Im Dickicht des Pelion - Werner Helwig - E-Book

Im Dickicht des Pelion E-Book

Werner Helwig

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Beschreibung

2. Teil der Hellas-Trilogie von Werner Helwig Chorefto ist ein kleines Fischerdorf zu Füßen des nördlichen Pelion und gleichzeitig der Schiffsplatz des großen reichen, an der Hüfte des Pelion gelegenen Zagora ... Motorboote haben von dort eine Tagereise bis zur Hafenstadt Volos. Es gilt, den ganzen langen schenkelförmigen Südzipfel des Pelion, das Land Magnesien, zu umfahren. Segelschiffe, besonders wenn sie schwer geladen haben, brauchen mehrere Tage. Da sind natürlich auch Möglichkeiten, die Waren gleich die Ägäis hinauf nach Saloniki zu schaffen. Jedoch, sehr beliebt ist das nicht. Die Ägäis aufwärts, an den Steilküsten des Pelion und Ossa entlang, ist gefährlich. Die Ägäis abwärts hat mehr Schlupfwinkel, Häfen, schützende Buchten. Das Wetter bei uns ist nicht immer gut. In ganz Hellas schimpft man es das unzuverlässigste gefährlichste Wetter. So wie dieses Wetter, so sind unsere Menschen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 282

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Werner Helwig

Im Dickicht des Pelion

Roman

FISCHER Digital

Inhalt

PersonenverzeichnisAufgesangErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebentes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDreißigstes KapitelEinunddreißigstes KapitelZweiunddreißigstes KapitelDreiunddreißigstes KapitelVierunddreißigstes KapitelFünfunddreißigstes KapitelSechsunddreißigstes KapitelSiebenunddreißigstes KapitelAchtunddreißigstes KapitelNeununddreißigstes KapitelVierzigstes KapitelEinundvierzigstes KapitelZweiundvierzigstes KapitelDreiundvierzigstes KapitelVierundvierzigstes KapitelFünfundvierzigstes KapitelSechsundvierzigstes KapitelSiebenundvierzigstes KapitelAbgesangZu dieser Ausgabe

Personenverzeichnis

Lapithen:

Barba Weinas, Faßhauer,

seine Frau Marika, genannt Weinu,

seine Tochter Charikli, die Freudenspendende,

ihr Gatte Jorgos, Fischer.

Mitscheas, Einzelgänger, Bauer.

Kapitän Stassi, die Unke des Unheils.

Herr Samsarellos, Einzelgänger, Grundbesitzer.

Asbolos, Herdenbesitzer,

seine Tochter Katina, Hirtin,

sein Sohn Mitschu, Arbeiter.

Der Abt Einauge auf Kloster Flamburi.

Einige Schnapshändler.

Kentauren:

Clemens, ein Fremder, See- und Landfahrer.

Archileo, Einzelgänger, Maultierbesitzer.

Fischer Paris, Pechvogel.

Wasila, Räuber im Ruhestand, Imker,

sein Sohn Evangeli, Hirte, Flötenbläser.

Galanis, Kapitän im Ruhestand, Wilddieb,

seine Gattin Galania,

Tochter Margitza, Quälerin,

Tochter Lenio, Wirtschafterin,

Sohn Jason, Mönch.

Gewöhnliche Personen:

Erzsau und Matrone, Schweinemütter.

Lola und Maestro, Schweineväter.

Der rote Stier Pfadbrecher.

Die Kühe Angela und Sofia mit Kind.

Hunde Wlacha und Dewalla.

Wölfe, Bienen, Gespenster, Ziegen, Schafe, Bäume,

Salamander.

Ein kleines abgewetztes Boot mit mehreren Kosenamen:

Wanzenarche, Lotterkiste, Plankenkoffer.

Aufgesang

Das dunkle Blut wogte heiß in seinem Herzen. Den Krug auf der Schulter, ein brennendes Scheit als Laterne vor sich schwenkend, war er in Dickicht und Dunkel eingegangen. Er fand die Quelle. Aber es war grade die Stunde, wo die Nymphen aufzusteigen pflegten. Jene, die die Schluchten, jene, die die Höhlen, und jene, die die rinnenden Wasser behüten. Die Nymphe der Quelle war eben aufgetaucht aus ihrem schlüpfrigen Heim, als der Mann mit dem Krug erschien. Sie sah seine dunklen, irrenden Augen, sein im Suchen der Quelle gespanntes Gesicht. Und sie erkannte sein Antlitz, das schön war durch Gram, schön war durch Wut, schön war durch Häßlichkeit, schön war durch Vergängnis. Der gelbe Mond bestrahlte dieses Menschen zögernde Gestalt, und er goß Betäubung in das laubkalte Herz der Nymphe. Sie verharrte ratlos in der Wendung zur Flucht. Sie vergaß sich. Und als der Mensch, immer noch nicht ihrer ansichtig geworden, vorsichtig den Hals des Kruges unter den sprudelnden Wasserfaden lehnte, schräg, gebeugt, so daß ihm der eigene Schatten die Augen verhängte, da umfaßte sie seinen Nacken, zog ihn zugleich mit dem Arm an sich, küßte gierig seine zurückscheuenden Lippen, und die leise wirbelnden und leuchtenden Wasser mit ihrem Fischleib teilend, glitt sie mit ihm in die Tiefe.

Erstes Kapitel

Wenn sich auf den brennenden Scheiten im Kamin Asche bildet und ihr Leuchten verdüstert, setzt es einen schweren Winter. Wenn sie hell und frei verglühen – leichten heiteren Winter. Die Baruma, das Haltetau am Land bei Abfahrt eines Bootes, muß ein reiner Mensch lösen, sonst folgt eine schlimme Fahrt.

Es war ein Hafengeschäft in Chorefto. Chorefto ist ein kleines Fischerdorf zu Füßen des nördlichen Pelion und gleichzeitig der Schiffsplatz des großen reichen, an der Hüfte des Pelion gelegenen Zagora. Ein Zickzackweg aus rohen Steinen, in langen Stufen getreppt, verbindet die beiden Orte. Lastbare Mulis besorgen den Transport von Nüssen, Äpfeln, Kastanien und Unmassen fetter glibberiger Oliven, Motorboote haben von dort eine Tagereise bis zur Hafenstadt Volos. Es gilt, den ganzen langen schenkelförmigen Südzipfel des Pelion, das Land Magnesien, zu umfahren. Segelschiffe, besonders wenn sie schwer geladen haben, brauchen mehrere Tage. Da sind natürlich auch Möglichkeiten, die Waren gleich die Ägäis hinauf nach Saloniki zu schaffen. Jedoch, sehr beliebt ist das nicht. Die Ägäis aufwärts, an den Steilküsten des Pelion und Ossa entlang, ist gefährlich. Die Ägäis abwärts hat mehr Schlupfwinkel, Häfen, schützende Buchten. Das Wetter bei uns ist nicht immer gut. In ganz Hellas schimpft man es das unzuverlässigste gefährlichste Wetter.

So wie dieses Wetter, so sind unsere Menschen.

Das Hafengeschäft in Chorefto hat der Faßhauer Weinas eingerichtet. Seine Frau, die geschwätzige Weinu, geht ihm gut zur Hand. Der kleine Laden blüht. Aber die Familie blüht nicht. Der Mann ist zwar vom besten Korn. Auch das Weib ist so weit brauchbar. Eine breithüftige Hausfrau, die etwas vom Kochen und vom Strickstrumpf versteht. Trotzdem sind die Früchte, die sie gezeitigt, etwas merkwürdig ausgefallen. Wir geben dem Wetter die Schuld.

Die Familie zerfällt in Söhne und Töchter. Die Söhne haben sich bisher als Tunichtgute erwiesen. Sie haben kaum mehr Verbindung mit daheim, und wenn sie sich einmal sehen lassen, dann soll ihnen geholfen werden. Oder sie sind ausgehungert und wollen sich lediglich ein ordentliches Essen in den Leib schlagen. Die Töchter heiraten außer der Reihe, ohne Sinn und Verstand, und vertragen sich mit ihren Männern nicht. Eine hat gar studiert und fristet als Wanderlehrerin ihr Dasein.

Im Hafengeschäft ist nun als letzte Tochter Charikli, die Freudenspendende, übrig. Früh mit allen händlerischen Gepflogenheiten vertraut, bedient sie flink und sauber die Kunden. Die frisch gefügten, sauer nach Holz duftenden Bottiche des Vaters füllen sich mit dem Echo ihrer fröhlichen Stimme. Man braucht wahrlich die Öllampe nicht anzustecken, solange sie die abendliche Dämmerung mit ihrem Wesen erleuchtet. Aber die verspätete Strenge der Eltern ist unbekömmlich. Charikli fängt an, innerlich aufzuhorchen und sich ihres Sachwertes für den Lauf des Geschäftes bewußt zu werden. Viele kommen nur, um von ihr bedient zu werden. Und man hat beobachtet, daß die Männer, seien es Greise oder Jünglinge, zögernd an der Tür horchen, ob sie da ist. Wenn ihre helle scharfe Mädchenstimme nicht ertönt, kommen sie später wieder. Die Eltern fühlen das nur zu gut, und ihr Verhalten richtet Zäune auf um die Tochter. Sie lebt in einer Art freier Gefangenschaft, und die wenige Zeit, die sie sich abstehlen kann für einen Besuch, einen Gang nach Zagora, muß sie vor den mißtrauisch gespitzten Ohren der Mutter in langer Erörterung rechtfertigen.

Das bereitet den Bruch vor. Das junge Mädchen stellt sich bewußt gegen die Alten. Ohnehin klug, wächst sie geistig am Kampf. Und der Vater, ihr nicht überlegen, aber in der Tiefe seines geplagten Herzens weise, wird schließlich durch die Tatsachen überrumpelt.

Charikli hat sich heimlich dem Fischer Jorgos versprochen.

Ein Versuch, die Heirat der Sitte gemäß einzufädeln, scheitert: Jorgos bewirbt sich in aller Form bei den Eltern um die Hand des Mädchens und wird mit Scheltworten von der Schwelle gewiesen. Von da ab schwelt Mißtrauen, Mißgunst. Es gibt kein Wort von den Eltern zu ihrer Tochter, das nicht ein paar Dornen verhüllt. Jeder Apfel, in den sie beißt, wird ihr zwischen den Zähnen faul. Der geheime Krieg wird zum erklärten offenen. Der Vater verprügelt die Zwanzigjährige unter dem Vorwand, sie habe seinen Namen entehrt. Da sie ein starkes Mädchen ist, geht er mit blutender Nase in seine Werkstatt. Betrübt hockt er mit der Haue vor den Dauben eines großen Fasses, und auf das frische Holz fallen die roten Tropfen.

Abends kommt Jorgos vom Fang heim. Gewiß, er ist kein ungewöhnlicher Junge, aber die Möglichkeit, etwas zu werden und hochzukommen, steckt in ihm. Er hat ein Boot, eine alte wetterzernagte Wanzenarche. Die Farben seines Frühlings, Sommers und Herbstes schimmern überall durch. Trotzdem fängt der Jorgos ab und zu einmal etwas mit seiner zusammengeknüpften Grundangel. Manches Garn ist mit einem krummgebogenen Nagel bestückt. Und junge ungenießbare Katzenhaie sind oft das einzige Leben, das aus seiner Fischerei hervorgeht. Aber er läßt die Hoffnung nicht sinken.

Charikli eilt zu ihm an den Strand. Sie hat den ganzen Tag Ausschau gehalten nach dem Erwählten ihres Herzens. Sie fragt ihn: »Nimmst du mich so, wie ich bin, ohne Mitgift, ohne Elternsegen, ohne alles?« Er sagt: »Ich nehme dich.«

Damit ist die Sache abgemacht. Draußen sehen sie zufällig einen volotischen Schleppnetzfischer die Küste entlangzockeln, der anscheinend beschäftigt ist, das Netzgerät an Bord zu winden.

Jorgos schiebt seinen Kahn wieder ins graue Wasser, nimmt Charikli auf den Arm, setzt sie ins Heck, springt an die Ruder und versucht, dem Schleppnetzer vorzufahren. Beim letzten Schimmer Abendlicht klettern sie an Bord. Der kleine Kahn wird an der Reling festgezurrt. Morgens erreichen sie die tutende, dröhnende, rasselnd erwachende Stadt.

Ein Pope, aus des Jorgos Verwandtschaft, gibt sie zusammen. Als Ehepaar kehren sie nach Chorefto zurück. Bevor die Eltern sich von ihrem Schrecken erholen, bevor sie überhaupt Nachforschungen über die verlorene Tochter anstellen konnten, ist sie wieder da, stellt sich ihnen als Ehefrau des Jorgos vor. Arm in Arm erscheinen sie vor den Fassungslosen, und ohne daß man sich die Hände zum Abschied reichte, verschwinden sie in die Nacht.

Charikli eröffnet in einer Bretterbude eine Speisewirtschaft. Und alle die Männer, vom Greis bis zum Knaben, die im Laden kauften, weil er von der hellen bannenden Stimme des jungen Mädchens erscholl, sie werden jetzt ihre Gäste. Mit einem Kessel, ein paar Blechtellern, einem Sack Bohnen und einer Faust voll Salz beginnt sie. Kleine Beihilfen aus dem Kreis der Verehrer erleichtern den Anfang. Da ist besonders einer: der schwergliedrige Vierziger Mitscheas, ein weibergeiler Junggeselle, er legt geradezu ein kleines Kapital in der jungen Ehe an. Mit einem soliden schnittigen Fischerboot fährt der Jorgos jetzt aus, und drei Genossen schaffen nach seinen Befehlen. Abends essen alle miteinander in der Wirtschaft der Charikli, und was sie verdienten, fließt in die gleiche Kasse zurück, aus der sie entlohnt wurden.

So beginnt das Unternehmen langsam etwas abzuwerfen. Ein Kramladen wird in der Wirtschaft eingerichtet, und jetzt kauft man für die Arbeitsfahrten bei sich selbst das Brot und die Lebensmittel. Auch die Freunde der Genossen fangen an, dort zu kaufen. Auch die Freunde der Freunde. Kurz, es dreht sich, kommt ins Laufen, rollt, jagt, wächst, schwillt an und wird ein regelrechter Betrieb.

Zweites Kapitel

Das alte verwanzte nagelbrüchige Boot des Jorgos ist verkauft, und zwar an einen Fremden, Clemens mit Namen, der schon sein Jahrzehnt in Hellas hinter sich hat mit Schicksalen, die ihn hoch hinauftrugen und tief hinabstürzten. Er kann nun nicht mehr heimfinden, trägt stolz die Hand am Arm und den Kopf auf den Schultern. Mit ihm führt das Boot nun sein gewohntes Leben weiter, betreibt das altvertraute Küstenschleichen. Dient zugleich als Bett, als Tisch, als Stuhl. Die zusammengestückelte Grundangel wird ausgeworfen wie zuvor. Die Katzenhaie können weiterhin an gekrümmten Nägeln anbeißen.

Es kommt eine gute Zeit für das junge Ehepaar. Man kann schon daran denken, die Schulden aufzuholen. Charikli hat einen Holzkasten unter der Theke, mit einem Schlitz im Deckel. Was der Tag nicht braucht, das wird da hineingesteckt, Drachme um Drachme. Bei der beflissenen Schufterei, mit der sie ihre Stunden in den Abend treiben, er auf See und sie in der Wirtschaft, hält sie allein das Bewußtsein aufrecht, daß der Kasten sich füllt. Und ist die mädchenhafte Charikli einmal übermütig, so tanzt sie mit dem Kasten um ihren Jorgos herum. Die Zeit wird gut. Die Zeit wird besser, sie kriegen Luft. Sie kommen vorwärts und kriegen Luft.

Durch Vermittlung des schnurrbartzwirbelnden Mitscheas stellt man ihnen für fünf Jahre ein verfallenes Haus zur Verfügung, mit keiner anderen Pflicht, als es instand zu setzen. Nach diesen fünf Jahren haben sie dann einen bestimmten Zins zu zahlen. Herr Samsarellos, ein heimgekehrter Auslandsgrieche in Zagora, kann froh sein, wenn man sein verlottertes Besitztum wieder auffrischt. Er verlebt seine Tage in Volos oder Platamona und läßt sich selten sehen. Es scheint so, als wisse er nicht einmal genau, was ihm seine verstorbenen Eltern alles hinterlassen haben. Da sollen Schulden einzutreiben sein im Dorfe Puri. Da soll überhaupt eine ganze Ruinenstadt zu seinem Erbe gehören: Mizella, am unzugänglichen Nordhang des Pelion. Man erzählt sich manches davon.

Charikli, flink im Waschen und Kochen, ist auch im Gebären tüchtig. Ohne daß man es ihr anmerkte, hat sie Kinder zur Welt gebracht. Die Zeit galoppiert nicht mehr so gemächlich – es scheint, sie hat Räder an den Hufen, und sie rast, eine beschwingte Mähre, dröhnend auf einer Bronzetenne im Kreise herum. An den Rändern der Raserei bröckeln die Ereignisse ab und häufen sich.

Die Schenke ist berühmt geworden. Die Kochkunst der jungen Frau sammelt in Kürze einen ganzen Kreis von Dauergästen um die gemeinsame Tafel. Nirgends ist die Fasolada, die Bohnensuppe, so herzhaft wie hier, nirgends wird die Kakavia, die Fischsuppe, mit so saftigen anzüglichen Reden gepfeffert. Das Psumi ist selbstgebacken, knusprig, locker, ausgeglichen in Salz und Hefe. Der Psitosuvla, Spießbraten, sieht aus, als sei er mit Gold lackiert, und ist immer vom zartesten Abbiß. Und der Usocypro, der selbstgebraute Schnaps, hat einen Kern von Schärfe, allen anderen Schnäpsen überlegen.

Die verwöhnten Junggesellen von Zagora wechseln den Ankerplatz und lassen sich dazu herbei, zum Essen eigens in das mißachtete Chorefto hinabzusteigen. Und die Ehemänner, es scheint, daß sie die letzte Zeit reichlich oft an dem Schiffsplatz zu tun haben. Mancher häusliche Herd ermangelt beim Abendbrot des väterlichen Hauptes. Fremde Fischer landen jetzt hier, statt wie früher zwanzig Kilometer weiter in Damuchari. Und während der fleißige Jorgos sich die Hände aufrauht im Boot, mit immer besserem Gerät ausfährt und mit ausgesuchten Genossen arbeitet, müht sich die Charikli in der Schenke ganz allein mit den Gästen ab, bannt sie durch ihre helle Geschwindigkeit, ihre scharfe Mädchenstimme.

Das Haus ist rein wie kein anderes in Chorefto. Der Bretterboden der Schenke ist stets frisch gescheuert. Die Wanzen haben wenig Ruhe, sich zu vermehren. Das Bettzeug in der oberen Kammer strahlt. Die Wände sind geweißt. Alles Geschirr wird zweimal des Tages in einem wohlriechenden heißen Aufguß von Lorbeerblättern gespült.

Die Sonne öffnet ihre Liebeshöhle und schüttet gelben Segen durch geputzte Scheiben in den großen frohen Raum.

Mit den Stammgästen hat es sich so eingewöhnt, daß sie der tapferen Frau nach Kräften helfen. Kommt man etwa schwerschrittig, arbeitsmüde von draußen herein und findet die Schankstube leer, gießt man sich eben selbst das Öl über den Salat in der irdenen Schüssel, oder arbeitet für die Fischsuppe vor, oder mißt die vier Stufen in den Keller und zapft sich einen halben Liter. Man nimmt eben Rücksicht. Kleine Kinder können einer Mutter viel zu schaffen machen. Blieb der Gast ganz unbeachtet und ist für ihn Gehenszeit, so vergißt er nicht, die sauber abgezählten Drachmen seiner Schuldigkeit unter den geleerten Teller zu schieben.

Die Kinder endlich sind gut im Wuchs. Wird das Mädchen gerufen, wo es auch sein mag, sein ›Oriste, bin bereit, Mutter‹ spricht für beste Zucht. Und trotz so vielteiliger Arbeit sieht man oft die Charikli zwischen den essenden Männern sitzen und schäkern. Sie liebt grobe Worte. Sie stößt einen Fischer an und flüstert ihm, der ihr sein rotes dickes Gesicht zuwendet, für alle hörbar ins Ohr: »Sag, vermagst du viel?«

Auch der Sonderling Clemens gehörte bald zu den Stammgästen der Schenke. Und das hatte seinen Grund: er war verliebt in die Freudenspenderin. Seine Einsamkeit, sein Mit-nichts-ernstlich-beschäftigt-sein lieh seiner Liebe mehr Flamme, als gesund war. Er rühmte sich offen des besonderen Vertrauens der schönen Wirtin. Aber wer, unter jenen vielen männlichen Stammgästen, rühmte sich dessen nicht. Die Umworbene wirtschaftete sehr geschickt mit ihrer Zuneigung. Jeden machte sie glauben, er sei der Bevorzugte. Aber keiner kam ihr näher, als über einen Tischrand hinweg möglich war. Vielleicht der Mitscheas. Und der verstand zu schweigen.

Drittes Kapitel

Kommt da eines Morgens der Fremde in die Schenke, trifft die Charikli mit geschwollenen Augen an. Sie hinkt, als habe man ihr auf den Fuß getreten, sieht wäßrig aus, angegoren, müde. Stöhnt bei jedem Schritt. Als sie seiner ansichtig wird, schreit sie: »Clemens, du? Auf dich habe ich gerade gewartet. Glaubst du, ich habe ein Auge zugetan seit Mitternacht? Und ich will es dir gleich sagen: Wenn du dem Kerl nicht das Antlitz zerbrichst …« Sie reißt die Augen auf, schüttelt die Fäuste vor seinem Gesicht.

Er kann sich gar nicht so schnell fassen. In was läßt sie ihn blicken. In der Tiefe ihrer Weibesseele ist anscheinend allerlei für ihn bewahrt, wovon er keine Ahnung hatte.

»Wenn du dem Mitscheas nicht in den Leib trittst, daß ihm die Zunge wie eine Ratte aus dem Mundloch schießt, will ich bestreiten, wo immer ich zu Worte komme, daß du ein Mann bist.«

 

Der Grund der großen Aufregung war bald offenbar. Letzten Sonntag geschah es: Die Freudenspenderin stand auf dem Balkon ihres frisch geweißten Häuschens. Im Hochgefühl ihres Glückes stand sie dort und sah auf die Spaziergänger hinab. Da nahte sich der Mitscheas in einer Rotte von fremden Fischern. Ein gefürchteter Höhner und Spötter unter ihnen: Kapitän Stassi. Es überkam sie die Lust, dem Mitscheas zu zeigen, daß man nun seiner Hilfe nicht mehr bedürfe in der Familie Jorgos. Vielleicht wollte sie die Demütigung heimzahlen, daß sie ihm manches gewähren mußte, als man noch abhängig war von seinem Geldsack, seinem Fürspruch, seiner Vermittlung.

Sie schrie also mit ihrer hellen scharfen Mädchenstimme: »Mitscheas, du stehst noch mit fünfhundert Drachmen bei mir in der Kreide. Wann wirst zu zahlen?« Eine grobe Unfreundlichkeit am Vormittag, bei gutem Wetter, vor Fremden, die sogleich die Ohren spitzten.

Der gewaltige Mitscheas bog sein Barthaupt gegen den Balkon empor und brüllte über alle Köpfe hin, die sich im Augenblick zu der jungen hübschen Frau drehten, brüllte: »Beschmutze mit deiner Hurenstimme nicht den hellen Tag, du … ha ha ha … sogar mit dem Fremden hast du es schon getrieben!«

Gesundheit, Helden! So ist es. Die Frau belädt mit dem ganzen Aufwand stachelnder weiblicher Gekränktheit den verliebten Clemens. Legt es ihm als eine Ehrenpflicht ans Herz, sie und sich zu rächen. Er läßt sich, was bleibt ihm übrig, dazu herbei, ihr das zu versprechen.

Mitscheas ist unser berühmtester Messerheld. Stark wie ein Eselbulle. Bösartig, störrisch und durchgängerisch wie ein solcher. Verschlagen und unberechenbar wie ein solcher. Freunde des Clemens merken den Schwindel, warnen ihn, sagen: »Laß dich von der Frau nicht aufhetzen. Das sind so ihre Scherze. Du kennst sie noch nicht. Mitscheas macht aus dir das Lungenmus eines kleinen Knaben.«

Clemens läßt sich nicht umstimmen; fühlt, daß die Pflicht auf ihm bleibt, die Sache zu bereinigen. Wunschträume treiben in seinem Blut, und er ahnt Verheißungen, süße Gewährungen, falls ihm die Rache gelingt. Es sprach wohl allerlei aus ihrem Blick, als sie ihm für seine Zusage dankte. Mitscheas hat bald erfahren, was im Gange ist. Er lacht und glaubt es nicht. Die Männer aus der Schenke trachten danach, einen Zusammenstoß der beiden zu vermeiden. In stillschweigender Übereinkunft hält man sie einander fern.

Viertes Kapitel

Clemens gelingt es eines Tages, während der Arbeit (er half Netze flicken) sich der Beaufsichtigung zu entziehen. Er schlendert hinterm Dorf entlang, erkundet das Häuschen des Mitscheas, tritt harmlos in den Garten, blickt, die Hände in den Taschen, suchend um sich und überrascht den berüchtigten Raufbold beim Stutzen seiner Ölbäume. Mitscheas, der bemerkt, daß sich Besuch genähert hat, steigt aus den Ästen. Das Messer behält er gleich in der Hand, und während er es über einem naßgespuckten Wetzstein kreisend bewegt, wünscht er freundlich: »Gesundheit, was machst du?«

Clemens mustert ihn stumm mit gerunzelten Brauen. Langsam hat er die Hände aus der Tasche gezogen und kreuzt sie hoch vor der Brust. Darauf jener: »Troll dich von meinem Grundstück, Freundchen, hast hier nichts zu suchen.«

Sein Messer hört auf zu kreisen. Der Krieg ist erklärt. Ohne ein Wort gesagt zu haben, verzieht sich Clemens, kehrt gedankenvoll zu seiner Arbeit zurück.

 

Warten wir, daß die Zeit ein bißchen vergeht. Es kommt keine Gelegenheit für die beiden Gegner. Zu gut sind die Männer von Chorefto auf der Wacht.

Clemens aber mag nicht eher vor Charikli erscheinen, bis die Sache geordnet ist. Er treibt sich mit seinem Boot umher. Fährt Mist in Säcken nach der Insel Skopelos. Der Fischer Paris hilft ihm dabei. Es wirft einen netten Verdienst ab. Die Ackererde auf Skopelos ist lehmig. Die Leute reißen sich um alten trockenen Mist, der die Krume lockert. Als die letzte Fuhre gemacht ist, verabschiedet sich Paris für längere Zeit von seinem Genossen. Er geht mit einer Gruppe auf große Fahrt nach Kassandra, Porto Kufos, Berg Athos. Fischer Jorgos ist auch dabei. Mit Umzingelungsnetzen soll gearbeitet werden. Man wird zwölf oder vierzehn Monate unterwegs sein. Man hofft, mit vollen Taschen heimzukehren. Paris hat es besonders nötig – seine Mutter, auf Skopelos, ist magenleidend. Es müßte wohl etwas für sie getan werden.

Clemens indessen bleibt in Chorefto. Er hat einen teuren Freund gefunden in dem Kyklopen Archileo. Der bewohnt ein altes hochstöckiges Türkenhaus unterhalb von Zagora. Zwei Maultiere sind in seiner Gesellschaft, und er betreibt mit ihnen einen Frachtverkehr zwischen dem Kirchenplatz und dem Hafenplatz. Davon lebt er.

Trotzdem erweckt er mit seiner gewaltigen zuversichtlichen Person den Eindruck eines begüterten Freiherrn. Begehrter Sänger bei Volksfesten, Hochzeiten und in der Kirche, gilt er als einer, der die Tafel bis aufs Tuch abspeist und sich mit Wein durchspült wie ein Wasserrad mit Frühlingswasser.

Eine Dame, ägyptische Griechin, wohlhabend, die den heißen Sommer im kühlen baumüberschatteten Zagora verbringt, zudem Witwe, hat’s auf ihn abgesehen. Hält ihn für einen sparsamen arbeitsfreudigen Grundbesitzer. Sie lebt in ihrem eigenen Haus oben im Dorf, läßt sich aber gern im Maultiersattel nach Chorefto führen, um zu baden oder den Schiffen zuzuschauen. Sie mietet dann den Herrn und seinen Esel den ganzen Tag, bewirtet ihn und zahlt noch außerdem ein gutes Stück Geld für die geringe Leistung. Zweihundert Drachmen. Das ist gegen alle Üblichkeit. Wenn sich sonst Leute im Sattel transportieren lassen, bezahlen sie für jeden Gang einzeln. Anders die Dame. Sie läßt sich auch sehr gern von ihm in den Reitsitz helfen. Besonders, wenn’s schon dämmert. Und es scheint, sie benimmt sich dabei etwas ungeschickter, als nötig ist. Sie trägt Sorge, daß der Rock verrutscht und die reich gefältelte Spitzenhose zeigt, die tief über ihre dicken seidenen Beine fällt. – Nachts sieht man das Spiel der grauen Katzen nicht.

 

Ostern, Kuchen wird in jedem Haus gebacken. Jeder Fischer ist heimgekehrt zu seiner Familie, seinem Haus, seinem Dorf oder seiner Insel. Keiner, der nicht irgendwo Verwandte hätte, wo er sich mit anhängen darf. Ja, es gilt fast als Schande, so allein dazustehen, von so offenbarer Armut zu sein, daß man das Fest in der Hafenschenke verbringen muß. Clemens hatte sich im Winter mit andern Einzelgängern in der Kapelle Agios Nikolaos heimisch gemacht. Der Heilige verargte es ihnen nicht, daß sie auf einer Schütte Stroh vor seinen goldblechbeschuhten Füßen schliefen. Jetzt aber wurde das behagliche rauchgeschwärzte Heiligtum vom Popen gereinigt, geschmückt und mit frischem Lampenöl versehen. Der Fremde ist also ohne Dach. Fröstelnd, die Hände bis an die Ellbogen in der Tasche, schlendert er am Sandstrand entlang, den die Wellen hart geschlagen haben. Alle Magazine sind geschlossen, selbst die Wirtschaft der Charikli hat Bretterläden vor den Fenstern. Nachmittags ist lediglich ein leeres Bootshaus für die heimatlosen Müßiggänger geöffnet. Man erhält dort Kaffee oder Schnaps. Heimatlos, jedenfalls ohne Anhang sind auch der Archileo, der Mitscheas und Kapitän Stassi. Als der Fremde in das windige Gelaß tritt, sitzen sie dort als ein kleiner Kreis unfröhlicher Kartenspieler mit dem Wirt zusammen.

Und der Mitscheas, als er des blaugefrorenen Beutelträgers ansichtig wird, hält ihm brüderlich das volle Schnapsglas hin. Clemens, ohne sich zu besinnen, nur gierig auf ein bißchen Hitze im Magen, nimmt an und gießt die wässerige Labe in den Schlund hinab. Alle seufzen erleichtert auf, denken, jetzt ist die Fehde nun endgültig begraben.

Anders der hämische Kapitän. Ein wenig später stößt er Clemens an, weist mit dem Kopf hinaus, geht voran, Clemens folgt ihm. Draußen macht er ihm Vorwürfe: »Wie konntest du so feige sein, von deinem Feind einen Schnaps anzunehmen, an dem er schon genippt hat. So billig verkaufst du deine Ehre?«

Clemens kehrt nicht in das Café zurück, sondern wandelt den baumbestandenen Pfad entlang, der in flachen Kurven aufwärts nach Zagora führt. Er beschließt, diese dumme Angelegenheit endlich aus der Welt zu schaffen.

Es gibt dort am Wege ein Stück zerfallene Wasserleitung. Gemauerte Bögen. Zwischen den Bögen hat jemand einen Bretterzaun aufgerichtet. Dahinter versteckt sich der Fremde. Ein Astloch ist vor seinem Auge: der Weg liegt vor ihm, den der Mitscheas gehen muß, wenn er zu seiner Hütte heimkehrt.

Dort sitzt er nun und wartet, daß die Zeit ein bißchen vergeht. Er friert. Vor ihm nicken Grashalme. Hinter ihm stehen Bäume, finster, verknüpft, dabei krumm und verdreht, so wie er im Hocken. Während ihm seine Füße an der Erde abfrieren, waschen sie ihre Wurzeln in einem kalten Wässerlein, das mit mäßiger Rede rollt.

Zuletzt ist ihm auch sein Rachegelüst abgefroren, und er denkt: Spei drauf – will sich erheben und gehen. Im gleichen Augenblick fährt ihm ein Stich in die schräg hochgedrehte Hüfte: das Messer des Mitscheas. Jener hat, vorsichtiger, als man denken konnte, seinerseits Clemens beschlichen und die ganze Zeit beobachtet, darüber nachsinnend: was hockt der Kerl da und wartet, starrt durchs Astloch, und auf wen wartet er?

Clemens blickt erstaunt in das ruhige kleinäugige Gesicht, reckt sich auf und versetzt ihm blitzschnell einen krachenden Schlag, der zwischen Ohr und Schläfe landet.

In der Zeitwinzigkeit zwischen Ins-Auge-Fassen und Zuhauen hat der ›kleine Mann‹ gesprochen, den ihm die Charikli ins Ohr gesetzt.

Mitscheas nimmt den Schlag hin, als wäre eine Daunenfeder auf seine Stirn gefallen. Er hebt von neuem das Messer. Es ist eine zum Dolch geschliffene Feile. Die scheußlichste Waffe, die im Pelion geführt wird.

Der Rotbart, ziemlich verblüfft von der Wirkungslosigkeit seines Geschenkes (er hatte wirklich alles, was er war und vermochte, in seine Faust gesammelt), bückt sich, und nicht sein Denken zwingt ihn dazu, sondern der Tod selbst, den er in weißester Helligkeit aufgerichtet sieht, bückt sich nach einem Steinbrocken, hält ihn kaum und hat ihn auch schon mit aller Wucht dem Mitscheas ans Schlüsselbein geschleudert. Damit erwacht der vierschrötige Grieche erst zu rechter Wut. Er faucht wie ein Kater und springt mit erhobener Dolchhand gegen den Rotbart. Der tritt ihm unvermutet in die Herzgrube. Mitcheas taumelt, aber den Dolch haut er gleichzeitig in den tretenden Schenkel oberhalb des Knies.

Und jetzt, aus Schmerz und Zorn gemischt, erhebt sich ihrer beider furchtbares Gebrüll. Ein rauchfarbenes Geschrei, Wölfe scheinen als Schatten darin zu rasen. Archileo in der Kaffeeschenke hört es, ahnt sofort, was geschieht, und ruft Genossen zusammen. Das Getrappel ihrer Ankunft, ihre erregten Zurufe beruhigen die Schäumenden nicht. Jetzt wollen sie zum Austrag bringen, was zwischen ihnen schwelte.

Clemens, schon zwei tiefe Wunden im Leibe, vermag sich nicht mehr zusammenzuhalten. Sein Wille läßt ihn im Stich: er kippt um, liegt auf dem Rücken und kann den Angreifer nur mehr mit dem linken Fuß von sich wegtreten.

Vier Mann werfen sich in geschlossenem Ansturm auf Mitscheas. Der reißt sich mit letzter Anstrengung aus der Umklammerung, taumelt nach rückwärts, von Clemens weg, ergreift einen Felsklotz und stemmt ihn hoch. Der Liegende, schon ganz entrückt vor Schmerz, starrt, als gelte es nicht ihm, dieses Wunder von urweltlicher Kraft an. Er sieht den erhobenen Fels schwanken und zieht sich, bei eisig durchschießendem Schmerz, in letzter Gegenhandlung krumm. Der Fels schlägt knapp hinter seinem Nacken auf. Dreck und Funken spritzen umher.

Weniger mit ihren Kräften als mit ihrem vereinten Gewicht ist es den Männern gelungen, Mitscheas zu bändigen. Clemens hat den Vorgeschmack des Todes auf der Zunge.

Er kommt erst wieder zu sich, als der Archileo ihm Wasser aus seiner Mütze übers Haupt schöpft. Mitscheas, dessen Wutkrampf plötzlich in Schwäche umschlägt, läßt sich willenlos, schlotternd von den Freunden beiseite führen. Der Fremde streift die Hose, das Hemd herauf, besieht sich seine Stichwunden. Zum Glück ist die Feile schräg ins Fleisch gefahren, an den Nieren vorbei in die Hüfte. Eine gelbe blutlose Schnittfläche klafft. Blutlos, weil vor Todesfurcht all sein Blut leibaufwärts rann und sich im Herzen sammelte. Der Schenkel ist bis aufs Weiße durchstochen.

Archileo kommt mit seinem Maultier, murmelt beruhigende Worte und packt den Verwundeten seitwärts auf den Sattel. Je ein Mann hält ihn rechts und links, und so geht es Schritt für Schritt um die Ecke, den Weg hinan zum Türkenhaus.

An einem Mauerpfeiler lehnt, fröstelnd vor Entspannung, der gewaltige Mitscheas. Ernüchtert starrt er auf Clemens. Sein Auge ist blutgetrübt, er vermutet, daß der Fremde tot ist.

Clemens hebt den Kopf, als er ihn sieht, versucht mit schneebleichem Gesicht zu lächeln, streckt ihm die Hand hin, ruft: »Mitscheas, komm her, schlag ein!«

Aber der mißtrauische Mann fürchtet eine Hinterhältigkeit des Verwundeten. Vielleicht geladenes Schießeisen unter der Jacke. Archileo, der das spürt, ruft ihm zu: »Kannst ruhig kommen … Er hat wirklich nichts bei sich – meint es ernst …« Da löst jener sich von der Ecke, nähert sich mit bemühten Schritten, schlägt seine Hand in die schwächlich zitternde, ganz kalte des Fremden. Blick in Blick verharren sie beide, todwund, erschöpft, bebend. Clemens sagt: »Du bist ein Held, Mitscheas!« Er erinnert sich gehemmten langsamen Geistes der wölfischen Schönheit seiner Wut: »Bist ein Held. Seien wir Freunde.«

Und Mitscheas, der schmierige, schwarze, starke, mit dem keiner so leicht anbändeln mag, ein Bulle, ein Sack voll Muskeln und Dreck, Knochen wie Stein, Schädel wie Stein, Fäuste, zähe wie Föhrenwurzeln, schwarz behaart … er schlägt ein.

Der besorgte Archileo gibt dem Maultier einen Klaps. Er leitet seine schwachlebende Fracht berghinan. Der Körper des Verwundeten sackt nach der Seite um. Neue Besinnungslosigkeit löst ihm die Glieder, als er auf des Kyklopen brüderlichen Armen die brüchige Holztreppe zum Türkenhaus emporgetragen wird.

Fünftes Kapitel

An jenem Abend wurden zugleich zwei Hochzeiten gefeiert in Zagora. Archileo war zweimal eingeladen worden. Hatte zugesagt: Sein Plan war, bis Mitternacht das Eßbare zu grasen und bis zum Morgen das Trinkbare zu vernichten. Jetzt belädt ihn der Zufall mit einem Kranken. Er zündet die Ölfunzel an. Das Schlaflager aus Schafsfellen und bunten mazedonischen Decken nimmt allein die Hälfte des Raumes ein. Im zerwühlten Teig dieses Lagers ruht jetzt wie ein schmächtiger Junge der Rotbart. Archileo holt Wasser im grauen Tonkrug, dem schon beide Henkel fehlen. Holt Wasser an der Quelle unten am Buchengebüsch zwischen Haselnußstauden. Pflückt frische Kräuter, das Heilkraut Chironion, des alten Vaters Cheiron Geschenk an den Pelion. Er tränkt den Kranken, wälzt ihn wie ein Paket hin und her, den Willenlosen, wäscht die Wunden und verbindet sie mit fetten, bitter duftenden Salbeiblättern.

Dann, mit Wächtermiene neben dem Lager hockend, sucht er sich eine nützliche Beschäftigung hervor: Tabakschneiden. Er legt ein schwärzliches Fleischhackbrett vor seine Füße, tritt auf beide Brett-Enden, greift ein Bündel braunen Rohtabaks, dreht es zur Wurst zusammen und säbelt es in dünne Scheiben. Haarfeine Strähnen entstehen. Rauchgelüst entsteht. Er greift nach seinem Gesangbuch (beliebter Kirchensänger), reißt eine Seite ab, liest laut das Stück Text vor, das sich darauf findet:

»Kanon des heiligen Josef, 7. Ode.

Einst ward im feurigen Wagen hinaufgetragen Elias, leuchtend durch Fasten. O Seele, ihm ahme nach. Des Fleisches Gelüste, durch Enthaltung ertöte sie!«

Legt Tabaksträhnen in das vergilbte Papier, dreht mit klebrigen Fingern eine Zigarette. Zu Clemens, der viel zu schwach ist, um zu hören, dessen Ohren sich mit einem flutenden und ebbenden Sausen füllen, spricht er: »Das ist die einzige Minute, wo ich zum Lesen komme.«

Seite um Seite hat er so im Laufe der Zeiten das Liederbuch zusammengefetzt, und er wird es auf diese Art wirklich ganz zu Ende lesen.

Die Zigarette brennt, setzt schwarze kohlende Ränder ab, aber der Tabak ist so stark und würzig, daß er mit seinem Duft über den Papiergestank siegt.

Unten klopft’s an der Tür. Archileo reißt die Augen auf, daß das Weiße zu sehen ist. Schlotternd vor Gendarmenfurcht tastet er die knacksende Stiege hinab. Aber es sind Hochzeitsboten, die ihn holen sollen. Der Gesang kommt ohne ihn nicht in Gang. Es klopft zum zweitenmal, kurz danach. Es sind wieder Boten. Er schickt sie mit geflüsterten Worten fort. Er soll kommen, sie wollen ihn haben, den berühmten Witzbold, Balladensänger, Trinker und fröhlichen Fresser. Aber er bleibt daheim. Er versieht ein Wächteramt. Vielleicht stirbt ihm dieser Mann doch noch unter den Fingern weg. Besorgt beugt er sich über ihn. Clemens schlägt die großen schweren Augenlider auf. Sein Kinn zittert, als unterdrücke er einen Gähnkrampf. Der Schmerz ist ihm zum Bewußtsein gekommen und tobt, wütet in der Höhle seines Leibes. Durch den Rausch seines Schmerzes scheinen die Schatten von trabenden Wölfen zu gleiten.

Ruhige gütige Worte spricht der Archileo zum ruhenden Rotbart. Er sagt: »Schau, zwei Hochzeiten versäume ich deinetwegen. Mach, daß du wieder jemand wirst. Verstehst du – das Leben galoppiert, ja, es hat Räder an den Hufen, es rast im Kreis auf einer großen Tenne umher, und ehe du dich dessen versiehst, bist du am Rande und gehörst zu den abgebröckelten Dingen, zu den Toten, Erledigten, Namenlosen.«

Clemens blickt ihn an aus seinen großen hellen Augen. Sein Kinn zittert, seine Zunge wälzt Laute hervor, die nicht zu Worten werden.

»Paß auf«, sagt der Archileo, »heute nacht schläfst du hier bei mir. Morgen mußt du sehen, daß du gesund wirst; wird eure Stecherei ruchbar, darf ich nichts, aber auch gar nichts damit zu tun haben. Mein Kerbholz ist voll. Da paßt nichts mehr drauf.« Clemens nickt mit den Augenlidern Einverständnis. Ruht die ganze Nacht im hütenden Schatten des breitschultrigen Bären. Das Gesangbuch wird dünner. Der Rauch trübt das Licht der Ölfunzel.

Während er regungslos dahindämmert, nehmen seine langsam wandernden Augen die anheimelnde Unordnung der Bärenhöhle auf. Durch den zerbrochenen Fußboden röcheln die Maultiere ihre Futterseufzer. Sie stampfen mit dumpfen Hufen im eigenen Mist. Bald werden sie mit den Köpfen an die Decke stoßen, oder gar durch die Löcher der Decke ins Wohngemach äugen. Ein schöner Posten Dünger – wenn man da einmal aufräumen könnte! Rings an den Wänden hängen leere Ziegenhaut-Weinschläuche. Das Fell nach außen gekehrt zum Abtrocknen. Ungewaschene Töpfe, Teller, Maultiergeschirre liegen glöckchenblitzend in der Ecke. Seile, Riemen, alte Fischereigeräte. Von Balken zu Balken unter der Decke hin baumelt ein braunes zerfetztes Wurfnetz, Bleikugeln in die Ränder geklemmt. Hanfsäcke, grüne Glockenreusen. In der Nähe der Feuerstelle hängen lange Würste wie verknotete Tau-Enden. Bündel von Bergtee. Getrocknete Pflanzen.