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Die schönsten Märchen der Brüder Grimm – neu aufbereitet für unsere Zeit
Tauchen Sie ein in die zauberhafte Welt der bekanntesten Grimmschen Märchen: Von Rotkäppchen bis Rumpelstilzchen, von Aschenputtel bis Hänsel und Gretel. Diese liebevoll überarbeitete Sammlung vereint 26 der beliebtesten Geschichten – in modernisierter Sprache, aber mit dem bewahrten Zauber des Originals.
Ob als Vorlesebuch, zum gemeinsamen Schmökern oder zum selbstständigen Lesen: Dieses Märchenbuch schenkt Jung und Alt unvergessliche Momente voller Magie, Weisheit und Witz.
Ein Schatz der deutschen Erzählkunst – für Kinder, Eltern, Großeltern und alle, die Märchen lieben.
nexx classics – WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
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Seitenzahl: 243
Veröffentlichungsjahr: 2025
Gebrüder Grimm
Ihre schönsten Märchen
Gebrüder Grimm
Ihre schönsten Märchen
ISBN/EAN: 978-3-95870-731-3
1. Auflage
Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes
wurden behutsam angepasst.
Cover: Bleistiftzeichnung der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1843) von Ludwig Emil Grimm (1790-1863)
Covergestaltung: nexx verlag, 2025
www.nexx-verlag.de
Märchen begleiten uns seit Jahrhunderten – sie wurden von Generation zu Generation weitergegeben und schließlich aufgeschrieben, damit sie nicht verloren gehen. Die bekanntesten und beliebtesten Märchen im deutschsprachigen Raum stammen von den Brüdern Jacob und Wilhelm Grimm, zwei Gelehrten, die Anfang des 19. Jahrhunderts begannen, Geschichten aus dem Volk zu sammeln. Was einst als sprachwissenschaftliches Projekt begann, wurde zu einem der größten Kulturschätze Deutschlands.
Die Märchen der Brüder Grimm sind mehr als nur unterhaltsame Geschichten: Sie erzählen von Mut und List, Gerechtigkeit und Hoffnung, von klugen Mädchen, tapferen Jungen und seltsamen Zauberwesen. In ihnen steckt Lebensweisheit, Humor – und ein Hauch Magie.
Diese Sammlung enthält 26 der bekanntesten Grimm-Märchen – von »Schneewittchen« über »Der Froschkönig« bis »Hans im Glück«. Alle Texte wurden behutsam überarbeitet: sie folgen der modernen Rechtschreibung, verwenden eine klare Sprache und sind dennoch ganz im Geiste des Originals gehalten.
Ob zum Vorlesen am Abend, zum Staunen beim Schmökern oder zum gemeinsamen Entdecken – dieses Buch lädt kleine und große Leser ein, in eine Welt voller Wunder einzutauchen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude mit diesen zeitlosen Geschichten.
Joachim FeserVerleger
In den alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter alle schön waren – aber die jüngste war so schön, dass sich selbst die Sonne, die doch schon so vieles gesehen hat, jedes Mal wunderte, sobald sie ihr ins Gesicht schien. Nahe beim Schloss des Königs lag ein großer dunkler Wald, und in dem Wald stand unter einer alten Linde ein Brunnen. Wenn es nun sehr heiß war, ging das Königskind hinaus in den Wald und setzte sich an den Rand des kühlen Brunnens, und wenn sie Langeweile hatte, nahm sie eine goldene Kugel, warf sie in die Höhe und fing sie wieder auf, das war ihr liebstes Spiel.
Nun trug es sich einmal zu, dass die goldene Kugel der Königstochter dabei nicht in ihre Händchen zurückfiel, sondern direkt ins Wasser des Brunnens hineinfiel. Die Königstochter schaute ihr nach wie sie versank, und der Brunnen war tief – so tief, dass man den Grund nicht sehen konnte.
Da fing sie an zu weinen, weinte immer lauter und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Und wie sie so klagte, rief ihr jemand zu: "Was hast du denn, Königstochter? Du schreist ja, dass sich ein Stein erbarmen würde." Sie sah sich um und erblickte einen Frosch, der seinen dicken hässlichen Kopf aus dem Wasser streckte. "Ach, du bist's, alter Wasserplatscher," sagte sie, "ich weine wegen meiner goldenen Kugel, die mir in den Brunnen gefallen ist." – "Weine nicht," antwortete der Frosch, "ich kann dir helfen. Aber was gibst du mir, wenn ich dein Spielzeug wieder heraushole?" – "Was du haben willst, lieber Frosch," sagte sie, "meine Kleider, meine Perlen und Edelsteine, auch die goldene Krone, die ich trage." Der Frosch antwortete: "Deine Kleider, Perlen, Edelsteine und deine goldene Krone mag ich nicht. Aber wenn du mich liebhaben willst, ich dein Geselle und Spielkamerad sein darf, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken und in deinem Bettlein schlafen darf – wenn du mir dies versprichst, werde ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen." – "Aber ja," sagte sie, "ich verspreche dir alles, was du willst, wenn du mir nur die Kugel wiederbringst." Sie dachte aber: "Was der einfältige Frosch nur schwätzt, der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt, er kann doch kein Freund eines Menschen sein."
Nachdem er diese Zusage erhalten hatte, tauchte der Frosch hinunter und kam nach einem Weilchen wieder heraufgeschwommen. Im Maul hatte er die Kugel und warf sie ins Gras. Die Königstochter war voller Freude, als sie ihr schönes Spielzeug wiederhatte, hob es auf und sprang damit fort. "Warte, warte!" rief der Frosch, "Nimm mich mit, ich kann nicht so laufen wie du." Aber es half nicht, dass er ihr sein "Quak" so laut nachschrie wie er konnte. Sie hörte nicht darauf, eilte nach Haus und hatte den armen Frosch schon bald vergessen, der wieder in seinen Brunnen hinabsteigen musste.
Am nächsten Tag, als sie sich mit dem König und allen Hofleuten an die Tafel gesetzt hatte und von ihrem goldenen Tellerlein aß, da kam, plitsch-platsch, plitsch-platsch, etwas die Marmortreppe heraufgehüpft, und als es oben angekommen war, klopfte es an die Tür und rief: "Königstochter, jüngste, mach mir auf!" Sie lief zur Tür und wollte sehen wer da draußen wäre, und als sie aufmachte, saß der Frosch davor. Da warf sie die Tür hastig zu, setzte sich wieder an den Tisch, und ihr wurde ganz angst. Der König sah, dass ihr das Herz gewaltig klopfte und fragte: "Mein Kind, was fürchtest du dich, steht da etwa ein Riese vor der Tür und will dich holen?" – "Ach nein," antwortete sie, "es ist kein Riese, sondern ein abscheulicher Frosch." – "Was will der Frosch denn von dir?" – "Ach lieber Vater, als ich gestern im Wald bei dem Brunnen saß und spielte, fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat sie der Frosch wieder heraufgeholt, und weil er es unbedingt verlangte, versprach ich ihm, er solle mein Freund werden, ich dachte aber nicht, dass er aus seinem Wasser hierherkommen würde. Nun ist er draußen und will zu mir herein." Da klopfte es zum zweiten Mal und rief:
Königstochter, jüngste,mach mir auf!Weißt du nicht, was gesterndu zu mir gesagtbeim kühlen Brunnenwasser?Königstochter, jüngste,mach mir auf!
Da sagte der König: "Was du versprochen hast, musst du auch halten. Geh und mach ihm auf!" Sie ging und öffnete die Tür, da hüpfte der Frosch herein, ihr immer auf dem Fuße folgend, bis zu ihrem Stuhl. Da saß er und rief: "Heb mich herauf zu dir." Sie zauderte, bis der König es endlich befahl. Als der Frosch auf dem Stuhl saß, wollte er auf den Tisch, und als er da saß, sagte er: "Nun schieb mir dein goldenes Tellerchen näher, damit wir zusammen essen können." Das tat sie zwar, aber man sah, dass sie's nicht gerne tat. Der Frosch ließ sich's gut schmecken, aber ihr blieb fast jeder Bissen im Hals stecken. Schließlich sagte er: "Ich habe mich sattgegessen und bin müde, trag mich in dein Kämmerlein und mach dein seidenes Bettlein zurecht, da wollen wir uns schlafen legen." Die Königstochter fing an zu weinen und fürchtete sich vor dem kalten Frosch, den sie sich nicht anzurühren getraute, und der nun in ihrem schönen sauberen Bettlein schlafen sollte. Der König aber wurde zornig und sprach: "Wer dir geholfen hat, als du in Not warst, den sollst du danach nicht verachten." Da packte sie ihn mit zwei Fingern, trug ihn hinauf und setzte ihn in eine Ecke. Als sie im Bett lag, kam er herangehüpft und sprach: "Ich bin müde, ich will schlafen so gut wie du. Heb mich herauf, oder ich sag's deinem Vater." Da wurde sie bitterböse, hob ihn hoch und warf ihn mit aller Kraft gegen die Wand: "Jetzt wirst du wohl Ruhe geben, du unverschämter Frosch."
Aber als der Frosch am Boden lag, war er kein Frosch mehr, sondern ein Königssohn mit schönen freundlichen Augen! Dieser wurde nun nach dem Willen ihres Vaters ihr Freund und Ehemann.
Der Königssohn erzählte ihr, er wäre von einer bösen Hexe verwünscht worden, und niemand hätte ihn aus dem Brunnen erlösen können als sie alleine, und morgen wollten sie zusammen in sein Reich fahren.
Dann schliefen sie ein, und am anderen Morgen, als die Sonne sie aufweckte, kam ein Wagen mit acht weißen Pferden herangefahren, die weiße Straußfedern auf dem Kopf hatten und mit goldenen Ketten behangen waren.
Hinten auf der Kutsche stand der Diener des jungen Königs, der treue Heinrich. Dieser war so betrübt gewesen, als sein Herr in einen Frosch verwandelt worden war, dass er sich drei eiserne Bänder um sein Herz hatte legen lassen, damit es ihm nicht vor Schmerz und Traurigkeit zerspringen könne und er war nun voller Freude über die Erlösung seines Herrn. Der treue Heinrich half beiden in die Kutsche und stellte sich wieder hinten auf.
Als sie so ein Stück des Weges gefahren waren, hörte der Königssohn, wie es hinter ihm krachte, als wäre etwas zerbrochen. Da drehte er sich um und rief:
"Heinrich, der Wagen bricht.""Nein, Herr, der Wagen nicht,es ist ein Band von meinem Herzen,das da war in großen Schmerzen,als ihr in jenem Brunnen saßt,und als ihr eine Fretsche (Frosch) wart."
Noch zweimal krachte es auf dem Weg, und der Königssohn meinte immer, der Wagen bräche – und doch waren es nur die Bänder, die vom Herzen des treuen Heinrich absprangen, weil sein Herr nun erlöst und glücklich war.
Es war einmal eine alte Geiß, die hatte sieben junge Geißlein und hatte sie lieb, wie eine Mutter ihre Kinder liebhat. Eines Tages wollte sie in den Wald gehen und Futter holen, da rief sie alle sieben herbei und sprach: "Liebe Kinder, ich will hinaus in den Wald, seid auf der Hut vor dem Wolf. Wenn er hereinkommt, frisst er euch alle mit Haut und Haar auf. Der Bösewicht verstellt sich oft, aber an seiner rauen Stimme und an seinen schwarzen Füßen werdet ihr ihn gleich erkennen." Die Geißlein sagten: "Liebe Mutter, wir werden uns in Acht nehmen, du kannst ohne Sorge fortgehen." Da machte sich die Mutter getrost auf den Weg.
Es dauerte nicht lange, da klopfte jemand an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht." Aber die Geißchen hörten an der rauen Stimme, dass es der Wolf war. "Wir machen nicht auf," riefen sie, "du bist nicht unsere Mutter, die hat eine feine und liebliche Stimme, aber deine Stimme ist rau – du bist der Wolf." Da ging der Wolf fort zu einem Händler und kaufte sich ein großes Stück Kreide. Die fraß er und machte so seine Stimme fein. Dann ging er zurück, klopfte wieder an die Haustür und rief: "Macht auf, ihr lieben Kinder, eure Mutter ist da und hat jedem von euch etwas mitgebracht." Aber der Wolf hatte dabei seine schwarze Pfote vor das Fenster gelegt. Das sahen die Kinder und riefen: "Wir machen nicht auf, unsere Mutter hat keine schwarze Pfote wie du – du bist der Wolf." Da lief der Wolf zu einem Bäcker und sagte: "Ich habe mir den Fuß gestoßen, streich mir Teig darüber." Und als ihm der Bäcker die Pfote bestrichen hatte, lief er zum Müller und sagte: "Streu mir weißes Mehl auf meine Pfote." Der Müller dachte, "der Wolf will bestimmt jemanden betrügen" und weigerte sich, aber da sagte der Wolf: "Wenn du es nicht tust, fresse ich dich." Da fürchtete sich der Müller und machte ihm die Pfote weiß.
Nun ging der Bösewicht zum dritten Mal zur Haustür, klopfte an und rief: "Macht mir auf, Kinder, euer liebes Mütterchen ist heimgekommen und hat jedem von euch etwas aus dem Wald mitgebracht." Die Geißchen riefen: "Zeig uns erst deine Pfote, damit wir wissen, ob du unser liebes Mütterchen bist." Da legte er die Pfote vors Fenster und als sie sahen, dass sie weiß war, glaubten sie, es wäre wahr, was er sagte, und machten die Tür auf. Wer aber hereinkam, war der Wolf! Sie erschraken und wollten sich verstecken. Das eine sprang unter den Tisch, das zweite ins Bett, das dritte in den Ofen, das vierte in die Küche, das fünfte in den Schrank, das sechste unter die Waschschüssel und das siebte in den Kasten der Wanduhr. Aber der Wolf fand sie alle und machte kein langes Federlesen: eins nach dem andern schluckte er in seinem Rachen hinab. Nur das jüngste in dem Uhrenkasten fand er nicht. Als der Wolf so seinen Hunger gestillt hatte, ging er fort, legte sich draußen auf der grünen Wiese unter einen Baum und schlief ein.
Nicht lange danach kam die alte Geiß wieder aus dem Wald heim. Aber was musste sie da sehen! Die Haustür stand sperrangelweit auf, Tisch, Stühle und Bänke waren umgeworfen, die Waschschüssel lag in Scherben da, Decken und Kissen waren aus dem Bett gezogen. Sie suchte ihre Kinder, aber sie waren nirgends zu finden. Sie rief sie nacheinander beim Namen, aber niemand antwortete. Als sie schließlich das jüngste rief, hörte sie eine feine Stimme rufen: "Liebe Mutter, ich stecke hier im Uhrenkasten." Sie holte es heraus und es erzählte ihr, dass der Wolf gekommen wäre und die anderen alle gefressen hätte. Da könnt ihr denken, wie sehr sie über ihre armen Kinder geweint hat.
Schließlich ging sie in ihrem Jammer hinaus und das jüngste Geißlein lief mit. Als sie auf die Wiese kamen, lag da der Wolf unter dem Baum und schnarchte so sehr, dass die Äste zitterten. Die Geiß betrachtete ihn von allen Seiten und sah, dass sich in seinem vollen Bauch etwas bewegte und zappelte. "Ach Gott," dachte sie, "sollten meine armen Kinder, die er hinuntergewürgt hat, noch am Leben sein?" Da musste das junge Geißlein nachhause laufen und Schere, Nadel und Zwirn holen. Dann schnitt sie dem Ungetüm den Bauch auf und kaum hatte sie einen Schnitt gemacht, streckte schon ein Geißlein den Kopf heraus, und als sie weiterschnitt, sprangen nacheinander alle sechs heraus und waren noch alle am Leben, sie hatten noch nicht einmal Schaden genommen, denn das Ungetüm hatte sie in seiner Gier ganz hinuntergeschluckt. Das war eine Freude! Da herzten sie ihre liebe Mutter und hüpften wie ein Schneider, der Hochzeit hält.
Dann sagte die Mutter: "Geht und sucht Wackersteine, damit wollen wir dem gottlosen Tier den Bauch füllen, solange es noch schläft." Da schleppten die sieben Geißlein in aller Eile Steine herbei und steckten ihm so viele in den Bauch, wie sie hineinbringen konnten. Dann nähte die Mutter ihn in aller Geschwindigkeit wieder zu, so dass er nichts merkte und sich nicht einmal regte.
Als der Wolf endlich ausgeschlafen hatte, machte er sich auf, denn weil ihn die Steine im Magen so durstig machten, wollte er zu einem Brunnen gehen und saufen. Aber als er die ersten Schritte gemacht hatte, stießen die Steine in seinem Bauch aneinander und rappelten. Da rief er:
Was rumpelt und pumpeltin meinem Bauch herum?Ich meinte es wären sechs Geißleinso sind's doch lauter Wackerstein'.
Und als er an den Brunnen kam, sich über das Wasser beugte und trinken wollte, zogen ihn die schweren Steine herunter in den Brunnen hinein – und er musste jämmerlich ersaufen. Als die sieben Geißlein das sahen, kamen sie herbeigelaufen, riefen laut: "Der Wolf ist tot! Der Wolf ist tot!" und tanzten mit ihrer Mutter vor Freude um den Brunnen herum.
Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Endlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen. Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster, daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen, der voll der schönsten Blumen und Kräuter stand. Er war aber von einer hohen Mauer umgeben und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet wurde. Eines Tages stand die Frau an diesem Fenster und sah in den Garten hinaus. Da sah sie ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt war, und sie sahen so frisch und grün aus, dass sie das größte Verlangen empfand, von diesen Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und da sie wusste, dass sie keine davon bekommen konnte, wurde sie immer blasser und sah bald ganz elend aus.
Da erschrak der Mann und fragte: "Was fehlt dir, liebe Frau?" – "Ach," antwortete sie, "wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserem Haus zu essen bekomme, werde ich sterben." Der Mann, der sie liebhatte, dachte bei sich: "Ehe du deine Frau sterben lässt, holst du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten was es will."
In der Abenddämmerung stieg er also über die Mauer in den Garten der Zauberin, schnitt in aller Eile eine Handvoll Rapunzeln ab und brachte sie seiner Frau. Sie machte sogleich einen Salat daraus und aß sie voller Begierde auf. Sie hatten ihr so gut geschmeckt, dass sie am nächsten Tag noch dreimal so viel Lust darauf bekam. Sollte sie ihre Ruhe haben, musste der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddämmerung wieder auf, aber als er die Mauer auf der Innenseite wieder hinabgeklettert war, erschrak er gewaltig, denn plötzlich stand die Zauberin vor ihm. "Wie kannst du es wagen," sagte sie mit zornigem Blick, "in meinen Garten zu steigen und mir meine Rapunzeln zu stehlen? Das soll dir schlecht bekommen." – "Ach bitte," antwortete er, "lasst Gnade vor Recht ergehen, ich habe mich nur aus Not dazu entschlossen: meine Frau hat Eure Rapunzeln aus dem Fenster gesehen, und empfindet ein so großes Verlangen danach, dass sie sterben würde, wenn sie nicht davon zu essen bekäme." Da ließ die Zauberin in ihrem Zorn nach und sagte zu ihm: "Verhält es sich so, wie du sagst, will ich dir gestatten, Rapunzeln mitzunehmen, soviel du willst, aber ich habe eine Bedingung: du musst mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich will für es sorgen wie eine Mutter." Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als das Kind schließlich geboren wurde, erschien sofort die Zauberin, gab dem Kind den Namen Rapunzel und nahm es mit sich fort.
Rapunzel wurde das schönste Kind unter der Sonne. Als es zwölf Jahre alt war, schloss es die Zauberin in einen Turm, der in einem Wald lag und weder Treppe noch Tür hatte, nur ganz oben war ein kleines Fensterchen. Wenn die Zauberin hineinwollte, stellte sie sich unten hin und rief:
Rapunzel, Rapunzel,lass dein Haar herunter!
Rapunzel hatte lange prächtige Haare, fein wie gesponnen Gold. Wenn sie nun die Stimme der Zauberin vernahm, band sie ihre Zöpfe auf, wickelte sie oben um einen Fensterhaken, ließ die Haare zwanzig Ellen tief hinunterfallen, und die Zauberin stieg daran hinauf.
Nach ein paar Jahren trug es sich zu, dass der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Turm vorüberkam. Da hörte er einen Gesang, der so lieblich war, dass er anhielt und horchte. Es war Rapunzel, die sich in ihrer Einsamkeit die Zeit damit vertrieb, ihre süße Stimme erklingen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinaufsteigen und suchte nach einer Tür, aber es war keine zu finden. Er ritt wieder heim, aber der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, dass er jeden Tag in den Wald hinausritt und ihr zuhörte. Als er wieder einmal so hinter einem Baum stand, sah er, dass die Zauberin herankam und hörte wie sie hinaufrief:
Rapunzel, Rapunzel,lass dein Haar herunter!
Da ließ Rapunzel die Haare herab und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. Der Königssohn dachte: "Wenn das die Leiter ist, auf der man hinaufkommt, will ich auch einmal mein Glück versuchen." Und am folgenden Tag, als es anfing dunkel zu werden, ging er zu dem Turm und rief:
Rapunzel, Rapunzel,lass dein Haar herunter!
Bald fielen die Haare herab und der Königssohn stieg hinauf. Anfangs erschrak Rapunzel gewaltig, als ein Mann zu ihr hereinkam, doch der Königssohn fing an sehr freundlich mit ihr zu reden und erzählte ihr, dass ihr Gesang sein Herz so sehr bewegt habe, dass es ihm keine Ruhe gelassen und er sie habe sehen müssen. Da verlor Rapunzel ihre Angst, und als er sie fragte, ob sie ihn zum Mann nehmen wolle, und da er jung und schön war, dachte sie: "Er wird mich lieber haben als die alte Frau Gothel." Sie sagte ja und legte ihre Hand in die seine. Sie sprach: "Ich will gerne mit dir gehen, aber ich weiß nicht wie ich herunterkomme. Wenn du kommst, bring jedes Mal einen Stück Seide mit. Daraus will ich eine Leiter flechten und wenn sie fertig ist, steige ich herunter und du nimmst mich mit deinem Pferd mit."
Sie verabredeten, dass er bis dahin jeden Abend zu ihr kommen sollte, denn die Alte kam tagsüber. Die Zauberin merkte auch nichts davon, bis Rapunzel einmal zu ihr sagte: "Sagen sie, Frau Gothel, wie kommt es nur, dass sie so viel schwerer heraufzuziehen sind als der junge Königssohn, der immer zu mir kommt?" – "Du gottloses Kind," rief die Zauberin, "was muss ich hören? Ich dachte, ich hätte dich von aller Welt abgeschnitten, und trotzdem hast du mich betrogen!" In ihrem Zorn packte sie die schönen Haare der Rapunzel, wickelte sie ein paarmal um ihre linke Hand, griff mit der rechten eine Schere, und ritsch-ratsch waren sie abgeschnitten und lagen auf der Erde. Sie war so wütend, dass sie die arme Rapunzel in eine noch einsamere Gegend brachte, wo sie in großem Jammer und Elend leben musste.
Am selben Tag noch machte die Zauberin abends die abgeschnittenen Haare oben am Fensterhaken fest, und als der Königssohn kam und rief:
Rapunzel, Rapunzel,lass dein Haar herunter!
ließ sie die Haare hinab. Der Königssohn stieg hinauf, aber oben fand er nicht seine liebste Rapunzel, sondern die Zauberin, die ihn mit bösen und giftigen Blicken ansah. "Aha," rief sie höhnisch, "du willst also die Frau Liebste abholen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr. Die Katze hat ihn geholt und wird auch dir noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wiedersehen." Der Königssohn geriet außer sich vor Schmerzen, und in seiner Verzweiflung sprang er den Turm herab. Er überlebte, aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen ihm die Augen. So irrte er blind im Wald umher, aß Wurzeln und Beeren, und jammerte und weinte über den Verlust seiner lieben Frau.
So wanderte er einige Jahre im Elend umher und geriet schließlich in die einsame Gegend, wo Rapunzel mit ihren beiden Zwillingen, die sie mittlerweile geboren hatte, einem Knaben und Mädchen, in ärmlichen Verhältnissen lebte. Er hörte eine Stimme, die ihm bekannt vorkam. Er ging darauf zu, und wie er näherkam, erkannte Rapunzel ihn, fiel ihm um den Hals und weinte. Zwei ihrer Tränen benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte wieder sehen wie früher. Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freude empfangen wurde, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.
Vor einem großen Wald wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern. Der Junge hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Es gab wenig zu essen, und einmal, als alles teurer wurde, konnte er auch das tägliche Brot nicht mehr bezahlen. Wie er sich nun abends im Bett Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: "Was soll aus uns werden? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren, wo wir für uns selbst nichts mehr haben?" – "Weißt du was, Mann," antwortete die Frau, "wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald bringen, da, wo er am dichtesten ist. Da machen wir ihnen ein Feuer und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie alleine zurück. Sie werden den Weg nicht wieder nachhause finden und wir sind sie los." – "Nein, Frau," sagte der Mann, "das tue ich nicht; wie sollte ich's übers Herz bringen, meine Kinder im Wald alleine zu lassen. Wilde Tiere würden kommen und sie zerreißen." – "Oh du Narr," sagte sie, "dann müssen wir alle vier verhungern, und du kannst nur noch die Bretter für unsere Särge hobeln." Sie ließ ihm keine Ruhe, bis er schließlich einwilligte. "Aber die armen Kinder tun mir doch sehr leid," sagte der Mann.
Die zwei Kinder hatten vor Hunger nicht einschlafen können und gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sagte zu Hänsel: "Jetzt ist's um uns geschehen." – "Still, Gretel," sprach Hänsel, "sei nicht traurig, ich werde uns helfen." Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Mäntlein an, machte die Tür auf und schlich sich hinaus. Der Mond schien sehr hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten und leuchteten. Hänsel bückte sich und steckte so viele in sein Manteltäschlein, wie hineinpassten. Dann ging er wieder zurück und sagte zu Gretel: "Schlaf nur ein, liebes Schwesterchen, Gott wird uns nicht verlassen," und legte sich wieder in sein Bett.
Als der Tag anbrach, kam die Stiefmutter und weckte die beiden Kinder. "Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen." Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach: "Da habt ihr etwas für den Mittag, aber esst nichts vorher, mehr kriegt ihr nicht." Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Manteltasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf in den Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, blieb Hänsel stehen, und guckte zum Haus zurück. Er tat das immer wieder, bis der Vater sagte: "Hänsel, was guckst du da ständig und bleibst zurück? Geh weiter!" – "Ach, Vater," sagte Hänsel, "ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen." Die Frau schimpfte: "Du Narr, das ist nicht dein Kätzchen, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint." Aber Hänsel hatte gar nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern jedes Mal einen von den hellen Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.
Als sie mitten im Wald angekommen waren, sagte der Vater: "Nun sammelt Holz, Kinder, ich will ein Feuer machen, damit ihr nicht friert." Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig wurde angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Stiefmutter: "Nun legt euch ans Feuer, Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir zurück und holen euch ab."
Hänsel und Gretel saßen am Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stückchen Brot. Weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, glaubten sie, ihr Vater wäre in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dünnen Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange dagesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie schließlich aufwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sagte: "Wie sollen wir nur aus dem Wald herauskommen?" Aber Hänsel tröstete sie: "Warte noch ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann werden wir den Weg finden." Und als der Mond aufgestiegen war, nahm Hänsel sein Schwesterchen an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, sie schimmerten hell und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder beim Haus des Vaters an. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah, dass es Hänsel und Gretel waren, sagte sie: "Ihr bösen Kinder, wieso habt ihr so lange im Wald geschlafen? Wir haben geglaubt, ihr wollt gar nicht wiederkommen." Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, dass er sie alleine zurückgelassen hatte.
Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bett zu dem Vater sagte: "Alles ist wieder aufgegessen, wir haben nur noch einen halben Laib Brot, danach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen weg, wir wollen sie noch tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder herausfinden. Es ist die einzige Rettung für uns." Dem Mann wurde das Herz schwer und er dachte: "Es wäre anständiger, wenn du den letzten Bissen mit deinen Kindern teilst." Aber die Frau ließ nichts gelten, was er sagte, schimpfte mit ihm und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt, muss auch B sagen, und weil er das erste Mal nachgegeben hatte, musste er es auch zum zweiten Mal tun.
Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mit angehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und Kieselsteine auflesen, wie das vorige Mal, aber die Frau hatte die Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Er tröstete sein Schwesterchen und sagte: "Weine nicht, Gretel, und schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen."
Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bett. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das aber noch kleiner war als das vorige Mal. Auf dem Weg zum Wald zerbröckelte Hänsel es in der Tasche, blieb oft stehen und warf ein Bröckchen auf die Erde. "Hänsel, was stehst du und guckst dich um?" fragte der Vater. "Geh weiter!" – "Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dach und will mir Ade sagen," antwortete Hänsel. "Du Narr," schimpfte die Frau, "das ist nicht dein Täubchen, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint." Hänsel warf nach und nach alle Bröckchen auf den Weg.