Ich. Der Einzige seiner Art - Joachim Hausen - E-Book

Ich. Der Einzige seiner Art E-Book

Joachim Hausen

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Beschreibung

Peter Peters verfügt über drei Wundergaben. Ein Neurologe nennt ihn den Einzigen seiner Art. Wie reagiert seine Freundin Jessica? Wie setzt Peter seine Fähigkeiten ein?

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Ähnliche


Man muss die Courage haben, das zu sein,

wozu die Natur uns gemacht hat.

Johann Wolfgang von Goethe

Inhaltsverzeichnis

Ich

Erstes Wunder

Kapitel 1

Kapitel 2

Zweites Wunder

Kapitel 1

Kapitel 2

Drittes Wunder

Kapitel 1

Kapitel 3

Kapitel 3

Kapitel 5

Kapitel 6

Das Institut

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Vorfreude

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Die Organisation

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Erste und zweite Mission

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Glück und Arbeit

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Operation Präsident USA

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

An neuen Ufern

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Restart

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Dramatik

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Aufregende Ereignisse

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Ich

Ich bin eine Missgeburt – glaubte ich anfangs. Ab und zu nannte ich mich Ungeheuer oder Mutant. Äußerlich sieht man mir nicht das Geringste an. Niemand ahnt, dass ich ein Doppelwesen bin. Auch die Arbeitskollegen/innen nicht. Auch mein Chef nicht. Auch meine Freundin nicht.

Ich liebe die 25-jährige Jessica unermesslich. Ihre Figur, das aparte Gesicht, das zierliche Näschen, die grünen Splitter im Rehbraun ihrer Augen, der Duft der dunkelbraunen Haare, ihr Lächeln, das Lachen, das Sprechen ihres roten Mundes erzeugen Aufruhr, Begehrlichkeit – Liebe in Gehirn, Herz und Seele. Diesen Zustand und das Herzbrennen, die umfassenden Wohlgefühle, die Ruhe in mir, wenn ich sie ansehe, mit ihr plaudere, ausgehe und mit ihr schlafe, möchte ich nie mehr missen. Liebe pur.

Amen, hätte jetzt meine Oma mütterlicherseits gesagt. Leider versagte vor 19 Monaten ihr krankes Herz. Ich hing sehr an ihr und sie an mir. Opa fiel ein Jahr zuvor vom Dach des Einfamilienhauses – Genickbruch. Ich, das einzige Enkelkind, erbte das Haus; meine Mama Wertpapiere und Bargeld.

Mein Liebling Jessica sagt oft, ich sei ein gut gebauter süßer Kerl, ein verständnisvoller, ein liebevoller Mann, der sie auch im Bett voll beglücke. Sie behauptet, sie sei unsterblich verliebt in mich. Ich glaube ihr. Sie glaubt mir.

Ich verfüge über drei phänomenale Talente, Gaben, drei Wunder. Ich weiß aber, dass ich …

Halt! Ich presche übereilt vor. Ich beginne nochmals ...

Erstes Wunder

1

12. Juli 2017. Ein Sommertag. Ein Mittwoch wie jeder andere – denke ich. Dank Gleitzeit verlasse ich wie meistens an diesen Tagen kurz nach 15 Uhr das Büro. Ich teile es mit einer ansehnlichen 27-jährigen Türkin. Ich arbeite als Softwareentwickler in der Münchener BMW Zentrale nahe des Olympia Parks. Falls jemand glaubt, ich bastelte oder manipulierte die Software, welche die Abgasreinigung der Dieselmotoren regelt, irrt auf einem kilometerlangen Holzweg herum. Mein Arbeitsgebiet erstreckt sich auf das Finanzwesen. Trockener Stoff, aber enorm wichtig. Zuvor arbeitete ich zwei Jahre als Systemadministrator bei Siemens.

Umschwebt von den Klavierpassagen der Rhapsodie in Blue von George Gershwin fahre ich mit meinem Auto, natürlich ein BMW, und zwar ein stahlblauer X 1, nach Ismaning, meinem Wohnort. Das 16.400 Einwohner zählende Städtchen liegt rund zwölf Kilometer Luftlinie nordöstlich des Arbeitsplatzes. Keine zwei Kilometer südlich der Ortsmitte steht das von Oma geerbte Haus auf einem 460 Quadratmeter messenden Grundstück.

Ich lebe alleine in der 114 qm umfassenden Wohnung. Meine Freundin und ich treffen uns mittwochs, freitags und an den Wochenenden. An Freitagen und Samstagen schläft sie bei mir. Mehrmals bat ich Jessica in den vergangenen neun Monaten, zu mir zu ziehen. Bisher stets abgelehnt. Sie argumentierte immer: »Mein süßer Kuscheltiger, die Sehnsuchtstage dazwischen halten den Glutstrom unserer Liebe im Fluss und verhindern Alltagstrott. Das musst du doch verstehen.«

Ich verstand und verstehe nichts.

Sie haust mit einer gleichaltrigen Freundin in Garching in einer Wohnung, die deren Eltern gehört. Ich finde Jasmin schrecklich. Nicht wegen ihrer fülligen Figur oder den rot gefärbten kurzen Haaren, sondern des nie stillstehenden Mundwerks wegen. Eine Quasselstrippe hoch drei.

Vergangenen Sonntag zündete Jessica eine Kerze der Hoffnung in mir an. Sie hauchte mir einen Kuss auf den Mund. Sie lächelte und sagte: »Ich fasse einen Umzug Anfang März nächsten Jahres ins Auge. Freust du dich, Liebling?«

Freuen? Ich jubilierte. Total begeistert. Sie strahlte.

Ich stelle das Auto auf dem Parkplatz eines Edeka ab. Mit einem Wägelchen betrete ich den Supermarkt. Ich zücke meinen Einkaufszettel. Ich arbeite ihn ab. Jessica schreibt ebenfalls immer einen Zettel. Meistens vergisst sie ein, zwei Artikel und kauft welche, die nicht auf der Liste stehen. Typisch Frau.

Von der Wursttheke marschiere ich Richtung Kassen. Nach halber Strecke halte ich inne. »Fast vergessen«, murmele ich. Ich kehre zurück. Ich biege rechts in den dritten Gang ein, das heißt, ich will es.

Abrupt stoppe ich. Geschätzte zwei Meter entfernt steht links die Quasseltante Jasmin vor dem Regal. Sie beäugt das Etikett einer Champagnerflasche.

Hoffentlich bemerkt sie mich nicht, denke ich. Behutsam lege ich den Rückwärtsgang ein. Ich fixiere ihr Gesicht. Wie ein Mantra bete ich intern: »Sie darf mich nicht sehen! Sie darf mich nicht sehen! Sie darf mich nicht sehen!« Dieser Satz füllt mein Gehirn komplett. Ich flehe zu Gott, Jesus, Allah, Mohammed, Buddha und allen unbekannten Gottheiten der Erde und der Galaxis: »Sie darf mich nicht sehen!«

Ich intensiviere den Wunsch, die Gebete, das Flehen. Ich will nicht mit inhaltslosen Sätzen zugemüllt werden, nicht unter einem Gebirge von Worthülsen sterben.

Das Verlangen, Betteln, die Beschwörungen überschwemmen mein Gehirn. Ich erstarre zu einem Eisklotz. Umsonst! Vergebens! Erfolglos! Der Rotschopf dreht sich in meine Richtung. Sieh mich nicht! Sieh mich nicht! Sieh mich nicht!

Jasmin schaut mir direkt ins Gesicht. Sie öffnet den pinkfarben geschminkten Mund. Mir droht, in Wogen unerträglichen Geschwafels zu ertrinken. Was geschieht jetzt? Der Quasselmund schließt sich. Die Augen irren umher, finden offenbar nirgends Halt. Die Schwafeltante sieht mich nicht! Sie legt die Flasche in den Einkaufswagen. Sie entfernt sich in die andere Richtung.

Unglaublich. Unfassbar. Unerklärbar. Magie? Zauberei? Ein Wunder? Mir scheißegal. Ich überlebte. Ich warte etwa eine Minute. Entwarnung. Ich schreite zum Regal mit dem Champagner. Immer noch leicht zitternd, lege ich eine Flasche Pommery in den Einkaufswagen.

Zu Hause räume ich automatisch die Champagnerflasche und die verderblichen Lebensmittel in den Kühlschrank. Das Wunder im Markt beschäftigt mich. Das Toilettenpapier trage ich ins Badezimmer. Es liegt am Flur rechts der Diele, neben dem Kinderzimmer und gegenüber dem Schlafzimmer, das an ein Arbeitszimmer anschließt. Ein kleines Duschbad und ein Gästezimmer komplettieren die andere Flurseite.

Ich stelle mich vor eines der beiden Waschbecken. Ich schalte die integrierte Spiegelbeleuchtung ein. Ich mustere den Mann im Spiegel. Der 28-Jährige misst 1,85 Meter. Breitschultrig. Schmalhüftig. Passable Muskulatur. 79 Kilo. Dunkelbraunes Lockenhaar, oft wirr. Faszinierende Augen – behauptet Jessica – das linke rauchblau, das rechte wasserblau. Diese Farbe erbte ich von Mama. Die andere Augenfarbe stammt von meinem Opa väterlicherseits. In seinem Auto prallte der lebenslustige Mann, einen Tag vor seinem 70. Geburtstag, angetrunken gegen eine 200-jährige Eiche. Der Baum überlebte – Opa nicht. Armer Opa. Er hinterließ mir 10.000 Euro. Lieber Opa.

Wegen des Jobs bei Siemens zog ich vor vier Jahren von Emden nach München in eine winzige Mietwohnung. Trotzdem sauteuer.

Ich seufze. »Peter«, sage ich zu dem Spiegelmann, »diesen Zauber der Unsichtbarkeit müssen wir testen, feststellen, ob es sich um eine einmalige Zufälligkeit handelt oder eine ... äh ... Begabung, oder so.«

»Genau«, meint der Spiegeltyp. »Wenn nachher Jessica kommt, benutzt du sie als Testperson.«

Ich lächele. »Prima Idee. Das mach ich.«

Ich wasche die Haare und dusche. Ich putze elektrisch die Zähne. Ich ziehe eine kakifarbene Leinenhose an. Ich schlüpfe in ein grün-weiß kariertes Hemd, das ich über der Hose belasse. Wie immer bleiben die beiden oberen Knöpfe offen. Ich krempele die Ärmel zwei Schläge auf. Ich besprühe die Halsseiten mit Paco Rabanne 1 Million. In der Diele ziehe ich dunkelbraune Mokassins an. Peter Peters marschiert ausgehfertig ins Wohnzimmer.

Ich sehe auf die Armbanduhr, eine schwarze DETOMASO Business Punk mit rotem Ziffernblatt und schwarzrotem Lederarmband. Jessica schenkte sie mir zum diesjährigen Geburtstag. Geliebte Jessica. »Gleich kommt sie«, murmele ich. »Ich bin aufgeregt, angespannt«. Ich sinke in meinen drehbaren Fernseh- und Lesesessel mit hoher Rückenlehne. Ich seufze. Ich drehe mich zur geschlossenen Wohnzimmertür.

Zeit tropft. Ich höre die Haustür. Helligkeit fällt durch den Milchglaseinsatz der Tür. Ich atme durch. Ich fixiere die Tür. Ich konzentriere mich. Schattenhafter Umriss hinter dem Glas. Ich fülle mein Gehirn mit dem Satz, dem Wunsch, dem Befehl: Sieh mich nicht!

Die Tür öffnet sich. Die süße Jessica tritt ein. Sie trägt das Haar zu einem Zopf geflochten – meine Lieblingsfrisur an ihr. Sie schaut direkt zu mir. Sie runzelt die Stirn. Sie schaut sich um. Sie verlässt das Wohnzimmer. Sie lässt die Tür einen Spalt offen.

Ausatmen. Entspannung. Freude. »Gelungener Test«, murmele ich. Jessica ruft meinen Namen. Ich sehe zur Tür. Schatten im Glas.

Jetzt darf sie mich sehen, denke ich intensiv.

Meine Freundin betritt den Raum. Sie stoppt abrupt. Sie reißt die Augen auf. »Großer Gott, Peter!«, stößt sie hervor. »Machst du mich erschrecken! Wo warst du eigentlich vorhin? Hast du dich versteckt?« Ich lächele. »Ich saß hier im Sessel, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Kleiner Scherz.«

Prusten. »Alberner Kerl.«

Ich stehe auf. Ich umarme sie. Ich küsse sie. Sie saugt sich an meinem Mund fest. Wir lösen uns. Wir schauen uns in die Augen. »Ich liebe dich, Jessica«, flüstere ich leicht keuchend. »Tief, sehr, sehr tief.«

Mit Liebe angefüllte Blicke streicheln mein Gesicht. »Ich dich auch, Peter.«

Ich räuspere mich. »Bist du online, Mausi?«

»Ja. Muss nur noch auf die Toilette und die Lippen nachziehen.«

Ich nicke. »Hast du ein Lokal ausgesucht? Du bist ja heute an der Reihe.«

Strahlen. »Ja. Jasmin und ihr neuer Freund haben gestern Abend in der Trattoria Napoli in der Innenstadt gegessen.«

»Du meinst die Pizzeria, die man wochenlang umbaute?«

»Ja. Sie eröffnete vorgestern wieder. Der Besitzer ließ einen Holzbackofen einbauen.«

»Toll!«, rufe ich. »Da schmeckt die Pizza am besten.«

»Genau, Liebling.« Sie rauscht ins Gäste-WC.

Mit meinem Auto fahren wir in die Stadt. Jessicas zwei Jahre alter VW Up schläft vorm Haus.

Zur Feier des erfolgreichen Tests ordere ich einen farbintensiven Barolo Paesi Tuoi Jahrgang 2011. Uns über die Gläser hinweg in die Augen sehend, stoßen wir an. Klasse Wein!

Jessica fabriziert einen verführerischen Augenaufschlag. Sie beugt sich vor. Sie flüstert: »Willst du mich betrunken machen, um mich nachher leichter ins Bett schleppen zu können?«

Ich reiße gespielt entrüstet die Augen auf. »Aber Mausi! Ich bin ein seriöser Mann, etwas Derartiges fällt mir nicht einmal im Traum ein.«

Wir lachen uns an.

Klasse Pizza! Angeregte Unterhaltung. Klasse Abend.

Zu Hause schleppt sie mich ins Schlafzimmer. Die Klamotten segeln davon. Rauschhaftes, glückhaftes, super Liebesspiel.

Verabschiedung gegen 22:45 Uhr in der Diele. Ein süßer Kuss. »Ich sehne den März herbei, Baby«, flüstere ich.

Sie lächelt. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen. Sie haucht mir einen Kuss auf die Nase. »Ich habe beschlossen, bereits am 30. Dezember, das ist ein Freitag, bei dir einzuziehen. Jasmin möchte, dass ihr Lover Anfang Januar zu ihr zieht. Er wohnt noch bei den Eltern.«

Ich jubele. Ein inniger Kuss.

Winkend fährt sie in die Nacht. Wehmütig sehe ich den Rückleuchten hinterher.

Etwa 20 Minuten später liege ich Doppelbett. Ich schnüffele links von mir am Kopfkissen und unter der Bettdecke. Ich atme meine Jessica. Ich schalte die Nachttischlampe aus.

2

Jäh erschrecke ich bis in die Haarspitzen. »Ich gratuliere dir zu dem gelungenen Test, Peter«, wispert eine Stimme im Kopf, eine männliche.

Ich schnappe nach Luft. Ich schnaube. Ich pruste. »Wer bist du? Wo kommst du so plötzlich her? Was machst du in meinem Kopf?«

Kichern. »Ich schlief seit deiner Geburt in einem finsteren Winkel des Gehirns. Die emotionale Wucht der Begegnung mit der Quasselstrippe, das Wunder deiner erflehten Unsichtbarkeit ließ mich erwachen. Jetzt hocke ich in einem hellen Bereich deines Bewusstseins, jederzeit bereit, mit dir zu kommunizieren.«

»Aha, sehr sonderbar«, murmele ich. »Hast du einen Namen?«

Erneutes Kichern. »Ich bin Peter. Ich bin Du.«

»Aha.« Ich grübele. Leise sage ich: »Dann weißt du sicher, wo und warum meine Begabung, das Wunder, genau zum gewünschten Zeitpunkt ausbrach.«

Seufzen. »Keine Ahnung. Das menschliche Gehirn ist ein Wunderwerk der Natur. Es steckt voller Überraschungen und unbekannter Fähigkeiten. Sieh dein Talent als Gabe Gottes oder Naturwunder an. Du solltest es bei passenden Gelegenheiten einsetzen. Kann dir Ärger mit missliebigen Personen ersparen, oder so.«

»Aha.«

Grunzen im Kopf. »Fällt dir sonst nichts dazu ein, als aha zu sagen?«

»Momentan nicht. Ich muss intensiv nachdenken, in welchen Situationen ich mein Talent sinnvoll einsetzen kann.«

»Verstehe.«

»Lass mich jetzt schlafen«, brumme ich. »Muss morgen arbeiten.«

Stille im Kopf.

Ich drehe mich auf die linke Seite. Oma sagte einmal, man solle in dieser Position einschlafen, sei förderlich für die Organe. Ich wälze Überlegungen. Ich schleppe Ideen heran. Ich bastele einen Plan.

Ich träume. Ein für andere Menschen unsichtbarer Peter Peters geistert durch die Stadt. Er ...

Der Wecker reißt mich hoch.

Um 7:20 Uhr betrete ich das Büro; absichtlich eine halbe Stunde später als üblich. Ich setze mich in den Bürosessel und drehe ihn zur Tür. Ich schalte nicht den PC an. Ich warte. Ruhe im Kopf.

Das Stakkato hochhackiger Pumps nähert sich. Es verstummt vor der Tür. Stimmengemurmel. Ich schaue auf die Armbanduhr, 7:27. Konzentration. Ich schieße meinen Befehl ab: Mich nicht sehen! Mich nicht sehen! Mich ...

Die Türklinke bewegt sich nach unten. Sie verharrt mindestens zwei Minuten. Die Schritte der zweiten Person entfernen sich. Die Tür öffnet sich. Die rassige Ferah tritt ein. Sie schaut in meine Richtung. Sie runzelt die Stirn. Sie zuckt mit den Schultern.

Ich jubele intern. Toll! Klasse! Sie sieht mich nicht! Sie wundert sich offenbar, dass ich noch nicht anwesend bin.

Sie wirft die Handtasche auf den Aktenbock vorm Fenster. Sie setzt sich. Sie fährt ihren PC hoch. Sie mustert den Monitor. Sie verdreht die Augen. Sie seufzt.

Ich grinse. Kurz bevor ich gestern das Büro verließ, habe ich ihr zwei Aufträge untergejubelt. Ich darf das. Ich schiele in den Ausschnitt ihrer engen dunkelroten Bluse. Klasse Busen, üppiger als der meiner Jessica.

Ferah ist seit vier Jahren mit einem drei Jahre älteren Türken verheiratet, flirtet aber trotzdem mit anderen Männern – auch mit mir. »Ich weiß, dass du sie gerne einmal vernaschen würdest«, wispert es im Kopf. Ich höre nicht hin.

Sie klickt mit der Maus. Ihr Drucker schnurrt. Sie legt die Blätter ins Eingangskörbchen. Sie seufzt erneut.

Ich verhalte mich vollkommen still. Ich befürchte, dass ein Geräusch von mir den magischen Bann brechen könnte. Ich kontrolliere die Armbanduhr. Ich nicke. Ruhe im Kopf.

Ferah stößt sich mit dem Sessel zurück. »Jetzt koch ich mir erst mal einen anständigen Kaffee«, murmelt sie. Sie erhebt sich. Sie schnappt die blaue Humpentasse vom Aktenbock. Sie stöckelt aus dem Büro.

Ich bewundere ihren strammen Hintern in dem kurzen und verdammt engen dunkelblauen Rock. Ich kontrolliere die Armbanduhr, 7:52 Uhr. Prima. Ich fahre den PC hoch. Ich schalte die beiden Monitore ein. Ich checke die Mails.

Die Tür öffnet sich. Ferah tritt ein. Sie stoppt abrupt. Ein bisschen Kaffee schwappt aus der Tasse. »Verdammter Mist!«, ruft sie. »Jetzt habe ich mir die Finger verbrannt.«

Ich schiele zur Uhr am Monitor, 8:03. Ich lächele. »Das tut mir leid. Soll ich ein wenig blasen?«

Prusten. Sie sieht mir in die Augen. »Wieso kommst du heute so spät? Eine heiße Nacht mit Jessica verbracht?«

Ich lache. »Verrate ich nicht. Ich kam erst 20 nach sieben und lief unserem Chef in die Arme. Er hat mich in sein Büro geschleppt. Er meinte, wir müssen mit den Auswertungen für den Vorstand Gas geben.«

Ferah setzt sich. Sie brummt. »Aha, ich ahne, dass die beiden Aufträge, die du mir geschickt hast, dazu gehören.«

»Genau, Türkenmädel. Wir müssen ranklotzen.«

Sie lächelt mich an. Sie nickt.

Zufriedenheit in mir. Das Wunder meiner gewollten Unsichtbarkeit funktioniert ungefähr eine halbe Stunde. »Oder aber, die Unterbrechung hat es beendet«, bemerkt der Kerl im Kopf.

Um 16:21 Uhr halte ich meine ID-Karte an das Lesegerät am Personaleingang. Das Zeitkonto meldet 8:53 Stunden plus. Tolles Sommerwetter. Ich schlendere zu einem, ungefähr 800 Meter entfernten, Spirituosen- und Weinladen. Ich kaufte in diesem Jahr nur einmal dort, wegen der Preise.

Ein älterer Mann verlässt den Laden. Durch die jetzt offenen gläsernen Schiebetüren trete ich ein. Links steht der Besitzer, ein korpulenter Mann mit Halbglatze, an der Kasse mit dem Warenband. Eine füllige Blondine tippt mit dem Rücken zu mir in das Kartenlesegerät.

Ich fixiere Herrn Bauermanns Kopf. Ich lass mein Wunder los: Sieh mich nicht! Sieh mich nicht! Sieh ...

Der Kerl gibt der Kundin den Kassenbeleg und bedankt sich. Ich, Peter Peters, bin Luft für ihn. Supertoll. Blick auf die Armbanduhr. Freudig erregt eile ich geradeaus. Ich stoppe am rechten zweiten Gang mit den französischen Weinen.

Ein älteres Paar steht vier Schritte weiter vor dem Regal. Ich setze meine Wundergabe ein. Ich trete zwei Meter in den Gang. Der Mann legt sechs Flaschen in einen Korb. Die Frau schnaubt. »Aber Heinrich, wir wollten für das Grillfest morgen nur drei Flaschen kaufen, das reicht dicke, oder wollt ihr Männer euch besaufen?«

Heinrich grunzt. »Kannst du nicht lesen, Hilda? Hier steht, beim Kauf von sechs Flaschen spart man insgesamt drei Euro. Das ist doch sinnvoll, oder? Wein verdirbt ja nicht.« Die Frau seufzt.

Ich schmunzele. Das Ehepaar kommt mir entgegen. Es passiert mich. Null Reaktion. Blick zur Uhr.

Ich stehe vor den Chablis Weinen. Ich checke die Preise. Drei Flaschen des Grand Cru Les Preuses landen in meiner grauen Stofftasche, die ich aus dem Büro mitbrachte. Ich schlendere Richtung Kasse. An der Gangmündung halte ich inne. Ich spähe um die Ecke. Das Ehepaar zahlt gerade.

Zeitkontrolle. Entspannung. Mit Herzklopfen marschiere ich am Besitzer vorbei. Dicht hinter dem Ehepaar trete ich ins Freie.

Durchatmen. Herzruhe. Nervenruhe. Ich spaziere zum Firmenparkplatz zurück. »Tadellos«, lobt der Kerl im Kopf. »Du hast innerhalb weniger Minuten rund 177 Euro verdient. Super Stundenlohn.«

Zu Hause deponiere ich meine Beute im Vorratskeller. Im Weinregal ruhen zwei Flaschen Weißwein vom Lidl zu je 2,99 Euro. Ich freue mich.

Mit einer Flasche Weißbier und einem Weißbierglas setze ich mich in einen der vier kunststoffbespannten Relaxsessel auf der Terrasse. Die gelb-weiß gestreifte Markise kurbelte ich bereits heute Morgen heraus.

Ich schenke fachgerecht ein und hebe das Glas. »Ich trinke auf mein und dein Wohl, Peter Zwei«, murmele ich, »und auf die erfolgreichen Tests. Ich weiß zwar nicht, warum ich über diese Wundergabe verfüge und noch weniger, wie sie funktioniert.« Ich genieße drei Schlucke.

»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, Peter Eins«, sagt der Typ. »Akzeptiere sie als Tatsache und nutze sie sinnvoll.«

Ich winke ab. Ich trinke zwei Schlucke. »Ich habe mir einen Namen für mein Talent ausgedacht, für dieses Wunder. Willst du ihn wissen?«

»Ja.«

»GUb, die Kurzbezeichnung für Gewollte Unsichtbarkeit.«

»Klasse, Peter Eins. Du hast überbordende Fantasie.«

Traumhafter Freitagnachmittag mit meiner Jessica. Sommer satt. Wir speisen in einem Restaurant, natürlich im Freien. Erstklassige Liebesspiele am späten Abend.

Traumhafter Samstag.

Kurzer Liebesakt nach dem Aufwachen am Sonntag. Ich liebe Sex am Morgen, Jessica weniger. Üppiges Frühstück.

Abends kochen wir gemeinsam: Gnocchi mit Tomatensoße und hinein gezupfter scharfer italienscher Salami. Ich reibe echten Parmesankäse. Wir genießen den kostenlosen Chablis. Ein Gedicht. Hinterher brühe ich Espresso in einer der silberfarbenen Kannen. Meine Jessica lobt mich.

Zweites Wunder

1

Montags reserviere ich vom Büro aus im Biergarten Ayinger Bräustüberl, im gleichnamigen Ort, einen Vierertisch für Freitag 18:30 Uhr, wie mit Jessica und Ferah vereinbart. Die Türkin schaut mich an. Die Dunkelaugen funkeln. »Toll, Peter, mein Mann und ich freuen uns. Wir waren noch nie dort, haben aber schon viel Positives über dieses Lokal gehört. Aus Anlass meines Geburtstags am kommenden Sonntag zahle ich dir und deiner Freundin die Getränke.«

Ich lächele sie an. »Danke, Ferah, finde ich toll. Du bist nicht nur hübsch, sondern auch großzügig.«

Sie beugt sich vor. Ich ergötze mich am schwellenden Busenansatz. »Erzähl aber nichts den Kollegen. Am Montag feiere ich ja hier mit der Sippschaft. Ich mag dich sehr gern, Peter. Du bist der netteste Kollege von allen, deswegen möchte ich mich ein bisschen bedanken.«

Ich strahle sie an. »Ich finde dich äußerst sympathisch. Du bist eine tolle Frau mit einer tollen Figur.«

Sie gluckst. »Danke für die Komplimente. Ich bringe aber leider mindestens fünf Kilo zu viel auf die Waage. Mein Hintern ist zu dick.«

Ich recke den rechten Daumen hoch. »Quatsch, Türkenmädel. Ein Traumhintern. Ich finde ihn Weltklasse.«

Sie gurrt. Ein glutvoller Blick. »Danke, du Schmeichler.«

Ich winke ab. Peter Zwei kichert blöde.

Der Sommer arbeitet eifrig weiter, auch am Freitag. Zur vereinbarten Zeit steigen eine top hergerichtete Jessica – mit Zopf – Peter Eins und Peter Zwei in den Fond des dunkelblauen Ford B-Max von Ferah und ihrem Mann Mehmed. Das Türkenmädel sieht super aus. Verführerisch geschminkt. Wohlduftend. Aufregende Klamotten – jedenfalls für meinen Geschmack.

Jessica mustert die Geschlechtsgenossin stirnrunzelnd. Begrüßung mit Handschlag. Wir rollen auf der A 99 südwärts. Kurz vor 18:30 Uhr fahren wir in die 5.100 Einwohner zählende Ortschaft Aying.

Ich erkläre: »Hier stellt die 1878 gegründete Brauerei Aying ein erstklassiges Bier her. Sie beschäftigt 80 Personen. Der Maibaum ist der höchste in Europa. Die erwähnte Brauerei, Biergärten, das Ayinger Zentrum und ein Brauereigasthof sind Anziehungspunkte für Touristen. Südwestlich des Ortes führt durch den Hofoldinger Forst die ehemalige Römerstraße Via Julia, inzwischen ein Radwanderweg mit Schildern und Schautafeln.«

Ferah klatscht in die Hände. Sie dreht sich um. Sie strahlt mich an. »Toll, Peter!«, ruft sie. »Was du nicht alles weißt!«

Meine Jessica verdreht die Augen. Eifersucht? »Klar, Mann«, gibt Peter Zwei seinen Senf dazu. Ich freue mich. Ein bisschen Eifersucht schadet garantiert nicht, im Gegenteil, sie könnte Jessica befeuern – vor allem im Bett.

Wir betreten den Biergarten. Höllenbetrieb. Eine fesche Kellnerin, deren Busen fast aus dem Dirndl hüpft, führt uns zum reservierten Tisch unter einem der ausladenden Kastanienbäume. Die Mädels und ich bestellen Ayinger Bräuweisse, Mehmed, der vorbildliche Moslem, eine Cola und Mineralwasser. Wir studieren die Speisekarten.

Die Muslima Ferah ordert Käsespatzen mit Röstzwiebeln und gemischtem Salat, meine Jessica Schweizer Wurstsalat von der Lyoner mit Käsestreifen und Mehmed Forellenfilet mit zerlassener Butter und Petersilienkartoffeln. Ich gönne mir Schweinebraten in Ayinger Dunkelbiersoße, Kartoffelknödel und Speckkrautsalat.

Prima Essen. Prima Bier. Prima Unterhaltung. Die Türkin wirft mir ab und zu Glutblicke zu – glaube ich jedenfalls.

Ich bestelle ein weiteres Weißbier, das man in nördlicheren Gefilden Weizenbier nennt. Jessica und Ferah trinken Radler. Mehmed schlürft schwarzen Kaffee.

Ich deute auf den Kastanienbaum. »Weiß jemand, warum in Biergärten diese Bäume stehen?«

Allgemeines Stirnrunzeln. Verneinen.

»Früher lag darunter der Bierkeller. Da es noch keine elektrische Kühlung gab, schützte man mit den Bäumen die Fläche vor der Sonneneinstrahlung.«

Ferah lächelt mich an. »Toll, Peter, ich bewundere deine Allgemeinbildung. Von dir kann man immer was lernen.«

Meine Jessica rollt die Augen. Ich freue mich.

Zweimal bewundere ich das erregende Schwingen des strammen Hinterteils des Türkenmädels auf dem Weg zur Toilette.

Zu Hause eile ich ins Gäste-WC. Bier treibt. Erfüllt von Vorfreude, schließe ich die Haustür dreimal ab, schiebe den Riegel vor und aktiviere die Alarmanlage.

Im Schlafzimmer ziehe ich mich aus. Im Badezimmer steht eine nackte Jessica und bürstet das Haar. Wumm! Lust schießt in mir hoch. »Verständlich«, wispert Peter Zwei.

Ich klatsche der Liebsten auf eine samtzarte Pobacke. Ich schaue in den Spiegel. Die Frau darin runzelt die Stirn. Sie sagt: »Ich glaube, deine Kollegin ist scharf auf dich.«

Ich winke lässig ab. Ich küsse Jessica auf eine Schulter. »Blödsinn. Du weißt, dass wir schon über ein Jahr zusammen in einem Büro arbeiten. Noch nie hat sie mit mir geflirtet oder versucht, mich anzumachen. Sie ist schließlich verheiratet und im nächsten Jahr will sie ein Kind.«

Prusten. »Das hält einige Frauen nicht davon ab, einen Kerl, den sie ausprobieren wollen, zu vernaschen.«

Ich küsse ihre Halsschlagader. »Ich bin aber kein Kerl, der sich mir nichts dir nichts vernaschen lässt. Ich liebe nur dich, Baby. Ich will nur dich vernaschen.«

Die Spiegelfrau lächelt mich an.

Wir hüpfen ins Bett – nackt. Heiße Küsse. Brennende Küsse. Gierige Küsse. Im Verlauf des glutvollen Vorspiels lasse ich die Liebste zweimal auf dem Gipfel der Liebeslust jubilieren.

Jäh überfällt mich pure Wollust. Ich schaue in die wunderschönen Augen meiner Jessica. Ich flüstere meinen Lieblingswunsch in ein süßes Öhrchen.

Sie schnaubt. »Aber, Liebling, du weißt doch, dass ich Analverkehr nicht besonders mag. Außerdem hatten wir vor ein paar Wochen welchen.«

Ich pruste. »Aber, Mausi, das war am ersten April, an meinem Geburtstag – und davor letzte Weihnacht.«

Jetzt prustet sie. »Zweimal im Jahr muss dir genügen.«

Wie ein Tsunami überschwemmt der eine Wunsch, die eine Gier, mein Wille nach dieser Sexvariante das Gehirn, füllt es vollständig aus. Ich schieße meine Blicke in ihre Augen. Das Gehirn feuert mehrmals Stakkatos meines Wunsches ab: Mach, was ich will! Mach, was ich will! Mach, was ich will!

Wie reagiert die Liebste? Sie seufzt. Ich staune. Ich kann es nicht glauben. Sie dreht sich auf die linke Seite. Nervenzittern. Gehirnjubel. Herzhüpfen. Sie streckt mir den Pulsbeschleunigerpo hin. Ich streichele ihn. Ich flüstere Liebesworte. Ich schlüpfe behutsam in ihr, mein zweites Paradies der Liebeslust. Traumhaft. Herrlich. Aufpeitschend.

Jessica schnauft. Ich schiebe den linken Arm unter ihrem Oberkörper durch. Ich massiere eine Brust. Jessica atmet schneller. Meine Rechte gleitet zwischen ihre Oberschenkel. Jessica keucht. Jessica windet sich. Jessica hechelt.

Ich taumele durch den Märchengarten, das Arkadien unvergleichlicher Hochgenüsse. Ich zittere. Ich bebe. Ich explodiere. Zu kurz, viel, viel zu kurz.

Die Liebste legt sich auf den Rücken. Ich beuge mich über sie. Ich küsse sie auf den Mund. Ich flüstere: »Hattest du auch deinen Spaß, Mausi?«

Seufzer. »Leider hast du mich viel zu kurz stimuliert, um einen Höhepunkt zu erleben.«

»Oh, das tut mir schrecklich leid, Mausi. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, unmöglich.«

Sie lächelt. Sie küsst mich wild. Sie flüstert: »Mach es mir mit Fingern und Mund.«

Ich erfülle ihren Wunsch. Klasse Abschluss eines Toptages.

Wir legen uns gegenüber. Wir tasten uns mit den Augen ab. Jessica streicht mir durchs Haar. »Ich kann mir nicht erklären, warum mich vorhin urplötzlich der Wunsch nach diesem … äh … Liebesspiel überfiel«, sagt sie leise. »Sehr, sehr merkwürdig. Der Wille füllte mich vollkommen aus, ließ keinen Raum für andere Gedanken.«

Ich küsse sie zärtlich. »Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, Baby. Das menschliche Gehirn ist unergründlich und die Liebe ebenfalls. Schlaf süß.«

»Du auch, Liebling.«

Ich erwache. Ich schiele zum Leuchtwecker, 2:48 Uhr. Ich grübele. »Bist du wach, Peter Zwei?«, frage ich intern.

»Ja.«

»Sag mal, meine Aktion mit Jessica, glaubst du, dass mein Gehirn eine weitere unerklärbare Begabung besitzt?«

»Aber ja doch, deine aufflammende Willensäußerung füllte es vollkommen aus, ließ nicht den geringsten Spielraum für andere Gedanken. Ich bin mächtig erschrocken. Offensichtlich verfügst du über eine zweite Wundergabe. Ein zweites Wunder geschah. Eigenartig. Sonderbar. Unbegreiflich – aber eine Tatsache. Du musst dir sorgfältig überlegen, wie du diese Begabung anwendest. Es handelt sich um ein mächtiges Werkzeug, mit dem du allerlei Schaden anrichten kannst.«

»Das ist mir völlig klar. Bin ja nicht blöde. Ich werde einen Plan ausarbeiten und akribisch Testläufe festlegen. Ich will, muss, werde die Grenzen dieses Wunders ausloten.«

Stille im Kopf. Ich drehe mich um.

Aufwachen. Halb neun. Küsschen. Wir eilen ins Badezimmer. Gemeinsam einen Brunch zubereiten. Genussvoll essen. Gemeinsam einkaufen. Gegen 15:30 Uhr Cappuccino trinken und Kuchen genießen in einem Café in der Stadt. Ausgedehnter Spaziergang. Wir loben den Sommer. Pizza und Rotwein in der Trattoria Napoli. Glückliche Jessica. Glücklicher Peter Eins. Glücklicher Peter Zwei.

Sonntag. Trüb, aber trocken. Warm. Den Tag gestalten wir ähnlich wie gestern – mit einer Ausnahme. Betörender Liebesakt am frühen Nachmittag. Voll befriedigter Peter Eins. Zufriedener Peter Zwei.

Büroalltag am Montagmorgen. Kurz nach zehn schnappe ich meine rote Humpentasse mit dem schwarzen Aufdruck Peter – The Best! Ich marschiere in die komplett ausgestattete Küche. Ich werfe den Wasserkocher an.

Die Tür öffnet sich. Hans-Dieter Petermann tritt ein. Ich runzele die Stirn. Fieberhafte Überlegungen. Der 31-jährige Fettsack grinst mich an und grüßt. Er misst 1,71 Meter. Dünnes hellbraunes Haar. Wässrige Schweinsäuglein. Ich kann den Kerl nicht ausstehen. Das Arschloch versuchte ein paar Mal, Ferah anzubaggern. Natürlich erfolglos. Der Typ sagte oft, er arbeite nur hobbymäßig, um Frauen kennenzulernen. Der Hohlkopf wohnt noch bei seinen stinkreichen Eltern. »Ein Schmarotzer«, kommentiert die Kopfstimme.

Petermann lässt den Automaten einen Milchkaffee zubereiten. Der Wasserkocher schaltet sich ab. Wir unterhalten uns ein bisschen. Ich trete vor den Schmarotzer. Ich schaue in das feiste Gesicht, in die Augen. Mit etwas Magenflattern feuere ich das Mantra meines zweiten Wunders ab: Mach, was ich will! Mach, was ich will! Mach, was ich will! Kurzzeitig zieht ein Schleier durch die kackbraunen Augen.

Ich erkläre mit fester Stimme: »Ich bin ehrenamtlich für eine Organisation zur Betreuung behinderter Kinder tätig. In einem der Kinderheime findet am kommenden Samstag ein Fest statt. Wir brauchen noch ein bisschen Geld. Bitte, spende 200 Euro, Hans-Dieter. Ich werde dich lobend erwähnen.«

Der Kerl runzelt die Stirn. Er – er nickt. Jubel in Gehirn, Herz und Seele. Herr Petermann zückt die Geldbörse. Ein 100er und zwei 50er verschwinden in meiner linken Hosentasche. Ich danke. Der Typ glotzt mich an. Ich nicke. Ich gieße Wasser in meine Tasse mit dem Beutel grünen Tee. Mit Genugtuung kehre ich ins Büro zurück.

»Erstklassiger Test, voll gelungen«, lobt Peter Zwei. »Der Kerl hat nicht eine Sekunde gezögert. Du hattest ihn völlig unter Kontrolle, in deiner Gewalt. Du hättest von ihm verlangen können, aus dem Fenster zu springen.«

»Nein«, sage ich innerlich. »Die Fenster kann man nicht öffnen.« Kichern im Kopf.

In der Mittagspause erhitze ich in der Küche zwei Weißwürste. Ich verputze sie im Büro mit zwei Laugenbrezeln und süßem Senf. Ich trinke Mineralwasser.

Gegen 16:05 Uhr verabschiede ich mich von Ferah. Sie sieht mich lächelnd an. Sehe ich ein gewisses Funkeln in ihren Nachtaugen? Ich beschließe, die Klärung der Frage in die zweite Augustwoche zu verschieben. Jessica fährt donnerstags für vier Tage zu ihren Eltern nach Ulm.

»Aha«, kommentiert der Kerl im Kopf. »Bin echt gespannt, was du an diesen Tagen veranstalten willst oder wirst.«

Ich antworte nicht. Mit der grauen Stofftasche marschiere ich in die Weinhandlung. Freundlich grüße ich den Besitzer. Er grüßt zurück. Er scannt die Getränke einer superschlanken Frau. Ein älteres Paar betritt den Laden. Ich streife durch die Spirituosenabteilung. Ich lege eine Flasche Baileys Original Irish Cream in die Tasche. Jessica trinkt das Zeug gerne.

Ich eile zur Kasse. Ein Mann vom Umfang eines Weinfasses, mit einer ausgebeulten Plastiktasche in der linken Hand, watschelt zum Ausgang.

Herzbibbern. Magendruck. Mein Gehirn füllt sich lückenlos mit der zweiten Wundergabe. Ich gebe dem Besitzer die Flasche. Ich sehe ihn an. Ich lasse das Wunder auf seinen Kopf los: Mach, was ich will! Mach, was ich will! Mach … Keine Reaktion. Er scannt den Einkauf. Er sagt: »9,45 Euro.«

Ich lege die Flasche in die Tasche zurück. Ich reiche ihm einen Zehner. »Geben Sie mir auf 100 Euro heraus«, sage ich leise, aber mit fester Stimme. Ohne Protest zählt er mir 90,55 Euro in die Rechte. Er bedankt sich. Er sagt: »Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen.« Die 55 Cent werfe ich neben der Kasse in die Büchse mit dem Aufdruck eines Tierheimes. Ich eile ins Freie. Magen-, Herz- und Gehirnberuhigung. »Erneut hast du den armen Kerl beschissen«, stellt Peter Zwei fest. Ich brumme. »Ich glaube nicht, dass er verarmt. Ich muss doch mein zweites Wunder testen.« Murmeln im Kopf.

2

Tags darauf finde ich auf meinem Schreibtisch vier belgische Pralinen. Auf dem Zettel darunter steht: Lass sie Dir schmecken. F. Ich freue mich. Ich brühe eine Tasse schwarzen Tee. Ich verputze zwei zusammengelegte Scheiben Mischbrot mit Butter und Bio-Honig.

Ferah rauscht herein. Herzliche Begrüßung. Ich lächele. Ich hebe eine Praline hoch. »Danke, Türkenmädel. Die esse ich sehr gerne.« Ich stecke das Geschenk in den Mund.

Lächeln. »Ich weiß.«

Gegen 15:00 Uhr verlasse ich das Büro. Ich marschiere zur Zweigstelle einer deutschen Großbank. Ich betrete den Schalterraum. Vorm linken Schalter steht eine rothaarige Frau mit Riesenhintern. Keine Kunden vor den beiden anderen Bedienplätzen. Ich trete vor den rechten Schalter. Eine attraktive Frau mit langen schwarzen Haaren lächelt mich an. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

Herzflattern. Magendrücken. Ich schaue ins Dunkel ihrer Augen. Mein Gehirn schießt die zweite Wundergabe in ihr Gehirn: Mach, was ich will! Mach, was ich will! Mach …

Ich schiebe einen 100er, Beutegeld des Arschloches Petermann, unter der Panzerglasscheibe durch. »Bitte geben Sie mir für diesen 200er vier 50er.«

»Gerne.« Sie mustert den Geldschein. Sie dreht sich um. Sie lässt ihn durch das Testgerät laufen. Sie greift in das Fach mit den von mir gewünschten Scheinen. Sie zählt vor: »50, 100, 150, 200.«

Ich bedanke mich. Die Angestellte wendet sich erneut um. Ich stecke das Geld in linke Hosentasche. Ich halte den Atem an. Die Hübsche schiebt den 100er in das Fach mit den 200er. Ich eile aus dem Gebäude. Unbändige Freude glättet Herz und Magen. Erfolgreicher Test.

»Du hast die Bank beschissen«, stellt der Gehirnbewohner fest. Ich schnaube. »Na und? In der Zentrale dieser Bank hocken einige Verbrecher, die das Geld der kleinen Leute verzockten und verzocken. Denk nur an die Finanzkrise, die vor zehn Jahren begann. Ich muss doch die zweite Gottesgabe ausgiebig testen, oder?«

Schweigen.

Voll zufrieden schlendere ich zu einer Parfümerie. Düfte empfangen mich. Drei schöne Verkäuferinnen. Ich mustere die Angebotsvielfalt der Damendüfte. Ich gebe mich unschlüssig. Eine schlanke Blondine mit wippendem Pferdeschwanz eilt herbei. Für meinen Geschmack zu flacher Busen. Lockend rote Lippen. Sie lächelt mich an. »Kann ich Ihnen helfen?«

Ich lächele zurück. »Ich suche ein Parfum für meine Freundin. Sie hat morgen Geburtstag.«

Mit Fachwissen über die Eigenschaften verschiedener Düfte bombardiert sie mich. Sie sprüht einige auf Teststreifen und lässt mich schnuppern. Ich entscheide mich für Guerlain. Hätte ich eh gekauft, Jessicas Lieblingsparfum.

Die Verkäuferin sieht mich an. »Darf ich es als Geschenk verpacken?« Ich mustere die braunen Punkte im Tannengrün ihrer Augen. »Aber gerne, danke.«

Geschickt erledigt die Blondine die Arbeit. Sie reicht mir das von dunkelroter Glanzfolie umhüllte Päckchen. Ich genieße die Berührung einer zarten Hand. »Danke«, säusele ich. »Sie sind eine Expertin.« Sie strahlt.

An der Kasse zahle ich die 94 Euro vom Beutegeld.

Zu Hause stelle ich Flasche und Parfum auf den Esstisch.

Mit superglatt gebügelten Nerven liege ich gegen 22:50 Uhr im Bett. »Also Peter Zwei«, sage ich leise. »Aus welchen Gründen auch immer und ohne zu wissen warum, besitze ich eine weitere Wundergabe. Wieso sie derart plötzlich und erst jetzt auftauchte, ist mir zwar schleierhaft, aber scheißegal. Ich finde sie außerordentlich nützlich.«

»Ja. Du solltest aber sorgsam mit ihr umgehen und vor allem, keine blinde Gier nach Geld entwickeln, das könnte schnell in die Hose gehen.«

»Keine Sorge, mein Freund und Ratgeber, ich werde mir mit dieser Begabung monatlich 300 Euro verschaffen. Sie kommen aufs Sparbuch. Damit werde ich jährlich eine Urlaubsreise mit meiner Jessica finanzieren. Sie wird sich riesig freuen, ich natürlich ebenfalls.«

»Und ich!«, ruft Peter Zwei.

Ich drehe mich auf die linke Seite. »Fast vergessen. Weißt du, wie ich das neue Wunder, einem Menschen meinen Willen aufzuzwingen, seine Handlungen zu bestimmen, sodass er glaubt, aus eigenem Antrieb zu handeln, nenne?«

»Sag es mir.«

»Wilma – willenlos machen.«

»Klasse, Peter Eins. Passt prima.«

Wie üblich an Mittwochen betritt Jessica gegen 17:00 Uhr das Haus. Sie arbeitet in der Stadtverwaltung von Garching. Ein liebevoller Kuss im Wohn-, Esszimmer. Sie duftet betörend.

Sie deutet zum Esstisch. »Was ist das, Liebling? Zwei Geschenke für mich?«

»Ja, Mausi.«

Mausi strahlt. »Einfach so? Ohne Anlass?«

Ich lächele. »Der Anlass ist die Liebe.«

Sie küsst mich zart auf den Mund. »Danke, Liebling. Ich trinke das Zeug gerne.« Sie tritt zum Esstisch und nimmt das Päckchen. »Wie hübsch verpackt. Was ist es?«

»Auspacken und nachsehen.«

Sie entfernt die Folie. Sie schaut mich an. Die Augen strahlen Freude, Glück. »Mein Lieblingsparfum. Bist du Hellseher?«

Süßer Herzschmerz. Ach, wie ich sie liebe! »Ja, Baby.«

Jessica stellt das Parfum auf den Tisch. Sie umarmt mich. Ein glühender Kuss. Peter Peters glüht.

Sie schiebt mich zum Sofa. »Ich werde mich fürstlich bedanken«, flüstert die Verführung. »Da wird Herrn Peters Hören und Sehen vergehen.« Herr Peters freut sich.

Sie reißt mir die Hosen herunter. Sie drückt mich auf zwei Sofakissen. Betont langsam zieht sie Bluse und BH aus. Sie beugt sich zu mir. Ich streichele die Brüste. Ein erregender Kuss. Sie löst sich. Sie wispert: »Ich werde jetzt Peterchen explodieren lassen.«

Ich hechele. Sie setzt sich neben mich. Ihr heißer Mund lässt mich zittern, beben, stöhnen. Peterchen, ich explodiere. Ich sacke zusammen.

Meine süße Jessica richtet sich auf. Sie lächelt. »Wow, Liebling, du warst so schnell wie noch nie.«

Ich lächele. »Die Sehnsucht, die Liebe, deine Liebeskünste ließen Peterchen keine Chance.«

Wir lachen. Wir ziehen uns an. Mit der Handtasche eilt die Liebeskünstlerin ins Gäste-WC.

Wir spazieren in die Innenstadt. Wir speisen und trinken Weißbier im Gasthof Zur Mühle. Ich zahle bar – vom eroberten Geld.

Zu Hause sieht mich die Liebste an. Glitzersterne in den Augen. »Jetzt will ich explodieren«, flüstert sie. Wir stürmen ins Schlafzimmer. Berauschender, sinnenbetäubender, fetziger Ausklang dieses glückhaften Tages.

Ich bin wunschlos glücklich. »Ich ebenfalls«, gibt Peter Zwei seinen Senf dazu.

Mittwoch, 9. August. Nach drei Tagen Ruhepause kehrt der Sommer zurück. Jessica trudelt kurz vor 18:30 Uhr ein. Ein süßer Kuss. »Puh!«, sagt sie. »Koffer packen ist anstrengend. Hoffentlich habe ich alles dabei.«

Ich winke ab. »Du reist ja nicht in die Sahara. In Ulm kannst du Vergessenes kaufen. Wann fährst du morgen los?«

»Wie abgemacht, mit dir. Du willst ja erst später ins Büro, damit ich nicht so unverschämt früh aufstehen muss.«

Ich nicke. »Wir werden gemütlich frühstücken. Ich habe rund zehn Stunden auf dem Zeitkonto.«

Ein zärtlicher Kuss. Abendessen in einem Landgasthof. Liebevoller, beglückender, voll befriedigender Abschied in meinem Bett.

Anderntags verabschieden wir uns in der Diele. Küsse. Liebesgeflüster. Ich begleite die Liebste zum Auto. Ich winke wie ein Verrückter hinter ihr her.

Um 8:20 Uhr betrete ich das Büro. Ferah grinst. »Oh, oh, verpennt oder eine heiße Liebesnacht?«

Ich winke ab. »Weder noch.« Ich schildere Jessicas Kurzurlaub bei den Eltern.

Die Türkin schaut mich an. Unbestimmbares Schillern in Nachtaugen.

Ich fahre den PC hoch. Ich arbeite konzentriert.

Kurz nach zwölf rolle ich mit dem Bürosessel zurück. Ich stehe auf. Ich strecke mich. Ich sehe die Kollegin an. »Kommst du mit ins Kasino?«

Sie seufzt. »Ich bleibe hier. Esse Müsli und Obst. Muss abspecken. Mehmed beschwerte sich letztes Wochenende.«

Ich verdrehe die Augen. Im Kasino wähle ich warmen Leberkäse und zwei Laugenbrezeln. Ich trinke eine Cola, Zucker hin oder her.

Um 13:30 Uhr gähne ich. Ich erhebe mich. Ich lächele Ferah an. »Ich hol mir ein Wasser. Soll ich dir eins mitbringen?«

Liebliches Lächeln. »Meines ist alle, habe vergessen, welches zu kaufen.«

»Ich habe noch zwei Flaschen im Kühlschrank. Ich spendiere dir eine.«

Minuten später reiche ich Ferah eine Flasche. Unsere Finger berühren sich. Elektrisches Kribbeln bis in die Zehenspitzen. Sie schaut mich an. Mein Gehirn leert sich und – füllt sich rasant mit Wilma. Peter Peters lässt die Wunderwaffe los. Sehe ich im Meer ihrer Augen unerklärbare Bewegungen, Reaktionen? »Ja«, meint Peter Zwei. »Ihr Gehirn, ihr Wille, sie gehört dir.«

Ich werfe mich in den Sessel. Ich ordne Papiere auf dem Schreibtisch. Ab und zu beobachte ich meine Beute. Sie arbeitet normal weiter. Test gelungen. Ich will wissen, wie sich ein von mir gelenktes Gehirn, ein Mensch verhält, wenn ich ihm keine Befehle gebe oder Wünsche äußere. Vor allem interessiert mich, wie lange die Beeinflussung andauert.

Ich warte mindestens eine Viertelstunde. Ich räuspere mich. Ferah sieht hoch, mir in die Augen. Ich lächele und beuge mich vor. »Äh … Türkenmädel, heute ist Donnerstag. An diesen Tagen triffst du dich doch immer mit einer Freundin, oder?«

Blitzende Augenteiche. »Ja, Peter, warum fragst du?«

Normales Verhalten. Ich freue mich. »Sag der Freundin wegen Migräne ab. Nach Feierabend fährst du hinter mir her zu meinem Haus. Wir trinken etwas und unterhalten uns. Anschließend lade ich dich zum Essen ein.«

Wellen und Blitze im Augenozean. »O ja, gerne. Danke. Ich rufe Julia um drei an. Wann wollen wir aufbrechen?«

»Um halb vier. Du brauchst dich hier nicht zu rangieren. Das kannst du in meinem Badezimmer erledigen.«

Nicken. »Prima Idee. Ich freue mich.«

Peter Peters freut sich unbändig. Nervensirren. Gehirnjubel. Herztänzchen. »Aha, da läuft der Hase«, bemerkt die Kopfstimme. »Du willst also …«

Der Kerl nervt manchmal. »Klappe halten bis morgen früh!«, befehle ich. Stille im Kopf.

Zur vereinbarten Zeit sage ich zu Ferah: »Geh vor und warte auf dem Parkplatz. Ich rufe noch Jessica an.«

Sie lächelt. Sie nickt. Sie verlässt den Raum. Ich plaudere ein paar Minuten mit der Liebsten. Abschließend bemerke ich: »Ich rufe heute nicht mehr an, Mausi. Fahre gleich mit zwei Kollegen in die Stadt. Vermutlich werde ich erst gegen elf zu Hause eintrudeln. Ich liebe dich.«

Sie beteuert ebenfalls ihre Liebe und meint, ich solle nicht zu viel trinken. Ich beruhige sie.

Kurz nach 16 Uhr sitzen Ferah und ich auf dem Sofa. Wir stoßen mit dem Champagner an, den ich am Tag des ersten Wunders kaufte. Wir sehen uns in die Augen. Wir plaudern. Wir leeren die Gläser. Ich schenke nach. Wir trinken. Ich nehme ihr das Glas aus der Hand und stelle es mit meinem ab. Ich beuge mich zu ihr. Ich küsse sie zart auf den Mund. Ich flüstere: »Küss mich leidenschaftlich, wild, gierig.«

Keine aufgerissenen Augen. Keine Ohrfeige. Null Proteste. Null Zögern. Sie umarmt mich. Brennende Lippen. Heißes Zungenschlängeln. Kochendes Gehirn. Ich streichele den Busen. Ich löse mich. Ich packe sie an einer Hand. »Komm mit«, sage ich mit rauer Stimme. Wir eilen ins Schlafzimmer. »Ausziehen«, ordne ich an. Prompte Ausführung.

Ich hechele. Welch ein Körper! Zarter Braunton. Üppige und doch feste Brüste. Glatter Bauch, nur leicht gewölbt. Haarlose Scham. »Dreh dich langsam im Kreis«, krächze ich. Das Objekt meiner Begierde hebt die Arme und gehorcht. O Gott, o Gott, der Hintern! Im Gehirn fliegen sämtliche Sicherungen raus. Mit den Augen taste ich jeden Quadratzentimeter der Sünde in Frauengestalt ab. Meine Klamotten segeln davon. Ich werfe eine Bettdecke zurück.

Ich lege mich ins Bett. »Über mich knien«, sage ich leise. »Ich will deine Köstlichkeiten bewundern.« Sekunden später – Herzhüpfen, Gehirnschwindel, Nerventanzen. Der Anblick der Gärten der Lüste raubt mir den Atem. Ich kann mich nicht sattsehen. Ein paar Minuten verwöhne ich die Köstlichkeiten mit dem Mund. Blutdruck und Puls jagen zum Mars.

Ich krieche unter Ferah hervor. »Schön so knien bleiben.« Meine Stimme? Wie mit Sandpapier geschmirgelt. Aus dem Nachttisch nehme ich die Tube Gleitcreme.

Mein, seit mindestens einem Jahr gehegter, Wunschtraum erfüllt sich. Ich erfülle ihn mir. Peterchen und ich beginnen mit gemächlicher Wanderung im Lusttempel Nummer Zwei. Nicht der Hauch eines Protestes. Göttliches zweites Wunder. Weltklasse! Elysäischer Genuss. »Mach aktiv mit, spule das volle Programm ab«, verlange ich.

Wie reagiert Ferah? Versiert. Leidenschaft, Glut, Gier füllen mich. Jubelarien in Gehirn, Herz, der Seele. Rauschhaft. Betäubender, intensiver, schärfer als mit Jessica. Genuss pur. Leider zu glutvoll, zu genussvoll, zu scharf. Die bebende, zuckende, leise schreiende Frau lässt mich in einem Orkan der Wollust explodieren. Jammerschade. Warum nur so kurz? Ich seufze.

Meine Lustgespielin plumpst auf den Bauch. Wir legen uns gegenüber. Ich streiche ihr übers Haar. Ich küsse sie zärtlich. »Hat es dir auch Spaß gemacht?«, will ich wissen.

Glänzende Augen. »O ja«, flüstert das Testobjekt. »Hätte ich nicht gedacht. Mehmed lasse ich da nur selten ran. Er agiert so ungestüm.« Ich lächele. Noch immer hält das Wunder an. Ich küsse die Brüste. Ich schaue in Ferahs Augennacht. »Auf, Türkenmädel. Wir machen uns ausgehfertig. Mein Magen rumort.«

Liebliches Lächeln. »Meiner auch.«

Gemeinsames Duschen. Kein Problem in der ebenerdigen und großzügig bemessenen Kabine. Ich ließ sie direkt nach dem Einzug einbauen.

Im Wohnzimmer leeren wir die Champagnerflasche.

Ich kutschiere uns Richtung Norden, nach Neufahrn. Wir speisen in einem Restaurant, das ich erst einmal besuchte. Angenehme Unterhaltung. Ferah ist intelligent, belesen.

Wir fahren zurück. Ich dirigiere sie ins Schlafzimmer. Null Weigerung. Ich freue mich unbändig. Ich entblättere sie. Ich werfe meine Klamotten auf den Fußboden. Ich drücke sie in Rückenlage aufs Bett. Ich nehme sie in die Arme. »Küss mich, bis ich schmelze«, fordere ich. Sie lässt mich schmelzen.

Ich stopfe die Kopfkissen unter den Traumhintern. »Die zweite Genussrunde steht an«, sage ich mit heiserer Stimme. »Genieße mich.« Kein Widerstand. Vergnügungsrunde im heißen Lustgarten Nummer Eins. Köstlich. Himmlisch. Paradiesisch.

Ein paar Minuten später beende ich das Vorspiel. Ich fiebere. Zweiter Akt im zweiten Liebesgarten. »Lass dich ebenfalls fliegen«, fordere ich. Sie – sie nickt. Hochstimmung in mir.

Diesmal zügele ich Peterchen. Ich aale mich im Universum purer Hochgenüsse. Wie lange? Keine Ahnung.

Wimmernde, quiekende, schreiende Ferah. Der Tsunami der Wollust überschwemmt mich. Top Befriedigung. Traumhaft.

Ich werfe mich auf den Rücken. Ich schiele zum Wecker, 21:34 Uhr. »Wann musst du zu Hause eintrudeln, Türkenmädel?«

»Spätestens um zehn. Ich will noch duschen. Mehmed kommt donnerstags gegen halb elf heim.«

Ich nicke. »Schaffst du locker.« Sie wohnt nur ein paar Fahrminuten von hier in Unterföhring.

Wir verlassen das Bett. Sie kleidet sich an. Ich schlüpfe in Unterhose und Bademantel. In der Diele umarme ich Ferah. Ich küsse sie innig, das heißt, ich will es. Sie drückt mich weg. »Nicht doch, Peter«, sagt sie mit fester Stimme. »Wir hatten tollen Sex – und auch noch zweimal – obwohl ich eigentlich nicht wollte. Keine Ahnung, warum mich plötzlich derartige Gier überfiel. Echt rätselhaft.«

Ich nicke. »Ja, äußerst merkwürdig.«

»Ende der Wirkung des Wunders«, wispert Peter Zwei.

Sie sieht mir in die Augen. »Es hat Spaß gemacht, aber jetzt ist es vorbei. Ich will auf keinen Fall eine Wiederholung. Ich habe meinen Mann noch nie betrogen und werde es auch nie mehr tun. Bitte sei mir nicht böse. Ich mag dich sehr, aber zukünftig wird sich nichts Derartiges mehr abspielen. Das verstehst du doch, oder?«

»Klar, Türkenmädel. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich heute geritten hat. Es überkam mich einfach. Tut mir leid, dass ich dich dazu animiert habe. Kommt nicht mehr vor. Versprochen. Ich liebe Jessica.«

Ferah lächelt und nickt. »Vergessen wir es.« Sie haucht mir einen Kuss auf eine Wange. »Gute Nacht, Peter, bis morgen.«

»Dir ebenfalls.« Sie eilt aus dem Haus.

Ich stelle die Champagnergläser in die Spülmaschine. Mit einem Glas Mineralwasser setze ich mich aufs Sofa. Ich trinke zwei Schlucke. »Also, Peter Zwei«, murmele ich. »Lass uns ein Resümee ziehen. Das zweite Wunder funktionierte auch heute tadellos, voll befriedigend …«

»Im wahrsten Sinne des Wortes.«

»Unterbrich mich nicht«, rüge ich. »Die Beeinflussung wirkte rund sieben Stunden und 50 Minuten. Großartig. Eröffnet mir ungeahnte Möglichkeiten. Muss intensiv nachdenken und planen, wie ich diese Wundergabe zu meinen Gunsten weiterhin einsetze.«

»Da bin ich mal echt gespannt.«

Drittes Wunder

1

Der Freitag im Büro verläuft wie üblich. Ab und zu sehen Ferah und ich uns an und lächeln. Null Anspielungen auf den gestrigen Tag.

Die Kollegin verabschiedet sich kurz vor 15 Uhr. »Mein Mann und ich fahren nachher in die Innenstadt«, sagt sie. »Wir werden uns einen schönen Nachmittag und Abend machen.«

»Dann viel Spaß, Türkenmädel.«

Lächeln. »Danke, haben wir garantiert.« Sie stolziert aus dem Raum – mit aufregendem Drehen des Traumhinterns.

Ich schmunzele. Lustflämmchen im Gehirn. »Du willst dich doch nicht demnächst erneut mit ihr vergnügen, oder?«, nervt mein Zwilling.

Ich zucke mit den Schultern. »Warum denn nicht? Du hast es garantiert ebenfalls genossen, oder etwa nicht?«

»Ja. Hast du es vergessen? Ich bin du und du bist ich.«

»Na also. Ich plane, das Türkenmädel alle zwei, drei Monate an einem Donnerstag zu vernaschen.«

»Wie du meinst. Achte aber darauf, dass Jessica nichts spitzkriegt. Du willst sie doch nicht verlieren, oder?«

»Auf gar keinen Fall. Du weißt ja, dass ich sie echt und innig liebe.« Brummen im Kopf.

Bis 17:40 Uhr bastele ich ein schwieriges Programm zu Ende. Habe ja Zeit. Außerdem erhöhe ich mein Zeitguthaben. Da wird am Montag der Chef staunen.

In Ismaning marschiere ich in die Buchhandlung. Ein ehemaliger Schulfreund, der seit einem Jahr im Saarland lebt, empfahl mir kürzlich einen Roman eines saarländischen Autors. Letzten Mittwoch bestellte ich das Buch. Natürlich informierte ich mich vorher im Internet über den Autor und seine Werke. Ich mustere das Taschenbuch. Tolles Cover. Es handelt sich um einen Thriller vom Leben nach dem Leben mit dem unkonventionellen Titel: Ich. Ein. Toter. Erzählt.

Ich schlendere ein bisschen durch die Innenstadt. In einem Bioladen kaufe ich sechs Eier. Zu Hause rufe ich Jessica an. Plaudern und Liebesgeflüster. Ich bastele mir Bratkartoffeln mit drei Rühreiern und Bohnensalat. Am kleinen Tisch in der Küche verputze ich die Mahlzeit mit einem Weißbier.

Ich verstaue das Geschirr in der Spülmaschine und starte sie. Mit einer Halbliterflasche Mineralwasser betrete ich das Wohnzimmer. Ich werfe einen Blick zur Wand hinter dem Esstisch. Ich seufze. Dort hängt in einem silberfarbenen Holzrahmen ein Ölgemälde im Querformat 50 mal 30 Zentimeter. Das Bild zeigt ein schwarzes Pferd mit weißer Stirn, das den Kopf nach hinten wendet und eine rote Katze auf seinem Rücken beäugt.

Das Gemälde gehört Jessica. Ihre Oma schenkte es ihr zum 13. Geburtstag. Meine Freundin liebt Pferde und Katzen. An ihrem 25. Geburtstag Anfang Februar bohrte ich ein Loch in die Wand, steckte einen Dübel hinein und drehte einen Haken ein, leider einen mit rechteckigem Schaft. Der Rahmen besitzt einen halbrunden Aufhänger. Fast täglich hängt das Bild ein bisschen schief, einmal nach links, einmal nach rechts. Fast täglich rücke ich es gerade.

Heute hängt es nach links. »Vielleicht gibt es einen Geist im Haus, der dich ärgern will«, sagt Peter Zwei. Ich ignoriere ihn. Ich stelle die Wasserflasche auf den Tisch. Ich fluche. Ich stemme die Arme in die Hüften. Ich fixiere das ungehorsame Bild. Ich sage laut: »Jetzt hör mal zu, du blödes Ding. Wenn du dich selbst schief hängen kannst, dann wirst du dich auch wieder selbstständig gerade hängen können. Ich befehle dir: Häng dich gerade!«

Ich falle in Ohnmacht – fast. Das Gemälde nimmt die von mir befohlene Position ein. »Nicht zu fassen«, kommentiert mein Zwilling. »Du kannst dem Hausgeist Befehle erteilen.«

Ich erhole mich. Ich schüttele mich. »Red keinen Quatsch. Es gibt keine Geister – außer dir. Reiner Zufall, dass sich das Ding ausgerechnet jetzt bewegte.«

Kichern im Kopf. »Ich schlage vor, du befiehlst dem Geist, das Bild schräg nach rechts zu hängen.«

Ich pruste. »Schön, sieht mich ja niemand. Danach wissen wir mehr.« Ich räuspere mich. Ich starre das Gemälde an. Konzentration. Leise, aber mit fester Stimme, sage ich: »Rahmen, hänge nach rechts!«

Die Welt des logisch denkenden Softwareentwicklers Peter Peters steht still. Das Bild – es gehorcht. Ein Wunder? »Großer Gott!«, ruft mein Alter Ego. »Du verfügst über ein drittes Wunder, die Wundergabe der Teleportation. Großartig, fantastisch, unglaublich.«

Die Welt des logisch denkenden Softwareentwicklers Peter Peters dreht sich wieder. Tiefes Ein- und Ausatmen. Ich nicke. »Ich las in Zeitschriften und sah im Fernsehen Berichte von Menschen, die kraft ihres Geistes oder Willens Gegenstände bewegen können.«

»Genau, mein Lieber, du solltest weitere Tests machen.«

Ich schnaube. Ich nicke. Ich fixiere die Wasserflasche. Tunnelblick. Ich dränge meine Gedanken an den Rand des Gehirns. Ein einziger Befehl füllt es aus. Ich flüstere: »Flasche, fall um!«

Ich reiße die Augen auf. Die Flasche fällt um. Ich keuche. Ich freue mich maßlos. Ich finde Geschmack an meinem Talent. Ich konzentriere mich auf die Kristallvase, die mitten auf dem Tisch steht. In ihr dämmern neun gelbe Tulpen, Jessicas Lieblingsblumen, dem Tod entgegen. Tiefes Einatmen. Konzentration. Ich wispere kaum hörbar: »Vase, bewege dich bis an den Rand des Tisches!«

Ich wanke. Mein Testobjekt schiebt sich, trotz Tischdecke, bis exakt an den Tischrand. Unfassbar. Unerklärbar. Unlogisch. Ich, Peter Peters, nenne ein drittes echtes Wunder mein Eigen. Ich bin ein Glückspilz, der Glückspilz.

»Genau«, kommentiert der Gehirnmitbewohner. Er fährt fort: »Beim nächsten Test befiehlst du dem Objekt nicht laut, sondern formulierst die Worte nur im Kopf. Mal sehen, ob das auch funktioniert.«

»Klasse Idee, Kumpel. Ich dehne das Experiment sogar noch etwas aus.« Ich drehe mich ein wenig Richtung Terrassentür, sodass Ess- und Wohnzimmertisch im Blickfeld liegen. Ich wende den Kopf der Flasche zu. Tiefes Ein- und Ausatmen. Ich leere mein Gehirn. Ich fülle es mit dem einzigen Wunsch, Befehl, den ich intern artikuliere: Flasche, fliege zum Wohnzimmertisch und lege dich darauf.

Ich traue den Augen nicht. Die Wasserflasche schwebt flott zum verlangten Ziel. Sie legt sich auf den Tisch. Sie rollt ein bisschen hin und her. Ich jubele. Grandioser Erfolg. Peter Zwei lobt mich. Ich verfalle einem Wunderrausch.

Ich drehe mich Richtung Wohnzimmertisch. Hörbares Atmen. Ich fixiere die flugfähige Flasche. Volle Konzentration. Mein Gehirn befiehlt: Flasche, fliege sofort zu mir!

Sie – sie saust auf mich zu. Ich schnappe sie im Flug. Begeisterung füllt mich. Ich tanze durchs Wohnzimmer. Ich öffne die Gehorsame. Ich trinke gierig. Ich verschließe sie. Ich stelle sie auf den Wohnzimmertisch. »Phänomenal, Peter Zwei«, rufe ich. »Diese dritte Wundergabe kann mir eventuell das Leben retten. Falls einmal ein Verbrecher eine Pistole auf mich richtet, werde ich sie ihm lautlos entreißen, in meine Hand sausen lassen und dem Arschloch die Eier wegschießen. Fantastisch! Brillant! Genial!«

»Weltklasse!«, kommentiert der Zwilling.

Ich werfe mich in den verstellbaren Fernsehsessel. Ich schnappe das Taschenbuch und beginne zu lesen. »Toller Anfang«, bemerkt der Kerl im Kopf.

Nach drei Seiten klappe ich das Buch zu. »Ich kann mich nicht konzentrieren«, brumme ich. »Das neue Wunder beschäftigt mich unaufhörlich. Ich werde es abgekürzt Telpo nennen.« Ich grinse.

Wortlos befehle ich dem Getränk, in meine Hand zu schweben. Tadellos. Ich trinke. Ich stelle die Flasche zurück. Ich erteile der Fernbedienung den gleichen Befehl. Prompte Ausführung. Ich schalte die Nachrichten ein. Das Übliche: Verbrechen, Unruhen, ein Verkehrsunfall, Geschwafel von Politikern.

Ich sehe mir einen Krimi an. Ich bekomme die Handlung nur teilweise mit. Dämmerung greift ins Zimmer. Ich schalte die LED-Stehleuchte ein.

»Willst du nicht noch ein bisschen lesen?«, fragt der nervige Typ im Kopf.

Ich winke ab. »Nein. Ich lese morgen den ganzen Tag. Es soll ja wettermäßig scheußlich werden, wie so oft an den Wochenenden.« Der Kerl brummt vor sich hin.

Ich schaue in den Garten. Die Nacht schleicht heran. Ich erhebe mich. Ich gähne. »Ich bin hundemüde, Peterling«, murmele ich. »Vielleicht braucht mein Gehirn nach den anstrengenden Tätigkeiten Ruhe.«

»Kann sein.«

Ich leere die Flasche. Ich trete an die Terrassentür. Die linke Hand greift nach dem Drehschalter des elektrischen Rollladens. Ich halte inne. Ich lächele. Konzentration. Lautloser Befehl: Dreh dich nach rechts!

Er gehorcht. Der Rollladen senkt sich ab. Ich lasse den Schalter in die Ausgangsposition zurückkehren. Ich wende mich um. Ich fixiere den 4,60 Meter entfernten Drehschalter des Rollladens des Doppelfensters. Prompte Arbeit. Ich freue mich maßlos. Ich rufe: »Ich, Peter Peters, bin der fähigste Zauberer der Welt. Ein echter Magier, der keinerlei Tricks braucht.«

Räuspern im Kopf. »Du bist ein Mutant, Peter Eins, und gleichzeitig ein Doppelwesen.«

Ich runzele die Stirn. »Ja. Ich entsinne mich an ein paar Science-Fiction-Romane. Dort las ich von Männern und Frauen, die über die gleichen Fähigkeiten wie ich verfügten, über alle drei Wunder.«

In der Küche werfe ich die leere Plastikflasche in die vorgesehene Stofftasche. Ich senke den Rollladen zu 80 Prozent ab. Ich räume die Spülmaschine aus. Mit einem halb gefüllten Glas Wasser marschiere ich ins Schlafzimmer. Auch hier schließe ich den Rollladen nicht vollständig. Die beiden Flügel des Fensters bringe ich in Kippstellung. Im Badezimmer verrichte ich die üblichen Tätigkeiten.

Die Schlafzimmertür lasse ich einen Spalt offen. Ich lege mich ins Bett. Den Weckalarm aktiviere ich nicht. Ich schnuppere an Jessicas Kopfkissen. »Mist«, brumme ich. »Ferahs Parfum. Ich muss das Ding morgen frisch beziehen.« Ich schalte die Nachttischleuchte aus und lege mich wie immer auf die linke Seite.

Wirre Träume, in denen ich, Peter Peters, Wundertaten zum Wohl der Menschheit vollbringe.

2

Ich erwache. Ich lasse die Augen geschlossen. Kühle umweht meine nackten Beine. Ich seufze. Ich taste nach der Bettdecke. Nichts. Ich öffne die Augen. Ich erschrecke bis ins letzte Atom. Ich reiße die Augen auf. Ich stöhne.

Ich … ich sitze. Ich sitze auf einem der beiden Stühle in der Küche!!! Keinerlei Zweifel. Eine Tatsache. Unumstößlich. Das Licht einer Straßenlaterne beleuchtet durch die Lücke des nicht komplett abgesenkten Rollladens das unwirkliche Szenarium.

»Peter Zwei«, wispere ich. »Wie komme ich hierher? Bin … bin ich ein Schlafwandler?«

»Keine Ahnung. Bin mit dir aufgewacht. Äh … eine Wanderung im Schlaf halte ich für möglich. Gibt Menschen, die darunter leiden.«

Ich fluche. Mit einer Zitterhand deute ich auf die Küchentür. »Ich … ich habe diese Tür beim Verlassen der Küche geschlossen. Sie ist immer noch zu. Ich glaube, Schlafwandler lassen die Türen offen, oder?«

»Keine Ahnung. Informiere dich morgen im Internet.«

Ich schiele zur Digitaluhr am Herd. »2:19 Uhr. Ich mach das jetzt. Muss der Sache auf den Grund gehen, kann sonst garantiert nicht einschlafen.«

Im Kühlschrank schnappe ich eine Flasche Pils. »Brauche ich jetzt«, murmele ich. Ich wanke ins Wohnzimmer. Ich schalte die Esszimmerlampe ein. Mit dem Laptop setze ich mich an den Esstisch. Ich wühle im Internet. Ich vertiefe mich in Artikel über den Somnambulismus, wie man das sogenannte Schlafwandeln korrekt bezeichnet.

Ich leere die Flasche. Ich lehne mich zurück. Ich weiß nicht, ob ich unter dieser Störung leide. Schlafwandler können Türen öffnen, sogar Auto fahren und essen. Aber schließen sie auch die Türen wieder? Darüber fand ich keine Aussagen. Ich seufze. Ich fahre den Laptop herunter. Ich lösche das Licht. Ich stelle die leere Flasche auf eine Arbeitsfläche in der Küche. Ich schalte die Beleuchtung des Flures zum Schlafzimmer ein. Vor dessen Tür stoppe ich abrupt. »Mir scheint, der Spalt weist exakt die gleiche Breite auf, wie ich sie beim Zubettgehen zurückließ«, wispere ich. »Sehr merkwürdig.«

Ich vertreibe Misslaune, Zweifel und Ängste. Ich werfe mich ins Bett. Quälendes Einschlafen. Unruhiger Schlaf.

Ich erwache. Blick zum Wecker, 8:39 Uhr. Ich lausche. Regenplätschern. »Scheißwetter«, murmele ich. Ich krieche aus dem Bett. Ich lasse den Rollladen hochfahren – ohne Wundergabe. Ich öffne einen Fensterflügel. Ich tappe ins Badezimmer.

Ich frühstücke. Ich räume auf. Ich sauge die Fußböden. Ich säubere das Badezimmer. Unter grauem Himmel fahre ich zum Edeka. Ich sehne meine Jessica herbei.

Später schlendere ich in der Innenstadt zu einer Imbissbude. Kein Regen mehr. Ich kaufe eine weiße Bratwurst. Ich streife Senf darauf. Ich stelle mich an einen der Stehtische unter der Überdachung neben der Bude. Ich genieße drei Bissen. Am Nachbartisch trinkt ein dicklicher Mann mittleren Alters eine Cola aus der Flasche. Zwei leere Pappbehälter zeugen von einer verzehrten Currywurst mit Pommes frites. Ich fluche innerlich. Der Kerl qualmt eine Zigarre. Stinkende Rauchschwaden hüllen mich ein. Ich fixiere das störende Objekt. Ich lasse mein Wunder Telpo los. Die Zigarre flutscht aus der Hand des Luftverpesters. In elegantem Bogen segelt sie davon und landet, wie von mir gewünscht, in einer Wasserpfütze. Interner Jubel.

Der Idiot starrt. Er grunzt. »Verdammte Scheiße!«, knurrt er. »Was ist denn jetzt los? Wie konnte das geschehen? Fünf Euro im Arsch.« Er betrachtet seine rechte Hand. Er flucht.

Peter Zwei lobt mich. Das nächtliche Ereignis hockt still in einer Gehirnecke. Ich fahre nach Hause. Im Keller fülle ich die Waschmaschine. Ich räume den Trockner aus. Ich verstaue dessen Inhalt im Schlafzimmerschrank und in einer Kommode. Ich beziehe Jessicas Kissen frisch.

Ich rufe die Liebste an. Wir plaudern. Abschließend sagt sie: »Morgen fahre ich um drei los und komme direkt zu dir. Ich sehne mich nach dir und – einer Pizza aus dem Holzofen.«

Ich freue mich. Telefonische Küsse.

Mit einem Glas Wasser setze ich mich in den Fernsehsessel. Ich schaue in den Garten. Nieselregen. Ich schnappe das Buch. Ich lese und lese und lese, versinke in der Welt des Romans. »Faszinierend«, gibt der Zwilling seinen Senf dazu. »Da will man gar nicht mehr aufhören.« Ich stimme zu.

In der ARD verfolge ich die Sportschau.