Ich und die Perlweißkuh - Susanne Fülscher - E-Book

Ich und die Perlweißkuh E-Book

Susanne Fülscher

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Beschreibung

Lina ist 11 und lebt mit ihrer Mutter rundum zufrieden und glücklich alleine. Eines Tages gerät ihre heile Welt jedoch ins Wanken: Die Mutter präsentiert ihren neuen Freund Niklas, dessen Tochter Berta genau in Linas Alter ist. Was die Mutter praktisch findet, ist für Lina der Albtraum schlechthin. Zum einen, weil Berta eine ätzende "Perlweißkuh" ist, zum anderen, weil es zwischen dem "Farblosen" und ihrer Mutter etwas richtig Ernstes zu sein scheint. Für Lina ist klar, dass es einen Plan geben muss, das Liebespaar auseinander zu bringen. Berta ist ihr dabei gern behilflich, denn auch sie hat keine Lust auf eine "neue Familie". Doch während die Mädchen ihre Intrigen spinnen, passiert etwas, womit keine der beiden gerechnet hat ...

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel:eBooks,
einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.
Copyright © 2005 by Susanne Fülscher
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.
Covergestaltung: Agentur bürosüd°, München
Konvertierung: Jouve
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
eISBN 978-3-95530-111-8
edel.com
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Inhaltsverzeichnis
TitelImpressum123456789101112131415161718192021222324252627282930
1
Elf zu sein ist kein Vergnügen. Man ist weder Fisch noch Fleisch, weder Karpfen noch Dackel, sondern einfach nur elf. Elf und ziemlich hilflos, wenn es um rotgesichtige Mütter geht, die einfach, ohne zu klopfen, ins Zimmer platzen, mit einem Fetzen von Kleid wedeln und einen zur Schnecke machen.
»Lina, das Teil kann ich wegwerfen!« Mum baute sich vor meinem Schreibtisch auf und schnaubte wie ein feuerspeiender Drache.
Ich blickte von der Matheaufgabe auf. Im ersten Moment wusste ich wirklich nicht, was ich damit zu tun haben sollte, dass sie ihr Kleid entsorgen musste. Doch Mum machte noch einen Schritt auf mich zu und hielt mir das gepunktete Etwas hin. »Hier! Und hier! Und hier!«
Irgendwie konnte ich gar nichts weiter erkennen, außer ein paar Tuschespritzern vielleicht, aber die ließen sich doch locker wieder rauswaschen. Wahrscheinlich waren sie aus Versehen draufgekommen, als ich die Blumenwiese auf dem Küchentisch getuscht hatte.
»Und? Was sagt Madame jetzt?!« Als Ergänzung zu ihrem roten Kopf hatte Mum nun auch noch jede Menge Flecken am Hals.
»Was soll ich denn sagen?«, fragte ich mit Zuckerwattestimmchen. Besser auf ahnungslos machen.
»Dich vielleicht mal entschuldigen?«
»Tschuldigung, Mum.«
»Mehr nicht? Ist das alles?« Sie war jetzt kurz vorm Explodieren und ich verstand überhaupt nichts mehr. Eben noch hatte sie verlangt, dass ich mich entschuldigte, kaum tat ich es, regte sie sich umso mehr auf. Aber so waren Erwachsene nun mal. Immer sagten sie Dinge, die sie dann doch nicht so meinten.
Mum rührte sich nicht vom Fleck. Irgendetwas musste ich mir jetzt einfallen lassen, sonst würde sie noch übermorgen hier rumstehen und mich böse anstarren.
»Aber die Blumenwiese ist doch schön geworden, oder?«
»Die Blumenwiese – ?! Die Blumenwiese – ?!« Mum spuckte fast schon Gift und Galle. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst in deinem Zimmer tuschen! Dann hätte ich jetzt noch ein Kleid, um wenigstens ab und zu mal auszugehen!«
Sie zerknautschte den gepunkteten Lumpen, klemmte sich ihn unter die Achsel, machte auf dem Absatz kehrt und flatterte zur Tür hinaus.
Ich musste mich erst mal beruhigen. Und weil ich am besten in der Horizontalen denken kann, legte ich mich auf mein Eisenbett und studierte die vielen selbst gemalten Bilder an der orange gewischten Wand. Tulpen, Äpfel in der Schale, am liebsten mochte ich jedoch die Katze im Salatbeet, auch wenn die Salatköpfe mehr Medizinbällen als essbarem Grünzeug glichen. Von draußen war das lautstarke Geklapper des Geschirrs zu hören.
Dann hätte ich jetzt noch ein Kleid, um wenigstens ab und zu mal auszugehen! Was für ein Unsinn. Als würde ich Mum ständig daran hindern auszugehen. Sie konnte von Glück sagen, dass es mir nichts ausmachte, abends alleine zu bleiben. Außerdem ging sie für ihr Alter wirklich oft genug aus. Einmal die Woche mindestens und Verehrer hatte sie dank ihrer Shakira-Figur wie unsere Nachbarin Frau Schöller-Gnosemann Haare an den Beinen.
Am späten Nachmittag kam Mum dann ein zweites Mal in mein Zimmer geschossen. Zum Glück ohne Kleiderfetzen unterm Arm. Und sie sah auch nicht mehr wie ein feuerspeiender Drache aus.
»Die Blumenwiese ist wirklich schön geworden«, meinte sie anerkennend, setzte sich zu mir aufs Bett und musterte den dunkelblauen Teppich, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen.
Noch während ich darüber nachgrübelte, warum Mum plötzlich wieder so nett war, sagte sie mit Weichspülerstimme: »Linchen. Hör mal ... Ich muss da was mit dir besprechen.«
Alles klar. Wenn Mum diesen Tonfall anschlug, plante sie meistens ein Attentat. Und in 95,7 % der Fälle hatte das Attentat dann mit Hausarbeit zu tun, die ich zu erledigen hatte. Von Klo schrubben bis zu Keller ausmisten war da alles drin.
Ich zog die Knie bis zum Kinn und beäugte Mum misstrauisch. Doch die saß nur stumm da und versuchte verzweifelt sich eine der halblangen Pony-Haarsträhnen hinters Ohr zu klemmen. Warum fing sie nicht endlich an zu reden? Erst als ich sie mit dem Fuß anstupste, stammelte sie: »Tja ... Wie soll ich sagen ...« Umständliches Räuspern. »Ich hab da jemanden kennen gelernt.«
Ich nickte. Dass Mum jemanden kennen lernte, war schon öfter vorgekommen.
»Niklas heißt er.«
Wieder nickte ich.
Mum lachte kieksend. »Stell dir vor – Niklas ist auch alleinerziehend.«
Alleinerziehend. Aha.
»Und er hat eine Tochter ... Die ist genauso alt wie du!«
»Ja und?« Ich warf mich auf den Bauch und tauchte in mein mit weißen Spitzen umrandetes Kuschelkissen ab. Und wenn dieses Mädchen am gleichen Tag wie ich geboren wäre – meine Freundinnen suchte ich mir schon selbst aus.
Mums Hand krabbelte an meinem Nacken herum.
»Linchen?«
»Du kannst das Geld für die Reinigung von meinem Taschengeld abziehen«, grunzte ich ins Kissen. Das wollte sie doch bestimmt hören.
Aber Mum erwiderte nichts, sondern zupfte und zerrte so lange an mir herum, bis ich mich schließlich umdrehte.
»Mach dir wegen des Kleides mal keine Gedanken.« Zum Glück hatte sie jetzt ihren alten Mum-Gesichtsausdruck wieder. »Es ist nur so ... Also, die Sache mit Niklas und mir ...«
So wie Mum rumstotterte, stand da wohl eine ganz schreckliche Beichte an.
»Lina – diesmal ist es was Ernstes.«
Ich schoss wie eine Rakete in die Senkrechte. »Was soll das heißen – was Ernstes?«
»Dass wir uns vorstellen können, eines Tages ... also irgendwann in ferner Zukunft ... zusammenzuziehen.«
Ich sah Mum entgeistert an. Eben erzählte sie mir, dass sie jemanden kennen gelernt habe, und schon läuteten die Hochzeitsglocken? Da war doch irgendwas faul.
»Seit wann kennst du diesen Niklas denn?«
»Na ja ...« Mum lief schweinchenrosa an. Allerdings ohne Inselgruppe am Hals.
»Seit wann?«, hakte ich drohend nach.
»Lass mich überlegen.« Mum legte die Stirn in Falten, so als sei es wahnsinnig anstrengend, sich zu erinnern. »Seit einem halben Jahr vielleicht?«
»Das ist jetzt nicht dein Ernst!
»Linchen, ich ...«
Aber da hatte ich mich schon vom Bett hochgerappelt und war aus dem Zimmer gerannt. Einen Moment überlegte ich, ob ich mich auf dem Klo einschließen sollte, nur würde das auch nichts an dieser grausamen Tatsache ändern. Also flüchtete ich mich ins Wohnzimmer, warf mich auf das knarzende Rattansofa und schaltete aus Protest den Fernseher an. Mum kam kurz darauf nach, die Daumen in die Schlaufen ihrer ausgewaschenen Lieblingsjeans gehakt.
»Aber ich will nicht, dass hier jemand einzieht!«, schrie ich, indem ich den Ton lauter und lauter drehte. »Keiner soll bei uns einziehen!«
»Hier wird auch niemand einziehen.« Mum nahm mir die Fernbedienung aus der Hand, dann stellte sie den Fernseher leiser. »Wir müssten uns wenn sowieso eine größere Wohnung suchen. Aber so weit sind wir noch lange nicht.«
2
Ich heulte und heulte, und als irgendwann keine Tränen mehr da waren, fühlte sich nur noch meine Nase wund an. Das hatte ich nun davon. Quasi eine neue Familie an den Hacken und dazu einen roten Zinken im Gesicht.
Mum konnte oder wollte mich nicht verstehen. Ich hätte mir doch immer eine komplette Familie gewünscht. Klar, unbedingt – allerdings nicht irgendeine Familie! Es wäre schön gewesen, wenn mein Vater meine Mutter damals, als sie mit mir schwanger gewesen war, nicht einfach sitzen gelassen hätte. Oder wenn ich ihn zumindest später hätte kennen lernen dürfen. Aber was nicht ging, ging eben nicht. Und vielleicht war es auch nur gut, denn so konnte mir niemand meinen Traum vom Super-Paps kaputtmachen.
Mum fing erst eine Woche später wieder mit dem Thema an. Ganz, ganz behutsam. Zunächst kochte sie mein Lieblingsessen – Nudeln mit Tomatensoße, zum Nachtisch gab es Mousse au Chocolat –, dann lud sie mich ins Kino ein, und abends durfte ich mit ihr zusammen eine amerikanische Serie gucken, in der es um Sex und Mord und Totschlag ging.
Nanu, dachte ich, was ist denn bloß mit Mum los, doch da sprudelte es auch schon aus ihr heraus. Sie hätte Niklas und Berta am Sonnabend zum Kaffeetrinken eingeladen.
Obwohl ein paar Feuerwerkskörper in meinem Magen explodierten, versuchte ich ganz cool zu bleiben. »Wer ist Berta?«, fragte ich.
»Niklas’ Tochter«, flötete Mum und knetete dabei ihre Hände.
»Und warum hat die so einen schrecklichen Namen?«
Mum griff nach einem Päckchen Streichhölzer auf dem marmorierten Couchtisch und schob es nervös hin und her. »Wer sagt denn, dass Berta ein schrecklicher Name ist?«
»Ich.«
»Berta ist ein genauso schöner oder schrecklicher Name wie Lina. Oder Sabine. Oder Niklas. Namen sind doch reine Geschmackssache.«
Ich erwiderte nichts und dachte mir meinen Teil.
»Lina ... Du benimmst dich doch, oder?« Mum grinste breit, wohl um sich bei mir einzuschmeicheln. Leider geriet ihr Gesichtsausdruck dabei so verkrampft wie bei einem Staubsaugervertreter, der nie seine Ware loswurde.
»Mal sehen«, nuschelte ich und nahm mir vor, mich kein bisschen zu benehmen.
»Was soll das heißen – mal sehen?«
In diesem Moment hatte ich eine Idee. »Wenn ich endlich eine Katze haben darf, benehme ich mich wie ein blondes Engelchen.« Keine Ahnung, wie ich darauf kam, dass blonde Engel braver waren als andere Himmelsgeschöpfe.
»Lina, das ist Erpressung!« Mums Grinsen erlosch schlagartig.
Und wennschon! Was war denn das, was Mum gerade mit mir veranstaltete? Mich einfach vor vollendete Tatsachen zu stellen, und ich durfte dann zusehen, wie ich damit klarkam.
Aber Mum ließ sich nicht weichklopfen. Schließlich sei sie gegen Katzen allergisch, das müsste ich doch langsam mal kapieren. Ganz die beleidigte Leberwurst, zog sie sich dann in die Küche zurück, um dort an irgendwelchen verklebten Töpfen herumzuschrubben.
Ich ging zu meinem Freund Ole, der direkt über uns wohnte und mit dem sich prima Kriegsrat halten ließ. Wenn man’s genau nahm, waren wir nur heimlich miteinander befreundet. In Oles Klasse wurde man als Junge nämlich ausgelacht, wenn man mit einem Mädchen befreundet war. Ein bisschen albern, fand ich, schließlich waren wir weder ineinander verknallt noch verlobt, aber Ole zuliebe spielte ich das lächerliche Spiel eben mit. Lächerlich war es deshalb, weil wir in der Schule immer so tun mussten, als würden wir uns gar nicht kennen, und nur in unserem Häuserblock nach Herzenslust herumquatschen und herumalbern konnten. Ehrlich gesagt wartete ich nur auf den Tag, an dem uns irgendein Junge aus Oles Gang dabei erwischte.
»Du musst den Typen und seine Tochter rausekeln«, schlussfolgerte Ole messerscharf und machte Handstand gegen die dunkelgraue Wand. Alles in Oles Zimmer war grau oder schwarz oder grau-schwarz meliert und irgendwie ziemlich unheimlich. Besonders jedoch die riesigen Gummispinnen auf seiner Fensterbank.
»Und wie?«
»Und wie und wie und wie ...« Er lehnte immer noch mit den Beinen gegen die Wand. Weil er am besten überlegen konnte, wenn das Blut in den Kopf floss – so seine Theorie. Ich fragte mich nur, was er tat, wenn er eine Klassenarbeit schreiben musste.
»Ich hab’s!«, murmelte er nach circa drei Minuten und kam wieder runter. Sein Gesicht war puterrot. »Du mischst Gift in den Kuchen!«
»Ole, ich will den Heini und seine Tusnelda-Tochter nur rausekeln! Nicht umbringen!«
Ich sah schon – der Handstand hatte nicht viel gebracht.
»Dann kippst du eben die Kaffeekanne um oder antwortest nicht, wenn dich jemand was fragt. Oder schneidest in einer Tour Fratzen.«
Aha. Damit kamen wir der Sache doch schon ein wenig näher. Im Fratzenziehen war ich anerkannte Meisterin, und eine Kaffeekanne sollte auch mit Leichtigkeit umzustoßen sein.
Ole ging jetzt in den Spagat. Weniger um vor mir anzugeben, als um seine Biegsamkeit zu trainieren. Er hatte nämlich vor, als weltbester Kunstturner in die Geschichte einzugehen. Für den Anfang fuhr er fast jedes Wochenende zu Turnwettkämpfen und vertrat unsere Schule bei Jugend trainiert für Olympia.
»Ich könnte allerdings auch eine Stinkbombe durchs Fenster werfen.«
Ole federte im Spagat nach, dann beugte er seinen Oberkörper weit nach vorne. Er war wirklich der gummiartigste Mensch, den ich kannte.
»Nee, danke«, winkte ich ab.
Eine Stinkbombe hätte zwar den Vorteil, dass das Berta-Niklas-Gespann mit Sicherheit schnell das Weite suchen würde, andererseits aber den Nachteil, dass unsere Wohnung bis auf weiteres unbewohnbar sein würde.
So weit das Thema Ole und seine herausragenden Vorschläge.
Die Tage vor dem besagten Samstag gingen relativ normal über die Bühne. Das heißt, eine Sache war doch nicht so ganz normal. Mum tänzelte mehr als sonst um mich herum, sie bekochte und betüterte mich und verzichtete sogar auf einen ihrer Ausgehtage. Freiwillig. Ohne dass ich vorher erst stundenlang hatte rummaulen müssen.
Am Freitag kam sie mit drei prall gefüllten Einkaufstüten von ihrer Arbeit in der Videothek zurück. Mehl, Zucker, Eier, Backpulver, Äpfel, Schokolade, Fertigpizza, Obst, Käse, Nudeln, Tomaten, Würstchen – alles Mögliche stapelte sich kurz darauf auf unserem Küchentisch und ich fragte mich, ob Niklas und seine blöde Tochter wohl nur antraten, um sich bei uns vollzufressen.
3
Am Samstag wachte ich mit bleischweren Gliedern auf. Wenn ich mich ein bisschen anstrengte, würde ich es vielleicht gar nicht schaffen, aus den Federn zu kommen. Ich würde einfach festmontiert in meiner Mohnblumenbettwäsche liegen bleiben, Mum müsste mir Kakao und Croissants ans Bett bringen und vor allem müsste sie die Fressorgie mit dem Berta-Niklas-Gespann absagen, weil ich mich ja nicht rühren konnte.
Die Tür ging auf und ein rosa Päckchen flog durch die Luft. Es landete genau vor meinem Kleiderschrank. Mit einem Satz war ich aus dem Bett und vergaß dabei ganz, dass ich ja eigentlich bleischwere Beine hatte.
»Was ist das?« Ich befühlte das Paket von allen Seiten.
»Na, was wohl? Ein Geschenk.« Mum grinste so selig, als wäre sie gerade damit beschenkt worden.
»Hab ich vielleicht Geburtstag?«
Mum schwang sich auf meinen Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. »Nun mach’s schon auf!«
Anstatt wie andere Leute das Einwickelpapier einfach abzureißen, pulte ich ganz langsam den Tesafilm ab. Ich fand es großartig, mich selbst ein wenig auf die Folter zu spannen. Nach zwei, drei Minuten hatte ich es geschafft. Ein weiches Etwas lag locker, von rosa Geschenkpapier umhüllt, vor mir. Ich musste nur ein bisschen am Papier zupfen und ... schon hielt ich ein T-Shirt in den Händen. Rosa und mit Rüschen und fast bauchfrei. Noch lieber wäre mir zwar ein T-Shirt gewesen, dass nicht nur fast bauchfrei, sondern ganz bauchfrei war, doch da stellte sich Mum quer. Sooft ich ihr auch verklickerte, alle Mädchen in unserer Klasse würden ganz bauchfrei herumlaufen, das Argument zog nicht bei ihr. Angeblich befürchtete sie, dass ich einem Kinderschänder in die Hände fallen könnte. Ich fand das zwar ein bisschen übertrieben, andererseits war fast bauchfrei immer noch besser als gar nicht bauchfrei.
»Das ziehe ich gleich heute Nachmittag an!«
»Na bitte«, sagte Mum lächelnd, rutschte vom Schreibtisch und ging wieder raus.
Ich blieb wie benebelt auf dem Fußboden hocken und grübelte darüber nach, was Mum mit dem na bitte gemeint haben könnte.
Na bitte, geht doch. Man muss Lina nur ein neues T-Shirt schenken und schon pariert sie wie ein Zirkuspferd?
Kaum gedacht, sprang ich schon auf und hastete in die Küche, wo Mum gerade mit aufgekrempelten Ärmeln einen Kuchenteig ausrollte.
»Ich lass mich aber nicht kaufen!«, polterte ich los, indem ich ihr das funkelnagelneue T-Shirt vor die Füße warf.
»Wie kannst du so was nur behaupten, Lina?« In Windeseile breiteten sich rote Flecken an Mums Hals aus. »Warum sollte ich dich denn kaufen wollen?«
»Das weißt du ganz genau!«
Mum kniff die Augen zusammen und meinte dann in etwas schärferem Tonfall, ich solle doch erst mal abwarten, vielleicht würde ich Niklas und Berta ja ganz nett finden.
Mir gefällt aber niemand, der sich in unsere Zweierfamilie drängen will, dachte ich böse, und lief ohne ein weiteres Wort aus der Küche.
Dumm nur, dass das schöne T-Shirt jetzt auf dem Küchenboden lag und dort wahrscheinlich mit Kuchenteigkrümeln übersät vergammeln würde. Ich putzte mir die Zähne, drückte einen kleinen Pickel am Kinn aus, dann ging ich in der unsinnigen Hoffnung in mein Zimmer, dass Mum das T-Shirt in der Zwischenzeit vielleicht wieder auf mein Bett gelegt haben könnte. Fehlanzeige. Kein T-Shirt weit und breit. Also musste es wohl noch in der Küche sein.
Mum saß mit verschmierter Wimperntusche um die Augen am Küchentisch, der Kuchenteig lag noch genauso unfertig da wie vorhin. Jetzt wollte sie mich wohl auch noch mit ihren Tränen weichklopfen! Wortlos hob ich das T-Shirt auf und verzog mich gleich wieder in mein Zimmer. Eigentlich hatte ich ja vorgehabt so richtig lecker zu frühstücken, mit Schokocreme und allem Drum
4
Eine halbe Stunde später brachte mir Mum mein Frühstück ins Zimmer. Zum Glück sah sie wieder ganz normal aus. Keine verschmierte Wimperntusche, kein Griesgramgesicht.
»Soll ich Berta und Niklas absagen?«, fragte sie netterweise.
Ganz die liebe kleine Lina, schüttelte ich den Kopf und dachte insgeheim: Oh ja bitte, tu’s! Tu’s für mich!
» Willst du nicht Ole Bescheid sagen? Er könnte mit uns ...«
»Nein, vielen Dank.«
Zwar war die Idee gar nicht mal übel, ich mit männlicher Verstärkung an meiner Seite, doch letztlich konnte mir Ole ja doch nicht helfen. Außerdem hätte er in seiner Panik, für meinen Verlobten gehalten zu werden, sowieso nicht mitgespielt. Meine neue Fast-Schwester Berta ... Wahrscheinlich hatte sie Glubschaugen, Warzen im Gesicht und fettige Haare. Wie peinlich, Ole so eine vorstellen zu müssen.
Nach dem Frühstück hatte ich mich immerhin wieder so weit eingekriegt, dass ich Mum bei den Vorbereitungen helfen konnte. Das Radio dudelte leise und außer »Gibst du mir bitte mal das Mehl?«, »Ach ja, und noch das Backpulver«, »Du, die Butter steht ganz hinten im Kühlschrank« redeten wir nicht viel. Das war wahrscheinlich auch besser so. Sonst hätte es doch nur wieder Streit gegeben.
Zum Mittagessen schmierten wir uns ein paar Brote, danach deckte ich den Esstisch im Wohnzimmer und faltete Servietten mit Blümchenmuster. Normalerweise tat ich so etwas nur zu Ostern und zu Weihnachten und schon gar nicht, wenn unliebsamer Besuch ins Haus stand, aber irgendwie lenkte es mich davon ab, dass der Zeiger der Uhr immer weiter vorrückte. Warum tuckerte mein Herz eigentlich wie verrückt? War Niklas etwa mein Lover?
Um drei sollte das Berta-Niklas-Gespann antanzen, um Viertel vor drei stand ich in meinem neuen T-Shirt vorm Spiegel in unserem schlauchartigen Badezimmer und kämmte meine sperrigen Wischmopp-Haare. Schon seit Urzeiten wollte ich lange Haare haben, doch statt vernünftig nach unten zu wachsen, standen sie nur kraus vom Kopf ab. Das war einfach gemein. Immerhin hatte Mum schöne glatte, braune Haare, Omi hatte graue, glatte und Opa ein paar glatte Fitzelsträhnchen in weiß. Was also nur bedeuten konnte, dass ich den Wischmopp von meinem Vater geerbt hatte. Mum behauptete zwar steif und fest, mein Vater hätte nie im Leben krause Haare gehabt, nur irgendwer musste das Gewächs auf meinem Kopf ja zu verantworten haben!
In meiner Not flocht ich mir zwei Zöpfe und steckte sie mit etlichen bunten Spangen am Hinterkopf fest. So war die Katastrophe nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen.
Es klingelte, gleichzeitig machte mein Herz einen doppelten Salto. Eine Sekunde lang dachte ich, komm, Lina, reg dich ab, das ist nur Ole, der dich zum Skaten abholen will, doch da wurde mir schlagartig klar, dass es nicht Ole sein konnte – ausgeschlossen!
Ich hörte hastige, klackende Schritte in der Wohnung, die Haustür wurde aufgerissen und schon quiekte Mum in viel zu hoher Tonlage: »Schön, dass ihr da seid, na, da freu ich mich aber, ach, hallo Berta, hallo, hallo, ach, und Herr Kaiser ist auch mitgekommen, da wird sich Lina aber freuen ... – Lina, komm mal! Der Besuch ist da!«
Wer zum Teufel war Herr Kaiser? Hatte das Berta-Niklas-Gespann jetzt gleich noch seinen Versicherungsvertreter, Notar oder Steuerberater mitgebracht?
Ich klemmte eine letzte sperrige Haarsträhne fest, stieß innerlich Indianergeheul aus, dann ging ich wagemutig auf den Flur. Das Erste, was ich wahrnahm, war ein Pfeil, der auf mich zugeschossen kam, netterweise jedoch einen halben Meter vor mir knurrend stehen blieb.
»Herr Kaiser, komm sofort hierher!«, gellte eine Männerstimme durch die Wohnung.
Das Untier fletschte noch ein letztes Mal die Zähne, danach trottete es mit hängendem Kopf davon.
Ich stand einfach nur da, zitternd wie Espenlaub. Herr Kaiser war also ein Hund. Ein riesiger Köter, um genau zu sein. Was um Himmels willen hatte ein riesiger Köter in unserer Wohnung zu suchen? Endlich traute ich mich wieder aufzublicken. An der Garderobe lehnte ein großer, bleicher Mann – vom Aussehen her in etwa so prickelnd wie ein Schluck Wasser ohne Kohlensäure –, daneben stand ein ebenfalls hochgewachsenes Mädchen mit langen, glatten, blonden Glanzhaaren und einer eng am Hals anliegenden Tattoo-Kette.
Das konnte nicht Berta sein – unmöglich! Abgesehen von der Haarpracht trug das Wesen auch noch ein bauchfreies T-Shirt. Und zwar nicht nur ein fast bauchfreies, sondern ein ganz und gar bauchfreies!