Ich heiße nicht Miriam - Majgull Axelsson - E-Book
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Ich heiße nicht Miriam E-Book

Majgull Axelsson

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Beschreibung

An ihrem 85. Geburtstag bekommt Miriam Guldberg von ihrer Familie einen silbernen Armreif geschenkt, in den ihr Name eingraviert ist. Beim Anblick entfährt ihr der Satz: "Ich heiße nicht Miriam". Niemand in ihrer Familie kennt die Wahrheit über sie. Niemand in ihrer Familie ahnt etwas von ihren Wurzeln. Doch an diesem Tag lassen sich die Erinnerungen nicht länger zurückhalten, und sie erzählt zum ersten Mal von ihrem Leben als Roma unter den Nazis, im KZ und als vermeintliche Jüdin in Schweden.

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Seitenzahl: 693

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Das Buch

Wie fühlt sich nackte Angst ums Überleben an? Wie ist es, sein Leben lang verfolgt zu werden? Wie kann man als Ausgestoßene einen Platz in der Gesellschaft finden? Und wie kann man den Menschen je wieder vertrauen, wenn sie zu so grausamen Taten in der Lage sind?

Majgull Axelsson erzählt die Geschichte von Miriam, die einst Roma war und dann Jüdin wurde und bis ins tiefe Alter an ihrer Lebenslüge festhielt aus Angst davor, verstoßen zu werden.

Ein intensives Buch über das Recht des Stärkeren, den unbedingten Willen zu überleben, Liebe, Vertrauen, Verrat und das Glück, einen Menschen zu treffen, der zuhört.

Die Autorin

Majgull Axelsson gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen Schwedens. Ihren Durchbruch hatte sie 1997 mit dem Roman »Die Aprilhexe«, für den ihr der renommierte August-Preis der schwedischen Verlegervereinigung verliehen wurde. Weitere Romane von ihr wurden ins Deutsche übersetzt. Als ausgebildete Journalistin hat sich Majgull Axelsson schon immer für gesellschaftliche Randgruppen interessiert und ihnen in ihren Büchern eine Stimme verliehen.

Majgull Axelsson

Ich heißenicht Miriam

Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt

List

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ISBN: 978-3-8437-1160-9

List ist ein Verlagder Ullstein Buchverlage GmbH© 2014 by Majgull Axelsson and Brombergs Bokförlag AB 2014© der deutschsprachigen AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2015Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, MünchenUmschlagabbildung: © DEA / A.de Gregorio / Getty Images

Ebook: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

ZWISCHENRAUM

DJELEM, DJELEMOh, Roma, from wherever you have comeWith your tents along lucky roadsI too once had a large familyBut the black legion murdered themCome with me, Roma of the world

Žarko JovanovićÜbersetzung: Ron Lee

Es ist immer noch Nacht, dennoch scheint die Sonne.

Nässjö ruht still unter dem klarblauen Himmel. Kein Windhauch streichelt die Birken des Stadtparks, kein Motor brummt die Rådhusgatan entlang, kein Zug saust auf den Bahnhof zu. Es ist so still, dass eine einsame Taube, die mit wiegendem Schritt über den Stora Torget eilt, plötzlich stehen bleibt und dem Sonderbaren lauscht. Vollkommen reglos steht sie da, den Kopf etwas zur Seite geneigt, wachsam abwartend, doch dann entdeckt sie ein halbes Brötchen ein Stück weiter und vergisst die Sache, setzt eilig einen roten Fuß vor den anderen und trippelt dorthin, sprachlos vor Glück über dieses Festmahl, das dort auf sie wartet. Nicht dass sie besonders hungrig ist. Niemand ist heutzutage noch besonders hungrig in Nässjö, nicht einmal Vögel oder Ratten. Hier gibt es genug zu essen für alle.

Trotzdem träumt Miriam vom Hunger. Seit mehr als sechzig Jahren versteckt sie sich in dieser Stadt und sie hat während dieser Zeit nicht eine Stunde hungern müssen, dennoch träumt sie jede Nacht vom großen Hunger ihrer Jugend. Das hat nichts mit dem Leben zu tun, das sie als Erwachsene gelebt hat oder das sie heute lebt, dennoch wird sie diese Träume nicht los, sie ziehen heran und beherrschen sie, zwingen sie achtundsechzig Jahre oder mehr zurück in der Zeit, bringen sie dazu, sich zu ducken und wegzulaufen, den Blick zu senken und den Rücken zu krümmen, ein Stück Brot von jemandem zu stehlen, der nicht mehr in der Lage ist, es zu essen, zu versuchen, einen kleinen Bruder zu füttern, der nicht einmal mehr schlucken kann, dicht neben Else beim Appell zu stehen und stumm das Alphabet herunterzuleiern, um nur Sekunden später in Elses unnatürlich groß geweitete Augen zu schauen, diese Augen, die …

All das geschieht immer und immer wieder. Nacht für Nacht. Und wenn außerdem noch Kaiser, der Schäferhund des Nachbarn, anfängt zu bellen, wenn er frühmorgens in den Garten hinausgelassen wird, dann glüht Miriams Inneres vor Angst, wenn sie die Augen aufschlägt.

Doch in dieser Nacht bellt Kaiser nicht, er schläft noch im Bett seines korpulenten Herrchens, also kann sie sich erlauben, langsam wach zu werden und eine Zeitlang zwischen Schlaf und Wachzustand zu verweilen. Diesen Zwischenraum liebt sie über alles, ein äußerst realer Raum, obwohl er nur in ihrer Phantasie existiert, ein Raum, in dem sie ihre Träume lenken und sie sanft und freundlich werden lassen kann, ein Raum, in dem all die Toten noch leben, in dem sie die Freiheit hat, zu sein, wer sie will und wo sie will, frei zwischen Zeiten und Orten schweben kann, zwischen Erinnerungen, Traum und Wirklichkeit. Aber das tut sie nicht. Nicht heute. Ganz im Gegenteil: Jetzt bleibt sie stehen und schaut sich um, registriert, dass der Zwischenraum an diesem Morgen kreisrund ist und dass alle seine Türen angelehnt sind. Gestern waren es vierundachtzig, heute sind es fünfundachtzig geworden, das weiß sie, ohne nachzählen zu müssen. Sie sind alle aus Teak, mit einer glänzenden Klinke versehen. Tatsächlich ähneln sie den Schranktüren in ihrer allerersten eigenen Küche, dieser Küche, die sie heißer und inniger geliebt hat, als sie jemals Olof liebte, und das will schon etwas heißen. Doch daran denkt sie im Augenblick nicht. Sie bleibt stattdessen vor ihren Schranktüren stehen und mustert sie, versucht auszurechnen, welches die erste und welches die letzte ist, hütet sich aber davor, eine von ihnen weit zu öffnen. Und siehe da! Hinter einer Tür entdeckt sie ein gestreiftes Stück Baumwollstoff, und das genügt, sie streckt die Hand aus und schlägt sie zu, lässt dann die Hand über die fünfzehn Türen davor und die fünf danach gleiten und schlägt sie alle mit kurzem, präzisem Schlag zu. Peng-peng-peng! Dann schaut sie sich um und lässt die Schultern sinken, lächelt und zieht ihren langen weißen Zopf über die Schulter nach vorn, streicht ihn unter der Nase entlang, als wäre er ein verschmustes kleines Haustier. So. Jetzt ist es an der Zeit, ganz allein für sich Geburtstag zu feiern, bevor der Rest der Familie aufwacht und ihre Erinnerung stört.

Fast eine halbe Stunde lang schaut sie in die vielen Schränke ihrer Erinnerung. Da läuft ihr ein kleiner Thomas entgegen, da nimmt sie ihn ganz fest in den Arm und wirbelt ihn herum, immer im Kreis herum, ihr gepunktetes Kleid huscht vorbei, und sein Kinderlachen lässt auch sie lachen. Und da ist sie Brautjungfer bei Hannas Hochzeit, und der Brautstrauß zittert in ihrer Hand, als Hanna in herzzerreißendes Weinen ausbricht, genau in dem Moment, als Egon ihr den Ring auf den Finger schiebt. Ich bin so glücklich, schluchzt Hanna und fährt sich ganz unpassend mit der rechten handschuhbekleideten Hand unter der Nase entlang. Entschuldigt! Ich bin nur so glücklich! Und alle lachen. Egon lacht und Olof lacht, der Bürgermeister lacht, der Notar lacht und Miriam lacht, doch plötzlich jammert Thomas in seinem Kinderwagen, und sie beugt sich hinunter und stopft die hellblaue Baumwolldecke fester um ihn. Aber hinter der nächsten Schranktür ist sie selbst die Braut, und sie kann sehen, wie schön sie ist, als sie in ihrem weißen Kleid den Mittelgang der Kirche entlanggeht. Sehr jung, sehr dunkel und sehr schön, doch Olof sieht etwas ängstlich aus, wie er an ihrer Seite geht. Vielleicht denkt er an seine vorige Hochzeit, seine richtige Hochzeit, die in der großen Kirche in der Innenstadt stattfand, aber diese Ehe währte nur gut ein Jahr, bis zu dem Tag, an dem seine junge Ehefrau Thomas gebar, an dem sie aufhörte zu atmen und ihr Herz aufhörte zu schlagen, und an dem sie sich unter keinen Umständen wieder zurück ins Leben locken ließ. Es kann auch sein, dass er sich Sorgen macht, weil Miriam, ohne ihm ein Wort davon zu sagen, nur einen Tag nachdem er um ihre Hand angehalten hatte, ins Kirchenbüro ging und erklärte, sie wolle dem Glauben ihrer Väter abschwören und in die schwedische Staatskirche eintreten – wenn sich das denn machen lasse. Und natürlich ließ sich das machen. Pfarrer Klintberg sabberte fast vor Begeisterung und machte sofort einen Termin für die Taufe gleich am kommenden Sonntag aus. Olof weiß, dass Miriam sich nicht so sicher ist, ob es tatsächlich einen Gott gibt, und er teilt ihre Zweifel in dieser Richtung, dennoch belastet ihn ihr Entschluss. Könnte es sein, dass sie nur wegen der Hochzeit konvertiert ist? Weil sie den Mittelgang der Sankta-Valborgs-Kapelle im weißen Kleid, mit Schleier und Myrtenkranz entlanggehen will? Weil sie hinterher in ihrem geliebten weichen Kaninchenpelz auf der Vortreppe der Kapelle stehen will, wenn seine Verwandten und Freunde Reis über sie regnen lassen? Und wenn dem so ist: Zu welcher Art von Mensch hat sie das werden lassen?

Zu einem Menschen, der dich liebt, flüstert Miriam mehr als sechzig Jahre später die Antwort. Zu einem Menschen, der bereits alles verloren hatte, sogar sich selbst, und der wusste, dass er es nicht überleben würde, sollte er auch dich verlieren; zu einem Menschen, der bereit war, zu lügen und einen Meineid zu schwören, nur damit du ihn niemals verlässt, und der in seiner großen Naivität glaubte, dass eine kirchliche Trauung mehr für dich bedeutete, wichtiger wäre und die Ehe sicherer und stabiler machen würde als eine standesamtliche. Du durftest nicht gehen! Deshalb mussten wir uns in der Kirche trauen lassen. Trotz Gott. Sicherheitshalber.

Sicherheit war das wichtigste Wort dieser Zeit, das hatte sie damals schnell begriffen. All diese sicheren Schweden wollten mehr Sicherheit haben, größere Sicherheit, geradezu übermenschliche Sicherheit. Die Schatten der Vergangenheit jagten sie, und sie jammerten die ganze Zeit über das, was gewesen war. Die letzte große Hungersnot vor nur vier Jahrzehnten! Die Arbeitslosigkeit, die Armut und Demütigung mit sich gebracht hatte, vor zwei Jahrzehnten! Der Krieg, der vor nur einem Jahrzehnt bis dicht an die Grenzen des Landes gekommen war, der Krieg, in dem Menschen auf der anderen Seite der Grenze erschossen und zerfetzt wurden, verhungerten und vergast wurden, zu Tode misshandelt und durch Zwangsarbeit vernichtet. Nichts schien die Erinnerung an ihre schrecklichen Schreie dämpfen zu können, aber niemand hier im Land mochte sie noch hören, niemand wollte daran denken, dass es Augenblicke des Verrats gegeben hatte, sogar ziemlich viele Augenblicke des Verrats, nein, höchstens wollten sie an ein paar verspätete Augenblicke des Heldenmuts denken, sogar ziemlich viele Augenblicke voller Heldenmut, aber am liebsten dachten sie doch daran, dass alle, sogar die Arbeiter, inzwischen am Sonntagmittag einen Braten auf dem Teller hatten, dass sie alltags Frikadellen und Bratwurst statt gebratenen Hering essen konnten, dass alle, wirklich alle, jeden Sommer drei Wochen bezahlten Urlaub bekamen und dass einige besonders fleißige Arbeiter sich sogar ein Auto anschaffen konnten. Ein eigenes Auto! Einen winzigen Volkswagen, der vor ihrem winzigen Eigenheim stand. Die Zukunft war also nicht länger auf dem Weg zu ihnen. Die Zukunft war da.

Und so erging es auch Miriam, das erkennt sie, als sie hinter die Schranktüren schaut, die sich kurz nach der Hochzeit öffnen. Da läuft sie lächelnd in ihren Garten, ein Tablett in den Händen, und es ist Sommer um sie herum. Die aprikotfarbenen Rosen blühen in den Beeten, die rosa Pfingstrosen zeigen ihre Blüten, und ein noch kümmerlicher, frisch gepflanzter Falscher Jasmin hat seine ersten Knospen geöffnet und präsentiert seine weißen Sterne. Auf dem Tablett steht ihre selbstgemachte Rhabarberlimonade aus dem vorherigen Jahr, ihr frischgebackener Marmorkuchen und die luftigen Zimtwecken, die inzwischen ihr ganzer Stolz sind. Olof lächelt sie an und erklärt, er hätte gern vor dem Kaffee ein Glas Rhabarberlimonade, schließlich sei Miriams Rhabarberlimonade die beste auf der ganzen Welt. Und Thomas drückt sich fest an sie und stimmt seinem Vater zu. Die beste Limonade auf der ganzen, ganzen Welt.

Hinter der nächsten Luke ist er bereits größer und eckiger geworden, aber immer noch ist es ihr Junge. Nie benutzt er ihr gegenüber Schimpfwörter oder macht Fratzen hinter ihrem Rücken, andererseits achtet sie aber auch genau darauf, sich ihm nicht aufzudrängen. Gibt ihm nur selten einen Kuss auf die Wange und ergreift seine Hand nur, um zu kontrollieren, ob die Handschuhe immer noch passen, und wenn sie nicht mehr passen, dann bittet sie ihn, die Wolle auszusuchen, aus der sie ihm neue stricken wird. Grau? Gut. Dann wird sie ein Paar graue Fingerhandschuhe für ihn stricken.

Hinter der nächsten Luke sieht sie sich selbst, wie sie in dem schönen Wohnzimmer sitzt, in dem schönen Haus, das Olof geerbt hat, mit den schönen Möbeln, die er ihnen gekauft hat, denn Olof verdient gut, Olof ist Zahnarzt, und kein anderer Zahnarzt in Nässjö verdient so gut wie er, und sie sitzt auf ihrem schönen Sofa von Carl Malm­sten und strickt, als plötzlich alles einfach verschwindet. Ihr kariertes Kleid wird zu einem gestreiften Sträflingskittel, die Strümpfe schmelzen weg, die Schuhe lösen sich ins Nichts auf, das Parkett unter ihren Füßen wird plötzlich zu rohem Zement, und alles, was noch bleibt, das ist die graue Winterdämmerung vor dem Fenster und der Schnee, der fällt, und für einen kurzen Moment ist sie zurück in Ravensbrück, und Else starrt mit aufgerissenen Augen und leerem Blick vor sich hin, während das Fieber sie einfängt, und Miriam schreit, sie schreit und hört sich selbst schreien, schlägt sich die Hände vor den Mund, um sich zum Aufhören zu zwingen. Dann sitzt sie eine ganze Weile reglos da, schließt die Augen, unterdrückt den Schrei, öffnet anschließend langsam wieder die Augen und schaut sich um. Alles ist wie immer. Es sind die Sechziger, eine ruhige Dämmerung im Februar, sie sitzt in ihrem schönen Wohnzimmer, und auf ihrem Schoß liegt ein halbfertiger Handschuh, den ihr Stiefsohn bald bekommen soll.

Nein, sie will nicht an diesen Nachmittag erinnert werden. Sie will sich an keine Nachmittage dieser Art erinnern, deshalb eilt sie an den anderen Schranktüren vorbei und läuft zur letzten angelehnten Luke, reißt sie weit auf und schaut hinein, lächelt das vertraute Bild an, das ihr hier begegnet. Da liegt sie selbst in ihrem gemütlichen kleinen Schlafzimmer, es ist ein neues Jahrhundert und ein neues Jahrtausend. Die Wände sind blassblau, der Bettbezug dunkelblau-weiß kariert, die Gardinen dünn und weiß. An der Wand steht das Geschenk, das sie früher einmal zu einer Dame unter Damen gemacht hat: Hannas Sekretär in glänzendem Mahagoni. Vor der geöffneten Balkontür steht Olofs Ohrensessel, den sie drei Jahre nach seinem Tod neu hat beziehen lassen. Das ist jetzt zwölf Jahre her, aber das sieht man ihm nicht an, der Stoff ist immer noch fest und dunkelblau, der Nachmittagssonne ist es in der ganzen Zeit nicht gelungen, ihn auszubleichen. Über der Armlehne liegt ihr neuer Morgenmantel, auch er in hellem Graublau. Blau ist nämlich ihre Lieblingsfarbe. Ihr gefallen alle Nuancen von Blau, alles von Eisblau bis Indigo, von Azurblau bis Taubenblau, von Türkis bis Himmelblau, von Kornblumenblau bis Kobalt …

Blau ist gediegen, erklärte Hanna einmal vor langer, langer Zeit. Wenn du dich für Blau entscheidest, dann bist du immer auf der sicheren Seite. Und die junge Miriam nickte mit ernster Miene und machte sich mental eine Notiz. Gediegen. Hinterher ging sie in ihr Zimmer und schlug das Wort in der Wörterliste der Svenska Akademie nach, um zu erfahren, was es bedeutete. Gepflegt. Ordentlich. Geschmackvoll. Sie nickte lächelnd. Natürlich wollte sie gediegen erscheinen. Inzwischen denkt sie nur noch selten an dieses Wort, es ist ihr selbstverständlich geworden. Schließlich ist sie eine Dame. Eine richtige Dame. Eine Dame, die sehr oft blau gekleidet ist. Doch niemals gestreift.

Aber jetzt träumt diese Dame, dass sie aus ihrem Bett aufsteht, obwohl sie ja eigentlich liegen bleibt. Sie betrachtet sich in dem Spiegel an der Stirnwand und streckt ein wenig den Rücken, macht sich dann ein erstes Geburtstagsgeschenk, indem sie sich jünger und schöner träumt, als sie eigentlich ist, bevor sie den Morgenmantel überzieht und fest in der Taille zuknotet. Der Zopf bleibt im Halsausschnitt hängen, mit einer schnellen Bewegung zieht sie ihn heraus und legt ihn sich auf die Schulter, streicht dann mit der Hand darüber und stellt zufrieden fest, dass er zumindest in ihrer Phantasie dick und fest ist wie eine wohlgenährte Schlange. Anschließend legt sie sich ihre sorgsam manikürte Hand oben auf den Schädel und drückt zu. Und das Wunder geschieht, das Wunder, das an jedem Geburtstag eintrifft. Die Schädeldecke öffnet sich, und sie kann die Hand in ihren eigenen Kopf stecken und das Gehirn herausholen, sie kann es in ihren Händen halten, während sie den Kopf leicht schüttelt, so dass sich die Schädeldecke wieder schließt. Einen Moment lang bleibt sie einfach stehen und betrachtet ihr Gehirn, muss dabei lächeln, und ihr kommt der Gedanke, dass das, was sie hier in ihren Händen hält, als einzigartig unter allen Wunderwerken angesehen wird, die es in diesem Universum gibt, vielleicht sogar einzigartig für alle Universen. Das menschliche Gehirn. Ein kleiner Klumpen in Grau und Rosa, der alles lernen kann, was nur zu lernen möglich ist, der erinnern und vergessen kann, lügen und die Wahrheit sagen, träumen und phantasieren. Ein kleiner Klumpen, der weiß, dass er lebt, und der sicher genauso gut weiß, dass er sterben wird, auch wenn er ständig versucht, das Unvermeidliche auszublenden und zu vergessen. Hier ist es, und es gehört ihr. Sie besitzt ein menschliches Gehirn. Sie hält ihr Gehirn in ihren Händen und weiß, dass sie damit auch den Kosmos in den Händen hält.

Nicht schlecht, flüstert sie sich selbst zu. Absolut nicht schlecht.

Ganz leise huscht sie ins Wohnzimmer, schaut sich aber nicht um, ahnt nur am Rande ihres Blickfelds, dass alles genauso ist, wie es sein soll. Das Taubenblau des Carl-Malmsten-Sofas ist links zu erahnen, das Porträt von Olofs Großmutter lächelt genauso freundlich wie immer von rechts, aber Miriam sieht es nicht an, sie hat ihren Blick fest auf den grauen Klumpen in ihren Händen gerichtet und eilt schnell auf den Flur, weiter durch die geschlossene Tür die Treppen hinunter, läuft durch die Haustür hinaus, ohne sie zu öffnen, um dann doch auf der Vortreppe stehen zu bleiben, sie hält inne und erlaubt sich, einen Moment lang das zu genießen, was sie sieht. Der prächtige Garten. Der weiße Flieder, der immer noch blüht. Der Weg, den sie gestern geharkt hat. Der schmale Pfad, der zum Strandvägen führt. Das Gras auf der anderen Seite. Dahinter der Ingsbergssjön. Und dann Nässjös Silhouette auf der anderen Seite. Der Stadtpark. Das Rathaus. Und weit hinten der Kirchturm, der herausfordernd in den Himmel zeigt. Plötzlich drängen sich Bilder einer anderen Stadt und eines anderen Kirchturms auf und überdecken das, was sie sehen sollte, doch sie weigert sich, lässt nicht zu, dass sie eindringen und die Herrschaft übernehmen. Sie zwingt sich zurück an den Ort, der nun seit mehr als sechzig Jahren ihr Zuhause ist, denn sie ist nicht in Ravensbrück, und das ist nicht der Kirchturm von Fürstenberg, den sie sieht. Sie ist in Nässjö. Es ist der Kirchturm von Nässjö, der da hinten hochmütig und gebieterisch in den Himmel ragt. Und der Geruch, dieser Gestank nach verbrannter Haut und verbranntem Fleisch, der plötzlich die ganze Welt erfüllt, den will sie loswerden, so schnell es nur geht …

In der nächsten Sekunde steht sie unten am Strand. Eine braungesprenkelte Entenmutter lässt ein leises knarrendes Geräusch der Empörung vernehmen und hat es plötzlich ganz eilig, ihre frisch geschlüpften Küken aus dem kleinen Schilfnest, in dem sie geschlafen haben, hinauszujagen. Was ist das? Wieso meint dieses langbeinige Wesen das Recht zu haben, zu dieser frühen Stunde, die doch den Tieren gehört, am See herumzulaufen? He? Sie wirft den Kopf leicht nach hinten und schwimmt ein Stück auf den See hinaus, mit den sieben gelben Daunenbällchen hinter sich, bremst dann ab und dreht sich um, sucht Miriams Blick.

»Entschuldigung«, sagt Miriam. »Aber das musste sein.«

Und dann tut sie es. Sie lässt das braune Wasser des Ingsbergssjön klar und eisblau werden, sorgt dafür, dass alle Pflanzen auf seinem Grund verschwinden und von nacktem Sand ersetzt werden, es gelingt ihr, jede Mücke in der Luft und jede kleine Mikrobe im Wasser zu entfernen. Dann lässt sie sich auf die Knie fallen, immer noch mit dem Gehirn in beiden Händen und ohne das geringste Zittern. Ihr Gleichgewicht ist perfekt, und ihre von Arthrose befallenen Knie tun überhaupt nicht weh, sanft wie eine junge Balletttänzerin sinkt sie zu Boden, beugt sich dann vor und taucht ihr Gehirn in das glasklare Wasser, lässt es in jede Windung eindringen, jeden Hohlraum ausfüllen, weiterfließen und jede Zelle waschen, entfernt zunächst alle ekligen alten Gerüche aus ihrem Gehirn, dann alle unangenehmen Erinnerungen und schließlich alle bösen Gedanken, anschließend drückt sie es wie einen Schwamm aus und legt wieder die Hand auf den Kopf. Drückt zu, so dass die Schädeldecke sich öffnet. Legt vorsichtig das frisch gewaschene Gehirn an seinen Platz und schüttelt sanft den Kopf, damit sich die Öffnung wieder schließt. Dann schaut sie sich um und holt tief Luft. Jetzt riecht die Welt gut. Jetzt duftet sie nach Traubenkirsche und Flieder, Rosen und Maiglöckchen. Und es ist schön. Die Birke in ihrem Garten lässt ihr Laub im Sonnenlicht schimmern, das Haus dahinter – ihr Haus! – zeigt eine tiefere Wärme in seiner roten Farbe, und die vier weißen Pfeiler an der Treppe sind eine Spur dicker geworden, so dass die Proportionen endlich stimmen. Der Speichel in ihrem Mund schmeckt plötzlich frisch wie reines Quellwasser. Eine Nachtigall singt irgendwo in der Nähe, es ist eine lustige Melodie, die jedem Menschen, der bei offenem Fenster schläft, die schönsten Träume beschert. Sehnsuchtsträume. Wunschträume. Der Wind lacht hinter Miriam und wirbelt um sie herum, streichelt sie wie mit kühler Seide und hebt sie hoch, lässt sie einen Moment lang über den See fliegen, trägt sie dann aber wieder ganz vorsichtig zurück ans Land, hinauf in den ersten Stock ihres Hauses, und setzt sie sanft auf dem Balkon vor ihrem Schlafzimmer ab. Miriam lächelt und winkt der Entenmutter auf dem See zu. Siehst du, jetzt hast du deine Welt wieder! Das Wasser ist wieder braun, die Fliegen surren über deinem Kopf, und das gute Seegras wächst. Und ich bin von meinen Erinnerungen befreit!

Doch im selben Moment bellt Kaiser.

Kaiser ist ein dämlicher Hund. Dumm im Kopf. Er kann nicht denken und er will nicht denken, treibt sich nur in seinem Garten herum und tut so, als wäre er der Aufpasser. Kläfft und brüllt. Seht euch nur vor, ihr Spatzen, hier komme ich! Knurrt und murrt. Wehe euch, ihr verdammten Eichhörnchen, jetzt ist hier Schluss mit lustig! Meckert und poltert. Stirb, verfluchte Amsel, gleich werde ich dir den Kopf abbeißen! Alles gefolgt von einem munteren Brummen. Jawohl! Denen habe ich es gegeben. Hier bin ich derjenige, der für Ordnung sorgt! Zumindest bis mein Herrchen kommt.

Kaisers Herrchen ist nur wenig intelligenter als sein Hund, aber genauso sehr darauf versessen, zu herrschen. Wenn er die Terrassentür öffnet, wird Kaiser sofort zahm und gefügig, seine Ohren kippen nach hinten, der Schwanz fällt nach unten, der ganze Körper wird untertänig zu Boden gezogen.

»Schnauze, Kaiser«, brüllt sein Herrchen, wobei er sein T-Shirt hochzieht und sich am dicken Bauch kratzt. »Hörst du! Halt endlich die Schnauze …«

Kaiser kapiert natürlich nichts, aber er weiß, dass sein Herrchen im Rang über ihm steht, deshalb zeigt er weiterhin seine Unterwerfung. Verzeih, dass es mich gibt, sagt seine Körpersprache. Entschuldige, dass ich überhaupt existiere. Gibt es möglicherweise etwas, das ich tun könnte, um die Gunst Eurer Hochwohlgeboren zu gewinnen? Jemanden, dem ich einen Schrecken einjagen kann, damit die Welt nicht bemerkt, wie ängstlich Ihr selbst seid, oh unvergleichlicher Herrscher? Jemand, den ich nach Strich und Faden zusammenbellen kann? Jemand, dem ich ins Bein beißen kann? Ich würde so schrecklich gern einem Eurer Feinde ins Bein beißen …

»Halt einfach die Schnauze«, sagt sein Herrchen noch einmal, knallt dann die Terrassentür zu und verschwindet. Kaiser lässt sich folgsam zu Boden sinken, bleibt dort eine ganze Minute lang liegen, bis ein kleiner Zeisig in einem Busch vor seiner Nase landet. So eine Frechheit! Schon wieder ein Vogel. Hier! Im Garten seines Herrchens! Diesen verdammten Buchfinken wird er umbringen.

Und schon bellt er wieder.

Das Gebell lässt Miriam richtig aufwachen.

Sie setzt sich im Bett auf und schlägt eine Hand vor den Mund, als wollte sie sich zum Schweigen zwingen, und die andere aufs Herz, als wollte sie seinen Schlag besänftigen. Sie ist nicht in der Zeit zurückgefallen. Das ist Geschichte. Sie ist nicht in Deutschland. Sie sitzt nicht in einer Zelle im Strafblock des Konzentrationslagers.

Gleichzeitig tut sie das doch. Die Zeit existiert nicht mehr. Sie hört eine Aufseherin, die mit knallenden Absätzen zwischen den Zellen entlanggeht, zusammen mit ihrem Schäferhund, einem dieser unglaublich gehorsamen Wachhunde in Ravensbrück, ein Wesen, das offenbar ganz genau weiß, was auf diesem Flur von ihm erwartet wird. Der Geruch der Gefangenen sickert heraus, obwohl die Eisentüren dicht gegen den Zement der Türrahmen schließen, die Moleküle der Angst gleiten durch die Luft in seine Nase und erfüllen ihn mit einem äußerst zufriedenstellenden Gefühl des Triumphs. Doch einige einzelne Moleküle haben eine andere Form, nur gering von den anderen abweichend, aber trotz allem eine Abweichung, die groß genug ist, um ihn zu erregen. Abscheu! Da sitzen Feinde hinter einigen dieser Türen, die ihn verabscheuen und – noch schlimmer – sein Frauchen verabscheuen. Das ist empörend! Er wird sie töten!

Aber das darf er nicht. Im Strafblock soll man langsam sterben, das ist seinem Frauchen befohlen worden, und deshalb hält sie ihn an der kurzen Leine, auch wenn sie sein dumpfes Knurren freundlich belächelt. Das Leben soll langsam aus den Frauen entweichen, die an diesem Freitag ausgepeitscht werden, es soll wie die schwarzen Blutstropfen und die Wundflüssigkeit aus ihren blaugestreiften Rücken auf den Boden sickern. Der Hunger dieser Frauen, die seit vier Tagen nichts mehr zu essen bekommen haben, soll ihre ohnehin schon ausgemergelten Körper dazu bringen, sich zusammenzuziehen vor Qualen, so dass auch diejenigen, die aus reinem Trotz aufgestanden sind und stehen bleiben, nach nur kurzer Zeit spüren, wie ihre Beine ihnen den Dienst versagen und wie der Tod seinen schwarzen Schlund unter ihnen öffnet. Und die Frauen, die bereits seit mehreren Wochen in der Dunkelzelle sitzen, werden plötzlich von schrecklichen Wachträumen heimgesucht, sie sollen von den Halluzinationen von Sandstränden, Palmen und Meereswasser, die sie tagelang am Leben erhalten haben, in Phantasien von einem kleinen Hundezwinger getrieben werden, in dem die Köter der Nazis warten. Große schwarze Schäferhunde versammeln sich vor ihnen, große, reinrassige schwarze Schäferhunde, die dumpf knurren und ihre Zähne zeigen, denen sich das Fell sträubt und …

Doch plötzlich bleibt die Aufseherin vor einer Tür stehen, leint den Hund am Haken daneben an und zieht ihre Schlüssel heraus. Schließt auf. Öffnet die Tür zwischen einer Welt und einer anderen. Schaut und lässt sich selbst anschauen. Sie ist sich ihrer Schönheit wohl bewusst, wie sie hier steht. Ihr blondes Haar mit der frischen Dauerwelle, die runden Wangen, bedeckt von einem Hauch hellen Puders, das Schiffchen sitzt keck schräg auf dem Kopf. Die Stiefel der Aufseherin sind frisch geputzt worden von einer Frau, die zu den Zeugen Jehovas gehört, und sie glänzen genauso intensiv wie der Traum dieser Zeugin von dem irdischen Paradies, der Hosenrock ist frisch gebügelt, und der Kragen der weißen Bluse liegt knitterfrei über dem Aufschlag der Uniformjacke. Die Peitsche hält sie hinter dem Rücken. Sie schlägt nicht mit ihr, wedelt nicht mit ihr, hebt sie nicht einmal, hält sie nur hinter ihrem Rücken, kann aber kaum ein Schmunzeln unterdrücken bei dem Gedanken, dass die Gefangene da drinnen sie trotzdem sehen kann.

Die Gefangene ist nicht schön. Sie ist groß und krankhaft mager, aber so sehr in sich zusammengesunken, dass sie trotzdem nicht größer ist als die Aufseherin. Ihr Glück. Sie steht vorgebeugt wie eine alte Frau, obwohl sie nicht viel älter als fünfzehn, sechzehn Jahre sein kann. Der Mund ist halb geöffnet, als würde sie gleich sabbern, wie eine Geisteskranke. Ihr Blick huscht flackernd zwischen dem Hund und der Aufseherin hin und her, hin und her.

»Raus«, brüllt die Aufseherin. »Raus mit dir …«

Es dauert fünfzehn Sekunden, bis sie gehorcht, fünfzehn Sekunden des Zögerns, in denen der Blick des Mädchens zwischen dem Hund und der blonden Frau noch dreimal hin und her huscht. Das genügt. Die Aufseherin hebt die Peitsche.

»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe, du Dummkopf? Bist du taub? Raus! Raus! Raus!«

Und das Mädchen, dieses junge Mädchen, das am heutigen Tag fünfundachtzig Jahre alt wird, unterdrückt einen Schrei und eilt auf den Flur. Im gleichen Augenblick ist sie zurück in Nässjö, sie hört die leisen Schritte vor ihrer Tür, ahnt, dass es Thomas’ Hausschuhe und Katarinas Pantoffeln sind, und schnell wischt sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und zieht die Bettdecke zurecht, schiebt dann die Kissen hinter ihrem Rücken etwas höher, dass sie sich ans Kopfende des Betts lehnen kann, hebt die Hand und streicht das weiße Haar glatt. Dann legt sie auf dem karierten Bettbezug eine Hand auf die andere, um das Bild einer ruhig wartenden alten Frau vollkommen zu machen. Lächelt. Sie hat alles beiseitegeschoben. Ist bereit. Und da kommen sie. Singend. Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück …

»Wir gratulieren ganz herzlich«, sagt Thomas, nachdem sie ihr Lied beendet haben, und schaut sie lächelnd an, ein kleines Päckchen in der Hand. Er hat mal wieder versucht, seine Glatze zu tarnen, dieses Mal, indem er sich die Haare ganz kurz hat schneiden lassen. Aber das nützt auch nichts.

»Liebe Schwiegermutter«, sagt Katarina, die gleich hinter ihm steht und den Kopf schräg legt. Sie versucht genauso zielstrebig wie Miriam die Rolle der zufriedenen, ruhigen Frau zu spielen. In den Händen hält sie das Tablett. Ein Tablett mit Kaffeetassen, geschmierten Broten und einer Kerze mit zitternder Flamme.

»Herzlichen Glückwunsch, Oma«, sagt Camilla, setzt sich auf die Bettkante und lässt ihren Sohn Sixten los. Der ist zwei Jahre alt und sieht in seiner geringelten Jogginghose mit schwarzen und gelben Streifen wie eine Wespe aus. Eine unglaublich süße kleine Wespe. Er krabbelt zu Miriam, schlingt ihr die Arme um den Hals und gibt ihr einen nassen Kuss auf den Mund. Der Geschmack seines Speichels erinnert sie an das, was sie gerade geträumt hat. Quellwasser. Sie lächelt.

»Ui«, sagt sie und drückt den Kleinen an sich. »Na, so was …«

Und dann läuft alles wie immer ab. Lachen, Geplauder und Stühlescharren. Thomas legt das Päckchen ans Fußende des Bettes und holt zwei Stühle aus dem Wohnzimmer, einen für Katarina und einen für sich. Katarina stellt das Tablett auf den Nachttisch und pustet die Kerze aus.

»Sicherheitshalber«, sagt sie und zeigt ein blasses kleines Lächeln. Miriam nickt zustimmend, lässt Katarina aber nicht aus den Augen. Warum muss sie immer zeigen, wie ängstlich sie ist? Fünfzehn Jahre leben sie und Katarina nun im selben Haus und teilen sich denselben Garten, und dennoch begreift sie nicht, warum Katarina immer so nervös ist, warum sie immer davon redet, wie viel Angst sie vor Feuerausbrüchen und Unfällen hat, warum sie erklärt, sie fürchte sich vor lauten Stimmen und aggressivem Ton, warum sie behauptet, Schmutz und Unordnung würden ihr Angst einjagen. Schließlich lebt sie ein sicheres Leben in einem sicheren Land, ist Mutter und Großmutter gesunder Kinder, hat niemals einen Faustschlag gegen ihren Kopf erleben müssen oder spüren, wie der Rücken von einer Lederpeitsche aufgerissen wird. Dennoch macht sie sich ständig Sorgen und fürchtet alles, krümmt den Rücken und hält die Arme dicht am Körper. Es sieht so aus, als glaubte sie, ihre Welt befände sich in einer Seifenblase, die so empfindlich ist, dass die geringste kleine Bewegung sie platzen ließe und damit alles zerstört wäre.

»Fünfundachtzig Jahre«, sagt Thomas und klopft Miriam leicht auf die Hand. »Und immer noch kerngesund. Nicht schlecht. Nein wirklich, nicht schlecht.«

Miriam lächelt.

»Aber eigentlich bin ich nie älter als achtzehn geworden.«

»Innerlich bist du jung geblieben, ja …« Camilla legt den Kopf schräg und lächelt. »Na, ich glaube schon, dass du ein bisschen älter bist. Mindestens zwanzig.«

»Wieso das?«

»Du hast doch wohl das Gehirn einer Erwachsenen? Das hat doch nicht aufgehört zu wachsen, bis deine Stirnlappen ganz entwickelt waren?«

Miriam runzelt die Stirn, lächelt und scheint darüber nachzudenken. »Ich habe keine Ahnung, weißt du. Schon möglich.«

Thomas legt Camilla eine Hand auf die Schulter. Genug, sagt diese Geste. Keine Probleme, bitte. Dann räuspert er sich.

»Die Medizinstudentin hat gesprochen. Aber jetzt ist es Zeit für dein Geschenk.«

Er greift nach dem Päckchen, das am Fußende des Bettes liegt. Ein weißes kleines Paket mit gekräuselter Goldschnur. Prinzessinnenlocken. Es scheint schwerer zu sein, als man denkt, er hebt es mit beiden Händen hoch, um es Miriam zu überreichen.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Das ist von uns allen.«

Miriam nimmt das Päckchen auch mit beiden Händen entgegen. Aber es ist gar nicht so schrecklich schwer.

»Oh«, sagt sie. »Danke. Vielen Dank.«

Es lässt sich schwer öffnen. Das Goldband ist so fest gezogen und mit Doppelknoten fixiert, sie muss eine ganze Weile fummeln, bevor sie es aufbekommt. Als es ihr endlich gelungen ist, wirft Sixten sich sofort freudig darauf und stopft es in den Mund, aber Camillas Hand ist blitzschnell da und nimmt es an sich. Nein! Das nicht! Nein! Währenddessen wickelt Miriam ungeduldig die kleine Schachtel aus dem Papier und öffnet sie. Starrt auf rosa Seidenpapier, nimmt es dann schnell heraus und offenbart so das Geschenk.

Ein starres Armband aus Silber. Ein sehr breites Silberarmband in Filigrantechnik mit geflochtenen Drähten, ein Armband, das trotz der vielen Ausschmückungen in der Form ganz schlicht und unglaublich schön ist. Papa, sagt eine Stimme in ihrem Hinterkopf auf Deutsch, aber wie üblich hört sie nicht auf ihre Sehnsüchte, schüttelt nur leicht den Kopf, um sie zu vertreiben.

»Oh«, sagt sie. »Wie schön. Vielen, vielen Dank.«

»Camilla hat es gefunden«, erklärt Thomas. »Und sie fand, es sah aus wie für dich gemacht. Und guck mal unter den Verschluss!«

Miriam dreht das Armband um und schaut auf die Gravur. Für Miriam zum 85. Geburtstag steht dort. Dazu das heutige Datum. Miriam.

»Das ist Zigeunerkunst«, sagt Thomas.

»Also, von Roma gemacht«, korrigiert Camilla.

Etwas lässt Miriam leicht erzittern, mehrere Namen schweben durch die Luft heran. Da lacht Anuscha, und ihre dunklen Augen funkeln, als sie über den Hof läuft. Da lächelt Else ihr hungriges Lächeln und stellt sich mit ihrem vollständigen Namen vor, als wäre Miriam eine Person, die es wert ist, sich ihr vorzustellen. Else Nielsen. Und da hebt eine weibliche Wachkraft die Peitsche und brüllt: Ich heiße Binz! Merkt euch das ein für alle Mal, ich denke gar nicht daran, das zu wiederholen! Da starrt ihr Bruder sie mit einem letzten Wundern im Blick an. Warum guckst du so erschrocken, Malika? Ich bin es doch, Didi, dein kleiner Bruder. Die Tränen steigen ihr in die Augen, sie muss mehrere Male blinzeln, um sie zu vertreiben, und die Worte huschen schnell durch ihren Kopf, diese Worte, die sie nicht sagen darf, diese Worte, die sie nicht ein einziges Mal gesagt hat, seit sie nach Schweden gekommen ist. Ich heiße nicht Miriam. Dann schluchzt sie leise und schluckt, hebt den Kopf und schaut Thomas an, dessen Mutter sie in jeder Hinsicht ist, bis auf eine. Ihr Sohn, der ein Fremder ist, obwohl er doch der Mensch ist, der ihr von allen Menschen auf der Welt am nächsten steht. Sie hat ihn angelogen. Sie hat ihn mit einer Lüge aufwachsen lassen und sein ganzes erwachsenes Leben im Schutz dieser Lüge leben lassen.

Und dann sagt sie es. Dann lässt sie jene Worte über ihre Lippen kommen.

Wie merkwürdig«, sagt Camilla, kaum dass sie die Wohnung der Eltern ein Stockwerk tiefer betritt.

Thomas hebt die Augenbrauen und dreht sich um, sieht sie an. »Was ist merkwürdig?«

»Was sie gesagt hat. Dass sie nicht Miriam heißt. Das ist ja wohl merkwürdig.«

»Ach das. Sie hat nur Spaß gemacht.«

»Und was soll daran so spaßig sein?«

»Sie fand es wohl lustig.«

»Vielleicht sind das erste Anzeichen, dass sie dement wird …«

Thomas schnaubt.

»Jetzt hör aber auf. Sie ist keine Spur dement.«

»Aha. Und bist du dir da ganz sicher?«

Plötzlich steht Katarina in der Küchentür, legt den Kopf zur Seite.

»So«, sagt sie, »jetzt ist genug damit. Möchte jemand noch mehr Frühstück?«

Camilla setzt Sixten auf dem Perserteppich ab, stützt die Hände in die Taille und schaut ihre Mutter an.

»Was glaubst du?«

»Was soll ich glauben?«

»Hast du nicht gehört, was Oma gesagt hat?«

Katarinas Blick flackert.

»Vielleicht möchte Sixten ja ein bisschen Brei?«

»Das möchte er bestimmt, aber die Frage war, ob du gehört hast, was Oma gesagt hat. Nun – hast du?«

Es liegt ein Hauch von Verachtung in Camillas Stimme. Katarina lächelt unsicher.

»Ich weiß nicht. Vielleicht. Aber – nein. Nein. Das habe ich nicht gehört.«

Camilla starrt ihre Mutter einen Moment lang an, zuckt dann resigniert mit den Schultern.

»Ich kann den Brei kochen«, sagt Katarina.

»Mach dir keine Umstände«, erwidert Camilla. »Das mache ich schon.«

Und sie kann selbst hören, wie laut es scheppert, als sie ungeduldig einen Topf aus dem Küchenschrank holt und ihn auf die Anrichte stellt, also schließt sie die Augen und ruft sich selbst zur Ordnung. Sei nett. Sie hat sich selbst versprochen, den ganzen Besuch über nett zu sein, sich nicht mit Papa zu streiten und ihre ach so ängstliche Mutter nicht zu erschrecken. Sie will nicht darüber klagen, dass sie so müde ist, müde, müder, am müdesten, nicht darüber, dass sie nicht mehr als hundertzwölf Kronen im Portemonnaie hat und es noch einen ganzen Monat dauern wird, bis sie ihr erstes Gehalt für ihren Sommerjob kriegt, und sie wird nicht ein Wort über das Examen fallenlassen, das sie Ende des Semesters verhauen hat. Sie wird nett und kooperativ sein, fröhlich und zufrieden, denn wenn sie zeigt, wie gestresst, gehetzt und besorgt sie wirklich ist, dann wird sie nur noch gestresster, gehetzter und besorgter werden. Sie wird so tun, als ließe sie ihre Mutter nur aus reiner Gefälligkeit stundenlang mit Sixten im Garten spielen und als steckte sie währenddessen allein aus rein fachlichem Interesse die Nase in die Fachbücher. Sie wird freundlich lächeln, wenn Papa fragt, wie es mit Max steht, und wieder einmal darauf hinweist, dass er noch nie den jungen Mann getroffen hat, der Vater seines Enkelkinds ist. Max kommt am Montag, wird Camilla sagen und so freundlich wie möglich lächeln, denn dann fängt seine Urlaubswoche mit Sixten an. Und dann wird sie selbst Ferien haben, aber das wird sie nicht ihrem Vater erzählen. Das ist ein Geheimnis, obwohl es doch eigentlich überhaupt kein Geheimnis ist, aber es erscheint ihr ungemein wichtig, dass es geheim bleibt. Eine ganze Woche Urlaub, in der sie sich selbst so verwöhnen kann, wie es kein anderer tut. Sie wird regelmäßig essen, ausschlafen, mehrere Stunden am Tag lernen und jeden Tag zwei oder drei Mal um den Ingsbergssjön laufen. Dann wird alles gut werden. Und heute wird sie schon eine Runde um den See drehen, wenn auch viel langsamer. Sie wird mit ihrer alten Großmutter spazieren gehen. Wie früher. Schließlich ist Mittsommernacht und Omas Geburtstag, und alles wird gut werden.

»Sixten, mein kleiner Schatz«, ruft sie und lässt ihre Stimme so glücklich wie nur möglich klingen. »Komm, Sixten, jetzt gibt es Brei!«

Keine Sekunde später steht Katarina in der Tür, mit Sixten auf dem Arm.

»Darf ich ihn füttern?«

Sixten kann eigentlich allein essen. Er ist zweieinhalb Jahre alt. Der Ärger blitzt hinter ihrer Stirn auf, aber Camilla lässt sich nichts anmerken. Natürlich. Mama darf Sixten gern füttern.

»Natürlich«, sagt sie mit freundlichem Lächeln. »Wenn er es dir erlaubt …«

Katarina gibt Sixten einen Kuss auf die Wange.

»Natürlich erlaubst du das, mein Schätzchen. Du möchtest doch auch, dass Oma dich füttert?«

Und Sixten, dieser Verräter, schlingt seine Arme um ihren Hals und lässt sein glückliches Lachen an ihrer Wange hören.

Thomas steht in seinem Arbeitszimmer und hört Sixtens Lachen. Er kann es immer noch nicht fassen. Kann nicht begreifen, dass er, Thomas Adolfsson, Großvater eines kleinen Jungen ist. Er ist doch selbst noch ein kleiner Junge. Aber das stimmt nicht, das ist er nicht, er weiß es selbst, er ist ein erwachsener Mann, sogar mehr als erwachsen, denn bald, in nur wenigen Jahren, wird er seine Zahnarztpraxis schließen und den Schlüssel wegwerfen. In Rente gehen. Und trotzdem wacht er immer noch jeden Morgen mit dem Gefühl auf, Miriam hätte vergessen ihn zu wecken, so dass er zu spät zur Schule kommen könnte. Was etwas lächerlich ist. Sehr lächerlich, besser gesagt. Sie hat doch niemals vergessen, ihn zu wecken.

Er hört Katarinas zwitschernde Stimme aus der Küche. Sie klingt glücklich, oder zumindest fröhlich, und das ist ein bemerkenswerter Fortschritt. Wenn er selbst sich in ihrem Blickfeld befindet, klingt sie nie fröhlich. Dann seufzt sie und stottert, ihr Blick huscht hin und her, und der Rücken ist gebeugt, als wäre er so ein Kerl, der seine Ehefrau misshandelt. Er! Als hätte er jemals seine Hand ihr gegenüber erhoben. Als hätte er sich nicht all die Jahre hindurch immer und immer wieder bemüht, ohne das Geringste zurückzubekommen. Katarina hat sich nie bemüht. Ganz im Gegenteil. Sie ist Expertin darin, jede gute Stimmung platzen zu lassen, jedes Lachen im Keim zu ersticken, ihn und Miriam ganz ohne Worte zu verleumden. Er lässt seinen Blick zur Fensterbank wandern. Dort steht das Porträt seiner biologischen Mutter in einem Silberrahmen, den Katarina ihm zu seinem vierzigsten Geburtstag geschenkt hat. Eine fremde Frau mit aschblondem Haar, einem blassen Lächeln, den Blick in die Ferne gerichtet. Eine Fremde, die offenbar mit Katarina alliiert ist. Aus reinem Protest hat er im folgenden Frühling selbst auch einen Silberrahmen gekauft, genau den gleichen, und Miriams Foto dort hineingestellt. Eine sehr junge Miriam im Brautkleid, die direkt in die Kamera schaut, während sie einen kleinen Jungen gegen ihre Hüfte drückt. Beschützend. Ein beschützter kleiner Junge mit kurzem Pony in Hemd mit Krawatte. Ein vierjähriger Thomas Adolfsson, der endlich, endlich das bekommen hat, was er sich am allermeisten gewünscht hat: eine Mama. Eine richtige Mama, die ihn liebte und versprach, ihn niemals zu verlassen. Er durfte sie verlassen und wiederkommen, verschwinden und zurückkehren, aber sie ist niemals von ihm weggegangen. Doch bald wird sie es müssen. Schließlich wird sie heute fünfundachtzig Jahre, und die Natur hat so ihre Gesetze.

Camilla hastet an ihm vorbei auf den Flur, und er bereut es, ihr gegenüber so schroff gewesen zu sein. Schließlich ist es verständlich, wenn sie sich Sorgen macht, dass ihre Großmutter dement werden könnte, aber die Tatsache, dass er sich selbst so große Sorgen um Miriam macht, hat ihn dazu gezwungen, Camillas Einwände abzuschmettern. Ich heiße nicht Miriam. Warum hat sie das gesagt? Sie heißt doch Miriam, hat immer Miriam geheißen. So ein Blödsinn.

Thomas seufzt und streicht mit der Hand über den Schreibtisch, setzt sich aber nicht. Warum sollte er sich auch setzen? An diesem Schreibtisch sitzt er nur einmal in der Woche, um Rechnungen zu bezahlen und – wenn er meint, Zeit dafür zu haben – sich eine Weile seiner Forschung zu widmen. Die nicht die Spur mit seinem Beruf zu tun hat, die von seiner Familie und ihrer Vergangenheit handelt und für ihn einen Zufluchtsort darstellt, wenn die Stille das Haus zu sprengen droht. Aber heute ist es ja nicht still. Sixten lässt Katarina munter in der Küche zwitschern, und aus dem Nebenzimmer, Camillas Schlafzimmer, hört er ein Rumoren, das wohl bedeutet, dass sie ihre Bücher herausgeholt hat. Vielleicht will sie ja lernen …

Tatsache ist, dass er stolz auf seine Tochter ist. Auch wenn er es ihr nie gesagt hat.

Katarina legt ihre Wange an Sixtens und kichert leise. Wie kann man sich nur so um den Mund herum bekleckern, wie er es macht? Und so schrecklich hungrig sein? Er streckt sich dem Löffel mit weit aufgerissenem Mund entgegen, schafft es aber nicht weit genug und lässt deshalb ein unzufriedenes Brummen hören, aber Katarina lässt ihm nicht gleich seinen Willen, zuerst senkt sie den Löffel in den Teller und füllt ihn mit ein wenig Brei und viel Apfelmus, bevor sie ihn probieren lässt. Als der Geschmack seine Zunge erreicht, wird er ganz wild vor Begeisterung. Süß! Das schmeckt so schön süß, und das macht ihn so glücklich, dass er ein wenig mit den Armen rudern muss.

»War das so lecker?«, fragt Katarina und wischt ihm schnell mit einem Stück Haushaltspapier den Mund ab. »War das wirklich so la-la-la-lecker?«

Sixten antwortet nicht, streckt sich nur wieder nach dem Löffel, und jetzt bekommt er, was er will. Apfelmus. Süßsäuerliches Apfelmus. Das arme Kind ist ja vollkommen ausgehungert nach Süßem. Camilla weigert sich, ihm irgendetwas Süßes zu essen zu geben, außer vielleicht einmal eine Apfelsine oder eine Banane ab und zu. Sie glaubt, Zucker wäre schädlich, und erlaubt es deshalb nicht, dass er Katarinas selbstgemachtes Apfelmus probiert, ihre säuerliche Rhabarbermarmelade und die leckere Blaubeergrütze. Von Limonade und Zimtwecken ganz zu schweigen. Sixten soll ja nicht dick werden. Was auch immer ansonsten passiert, aber dick darf er auf keinen Fall werden.

Katarina schnaubt leise und wirft einen schnellen Blick zur Türöffnung. Keine Gefahr. Dort steht keine Camilla, bereit, sich auf ihre Mutter zu stürzen als Strafe für die zwei Löffelchen Apfelmus, die sie auf Sixtens Haferbrei gehäufelt hat. Auch kein Thomas. Nicht dass er etwas zum Apfelmus sagen würde, wahrscheinlich würde er es nicht einmal bemerken. Er merkt ja sowieso nicht, was hier im Haus passiert, sieht oder hört doch nur sich selbst, ist voll und ganz beschäftigt mit seiner Praxis, seiner eigenen Verdauung und dem, was er lächerlicherweise seine Forschung nennt. Der einzige Mensch, um den er sich wirklich kümmert, das ist Miriam. Seine Tochter fertigt er meistens nur kurz ab, und seine Frau, seine eigene Ehefrau seit mehr als dreißig Jahren, scheint er nicht einmal zu sehen. Hauptsache, sie ist da, hilft ihm in der Praxis und serviert ihm dreimal täglich leckere Mahlzeiten, wäscht seine Kleidung und putzt sein Haus – und hält ansonsten die Klappe. Denn sie kann ja sowieso nichts von sich geben, was von Interesse sein könnte. Sie kann ja nicht einmal denken. Sie kann nur am Rande seines Daseins entlanghuschen und allgemein zu Diensten stehen.

Katarina holt tief Luft und schiebt einen weiteren Löffel Apfelmus in Sixtens Mund. Sie darf sich das nicht anmerken lassen! Niemand darf auch nur ahnen, wie wütend sie eigentlich ist, wie überdrüssig sie ihres Mannes ist, wie satt sie ihre Tochter hat und wie sehr sie ihre sogenannte Schwiegermutter im Stockwerk über ihr verabscheut. Niemand darf wissen, wie inbrünstig sie sich wünscht, sie sollten doch alle verschwinden, die ganze Bande. Denn sie hat ja keine Wahl. Sie ist die Praxisgehilfin ihres Mannes, und sie wohnt in seinem Haus, sie hat keine eigenen Verwandten und kein eigenes Geld. Also ist sie gezwungen, Mädchen für alles in diesem Haus zu sein bis zu dem Tag, an dem sie stirbt …

Allein Sixten bietet ihr einen Trost. Der kleine, süße Sixten, der jetzt laut vernehmlich rülpst und ihr die Arme entgegenstreckt. Sie hört selbst, wie sie lacht, als sie ihn aus dem Kinderstuhl hochhebt.

»Ui«, sagt sie. »Du klebst ja überall.«

Und dann geht sie mit ihm zum Waschbecken, öffnet den Wasserhahn, fühlt, ob das Wasser auch die richtige Temperatur hat, und wäscht ihm sorgfältig den Mund. Anschließend nimmt sie ihm das Lätzchen ab und stellt ihn auf den Boden.

»Wollen wir in den Garten gehen und draußen spielen?«

»Jaaa!«, ruft Sixten und läuft zur Terrassentür.

Das darfst du nicht, sagt Miriam zu sich selbst. Sie steht vor dem Flurspiegel und hat sich die Arme um den Leib geschlungen. Das darfst du nicht sagen. Nie wieder!

Ihr Haar ist immer noch feucht nach dem Duschen, und das sieht nicht gut aus. Nein, so sieht sie aus wie eine Hexe, eine richtig hässliche, schrumpelige alte Hexe. Das weiße Haar bekommt einen merkwürdigen Grauschimmer, wenn es feucht ist, und das lässt das Gesicht wiederum älter erscheinen als sonst, alle Falten werden tiefer und die Gesichtskonturen schlaffer. Das ist hässlich. Und diese große Nase, die in all dem Hässlichen hervorsticht, macht die Sache nicht gerade besser. Kein bisschen. Im Augenblick würde sie eine gute Vogelscheuche abgeben.

Sie seufzt leise und wendet ihrem Spiegelbild den Rücken zu, überlegt kurz, ob sie nicht lieber erst zurück ins Schlafzimmer gehen soll, um das Bett zu machen, und erst dann den Föhn herausholen, bleibt dann aber mitten in ihrem Wohnzimmer stehen, die Hände in den Taschen des Morgenmantels, den Blick weit in der Ferne, bevor sie sich aufs Sofa sinken lässt. Sie muss aufpassen. So ist es nun einmal. Sie kann es nicht zulassen, dass jemand die Wahrheit erfährt, sie kann nicht einmal zulassen, dass sie selbst sich die Wahrheit eingesteht. Sie muss weiterhin so leben, wie sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hat, darf nicht dem, was vor mehr als einem Menschenalter geschehen ist, erlauben, die Monate oder Tage, die ihr noch bleiben, zu zerstören. Sie darf sich nicht einmal gestatten, das immer wieder durchzukauen. Irgendwann muss damit einmal Schluss sein. Schließlich handelte es sich doch nur um so kurze Zeit. Und es ist schon so lange her. Zwei Jahre im Kinderheim und zweieinhalb Jahre im Lager. Dann Schweden und ein neuer Name und ein neues Leben. Ein Leben, das sie achtundsechzig Jahre lang gelebt hat. Das sind die Jahre, mit denen sich ihre Gedanken beschäftigen sollten, die Erinnerung an Hanna und Olof und das Kind, das sie trotz allem bekam, das Kind, das aufgewachsen ist und ihr ein Enkelkind und sogar ein Urenkelkind geschenkt hat. Thomas, Camilla und Sixten. Sie sind es, an die sie denken sollte, an einem Tag wie diesem, dem Tag, von dem sie behauptet, es wäre ihr fünfundachtzigster Geburtstag. Nicht, dass sie weiß, wie es eigentlich um diese Sache steht. Sie weiß nicht, an welchem Tag sie geboren wurde, sie weiß nicht einmal, in welchem Jahr das eigentlich war. Aber wenn es ihr gelungen ist, die ganze Welt davon zu überzeugen, dass sie am 21. Juni 1928 geboren wurde, dann ist es ja wohl erlaubt, davon auszugehen, dass sie tatsächlich genau in diesem Jahr geboren wurde oder möglicherweise in dem Jahr davor oder danach. Und dann ist es nur gut, wenn sie weiterhin auch selbst daran glaubt. Denn wenn sie es nicht tut, wenn sie jetzt anfängt, davon herumzufaseln, wie es eigentlich darum bestellt ist, dann wird sie vermutlich umgehend in ein Altersheim verfrachtet werden, und das will sie auf keinen Fall. Also ist es ihr nicht erlaubt, daran zu denken, wie sie eigentlich heißt oder wann sie eigentlich geboren wurde. Denn sie heißt ja Miriam. Und wird heute fünfundachtzig Jahre alt. Am Tag der Mittsommernacht.

Sie holt tief Luft und versucht in die Ruhe des Raumes einzutauchen, möchte genauso ruhig und besonnen werden wie die Farben hier drinnen, strengt sich an, ihre inneren Bilder zu überwinden und sie zu zwingen, den äußeren Platz zu machen. Das Porträt von Olofs Großmutter lächelt so freundlich wie immer, und auch wenn sie sich nie begegnet sind, so weiß Miriam, dass dieses Lächeln auch ihr gilt, der Miriam Adolfsson, die früher einmal tat, als wäre sie Jüdin, die aber keine Ahnung hat, was der jüdische Glaube eigentlich beinhaltet, die anschließend konvertiert ist zur evangelischen Kirche und später Agnostikerin wurde. Olofs Großmutter war auch eine Zahnarztfrau und Agnostikerin, auch sie ist früh Witwe geworden, auch sie ist in diese kleine Wohnung ein Stockwerk höher gezogen, als Olof und seine erste Ehefrau in die Wohnung im Erdgeschoss zogen. Ein halbes Jahr später hat man sie herausgetragen. Sie ist in einer hellen Frühlingsnacht im Schlaf gestorben, und Olof hat immer behauptet, dass sie noch im Tod sanft gelächelt hat. Miriam kann das nur schwer glauben, denn keine der vielen Leichen, die sie gesehen hat, hat jemals sanft gelächelt, aber jetzt, sechs Jahrzehnte später, beginnt sie zu ahnen, dass er tatsächlich recht haben könnte. Ein glücklicher Mensch kann bis in den Tod hinein glücklich sein. Ein lächelnder Mensch kann bis in den Tod hinein lächeln.

So. Jetzt hat sie die gefährlichen Gedanken in die Flucht geschlagen, also steht sie auf und geht ins Schlafzimmer. Öffnet die Balkontür und lässt den schönen Sommer in ihr blaues Zimmer, genießt ihn, während sie sorgfältig ihr Bett macht. Anschließend geht sie zum Schrank im Flur und holt den Staubwedel, fährt mit ihm über den Nachttisch und den kleinen Tisch neben Olofs Sessel, weiter über die marmorne Fensterbank und – nach einem kurzen Zögern – über die Fußleisten, geht dann hinaus auf den Balkon und schüttelt den Staubwedel aus, wobei sie einen ängstlichen Blick auf Kaisers Garten wirft. Doch nein, im Augenblick ist er nicht zu sehen, er steht nicht da und wittert gierig nach ihrer Angst, also kann sie ganz beruhigt wieder hineingehen und weiter Staub wischen. Zuerst den Sekretär, dann den kleinen Computer, schließlich alle Fensterbänke im Wohnzimmer. Den Tisch natürlich und die kleine Marmorfigur, die Olof ihr auf ihrer ersten Auslandsreise gekauft hat, damals in Italien. Sie streicht mit dem Wedel über die Falten der drei dänischen Lampenschirme, die über dreißig Jahre alt sind, aber nur leicht vergilbt scheinen. Dann geht sie weiter in die Küche, bleibt dort jedoch unschlüssig mitten im Raum stehen. Hier gibt es nichts zu tun. Katarina hat das Frühstückstablett mit hinuntergenommen, und gestern Abend hat sie selbst die Küche aufgeräumt. Die letzten Fliederzweige stehen in einer kleinen Vase auf dem Tisch, die Vase steht auf einer weißen, gestärkten kleinen Decke mit weißer Stickerei. Von ihr selbst bestickt. Und über dem Handlauf des Herds hängt ein sauberes Leinenhandtuch, noch vollkommen unbenutzt. Alles ist, wie es sein soll. Miriam hat sich selbst geschworen, niemals eine heruntergekommene alte Schrulle zu werden, die schlecht riecht und den Staub langsam auf ihr Leben rieseln lässt, und dieses Versprechen hat sie gehalten. Sie ist eine Dame. Eine ältere Dame, die alles im Griff hat. Deshalb wird sie sich jetzt die Haare föhnen, sie weiß, trocken und schön pusten, und dann wird sie ihr hellblaues Sommerkleid herausholen. Das ist zwar dreizehn Jahre alt, aber das macht nichts, denn es ist so klassisch und klar im Schnitt, dass es auch gestern erst geschneidert sein könnte. Um den Hals wird sie sich das neue Tuch binden, das weiß und hellblau gemustert ist, und an jedem Ohrläppchen wird sie einen der goldenen Clips befestigen, die sie von Olof zu ihrem Fünfzigsten bekommen hat – und als Letztes wird sie sich natürlich das neue Armband ums Handgelenk binden. Das Geburtstagsgeschenk. Die Zigeunerarbeit.

Die Geräusche der Schmiede. Metall, das auf Metall geschlagen wird. Ein Zischen. Ein Lachen. Die Stimmen der Verwandten, die männlichen dumpfen und die weiblichen schrillen. Das fröhliche Lachen der Kinder, das über den Hof erschallt.

So war die Welt. So war sie immer gewesen. So sollte sie immer sein.

Doch die Welt kann sich sehr schnell verändern. Das muss sie schmerzhaft erfahren. In der einen Minute ist sie eine gewissenhafte große Schwester, die mit ihrem kleinen Bruder an der einen Hand und Papas Kaffeebecher in der anderen über die Pflastersteine des Hofes geht, in der nächsten Minute ist sie ein schreiendes Kleinkind, das in die andere Richtung gezerrt wird. Und das Merkwürdigste daran ist, dass es mitten in dem Schrei ein Loch gibt, ein ganz kühles Loch, das sie fast erwachsen werden lässt und ihr erlaubt, zu sehen und zu denken. Sie sieht, dass auch andere Kinder Widerstand leisten, dass Raul eine Frau in den Handschuh beißt und als Antwort eine Ohrfeige erhält, dass Anuscha versucht, sich loszutreten, aber erfolglos, und dass Didi auf dem Arm einer Frau in Uniform sitzt und verzweifelt seine Arme zu dieser Miriam ausstreckt, die noch Malika heißt. Sie weiß, sie muss sich ihm zuliebe zusammenreißen und aufhören zu schreien, doch sie kann es nicht, denn gleichzeitig weiß sie, dass nichts jemals wieder das Gleiche sein wird, dass die letzten Sekunden dieses Lebens, das sie immer gelebt hat, gekommen sind und vergehen. Außerdem weiß sie, dass Großvater sich geirrt hat, sie das aber niemals wird zugeben können, ihm gegenüber nicht, ihrem Vater nicht, auch Didi nicht, ja nicht einmal sich selbst. Großvater hat geglaubt, dass die Tatsache, dass er früher deutscher Soldat gewesen ist, die ganze Familie schützte und er ja außerdem einen festen Wohnsitz hatte, dass er sogar zwei Häuser besaß, zwar baufällig, aber trotz allem waren es zwei Häuser. Ein Wohnhaus und eine alte Waschküche. Dass vier oder fünf Karren oder Wohnwagen oder wie man sie nun bezeichnen soll, auf dem Hof stehen, das dürfte ja wohl keinen Unterschied machen. Das sind doch nur Verwandte auf Besuch, die stören niemanden, denn die Häuser liegen doch für sich, mehr als einen Kilometer vom Dorf entfernt.

Miriam kann sich nicht mehr daran erinnern, wie das Dorf hieß. Sie kann sich auch nicht mehr an den Vornamen ihres Vaters erinnern. Sie weiß nicht einmal mehr, wie er eigentlich aussah, und doch meint sie, sein Gesicht an dem letzten Tag niemals vergessen zu können. Der Ausdruck wechselte zwischen Wut und Scham, Verblüffung und Verzweiflung. Sie meint sich auch noch zu erinnern, dass er seinen kleinen Hammer in der rechten Hand hielt, den Hammer, den er immer bei seiner Arbeit benutzte, aber gleichzeitig weiß sie, dass dem nicht so gewesen sein kann. Die Kripo hätte es niemals zugelassen, dass er ein Werkzeug in der Hand hielt, sie hatten ihn in eine Ecke des Waschhauses gestoßen, in dem seine Werkstatt war, und dabei all sein Silber und Kupfer und sein gesamtes Werkzeug zu Boden gefegt. Daran erinnerte Miriam sich noch ganz genau, ebenso deutlich wie an die Frisur der Frau, die sie über den Hof zerrte. Ein sandfarbener Pony und eine halb herausgewachsene Dauerwelle. Die Frau lächelte nicht, nein, sie sah eher besorgt aus, als sie versuchte, Miriam über die Pflastersteine zu den Wagen zu zerren, wo die Nonnen standen. Das war nicht leicht. Miriam weigerte sich, die Füße zu heben, sie wehrte sich, so gut sie nur konnte. Und außerdem schrie sie, genau wie alle anderen. Die Luft war von Schreien erfüllt. Schreie der Mütter und der Kinder und das ohnmächtige Gebrüll der Väter. Vielleicht schrien die Polizisten ja auch. Oder brüllten. Das ist sehr wahrscheinlich. Die Frage ist, ob Polizeibeamte im Deutschland der frühen Vierziger ihren Mund noch öffnen konnten ohne zu brüllen, wenn sie sich in einer Zigeunersiedlung mitten auf dem Lande befanden. Eine Zigeunersiedlung mit einer unendlichen Anzahl von Kindern. Vierzehn oder achtzehn oder zweiundzwanzig dreckige Kinder, die zu Dieben und Betrügern heranwachsen würden, Mördern und Kinderfängern, Zuhältern und Fälschern. Vorausgesetzt natürlich, sie kämen nicht unter besseren Einfluss als den ihrer Eltern.

Miriams Vater hatte Ohrringe für sie gefertigt. Ein Paar kleine Silberkugeln in feiner Filigranarbeit, die an ihren Ohren baumelten, seit sie drei Monate alt war. Als sie im Kinderheim des Klosters angekommen waren, schauten die Nonnen sie sich an und schüttelten den Kopf über so etwas ausgeprägt Eitles, ließen sie aber, wo sie waren. Sie blieben noch lange in Miriams Ohren. Bis sie nach Auschwitz kam.

»Mischlinge«, sagten die Nonnen zu ihr und Didi, als sie die Kinder im Kinderheim aufnahmen. Noch war Miriam nicht Miriam, sie war immer noch ein Roma-Kind, das Malika hieß, und sie sprach fast genauso gut Deutsch wie Romanes, dennoch verstand sie nicht, was gemeint war. Es sollte mehr als ein Monat vergehen, bis Schwester Agathe es ihr endlich erklärte. Diese war Novizin und sehr viel freundlicher als die anderen Nonnen, zumindest sah sie freundlicher aus. Vielleicht lag es daran, dass ihre Haube weiß war und nicht schwarz wie die der anderen.

»Gemischtrassig«, sagte sie und legte den Kopf schräg. »Dein Papa war ein Zigeuner, aber deine Mama nicht. Deshalb seid ihr Mischlinge.«

»Meine Mama ist tot«, sagte Miriam, die immer noch Malika hieß.

»Ja«, nickte Agathe, »aber das nützt nichts.«

Trotz allem musste Miriam zugeben, dass es mitunter ganz angenehm war, im Kinderheim zu sein. Sie brauchte kein Essen zu kochen und nicht ständig Kaffee aufzusetzen, war davon befreit, Wäsche zu waschen und wieder Wäsche zu waschen und immer wieder, in immer neuem Wasser, in verschiedenen Bottichen, tagein und tagaus. Stattdessen saß sie mehrere Stunden lang jeden Tag in einer Schulbank und entdeckte langsam, wie sich die Welt der Buchstaben für sie öffnete. Sie konnte spüren, wie ihr Herz einen Sprung machte, als sie zum ersten Mal begriff, dass sie tatsächlich eines der Worte lesen konnte, die eine der Nonnen an die Tafel schrieb. JESUS. Sie schrie vor Glück auf und bekam augenblicklich eine Ohrfeige, doch das machte nichts. Sie konnte ja lesen.