Im Fokus des Verrats - Uwe Roczinski - E-Book

Im Fokus des Verrats E-Book

Uwe Roczinski

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Beschreibung

Sophie Medeo lässt sich nach einer geglückten Flucht, mit ihren Eltern in Westdeutschland nieder. Nachdem ihr Vater bei Spionagetätigkeiten für die Stasi ertappt wird, gerät auch sie in die Fänge von BND und MAD. Erst Jahre später findet Sandra, ihre Tochter, Briefe von ihr. Sophie schildert darin ihr Leben und deckt viele Ungereimtheiten auf. Ein beiliegendes Kuvert, welches Sandra ebenfalls entdeckt, bringt sie und ihren Freund Didi in Lebensgefahr. ...

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Seitenzahl: 671

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Wer die Demokratie verteidigt,

verteidigt die Freiheit,

wer die Freiheit verteidigt,

verteidigt das Leben,

wer das Leben verteidigt,

verteidigt die Welt.

Für

Norbert, Sandra, Renie, Ruth, Hanni und Dieter

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 09

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

PROLOG

(Autobiographie von Hans-Anton Heumann)

Von meiner Mutter hab ich die Vornamen, von meinem Vater den Familiennamen. Er hielt nichts von den Kirchen und Religionen. Sie, evangelisch getauft, erzogen und konfirmiert, war fast so etwas wie eine Gläubige. Da sie zu seinem Verdruss, was meine Wenigkeit betraf, das Sagen übernahm, wurde auch ich getauft. Auf den Namen Hans-Anton Heumann. Den Anton bekam ich zu Ehren ihres Onkels, einem echten Bayern. Er verstarb, noch bevor ich geboren wurde. Am 01.04.1960 kam ich zur Welt, in einer Klinik in Braunschweig. Ich weiß, ein Aprilscherz. Aber was soll ich dagegen machen? Das Beste fand ich war, dass wir, also meine Eltern und ich, nie von Braunschweig fortzogen. Eine große und anonyme Stadt weshalb ich hier auch heute noch gerne wohne.

Von klein auf liebte ich die Natur. Ich mochte viel lieber im Freien, als im Haus spielen. Wir waren eine kleine Kinderbande und erst sieben bis neun Jahre alt. Waren unsere Eltern fort, kletterten wir über Gartenzäune und stibitzten Erdbeeren oder Kirschen. Einmal zwängten wir uns sogar durch eine Hecke, um ein paar verbotene Früchte zu erlangen. Sie gehörte zu einem großen Anwesen. Der Besitzer hatte seinen Garten so überhoch eingezäunt, dass man meinte er hätte Gold im Garten. Blöderweise blieb Jörg an den Dornen der Hecke hängen. Seine Ärmel waren hinterher eingerissen. Das gab ganz mächtig Ärger mit seiner Mutter. Wenn Zäune Spitzen aus Draht hatten, kam es vor, dass auch mal eine Hose kaputtging. Außer Kratzern, gab es nie schwere Verletzungen. Allenfalls wurde einem schlecht, weil er zu viel Obst gegessen hatte. Noch heute wundere ich mich, dass wir bei unseren Aktionen nie erwischt wurden. Zumindest sagte nie jemand etwas zu uns. Wir waren Kinder und fanden unser Tun spannend. Wir fühlten uns wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn.

*

Mein damals bester Schulfreund hieß Peter. Peter Schreiber. Er war der absolute Pechvogel. Immer wurde er in der Schule gehänselt. Er stolperte über die eigenen Füße, verwechselte die Lehrstunden und eckte auch sonst öfters an. Ein paar Kinder hatten ihn deshalb als Prellbock auserkoren. Um sich davor zu schützen, spielte er öfters den Klassenclown, was ihm aber nur gelegentlich half. Wir saßen in der Klasse nebeneinander. Wir waren Freunde, darum verteidigte ich ihn auch. Manchmal sogar vor Lehrern. Bei unserem Mathe- und Erdkundelehrer thronte er besonders hoch auf der Abschussliste. Der hieß mit richtigem Namen Kruder. Doch in der Schule nannten ihn alle den Einarmigen. Er hatte im Zweiten Weltkrieg seinen linken Arm verloren. Drangsalieren und Kinder mit der Prügelstrafe zu beglücken, war eines seiner beliebtesten Hobbys. Er gehörte zu denen, die die Prügelstrafe als beste Erziehungsmethode verteidigten.

Einmal hat Peter versäumt, dass der folgende Mathematikkurs in einem anderen Klassenzimmer stattfinden würde. Er ging nach der Pause in den falschen Klassenraum. Es war aber niemand da. Der Raum war leer. Im Glauben die Stunde sei ausgefallen, lief er nach Hause. Am nächsten Morgen bekam er nicht einfach nur Ärger. Der Lehrer behauptete, er hätte absichtlich geschwänzt. Um ihn vor den anderen Kindern zu demütigen, malte er dessen Nase an der Spitze, mit einem roten Kugelschreiber an. Peter musste die ganze Unterrichtstunde in der Ecke neben der Tafel stehen. Mit dem Gesicht nach vorn, durfte er den Punkt, über den ganzen Unterricht nicht abwischen.

Einige Kinder, besonders die, die ihn eh nie mochten, höhnten zusätzlich über ihn. Die Schmach war umso schlimmer, je länger der Punkt auf der Nase blieb. Das war in der zweiten Klasse. Diesen Schultag vergaß auch ich nicht. Ein anderer bekam eine Backpfeife, weil er etwas nicht wusste. Dieser Lehrer war der Schlimmste. Nach mehrmaligen Rohrstockattacken erstatteten einige Eltern Anzeige. Er wurde noch vor seiner Pensionierung suspendiert.

Ich weiß noch, besonders im Musikunterricht versuchte Peter seine Klassenkameraden mit Streichen zu beeindrucken. Jedes Vorsingen war ihm zuwider. Gerade vor denen, die ihn bei jeder Gelegenheit auslachten, wollte er glänzen. Er konnte nie den Ton richtig halten. Ich war das Gegenteil. Mir machte es Spaß, obwohl auch ich die Tonleiter nicht beherrschte. Er hasste es. Es war jedes mal eine Qual für ihn. Denn gerade hier sahen die andern die Chance ihn auszulachen. Das Verhältnis zur Musik war bei ihm zwiespältig. Er wollte Musik hören, nicht singen.

Standen Stunden an, an denen er vorsingen sollte, spielte er Streiche. Er fand es besser, wenn man darüber lachte und nicht über ihn. Nicht selten musste Herr Kehrer, unser Musiklehrer, als Opfer für seine Streiche hinhalten. Einmal hat Peter einen nassen Schwamm auf dessen Stuhlsitz gelegt. Tage später hat er die Sitzfläche mit Kreide eingeschmiert. Die Krönung, war die Sache mit der Schulgitarre. Kurz vor Beginn der Musikstunde ölte Peter deren Saiten ein. Das gab mächtige Lacher, als der Lehrer sie für ein Lied anstimmen wollte. Fast immer wurde er erwischt und bekam dafür Strafarbeiten aufgebrummt. Für ihn waren diese Strafen eine Belohnung. An solchen Tagen durfte er nicht mitsingen.

Zwei Jahre später verloren wir uns ganz aus den Augen. Nach einem Verkehrsunfall. Ein betrunkener Fahrer hatte die Gewalt über sein Fahrzeug verloren und ist mit seinem Wagen auf den Bürgersteig geraten. Nach dem Aufprall mit Peters Vater lies er diesen einfach liegen. Er floh anschließend, ohne Hilfe zu holen von der Unfallstelle. Die Polizei hatte lange nach ihm gesucht, ihn aber nie ausfindig gemacht. Peters Vater verstarb noch auf dem Bürgersteig. Der Kontakt zwischen uns war ganz plötzlich abgebrochen. Er zog sich von allem zurück. Ein paar Monate später ist er mit seiner Mutter weggezogen. Wir haben danach nichts mehr voneinander gehört.

Als ich etwa fünfzehn war, mich erwachsener fühlte, half ich öfter bei einem Bauern in unserer Gegend aus. So konnte ich mein Taschengeld aufbessern. Ich versorgte die Kühe und sammelte Eier, aus den Gelegen. Sowas machte mir Spaß. Ich konnte dadurch viel über die Tierhaltung und andere Arbeiten auf einem Bauernhof mitbekommen. Es prägte meinen Wunsch einen Beruf zu erlernen, den ich in der Natur ausüben könnte. Ich wollte kein Bauer werden. An der frischen Luft arbeiten, sowas wollte ich. Ich sah mich nicht in einem Bürojob. Da hätte mich damals keiner reingekriegt. Nicht fürs Geld der Welt.

In den letzten Monaten in der Schule bewarb ich mich bei den verschiedenen Gärtnereien in meiner Wohngegend. Pflanzen interessierten mich und so könnte ich als Gärtner im Freien arbeiten. In einer davon absolvierte ich ein Berufspraktikum für die Schule. Ich war begeistert. Es blieb daher auch nicht aus, dass ich kurz nach meinem Schulabgang, im selben Betrieb tatsächlich eine Lehre als Gärtner begann. Mein Traum hatte sich erfüllt.

Mit meinen Arbeitskollegen kam ich gut aus. Doch noch besser mit meinem Chef und Ausbilder. Dieter Rhode. Er mochte mich. Mein Interesse an dieser Arbeit faszinierte ihn. Er förderte mich, wo er nur konnte. Für ihn war ich so etwas wie ein Sohn. Drei Töchter waren sein Stolz. Aber keine von ihnen hatte ein Interesse an den Gartenarbeiten. So gab es keinen Nachfolger in der Familie, der seinen Betrieb später einmal übernehmen wollte. Zudem fand er schon damals, fünf Personen in einer Familie seien genug. Er wollte keine Familienmitglieder mehr, für die er dann erneut Mädchennamen hätte aussuchen müssen.

Die Arbeit machte mir Spaß und meine Gesellenprüfung schloss ich mit sehr gut ab. Die Firma vereinte zwei Berufszweige in sich. Außer einer „normalen" Gärtnerei mit Blumen und Samen, betrieb er auch eine große Baumschule, für Tannen, Fichten und ein paar Laubbaumarten. Herr Rhode machte mir ein Angebot. Ich sollte eine Zusatzausbildung zum Baumchirurg machen. Sie würde zwölf zusätzliche Monate Lehrzeit für mich bedeuten. Er wollte mir die Möglichkeit geben Brehmer, seinen bisherigen Leiter, in wenigen Jahren abzulösen, wenn dieser in Rente geht. Rhode brauchte für den Posten einen gut ausgebildeten Mann, auf den er sich verlassen konnte. Er sah mich, seinen wie er meinte besten vormaligen Lehrling, als beste Wahl für die Nachfolge.

Begeistert erlernte ich die Kunst Bäume zu operieren. Bisher waren nur Saaten und Gräser mein Ressort. Bäume, die Riesen unter den Pflanzen, interessierten mich schon immer. Besonders Ahorn- und Kastanien.

*

Die Monate der Lehrzeit vergingen, ein Mädchen trat in mein Leben und wir trafen uns immer öfter. Sie war siebzehn, und ich gerade noch neunzehn. Dennoch hielten wir unsere Treffen vor ihren Eltern geheim. Meine Eltern kannte sie inzwischen. Bei ihren Eltern wollten wir noch abwarten, uns erst sicher sein. Wir wussten nicht, welche Reaktion unser Beisammensein auslösen würde. Sie wusste, dass ihr Vater mich kannte, auch mochte. Es war aber doch etwas anderes, wenn der Angestellte mit der Tochter des Chefs zusammen war. Das ist bestimmt nicht für jeden akzeptabel.

In unserer Freizeit waren wir oft zusammen, besonders an den Wochenenden, wo wir nicht selten Händchen haltend durch die Straßen liefen. Wir schwebten auf Wolken, waren bis über beide Ohren ineinander verliebt. Dann geschah, was nicht geschehen sollte. Nika wurde schwanger, obwohl wir Kondome verwendeten. Eines muss wohl angerissen gewesen sein. Nun blieb uns keine andere Wahl. Wir mussten es unseren Eltern beichten.

Mein Vater regte sich auf, ich hätte besser aufpassen müssen. So früh Vater zu werden, das wäre doch dumm. Mutter jammerte, welche Schande ich über die Familie brächte, ich müsste Nika sofort heiraten. Ich stand da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Nika saß auf der Couch und blieb nicht weniger still. Natürlich mussten wir es auch noch ihren Eltern stecken. Also gingen wir auch zu ihnen beichten. Allerdings, schließlich war ihre Tochter schwanger, waren sie gelassener als meine. Ich hatte eher das Gegenteil erwartet.

Ihre Mutter, Petra, war zwar überrascht, jedoch kein bisschen aufgebracht. Dabei war doch ihre Tochter schwanger. Ihr Vater, der ja zugleich mein Chef war, hatte uns nur ungläubig, stumm angeschaut. In der Situation hatte ich erwartet, dass er sich auf mich stürzt, mich durchschüttelt oder so etwas in der Art. Dann fand er seine Stimme wieder und meinte; „Ich hatte schon einen Verdacht, dass Monika einen Freund hat. Sie tat immer so geheimnisvoll. Aber mit dir hab ich nicht gerechnet. Schon gar nicht, dass sie schwanger ist.

Du weißt, ich mag dich sehr. Ich denke du weißt, wie du dich jetzt verhalten musst. Na, dann kriege ich ja wenigstens einen Schwiegersohn, der nicht nur meiner Tochter, sondern auch mir gefällt. Wirst sie ja wohl nicht im Stich lassen, dich um sie und das Kind kümmern. Es wäre schön, wenn es nicht unehelich auf die Welt käme. Aber das müsst ihr entscheiden. Wer Kinder in die Welt setzt, muss auch die Verantwortung dafür tragen. Ihr seid schließlich alt genug und ich habe Monika zu einem Menschen mit Verantwortungsbewusstsein erzogen." Dann war er wieder still. Wie auf der Arbeit. So war er.

Wir saßen auf der Couch, wussten nicht, was wir sonst noch zu unserer Beichte sagen sollten. Erstaunt sahen wir ihre Eltern an. Nika hatte, eher noch als ich, eine Standpauke mit Gebrüll erwartet. Nicht nur des Friedens wegen entschlossen wir, uns trauen zu lassen. Wir freuten uns auf das Kind und wollten es tatsächlich. Aber wir stellten unseren Eltern eine Bedingung.

Nach am selben Wochenende verlobten wir uns. Wochen später standen wir geschniegelt im Rathaus. Die Trauung verlief so, wie wir es unseren Eltern abverlangt haben. Ganz schlicht und im engsten Kreis. Unsere Eltern, mein Freund Michael, Nikas beste Freundin Bettina, sowie ihre Schwestern Claudia und Tanja. Michael und Bettina wurden unsere Trauzeugen. Tanja, Nikas ein Jahr ältere Schwester, chauffierte uns.

Die Hochzeit war unscheinbar und das Beste was uns geschehen konnte. Wir waren hyperglücklich. Wir wollten unsere Trauung nicht an die große Glocke hängen. Unseren Eltern, wäre eine übliche Hochzeit, wie sie es nannten, lieber gewesen. Für uns gab es nicht mal einen Polterabend. Eine kirchliche Hochzeit war für uns ebenfalls keine Option.

Eigentlich wollten unsere Eltern die Kosten für die Trauung übernehmen, wollten sie unter sich teilen. Wir waren dagegen. Endlich hatte Nika den gewünschten Zuspruch ihres Vaters. Unnötig hatte sie vorher so viel Angst vor dessen Reaktion,. Es war fantastisch und ich brauchte mich auch nicht mehr verstecken. Mein Chef, jetzt Schwiegervater, war auf meiner Seite. Sogar meine Eltern, besonders meine Mutter, waren endlich beruhigt. Wir waren glücklich. Mehr wollten wir nicht.

*

In meine Lehrlingsbude, in der ich noch immer hauste, konnten wir nicht zusammenziehen. Sie war auf Dauer und zumal für bald drei Bewohner, zu klein. Nika wohnte noch zuhause. Wir mussten uns etwas anderes suchen. Mein Schwiegervater half uns. Durch seine Unterstützung bekamen wir eine Wohnung. Er hatte sie in der Innenstadt aufgetan. Ich arbeitete auch weiterhin mit in der Gärtnerei. Mein Chef, dessen Schwiegersohn ich ja nun war, steckte mir hin- und wieder etwas zu. Zusätzlich erhielt ich einen Bonus für gute Arbeit. Die unerwartete Apanage half uns. Wir konnten unsere ältesten Möbel gegen neue tauschen. Sogar für das Kinderzimmer war noch Geld übrig.

Ihr Bauch begann sich zu wölben. Wie Schneekönige freuten wir uns auf das werdende Kind. Dann. Eines Tages. Der Schock. Nika erbrach und krümmte sich mehrmals, hatte Bauchschmerzen. Wie so oft passierte dies ausgerechnet an einem Wochenende. Einem Sonnabend. Aufgeregt rief ich den Notarzt. Auf der Fahrt in die Klinik stieß ihr Körper unser Kind ab. Es konnte nicht mehr gerettet werden. Nika musste im Krankenhaus bleiben. Ich besuchte sie, so oft ich konnte.

Wir waren bestürzt, weinten gemeinsam. Ausführliche Analysen gaben erst nach Tagen die Zustimmung für ihre Entlassung nach Hause. Die folgenden Wochen und Monate waren schwer für uns. Schweißten uns aber stärker als je zuvor zusammen. Während wir immer näher zusammen rückten, gingen in unserem Umkreis zeitgleich Beziehungen in die Brüche. Für unser damaliges Empfinden, wegen Belanglosigkeiten.

Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Das stimmt. Zumindest manchmal, auch in Bezug auf unser verlorenes Kind. Im zweiten Jahr darauf wurde Nika erneut schwanger. Diesmal bewusst. Wir hatten uns entschlossen, noch ein neues Leben zu erschaffen. Es sollte das letzte Mal sein. Nika ging, um vorzusorgen, viel öfter zu ihrer Ärztin. Sie überwachte sich selbst akribischer, als schon beim ersten Mal. Wir fieberten der Geburt entgegen, wollten eine Familie sein, konnten es nicht verhindern. Erneut kam es Ende des vierten Monats zu Komplikationen.

Auch dieses Kind verloren wir durch eine gewollte Fügung des Schicksals. Es sollte nicht sein, dass wir Kinder bekamen. Die Ärzte sprachen lange mit uns. Besonders Nika machten sie klar, dass sie nie wieder ein Kind bekommen dürfe. Sie würde unter einer weiteren Schwangerschaft, letztmöglich, sogar ihr eigenes Leben verlieren. Grund für die Abstoßung des Fötus wäre ein genetischer Defekt. Welcher nur einmal in einer Million Fälle auftaucht. Diese genetische Störung wird sowohl von den Genen der Mutter, sowie denen des Vaters beeinflusst. Unser Wunsch ein Kind zu bekommen, war zerstört.

Einzig unser Glaube an die Aussage, unser beider Gene wären für den Verlust unserer Kinder verantwortlich, verhinderte die Möglichkeit einander Vorwürfe zu machen.

Eine Ärztin schickte uns zu einer Familienberatungsstelle. Psychologen therapierten uns über ein Jahr in getrennten Sitzungen, bis wir uns wieder über etwas freuen konnten. Dann war die große Trübsal besiegt. Unser Leben ging endlich wieder als Leben weiter.

Die Erfahrungen der letzten Monate hatten uns reifer werden lassen. Wochen rieselten an uns vorüber. Wir stürzten uns zur Ablenkung in unsere Arbeit. Meine Prüfungen zum Baumchirurg waren längst vorbei, schon fast in Vergessenheit geraten. Ich hatte sie alle bestanden. Seit Beginn meiner Zusatzausbildung arbeiteten Herr Brehmer, der bisherige Leiter der Baumschule und ich, zusammen. Nika saß wieder im Innendienst einer großen Versicherung. Sie war dort als Handelskauffrau beschäftigt.

*

Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern. Wir lernten uns im Night kennen. Das ist ein Bistro in unserer Stadt. Mir war bekannt, dass sie die Tochter meines Chefs ist. Ich hatte sie schon mehrfach in der Gärtnerei gesehen. Manchmal habe ich an Wochenenden in der Gärtnerei ausgeholfen, um etwas zu meinem Lehrlingsgeld hinzuzuverdienen. Da konnte ich sie sehen, hab aber nie mit ihr gesprochen. Sie gefiel mir schon, als ich sie das erste Mal sah. Jedes mal war sie viel zu weit entfernt. Ich kann nicht sagen, ob auch sie mich wahrgenommen hatte. Sie kam nie zu mir herüber, um Hallo zu sagen oder mich anderweitig zu begrüßen. Sie hielt sich vom Personal ihres Vaters fern.

Ein Freitagabend. Ich war im dritten Lehrjahr. Den Sonnabend brauchte ich nicht zu arbeiten. Michael und ich unterhielten uns an einem der Ecktische. Da kam sie rein. Mit langen Haaren und einer roten Jacke. Sie trug Bluejeans. Zur Jacke passende rote Turnschuhe krönten das Bild, das sie von sich gab. Kälte war von draußen hereingeweht, striff über mein Gesicht. Meine Augen blickten auf, ihre suchten den Raum ab. Sie sah rüber zu mir. Ein Lächeln umspielte ihren Mund und ihre Wangen glühten. Ohne mich weiter zu beachten, ging sie zur Bar, bestellte sich etwas zu trinken.

Nie zuvor, war sie so nah. Ich raffte all meinen Mut zusammen und stand mit einer Geste zu meinem Freund auf. Als wäre ich gegen eine Wand gelaufen, blieb ich einen Moment stehen. Meine Beine waren plötzlich wie aus Gummi. Sie gefiel mir wie keine andere. Dreimal hatte ich sie in der Gärtnerei gesehen. Ich hab mich in sie verguckt.

Sie war hier und ich musste meine Chance wahr nehmen. Wollte ich sie kennenlernen, dann jetzt. Staksend bewegte ich mich in ihre Richtung. Schob mich ihr entgegen. In kurzer Distanz, mit so wenig Abstand wie möglich, blieb ich an der Bar stehen.

Sie hatte noch immer mit ihrer Bestellung zu tun, so dass sie mich nicht gleich bemerkte. Erst als sie sich nach dem Zahlen bei der Bedienung bedankte und sich drehte, lief sie mich fast um. Lachend entschuldigte sie sich bei mir. „Hallo", erwiderte ich. Sie hatte gute Laune, das war gut. Noch immer leuchteten Ihre Augen. Es war, als durchstachen sie mein Hirn.

Völlig wirr im Kopf stotterte ich etwas von „Ich möchte dich gern kennenlernen. Darf ich dich um die Ecke bringen, quatsch, ich meine natürlich an meinen Tisch einladen? Oder bist du mit jemandem verabredet?" Ich weiß es nicht mehr. Mit meiner Hand wies ich in die Richtung unseres Tisches, wo Michael bis jetzt allein saß. Jedenfalls musste ihr gefallen haben, wie ich mich verhielt. Sie war lieb, schien meine Gedanken zu durchschauen. Sie war auch an mir interessiert und kam tatsächlich mit. Ich konnte es kaum glauben. Sie hat es mir nie gesagt. Brauchte es auch nicht. Ich weiß, sie wollte mich auch kennenlernen.

An unserem Tisch stellte ich ihr Michael vor. Er ist einfach einer der genialsten und nettesten Menschen die ich kenne. Er erhob und verabschiedete sich mit einer gespielten Verbeugung. So diskret, als wäre er nie hier gewesen, ließ er uns allein.

Ohne sein taktvolles handeln, wäre dieser Abend bestimmt ganz anders verlaufen. Wir wären vielleicht gar nie zusammen gekommen. Das Schicksal, ich glaube fest daran, schien es an diesem Tag gut mit mir zu meinen. Warum sonst, hätte diese tolle Frau an diesem Tisch Platz genommen. Ich bin nicht Elvis oder Robert Redford. Noch bin ich mit dem Aussehen eines Adonis gesegnet. Ein Aufreißer bin ich schon gar nicht.

*

Es folgte das übliche auf und ab. Es ging uns wieder besser. Wir hielten zusammen. Nach ihrem 23. Geburtstag besorgte ich für Nika ein Extrageschenk. An einem Samstagvormittag bat ich sie auf mich zu warten. Erklärte, wir würden, wenn ich zurück bin, etwas ganz besonders Schönes unternehmen.

Den Mann, mit dem ich verabredet war, besuchte ich schon zum vierten Mal. Er wohnte in der Nähe von Celle. Eine seiner drei Hündinnen hatte vor acht Wochen Welpen geworfen. Niedliche kleine Frechdachse. Drei Mädchen und zwei Jungen. Allerliebste Tierkinder. Fast wie im Fernsehen. Ich wollte einen Welpen für Nika und entschied mich für ein kleines Hundemädchen.

Der kleine Wollknäuel war schon bei meinem ersten Besuch sehr zutraulich. Sie fühlte sich zu mir hingezogen, das gefiel mir. Vorsichtig setzte ich die Kleine in einen Karton, den ich mit einer weichen Decke ausgelegt hatte. Bevor ich fuhr, bekam ich noch einige Tipps mit auf den Weg und verabschiedete mich. Als ich beim Auto ankam, stellte ich das kleine Welpennest auf den Beifahrersitz und wir fuhren nach Hause.

Mit dem Karton auf dem Arm lief ich durchs Haus, die Treppen hoch. Als ich den Flur betrat, war es still in der Wohnung und nicht das geringste Geräusch zu hören. Ich schloss die Tür und ging mit meiner Überraschung zur Stubentür. Nika saß in ihrem Lieblingssessel und las in einem Buch. Mir war klar, dass der Inhalt sie interessierte. Die Titel und Namen der Autoren, die sie las, merkte ich mir nie. Sie war eine begeisterte Leserin.

Als sie mich bemerkte, legte sie ein Lesezeichen zwischen die Seiten, klappte das Buch zu und kam, zwei Schritte auf mich zu. Ich stand steif und unbeweglich zwischen Tür und Rahmen. Erst sah sie mich an, dann wanderte ihr Blick auf den Karton. „Was hast du denn da?", fragte sie. Ich stellte mich dumm. „Wo?" „Na da, im Karton." Ich sah sie gespielt, verdutzt an, druckste rum; „Ach das. Nichts Besonderes."

Neugierig kam sie näher, wollte mit der freien Hand nach dem Pappkasten greifen. Geschickt wich ich zurück. Geräusche entwichen dem Karton. „Vorsicht", sagte ich, „Nicht so hastig. Da ist eine hässliche Ratte drin. Ich hab sie im Hof gefunden. Wenn du sie wirklich sehen willst, musst du mit in die Küche kommen. Ich hab‘ sie extra für dich gefangen. Sie hat Hunger und braucht Futter. Wenn sie satt ist, zähmen und dressieren wir sie, dann schenken wir sie unserem Vermieter."

Erst lachte sie, dann mimte sie die Beleidigte, weil ich mich weigerte den Karton zu öffnen. Schauspielerisch mimte sie eine Eingeschnappte, indem sie Ihre Unterlippe weit vorschob. Dann verzog sie ihr Gesicht, senkte den Kopf, um mich mitleidig anzusehen. Ich musste ebenfalls lachen. Nie in unserer gemeinsamen Zeit war Nika eingeschnappt, egal was auch immer vorgefallen war. Sie war wirklich der einzige Mensch, den ich kannte, der nie beleidigt war.

Auf jeden Schritt bedacht, bewegte ich mich rückwärts. Küche, hieß das Ziel. Aufgeregt vor Neugier und im Wissen, dass dies nie und nimmer eine Ratte ist, folgte sie mir. Ganz vorsichtig stellte ich das Papphundehäuschen auf den Küchentisch. Wie ein Kind vor der Weihnachtsbescherung bat sie mich; „Mach schon auf. Spann mich nicht so auf die Folter." Ganz langsam, wie in einem Zeitraffer, als käme gleich ein Monster raus, zog ich an den beiden Pappdeckeln.

Als hätten sie Augen, schoben sich zwei kleine Pfötchen über den Rand des Kartons. Erwartungsvoll, aus ihrem Pappgefängnis herauszukommen, sah uns das kleine Hundemädchen an. Nika war entzückt, schrie auf. „Oh wie niedlich! Ist der süß!" Sanft strich sie mit der Hand über das Köpfchen des Welpen und ließ es sich gefallen, dass die winzige Hundezunge, sie abschleckt.

Behutsam hob sie das kleine Wesen hoch und trug es verliebt durch den Flur ins Wohnzimmer. Fieptöne begleiteten sie. Schläfrig kuschelte sich die Kleine an sie und schlief ein. So glücklich war Nika schon lange nicht mehr. Froh darüber, das richtige Geschenk in unser Zuhause gebracht zu haben, fühlte auch ich mich gut.

Hätte ich es nicht selbst gewollt, wäre ich vielleicht eifersüchtig geworden. Während sie mit dem Welpen kuschelte, betrachtete ich beide und es fiel mir leicht mich erneut zu verlieben. Sie sah so hübsch aus und es fiel mir schwer, ihr mitzuteilen, dass die kleine Hundedame wieder zum Züchter zurückmuss. Der Welpe war noch zu klein, um schon dauerhaft von seiner Mutter wegzukommen.

Wir sollten erstmal nur ein paar Stunden mit ihr verbringen und uns mit ihr anfreunden. Andernfalls hätten psychische oder sogar physische Schäden auftreten können. Erschrocken sah Nika mich an. Ich erklärte, dass wir die Kleine erst später, sobald sie zwölf, dreizehn Wochen alt ist, ganz zu uns nehmen können. Nachdem ich mich damit verteidigte, dass ja weder Körbchen und Spielzeug, auch nicht genügend Futter da wär, gab sie nach. Am Nachmittag brachten wir unseren neuen kleinen Schützling zum Züchter zurück.

Verhalten tapste die Kleine zur Mama und den Geschwisterchen. Sie musste vorsichtig sein. Ihre Geschwister würden sie ärgern und trietzen, weil sie vom Wurf weg war. Wir waren beide nicht sehr glücklich unser neues Familienmitglied zurücklassen zu müssen. Doch schon am nächsten Tag holten wir sie erneut für ein paar Stunden zu uns. Die Wochen, bis wir sie ganz zu uns nehmen durften, vergingen wie im Flug. Inzwischen stand in unserem Flur ein hübsches Hundekörbchen. Kuscheltiere und ein Kissen lagen auch schon bereit. In der Küche stapelte sich das Feucht- und Trockenfutter. Wir waren gut vorbereitet.

*

Gemeinsam suchten wir einen Namen. Wir einigten uns auf Karo. Der Name gefiel uns. Sie war ein richtiger Collie. Dass ich es darauf anlegte einen echten zu bekommen, lag wahrscheinlich an meiner Kindheit. Am liebsten habe ich Lassie gesehen. Karo war ein aufgewecktes Tier. Immer, nachdem wir sie von ihrer Mutter und den Geschwistern weggeholt hatten, gingen wir spazieren. Karo fühlte sich bei uns schon richtig zuhause, tapste überall in der Wohnung umher und untersuchte neugierig alles, was sie interessant fand.

Sie war noch klein und die Erziehung bis zur Stubenreinheit, wirkte noch nicht ganz. Vorsorglich legten wir den Küchenboden mit Zeitungspapier aus. Ins Wohn- und Schlafzimmer durfte Karo noch nicht. Diese Zimmer blockierte ich mit Brettern zwischen den Rahmen der Türen. So hielten wir uns Karos wegen, häufig in der Küche auf. Bisher durfte sie vorerst nur in Küche, Bad und Flur.

Eines Tages kam uns Angelika Gürtler, eine Kollegin von Nika, besuchen. Wir dachten, Karo schläft. Um sie nicht aufzuwecken, setzten wir uns ins Wohnzimmer. Angelika sollte für uns eine Hundehaftpflicht abschließen.

Nika war für Versicherungen von Kraftfahrzeugen, Pkw usw. verantwortlich. Nicht für kleine Hunde. Deshalb hatte sie ihre Kollegin eingeladen. Der Vertrag wurde abgeschlossen, kam in unsere Mappe und wir unterhielten uns bei Kaffee und Kuchen über Karo. Angelika saß mit dem Gesicht zum Flur. Mitten im Gespräch stutze sie, denn sie konnte genau in das Körbchen von Karo sehen. Es war leer.

Unsere Kleine war unbemerkt in die Küche zu ihrem Wassernapf getapst. Neugierig schob sie ihr Köpfchen durch den Türrahmen. Sie spitzte ihre kleinen Öhrchen und guckte ganz unschuldig zu uns herüber. Da meinte Angelika; „Wenn Hunde vorne so gucken, dann passiert hinten was."

Nika stand auf und ging zu Karo in die Küche. Karo hatte auf den Boden gemacht. Ein Sümpfchen. Frauchen schimpfte ein wenig. Das kleine Missgeschick war schnell entfernt. Sicher fand Karo es aufregend, das jemand Fremdes bei uns war, zu dem sie nicht durfte.

Manchmal nannte Nika Karo auch Schatz, worauf sie auch hörte und sofort kam, wenn sie gerufen wurde. Es brauchte nicht mehr lange, dann war sie genauso stubenrein wie wir. Sie stupste an unser Bein, wenn sie mal musste oder sie kam mit ihrer Leine zwischen den Zähnen, wenn sie raus wollte. Das freute uns, wir waren glücklich über unsere kluge Hündin. Sie liebte uns und wir liebten sie.

Manchmal fuhren wir zu meinen Eltern. Wenn sie hörte, es geht zu Mutti Gerda, wurde sie ganz aufgeregt. Die Öhrchen stellten sich auf und sie sprang freudig durchs Zimmer. Bei Mutti gab’s immer Kekse. Sogar Ihre Leine holte sie selbst. Ich glaube, es gab niemanden der unsere Hündin nicht mochte. Sogar unserem Briefträger gefiel sie. Was er nicht von jedem Hund behauptete.

Jahre voll Freude vergingen. Karo war bereits zehn, als sie erkrankte. Wir verstanden nicht, was sie hatte. Ich hob sie in meine Arme. Sie sah traurig aus, jaulte vor Schmerzen. Den Schmerzpunkt konnten wir jedoch nicht ausmachen. Ich trug sie zum Wagen. Nika öffnete die hintere Beifahrertür. Vorsichtig schob ich sie auf die Sitzpolster.

Nika setzte sich zu ihr, hielt ihr Köpfchen, streichelte und sprach auf sie ein. So schnell die Straßenverhältnisse es zuließen, fuhren wir zu unserem Tierarzt. Obwohl sie sonst Angst vor spritzengebenden Ärzten hatte, ließ sie jede Untersuchung ohne Gegenwehr mit sich geschehen. Eine Spritze, die sie zur Beruhigung verabreicht bekam, ließ sie ohne murren über sich ergehen. Angstgefühle breiteten sich in uns aus. Hoffentlich hatte sie nichts Schlimmes. Bei uns stiegen Befürchtungen auf. Es musste geröntgt werden. Zum Glück hatte die Praxis ein Röntgengerät. Bekümmert saßen wir im Wartezimmer.

Nikas Hand lag auf meiner. In Gedanken zählte ich Sekunden. Zäh wie ein Kaugummi troff die Zeit dahin. Endlich wurde die Praxistür geöffnet. Eine der Arzthelferinnen kam ins Wartezimmer. Wie zwei unmündige Kinder folgten wir ihr. Der Arzt wartete schon auf uns. Er hielt drei bis vier Röntgenbilder in der Hand. „Tja", sagte er. „Es sieht leider nicht gut aus mit Ihrer Hündin." „Was hat sie? Wird sie wieder gesund?" sprudelte es gleichzeitig aus uns.

Mitleidig sah der Arzt uns an. Er war selbst geschockt; „Tut mir wirklich leid, aber wir werden nichts mehr machen können. Karo hat schwer Krebs. Ihr ganzer Körper ist übersät und die Krebszellen lassen sich nicht mehr in den Griff kriegen. Wir können sie nicht mehr behandeln."

Nika krallte sich an meinem Oberarm fest. Sie schwankte und schluchzte. Auch mir wurde in diesem Moment schummrig und Tränen trübten meinen Blick, doch ich musste stark bleiben. Für uns beide. Ich stützte sie und fast flüsternd fragte ich; „Wie ist das möglich? Sie hatte doch die ganze Zeit nie gezeigt, dass sie unter Schmerzen leidet. Erst heute Morgen zeigten sich welche bei ihr. Gibt es überhaupt nichts mehr, was Sie machen können, Herr Doktor? Was sollen wir tun?"

Betroffen, schüttelte er seinen Kopf. „Manchmal erkennen wir bei Tieren erst dann eine Erkrankung, wenn es schon zu spät ist. Sie können nicht kommen und uns sagen, wo es weh tut. Bei Karo ging alles sehr schnell. Wir können jetzt nur noch dafür sorgen, dass sie nicht mehr leiden muss." Der Schock saß tief, doch was sollten wir machen. Wir wollten sie nicht verlieren, aber auch nicht, dass sie unnötige Qualen erlitt. Wir hatten sie doch lieb. Schweren Herzens verabschiedeten wir uns von ihr, dann ließen wir sie einschläfern. Sie kam auf den Hundefriedhof.

Das Schicksal meinte es nicht gut mit uns. Kein Tag war mehr wie vorher. Karo war nicht mehr und jeder auch nur geringste Gedanke an sie, stach quälend in unsere Herzen. Als hätten wir ein drittes Kind verloren. Jeden Morgen erinnerten wir uns an unser früheres Dasein. Wer morgens zuletzt aufstand, wurde mit Stupsen, von Nase zu Nase geweckt. Die Bettdecke machte sich selbstständig. Rutschte wie von Zauberhand über das Bett. Was total in Lachen ausartete, war Karos Zunge, die über die von der Bettdecke befreiten Füße strich. Nichts davon passierte noch. Kein bittender hypnotischer Blick auf ein Leckerchen oder eine andere Kleinigkeit zum Fressen. Keine vor die Füße gelegte Leine. Keine Karo, die einen beim Heimkommen empfing. Wir betraten den Flur und kein volles Körbchen, kein Hund, war da. Kein Fieps und kein Wau. Wir waren allein.

Als wir unser erstes und später unser zweites Kind verloren, flüchteten wir uns in die Arbeit. Beim Verlust unserer Karo ging dies nicht. Jeder Baum erinnerte an sie. Oft war sie mit mir auf dem Gelände der Baumschule, begrüßte freudig alle die sie sah. Alle mochten sie. Immer, wenn jemand nach ihr fragte, war es ein Dolchstoß in mein Herz. Für meine Kollegen war sie ein Aushängeschild für ihre Tierliebe. Sie war ihr, war unser Maskottchen. Auch unsere Eltern waren betroffen. Besonders hat es meinen Schwiegervater getroffen. Er hing sehr an ihr.

Unsere Trauer wollte kein Ende nehmen. Unsere Hündin war in unserem Leben mehr als nur ein Tier. Sie war alles für uns. Unsere Tochter, unsere Begleiterin und unsere Beschützerin. Sie war für uns der Schatz in unserem Leben. Wir werden sie nie vergessen. Wie die Jahre zuvor musste unser Leben auch jetzt weitergehen. Wieder verstrichen kommende Tage. Manche quälend langsam, andere unbemerkt schnell. Stunden zerrannen dabei, ohne in unser Bewusstsein zu dringen, ins nichts. Sie sind, genau wie Karo, für immer verloren.

KAPITEL 1

Sandra Medeo steht am frischen Grab ihrer Mutter. Der Sarg wurde erst vor wenigen Augenblicken in die Grube gelassen. Dieter Spengler, ihr Lebensgefährte, stützt sie. Fassungslos, mit Tränen der Verzweiflung, steht sie da. Der unerwartete Tod von Sophie Medeo, ihr Herz versagte, löschte das letzte Mitglied ihrer kleinen Familie aus. Von ihrem Vater hat sie ihren italienisch klingenden Namen. Sie verlor ihn früh. Er war Italiener. Sandra war damals gerade zwei Jahre alt, ihre Erinnerung an ihn ist völlig verblasst. Ein Sturz von einem Baugerüst beendete sein Leben. Ihre Mutter hat nie wieder geheiratet. Sie hatte sich für ein Leben mit ihrer Tochter entschieden. Nun ist Sandra erwachsen, muss Abschied nehmen.

Viele Menschen haben sich in der evangelischen Kirche in Braunschweig eingefunden. Mit dem Tod von Sophie Medeo hat die Braunschweiger Geschäftswelt ein Mitglied verloren. Sie, als Betreiberin eines kleinen Buchladens, verkaufte überwiegend Reiseliteratur. Hatte sich darauf spezialisiert. Der kleine Laden lief gut. Sandra ist überwältigt. Für sie ist es bitter. Sie versucht sich zusammenzureißen, hält sich fest am Arm ihres Freundes. Wie seine Freunde nennt auch sie ihn Didi.

Sandra ist beinah neunundzwanzig. Ihr eigener Job macht ihr keinen Spaß. Nicht, weil sie die Arbeit nicht mag. Sie liebt die kleinen Tiere. Mehr als Menschen. Es sind die, mit ihrem derzeitigen Chef bestehenden Probleme die sie bekümmern. Er ist ein Macho der schlimmsten Art. Weiß sowieso immer alles besser und ist zudem ein Kontrollfreak. Sandra ist gelernte Kauffrau. Die Kleintierhandlung, in der sie arbeitet, würde sie am liebsten von heute auf morgen verlassen. Einfach alles hinschmeißen. Doch neue Arbeitsstellen gibt es nicht überall. Verzweiflung scheint ihr neuer Part zu sein.

Wie vom Protokoll verlangt, schmeißt sie Erde auf den Sarg. Didi tut es ihr gleich. Dann folgen andere Leute. Verkünden ihr Beileid. Es gibt in Sandras Leben keine Verwandten mehr. Sie verlassen die Ruhestätte als letzte. Nicht einen der Menschen hier kennt sie. So verzichtet sie auch auf das anschließende Kaffegeplänkel im Gasthaus. Sie will nur weg.

Sandra besuchte ihre Mutter regelmäßig. Meist an Sonntagen. Dann aßen Sophie und sie gemeinsam zu Mittag. Unterhielten sich, gingen spazieren oder besuchten ein Kino oder Museum in der Innenstadt. Didi akzeptierte das herzige Verhältnis der beiden Frauen klaglos. Nur selten begleitete er Sandra.

Didi ist Kälteanlagenbauer. Berufsbedingt arbeitet er deshalb meistens sonntags. Sein Chef ließ ihm damals die Wahl. Drei- oder Viertagewoche. Ehe er Sandra kennenlernte, arbeitete er freitags bis sonntags. Inzwischen Donnerstag bis Sonntag. So hat er, an diesen Tagen, früher Schluss. Sie können sich noch sehen, bevor Sandra zu Bett geht. Was normalerweise ein Beziehungskiller ist, wirkt in Ihrem Fall sogar gut. Sandra hat nicht sehr viele Freunde. In diesem Bereich ist sie eher introvertiert. Weshalb sie auch gerne die Sonntage bei Ihrer Mutter vorbeischaute.

Immer, wenn sie von diesen Besuchen nach Hause kam, war sie weit ausgeglichener, als sonst in der Woche. Die Arbeit wird immer schlimmer, macht ihr zu schaffen. Nicht selten, ist es fast so weit, dass er ihrem Chef einen Besuch abstatten will. Am liebsten würde Didi Prügel an ihn austeilen. Bisher, ist es glücklicherweise noch nicht dazu gekommen.

Donnerstag. Zwei Tage nach der Beerdigung ihrer Mutter, erhält Sandra einen Brief von einem Dr. Schreber, einem Notar. Er bittet sie für den kommenden Montag, zur Testamentverlesung, in seine Kanzlei. Sandra weiß von dem Testament. Ihre Mutter hat es ihr schon vor langem gesagt, wollte, dass sie alles erbt. Sie ist sicher, dass es sich, um die Möbel in Mutters, wie sie denkt, Mietwohnung handelt. Dass der kleine Buchladen dabei auch eine Rolle spielt, kommt ihr nicht in den Sinn. Nie hätte sie gedacht, dass dieser Augenblick sie einmal so früh einholen würde. Sophie wurde nur 53 Jahre alt.

Zum Grimm ihres Chefs hat sich Sandra mehr als einen Tag Urlaub geben lassen. Sie hat über eine Woche Zeit, sich mit den Obliegenheiten ihrer Mutter auseinander zu setzen. Sie muss die Wohnung kündigen, diese möglicherweise sogar renovieren. Zudem gibt es bestimmt eine Menge Papierkrieg. Auch den wird sie regeln müssen. Didi hat versprochen ihr bei der Räumung zu helfen. Er will ein paar Sportkameraden dafür einspannen.

Etwas Unmut schleicht sich dabei schon in ihre Gedanken. Besonders, wenn sie an das auf sie Zukommende denkt. Außer Ihrem Vater hatte sie noch nie einen Todesfall in ihrer Familie. Sie weiß im Grunde gar nicht, was alles zu tun ist. Ihre Familie bestand für sie immer nur aus Ihrer Mutter und sie. Nur ganz zu Beginn gehörte auch ihr Vater dazu. Die Großeltern verstarben schon vor ihrer Geburt, sie kennt es nicht anders. Einzig merkwürdig war die Eigenheit, dass sie weder eine Tante, noch einen Onkel hat. Auch keine Cousinen oder Cousins.

Sophie erklärte ihr schon früh, dass ihr Vater und sie als Einzelkinder aufwuchsen. Der Krieg wäre dafür verantwortlich. Später mied Sophie dieses Thema. Sandra nahm es hin. Fragte nicht mehr nach. Sie ist allein zuhause. Didi kommt erst spät von der Arbeit und wieder überlegt sie angestrengt, wie sie mit der ganzen Sache am besten umgeht. Es scheint ein endloser Kreislauf in ihrem Kopf zu sein. Erneut rinnen Tränen. Dabei will sie gar nicht weinen. Depressiv werden, schon gar nicht. So versucht sie sich zu beschäftigen. Zu ihrem Glück ist sie, wie schon ihre Mutter, eine eifrige Leserin. An den Abenden, an denen er außer Haus ist, holt sie sich einen ihrer Romane aus dem Regal und liest. Sie liebt Bücher. Mehr als das Fernsehen. So verschwindet sie in eine andere Welt.

Der größte Teil ihrer Bücher sind Geschenke. Einige hat sie zu Weihnachten oder an ihren Geburtstagen bekommen. Manche davon sind auch von ihrer Mutter. Sandra ist froh, dass sie sich nicht gemerkt hat, welches Buch ihr wer geschenkt hat. So wird sie nicht dauernd an sie erinnert. Inzwischen haben sich so viele angesammelt, dass sie in nächster Zeit keine neuen kaufen braucht.

Leise plätschert Musik aus dem Lautsprecher des Radios, verrinnt im Zimmer. Sinnierend steht Sandra vor der endlos scheinenden, Buchreihe. Ihre Finger gleiten, leicht liebkosend über viele Buchrücken, folgen den Titeln. Kurz nur verharrt sie bei Noah Gordons: ‘Die Erben des Medicus‘, ihrem neuesten Buch in ihrer Sammlung.

Zwei Titel weiter steht von ihrem Lieblingsautor: ‘(K)ein ganz normales Leben‘. Es ist von letztem Jahr. Sie greift es sich, lässt Noah Gordons Bestseller im Regal stehen. Es ist von Hans-Anton Heumann. Begeistert hat Sandra seine Romane, alles Krimis, gelesen. Dies ist ihr sechstes Buch von ihm.

Gespannt schlägt sie das Buch auf. Erstaunt, dass es kein Krimi ist, liest sie Autobiografie, lässt sie die Worte auf sich wirken. Ohne es wahr zunehmen, fließt die Zeit vorbei. Die Zeiger der Stubenuhr weisen auf die Eins und die Sechs. Sandra hat noch nichts gegessen. Hunger macht sich in ihrem Magen bemerkbar. Mit der Hand streicht sie über ihren Bauch, dann legt Sie das Buch zur Seite und geht in die Küche.

Hungrig bereitet sie belegte Brote und eine Tasse Tee. Sie stellt alles auf den Stubentisch. Das macht sie immer, wenn sie ohne ihn zuhause ist. Dann fühlt sie sich nicht so allein. An den anderen Tagen, an denen Didi da ist, essen sie in der Küche. Nachdem sie gegessen hat und das Geschirr abgeräumt ist, schmiegt sie sich erneut in ihre Couchecke.

Gespannt liest sie weiter, im Leben von Hans-Anton Heumann. Seite um Seite vertieft sie sich in die Geschehnisse, weint mit ihm, als sie vom Ableben seiner beiden Kinder liest. Das Kapitel ist zu Ende. Besonders Karos trauriges Ende hat sie betroffen gemacht. Dann reißen sie plötzlich Schabgeräusche aus ihrer Fantasie.

Aufgeschreckt schleicht Sandra leise, in Strümpfen, in den Flur. Sie ist aufgeregt. Denkt an einen Einbrecher. Sie hält ihr Ohr ans Türblatt und lauscht. Ein Fluchen dringt zu ihr. „Verflixt! Wieso geht denn die Tür nicht auf?" Sie erkennt die Stimme. Der Nachbar von oben. Keine Gefahr. Ohne Angst drückt sie die Klinke und zieht die Tür zu sich auf. Völlig überrascht, steht vor ihr ein älterer Mann. Er sieht sie an, als wäre sie ein Geist.

„Tut mir leid Herr Kramer, aber Sie haben sich mal wieder in der Etage geirrt. Sie müssen noch ein Stockwerk höher." Eine Entschuldigung murmelnd, wendet sich der alte Mann zur Treppe hin ab. Er schlurft die Stufen in seine Etage hinauf. Sein Gedächtnis. Es ist ihm peinlich. Sandra ist froh, dass es ein Missverständnis war und kein Einbrecher.

Beruhigt schließt sie die Tür und macht es sich wieder auf der Couch bequem. Sie will im Buch gerade das zweite Kapitel beginnen, da raschelt es erneut an der Flurtür. Genervt legt sie es wiederum ab. Der alte Kramer kann es jetzt nicht sein und Didi muss noch mindestens zwei Stunden arbeiten, geht es ihr durch den Kopf. Noch ehe sie im Flur anlangt, tritt Didi mit einem „Hallo, ich bin’s‚" ein. "Hab heute früher Schluss. Da ist ein Stromausfall und ich konnte nicht weiterarbeiten. Die kriegen vor morgen früh keinen Elektriker vom E-Werk."

Sichtlich froh, dass es Didi ist, umarmt sie ihn. „Dachte schon, du bist ein Einbrecher‚" Er verwirrt; „Wie kommst du denn darauf?" „Na ja, vor fünf Minuten hat der alte Kramer versucht, mit seinem Schlüssel in unsere Wohnung zu kommen. Und jetzt hast du mich überrascht. Hab ja nicht geahnt, dass du heute eher kommst. Zum Glück bist du es." Schon hat sich ihre Stimmung gehoben. Sie gibt ihm einen Kuss. „Toll, dass du jetzt da bist. Da können wir uns noch etwas unterhalten. Ich meine, bevor wir ins Bett gehen".

Fast etwas übermütig geworden nimmt sie ihn an die Hand, um ihn in die Stube zu führen. „Nicht so schnell", meint er daraufhin lachend, „Ich muss erst meine Jacke aufhängen und meine Schuhe ausziehen." „Dann los", drängt Sandra und tippt mit dem rechten Vorderfuß auf den Boden. „Muss ich noch sehr lange warten?" Didi hängt seine Jacke weg und schlüpft aus seinen Schuhen. Grinsend ärgert er zurück, „Alter Mann ist kein D-Zug." Dann folgt er ihr bis vor den Stubentisch.

Mit den Händen umringt er Sandra. Hebt sie hoch und trägt sie zur Couch. Dort lässt er sie ganz langsam und vorsichtig runter. „So vorsichtig. Bist du aber lieb", neckt sie ihn. Erwidert er ganz locker; „Wollte ja bloß nicht, dass du das Sofa zerbrichst." Sandra kennt ihren Freund. Sie muss sich das Lachen verkneifen, sagt „Scheusal" zu ihm und zieht ihn zu sich, um zu schmusen. Das dauert jedoch nicht nur kurz.

Naserümpfend schiebt sie Didi wieder von sich. „Puh, wie du stinkst." „Was sollte ich machen. Entweder zu meiner Frau und den Kindern fahren und dort duschen, oder zu dir und duften?"

Sandra kann nicht mehr und kichert laut los. „Blödmann, du stinkst aber wirklich." Didi, als wäre er überrascht, hebt seinen Arm, schnüffelt unter der Achsel. „Stimmt, ich stinke wirklich. Liegt an dem Stinktierfell, dass ich auf der Arbeit trug. Ist von meinem Chef, damit ich nicht friere." Lachend boxt Sandra ihren Angebeteten in die Seite.

Er steht auf. „Ich geh jetzt erst mal unter die Brause und danach, wenn ich wieder nach Meerschweinchen dufte, gibt’s Prügel. Später können wir uns dann darüber unterhalten, wie wir die blauen Flecken tarnen." Kaum gesagt ist er auch schon im Bad. Sowie er geduscht und abgetrocknet aus dem Bad zurück ist, erzählt sie ihm von der Biografie Heumanns.

Aufmerksam hört er zu. Nach einer Weile meint Sandra, „Ich glaube, das zeigt mir, dass es trotz der vielen schlimmen Dinge, die es gibt, wichtig ist, nie den Mut zu verlieren. Seine Frau hat gleich zwei Fehlgeburten gehabt. Am Ende, der Verlust ihres Hundes, war ja auch nicht ohne. Das Leben geht weiter, aber es ist schrecklich, wenn so ein Unglück einem selbst Auftrieb gibt. Seit ich das gelesen habe, geht es mir viel besser. Ich glaub, ich bin eine Egoistin."

Didi guckt sie verwundert an; „Wie kommst du denn da drauf? Du bist doch keine Egoistin. Das ist doch natürlich. Immer, wenn es einem schlecht geht, braucht man jemanden, der einen stützt. Und wenn in einer Geschichte etwas geschildert wird, dass so ähnlich ist, umso besser. Dann fühlt man sich nicht mehr allein. Man sieht alles aus einem anderen Blickwinkel. Das ist auch gut so. Nur so, kann man überhaupt mit solchen Schicksalsschlägen fertig werden. Für mich hat das etwas mit Überlebenswillen zu tun. Nicht mit Egoismus."

Sandra sieht ihren Schatz nachdenklich an. „Ich werde eine Nacht darüber schlafen. Es ist bestimmt nicht schlecht, wenn wir jetzt zu Bett gehen. Ich bin inzwischen viel müder als sonst um die Zeit." Mit einem gespielten Gähnen grinst sie ihn schelmisch an. Didi stimmt ihr zu. Ehe sie reagiert, hat er sie schon hochgehoben. Diesmal ist nicht das Sofa sein Ziel.

Für ihn unerwartet bremst Sandra ihn. „Hab doch noch meine Klamotten an". Er spöttelt; „Ist mir doch egal. Ich werd dir das Zeug schon ausziehen. Wär ja gelacht, wenn ich das nicht hinkrieg. Wart mal ab", dabei trägt er sie ins Schlafzimmer. Nicht so sanft, wie auf der Couch, wirft er seine Eroberung aufs Bett. Während sie lachend juchzt, springt er hinterher. Albern kappeln sie, bis sie nackt auf dem Bett liegen. Dort küssen und lieben sie sich und schlafen angekuschelt ein.

KAPITEL 2

Gemeinsam betreten sie das Notariat von Dr. Schreber. Eine Sekretärin empfängt sie. „Warten Sie bitte einen Moment, ich teile Dr. Schreber mit, dass Sie da sind." Geschwind läuft sie zu seinem Büro, klopft und öffnet die Tür. „Frau Medeo und Begleitung sind jetzt da."

„Schicken Sie sie rein", tönt eine Stimme aus dem Büro. Dr. Schreber ist ein älterer Herr. Er hat graues Haar und trägt einen dunklen Anzug. Er kommt zur Tür, empfängt Sandra und Didi und bittet sie distinguiert in sein Arbeitsreich. Mit einer Handbewegung bietet er Ihnen Platz an. „Bitte sehr". Beide nehmen dankend an und setzen sich. Die Sekretärin hat indessen die Tür hinter ihnen geschlossen.

„Liebe Frau Medeo, wie Ihnen aus meiner Einladung bekannt ist", wendet er sich an Sandra, „verwalte ich das Erbe ihrer Mutter. Ich bin selbst fassungslos, kann gar nicht glauben, dass sie so früh verstarb. Sie war eine bemerkenswerte Frau. Ich kannte sie gut und möchte Ihnen hiermit mein herzliches Beileid ausdrücken. Es tut mir leid, dass wir uns erst auf diese traurige Weise kennenlernen. Sie hat mir auch viel von Ihnen erzählt. Sie war immer enorm stolz auf sie. Ich kannte Sophie gut. Sie war für mich mehr als eine Klientin. Sie war mir auch immer eine gute Freundin."

Bedrückt und auch etwas verwundert bedankt sich Sandra bei dem Notar, nestelt nervös an ihrer Handtasche. Didi bemerkt es. Legt seine Hand auf ihre. Drückt sie leicht, beruhigend. Dr. Schreber legt einen Aktenordner auf die Schreibplatte vor sich hin. „Ich weiß", beginnt er.

„Diese Verlesung ist ein weiterer trauriger Moment. Einige Erben hegen Hoffnungen auf große Geldsummen, die sie zu erben glauben. Was sich jedoch nicht immer erfüllt. Andere wollen wirklich nur im Sinne ihrer Verstorbenen handeln. Ihnen ist das Geld zwar nicht egal, aber es steht nicht an vorderster Stelle. Was ich für sehr redlich halte. Die sind mir am liebsten."

Er sieht Sandra freundlich an, dann spricht er weiter. „Es müsste mehr Menschen wie Ihre Mutter geben, dann hätte die Welt weniger Probleme zu bewältigen. Sie war nie schlechter Laune. Sie war ein lebenslustiger Mensch und gehörte zu den nettesten Menschen, die ich kenne. Wahrscheinlich haben Sie sich schon gewundert, mich nicht auf der Beerdigung gesehen zu haben.

Meine Frau und ich haben uns bedauerlicherweise verspätet. Termine. Sie verstehen. Als wir ankamen, waren Sie bereits gegangen. Es tut mir wirklich leid. Sophie sagte mir früher einmal, sollte sie tatsächlich vor mir versterben, solle ich sie stets in meiner Erinnerung behalten, wie sie war. Nicht als: Würmerfutter in der Erde. Entschuldigen Sie, aber genau so hat sie es gesagt."

Sandra schluckt. Das hat sie nicht erwartet. „Meine Mutter, Sie sagen, Sie kannten sie gut und waren mit ihr befreundet. Das hat sie mir nie erzählt." Dr. Schreber lächelt traurig. „Ja, ich lernte Ihre Mutter schon vor vielen Jahren kennen. Wir mochten uns auf Anhieb. Natürlich nur platonisch. Meist trafen wir uns mittwochs zum Mittagessen, in einem kleinen Lokal im Marstall.

Sie müssen wissen, ich war bereits glücklich verheiratet, als wir uns kennenlernten. Und bin es noch heute. Das wusste Sophie. Sie lernte auch meine Frau kennen. Meine Frau kannte und mochte sie auch. Wie schon gesagt, wir waren befreundet. Auch für mich, ist ihr Ableben ein großer Verlust. Sie wird mir fehlen. Wir hatten gute Gespräche. Deshalb ist mir auch einiges über Sie bekannt. Ich hoffe, Sie sind nicht zu sehr geschockt, über das, was ich Ihnen soeben sagte."

Sandra ist verwundert, nicht über den Notar, eher über ihre Mutter, weil sie nie etwas davon sagte. Sie merkt es gleich, sie findet diesen Notar ebenfalls sympathisch. Sie lächelt; „Schade, dass wir uns nicht früher kennengelernt haben. Wenn ich notarielle Hilfe brauche, weiß ich ja jetzt, zu wem ich gehen muss."

Dr. Schreber erwidert ihr Lächeln; „Das würde mich freuen. Doch so bedauerlich es ist, müssen wir jetzt zum notariellen Teil kommen. Ich möchte das Testament verlesen." Er hat den Ordner vor sich liegen. Ernst geworden blättert er ihn auf und beginnt vorzulesen.

„Sophie Margaret Flicker, verwitwete Medeo, geboren am 14.06.1945 in Minden, vermache folgende Räumlichkeiten und Gegenstände meiner Tochter Sandra Medeo, geboren am 25.09.1969 in Braunschweig. Eine Zweieinhalbzimmer-Eigentumswohnung. Döringstraße 12, sowie meine Reisebuch" Noch bevor Dr. Schreber weiter vorlesen kann, stöhnt Sandra auf.

„Ich dachte, es sei eine Mietwohnung, so wie bei mir. Sie hat nie darüber gesprochen. "Der Notar sieht zu Sandra und antwortet. „Ihre Mutter hat sie schon vor Jahren gekauft. Der frühere Inhaber ist aus beruflichen Gründen weggezogen. So kam Sophie, Entschuldigung, kam Ihre Mutter, sehr günstig an die Wohnung. Weil sie sehr nah am Buchladen liegt, konnte Ihre Mutter mit dem Rad zur Arbeit fahren. Sie brauchte kein Auto, wie Sie sicher wissen. Das Geld für die Wohnung hatte sie von der Unfallversicherung ihres Vaters. Sie hatte ihre Ersparnisse in Aktien angelegt.

Dadurch brauchte sie keine Miete mehr zahlen und war in der Lage, Sie und sich selbst gut durch die Zeit zu bringen. Sie waren ja damals noch viel zu klein, Frau Medeo, um das Ganze zu verstehen. Den Buchladen musste sie bei ihrem Chef abzahlen. Der ist inzwischen auch abgelöst. Ihre Mutter, sie konnte sehr gut mit Geld umgehen. Hat, wie sie mir bei einem Essen gestand, durch eine weitere Tätigkeit hinzuverdient. Sie war eine sehr fleißige Frau."

Sandra ungläubig, „Ich kann das fast gar nicht glauben. Und ich dachte, ich kenne meine Mutter." Freundlich erwidert Dr. Schreber. „Ich bin der Überzeugung, man kann nie jemanden so ganz kennen. Aber so traurig es ist, wir müssen fortfahren." Der Notar widmet sich wieder dem Ordner und liest vor; „Eine Reisebuchhandlung, nebst komplettem Inventar. Dazu vermache ich zwei Sparbücher. Davon enthält das Sparbuch der Nord/LB Sparkasse Braunschweig, angespartes Geld für private Zwecke. Das Sparbuch der Volksbank Braunschweig enthält angesparte Gelder für den Buchladen". Dr. Schreber blättert um, sagt;

„Sekunde, ich hab’s gleich. Ah, da ist es. Auf dem Sparbuch der Nord L/B sind 25429,28 DM eingetragen. Beim Sparbuch der Volksbank sind es 19098,37 DM. So der konkrete Finanzstand in den betreffenden Banken, vom Freitag letzter Woche. Hinzu kommt das Geld auf dem Girokonto Ihrer Mutter. Das sind noch einmal 2400,45 DM." Sandra ist baff, sie sieht Didi mit offenem Mund an. Der Notar fährt fort.

„Zum Buchladen: Die Kasse, der Tresen und sämtliche Regale und im Geschäft befindliche Gegenstände gehören ebenso zum Erbe. Dazu zählen ausgestellte Bücher. Vorab gelieferte Ware ist gesondert im Kassenbuch aufgelistet. Hierfür müssen noch Zahlungen an die Verlage geleistet werden. Auf die Wohnung und die Buchhandlung sind keinerlei Hypotheken abzuleisten. Eingängig sind Tantiemen für einen Nebenjob, den ich ausübe. Die Höhe des Betrages ist variabel. Betreffendes Geld kommt unregelmäßig auf das Girokonto der Nord L/B Sparkasse BS."

Der Notar sieht auf. Guckt Sandra an, dann liest er weiter. „Meine Tochter soll das Erbe nur erhalten, wenn sie bereit ist, in meinem Buchladen weiterhin Bücher zu verkaufen. Will sie die Reiseliteratur gegen Literatur anderer Art tauschen, gilt auch dies in meinem Sinne. Für den Fall, dass Sandra es ablehnt, wovon ich nicht ausgehe, sollen der Buchladen sowie die Wohnung mit allem Inventar verkauft werden. Der Ertrag soll, nebst der angesprochenen Tantiemen, auf das Konto von: Weißer Ring, Hilfsorganisation für Verbrechensopfer, gehen.

Datum; 04.01.1995. Unterschrift Sophie Margaret Medeo."

Erneut schaut er von den Papieren auf, sieht Sandra tief in die Augen. Dann fragt er; „Frau Sandra Medeo, wollen Sie das Erbe ihrer Mutter gemäß der heutigen Verlesung annehmen?" Sandra; „Ich glaub, ich brauche einen kleinen Moment Bedenkzeit. Ich bin ganz durcheinander. Kann das alles gar nicht fassen. Sie hat die Wohnung und den Buchladen bezahlt und jetzt soll ich ihn weiterführen. Das ist alles etwas zu viel für mich. Ich brauch wirklich einen Moment Bedenkzeit, wenn das geht."

Dr. Schreber; „Kein Problem. Ich gebe Ihnen gern den Moment zur Besinnung, möchte Ihnen aber noch etwas dazu sagen. Ihre Mutter war schon damals sicher, dass Sie es annehmen. Sophie erzählte mir, dass Sie gelernte Kauffrau wären und noch kurz vor ihrem Tod, erzählte sie mir von ihrem Arbeitsverhältnis. Dass sie dort mit ihrem Chef nur Ärger hätten." Sandra wird etwas kleiner. „Das hat ihnen meine Mutter erzählt?"

Der Notar nickt ihr freundlich zu. „Ja, das hat sie. Es war ein sehr herzliches Verhältnis zwischen uns. Sie wusste, ich würde mit meinem Wissen nicht hausieren gehe. Sie hatte auch vor, Ihnen die Eigentumswohnung zu überschreiben. Wollte sie ihnen zu Ihrem dreißigsten Geburtstag schenken. Sie war auch der Meinung, Ihnen so, wenigstens noch bevor sie selbst alt wird, etwas Gutes tun zu können. Niemand, ganz besonders sie konnte nicht ahnen, dass sie diesen Tag nicht erleben würde."

Ein Schluchzer entrinnt ihr. „Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht zum Weinen bringen". Entschuldigt er sich. „Sicher ist ein eigenes Geschäft eine Herausforderung. Es bedeutet jeden Tag mehr Arbeit, als in Ihrer bisherigen Arbeitsstelle. Doch bedenken Sie, nur wenige Menschen bekommen im Leben so eine Chance. Sie müssen sich nicht zwingen einem Chef gerecht zu werden, den Sie sowieso nicht mögen. Sie brauchen das Geld, das Sie verdienen, nicht zwanzigmal umdrehen, weil es sicher höher ist, als Ihr bisheriges Einkommen."

Sandra hat versucht zuzuhören, sie muss sich schnäuzen. Der Notar spricht weiter. "Normalerweise halte ich mich bei den meisten meiner Klienten, mit ungefragten Ratschlägen zurück. Doch bei Ihnen, Frau Medeo, Sie sind die Tochter von Sophie, kann ich nicht anders. Nehmen Sie an. So eine Chance kommt vielleicht nie wieder."

Sandra guckt zu Didi rüber. Er sieht zurück und nickt ihr zu, fast mechanisch. In ihren Gedanken zeichnet sich ihre jetzige berufliche Situation ab. Bilder vor ihren Augen, bestätigen die Aussagen von Dr. Schreber.

„Sie haben recht, Herr Dr. Schreber. Danke, dass Ihre Worte mich wachgerüttelt haben. Ich wäre dumm, wenn ich nein sage. Ich nehme die Erbschaft an." „Erleichtert schiebt der Notar ein Formular und einen Kugelschreiber über den Schreibtisch. „Unterschreiben Sie bitte hier", sagt er mit einem Lächeln.

Sandra wischt sich die Tränen aus den Augen, dann nimmt sie den Stift und signiert das Papier. Kaum unterschrieben, hält ihr der Notar die Hand hin, will gratulieren.

„Sie werden es bestimmt nicht bereuen. Ich lasse die Papiere für Sie fertig machen. Dauert nicht lange. Warten Sie, hier ist noch etwas für Sie, ein Brief. Ich weiß nicht was drin steht. Ich denke aber, so wie ich Ihre Mutter kannte, ist es etwas Positives. Leider muss ich mich schon von Ihnen verabschieden. Von Frau Griebe erhalten Sie außer den Papieren, auch die Schlüssel für die Wohnung und die Buchhandlung.

Ich hätte mich gerne länger mit Ihnen unterhalten, doch die Zeit treibt. Es fällt mir wirklich schwer, Sie schon gehen zu lassen. Doch was soll ich machen. Sie verstehen, ich erwarte gleich noch eine weitere Klientin. Weshalb ich mich schweren Herzens von Ihnen verabschieden muss."Er tritt an die Tür des Büros und will sie für Sandra und Didi öffnen. Doch noch bevor er dazu kommt, haben Sandra die Gefühle überrannt.

Spontan umarmt sie ihn. „Vielen, vielen Dank". Gerührt über ihre Umklammerung, wehrt er ab. „Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Das ist doch nicht der Rede wert. Ich hoffe wir sehen uns mal wieder". „Bestimmt", erwidert sie und löst sich von ihm. Dann verlässt sie zusammen mit Didi das Büro.

Papiere, Schlüssel und Brief sind sicher in der Handtasche, als beide auf der Straße ankommen. Sandra ist völlig außer sich, sie bleibt abrupt stehen. „Mich tritt ein Pferd. Ich werde nie wieder Prellball für einen Chef spielen. Ich werde auch bald, nie wieder für ihn arbeiten. Ich glaub’s nicht. Ich bin Besitzerin eines Reisebuchladens."

Didi erwidert ganz lapidar. „Musst du aber, wer sonst, soll den Leuten die ganzen Reiseschinken verkaufen", dann hebt er sie wie eine Feder hoch und wirbelt im Kreis herum. Vorbei gehende Passanten schütteln ihre Köpfe, sind pikiert. Als er Sandra wieder auf den Boden herunterlässt, umarmt und küsst er sie. „Jetzt wirst du endlich wieder bessere Laune haben, weil du nicht mehr bei diesem Blödmann arbeiten musst. Die Tierhandlung ist passé. Und wenn wir umgezogen sind, müssen wir auch nicht mehr so mit unserem Geld knausern. Dann bist du Gräfin und ich dein Casanova. Wenn das nichts Gutes ist, dann weiß ich auch nicht."

Sofort kontert sie; „wenn du glaubst du seist mein Casanova, will ich mit dir nichts mehr zu tun haben. Was soll ich mit‚ ‘nem Weiberheld, ‘N. Butler wär mir lieber." Noch ehe er mit einer passenden Antwort aufwarten kann, hakt sie sich unter und schiebt ihn an. Sie will durch die Stadt schlendern und überlegt dabei laut; „Wir brauchen eine Liste, was wir alles machen müssen. Und wir müssen uns einen Lieferwagen leihen."

Didi ist hungrig; „Zuerst müssen wir was essen. Danach sehen wir weiter. Den Lieferwagen leih ich von meinem Boss. Er ist nämlich kein so'n Arschloch, wie deiner." Sandra sieht teils traurig, teils glücklich aus; „Das hätte ich fast vergessen, ich muss doch noch was für ihn schreiben."

Didi stutzt. „Meine Kündigung", erweitert Sandra ihren Satz und bleibt vor einem Nordsee-Imbiss stehen. „Sie mal?", sagt sie. „Darauf hätte ich jetzt auch Lust. Überbackene Scholle mit Kartoffelsalat und Zitrone. Dazu n Wasser." „Na prima", sagt Didi und dichtet; „Zu Hause bleibt er leer, der Tisch, denn wir essen heute hier, den Nordseefisch."

Lachend stupst Sandra ihn an und betritt das kleine Fischlokal. Ganz entgegen der Etikette folgt ihr Didi. Über ihren Kopf hinweg zeigt er auf eine Zweierbank; „In der Ecke ist noch was frei. Kommt wie gerufen. Geh schon mal vor und halt die Plätze frei. Ich hole das Essen und die Getränke." Sandra nickt und läuft zu den Sitzflächen.

Während sie sich setzt, reiht er sich in die Warteschlange vor dem Fischtresen ein. Zwei Tabletts vor sich herschiebend, bewegt Didi sich fast in Zeitlupe vorwärts. Eine Verkäuferin und ein Verkäufer bedienen die Kunden. Ehe er sich versieht, ist er an der Reihe.

„Überbackene Scholle, Kartoffelsalat und zwei mittelgroße Mineralwasser, mit Kohlensäure. Und für mich überbackene Scholle, mit einer Portion Bratkartoffeln. Oder haben Sie gebackene Piranhas?", witzelt er. Spottet die Verkäuferin mit ernstem Gesicht zurück, „Die Piranhas, kalt oder heiß?" Didi wirkt geschockt, fast entgleisen ihm seine Gesichtszüge.

„Das war nur ein Witz. Wollte nur einen Witz machen." Sie, nicht auf den Mund gefallen; „War mir klar, darum hab ich ja auch nur nachgefragt. Piranhas führen wir nämlich nicht. Ich glaub, die sind ungenießbar."

Didi hat sich wieder gefangen. Er füllt die beiden Tabletts. Sie; „Getränke gibt es an der Kasse." Er bedankt sich und schiebt weiter. Die Verkäuferin, schon wieder voll in Aktion, begrüßt ihren nächsten Kunden. „Sie wünschen?" Didi hat gezahlt. Die beiden Tabletts sind voll. Wie ein Kellner balanciert er an verschiedenen Gästen vorbei. Mühsam erreicht er Sandra an ihrem Tisch. Sie wartet schon.