erkläre auf Spanisch, dass ich stattdessen einfach etwas anderes kaufen werde. Erneut sprühen die Funken wie Wunderkerzen in der Silvesternacht.

Sie fragt erfreut: »En serio?« Ihre Stimme ist ein bisschen rau, als sei sie es nicht gewohnt, viel zu reden. Sie scheint keine Spanierin zu sein, obgleich sie gut Katalanisch spricht.

Ich nicke, und sie lächelt. Mit diesem Lächeln verwandelt sich ihr Gesicht in das eines jungen Mädchens. Die leichte Melancholie in ihrem Blick ist verschwunden, der herbe Zug um den Mund wie weggeblasen.

Sie sagt erst »Muchas gracias«, dann »Adios«, bevor sie zur Kasse geht, begleitet von einer Frau, ein wenig älter als sie, die den kometenhaften Zusammenprall zwischen uns beiden stumm verfolgt hat. Dann verlassen beide das Geschäft.

»Alles gut, Marc?«, fragt Jaume mit amüsiertem Lächeln und tippt die Preise für die Ensaimada und die crema catalana in Einweckgläsern in die altmodische Registrierkasse.

Ich bin kurz davor, »Sí« zu sagen, doch dann fällt mir ein, dass gar nichts gut ist. Denn ich habe vergessen, die Unbekannte zu fragen, ob sie mit mir einen café con leche trinken will. Bestürzt über meinen Fauxpas rase ich aus dem Geschäft, doch die Menge von Touristen und Palmesanern, Gauklern und Straßenkünstlern hat die herbe Schönheit längst verschluckt.

Unwiederbringlich.

[home]

2

Sophie – Palma de Mallorca

Kunst kommt von Können

»Die Kunst ist, zu akzeptieren, dass man nicht alles können kann«, findet Sophie.

»Aber man kann es zumindest versuchen«, widerspricht Geli. »Es muss ja nicht immer alles perfekt sein.«

Wow, zwischen euch haben ja megamäßig die Funken gesprüht«, jubiliert meine Schwester Angelika dermaßen laut, dass man sie garantiert noch auf der Nachbarinsel Menorca hören kann. »Wieso hast du nicht mit dem Kerl geflirtet? Der stand total auf dich, du Funkenmariechen.«

»Ach Unsinn«, erwidere ich und umklammere meine Tasche, in der sich die süße Köstlichkeit befindet, die ich gerade für meine Tochter Liv gekauft habe. Irgendwie gibt mir dieses Klammern den nötigen Halt, den ich nach der hochexplosiven Begegnung mit dem attraktiven Mann brauche, der mir netterweise die letzte Packung Turrón de Almendra überlassen hat.

Ich bin, um es mit den Worten meiner Tochter Pauli zu formulieren, blitzartig eskaliert. Wie komme ich denn jetzt wieder runter von diesem Trip?

»Was hätte ich deiner Meinung nach sagen sollen? Sie sehen sympathisch aus, wollen Sie mich heiraten?«

Oje – was rede ich da bloß?

Seit fünf Jahren habe ich nicht einen einzigen Gedanken an einen anderen Mann als Simon verschwendet.

Nicht den allerklitzekleinsten.

Und nun schwafle ich was von Hochzeit?

Bloß raus aus der Sonne, Sophie, aber schnell!

»Kaffee oder ein Glas vino tinto hätte fürs Erste genügt«, sagt Geli augenzwinkernd und bleibt vor einem der zahllosen Schmuckstände auf der bei Touristen beliebten Plaza Major stehen. »Irgendwann musst du dich dem Leben wieder öffnen, genau wie der Liebe. Es ist jetzt immerhin schon fünf Jahre her …«

Erst fünf Jahre, korrigiere ich meine ältere Schwester innerlich. Erst!

»Was soll das heißen, ich verschließe mich dem Leben?«, protestiere ich empört, während Geli einen silbernen Ring mit glitzerndem Strass und einem Stein aus Rosenquarz anprobiert. Meine große Schwester steht auf alles, was funkelt und glänzt. Allerdings lässt sie sich auch schnell blenden, vor allem von Männern, die ihr nicht guttun. Es ist nun mal nicht alles Gold, was glänzt. »Ich bin schon lange kein Trauerkloß mehr, ich stürze mich gerade voller Elan in Livs Cook-up-Projekt, ich habe Spaß am Korrekturlesen von Paulis Blog, ich … ich gehe sogar manchmal wieder aus …«

Geli legt den Ring zurück auf das Samtkissen. »Das stimmt, Süße, bitte entschuldige. Keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Dieser Malkurs in Deià und die Trennung von Rupert machen mich irgendwie ganz irre.«

»Irrer, als du es ohnehin schon bist?«, frage ich grinsend.

Ich muss dringend das Stimmungsbarometer auf hoch bringen, schließlich sind Geli und ich hier, um für ein paar Tage Urlaub zu machen, uns zu erholen und Spaß zu haben. »Und weil du so irre bist und ich dich ganz schrecklich lieb habe, schenke ich dir jetzt diesen Ring.«

Geli fällt mir juchzend um den Hals. Schön, wenn ich ihr eine Freude machen kann, schließlich hat sie gerade Liebeskummer. »Ich finde, du kannst froh sein, dass du den Kerl endlich los bist. Der Rosenquarz ist ein Heilstein fürs Herz und soll dir dabei helfen, künftig Abstand zwischen dich und all die Nieten zu bringen, mit denen du in den letzten beiden Jahren deine kostbare Zeit verschwendet hast.«

Keine Ahnung, wie sie es mit den Typen ausgehalten hat.

Bei Haaren, die aus Männernasen oder Ohren quellen, ist bei mir ganz schnell der Ofen aus (bei Rupert war beides der Fall. Ekelhaft!). Wenn Mann zudem noch chronisch pleite ist, raucht wie ein Schlot und nie jemanden ausreden lässt, ist das für mich dermaßen indiskutabel, dass ich schon nach fünf Minuten schreiend das Weite suchen würde.

Geli brauchte für diese Erkenntnis leider fünf Monate.

»Danke, Schwesterherz, du bist die Beste«, sagt sie und zieht mich mit zu einem Stand mit Lederwaren.

Was man über meine 54-jährige Schwester wissen muss: Geli fährt – wie unsere rastlosen Eltern, die ständig auf Reisen sind – voll auf die 1970er-Jahre ab. Sie liebt Schlaghosen, die Farben Orange, Braun und Grün, stöbert auf Flohmärkten nach Brillen im John-Lennon-Style, Lederröcken mit Patchwork-Muster und Druckknöpfen, hört Joan Baez, die Rolling Stones, Cat Stevens und Bob Dylan. Schwupps, sitzt in diesem Moment auch schon ein Hut auf ihrem Kopf, unter dem die langen, gelockten Blondhaare gut zur Geltung kommen.

»Hast Ähnlichkeit mit Janis Joplin auf dem Cover des Woodstock-Albums«, lobe ich, weil ich weiß, wie sehr Geli für die Bluessängerin schwärmt. »Aber sieht der Hut nicht aus wie all deine anderen?«

»Auf gar keinen Fall«, schnaubt sie empört. »Dieser hier ist viel … äh, heller … und …«

»Und muss einfach mit, ich verstehe schon.«

Was für Geli Siebzigerjahre-Tand ist und für andere Frauen Schuhe, sind für mich Handtaschen, also halte ich besser die Klappe. Hauptsache, meine Schwester ist happy.

Nach einer Stunde Bummeln durch die Altstadt Palmas, eine meiner absoluten Lieblingsstädte, wird es am Passeig de Born plötzlich so voll wie zur Weihnachtszeit in der Hamburger Innenstadt.

»Haben die gerade wieder Tausende von Passagieren aus den Kreuzfahrtschiffen in die Stadt gekippt?«, knurrt Geli.

Ich weiche einer Dame aus, die mit derart vielen riesigen Einkaufstüten beladen ist, dass sie auf ihren High Heels schwankt wie ein Schiff auf kabbeliger See.

»Vermutlich«, antworte ich und fächle mir mit einer Postkarte Luft zu. Es ist erst Ende April, doch tagsüber klettert das Thermometer schon auf knappe dreißig Grad. In den Gassen Palmas sammelt sich die Hitze, und die Fassaden der wunderschönen Jugendstilhäuser strahlen Wärme ab. Puh! Das bin ich gar nicht mehr gewohnt. Aber ich genieße das Wetter sehr, denn ich bin ein echtes Sommerkind, und frage mich, weshalb ich ausgerechnet in einer Stadt wie Hamburg geboren wurde, die nicht gerade für dauerhaft schönes Wetter bekannt ist.

Während es in Hamburg vierzehn Grad sind und es in Strömen regnet, wird hier emsig Eis geschleckt und Aperol Spritz getrunken – »endless summer« auf der bei uns Deutschen so beliebten Baleareninsel und eine meiner liebsten Inseln überhaupt.

War der attraktive Mann vorhin eigentlich Mallorquiner?

Mit den leicht gewellten, blonden Haaren, dem sympathischen Gesicht und den traumschönen, blaugrauen Augen hätte er genauso gut Deutscher sein können. Zudem war er größer als der Durchschnittsspanier an sich.

Mist, wieso geht er mir nicht aus dem Kopf?

Wir haben uns doch nur ganz kurz gesehen.

Ich bin eigentlich gar nicht der Typ, der sich von bloßen Äußerlichkeiten wie einem tollen Körperbau (hatte der Mann aber dummerweise auch noch!) beeindrucken lässt.

Oder machen mich einfach die Temperaturen und das Urlaubsfeeling vollkommen gaga? Läuft es mit diesem Kerl ähnlich wie mit dem kunterbunten Strandkleid, das man im Urlaub super findet, weil der Himmel so blau, das Wetter so schön und das Leben gerade insgesamt so unfassbar grandios ist?!

»Meinst du, ich sollte noch mal zu dem Delikatessenladen zurückgehen und den Besitzer fragen, ob er …«

Oh mein Gott! Habe ich das eben wirklich gesagt?!

Ich sollte echt in den Schatten gehen, die Sonne verbrutzelt mir offenbar das Gehirn.

»Na klar, super Idee«, jubelt Geli, die mich auch versteht, wenn ich in Halb- oder Viertelsätzen rede, kramt das Handy aus der Ledertasche mit Fransen und tippt auf den Tasten herum. »Aber wir laufen auf gar keinen Fall wieder zurück. Ich rufe in dem Laden an und frage den Besitzer, ob er den Typen kennt, bevor wir den ganzen Weg womöglich umsonst machen. Meine Füße haben die Größe von Elefanten und bringen mich gleich um. Lass uns bitte ganz schnell auf einen Apéro zur Bar Bosch, sonst drehe ich durch. Oder werfe mich schreiend auf den Boden. Vielleicht auch beides.«

Bevor ich weiß, wie mir geschieht, hat Geli schon den Namen des Ladens gegoogelt und jemanden am Apparat. Ihre Füße müssen wirklich schmerzen, sonst würde sie so etwas nie machen, denn sie spricht nicht ganz so gut Spanisch wie ich (immerhin lebe ich beruflich davon).

»Yo soy Angelika Hartmann. Ich wollte … Ich würde mich gern im Namen de mi hermana Sophie bei dem Herrn von vorhin bedanken, weil er so nett war …«, radebrecht Geli tapfer, aber nicht gerade zielführend. Also nehme ich ihr das Handy weg, doch plötzlich ist die Leitung tot. Gelis Akku hat mal wieder schlappgemacht. Wieso denkt sie nie daran, das Ding aufzuladen, bevor wir losziehen?

»Tja, dann musst du wohl dein Handy nehmen«, sagt Geli und steuert zeitgleich zielstrebig auf einen der Tische der beliebten Bar zu, an dem ein älteres Ehepaar gerade zahlt. »Oder hast du es wieder im Apartment vergessen?«

Punkt für sie.

Ich krame erfolglos in meiner neuen Handtasche (rund, aus Korb), in die man außer Taschentüchern, Süßigkeiten und einem Lippenstift besser nichts reintut, das einem am Herzen liegt und das man nicht verlieren möchte.

»Dann lass uns hier was trinken, ich bestelle mir einen Bottich Eiswasser für die Füße, und dann gehen wir wieder zur Plaza Major zurück«, schlägt Geli vor, die Nase bereits tief in der Getränkekarte.

»Das machen wir auf gar keinen Fall«, widerspreche ich mit Blick auf die Armbanduhr. »Wir verpassen sonst das Treffen mit anschließendem Essen mit den Teilnehmern deines Malkurses. Du Cava auf Eis und ich Lillet Wild Berry?«

Wahrscheinlich ist es ganz gut, dass mein kleiner, ungeplanter Ausflug in die Welt des Flirtens ein abruptes Ende gefunden hat. Ich betrachte das mal als mahnenden Fingerzeig des Schicksals: Das mit mir und dem tollen Unbekannten sollte einfach nicht sein!

 

Punkt einundzwanzig Uhr beginnt die cena, so heißt das Abendessen auf Spanisch.

Da ich mich nicht selbst finden muss und zudem eine große Abneigung gegen gruppendynamische Prozesse habe, bin ich kein Mitglied der malenden Frauen und beschäftige mich anderweitig, wenn Geli in den kreativen Sphären ihres Kurses schwebt.

»Geht’s euch allen gut?«, fragt Pablo, der Leiter, der mich unbedingt kennenlernen wollte und deshalb heute mit zum Essen eingeladen hat.

Pablo macht seinem Namen alle Ehre: Er ist klein, rundlich und hat kaum noch Haare auf dem Kopf. Anstelle des quer gestreiften Shirts seines kreativen Namensvetters trägt er einen bodenlangen Kaftan, den man auch getrost als Jutesack bezeichnen kann. Wieso ausgerechnet ein Mann der Leithammel eines Workshops ist, der »Frauen malen auf Mallorca« heißt, ist mir schleierhaft. Aber was soll’s, Pablo scheint nett zu sein, und solange es für die Damen in Ordnung ist …

Geli besucht seinen Kurs schon zum dritten Mal, weil sie Pablo mit seinem kreativen Talent und der leicht spirituellen Ader großartig findet – und Malen auf Mallorca sowieso.

»Seid ihr alle in eurer Mitte und im Flow?«, fragt er und blickt jede einzelne der Teilnehmerinnen an, die an der langen, liebevoll gedeckten Tafel im windgeschützten Patio seiner Finca sitzen, mich eingeschlossen.

Gelis Augen leuchten, sie nickt bekräftigend und antwortet aus vollem Herzen: »Ja.«

Auch die anderen Damen sagen Sätze wie: »Es tut so gut, hier zu sein«, »Endlich kann ich loslassen«, »Ich entfalte hier mein kreatives Ich« oder: »Das hier ist mein Seelenort«.

Ich persönlich finde es auch ganz hübsch hier. Wer sitzt nicht gern unterm Sternenhimmel und atmet den Duft von Orangenblüten ein? Ich liebe auch dieses schöne Keramikgeschirr und den Stoff, aus dem die Kissen und das Tischtuch gefertigt wurden.

Er ist blau-weiß und mit dem für Mallorca typischen Rautenmuster, genannt Llengos, bedruckt.

Doch ich antworte nicht auf die Frage des Meisters, schließlich bin ich keine angehende Künstlerin. Und zahle auch keinen aus meiner Sicht ziemlich überteuerten Preis für Action-Painting und Urschreitherapie unter Olivenbäumen.

»Und du, Sophie?«, will Pablo wissen.

Oops, was antworte ich denn jetzt?

Wahrscheinlich kann er Gedanken lesen, denn ein amüsiertes Lächeln umspielt seine Lippen. »Keine Antwort ist auch eine Antwort«, sagt er schmunzelnd. »Auch wenn das jetzt sicher merkwürdig für dich klingt: Magst du mir mal deine Handflächen zeigen?« Überrumpelt von Pablos Frage nicke ich, und so schnappt er sich meine Hände, dreht, wendet und knetet sie leicht. Dann betrachtet er sie mit der Akribie einer Expertin für Nageldesign oder einer Wahrsagerin. Seine Berührung fühlt sich angenehm an, obschon die Situation ein bisschen skurril ist.

Die Augen aller neun Teilnehmerinnen sind gespannt auf mich gerichtet. Im Patio ist es mucksmäuschenstill. Mein Herz pocht vor Aufregung. Was kommt denn jetzt bitte?

»Diese Hände sind wie gemacht für die Kunst«, befindet Pablo schließlich und wechselt in einen leicht theatralischen Tonfall. »Wieso kommst du morgen nicht auch zu uns in den Kurs, guapa.«

Aha, daher weht der Wind! Der Mann will Geld mit mir verdienen und versucht mittels eines Kompliments, mich in seinen Kurs zu locken. Doch sosehr es mir auch schmeichelt, dass er mich hübsch findet – malen ist meine Sache nicht. Bei mir sehen alle Zeichnungen aus, als sei ich in meiner frühkindlichen Phase stecken geblieben, und leider auch dermaßen dilettantisch, dass das Ganze noch nicht mal als naive Malerei durchgeht.

Also murmele ich: »Danke für das nette Angebot, aber ich mache morgen einen Ausflug mit dem Katamaran. Den ganzen Tag, Dämmertörn und Sonnenuntergang inklusive.«

Geli hebt fragend die Augenbrauen, sie weiß, wie schwer es mir fällt, zu schwindeln.

»Wenn du nicht malen willst, solltest du unbedingt etwas anderes mit deinen Händen machen«, fährt Pablo ungerührt fort und hält weiter meine Hände in seinen.

»Vielleicht kochen. Kochst du gern?«

Gelis Blick kreuzt meinen für eine Sekunde.

In ihren Augen liegen Bedauern und Trauer.

Mein Herz sinkt ins Bodenlose.

Und meine Kehle schnürt sich so eng zusammen, dass es mir den Atem raubt.

Pablo wartet meine Antwort allerdings gar nicht ab, sondern hat offenbar eine eigene parat: »Vor fünf Jahren ist dir etwas Schreckliches widerfahren, das tiefe Wunden hinterlassen hat. Es ist Zeit für dich, neue Wege zu gehen, das spüre ich ganz deutlich. Doch glaub mir, das Leben geht weiter. Viva la vida, guapa. Genieß es und mach etwas draus. Du wirst sehen, wie schön es ist, nach all der Dunkelheit wieder auf der Sonnenseite zu stehen. Richtung Sonne musst du allerdings selbst gehen.«

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3

Marc – Palma de Mallorca

Kühlschrankinhalt Wohnung Palma:

Reste von Paella Frutti di Mare, eine halbe Flasche Cava, gesalzene Butter, Beluga Gold Line Nobel Russian Vodka, Kühlpad

Ice, ice, baby!

In der Hoffnung, dass das Kühlpad auf meiner Stirn endlich seine schmerzlindernde Wirkung entfaltet, denke ich an den Song des Rappers Vanilla Ice und summe ihn zur Beruhigung mit. Allerdings nur innerlich, alles andere wäre peinlich.

»Geht’s dir inzwischen ein bisschen besser, cariño?« Conchita robbt sich so nah an mich heran, dass ich ihren Atem riechen kann, eine Mischung aus Kaffee und Sehnsucht nach Liebe. Dann gibt sie mir einen Kuss. Das Kühlpad rutscht mir von der Stirn und landet neben dem Kopfkissen. Na toll!

»Nicht wirklich«, erwidere ich und stöhne ostentativ. »Am besten, du lässt mich jetzt allein, damit ich noch ein bisschen meditieren kann, bevor das Meeting beginnt.«

»Du meditierst?« Conchita reißt erstaunt die Augen auf.

Das stimmt natürlich nicht, doch das muss ich ihr ja nicht auf die Nase binden.

Vage antworte ich: »Manchmal«, und deute auf den Zeiger des Weckers, der auf meinem Nachttisch steht.

»Schon verstanden, du willst mich los sein«, sagt Conchita und schlägt das dünne Bettlaken beiseite.

Ich bemühe mich zu ignorieren, dass sie nackt ist und verdammt sexy.

Aber lange nicht so sexy wie …

Sie verschwindet im Bad, ich höre das Wasser der Dusche rauschen, und zehn Minuten später ist sie tatsächlich bereit zum Aufbruch.

Ich liege immer noch im Bett und fühle mich schwer wie Blei.

Conchita beugt sich über mich und gibt mir einen langen Kuss. »Beim nächsten Mal bist du aber wieder in Form, ja?«, gurrt sie und fährt mit dem rot lackierten Nagel des rechten Zeigefingers über meinen Bauch bis zum Bündchen des Slips.

Zum Glück erwartet sie keine Antwort auf ihren charmanten Befehl, der in meinen Ohren klingt wie eine Drohung.

Kein Wunder, dass die gerade summen und brummen, als nistete ein Schwarm Hornissen darin.

Endlich fällt die Tür ins Schloss, ich bin allein.

Ich bleibe liegen, bis das Klackern von Conchitas Absätzen verhallt ist, und setze mich dann stöhnend auf.

Mein Gott, ist das heiß hier.

Wieso fühle ich mich schon wieder, als hätte ich einen ausgewachsenen Kater? Wir haben gestern doch nur eine halbe Flasche Cava getrunken. Conchita zusätzlich eine Flasche Weißwein, keine Ahnung, wie sie das schafft. Allerdings ist sie auch erst siebenundzwanzig und nicht neunundvierzig wie ich.

Einen Becher Kaffee und eine ausgiebige kalte Dusche später stehe ich gestylt vor dem Spiegel. Ein kurzer Blick auf den hellen Anzug, das weiße Hemd und die frisch geputzten Schuhe – und dann ab dafür.

 

Das Management der Blanco-Group erwartet Alba und mich eine halbe Stunde später im Besprechungsraum des Hotels.

Ich begrüße die Anwesenden mit »Hola« und setze mich auf einen der bunten Stühle am Besprechungstisch, Design Arne Jacobsen. Im Blanco legt man viel Wert auf Optik.

Alba, heute im strengen Businessanzug, die langen, tiefschwarzen Haare geglättet, nimmt neben mir Platz.

»Guten Morgen«, erwidert Karen White, CEO der Blanco-Group, Typ Eiskönigin. »Dann schießen Sie mal los.«

Die Besprechung findet also auf Deutsch statt.

Alba projiziert via Tablet Tabellen an die Wand, Tortendiagramme und vieles mehr. In sachlichem Tonfall schildert sie gnadenlos die Schwachstellen des Palmesaner Hotels und lässt keinen Zweifel daran, dass sie den Betreibern der Kette unterstellt, diese Personalpolitik auch an den anderen Standorten zu fahren. Keine besonders diplomatische Taktik, aber wir haben uns darauf geeinigt, dass wir in dieser Sache offensiv auftreten.

Karen White und ihr Adlatus, ein junger, konturloser Mann Mitte zwanzig, folgen aufmerksam Albas Ausführungen.

Mir wird warm.

Ich öffne die beiden obersten Knöpfe meines weißen Hemds.

Funktioniert die Klimaanlage hier drin nicht, oder sparen die auch an diesem Komfort?

»Sie unterstellen uns also, die fehlende Schanklizenz als Ausrede dafür zu benutzen, unseren Gästen einen Service vorzuenthalten, der ihnen in dieser Luxuskategorie eindeutig zusteht?!« Karen Whites Stimme ist messerscharf und zerteilt die Konferenz schlagartig in zwei gegnerische Lager: Die Blanco-Hotel-Group vs. Marc Bauer Consulting. »Wie kommen Sie denn auf eine derart infame Idee?«

Albas Augen suchen meinen Blick.

Mir wird noch heißer als eben, allerdings vor Wut. Ich mag keine Menschen, die bei sachlichen Themen emotional werden und Worte wie infam benutzen. Das

 

ist a) unprofessionell,

bringt b) nur Ärger,

führt c) zu nichts,

ist d) extrem kindisch und unreif.

 

Das Ziel unseres Auftrags lautet: die Zufriedenheit der Gäste der Hotelkette zu steigern und zu verhindern, dass die Buchungsrate sinkt.

Und genau das werden wir tun.

»Ist sie tatsächlich so infam, oder entspricht sie nicht vielmehr den Tatsachen?«, frage ich zurück. »Das Frühstücksrestaurant liegt im Erdgeschoss, und auch da fehlt es an Personal, das rechtzeitig Kaffee in die Maschine füllt, frisches Obst und Säfte bringt, bevor alles weg ist. Ich frage mich auch, ob sich Ihre Gäste nicht weitaus entspannter fühlen würden, bekämen sie Kaffee und Tee serviert.«

»Im Personalbereich Restaurant gab es kürzlich krankheitsbedingte Engpässe, die bald behoben werden«, mischt sich nun der blasse Jüngling ins Gespräch ein. »Zum Thema Schanklizenz kann ich nur sagen, dass gerade Ihnen bewusst sein müsste, wie viele Steine die Behörde in Palma der Gastronomie und Hotellerie in den Weg legt, die nicht von Insulanern betrieben wird. Wir sind nicht das einzige Haus auf der Insel, das mit derartigen Problemen zu kämpfen hat. Der Antrag auf Genehmigung läuft seit einem Jahr, ich kann Ihnen gern die entsprechenden Dokumente zeigen.«

Alba hebt ihre Augenbrauen und wippt mit den Füßen.

Mir wird plötzlich schwindelig, der Raum beginnt sich zu drehen. Meine Brust fühlt sich an wie in einen Schraubstock gepresst. Meine Kehle verengt sich dramatisch, meine Hände und Füße kribbeln, als spazierte eine Horde Ameisen darauf herum.

Ein scharfer Schmerz schießt mir in den linken Arm.

Das ist es.

Das Ende.

Ein Herzinfarkt.

Genau wie bei meinem Vater.

 

»Können Sie mich hören, Marc?«

Seltsam. Irgendjemand spricht mit mir.

Ist das so, wenn man tot ist?

Ja, da ist Licht.

Angenehmes, warmes Licht.

Mir ist auch nicht mehr so heiß.

Ich kann wieder atmen.

Vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlimm, tot zu sein.

Dann hat man wenigstens keine Schmerzen mehr.

Und kennt keine Trauer.

»Er wacht auf«, höre ich die Stimme sagen. Sie hat Ähnlichkeit mit der von Doktor Alfonso Romero, meinem Hausarzt.

Ist der etwa auch gestorben?

»Sprechen Sie mit ihm, Alba. Auf Sie wird er hören.«

Warmer Atem nähert sich meinem Ohr und kitzelt angenehm. »Marc, bist du wach? Kannst du was sagen? Du hattest eine Panikattacke, nichts Schlimmes, also mach dir bitte keine Sorgen.«

Eine … Panikattacke?!

Ich bin also noch am Leben und nicht im Himmel?

»Öffnest du bitte die Augen oder gibst mir irgendein anderes Zeichen, damit ich weiß, dass es dir gut geht.«

Alba klingt echt besorgt, also tue ich ihr besser den Gefallen. Kompetente Mitarbeiter darf man auf gar keinen Fall vergraulen, sonst hat man genau solche Probleme wie die Blanco-Hotelkette.

»Alba? Wo bin ich?« Zu mehr als dieser Frage reicht meine Kraft nicht.

»Immer noch im Hotel«, erwidert Alba. »Karen White und ihr Schnulli sind weg. Und wir sollten auch schleunigst von hier verschwinden.«

Plötzlich pikst es in meinem Arm.

Was ist denn jetzt schon wieder los?

»Das war ein kleiner Cocktail aus belebenden Substanzen«, erklärt der tollste Arzt auf Erden, offenbar vom Himmel geschickt. »Damit sind Sie ganz schnell wieder auf den Beinen. Nehmen Sie sich den Rest des Tages frei, ruhen Sie sich aus und kommen Sie morgen früh in die Sprechstunde. Dann reden wir über das, was gerade passiert ist.«

Doktor Romero schließt den Arztkoffer, tippt sich zum Abschied kurz an die Stirn, dann ist er weg.

»Alles okay so weit?«, fragt Alba, die neben mir auf dem Boden kauert und so traurig aussieht wie ein Kind, dem klar wird, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. »Ich habe mir echt Sorgen gemacht, als du plötzlich vom Stuhl gekippt bist. Ich …« Ihre Stimme wird brüchig.

»Du dachtest, ich hätte einen Herzinfarkt, genau wie mein Vater, nicht wahr?«, frage ich. Es fällt mir schwer zu sprechen. Meine Stimme klingt seltsam dünn.

Was zur Hölle ist hier gerade passiert?

»Natürlich dachte ich das«, murmelt Alba bedrückt. »Schließlich habe ich damals alles mitbekommen, vor allem, wie sehr du gelitten hast. Du musst unbedingt auf den Rat von Doktor Romero hören. Das war ein Warnschuss, den du ernst nehmen solltest. Du arbeitest zu viel, bist äußerst perfektionistisch und auch nicht mehr …«

»… der Jüngste«, vervollständige ich seufzend Albas Satz und setze mich mühsam auf. Ich weiß, dass ich mich, statistisch betrachtet, in der medizinischen Gefahrenzone befinde.

Mein Vater war dreiundfünfzig, als er starb, zusammengebrochen beim Joggen. Ein gnädiger Tod für ihn, eine absolute Katastrophe für meine Mutter, mich und seine Eltern, Großmutter Ilse und ihren Mann Walter.

»Ich verspreche es hoch und heilig, ich werde kürzertreten. Wie bist du denn eigentlich mit der Eiskönigin und ihrem namenlosen Diener verblieben?«, frage ich und schaffe es endlich aufzustehen.

Beim Gedanken daran, dass ich vor Karen Whites Augen zusammengeklappt bin wie ein Taschenmesser, könnte ich ausrasten. Die nimmt mich doch nie wieder ernst. Das würde ich an ihrer Stelle auch nicht tun.

»Sie entzieht uns garantiert den Auftrag«, erwidert Alba und steht nun ebenfalls auf. »Und ich fürchte, wir können nichts dagegen machen, außer zu hoffen, dass sie nicht herumtratscht, was im Meeting passiert ist.«

»Darüber reden wir noch, aber nicht mehr heute«, sage ich, als wir uns am Eingang des Hotels trennen. Alba muss zu einem weiteren Termin und ich zurück in meine Wohnung und eine Strategie für Schadensbegrenzung entwickeln.

Erst die gestrige Schlappe mit Conchita und nun das Debakel mit einem echt dicken Fisch als Auftraggeber – irgendetwas läuft hier gerade gewaltig schief, und ich habe nicht vor, mich dem kampflos zu beugen.

 

»Es nützt alles nichts, Sie müssen dringend etwas für sich tun und zur Ruhe kommen«, bekräftigt Doktor Romero seine Aussage vom Vortag, als ich wie vereinbart um neun Uhr morgens in seiner Praxis in der deutschen Facharztklinik aufschlage. »Sie wissen, was eine Panikattacke ist?«

Ich nicke. Schließlich habe ich gestern am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man glaubt zu sterben. Zudem gibt’s ja auch noch Doc Google, den ich natürlich sofort konsultiert habe.

»Im Grunde ist sie vor allem ein Hilfeschrei der Seele, den man ernst nehmen sollte. Haben Sie zurzeit Sorgen? Themen, die Ihnen nachts den Schlaf rauben? Unverarbeitetes, das Ihnen zu schaffen macht?«

Ich schüttle den Kopf.

Bis auf die kleinen Zwischenfälle läuft alles nach Plan. Conchita ist eben einfach nicht so mein Typ, außerdem möchte sie auf Biegen und Brechen eine Beziehung. So viel Druck kann einen Mann schon mal schachmatt setzen. Und gestern? Nun, da war es heiß, ich hatte die Nacht zuvor schlecht geschlafen, ich …

»Wir haben gerade vor einem Monat den alljährlichen Gesundheitscheck gemacht, und da war alles in bester Ordnung. Demnach kommt nur eine seelische Ursache für diese akute Krise infrage. Haben Sie schon mal daran gedacht, einen Therapeuten aufzusuchen?«

Doktor Romeros Frage fliegt mir um die Ohren wie ein Bumerang.

»Was soll ich denn bitte bei einem Seelenklempner?«, frage ich empört. »Ich bin doch nicht verrückt.«

»Wenn Sie das so sehen, rate ich Ihnen auf alle Fälle zu einer Auszeit von mindestens vier Wochen in einer Umgebung, in der Sie sich wohlfühlen, und nicht in Versuchung geraten, zu arbeiten. Überlassen Sie alles Alba und machen Sie ausschließlich das, was Ihnen guttut. Treiben Sie Sport, gehen Sie mal wieder in die Oper, erlernen Sie eine Technik wie Progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder gehen Sie zum Yoga. Mir fällt gerade ein: Sie kochen doch so gern, wäre das nicht etwas Passendes? Kochen ist auch eine Art Meditation.«

»Ich soll mir eine Auszeit nehmen, um mal in Ruhe zu kochen?«, frage ich zweifelnd.

»Wenn Sie sich nicht an meine Empfehlung halten, besteht die Gefahr, dass sich derlei Attacken wiederholen. Glauben Sie mir, ich kenne mich bestens mit diesen Dingen aus.« Der Tonfall des Arztes ist mit einem Mal ungewohnt streng. »Solche Anfälle können, wenn sie unbehandelt bleiben, in eine Angststörung münden, oder Sie erkranken möglicherweise an einer schweren Depression. Wollen Sie das?«

Was für eine Frage?! Natürlich will ich nichts von alledem.

»Okay, okay, ich nehme mir eine Auszeit«, murmele ich. »Von mir aus koche ich auch, bis der Arzt kommt, wenn Sie glauben, dass das hilft.«

Mein Gehirn rattert auf Hochtouren auf der Suche nach einer Lösung. Soll ich Doktor Romeros Schreckensszenario wirklich glauben? Übertreibt der Mann nicht gnadenlos?

Andererseits habe ich, bis auf ein oder zwei frei Tage, seit vier Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Wenn ich auf Mallorca bin, gerate ich unweigerlich in Versuchung, zu arbeiten, schließlich befindet sich das Büro in meiner Wohnung.

Es gibt nur eine einzige Stadt außer Palma, die ich liebe, in der ich mich zu Hause fühle und wo ich zufällig sogar eine Wohnung besitze.

Und das ist Hamburg.

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4

Sophie – Palma de Mallorca

Die Hoffnung stirbt zuletzt

»Das stimmt. Lang lebe die Hoffnung!«, ruft Sophie.

»Hoffnung? Welche Hoffnung?«, fragt Pauli skeptisch.

»Sei doch nicht immer so pessimistisch«, widerspricht Liv und knufft ihre Schwester in die Seite.

Noch den Rest der Ananas verputzen, den Geli mir gestern übrig gelassen hat, und dann ab in den Mietwagen.

Ich schleiche auf Zehenspitzen durch unser Apartment, denn mein Schwesterherz schläft noch, und ich will sie auf gar keinen Fall wecken. Schlimm genug, dass ich nach Pablos kryptischen Bemerkungen, die tatsächlich ins Schwarze getroffen haben, heute Nacht kaum ein Auge zugemacht habe. Seine Mutmaßung hat einen Schmerz aufgewühlt, dem ich seit Jahren versuche zu entfliehen, daher brauche ich jetzt dringend Abwechslung und andere Eindrücke. Die Fahrt zum Kloster Valldemossa wird mir guttun und mich auf andere Gedanken bringen, jawoll!

Seit Tagen freue ich mich darauf, den Ort wiederzusehen, an dem die berühmte Schriftstellerin George Sand und der Komponist Frédéric Chopin eine Weile gemeinsam in einer Mönchszelle gelebt haben. Literarisch verarbeitet wurde der Liebesreise-Flop des kränkelnden Komponisten und der französischen Autorin, die eine heftige Abneigung gegen die Insulaner hegte (»Die Männer lesen nicht. Die Frauen machen nicht einmal Näharbeiten«), im Buch Ein Winter auf Mallorca.

Will man den Heerscharen von Touristen entfliehen, die das Kloster jährlich besuchen, ist es ratsam, entweder in den Abendstunden oder, wie ich heute, frühmorgens zu dem auf vierhundert Meter Höhe gelegenen Bergdorf zu fahren.

Kaum habe ich mich in den kleinen, quietschgelben Seat gesetzt, klingelt mein Handy. Auf dem Display steht Liv.

»Hallo, Schatz, du bist aber früh auf den Beinen«, sage ich. »Alles gut bei euch zu Hause?«

Wenn Pauli oder Liv anrufen, statt eine WhatsApp zu schicken, mache ich mir sofort Sorgen. Beide telefonieren nur im äußersten Notfall, und auf den kann ich persönlich gut verzichten.

»Der Mietvertrag für das Cook-up ist immer noch nicht da«, stöhnt Liv genervt. »Wir eröffnen in zwei Wochen, und es fehlt immer noch die schriftliche Bestätigung dafür, dass ich das Restaurant für zwei Monate nutzen kann.«

»Du hast aber die E-Mail, in der der Vermieter dir die Nutzung zugesagt hat«, versuche ich sie zu beruhigen.

Die Eröffnung des Cook-ups namens Liv’s ist eine große Sache für uns beide. Ein gemeinsames Mutter-Tochter-Projekt, aus dem bei Erfolg eine dauerhafte berufliche Zusammenarbeit werden soll – falls wir uns nicht heillos zerstreiten, pleitegehen oder Liv spontan beschließt, nach Bolivien auszuwandern.

»Ach ja, stimmt«, kommt es erleichtert zurück. »Ich bin so durcheinander, dass ich bald wahnsinnig werde. Mama, mache ich das Richtige?«

Nun klingt Liv wie die Achtjährige, die unbedingt in der Fußballmannschaft der Grundschule mitmischen wollte, die tatsächlich nur aus Jungs bestand und die es gar nicht lustig fanden, dass meine Tochter darauf bestand, im Tor zu stehen.

»Natürlich tust du das. Wir haben doch so lange über deine Pläne gesprochen, Pro und Kontra mehr als ausführlich diskutiert.« Mein Tonfall ist mütterlich beschwichtigend, was Liv für gewöhnlich hasst. Sie ist äußerst selbstständig und perfekt darin, mit dem Kopf durch die Wand zu donnern. Widerstände sind ihrer Ansicht nach dazu da, niedergerungen zu werden. Doch tief in ihr drin steckt immer noch das kleine Mädchen, das darauf vertraut, dass Mama ein Sicherheitsnetz gespannt hat, das sie und ihre jüngere Schwester Pauline trägt, solange ich lebe.