Identitätsdiebstahl am Friedhof - Andreas Rosner - E-Book

Identitätsdiebstahl am Friedhof E-Book

Andreas Rosner

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Beschreibung

Die IT-Expertin Svenja gab die Bestellung für einen ihrer Kunden auf: »Ich brauche einen 48 Jahre alten Mann, braune Augen, vollständig erhaltenes Gebiss.« Der Friedhofsgärtner Viktor antwortete: »Dieser ist vor vier Wochen eingetroffen. Grabfeld 172, Platz 46. Alles klar. Ist ab nächsten Freitag verfügbar; Du weißt ja, daß meine Kinder langsam, aber gründlich arbeiten.« Der Neurochirurg Beckmann wartete gerne, bis er die Wiederauferstehung durchführen konnte. Das Ausnutzen der Gesetzeslücke war ein lukratives Geschäft.

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Seitenzahl: 165

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Nach einer Gesetzesreform werden alle Bundesbürger verpflichtet, sich ein Bio-Implantat mit integriertem Chip in den Kopf einoperieren zu lassen. Dieser Chip ist künftig das einzige Mittel zur Identifikation einer Person sowie ihrer Teilnahme am Wirtschaftsverkehr und ersetzt alle bisherigen Karten wie beispielsweise Personalausweis, Gesundheitskarte und Bankkarte. Die Reform beinhaltet auch die bundesweite Abschaffung des Bargeldes.

Während die Regierung die Überwachung der Bürger durch den Einsatz von Drohnen vorantreibt und hierbei von dem schießwütigen Drohnenfluglehrer Ulf unterstützt wird, nutzen die geschäftstüchtige IT-Expertin Svenja, der einfallsreiche Friedhofsgärtner Viktor und der skrupellose Neurochirurg Dr. Beckmann eine Gesetzeslücke aus und wenden ausgeklügelte Methoden an, um aus den Toten Profit zu schlagen, ohne dabei Spuren zu hinterlassen.

Später verhilft diese kriminelle Vereinigung einem Mann auf unkonventionelle Weise zu einer kostenlosen Herztransplantation.

Dieser Roman zeigt mit der Gesetzesreform einhergehende medizinische, technische und wirtschaftliche Aspekte auf, gewürzt mit einer Prise schwarzen Humors.

Inhaltsverzeichnis

Prolog  

Erster Teil

01 Im Klinikum  

02 In der Stadt  

03 Die IT-Expertin  

04 Auf dem Polizeipräsidium  

05 Der Friedhofsgärtner  

06 Die Verhandlungen  

07 Das Grab  

08 Die Jagd  

09 In den Katakomben  

10 Die Übergabe  

11 Die Entnahme  

12 Die Wiederauferstehung  

13 Unter Kollegen  

14 Die Geburtstagsfeier  

15 Die Nachricht  

Zweiter Teil

16 Die Einsatzzentrale  

17 Das Jubiläum  

18 In der Apotheke  

19 Auf der Flucht  

20 Der Transport  

21 Der Bereitschaftsdienst  

22 Das Wiedersehen  

23 Reisevorbereitungen  

24 Die Ermittlungen  

25 Die Ersatzwährung  

26 Befragungen  

27 Updates  

28 Die Ausgrabung  

29 Die Obduktion  

30 Eine neue Spur  

31 Geplante Einkäufe  

32 Im Einkaufszentrum  

33 Im Baumarkt  

34 Neue Erkenntnisse  

35 Die EMP-Pistole  

Dritter Teil

36 Organspender  

37 Vorbereitungen  

38 In der Villa  

39 Planänderung  

40 Beim Bestatter  

41 Unerwartete Ereignisse  

42 Herzlich willkommen  

43 Risiken und Nebenwirkungen  

44 In Eile  

45 Die Beerdigung  

46 Terminbestätigung  

47 Lagebesprechung  

48 Die Aktion  

49 Äußeres Erscheinungsbild  

50 Schwein gehabt  

51 Nachbesprechung  

52 Weihnachtsvorbereitungen  

53 Das Fest  

54 Abwerbung  

55 Gesetzesänderung  

56 Neues Geschäftsmodell  

Vierter Teil

57 Das Konzert  

58 Das Bewerbungsgespräch  

59 Kontaktlosigkeit  

60 Erschwerter Zugang  

61 Die Organisation  

62 Das Phantom  

63 Digitale Eugenik  

64 Versuch und Irrtum  

65 Die rote Drohne  

66 Heizkosten  

67 Mein Einkaufswagen  

68 Das Notfallprotokoll  

69 So ein Käse  

70 Nachforschungen  

71 Überlebensinstinkte  

72 Reinforcement Learning  

73 Der Erzfeind  

Impressum

Prolog

Eine junge Frau mit Motorradstiefeln und kurz rasierten Haaren hastete durch die langen Gänge des Baumarktes und hielt dabei nach ihren Verfolgern Ausschau. Sie nahm ein Teppichmesser sowie eine Klebebandrolle aus einem Regal und lief weiter. Vor einem Badezimmerspiegel blieb sie stehen, schnitt ihre Kopfhaut auf und zog mit den Fingerspitzen das Implantat heraus. Dann riß sie einen Streifen Klebeband ab, drückte ihn auf die Wunde und versteckte das Implantat hinter einem Schrank. Während sie zu Boden sank, beschmierte sie ihr Gesicht vollständig mit dem herunterlaufenden Blut. Sie durfte nicht zulassen, daß der Staat ihre Identität feststellen würde.

Erster Teil

01 Im Klinikum

Das Klinikum lag im Zentrum der Stadt. Oberarzt Dr. Beckmann, ein erfahrener Neurochirurg, lief den Flur entlang zum Operationssaal. Dort angekommen, nickte er kurz dem bewaffneten Polizisten an der Tür zu und trat ein.

»Na, wie war gestern Ihr erster Arbeitstag?« rief er der jungen operationstechnischen Assistentin durch die Glasscheibe zu und begab sich zum Waschraum.

»Nur Papierkram und dann die Vorstellung bei den neuen Kollegen.«

Sie hörte das Wasser im Nebenraum fließen.

»Haben Sie sich schon bekannt gemacht?« schallte Beckmanns Stimme vom Nebenraum her. »Ja. Wir werden ja fleißig überwacht.« gab die Assistentin zurück und sah zum Notar hoch.

Der Operationssaal war von einer verglasten Empore umgeben, von der aus man den ganzen Raum überblicken konnte. Dort saß der Notar und blickte auf den Operationstisch herab, während ein zweiter Polizist neben ihm gelangweilt den Treppenaufgang zur Empore im Blick behielt.

»Er ist unser Wächter der Implantate. Ein gewissenhafter Mann, wir arbeiten schon lange zusammen.« entgegnete Beckmann und betrat den OP.

Auf dem Operationstisch lag ein Neugeborenes. Die Assistentin hatte es bereits an der Stirn und im Hüftbereich mit Gurten fixiert. Neben dem Tisch war in Griffhöhe ein Acrylglaswürfel befestigt, in dem sich eine sterilisierte Kapsel sowie eine Spritze befanden. Eine rot leuchtende LED zeigte an, daß der Würfel noch abgeschlossen war.

»Dann schauen wir mal, was Sie so gelernt haben. Erzählen Sie mir hierüber etwas.« sagte Beckmann, deutete auf die erbsengroße Kapsel und schaute die Assistentin an.

»Ein Bio-Implantat ist ein weiterentwickelter aktiver RFID-Transponder und besteht aus einer Titankapsel, in der sich ein Mikrochipbefindet, sowie einem Strang aus Titancarbid, der als Antenne dient. Titancarbid gehört zur Materialklasse der MXene, ist elektrisch leitfähig und so formbar, daß sich daraus dünne Schichten von nur einigen hundert Nanometern Stärke herstellen lassen. Diese Antennen können über elektromagnetische Wellen wie ein Akku aufgeladen werden.«

»Genau so ist es.« bestätigte Beckmann.

Nach einer Gesetzesreform im Oktober 2023 ist jeder Bundesbürger verpflichtet, sich ein Bio-Implantat für lebenslange Zeit einoperieren zu lassen. Auf dem enthaltenen Chip sind alle Bestands- und Bewegungsdaten einer Person gespeichert und können von staatlichen Institutionen, privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Person selbst ausgelesen werden.

Er ersetzt somit die bisher verwendeten Karten wie beispielsweise Personalausweis,  Führerschein, Gesundheitskarte und Bankkarte. Die auf dem Chip gespeicherte sechsstellige alphanumerische Kombination erlaubt eine eindeutige Zuordnung zu seinem Träger. Die bisherigen kartengebundenen Daten werden in Unterkonten geführt, die mit verschiedenen Schreib- und Leserechten versehen sind.

Die Reform beinhaltet auch die bundesweite Abschaffung des Bargeldes zum 31.03.2024.

Jede Person, die bereits über ein Bio-Implantat verfügt, kann alle Transaktionen nur noch mithilfe ihres Chips durchführen; die Übrigen bedienen sich noch übergangsweise ihrer herkömmlichen Karten.

Da der Chip (künftig) das einzige Mittel zur Identifikation einer Person sowie ihrer Teilnahme am Wirtschaftsverkehr ist, werden die Implantate gut geschützt, um Mißbräuche zu vermeiden. Sie werden von einer Bundesbehörde unter hohen Sicherheitsvorkehrungen hergestellt und überwacht, bis sie an die bundesweit tätigen Notare zur weiteren Verwendung übergeben werden. Die Notare wiederum bewachen sie solange, bis sie vollständig und dauerhaft in die Menschen einoperiert sind.

Der Anästhesist warf einen prüfenden Blick auf die Instrumente und nickte Beckmann zu.

Dieser schaute auf die Wanduhr: Di, 02.07.2024, 09:12 Uhr.

»Leiten Sie die Narkose ein.« wies Beckmann ihn an.

*

Julia lag im Bett auf der Entbindungsstation und erholte sich von ihrer Geburt. Die Tür öffnete sich und eine Pflegerin trat ein.

»Wie soll es denn heißen?« fragte sie.

»Ich weiß nicht ... wir sind uns noch nicht einig ... mein Mann Ulf dachte an ...«

»Frau Seibert, sie hatten lange genug Zeit, sich einen Vornamen auszusuchen. Entweder teilen Sie mir jetzt sofort einen Namen mit, oder dem Neugeborenen wird ein zufallsgenerierter Vorname vom System zugewiesen.« raunzte die Pflegerin ihr zu.

»Gut, dann nennen Sie ihn Max.« antwortete Julia und fügte hinzu: »Kann ich jetzt bitte mein Kind sehen?«

»Später, die Operation hat gerade erst begonnen. Wir haben Wichtigeres zu tun, als dauernd die Kinder zwischen den Abteilungen hin- und herzuschieben. Gedulden Sie sich.« gab die Pflegerin zurück und verschwand.

*

Die Assistentin stand neben dem OP-Tisch und wartete. Der Anästhesist schaute auf das Kind, dessen kleiner Brustkorb sich regelmäßig hob und senkte. Beckmann griff zu den Instrumenten, nahm den Nasenspreizer und führte ihn in die Nase ein. Erst drückte er zu, dann schwenkte er das zangenähnliche Instrument, so daß der Kopf des Kindes hin- und hergeschüttelt wurde.

Die Assistentin erschrak. »Seien Sie doch nicht so unmenschlich!«

»Erstens haben Sie mir nicht zu sagen, wie ich meine Arbeit durchzuführen habe; ich mache dies nicht zum ersten Mal. Und zweitens ist es genau genommen noch kein Mensch, solange das Implantat nicht drin ist.« schnauzte Beckmann und warf den Nasenspreizer wütend durch den OP-Saal.

»Außerdem sitzt der Stirngurt viel zu locker.« schrie er die Assistentin an.

Diese war den Tränen nahe, begab sich zum OP-Tisch und zog den Gurt fester.

Beckmann trat an sie heran, schubste sie zur Seite und rief: »Ruhe jetzt, ich muß mich konzentrieren.«

Er ergriff das Endoskop und führte es durch die Nasenöffnung bis zum Stirnbein. Dann blickte er zum Notar hoch. »Wir können es jetzt entnehmen.«

»In Ordnung.« ertönte es aus dem Lautsprecher.

Der Notar gab das Passwort ein, so daß die LED des Würfels grün leuchtete.

Beckmann sah zur Assistentin herüber. »Haben Sie sich wieder beruhigt?«

Sie nickte stumm.

»Gut, dann machen Sie sich nützlich und öffnen den Würfel. Vielleicht gelingt Ihnen diese einfache Aufgabe.«

Er hielt die Titankapsel mit der kleinen Greifzange fest, tauchte sie in den Biokleber, führte sie bis zur gewünschten Stelle und befestigte sie.

»So, jetzt kommt der schwierige Teil.«

Er schaute die Assistentin an. »Wissen Sie, was zu tun ist?«

Sie nickte, legte ihre Hand auf das Schaltpult und drückte auf einen Knopf. Der OP-Tisch drehte sich langsam um 90 Grad, so daß der Kopf des Kindes nun nach unten gerichtet war. Beckmann entnahm dem Würfel die mit Titancarbid gefüllte Spritze, steckte sie an einen Schlauch und führte diesen durch den Arbeitskanal bis zu dem an der Kapsel befindlichen winzigen Stecker. Dann drückte er die Spritze, so daß das Material zähflüssig durch den Schlauch lief. Er blickte durch das Endoskop und erkannte, daß das Material entlang des Stirnbeins bis zum Scheitelpunkt gelaufen war.

»Sieht gut aus. Jetzt noch kurz warten, bis das Material ausgehärtet ist.«

Er entfernte die Instrumente und wandte sich an die Assistentin: »Sie können ihn wieder in die Normalposition bringen.«

»Dürfte ich es mir einmal anschauen, Dr. Beckmann? Ich habe so etwas bisher nur in der Theorie kennengelernt.« fragte die Assistentin und warf ihm einen schüchternen Blick zu.

»Finger weg von meinem Endoskop mit Ihren ungeschickten Händen!« entgegnete Beckmann und ergänzte: »Sie können es sich aber so vorstellen: Nehmen Sie einen Fußball und halbieren Sie ihn. In die so entstandene Halbkugel träufeln Sie dann am Rand eine Flüssigkeit und warten, bis diese den tiefsten Punkt erreicht hat und ausgehärtet ist. Dann drehen Sie die Halbkugel herum, so daß die offene Seite nach unten zeigt. Der so entstandene bogenförmige Strang stellt die Antenne dar. Beim Menschen verläuft sie entlang des Stirnbeins bis zum Schädeldach.«

»Das habe ich verstanden. Aber was ist mit den Schädelknochen, die sich ja noch bis zum Erwachsenenalter ausdehnen?« brachte sie vor.

»Das langsame Wachstum des Hirnschädels ist kein Problem, schließlich ist Titancarbid dehnbar wie ein Faden.«

»Und warum wird das Implantat nicht an einer zugänglicheren Stelle eingepflanzt, zum Beispiel unter der Fingerkuppe?«

»Einen Finger kann man leicht abhacken, beim Kopf dürfte es aber etwas schwieriger sein.« stellte Beckmann fest und fügte hinzu: »Entscheidend ist, daß das Implantat untrennbar mit seinem Träger verbunden bleibt, und dies bis zu seinem Lebensende. Und jetzt das MRT bitte.«

Beckmann prüfte das Ergebnis und war zufrieden. Während er das Nasenbein richtete, sprach er zur Assistentin: »Die Knochen wachsen schnell wieder zusammen, keine Sorge. Und seien Sie demnächst bitte etwas professioneller.«

Dann blickte er zum Notar hinauf. »So, jetzt sind Sie dran.«

Der Notar schaute auf den Monitor und wartete, bis der Flashvorgang beendet war. Dann kontrollierte er die auf dem Chip gespeicherten Daten:

  ID:  NT532G

                          Name:  Seibert

                     Vorname:  Max

                 Geschlecht:  männlich

                 Geburtstag:  02.07.2024, 05:38 Uhr

    Staatsangehörigkeit:  deutsch

                 Blutgruppe:  A+

                Augenfarbe:  -

            Organspender:  nein

                  Bankkonto:  aktiv ab 02.07.2031

  Führerscheinklassen:  deaktiviert

»Alles in Ordnung.« sprach er ins Mikrofon.

»Gut.« gab Beckmann zurück und sah auf die Uhr: 09:37. Fünf Minuten über der vorgesehenen Zeit. Was soll´s, schließlich bin ich der Chef. dachte er und richtete sich an den Anästhesisten: »Lassen Sie ihn aufwachen.«

*

Die Assistentin saß in der Cafeteria und trank einen Eistee.

»Es ist 13:04 Uhr, ein sonniger Tag und  die Temperatur beträgt 29 Grad. Seit zwei Wochen verrichten die ersten Drohnen ihren Dienst. An diesen Flugverkehr werden wir uns wohl gewöhnen müssen.« ertönte es aus dem Lautsprecher im Hintergrund.

Neben ihr erschien der Notar. »Darf ich mich setzen?«

»Sicher.«

Er griff in die Innentasche seines Sakkos, prüfte den Sitz des Behälters mit den darin befindlichen Kapseln und Spritzen und nahm Platz. Am Nebentisch saß ein Polizist, sein Kollege stand an der Eingangstür.

»Ich wollte Ihren Chef vorhin nicht kritisieren. Sie haben ja gesehen, wie jähzornig er werden kann. Aber er verwechselt hier etwas.« gab der Notar zu verstehen und fuhr fort: »Es ist so: Schon vor der Geburt gilt das gezeugte Lebewesen bereits als Mensch, aber nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der vollendeten Integration eines Bio-Implantates in seinen Körper und dessen Aktivierung, von den Bestimmungen für noch nicht implantattragende Menschen einmal abgesehen.«

*

Julia döste vor sich hin. Die Tür öffnete sich und die Pflegerin schob hastigen Schrittes ein kleines Bett neben ihres.

»Hier, Ihre Brut.«

Julia schaute auf und strahlte. »Oh, wie schön, da ist er ja. Könnten Sie ihn mir bitte in den Arm legen?«

»Sind Sie behindert, oder was? Sie können doch aufstehen.« erwiderte die Pflegerin, lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

Julia drehte sich zu dem Kind herüber und wollte es an der Wange streicheln, als die Pflegerin rief: »Bitte nicht ins Gesicht fassen; die Wunde muß noch verheilen.«

Julia lehnte sich zurück und seufzte. »Wann gibt es denn Abendessen?«

Die Pflegerin warf ihr einen empörten Blick zu. »Wir sind ein Krankenhaus und kein Hotel. Außerdem sind Sie pflichtversichert. Sie kennen ja den Sparzwang.«

»Ich habe aber seit gestern nichts mehr gegessen.«

Die Pflegerin schaute auf die Uhr.

»Sie haben noch 12 Minuten, bis die Cafeteria schließt. Aber ich bezweifle, daß Sie es in Ihrem Zustand rechtzeitig schaffen. Auf dem Tisch steht Wasser, das reicht doch. Außerdem ist die Operation Ihres Implantates für morgen um 08:20 Uhr eingeplant. Sie sollten ab 20:00 Uhr sowieso nichts mehr essen.«

02 In der Stadt

Meike stand mit ihrer fünfjährigen Tochter Pia an der Kaufhauskasse. Sie stellte sich mit dem Kopf vor den in zwei Metern Höhe befestigten Scanner, dann blickte sie auf die Anzeige:

Fr, 05.07.2024, 18:05 Uhr. Transaktion erfolgreich. Der Betrag in Höhe von 24,95 EUR wurde von Ihrem Konto abgebucht. Vielen Dank für Ihren Einkauf.

Sie wandte sich an die Verkäuferin: »Könnten Sie es mir als Geschenk einpacken?«

»Natürlich.«

Auf dem Weg zur U-Bahn-Station blieben sie an einer Ampel stehen. Am Straßenrand lag eine verletzte Taube und bewegte die Flügel. Als das sirrende Geräusch der Rotorblätter lauter wurde, schaute Meike in den Himmel. Eine blau-weiße Drohne näherte sich und traf mit einem Giftpfeil das Tier, welches einen spitzen Schrei von sich gab. Zuerst erschrak Meike, dann packte sie Pias Kopf und drehte ihn in Richtung Taube.

»Sieh´ hin, dies sind Schädlinge, die Krankheiten verbreiten.«

Die Greifarme der Drohne packten das Tier, dann verschwand sie genau so schnell, wie sie gekommen war.

Meike rief: »Komm´, wir müssen uns beeilen, die Bahn kommt gleich.«

Sie rannten los.

An der Station angekommen, lief Pia mit den Worten »Ich zuerst!« bis zum Drehkreuz und stellte sich vor den Scanner. Nichts passierte.

»Da kommst Du nicht durch. Du mußt noch bis zu Deinem siebten Geburtstag warten, an dem Dein Bankkonto freigeschaltet wird.« sagte Meike.

Sie nahm Pia auf den Arm und stellte sich vor das Lesegerät. Auf der Anzeige erschien: Ticket gültig. Dann fuhren sie mit der Rolltreppe herunter.

Als sie in der U-Bahn Platz genommen hatten, atmete Meike schnell und schnaufte.

»Mama, hyperventilierst Du etwa?«

»Woher hast Du denn dieses Wort?« schaute sie ihre Tochter fragend an.

»Vom Kindergarten. Unsere Erzieherin lag heute Mittag auf dem Fußboden und hat sich nicht bewegt.«

»Ist sie tot?«

»Leider nicht, sie hatte nur einen Schwächeanfall. Aber sie hätte es verdient, denn manchmal ist sie ein richtiges Biest. Gestern hat sie gesagt, daß jedes halbwegs intelligente Kind in meinem Alter ein Notebook bedienen kann, nur ich nicht.«

*

Es klingelte. Julia öffnete die Tür.

»Hallo, Schwesterherz. Und da ist ja auch meine Lieblingsnichte. Kommt herein.«

Meike und Pia betraten die Wohnung.

»So, darf ich Euch Max vorstellen?«

Sie zeigte auf das Bett. Max schlief. »Schaut ruhig, ich bin in der Küche.«

Kurz darauf hörten sie das Türschloß und Ulf trat ein.

Als Julia die Pizzen am Eßtisch servierte, kam Ulf mit zwei Getränkedosen aus der Küche.

»Pia, möchtest Du auch mal den neuen Energydrink probieren, den mit extra viel Koffein und Taurin? Und dann schauen wir uns gleich den unzensierten Horrorfilm an.« Er grinste.

»Au ja!« Pia hüpfte wild auf dem Sofa.

Meike sah währenddessen aus dem Fenster und nahm eine gelbe Drohne wahr, die sich dem Haus näherte. Kurz darauf hörten sie einen Klingelton. Julia blickte auf die Anzeige neben der Wohnungstür: Sie haben Post.

»Ich bin kurz oben, esst ruhig weiter.«

Nachdem sie die Treppe hinauf gegangen war, öffnete sie die Tür und betrat die Dachterrasse. Sie stellte sich vor den Scanner, öffnete den Paketkasten und entnahm den Inhalt.

Meike wandte sich an Ulf: »Und, was macht die Arbeit?«

»Als Drohnenfluglehrer habe ich zur Zeit alle Hände voll zu tun; meine Weiterbildungslehrgänge sind bis Mitte nächsten Jahres  ausgebucht.«

»Wo führst Du sie denn durch?«

»Vor Ort bei der Polizei, beim Ordnungsamt und bei den Paketdienstleistern. Drohnenpiloten werden ja gut bezahlt.«

»Ich will später auch einmal Drohnenpilotin werden!« rief Pia dazwischen.

»Dazu mußt Du eine ruhige Hand haben. Lern´ erst mal, die Dose richtig festzuhalten.« gab Ulf zurück und zeigte auf die Flecken auf dem Sofa.

»Übrigens, ich habe Euch vorhin an der Ampel gesehen.«

»Ach, Du warst das also?« entgegnete Meike.

»Genauer gesagt einer meiner Flugschüler, dem ich über die Schulter geschaut habe. War ein guter Schuß, oder?«

»Schießt Ihr jetzt immer auf Tauben und Ratten?«

»Sieht so aus, aber wir haben noch Probleme, sich schnell bewegende ... sagen wir mal Schädlinge zu erfassen.«

Meike schaute ihn fragend an. Er wich ihrem Blick aus. Hätte er sie über die endgültigen Ziele der Schießmanöver unterrichtet, wäre ihr wohl vor Schreck das Essen im Hals steckengeblieben.

03 Die IT-Expertin

Svenja schloß die Wohnungstür auf, öffnete die Schnallen und stellte die kniehohen schwarzen Stiefel in die Ecke. Sie begab sich ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel. Ihre helle Haut wirkte im Licht noch viel weißer. Sie fuhr sich mit der Hand durch das volle Haupthaar und betastete die Narbe. Dann nahm sie den elektrischen Haarschneider und kürzte die Seiten. Zu gern hätte sie ihren ganzen Kopf kahl rasiert, aber sie konnte es nicht riskieren, daß ihre Narbe entdeckt würde.

»Dies ist halt der Preis der Freiheit.« seufzte sie, schob den Duschvorhang zur Seite und betätigte den Wasserhahn.

Einige Minuten später setzte sie sich an ihren Rechner und blickte auf den Monitor:

Fr, 12.09.2025, 20:47 Uhr.

Sie überflog den in C++ geschriebenen Quelltext des von ihr modifizierten Browsers. Dann ergänzte sie den Text, wobei ihre Finger flink über die mechanische Tastatur huschten. Klackklackklack. Eine Stunde später war sie fertig und wartete, bis der Kompiliervorgang abgeschlossen war. Sie fuhr den Rechner herunter und drehte sich zum Notebook herüber. Nachdem das Linux-Livesystem gestartet war, loggte sie sich in das Forum ein:

 Benutzername: RESURRECTIONGIRL

          Passwort:  ********************

Sie beantwortete die Anfrage:

Zuerst muß ich Sie einmal persönlich sehen. Kennen Sie die verlassene Tankstelle am südlichen Stadtrand? Wir könnten uns dort heute um 23:00 Uhr treffen.

Ich werde da sein. war die Antwort.