Ich wollte Hosen - Lara Cardella - E-Book

Ich wollte Hosen E-Book

Lara Cardella

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Beschreibung

Ein 19jähriges Mädchen beteiligt sich an einem Literaturwettbewerb des Verlagshauses Mondadori, gewinnt den ersten Preis und bringt 1989 mit dem Buch ›Ich wollte Hosen‹ eine ganze Nation durcheinander. Thema des italienischen Debüt-Erfolgs: Der sizilianische Macho – eine weitverbreitete Spezies, auch hierzulande anzutreffen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Lara Cardella

Ich wollte Hosen

Roman

Aus dem Italienischen von Christel Galliani

FISCHER E-Books

Inhalt

Ich habe nie vom [...]

Ich habe nie vom Märchenprinzen geträumt.

Und wenn bei uns einer nicht vom Märchenprinzen träumt, dann träumt er vom Herrn des Himmels oder er träumt gar nicht. Ich habe vom Herrn des Himmels geträumt, seit ich fünf war, und sie sagten mir, dieser Bärtige in den Wolken mit seinen herumschweifenden Augen und dem majestätischen Zeigefinger sei mein Vater.

Ich habe meinen Vater, den Irdischen, nie geliebt, denn der sagte zu mir, ich solle keine Hosen tragen und meine Beine nicht sehen lassen; der himmlische Vater dagegen ließ mir die Hoffnung, daß ich eines Tages Hosen anziehen dürfte wie mein Bruder und meine Beine zeigen wie Angelina, die Tochter von Ingenieur Carasotti. In meinem Zimmer auf dem Kinderbett zeichnete ich diesen großen Vater, und sein Zeigefinger war nicht majestätisch, sondern er paßte ganz in meine kleinen Hände, die ihn mit kindlicher Liebe umfaßten. Dann kam er herein und sagte, ich würde in die Hölle kommen, weil ich Gott lästerte, und er verstand nicht, daß ich Gott liebte.

Ich war gerade halbwüchsig, als ich beschloß, ins Kloster zu gehen. Mit wenig Erfolg und zum Verdruß aller besuchte ich das Gymnasium. In den faden Lateinstunden schaute ich zum Fenster hinaus und dachte, daß Er auf mich schaute, und vielleicht unbewußt lächelte ich ihm zu.

Eigentlich hatte nicht ich mich für den Besuch des Gymnasiums wirklich entschieden, sondern die drastischen Bedingungen, die mir mein Vater auferlegt hatte (»Entweder Schule oder du bleibst zu Hause«), brachten mich dazu, lieber die Schulbank zu drücken, als ewig am Webstuhl zu sitzen oder vor einem Berg Tomaten zum Einmachen. Ich war nicht sonderlich für Hausarbeit begabt, noch weniger fürs humanistische Gymnasium; vielleicht eignete ich mich für gar nichts, aber irgendwas mußte ich ja tun, vor allem, um zu beweisen, daß ich mich nicht von einem jungen Mann aus guter Familie aushalten lassen würde.

Also, zu der Zeit träumte ich davon, ins Kloster zu gehen: Ich malte mir dieses fromme klösterliche Leben aus, und wenn ich in unserem Dorf Nonnen auf der Straße sah, mußte ich einfach unter ihre Tracht schauen, ob sie vielleicht Hosen trugen. Zur Messe ging ich fast nie, weil ich trotz allen guten Willens bei Pater Domenicos langen Moralpredigten regelmäßig einschlief.

Meine Frömmigkeit war eher geistig, und meine Beziehung zu Gott spielte sich in den Grenzen der vier Wände meines Zimmers ab; denn da gehörte er mir allein und ich mußte ihn mit niemandem teilen. Diese Art Frömmigkeit wurde von den Leuten im Dorf nicht sonderlich geschätzt; sie verstanden eine Beziehung zu Gott als etwas Stilisiertes und Manieristisches, etwas, was nur über den Priester samt seiner Sonntagskollekte vermittelt werden konnte.

Ich ging fast nie zur Beichte. Nicht, daß ich nicht meine kleinen Sünden begangen hätte, ganz im Gegenteil, aber ich traute den Priestern, ihren Predigten und vor allem ihrem ständigen eindringlichen Bitten um Spenden nicht über den Weg. Vielleicht war ich auch schockiert darüber, daß Pater Domenico eines Sonntags mit lauter Stimme eine alte Dame tadelte, weil sie so knauserig gespendet hatte und sie warnte, sie würde nicht ins Himmelreich kommen. Außerdem fand ich, daß ich keinen Mittler für meinen Dialog mit Gott brauchte. Ich würde ja bald seine Braut werden.

 

Meine Klassenkameradinnen träumten vom Märchenprinzen.

Wenn sie aus dem Haus gingen, trugen sie ihre langen Blümchenröcke und die weißen Spitzenblusen. Kamen sie in der Schule an, sperrten sie sich auf dem Klo ein und her mit der Ausrüstung à la femme fatale: Lippenglanz nach dem letzten Schrei aus Paris, Lidschatten und Rouge, wie sie sie bei dieser berühmten Schauspielerin gesehen hatten … Wie hieß sie bloß?… Das war … Nein, das war die andere, das bringst du durcheinander … Dann knöpften sie sich die Blusen auf, die zwei obersten Knöpfe, zogen ganze Packungen Kleenex aus ihren Taschen, und schon waren die Busen prall und üppig; den Rock noch ein bißchen höher gezogen, in der Taille zusammengerafft, ein paarmal umschlagen, und der Saum kommt hoch bis übers Knie, so daß man die Kniestrümpfe sieht, die bis zur Wade gehen, und die groben Jungenschuhe, die man üblicherweise von der Oma geerbt hat und die auch die Mama schon trug, damit die Tradition fortgesetzt wird.

Ich sah aus einem Winkel zu und lachte aus der Höhe der Überlegenheit, die mir mein blauer Plisseerock verlieh und das lange schneeweiße Hemd von meinem Vater, noch wie neu und nach Mottenkugeln riechend. Ich lachte und dachte an die Verführungsszenen dieser kleinen Mädchen, die mit unübersehbarem Hüftwackeln durch die Schulflure schritten, ihre Hintern schwenkten und unter hysterischem Kichern die Kleenextüchter vor dem Verrutschen bewahrten. Die Jungen schauten ihnen zu, und ich hörte, wie Giovanni zu Giampiero sagte: »Vidisti cchi culu? Ia ccù chissa… Hast du den Hintern gesehen? Was ich mit der …«, und los ging’s mit einem Schwall kaum ausdenkbarer Vorhaben, der Phantasie wuchsen Flügel, genährt von den Pornoheftchen, die einer im Keller oder unterm Ehebett der Eltern oder in der Schachtel mit Papas Erinnerungsstücken gefunden hatte, neben seiner Pfeife und der Gebirgsjägerkappe. »Hast du Angelina schon gesehen? Die hat vielleicht zwei Titten, daß ich … Ich wüßte schon, was ich mit der machen würde!«

Dann kam ich vorbei und Schweigen im Walde, als wäre einfach niemand vorbeigegangen, das absolute Nichts. Aber das machte mir nichts aus. Ich träumte ja nicht vom Märchenprinzen und schmierte mich nicht so an … Und außerdem, was für ein Aufwand, nur um sich ein bißchen bewundern zu lassen! … Ich würde mich beleidigt fühlen, und außerdem waren ihre Kommentare wirklich nicht die Ohrfeigen und das Geschimpfe der Lehrer oder, schlimmer noch, des Direktors wert.

Der Direktor war ein alter Anhänger der Hitler-Bewegung, natürlich abgemildert durch seine eigene Mentalität. An Hitler schätzte er dessen repressive Manien, dessen autoritäre Haltung und Überzeugung, die Welt werde durch seinen Willen bewegt; diesen Charakterzügen eiferte er nach; und zu allem Überfluß sah er Mussolini ähnlich. Beim Ertönen der Schulglocke um halb neun wartete er oben an der Treppe auf uns, kerzengerade und stolz in die Brust geworfen, in seinem blaumelierten Anzug, mit wildem Blick und blankem Schädel. Er sagte fast nie etwas, kam langsam die Stufen herunter, als genösse er jeden Schritt, und prüfte die Rocksäume (manchmal hatte er auch einen Meterstab dabei), die Knöpfe an den Blusen, die Pullis auf Durchsichtigkeit, Gesichter, Wangen, Augen, Münder. Ein Ritual, das sich beim Ertönen der Schulglocke um dreizehn Uhr dreißig wiederholte, bloß daß diesmal ein paar Spuren Schminke übriggeblieben waren, ein paar Kleenextücher rutschten und manche Säume herunterhingen.

In solchen Fällen wurde der Direktor zur Furie, es setzte Ohrfeigen und Vorwürfe, und am nächsten Tag, wenn eine mit dem Vater kommen mußte, wieder Vorwürfe. Da schaltete sich dann der Vater ein: »Bonu ficia!… L’avia ammazzari a’ ’sta buttana. Recht hatten Sie!… Umbringen hätten Sie sie sollen, die Nutte«, die Mütter sperrten die Töchter ins Haus; wenn sie einkaufen gingen, hielten sie den Blick gesenkt vor Scham und Schande. Dann der Klatsch im Obstladen, im Lebensmittelgeschäft und beim Fleischer; und die Frauen, die an warmen Vormittagen vor dem Haus in der Sonne sitzen, einander hämisch zugrinsen und tuscheln und zischeln: »A vidisti? A vidisti? Hast du sie gesehn? Hast du sie gesehn?«

Ich bekam diese Szenen mit, war etwas angeekelt, fragte mich aber vor allem nach dem Warum. Ich war in demselben Dorf wie diese Leute geboren und aufgewachsen, aber dieses Interesse für das Leben anderer konnte ich noch immer nicht begreifen. Man wußte immer alles von jedem, keiner wurde verschont: Nachrichten verbreiteten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit von Mund zu Mund und bekamen bei jeder Station einen neuen Farbtupfer hinzu; wenn ein Mädchen später als sonst nach Hause kam, war sie innerhalb von ein paar Stunden eine Ausreißerin; wenn man in der Wohnung nebenan einen Teller fallen hörte, war das sicher ein Ehezwist und so in diesem Stil.

Niemandem war irgend etwas gleichgültig: Ein jeder interessierte sich für alles. Und in gewisser Weise ist das die menschliche Seite meiner Leute: Freilich hast du keine Handlungsfreiheit mehr, aber du hast auch nicht die Freiheit und das Recht, einsam zu krepieren. In meinem Dorf krepiert nicht einmal ein Hund für sich allein.

Die Rückkehr dieser Entehrten in die Klasse wurde im allgemeinen von feierlichem Schweigen begleitet. Natürlich schwiegen nur die Mäuler, denn die Gedanken waren in hellem Aufruhr: »Armes Ding, da schau an! Ihr Gesicht ist ganz rot …«, »Wie oft sie sie wohl geschlagen haben? …«, »So lernt sie wenigstens, wie man in die Schule kommt!« Und das Mädchen schritt langsam unter dem Gewicht dieser Blicke an seinen Platz, sie, das Opfer, sie, die buttana.

Aber dann kam die große Pause, und das Opfer wurde zur Heldin, stand im Mittelpunkt dieses Gewehrfeuers aus Fragen: »Was hat denn deine Mutter gesagt? Und dein Vater? Wie haben sie dich geschlagen? Mit einem Stock? Es heißt, sie hätten dich nackt auf den Balkon geschickt und es dir mit einem Gürtel gegeben … Armes Ding! …«

Und im Gewehrfeuer dieser Fragen und unterm Herabprasseln all dieser Armes Ding! wand sich die Arme so gut es ging, um niemandem unrecht zu tun. Dann, mit neuer Kraft und gestärkt durch die Schläge, bekräftigte sie mit lebendiger Stimme: »Passatimi u russettu, và! Na, dann gebt mir schon den Lippenstift rüber!«

 

Ich mit meinen 60 an Busen-Taille-Hüften dachte indessen ständig an mein Leben als Braut Christi, was mich den gewöhnlichen Wechselfällen meiner Kameradinnen etwas entfremdete. Ich war nicht besonders beliebt; mein einziges Glück war, daß ich nicht Klassenbeste und auch nicht Zweitbeste war, sonst hätte man mich gehaßt. Man behandelte mich von oben herab (eine Haltung, der ich genauso begegnete!) und stufte mich als geistig halb behindert ein und außerdem als völlig nichtssagend in körperlicher Hinsicht.

All das war mir nicht unangenehm, im Gegenteil. In meiner Aura aus Vollkommenheit und Apathie fühlte ich mich auserwählt.

Von meinem Vorhaben, ein geheiligtes Leben im Kloster anzustreben, ahnte niemand etwas, aber manchmal, im spirituellen Überschwang, war der religiöse Eifer nahe daran überzuschwappen, und das geschah vor allem in den Religionsstunden. In diesen Momenten war es wirklich schwierig, mein Geheimnis zu wahren, dann kritzelte ich Anspielungen in meine Hefte, an den Rand neben Mathematikübungen oder lateinische Übersetzungen.

Wie gesagt, ich war nicht besonders gut in der Schule, aber manche wußten von ut und dem Konjunktiv weniger als ich und baten mich auf dem Höhepunkt der Verzweiflung darum, ihnen meine Übersetzung rüberzureichen. Einmal war mein Altruismus fatal, denn ich vergaß, die Kloster und Nonnenleben preisenden Sätze auszuradieren. Und meine Klassenkameradin hatte wohl keinen ausgeprägten Sinn für Dankbarkeit, denn von diesem Tag an mußte ich mir von der ganzen Schule hinterhersingen lassen: »Eine kleine Nonne will ich werden …« und ähnliche Refrains. Bei aller Heiligkeit ließ ich dann manchmal meinen Glorienschein beiseite und brüllte wie eine Besessene.

Das Schlimmste war, als die Nachricht meinem Vater zu Ohren kam und ich angesichts seines forschenden Blicks nicht umhin konnte zu gestehen.

Mein Vater wollte von mir nur wissen, warum.

Ich antwortete: »Pirchì mi vogliu mettiri i pantaluna. Weil ich Hosen anziehen will.«

Natürlich bekam mein Vater meine stählerne Logik nicht gleich mit, aber nach ein paar Erklärungen prustete er vor Lachen. Ich schaute ihn an und verstand nichts. Und dann schaute er mich geradewegs an und sagte, diesmal ernst, mit sehr hartem Ton: »Nonnen tragen keine Hosen, sie haben ihre Nonnentracht, verstehst du?«

Und das hätte ich ihm glauben sollen!

Ich flüchtete mich in mein Zimmer und schrie, er sei ein Lügner. Glücklicherweise konnte ich mich einsperren, bevor sein Gürtel auf mich niedersauste.

Ich fürchtete mich vor meinem Vater, nicht nur weil er körperlichen Schmerz bereiten konnte. Es war sein Blick, der einem Schrecken einjagte, seine Augen, die in mir lasen, seine Augenbraue, die sich hob. Wir hatten keine gute Beziehung zueinander, wir haben nie eine gehabt. Ich war seine Tochter, wenn er meine Ehre verteidigen und mir eine gute Partie verschaffen mußte. Ansonsten redeten wir fast nie miteinander, wir waren Lichtjahre voneinander entfernt, und keiner von beiden verließ seine Position, um einen Schritt über die Grenzlinie zu tun.

Ich war nur eine Frau, und eine Frau ist bei uns für den Vater gleichbedeutend mit Sorgen, bis man einen anderen Vater für sie findet, der nur zufällig und aus Konvention den Namen Ehemann erhält. Frau ist Ehefrau, Frau ist Mutter, aber sie ist keine Person.

Vielleicht haben wir deswegen nie miteinander gesprochen, und auch deswegen konnte ich die Leute aus meinem Dorf nie als meine Leute betrachten. Es gab eine zu hohe Mauer zwischen Frausein und Personsein; es gelang mir nicht, mich anzupassen. Ich habe versucht, meinen Lebensstil zu ändern, aber leider konnte ich nie meine Seele vergewaltigen, und das haben diejenigen, die anders dachten als ich, mir nie verziehen.

Ich für meinen Teil habe nicht einmal versucht, die Mentalität der anderen zu ändern, weil ich sie zu sehr liebe, als daß ich solche Gewalt anwenden würde. Es gibt Überzeugungen, die in uns verwurzelt sind, ohne Bindung an Zeit, Raum und Umwelt. Wenn du versuchst, diese Überzeugungen zu töten, hast du die Person getötet, nicht bloß ihre Ansichten. Es gibt etwas, das in dir überlebt, trotz allem, und das, was übrigbleibt, bist du selbst, das wirkliche Du Selbst.

 

Nachdem ich ein wenig geweint hatte, öffnete ich das Fenster, das glücklicherweise, fast wie eine Tür, beinahe bis zum Boden reichte und riß von zu Hause aus. Ich nahm nichts mit, denn ich mußte mich Gott so schenken wie ich war. Und Hosen und Nonnenkleid würden sie mir geben.

Die Reise war nicht sehr weit, aber die Sonne macht hier auch das Nichtstun beschwerlich. Zum Kloster mußte man aufs Land hinaus; eine Landschaft, so schön, daß sie einem die Tränen besser zu trocknen vermag als die Sonne. Die Jahreszeiten hier bei uns folgen nicht dem Lauf der Natur, alles ist anders, als sei die Zeit angehalten worden. Auf den Straßen, zwischen den Feldern liegt der Duft von Erde, die mit der Kraft der Hände bearbeitet wurde, und die Bäume werden mit Hilfe von Dünger und Schweiß groß. Alles hier riecht nach Schweiß: Schau dir die Pferde an, sie sind nie wach und munter, sie haben die Müdigkeit der Arbeit an sich. Tiere sind wie Menschen, und Menschen sind wie Tiere.

Ich kam hundemüde beim Kloster an, nachdem ich mehr als eine halbe Stunde unter der Sonne und unter Tränen gegangen war. Die langen Haare schweißgebadet, müde bis in die Knochen, und dieses riesige Tor, vernebelt von Tränen und Kraft, o ja, die Kraft, mich als Heldin zu fühlen, als eine Art Märtyrerin, die sich dem Opfer verschrieben hat. Und die Märtyrerin klopft einmal, zweimal, dreimal …

Vom Balkon schaut eine Nonne herunter. Nachdem sie suchend herumgeschaut und niemanden gesehen hat, geht sie wieder hinein.

Ich setzte mich auf eine Stufe, fächelte mir mit dem Saum meines langen Rocks Wind zu und befeuchtete die Lippen mit Spucke, in meinem Mund brannte es höllisch. Ich hatte die Nonne gesehen und den Kopf nach oben gereckt, aber sie hatte keine Notiz von mir genommen. Und ich hatte nichts gesagt, weil ich nicht wußte, was ich sagen sollte.

Nach ein paar Minuten jedoch hörte ich hinter mir das Geräusch von schweren Schließriegeln, eine, zwei, drei Umdrehungen und noch mal und noch mal und dann Schlüsselgeklimper. Ich blieb regungslos in einem Winkel meiner Treppe sitzen und machte mich klein, so klein es nur ging.

Dann guckte ein milchweißes Gesicht aus der Tür, schaute herum und sah mich.

»Was machst du denn hier?«

»Ich… ich wollte sagen … Ich möchte Nonne werden.«

»Ja, wer bist du denn?«

»Ich bin Annetta … Anna, und ich möchte Nonne werden.«

»Das habe ich verstanden, aber wo sind denn deine Eltern?«

»Ich… ich habe keine, ich bin ein Waisenkind und lebe allein«, und ich brach in Tränen aus, dachte an meinen Vater, der mich schlagen wollte, und hätte wirklich eine Waise sein wollen.

Die Nonne sah mich etwas seltsam an, dann lächelte sie und ließ mich eintreten.

»Gut, du Waisenkind, erzählst du mir etwas über dich?«

»Was? Was wollen Sie wissen?«

»Zum Beispiel, wie alt du bist, wie du bisher gelebt hast, ob du zur Schule gehst …«

»Ich bin dreizehn und gehe nicht in die Schule, weil ich kein Geld habe … Erst lebte ich bei meiner Tante Concetta, aber dann hat sie gesagt, ich solle fortgehen, weil sie nicht mehr wußte, wie sie mich ernähren sollte …«

»Entschuldige, hast du nicht gesagt, daß du allein lebst?«

»Ja, schon … Das heißt, jetzt lebe ich allein … Und weil ich nichts anzuziehen habe … Kann ich ein Glas Wasser haben?«

»Natürlich, warte einen Moment«, und sie ging hinaus.

Ich blieb da sitzen, auf diesem zerschlissenen Diwan, und dachte darüber nach, was ich mir ausdenken sollte, und inzwischen sah ich mich um: ein gesticktes Madonnenbild, ein riesiges Kruzifix, das die halbe Wand einnahm, zwei Stühle, ein kleiner Tisch, eine Vase mit roten Nelken, ein großer Koffer und der Diwan, auf dem ich saß.

Die Nonne kam zurück und gab mir kühles Wasser, dann fing sie mit den Fragen wieder an.

»Und jetzt sage mir, warum du Ordensschwester werden willst.«

»Ich… möchte immer bei Gott sein.«

»Das verstehe ich, aber warum ausgerechnet hier?«

»Weil eben … Bei mir zu Hause sagt mein Vater … ich meine natürlich, mein Onkel, daß ich keine Hosen tragen kann …«

»Hosen? Was hat das mit Hosen zu tun?« Die Nonne war sichtlich amüsiert.

»Tragen Sie denn keine Hosen unter der Nonnentracht? Ich habe gesehen, daß Pater Domenico Hosen unter seiner Kutte trägt …«

»Aber er ist ein Mann … Nein, Annetta, wir tragen keine Hosen, glaube mir«, und sie versuchte, nicht zu lachen und mich nicht anzusehen.

Ich muß ziemlich pathetisch geklungen haben.

»Muß man dann Priester werden, um sie tragen zu können?«

»Man muß kein Priester sein … man muß bloß ein Mann sein …«

Ich ging sehr traurig fort, begleitet von der Heiterkeit dieser Nonne, aber mit einer neuen Idee im Kopf: »Se sulu l’omina ponnu purtari i pantaluna, allura ia vogliu essiri ominu. Wenn nur Männer Hosen tragen können, dann will ich ein Mann sein.«