Ich schreib mich in dein Leben - Barbara Herrmann - E-Book

Ich schreib mich in dein Leben E-Book

Barbara Herrmann

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Beschreibung

Regina, eine junge, hübsche Frau aus reichem Hause, verfolgt nach dem Abitur energisch den Wunsch nach persönlicher und finanzieller Unabhängigkeit, ausgerechnet über die Abendschule und die harte Arbeit in einem Callcenter. Dabei stolpert sie immer wieder über die Hindernisse und Unebenheiten zwischen den Aufgaben einer reichen Fabrikantentochter und dem holprigen Alltag einer arbeitenden und lernenden jungen Frau, was auch ihre Beziehung zum Scheitern bringt. Zwischen diesen beiden Welten lernt sie den Bestseller-Autor Viktor Tillmann kennen, einen Mann, der durch seine schwere Kindheit geprägt, nicht gerade eine glückliche Hand bei der Wahl seiner Partnerinnen hat. Als das Durcheinander im Leben von Regina und Viktor Schicksal spielt und sich die beiden immer wiederbegegnen, löst das nicht nur Gefühle, sondern auch Intrigen und öffentliche Schlammschlachten aus. Eine romantische, moderne Liebeskomödie.

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Seitenzahl: 264

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Das Buch

Regina, eine junge, hübsche Frau aus reichem Hause, verfolgt nach dem Abitur energisch den Wunsch nach persönlicher und finanzieller Unabhängigkeit, ausgerechnet über die Abendschule und die harte Arbeit in einem Callcenter.

Dabei stolpert sie immer wieder über die Hindernisse und Unebenheiten zwischen den Aufgaben einer reichen Fabrikantentochter und dem holprigen Alltag einer arbeitenden und lernenden jungen Frau, was auch ihre Beziehung zum Scheitern bringt.

Zwischen diesen beiden Welten lernt sie den Bestseller-Autor Viktor Tillmann kennen, einen Mann, der durch seine schwere Kindheit geprägt, nicht gerade eine glückliche Hand bei der Wahl seiner Partnerinnen hat.

Als das Durcheinander im Leben von Regina und Viktor Schicksal spielt und sich die beiden immer wiederbegegnen, löst das nicht nur Gefühle, sondern auch Intrigen und öffentliche Schlammschlachten aus.

Eine romantische, moderne Liebeskomödie.

Die Autorin

Barbara Herrmann ist in Karlsruhe geboren und in Kraichtal-Oberöwisheim aufgewachsen. Ihre Liebe zu Büchern und zum Schreiben begleitete sie während ihres ganzen Berufslebens als Kauffrau. Nach ihrem Eintritt in den Ruhestand sind mehrere Bücher (Romane, Reiseberichte, humorvolles Mundart-Wörterbuch) von ihr erschienen. Heute lebt die Mutter zweier Söhne mit ihrer Familie in Berlin.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

1

Es war ein traumhafter Frühlingsmorgen. Die Sonne strahlte vom Himmel, unzählige Vögel sangen fröhlich ihre Lieder, und in den liebevoll gepflegten Vorgärten blühten die Frühlingsblumen in all ihrer Pracht.

Regina war in Eile, sie achtete an diesem Tag nicht auf die Natur, die sich von ihrer schönsten Seite zeigte. Zielstrebig fuhr sie mit ihrem Auto auf einen freien Parkplatz, lief eiligen Schrittes in das Bürohaus in einem Gewerbegebiet am Stadtrand von Baden-Baden, warf nebenbei rasch einen Blick zur Uhr und stellte fest, dass sie nur noch wenige Minuten Zeit hatte. Eigentlich hasste sie es, so spät dran zu sein, und schon in aller Frühe in Stress zu verfallen, aber an diesem Morgen hatte sie schlicht und einfach die Zeit vertrödelt. Sie würde es gerade eben noch schaffen, pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen.

„Guten Morgen, Regina!“, rief ihr ihre Kollegin Elke freundlich entgegen, als sie kurz vor Arbeitsbeginn das Büro betrat.

„Hallo, Elke“, antwortete Regina noch völlig außer Atem.

Sie hetzte zu ihrem Schreibtisch, startete den Computer und legte den Kopfhörer bereit. Dann lief sie zu ihrem Schrank, zog im Gehen ihre leichte Jacke aus, hängte sie auf den Bügel, stellte ihre Handtasche ins Fach und verschloss den Schrank sorgfältig. Schnell strich sie sich durchs Haar und setzte sich an ihren Schreibtisch.

„Na, wie ist das Befinden unseres Chefs am heutigen Morgen?“, fragte sie Elke noch ganz außer Atem.

„Oh je, vor wenigen Minuten lief er ohne Gruß an mir vorbei. Ich glaube, seine Stimmung ist schon schlecht, noch bevor die Arbeit beginnt. Wir werden wohl wieder einen schwierigen Tag haben“, antwortete Elke und verdrehte die Augen.

„Der Mann ist einfach fürchterlich. Wie kann ein Mensch nur am frühen Morgen schon so schlecht gelaunt sein?“

Die beiden Frauen arbeiteten in einem Callcenter. Ihr Arbeitsplatz befand sich im fünften Stock in einem Großraumbüro, das mehr als vierzig Mitarbeiter beherbergte. Die Fenster waren groß, was den Raum sehr hell und freundlich erscheinen ließ, und zur Auflockerung hatte die Geschäftsleitung Grünpflanzen aufstellen lassen. Reginas und Elkes Schreibtische standen nebeneinander und waren nur durch eine kleine, dünne Wand getrennt, sodass sie sich ab und zu unterhalten konnten, wenn sie nicht gerade unter Beobachtung standen.

„Frau Rosenfeld, bitte zum Chef“, tönte die Stimme der Chefsekretärin monoton aus der Sprechanlage.

„Was ist denn nun schon wieder? Das darf doch nicht wahr sein. Ich bin kaum fünf Minuten hier und muss schon antanzen.“

Regina stöhnte, stand auf und machte sich mit einem unguten Gefühl auf den Weg, denn meistens bedeutete dies nichts Gutes. Sie klopfte an und trat in das Allerheiligste.

„Guten Morgen, Herr Bischoff“, sagte sie wachsam und mit angespanntem Gesichtsausdruck.

Wie er da saß und hinter seinem Schreibtisch thronte, wirkte er wie eine Schlange im Terrarium. Er war ein überdurchschnittlich langer, magerer Mensch, dessen Knochenspitzen sich beinahe schon unter dem Hemd abzeichneten. Seine Haare trug er aalglatt gescheitelt und mit Pomade fixiert. Diese Frisur erinnerte stark an die Zwanzigerjahre, denen er abhandengekommen zu sein schien. Die Augen flackerten giftgrün und blickten eiskalt, seine Mimik war starr und zu keinerlei menschlicher Regung fähig. Er trug stets einen grauen Anzug und ein weißes Hemd, seine Krawatten hatte er wahrscheinlich schon von seinem Vater übernommen. Eigentlich sah er aus wie aus dem Wachsfigurenkabinett. Bei diesem Gedanken huschte Regina ein fast unmerkliches Lächeln über das Gesicht.

Er antworte erst gar nicht auf ihren Gruß, sondern legte sofort los: „Frau Rosenfeld, wir mussten gestern beim Mithören erneut feststellen, dass Ihr Umgang mit den Kunden nicht dem Niveau unseres Hauses entsprach, ja geradezu beleidigend wirkte. Auch haben Sie im Vergleich zu anderen Kolleginnen weit weniger Anrufe entgegengenommen. So kann das beim besten Willen nicht weitergehen mit Ihrer schlampigen Arbeitsweise.“

Er betete die Worte herunter, ohne mit der Wimper zu zucken.

Regina ballte die Fäuste und überlegte blitzschnell, ob sie sich überhaupt dazu äußern sollte.

„Dieser Mann gestern, von dem Sie reden, hat mir obszöne Worte ins Ohr geflüstert. Das muss ich mir nicht gefallen lassen. Außerdem ist Ihre Kritik an meiner Arbeit nicht fair“, entgegnete sie erbost.

„Ich kann nur einen Anrufer nach dem anderen entgegennehmen. Schließlich haben Sie soeben verlangt, dass wir freundlich sein müssen. Es geht nun einmal nicht, aus Mangel an Zeit den Kunden das Wort abzuschneiden und einfach aufzulegen“, antwortete sie ohne Pause, um ihm ja keine Gelegenheit zu geben, sie zu unterbrechen.

Doch er ließ sich nicht beirren.

„Um eine Ausrede sind Sie wohl nie verlegen!“, schrie er.

„Wie dem auch sei, ich fordere Sie auf, keine Kunden mehr zu beschimpfen, egal was diese sagen. Haben wir uns verstanden?“

Er starrte abwartend durch sie hindurch.

Sie versuchte aber weiterhin, sich zu wehren.

„Ich muss mir doch nicht alles gefallen lassen, was ein Kunde zu mir sagt!“

„Ich erwarte eigentlich keine Proteste von Ihnen. Die Kunden gehen vor, basta!“

„Das stimmt. Aber wenn sie sich danebenbenehmen, dann muss ich ja wenigstens das Gespräch beenden können.“

Jetzt kam sie sich doch hilflos vor, was sie sehr ärgerte.

„Nein, gerade das können Sie nicht. Wir müssen unseren Auftraggebern gute Verkaufserfolge melden, und Erfolge erzielen Sie nicht, indem Sie Gespräche abbrechen.“

„Aber, ich…“

Er sprang auf.

„Ich werde darüber jetzt nicht mehr mit Ihnen diskutieren“, unterbrach er sie mit einer kurzen Handbewegung.

„Bitte halten Sie sich an meine Anweisung.“

Regina war gerade im Begriff, sich umzudrehen und den Raum zu verlassen, als noch einmal seine schneidende Stimme an ihr Ohr drang: „Ach, und noch etwas: Sie sollten in Zukunft dafür Sorge tragen, dass fünf Telefonate pro Stunde mehr auf Ihrem Zähler erscheinen. Wenn nicht, muss ich mir überlegen, ob Sie für unsere Firma noch tragbar sind. Sie erhalten eine schriftliche Abmahnung und können jetzt wieder an Ihre Arbeit gehen.“

Ohne sie weiter zu beachten, griff er zum Telefon.

Konsterniert stand Regina auf dem Flur. Wie in aller Welt kam er denn dazu, sich so zu verhalten?

Währenddessen hatte Elke fast mechanisch die eingehenden Anrufe abgearbeitet, denn sie war in ihren Gedanken bei Regina. Nur zu gut kannte sie die Situation, mit einem flauen Gefühl im Magen vor diesem Mann zu stehen. Kritik trug er stets unbeherrscht vor, seine Stimme war sehr laut, geradezu cholerisch. Argumente oder gar Befindlichkeiten seiner Mitarbeiterinnen wischte er mit einer energischen Handbewegung vom Tisch.

„Meine Güte, das hat ja lange gedauert! Hat er dich wieder fertiggemacht?“, fragte Elke sofort, als Regina eintrat.

„Ja, ausgerechnet bei diesem obszönen Anrufer gestern haben die mitgehört, und mein Arbeitstempo muss ich auch erhöhen. So langsam habe ich das alles satt!“

Während sie sprach, setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch, nahm den Kopfhörer in die Hand und grübelte vor sich hin. Jörg Bischoff würde sich nie ändern. Wie konnte ein Mann von fünfunddreißig Jahren, der ja schon einiges in seinem Berufsleben erreicht hatte, nur so verbittert sein? Unter dem Personal wurde gemunkelt, dass er noch zu Hause lebte, seine kranke Mutter versorgen musste und keine Freundin oder Frau hatte. Letzteres war durchaus glaubhaft, wenn man sein Äußeres betrachtete. In der Firma galt er als Streber, man sah ihn ständig auf dem Weg zur Geschäftsleitung. Mit seinen Aktionen konnte er immer Pluspunkte für sich selbst sammeln. Jeder wusste, dass er daran arbeitete, zum Direktor aufzusteigen, und dabei ging er rücksichtslos über alles und alle hinweg.

Schwierig wurde es für die Kolleginnen, die seiner Meinung nach nicht genug arbeiteten, denn dies war seinen ehrgeizigen Zielen überhaupt nicht förderlich. Hatte er erst einmal eine Mitarbeiterin im Visier, setzte er sie so stark unter Druck, dass sie von selbst kündigte. Entlassungen hingegen kamen für ihn generell nicht infrage, denn damit würde er womöglich Arbeitsgerichtsprozesse provozieren und beim Vorstand schlafende Hunde wecken.

Vielleicht waren seine Lebensumstände nicht gerade ideal, dachte Regina enttäuscht, aber das war noch lange kein Grund, alle Mitarbeiterinnen ständig fertigzumachen. Der Tag hatte wirklich äußerst schlecht begonnen.

„Ich weiß nicht, vielleicht kündige ich ja bald. Das ist auf Dauer nichts für mich“, murmelte sie resigniert vor sich hin.

„Gib doch nicht gleich auf, Regina. Wir haben doch schon einiges mit ihm erlebt. Das ignorieren wir einfach.“

Andererseits, dachte Elke für sich, brauchte sich Regina das wirklich nicht anzutun, denn sie war eine wunderschöne Frau, groß und schlank, hatte schwarzes, langes Haar und hätte glatt als Mannequin durchgehen können. Vor ein paar Tagen war sie vierundzwanzig Jahre alt geworden. Blaue Augen und volle Lippen strahlten aus ihrem Gesicht, und ihre Kleidung war sehr geschmackvoll und von höchster Qualität. Mit Sicherheit trug sie keine Massenware, und man sah auf den ersten Blick, dass sie aus gutem Hause kam. Regina selbst redete nicht viel über sich und ihre Familie. Das war das Schöne an ihrem Arbeitsverhältnis. Sie erweckte zu keiner Zeit den Eindruck, etwas Besseres zu sein, und deshalb fühlte sich Elke trotz ihrer Einfachheit wohl in Reginas Gesellschaft.

„Ach was, Regina“, sagte sie schließlich tröstend, „der hat uns doch schon so oft zusammengebrüllt. Das bringt uns nicht mehr aus der Ruhe.“

„Aber irgendjemand müsste ihm einmal Einhalt gebieten.“

„Das schaffen wir nicht. Eher verlieren wir unsere Arbeit“, stellte Elke trocken fest.

„Genau damit arbeitet er, mit den Ängsten der Leute, das ist ja das Schlimme. Alles in mir sträubt sich dagegen, ich bin das nicht gewohnt. Weißt du, Elke, man darf sich nicht alles gefallen lassen.“

„Da hast du nicht unrecht. Aber ich kann mir keine Machtkämpfe leisten. Wenn er mich rauswirft, liege ich meinen Eltern auf der Tasche.“

„Vielleicht auch nicht, wenn wir zum Vorstand gehen.“

„Ach, die sind doch auch nicht anders. Du kannst das ja machen, du bist nicht unbedingt darauf angewiesen.“

„So sehe ich das nicht. Meine Eltern würden sich die Hände reiben, wenn ich mit einem Misserfolg ankomme. Das werde ich nicht tun. Zu lange musste ich um meine berufliche Freiheit kämpfen.“

Regina erinnerte sich an die endlosen Diskussionen mit ihren Eltern. Ihr Vater Martin hatte tagelang auf sie eingeredet, als sie ihnen nach dem Abitur mitgeteilt hatte, wie sie sich ihr zukünftiges Leben vorstellte. Ihre Mutter Marga war noch schwieriger zu überzeugen gewesen. Regina verstand durchaus ihre Argumente: Die Familie Rosenfeld stand in der Öffentlichkeit, und eine Fabrikantentochter, die einen sogenannten „einfachen“ Beruf wählt, wurde eben nicht verstanden. Wenn man überhaupt arbeitete, dann eröffnete man eine Galerie oder Ähnliches, so zumindest war die übliche Vorstellung. Es war ihr klar, dass sie von den Honoratioren der Stadt belächelt werden würde. Wie befürchtet hatte es eine Weile gedauert, bis die Lästereien, die zwar hinter der Hand geflüstert wurden, jedoch immer bis zu ihr vordrangen, aufgehört hatten.

Regina hatte das nie begriffen und wollte es auch nicht begreifen. Sie konnte nichts anfangen mit dem Leben ihrer Freundinnen, deren Zeitvertreib darin bestand, nach Paris oder anderswohin zu fliegen, um die Boutiquen zu plündern und dabei gesehen zu werden. Die jungen Männer, die ihr bis dahin den Hof gemacht hatten, fanden Regina irgendwann langweilig, lachten öffentlich über sie und ließen sie fallen.

Doch mittlerweile war Ruhe eingekehrt, und man schwieg geflissentlich, auch gegenüber ihren Eltern.

Elke überlegte und blickte Regina lächelnd an.

„Deine Sorgen möchte ich haben, Regina. Dein Vater hat doch notfalls Beziehungen und verschafft dir eine Arbeit. Aber du hast dir ausgerechnet diesen Job ausgesucht. Man weiß doch, was in der Branche los ist. Es gibt nur ganz wenige, von denen man hört, dass es dort menschlich zugeht. Lass dir von deinem Vater helfen.“

„Genau das will ich aber nicht. Komm wir legen los, sonst schmeißt er uns gleich raus“, forderte Regina Elke auf und zuckte die Schultern.

Der Tag verging dennoch schnell. Die beiden Frauen räumten pünktlich um fünf Uhr ihren Schreibtisch auf und verließen gemeinsam das Büro. Regina hatte es besonders eilig, sie musste zur Abendschule. Es war ihr wichtig, dort pünktlich zu erscheinen, ging es doch darum, bald ihre Prüfung zur Europasekretärin abzulegen.

Während sie ihr kleines Auto aus der Parklücke steuerte, huschten ihr die Ereignisse des Tages noch einmal durch den Kopf. Sie überlegte ernsthaft, ob sie nicht im Callcenter kündigen sollte. Diese Arbeitsplätze waren ein Phänomen der Zeit und nicht sonderlich erbauend. Viele Firmen gaben die Arbeiten, die vorher durch eigene Mitarbeiter erledigt worden waren, an solche Unternehmen ab. Dadurch ersparten sie sich die Personalkosten und konnten Forderungen stellen. Für die Frauen und Männer, die dort arbeiteten, hatte das nicht unerhebliche Folgen. Sie wurden schlecht bezahlt und außerdem wurde der Druck aus den Forderungen der Auftraggeber nach unten weitergereicht.

Ein leichtes Stöhnen kam über Reginas Lippen. Es kam bei ihr alles zusammen. Sie war einfach im Augenblick mit sich und ihrem Leben nicht gerade zufrieden. Eine vernünftige Erklärung, warum das so war, hatte sie aber nicht. Alles störte sie.

An ihrer Seite war auch ihr Freund, Jochen Pfitzer. Er war achtundzwanzig Jahre alt, hatte rote Haare und grüne Augen, und sein Gesicht war von Sommersprossen übersät. Versicherungskaufmann hatte er gelernt und bemühte sich zielstrebig und ehrgeizig um beruflichen Erfolg. Prinzipiell führten sie eine gute Beziehung, aber sie war ohne Höhen und Tiefen, beinahe schon langweilig. Wie bei einem alten Ehepaar, dachte Regina. Der einzige Unterschied war, dass sie nicht in einer gemeinsamen Wohnung lebten. Regina fühlte sich in Jochens Wohnung überhaupt nicht wohl, es war ihr dort zu ungemütlich, die Räume strahlten keine Behaglichkeit und Wärme aus. Typisch Mann eben, stellte sie immer wieder fest.

Reginas Smartphone klingelte und riss sie abrupt aus ihren Gedanken. Sie fuhr den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Es dauerte einen Moment, bis sie das Gespräch annehmen konnte.

„Regina, hier ist Jochen.“ Er machte eine kleine Sprechpause.

„Liebling, ich wollte dir nur sagen, dass wir uns heute nicht sehen können. Ich muss noch ein paar Außentermine bei Kunden wahrnehmen. Es tut mir sehr leid. Aber das siehst du doch ein?“

Ein wenig verärgert dachte sie für einen kurzen Moment nach. Er fragte noch nicht einmal mit einer Höflichkeitsfloskel nach ihrem Befinden. Sollte sie das nun einsehen oder nicht? Eigentlich hätte sie nach diesem sehr unerfreulichen Tag eine breite Schulter gebraucht. Aber Jochen? Er würde sie ja doch nicht verstehen.

„Ja, ist gut. Ich bin ohnehin müde und freue mich auf einen ruhigen Abend. Viel Erfolg“, antwortete sie knapp.

„Danke. Ich wusste, dass du Verständnis hast. Wir sehen uns dann morgen Abend.“

„Ja. Bis morgen Abend.“

Sie fuhr flott weiter.

Regina fühlte sich plötzlich erleichtert, obwohl sie eigentlich hätte enttäuscht sein müssen. Das war kein gutes Zeichen, jetzt schon zu wissen, dass der Mann, der einen eigentlich auffangen sollte, wenn es einem nicht gut ging, nicht der richtige Gesprächspartner war. Wer, wenn nicht er? Doch sie hatte keine Zeit mehr, ihre Gedanken weiterzuführen, sie war bereits an der Schule angekommen.

Die nächsten vierzehn Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse, wenn man einmal davon absah, dass Jörg Bischoff täglich seine Abteilung aufmischte, sich aber zur Abwechslung andere Kolleginnen vornahm. Auch Elke war unter den Opfern, dabei eskalierte die Situation so stark, dass sie einen Weinkrampf bekam. Regina tröstete sie und half ihr über die schweren Klippen des Vormittags.

„Komm, Elke, hör auf zu weinen. Das ist doch die ganze Sache nicht wert. Der ist doch ein Spinner.“

Sie erhob sich und nahm die Freundin in den Arm.

„Ich habe doch nur meine Arbeit gemacht. Für den Auftrag, der storniert wurde, kann ich nichts. Der Bischoff muss so etwas akzeptieren. Der kann doch nicht mir die Schuld geben“, schniefte sie.

Die Tränen liefen unaufhörlich. Ihre Hände zitterten und ihre Augen waren gerötet.

„Aber du solltest doch inzwischen wissen, dass er immer solche Dinge für sich benutzt. Natürlich muss er die Stornierungen akzeptieren. Sie schmälern aber seinen Umsatz, und das will er eben nicht. Stornos muss er unbedingt vermeiden.“

„Oh, Herr, lass Abend werden. Der Morgen kommt von selbst“, sagte Elke immer noch weinend.

Regina lachte. „Na, siehst du, du kannst schon wieder Sprüche loslassen. Außerdem hast du vor ein paar Tagen zu mir gesagt, dass wir das wegstecken.“

„Das stimmt. Aber es ist leichter, jemand anderem diesen Rat zu geben, als ihn selbst zu beherzigen.“

„Trotzdem sollten wir es wegstecken. Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen, gerade nicht von ihm“, sagte Regina beschwörend und schüttelte Elke ganz leicht an der Schulter.

„Machen wir.“

Elke hatte sich wieder etwas beruhigt und straffte die Schultern, während sie den Kopfhörer aufsetzte und wieder zu arbeiten begann.

Trotz oder gerade wegen ihrer vielen Verpflichtungen zerrte Reginas Unzufriedenheit auch in der nächsten Zeit an ihren Nerven. Sie wollte sich aber dennoch mit einer Entscheidung über ihre Zukunft Zeit lassen, um nichts zu überstürzen, sie musste überlegt handeln. Heute war sie gegen Abend so schlecht gelaunt, dass sie den Feierabend herbeisehnte und einfach nur noch nach Hause wollte.

In der Altstadt von Baden-Baden, genauer gesagt in der Bäderstraße, besaß sie eine wunderschöne Wohnung mit Terrasse, die ihr die Eltern zu ihrem zwanzigsten Geburtstag geschenkt hatten. Im Laufe der Zeit hatte sie sich mit viel Freude und sicherem Geschmack ein gemütliches Zuhause geschaffen. Sie liebte Antiquitäten und moderne Designs im Kontrast, und so hatte es lange gedauert, bis alles nach ihren Vorstellungen eingerichtet war. Jeden Tag weidete sie sich an dem Anblick des hellen Wohnzimmers, das ihr ganzer Stolz war. Seit sie hier eingezogen war, hatte sie sich einen solchen Raum erträumt, sie hatte dafür gearbeitet, gekämpft und gespart, und sie hatte es aus eigener Kraft geschafft. Nun, vielleicht nicht ganz, die Eltern waren mit im Spiel gewesen, weil sie die Wohnung gekauft hatten, aber immerhin gehörte ihr dieses Traumzimmer, was sie mit großer Zufriedenheit registrierte. Es wirkte durch die Einrichtung noch geräumiger, als es in Wirklichkeit war, weil nur wenige, aber auserlesene Möbelstücke großzügig und gefällig darin verteilt waren. Ein mit schwarzem Leder überzogener Sessel und ein massiver Schreibtisch mit einer Lampe und einem Telefon aus den Fünfzigerjahren gleich unter den beiden Fenstern. Eine moderne Couch, ein Rauchtisch, eine Musikanlage, niedrige Sessel und eine Stehlampe in der Sitzecke. Ein breites Bücherregal aus dem 19. Jahrhundert mit Büchern, deren Rücken auf Farbwirkung hin angeordnet waren. An der einen Wand eine altchinesische Vase mit roten Rosen auf einem Hocker, an der anderen eine echte niederländische Barocktruhe und darüber ein Barockspiegel. Die Wände waren mit Seidentapete bespannt. Es war alles sehr harmonisch und geschmackvoll zusammengestellt.

Selbstverständlich hatte sie auch hier ihre Prinzipien und legte großen Wert darauf, das Geld für ihre Einrichtung überwiegend selbst verdient zu haben. Auf jedes Stück, das neu dazukam, war sie mächtig stolz. Regina bedauerte, dass Jochen sie nicht dabei unterstützte, nicht mit ihr gemeinsam die schönen Dinge aussuchte.

Er sah oft noch nicht einmal, dass sie ein neues Möbelstück hatte. Einmal hatte sie sich eine kleine Kommode gekauft, die sie im Flur aufstellte. Als er kam, konnte er deswegen nicht den üblichen Weg einschlagen, sondern wäre beinahe an der Kommode hängengeblieben. Er stockte, hielt kurz inne, und anstatt sich zu wundern, dass da ein Hindernis stand, schüttelte er nur den Kopf und ging in einem Bogen daran vorbei.

Sie hatte sich geärgert und war sehr enttäuscht, dass er ihre Leidenschaft nicht teilte.

Er war viel zu praktisch veranlagt und äußerst sparsam, was häusliche Investitionen anging, was man an seiner Wohnung besonders gut erkennen konnte. Er wohnte in einer einfachen Mietskaserne, zwei Zimmer, Küche und Bad. Sein Wohnzimmer war erschreckend, die Couch von den Eltern, alt und abgenutzt, der Tisch von der Oma und schon reichlich zerkratzt, ein billiges Selbstbauregal für die Bücher, und sein Schreibtisch stammte noch aus seinen Kindertagen. Die Tapeten waren wohl noch vom Vormieter, die Muster schon bestimmt zwanzig Jahre alt, und deshalb inzwischen unmodern und vergilbt. Der Boden war natürlich mit Linoleum ausgelegt und ausgetreten. Regina fröstelte bei dem Gedanken an Jochens Wohnung.

Sie stellte ihr Auto ins Parkhaus des Einkaufscenters, von dem sie eine Dauerparkkarte besaß. Als sie den Fahrstuhl betrat, entschloss sie sich, in der Lebensmittelabteilung auszusteigen und einzukaufen. Sie würde an diesem Abend ein schönes Essen für Jochen zubereiten. Vielleicht würde ihr das ja gegen ihre schlechte Laune helfen. Als sie in der dritten Etage ausstieg, umgaben sie sofort herrliche Düfte und viele bunte Auslagen, sodass sich ihre Stimmung schlagartig verbesserte. An der Fischtheke verlangte sie ein schönes Lachsfilet, wählte anschließend Gemüse für einen gemischten Salat und kaufte ein Baguettebrot. Fast fröhlich und heiter trat sie nach ihrem Einkauf den kurzen Weg nach Hause an und nahm an der Ecke noch einen Blumenstrauß mit, der sie draußen vor dem Blumengeschäft angelacht hatte.

Zu Hause angekommen öffnete sie fröhlich pfeifend die Terrassentür und ließ die herrliche Luft des warmen Frühsommerabends einströmen. Dann ging sie in die Küche, packte die Einkaufstasche aus, tupfte den Fisch ab, putzte das Gemüse und rührte die Salatsoße an. Den Tisch deckte sie mit größter Freude. Sie nahm ihr gutes Geschirr, das sie sich selbst vor einiger Zeit gekauft hatte, ein weißes, edles Porzellan. Farblich dazu abgestimmt legte sie Servietten auf und stellte zwei Kerzen in die Mitte des Tisches. Fehlten nur noch die Blumen, Gläser und ein paar dekorative Kleinteile. Nachdem alles fertig war, betrachtete sie den beinahe schon festlich gedeckten Tisch. Blumen und Kerzen harmonierten vorzüglich mit dem Geschirr. Dann machte sie sich noch etwas frisch und streifte sich einen exklusiven Hausanzug über. Schon klingelte es dreimal kurz an der Haustür.

„Hallo, mein Schatz, hier bin ich.“

Etwas abgehetzt trat Jochen ein, nahm Regina zärtlich, aber kurz in die Arme und küsste sie mit einem flachen Schmatzer auf den Mund.

Regina ignorierte diese oberflächliche Begrüßung und unterdrückte die Enttäuschung, die langsam in ihr aufkeimte.

„Schön, dass du da bist. Wie war dein Tag heute?“

„Anstrengend!“ Jochen verdrehte die Augen.

„Du kannst dir nicht vorstellen, was bei uns zurzeit los ist. Wir haben Arbeit bis zum Abwinken.“

Er blieb im Flur stehen, die Aktentasche unter den Arm geklemmt und in der anderen Hand zwei Ordner, dick und prall gefüllt mit Unterlagen aus der Firma.

„Komm, entspann dich, ich habe lecker für uns gekocht.“

Jochen betrat das Wohnzimmer. Beim Anblick des festlich gedeckten Tisches hielt er inne.

„Ach, du Schreck, habe ich einen besonderen Tag vergessen?“, fragte er fast schuldbewusst, und eine leichte Röte überzog sein Gesicht.

„Keineswegs! Kann man denn nicht auch ohne besonderen Anlass einen netten Abend verbringen?“, entgegnete Regina leicht zickig, während sie in die Küche ging, um das Essen aufzutragen.

„Entschuldige, aber ich war darauf nicht vorbereitet. Ich habe mir eine Menge Unterlagen mitgebracht, die ich heute noch dringend durcharbeiten muss. Für ein gemütliches Dinner habe ich jetzt keine Zeit, deshalb wäre mir eine schnelle Pizza lieber gewesen.“

Er wollte sie tröstlich stimmen und schlug vor, später zum Ausklang des Abends noch ein Glas Wein zu trinken. Unbeeindruckt trat er an Reginas Schreibtisch und legte seine Unterlagen dort ab.

Regina stockte vor Wut der Atem, sie war außer sich und zog die Stirn kraus. Ihre Hände zitterten, ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie nur mit Mühe zurückhalten konnte.

„Jochen, pack deine Sachen und fahre in deine Wohnung zum Arbeiten! Du hast dich jetzt völlig danebenbenommen und ich will dich für den Rest des Abends hier nicht mehr sehen!“, forderte sie ihn auf und ihre Augen blitzten ihn wütend an.

Jochen stand immer noch am Schreibtisch und hielt inne. Er konnte nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. So kannte er seine Regina gar nicht. Er hatte es doch nicht böse gemeint, schließlich musste er noch hart an seiner Karriere arbeiten, um ihr ein standesgemäßes Leben bieten zu können. So aufgebracht hatte er sie noch nie gesehen, was ihn gleichzeitig auch unsicher machte.

„Aber ich habe doch nichts Schlimmes getan, oder? Du bist doch nicht etwa böse, nur weil ich noch arbeiten muss? Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder doch?“, fragte er vorsichtig.

„Ich bin enttäuscht, maßlos enttäuscht. Kannst du dir das nicht vorstellen?“

Sie blickte ihn aufgeregt und böse an.

„Seit Wochen erstickst du in Arbeit. Wir sind noch so jung, und trotzdem geht jeder von uns jetzt schon seine eigenen Wege. Das ist doch absurd, findest du nicht?“

„Aber das müssen wir doch auch. Wir wollen doch etwas erreichen in unserem Leben. Das muss man eben Abstriche machen. Ich sehe keine Alternative“, erklärte er und schüttelte dabei den Kopf.

„Aber doch nicht jeden Tag. Warum gehen wir nicht ein einziges Mal ins Theater, ins Kino oder sonst irgendwohin?“

„Meine Güte, das geht eben im Moment nicht. Ich muss auch am Wochenende dranbleiben, wenn ich die Karriereleiter erklimmen will.“

Regina hatte sich noch nie so missverstanden gefühlt. „Interessiert es dich eigentlich gar nicht mehr, wie es mir geht? Du weißt gar nicht, was ich in letzter Zeit erlebt habe, was mir gerade Sorgen macht, weil du mit deinen Gedanken gar nicht mehr da bist. Unsere Beziehung ist schlimmer als bei einem alten Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hat!“

Nun wurde Jochen ungehalten. Für ihn waren Reginas Vorwürfe nicht berechtigt, er fand vielmehr, dass sie sich absolut kindisch aufführte.

„Regina, hör doch mit dem Blödsinn auf! Du bist doch kein kleines Kind mehr, sei doch vernünftig. Was soll denn schon passiert sein? Wir haben doch alle mehr oder minder Schwierigkeiten im Beruf. Die können wir doch nur durch mehr Leistung meistern und nicht durch ständiges Jammern.“

„Geh bitte“, konnte sie nur noch flüstern und zeigte unmissverständlich mit dem ausgestreckten Arm zur Tür.

Er zuckte resigniert mit den Schultern, packte seine Tasche und fügte sich widerwillig der bizarren Situation.

Regina schloss die Tür hinter ihm und löschte die Kerzen auf dem Tisch, das schöne Essen beachtete sie nicht mehr. Sie ließ sich auf das Sofa fallen, wo sie in Tränen ausbrach.

Was an diesem Abend geschehen war, war die Krönung und der Beweis der schleichenden Zweifel, die sie seit einiger Zeit beschäftigten. So konnte es nicht weitergehen. Jochen war zwar ein zuverlässiger Freund und Liebhaber, aber sie hatte kein Herzklopfen mehr, wenn sie ihn sah. Er war anstrengend in seinem Bestreben, möglichst nah an die Gesellschaftsschicht ihrer Eltern heranzukommen. Und er sah nicht ein, dass er das nie würde erreichen können. Regina legte keinen Wert auf diesen Wettlauf, sie wünschte sich einen zärtlichen, romantischen Partner, der zwar wie sie selbst auch beharrlich an der beruflichen Zukunft arbeitete, aber nicht vom Ehrgeiz zerfressen wurde und dabei die Liebe völlig vergaß. Das war eindeutig zu viel für Regina: das Theater in der Firma, die schwere Ausbildung und nun auch noch der Streit mit Jochen.

„Ich muss mein Leben ändern, das steht jetzt fest“, flüsterte sie unter Tränen. Aber was sollte sie zuerst tun? Sich von Jochen trennen? Den Job kündigen? Oder sollte sie sich von beidem auf einmal lösen?

Müde machte sie sich für die Nacht fertig, legte sich ins Bett und nahm sich fest vor, ihr Leben neu auszurichten. Mit dieser Entscheidung konnte sie einigermaßen beruhigt einschlafen.

In der nächsten Zeit geschah nicht viel Nennenswertes. Regina erledigte tagsüber ihre Arbeit im Callcenter, besuchte an-schließend ihre Schule und entspannte sich später am Abend bei ihrem Hobby: einen Roman zu schreiben.

Jochen hatte sich nicht mehr gemeldet. Die Entscheidung über ihr zukünftiges Leben hatte sie vertagt, denn sie war noch unsicher, was sie eigentlich wollte. Seit Jahren hatte sie sich an Jochen gewöhnt.

Sie konnte sich auf ihn verlassen, er war offen und ehrlich, aber ihre Beziehung plätscherte nur so dahin, es fehlte ihr die Sehnsucht, den anderen sehen zu wollen.

Jochen hatte ihr schon lange nicht mehr spontan gesagt, dass er sie liebte. Dennoch würde niemand verstehen, wenn sie die Beziehung, die nach außen hin gut und sicher schien, einfach aufgeben würde.

Eines Abends klingelte das Telefon, und zu ihrem Erstaunen war Jochen am Apparat. Mit gelöster und fröhlicher Stimme fragte er: „Regina, warum meldest du dich denn nicht? Bist du immer noch böse wegen dieser Lappalie?“

Regina schüttelte den Kopf. Jochen hatte wirklich nichts begriffen.

„Was erwartest du denn? Ich stelle mich in die Küche, bereite mit viel Liebe ein herrliches Essen zu, und du hast nichts im Sinn außer den Versicherungsakten, die du mitgebracht hast. Hast du denn überhaupt kein Feingefühl mehr?“

„Ich weiß, aber du musst verstehen, dass die Firma und die Karriere zunächst einmal vorgehen müssen.“

Sie hatte aufgehört, zu zählen, wie oft er schon mit dieser Erklärung angekommen war.

„Für mich aber nicht! Ich habe Verständnis für die Arbeit, schließlich will ich es auch zu etwas bringen. Aber das Privatleben darf dabei doch nicht zu kurz kommen!“, rief sie aufgebracht.

„Du hast gut reden. Wenn du nicht willst, musst du ja nicht. Aber ich? Wie soll ich neben dir bestehen? Außerdem könnten wir alles einfacher haben, deine Wohnung könntest du vermieten und bei mir einziehen. Wir hätten weniger Kosten und würden uns jeden Abend sehen können“, stellte er sachlich und nüchtern fest.

Regina sah seine Wohnung vor sich, so unpersönlich in dem großen Mietshaus. Fast konnte sie die unterschiedlichen Gerüche, die aus den einzelnen Wohnungstüren krochen, schon aus der Ferne riechen. War ihre eigene Wohnung da nicht viel besser? Ein großzügiger, wunderbarer Altbau mit einer großen Terrasse inmitten der romantischen Altstadt von Baden-Baden. Sollte sie ihm anbieten, in ihrer Wohnung zusammenzuleben?

Vielleicht würde dann wirklich alles besser und leichter sein, doch dies würde auch nicht seine innere Einstellung ändern. Das würde ihn auch nicht aufmerksamer und zärtlicher werden lassen. Deshalb würde er auch nicht mehr Zeit mit ihr verbringen. Was hatte sie davon, wenn er den Abend an ihrem Schreibtisch verbrachte? Nein, dazu war sie noch nicht bereit.

„Nein, Jochen, ich bin mir nicht mehr sicher, ob wir zusammenpassen. Und solange das so ist, möchte ich nicht mit dir zusammenziehen. Ich möchte, dass jeder von uns seine Wohnung behält.“

„Was soll das heißen, ob wir zusammenpassen?“

„Das heißt, dass wir unsere Beziehung überdenken sollten, weil sie nicht mehr ist, wie sie sein sollte.“

„Jetzt geht das schon wieder los!“

„Nichts geht los“, antwortete sie resigniert.

„Was ist nur mit dir, Regina? Du solltest ein paar Tage Urlaub machen. Beruf und Schule scheinen dir den Blick für das Wesentliche zu verstellen.“

„Was soll das denn? Du nimmst mich einfach nicht ernst!“

„Nein, in dieser Angelegenheit nicht. Wir sind beide so eingespannt, dass du nicht deinen Stress auf unserer Beziehung auskippen solltest“, rief er.

„Ich kippe nichts auf einer Beziehung aus, die in Wirklichkeit keine mehr ist. Bei uns kann man doch nicht von Beziehung sprechen. Das ist… Ach, ich weiß nicht, was das ist. Das ist gar nichts mehr!“

„Warum kann man mit dir nicht mehr vernünftig reden, Regina?“

„Mit mir? Du verdrehst doch die Tatsachen!“

„Ich finde keine Worte mehr, ich kann nicht mehr argumentieren, weil du dich so kindisch benimmst“, wandte Jochen ein.