Im Glanz der Seidenvilla - Tabea Bach - E-Book
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Im Glanz der Seidenvilla E-Book

Tabea Bach

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Beschreibung

Angela ist glücklich: In Vittorio hat sie einen wunderbaren Partner, und die Weberei schreibt schwarze Zahlen. Doch der Erfolg der Seidenvilla gerät ins Wanken, als plötzlich ein unbekannter Konkurrent auftaucht. Als wäre das nicht genug, stößt Angela bei Vittorios Mutter auf große Ablehnung. Offensichtlich hätte sie lieber die attraktive Architektin Tiziana als Schwiegertochter, mit der Vittorio früher eine große Nähe verband. Bald gibt es überraschend viele gemeinsame Aufträge für Tiziana und Vittorio, und er verbringt mehr Zeit an Tizianas Seite als mit Angela. Kann Angela die Seidenvilla retten und zugleich um ihre große Liebe kämpfen?

Ein fesselnder Roman um Liebe und Wahrheit und eine Seidenweberei im Veneto

Die in sich abgeschlossene Fortsetzung zu Die Seidenvilla



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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressum1 - Der Jahrestag2 - Die Principessa3 - Nathalies Geheimnis4 - Lidias Forderung5 - Die Versammlung6 - Carmela7 - Tiziana8 - Frauensachen9 - Der französische Webstuhl10 - Überraschungsbesuch11 - Das Angebot12 - Machenschaften13 - Der Ausflug14 - Der Neapolitaner15 - Der Besuch16 - Die Rivalen17 - Auf Messers Schneide18 - Das Geschenk19 - Die Feier20 - Der Glücksstein

Über dieses Buch

Angela ist glücklich: In Vittorio hat sie einen wunderbaren Partner, und die Weberei schreibt schwarze Zahlen. Doch der Erfolg der Seidenvilla gerät ins Wanken, als plötzlich ein unbekannter Konkurrent auftaucht. Als wäre das nicht genug, stößt Angela bei Vittorios Mutter auf große Ablehnung. Offensichtlich hätte sie lieber die attraktive Architektin Tiziana als Schwiegertochter, mit der Vittorio früher eine große Nähe verband. Bald gibt es überraschend viele gemeinsame Aufträge für Tiziana und Vittorio, und er verbringt mehr Zeit an Tizianas Seite als mit Angela. Kann Angela die Seidenvilla retten und zugleich um ihre große Liebe kämpfen?

Ein fesselnder Roman um Liebe und Wahrheit und eine Seidenweberei im Veneto

Die in sich abgeschlossene Fortsetzung zuDie Seidenvilla

Über die Autorin

Tabea Bach war Operndramaturgin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Sie wurde in der Hölderlin-Stadt Tübingen geboren und wuchs in Süddeutschland sowie in Frankreich auf. Ihr Studium führte sie nach München und Florenz. Heute lebt sie mit ihrem Mann in einem idyllischen Dorf im Schwarzwald, Ausgangspunkt zahlreicher Reisen in die ganze Welt. Die herrlichen Landschaften, die sie dabei kennenlernt, finden sich als atmosphärische Kulisse in ihren Frauenromanen wieder.

T a b e a  B a c h 

IM GLANZ DER

SEIDENVILLA

Roman

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat: Melanie Blank-Schröder

Titelillustration: © Slow Images/getty-images;

© Atlantide Phototravel/getty-images; © Trevillion Images/Nikaa

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8617-2

www.luebbe.de

www.lesejury.de

1

Der Jahrestag

Die Abendsonne warf ihre goldenen Strahlen in den rechteckigen, von den vier Flügeln der Seidenvilla umschlossenen Innenhof, verfing sich im Laub des Maulbeerbaums und zauberte ein duftiges Blättermuster aus Licht und Schatten auf das weiße Leintuch der Festtafel darunter. Sie schimmerte im silbergrauen Fell der Katze auf, die gerade mit einem Satz auf den Tisch sprang und mit erhobenem Schwanz auf ihm entlangspazierte.

Angela stand am Fenster der Weberei im ersten Stock und beobachtete amüsiert, wie Emilia aus der Sommerküche im Erdgeschoss des links angrenzenden Flügels stürmte und die Katze wortreich verjagte. Wie ein Pfeil schoss das Tier durch die weit geöffnete Tür des Abstellraums auf der gegenüberliegenden Hofseite und flitzte zwischen Giannis Beinen hindurch. Der junge Mann trat gerade mit einem alten Verkaufstresen beladen über die Schwelle.

»Porca miseria«, fluchte er. Beinahe wäre er gestolpert. Gianni stellte den Tresen ab, sah fragend zu Angela hoch. »Wo soll ich die Bar aufbauen? Hier unter dem Maulbeerbaum?«

»Ja, das ist eine gute Idee«, rief sie ihm zu. »Ich bin gleich bei Ihnen«, fügte sie hinzu und begann eilig, die empfindliche Mechanik der vier archaisch anmutenden mechanischen Webstühle mit Leintüchern abzudecken. Bis vor einer Stunde war hier fieberhaft gearbeitet worden, und erst gerade eben hatte Angela vierundzwanzig prachtvolle Stoffproben einem Expressboten übergeben. Am folgenden Tag würden sie bei einem Empfang in der Villa Castro präsentiert werden − eine einmalige Gelegenheit, um die Seidenmanufaktur noch bekannter zu machen.

Für den fünften der Webstühle im angrenzenden Raum, den die Weber omaccio grande nannten, benötigte sie drei Leintücher, so groß war er. Er stammte wie die anderen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, und doch funktionierten sie alle noch immer einwandfrei. So rustikal die riesigen Holzgestelle auch wirkten, so zart und kostbar waren die Seidenstoffe, die in Handarbeit auf ihnen gefertigt wurden. Die Arbeit war hart, es bedurfte des ganzen Körpereinsatzes, um die Webstühle zu bedienen. Und um Seidenstoffe von hoher Qualität zu weben, war eine Menge Erfahrung notwendig, außerdem eine ganz besondere Begabung. Angela schätzte sich glücklich, vier fähige Weberinnen und einen Weber beschäftigen zu können. Und an diesem Abend würden sie gemeinsam feiern …

Stimmen drangen vom Hof zu ihr empor. Sie sah nach, wer gekommen war, und erkannte den silbergrauen Bob von Tess unter dem Maulbeerbaum. Sie unterhielt sich mit Gianni, der gerade ein weißes Tischtuch über die improvisierte Bar breitete und sie mit Gläsern bestückte. Beschwingt lief Angela die Treppe zum Innenhof hinunter, um ihre Freundin zu begrüßen, die hier in Italien von allen nur Tessa genannt wurde.

»Darf ich den Damen einen Veneto Sprizz einschenken?« Gianni strahlte über das ganze Gesicht.

»Was hast du denn da alles reingemischt?«, fragte Tess vorsichtig. »Nicht dass ich morgen Kopfschmerzen habe!«

»Aber nein, Signora, das werden Sie ganz sicher nicht.«

Gianni erklärte, dass er für sein Geheimrezept drei Teile perlenden Weißweins der Gegend mit zwei Teilen Aperol und einem Teil Sodawasser vermischte, sodann eine der obligatorischen grünen Oliven beigab, die seine Mutter Emilia speziell für dieses Getränk einlegte, sowie Saft und etwas abgeriebene Schale einer bestimmten Blutorangensorte aus dem Garten eines Freundes. Wieder einmal fragte sich Angela, warum dieser nette junge Mann noch keine Frau hatte.

»Köstlich!« Tess seufzte, nachdem sie einen langen Zug durch den Strohhalm genommen hatte. »Aber du solltest weniger Wein hineingeben, Gianni! Sonst sind wir alle noch vor dem Essen betrunken.«

Gianni lachte und sah hinüber zu dem alten Holztor, durch das Fioretta in den Hof kam, gefolgt von Nola. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen ließ keinen Zweifel daran, dass sie Mutter und Tochter waren. Fioretta war mit ihren fünfundzwanzig Jahren die jüngste Mitarbeiterin und Angelas Assistentin. Nola trug zur Feier des Tages ihren dunklen Sonntagsrock und dazu eine festliche weiße Bluse unter der Strickjacke. Immerhin war es erst Mai, und die Abende waren mitunter noch kühl. Die Weberin arbeitete seit über dreißig Jahren in der Seidenvilla. Gemeinsam mit den beiden kam Anna, ihre Tochter im Schlepptau, und Giulias Miene ließ deutlich erkennen, dass sie viel lieber woanders wäre als ausgerechnet hier, im Kreis der Kolleginnen und Kollegen ihrer Mutter.

Während Gianni weitere Gläser füllte, gesellten sich auch Orsolina und Stefano zu ihnen. Stefanos Wangen glänzten, offenbar hatte er sich extra frisch rasiert und eingecremt. Geschickt nahm er das Stielglas zwischen Ringfinger und kleinen Finger seiner rechten Hand, die übrigen hatte er zwei Jahre zuvor bei einem Unfall an seiner früheren Arbeitsstelle verloren und damit beinahe seinen gesamten Lebensmut eingebüßt, bis Angela auf die Idee gekommen war, ihn als Weber anzulernen.

»Ja, wen haben wir denn da?«, begrüßte Orsolina die schmollende Giulia voller Herzlichkeit. »Dich habe ich ja schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Du bist aber …«

»Sag bloß nicht, dass ich groß geworden bin, Tante Lina«, fiel ihr das Mädchen ins Wort und verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.

»Das würde ich niemals tun!« Orsolina hob schmunzelnd die Hände, denen man trotz sorgfältiger Pflege ansah, dass sie die wertvollen Seidengarne der Weberei färbte. »Ich wollte sagen: Du bist aber hübsch geworden!« Und als sie sah, wie rot die Dreizehnjährige wurde, brach sie in schallendes Gelächter aus. »Giulia, mein Engel, komm her, lass dich umarmen«, rief sie aus und schloss das Mädchen fest in ihre Arme. »Wo treibst du dich die ganze Zeit herum? Früher bist du doch viel öfter in die Seidenvilla gekommen.«

Giulia lächelte verlegen, es war nicht zu übersehen, wie gern sie die Kollegin ihrer Mutter hatte.

»Stellt euch vor, sie wollte mit diesen Stuzzi-Brüdern nach Treviso«, beschwerte sich Anna halblaut bei Angela und Nola. »Auf einem der Motorräder hinten drauf.«

»Die sind doch viel älter als sie«, sagte Nola und warf Giulia einen besorgten Blick zu. »Der Jüngere ist mindestens schon siebzehn. Was will sie denn mit denen?«

Anna hob vielsagend die Augenbrauen, schob sich eine ihrer blondierten Haarsträhnen aus der Stirn und zuckte ratlos mit den Schultern. Mit ihren einunddreißig Jahren war sie die Jüngste unter den Weberinnen. »Da habe ich ein Machtwort gesprochen«, erzählte sie. »Und damit ich sicher sein kann, dass die kleine Signorina auch gehorcht, habe ich sie einfach mitgeschleppt. Ich hoffe, das stört Sie nicht?«

Sie warf Angela einen verlegenen Blick zu. Anna hatte es nicht leicht als alleinerziehende Mutter. Giulias Vater hatte sich noch vor der Geburt seiner Tochter aus dem Staub gemacht und war seitdem nie wieder aufgetaucht.

»Aber nein«, antwortete Angela. »Ganz und gar nicht.«

Giulia hatte Mimi auf der Bank unter dem Maulbeerbaum entdeckt, setzte sich zu ihr und begann, das Kätzchen hingebungsvoll zu streicheln. Sie war hübsch mit ihren dichten blonden Haaren und den blitzenden blauen Augen. Einen Pickel am Kinn hatte sie zwar zu überschminken versucht, was ihr jedoch nicht wirklich gelungen war. Sie besaß noch einen kindlichen Körper mit ihren dreizehn Jahren, ihre Bewegungen wirkten ungelenk, und Angela erinnerte sich daran, wie schwierig für sie dieses Alter gewesen war − nicht mehr Kind und doch noch nicht Frau zu sein, irgendwie dazwischen und sich überall fehl am Platze fühlend. »Ich freu mich, dass sie heute dabei ist, Anna.«

»Wollte Nathalie nicht auch kommen?«, erkundigte sich Tess.

Angela nickte. »Eigentlich schon. Aber du weißt ja, wie das ist bei den jungen Leuten.« Ihre Tochter studierte in Padua Kunstgeschichte, und das war immerhin eine Autostunde von Asenza, wo die Seidenvilla ansässig war, entfernt. »Sie hatte schon angedeutet, dass es eventuell ein bisschen später werden könnte. Jedenfalls warten wir nicht mit dem Essen auf sie.«

Sie warf einen Blick in die Runde. Die Weberinnen Lidia und Maddalena fehlten noch. Von Lorenzo Rivalecca ganz zu schweigen. Die anderen würden sich wahrscheinlich fragen, warum Angela den kauzigen alten Mann ebenfalls eingeladen hatte, doch sie hatte ihre Gründe. Dass er ihr Vater war, davon wussten bislang nur Tess und Nathalie. Und natürlich Vittorio.

Emilia erschien in der Küchentür, es war schon fast halb acht. Angela wusste, dass die resolute Frau es nicht leiden konnte, wenn man nicht pünktlich zu Tisch ging. Sie war die Köchin und Haushälterin von Tess und verwöhnte gemeinsam mit ihrem Sohn Gianni in der Seidenvilla ausnahmsweise zur Feier des Tages ihre Gäste.

Gerade als Angela einen Löffel vom Tisch nahm, um gegen ihr Glas zu schlagen, öffnete sich die Hoftür erneut, und Lidia stürmte herein, kurz darauf folgte ein alter, dürrer Mann, der laut vor sich hin schimpfte und drohend seinen Gehstock in Richtung der Weberin hob, die ihm offenbar die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte.

»Kein Benehmen, diese Weiber«, hörte Angela Lorenzo Rivalecca fauchen. Lidia presste empört die Lippen aufeinander und konnte doch nicht verhindern, dass sie errötete. »Ist es denn zu fassen! Und denen habe ich Brot und Lohn …«

»Niente Brot und Lohn«, fuhr ihn Lidia an. Die hagere Frau mit dem rötlichen Haar war eine begnadete Weberin, wenn auch von sprödem und oftmals harschem Wesen. »Nach dem Tod von Signora Lela haben Sie sich einen Dreck um uns gekümmert. Nur gut, dass Sie die Weberei an die tedesca verkauft haben …«

»Na, na, na«, mischte sich nun Tess verärgert ein. »Wie redest du von deiner Chefin? Sie hat einen Namen, Lidia, so wie wir alle. Und selbst wenn du nicht einer Meinung mit dem alten Dickschädel hier bist, so solltest du doch sein Alter respektieren.«

»Dickschädel?« Rivalecca wandte sich ungehalten an Tess. »Habe ich gerade Dickschädel gehört?«

Wütend stieß er seinen Gehstock auf den gepflasterten Grund, sodass Mimi fauchte und mit einem Satz von Giulias Schoß auf den untersten Ast des Maulbeerbaums sprang.

»Lass es gut sein, Lorenzo«, gab die alte Dame in mildem Ton zurück. »Jeder hier weiß, dass du das bist, und vor allem du selbst weißt es. Hier, nimm dein Glas und beruhige dich. Vergiss nicht, wessen Gast du heute bist.«

Alle Augen wandten sich Angela zu. Sie räusperte sich. Das fing ja gut an.

»Nun«, sagte sie und holte tief Luft, »nachdem das geklärt ist, möchte ich euch heute Abend hier alle herzlich willkommen heißen. Für mich ist es ein besonderer Tag. Genau vor einem Jahr habe ich den Kaufvertrag für die Seidenvilla unterzeichnet. Es war ein ziemlich aufregendes Jahr …« Angela nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Maddalena, die letzte, die im Kreis der Weberinnen noch gefehlt hatte. Leise und mit hochrotem Kopf huschte sie in den Hof. Angela begrüßte sie mit einem Lächeln. »Und mehr als einmal sah es so aus, als ob wir es nicht schaffen würden. Dass es trotzdem geglückt ist und wir heute so gut dastehen, das wäre ohne euren Einsatz nie möglich gewesen. Und dafür möchte ich euch danken. Ohne euch gäbe es keine Seidenvilla. Ohne euch wäre die Weberei nicht die, die sie ist. Ohne euch wäre ich vermutlich überhaupt nicht mehr hier.« Es war ganz still im Hof geworden, sogar Giulia sah sie an, als hätte sie Angela noch nie zuvor gesehen. »Ihr habt zu mir gehalten, als es mir nicht gut ging, und habt den Betrieb weitergeführt. Ihr geht mutig mit mir neue Wege und glaubt daran, dass wir gemeinsam erfolgreich sein werden. Und deshalb wollen wir unser Glas auf die Zukunft der Seidenvilla erheben. Auf eine Zukunft, die wir gemeinsam gestalten werden.« Ihre Hand zitterte unmerklich, als sie das Glas hob, so sehr bewegte sie diese kurze Rückschau.

»Auf die Seidenvilla«, rief Tess, und alle anderen taten es ihr gleich. »Auf die Zukunft der Seidenvilla«, erklangen viele Stimmen.

Angela musste auf einmal schlucken, so stark war das Gefühl der Verbundenheit mit diesen Menschen, das sie durchflutete. Ja, in diesem Jahr waren sie zu einer Art Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen, so unterschiedlich sie auch alle waren.

Sie bat zu Tisch, doch die Weberinnen zögerten, keine wollte den Anfang machen. Nur Lidia ließ sich sofort am unteren Ende der Tafel nieder und hängte entschlossen ihre Handtasche über die Stuhllehne. Tess sah die Verlegenheit der anderen und ergriff die Initiative, leitete souverän die Frauen, die sie schon so lange kannte, an den Tisch. Die alte Dame war einst die Vertraute ihrer Mutter gewesen, und als Angelas Mann starb, hatte sie sie eingeladen, einige Zeit bei ihr im Veneto zu verbringen, um sich zu erholen. Dass Angela bei dieser Gelegenheit hier nicht nur ein neues Zuhause, sondern mit der Seidenmanufaktur eine neue Aufgabe gefunden hatte, war für alle eine große Überraschung gewesen und für Tess Anlass zur Freude. Seither wachte die resolute alte Dame sorgfältig darüber, dass es Angela in Asenza auch gut ging.

Gianni und Emilia trugen das Essen auf, als Vorspeise vitello tonnato und sarde fritte in saor – Kalbfleisch in Thunfischsoße und frittierte, sauer eingelegte Sardinen mit Zwiebeln −, dazu knuspriges Maisbrot frisch aus dem Ofen, und für Lorenzo Rivalecca, der nichts anderes zu sich nahm als Gemüsesuppe, einen großen Teller minestrone. Mit dem Essen löste sich die Befangenheit der Gäste, sogar Giulia vergaß, dass sie eigentlich schlechte Laune hatte, und ließ immer wieder ein klingendes Lachen hören, vor allem, als Orsolina von den neuesten Streichen der silbergrauen Katze erzählte.

Beim Hauptgericht, in Gemüse geschmortem Kaninchen, wurden alle andächtig schweigsam, so vorzüglich schmeckte es ihnen, und erst beim selbst gemachten Erdbeereis, zu dem Emilia ihre persönliche Variante der torta fregolotta reichte, einer Art Streuselkuchen ohne Boden, wie Nathalie diesen köstlichen Nachtisch einmal beschrieben hatte, schwatzten alle wieder fröhlich durcheinander.

Fast alle, denn Maddalena sagte so gut wie nichts, wie Angela bemerkte. Vielleicht sogar noch weniger als sonst, und sie fragte sich, ob die Weberin wohl etwas auf dem Herzen hatte. Mit ihren durch die starken Brillengläser vergrößerten rehbraunen Augen sah sie abwesend und sorgenvoll vor sich hin. Wegen ihrer struppigen Haare und der leisen Stimme wirkte Maddalena auf Außenstehende mitunter unbedarft wie ein Kind, trotz ihrer achtundvierzig Jahre. Doch der Eindruck täuschte. Angela nahm sich vor, bald mit der scheuen Weberin unter vier Augen das Gespräch zu suchen.

Schließlich zauberte Lorenzo Rivalecca zum Erstaunen aller eine Flasche ohne Etikett mit dunkelbraunem, dickflüssigem Inhalt aus seiner Tasche und bat Emilia um passende Gläser.

»Das ist der beste Walnusslikör diesseits und jenseits der Alpen«, verkündete er, als jeder von ihnen ein Glas vor sich stehen hatte. »Trinken wir auf die tedesca, wie ihr sie nennt, wenn sie euch gerade den Rücken dreht. Doch, doch, ihr braucht gar nicht so unschuldig zu schauen. Seht, was sie aus dem alten Kasten hier gemacht hat.« Er beschrieb mit seinem Arm einen Halbkreis in Richtung des gesamten, den Hof umschließenden Gebäudekomplexes und hätte dabei beinahe Tess den Ellbogen ins Gesicht gerammt. »Nur eine Deutsche kriegt so was hin«, behauptete er. »Und stellt euch vor, sie hat unter dem Putz sogar ein wertvolles Fresko gefunden, was natürlich bedeutet, dass ich ihr das alles viel zu billig verkauft habe. Doch sei’s drum«, wehrte er den Protest von Tess zu seiner Rechten ab. »Ich gönn es ihr. Aber wisst ihr eigentlich, was das größte Wunder ist? Nein? Dass sie es mit euch Weibern so gut aushält. Das hätte ich niemals vermutet.«

»Und mit Ihnen auch, Signor Rivalecca«, warf Nola mutig ein. »Das ist tatsächlich das allergrößte Wunder.«

Orsolina und Anna kicherten und schnupperten vorsichtig an dem Inhalt ihres langstieligen Likörgläschens.

Rivalecca zog eine Grimasse, die einem Lächeln recht nahekam. »Auf die Wunder der tedesca«, sagte er ungewohnt milde. »Und dass ihr es wisst: Wenn eine von euch Signora Angela Ärger macht, dann kriegt sie es mit mir zu tun.«

»Was haben Sie bloß mit dem gemacht?«, wollte Nola von Angela wissen, nachdem Rivalecca sich verabschiedet hatte und die Hoftür hinter ihm ins Schloss gefallen war. »Ihm irgendeinen Zauber in seine minestrone gemischt?«

»Sie müssen ihm den Kopf verdreht haben«, mutmaßte Orsolina und sog die letzten Tropfen aus ihrem Glas. »Sehen Sie sich vor! Am Ende macht Ihnen der alte cascamorto noch einen Heiratsantrag.«

Schallendes Gelächter erfüllte den Hof, sogar Tess musste schmunzeln.

»Das steht wohl kaum zu befürchten«, antwortete Angela mit einem Grinsen.

»Der wäre doch viel zu alt für Signora Angela«, warf Maddalena tadelnd ein. »Er könnte glatt ihr Vater sein«, fügte sie ernst hinzu.

Einen Moment lang hatte Angela das Gefühl, die scheue, meist in sich gekehrte Weberin wüsste um ihr Geheimnis.

»Sag mal, jetzt, wo du das sagst … bist nicht du mit ihm verwandt?« Lidia hatte die dünnen, rötlich blonden Augenbrauen hochgezogen und ihre blasse Stirn in Runzeln gelegt.

»Ich?« Maddalena riss die Augen auf. »Wie kommst du denn auf so was?«

»Ich meine, über fünf Ecken«, beharrte Lidia. »Frag mal deine Mutter.«

»Das möchte ich nicht«, erwiderte Maddalena geradezu entsetzt. »Die wird ganz schrecklich wütend, wenn die Rede auf Rivalecca kommt.«

»Tja, da ist sie nicht die Einzige.« Nola seufzte und hielt Gianni, der mit Lorenzos Flasche noch einmal die Runde machte, ihr Glas entgegen. »Der Alte hat es sich mit vielen verscherzt. Erst seit Sie hier sind, Signora Angela, ist er ein wenig umgänglicher. Früher ist er kaum aus seiner Festung dort oben herausgekrochen. Undenkbar, dass er so wie heute mit uns zusammengekommen wäre.«

»Das stimmt«, pflichtete Orsolina ihr bei.

»Ich möchte auch etwas sagen«, meldete sich Stefano und räusperte sich. »Und zwar … Ich möchte mich bedanken. Im Namen aller, nicht wahr?« Er sah sich kurz in der Runde um. Alle nickten, nur Lidia setzte ein undurchdringliches Lächeln auf und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Aber vor allem für mich persönlich. Sie haben mir ein neues Leben geschenkt, Signora Angela. Weil Sie an mich geglaubt haben, trotz des Unfalls.« Er hob seine rechte Hand, an der Daumen, Zeige- und Mittelfinger fehlten. »Obwohl ich ein Krüppel bin. Das werde ich Ihnen nie vergessen.«

»Ja, das stimmt«, pflichtete ihm Orsolina bei. »Wir alle haben Ihnen viel zu verdanken. Wenn Sie nicht gekommen wären, dann wären wir jetzt arbeitslos. Und … na ja, anfangs hatten Sie es tatsächlich nicht immer leicht mit uns …«

»Wir mussten uns eben alle aneinander gewöhnen«, half ihr Angela freundlich aus der Verlegenheit. »Das erste Jahr, sagt man, ist immer das schwierigste. Auch wirtschaftlich. Und doch haben wir uns gut geschlagen. Sogar so gut, dass ich Ihnen heute einen kleinen Bonus auszahlen kann.« Jetzt hatte sie die ganze Aufmerksamkeit, sogar Giulia blickte von ihrem Smartphone wieder auf, mit dem sie seit dem Nachtisch beschäftigt gewesen war. »Jeder von Ihnen erhält eine einmalige Zahlung von eintausend Euro«, erklärte sie. »Die müssten eigentlich bereits auf Ihren Gehaltskonten gutgeschrieben sein.«

Kurz war es still unter dem Maulbeerbaum. Nur eine Zikade begann in der Abenddämmerung zu zirpen.

»Eintausend Euro?«, fragte Maddalena. »Einfach so?«

»Sie haben es sich verdient«, antwortete Angela.

Auf einmal begannen sie alle gleichzeitig zu reden. Giulia meinte, dann könne sie ja zum Geburtstag das Mofa bekommen, das sie sich so wünsche, während Anna von einer Urlaubsreise sprach. Nola, so erfuhr Angela, sparte auf eine neue Küche, während Stefano einfach nur den Arm um Orsolina legte und sie an sich drückte. Fioretta sprang auf und küsste Angela auf beide Wangen, selbst vor der jungen Frau hatte sie die Überraschung geheim gehalten. Auch Maddalena stand auf und drückte ihr unbeholfen die Hand, wollte sie gar nicht mehr loslassen.

Angela hatte auf einmal das Gefühl, beobachtet zu werden, und als sie sich umsah, entdeckte sie ihn. Vittorio stand lächelnd unter dem Maulbeerbaum und zögerte offenbar, sich bemerkbar zu machen. Zärtlichkeit durchflutete sie. Mit ihm hatte sie an diesem Abend überhaupt nicht gerechnet, schließlich lebte er in Venedig und sie hier in Asenza. Sie erwiderte Maddalenas Händedruck und machte sich sanft von ihr los.

Als sie zu ihm trat, schloss er sie zärtlich in seine Arme.

»Störe ich?«, fragte er leise an ihrem Ohr.

»Du störst nie«, antwortete sie überglücklich.

Dass sie eine Wochenendbeziehung führen mussten, darunter litten sie beide. Zwischen Venedig und Asenza lag zwar nur eine Autostunde. Dennoch waren sie beide meist zu beschäftigt, um sich unter der Woche zu sehen.

»Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten«, gestand er und sah hinüber zu der Tafelrunde. »Meinst du, ich darf an eurer Jahresfeier teilnehmen?«

Angela zog ihn lachend zu den anderen.

»Je später der Abend, desto schöner die Gäste«, rief Tess, und Emilia wollte wissen, ob der Herr schon zu Abend gegessen hatte. Als Vittorio verneinte, ließ sie es sich nicht nehmen, rasch von dem Kaninchenragout etwas aufzuwärmen und ihn in der Zwischenzeit mit den eingelegten Sardinen zu versorgen.

»Sind die Seidenproben gut in der Villa Castro angekommen?«, erkundigte sich Angela. »Hat Federico sie in Empfang genommen?«

Der Chefdesigner von Vittorios Firma für Innenarchitektur hatte versprochen, sich persönlich um die Präsentation der kostbaren Stoffe zu kümmern.

»Ja, alles bestens«, versicherte er ihr und machte Emilia ein Kompliment für die sarde in saor. »Fedo ist in seinem Element. Er hat mich weggeschickt, meinte, ich würde nur im Weg herumstehen. Da dachte ich mir, ich schau mal hier vorbei.« Er warf Angela einen zärtlichen Blick zu.

»Das war eine ausgezeichnete Idee«, sagte sie und ihre Augen leuchteten.

»Ich … ich wollte Sie gern etwas fragen, wenn ich darf«, erhob Maddalena schüchtern ihre Stimme.

Vittorio sah sie überrascht an. »Mich?«

Maddalena nickte und wurde schon wieder rot.

»Wegen Ihres Namens«, fuhr sie tapfer fort. »Fontarini. Ich habe diesen Namen in einem Buch gefunden und mich gefragt …«

»In einem Buch?«, unterbrach Lidia sie spöttisch. »Seit wann liest du Bücher?«

»Lass sie in Ruhe«, fuhr Nola sie an. »Du hältst uns wohl alle für blöde, was?«

»Wie?«, konterte Lidia kämpferisch. »Sag bloß, du liest auch Bücher?«

»Nun lasst Maddalena doch mal ausreden«, mischte sich Stefano ein.

»In welchem Buch haben Sie meinen Namen denn gefunden?«, fragte Vittorio freundlich und tat, als hätte er von dem Wortgefecht nichts mitbekommen.

»In einem Buch über die Geschichte Venedigs«, antwortete Maddalena und warf Lidia einen raschen Blick zu. »Da kommt der Name Fontarini ein paarmal vor. Mehrere Dogen hießen so. Sind Sie … Ich meine … ist das vielleicht Ihre Familie? Oder heißen Sie nur zufällig so?«

Jetzt war es ganz still geworden am Tisch. Selbst Angela war verblüfft. Natürlich wusste sie um die adelige Abstammung ihres Lebensgefährten. Sie hätte allerdings nicht erwartet, dass Maddalena sich solche Gedanken machte, und als sie sich dessen bewusst wurde, schämte sie sich. Warum eigentlich nicht?

Vittorio ließ seine Gabel sinken und sah die schüchterne Frau aufmerksam an. »Sie interessieren sich für Geschichte?«, fragte er.

Maddalena nickte eifrig. »Vor allem für die von Venedig«, antwortete sie. »Ich habe schon einige Bücher darüber gelesen. Auch über die venezianischen Künstler, Tintoretto und Tizian und all die anderen. Aber am meisten interessiert mich die Politik … Ich meine, die von … von früher.«

Kurz war eine völlig neue Maddalena zum Vorschein gekommen. Unter den verblüfften Blicken der anderen schien sie sich jedoch rasch wieder in sich selbst zurückzuziehen − wie eine Schnecke, deren Fühler man berührt hatte.

»Venedigs Geschichte ist wirklich spannend«, fand auch Vittorio. »Und weil Sie fragen: Ja, das sind meine Ahnen.«

Maddalenas Augen wurden riesengroß. »Wirklich?«, hauchte sie fast. »Auch Domenico, der im 11. Jahrhundert Doge war?«

»Ja, der auch«, antwortete Vittorio bescheiden.

»Das heißt«, fuhr Maddalena andächtig fort und zog ihre Stirn kraus, wohl um sich besser zu konzentrieren, »dass Sie … Ich meine, wenn das Ihre Familie ist, dann sind Sie ein echter principe? Ein Prinz?«

Es wurde mucksmäuschenstill. Giulia starrte erst Maddalena und dann Vittorio mit offenem Mund an, und sie war nicht die Einzige.

Vittorio räusperte sich kurz und nickte, als wäre das nichts Besonderes. »Nun, wenn Sie es historisch nehmen, ja. Aber seit 1948 haben Adelsbezeichnungen in Italien keine Bedeutung mehr, Maddalena. Diese Zeiten sind vorbei.«

»Wie schade.« Maddalena schien ehrlich betrübt. »Schließlich gibt es Ihre Familie seit … seit fast tausend Jahren.«

»Das ist ziemlich lange, ja«, räumte Vittorio ein. »Aber wissen Sie was? Auch Ihre Familie gibt es schon seit mehr als tausend Jahren. Und die von jedem Einzelnen hier am Tisch. Nur dass man das bei den wenigsten Familien nachverfolgen kann. Weil nichts aufgeschrieben wurde. Wenn Sie in Ihrem Familienregister zurückgehen könnten, würden Sie staunen, wo Sie da landen würden.«

»Bei Adam und Eva«, sagte Orsolina und alle lachten.

»Ganz genau«, meinte Vittorio, der erleichtert in das Lachen mit eingestimmt hatte. Angela wusste, was wenige ahnten, nämlich dass Vittorio diese noble Herkunft manchmal als direkt lästig empfand. »Bei Adam und Eva. Und am Ende sind wir alle miteinander verwandt.«

»Ihre Familie hat eben Bedeutendes geleistet«, meldete sich Maddalena wieder ernsthaft zu Wort. »Deshalb hat man das alles aufgeschrieben.«

Vittorio schien einen Augenblick nachdenklich. Doch dann beschloss er offensichtlich, das Thema nicht weiter zu verfolgen.

»Kommen Sie öfter nach Venedig?«, fragte er.

Maddalena schüttelte den Kopf. »Ich war erst einmal dort«, bekannte sie verlegen. »Damals, als wir den Kommunionsausflug gemacht haben.«

Giulia kicherte. »Das muss ja schon eine ganze Weile her sein«, mutmaßte sie und erntete einen Rippenstoß von ihrer Mutter.

»Und Sie?«, fragte Vittorio in die Runde. »Wann waren Sie das letzte Mal dort?«

Zögernd kamen die Antworten. Orsolina und Stefano mussten sich untereinander beraten, wann das gewesen war, so lange war es schon her. Keine der Weberinnen hatten in den vergangenen zehn Jahren die Lagunenstadt besucht.

»Was meinst du?« Vittorio wandte sich an Angela. »Vielleicht solltet ihr mal einen Betriebsausflug dorthin unternehmen.«

»Das ist eine ausgezeichnete Idee«, antwortete sie. »Falls ihr alle Lust dazu habt, machen wir das.«

Sie saßen noch lange zusammen unter dem Maulbeerbaum. Nola und Orsolina erzählten lustige Geschichten aus der Zeit, als sie noch jung gewesen waren und Lela Sartori, Lorenzo Rivaleccas verstorbene Frau, Besitzerin der Seidenvilla gewesen war.

»Ja, sie war eine echte padrona«, meinte die Färberin mit einem leisen Lachen. »Wir hatten alle ziemlichen Respekt vor ihr, stimmt’s?« Sie blickte von Nola zu Lidia. Auf einmal erschrak sie. Offenbar wurde ihr bewusst, dass Angela das falsch verstehen könnte. »Nicht dass wir vor Ihnen keinen Respekt hätten«, beeilte sie sich zu sagen. »Sie dürfen das nicht falsch verstehen. Aber so freundschaftlich mit ihr zusammenzusitzen wie mit Ihnen heute Abend – das wäre einfach undenkbar gewesen.«

»Beim kleinsten Webfehler konnte sie toben wie ein Berserker«, bestätigte Nola.

»Ich werde nie vergessen, wie ich einmal ein Rosenrot färben sollte«, erzählte Orsolina. »Rosenrot. Ich meine, es gibt schließlich Rosen in allen möglichen Rottönen, vero? Sie verlangte aber ein ganz bestimmtes Rot, und meine Mutter hätte natürlich sofort gewusst, welches. Doch die lag gerade mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus. Da konnte ich sie schlecht fragen.« Orsolina nahm einen Schluck von dem Verbena-Tee, den Emilia inzwischen gekocht hatte. »Un disastro«, fuhr sie fort. »Dabei war es ein schönes Rot. Nur nicht das, was die padrona im Kopf hatte. Und wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann …«

»Aber das ist bei der tedes… ich meine bei Signora Angela nicht anders«, wandte Nola ein. »Erinnerst du dich an das Himmelblau für die Sessel in der Villa Castro?«

»O ja«, knurrte Orsolina und konnte es sich nicht verkneifen, Vittorio einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. Zwar ganz kurz, er hatte es dennoch bemerkt.

»Schließlich haben Sie es hinbekommen«, sagte Angela mit Nachdruck. Dass die Seide am Ende nicht die Polstermöbel in der Villa Castro geschmückt hatte, sondern in die Arabischen Emirate verkauft worden war, darüber wollte sie lieber nicht sprechen. An diesem Abend wollte sie feiern und auf keinen Fall diese schmerzliche Phase des vergangenen Jahres heraufbeschwören. »Ich mag auch nicht so gern Kompromisse eingehen. Da bin ich Signora Sartori wahrscheinlich ähnlich.«

Protest erhob sich. Nein, Angela könne man keinesfalls mit der strengen und hochmütigen Lela Sartori vergleichen. Die habe sich immer für etwas Besseres gehalten und ein wahres Schreckensregiment ausgeübt.

»Dennoch sind damals wunderschöne Stoffe entstanden«, wandte Angela ein. »Signor Rivalecca hat mir ein paar Stücke von Lela überlassen, die außergewöhnlich sind. Gab es denn damals noch mehr Webstühle als heute? Welche, mit denen man Jacquard-Muster weben konnte vielleicht?«

Da wurde es still um den großen Tisch.

»Nicht dass ich wüsste«, sagte Anna. »Seit ich dabei bin jedenfalls nicht.«

»Mir ist so, als hätte es früher tatsächlich einen weiteren Webstuhl gegeben.« Nola zog ihre Stirn in Falten, so angestrengt dachte sie nach. »In dem Saal, wo der omacciogrande steht. Aber ich bin mir nicht sicher. Das ist schon so lange her …«

»Carmela müsste das wissen«, warf Lidia ein. »Die war ja von Anfang an dabei. Ich meine, seit Lela die Weberei übernommen hat …«

»Ja, genau«, rief Nola. »Frag sie doch mal, Maddalena!«

Maddalena bekam ganz große, ängstliche Augen.

»Lieber nicht«, sagte sie rasch. »Ihr wisst ja, wie sehr sie das alles aufregt. Und auf Lela Sartori ist Mamma ganz besonders schlecht zu sprechen.«

»Nein, das lohnt sich nicht«, erklärte Angela schnell. »Sie soll sich auf keinen Fall aufregen. Möchte noch jemand Tee?«

Das wollte keiner mehr, stattdessen brachen sie alle langsam auf. Die Erwähnung ihrer Mutter Carmela, mit der Maddalena in einem Haushalt wohnte, hatte sie daran erinnert, dass sie eigentlich längst wieder zu Hause sein sollte. Die anderen schlossen sich ihr an.

»Das war ein sehr schöner Abend«, sagte Stefano ein wenig unbeholfen, als er sich verabschiedete. »Vielen Dank. Für alles.«

Bester Laune und einander neckend verließen die Gäste den Hof der Seidenvilla.

»Sie mögen dich«, sagte Vittorio, als sie mit Tess allein zurückblieben.

»Ja, du hast sie alle im Sturm erobert«, fügte die alte Dame zufrieden hinzu und erhob sich. »Und jetzt lass ich euch Turteltäubchen allein.«

»Soll ich dich nach Hause begleiten?«, fragte Angela besorgt.

Tess war schon Mitte siebzig und hatte im vergangenen Jahr ein künstliches Kniegelenk bekommen. Die Vorstellung, dass sie in der Dunkelheit allein über das holprige Pflaster von Asenzas Altstadt zur Villa Serena hinübergehen würde, bereitete ihr Unbehagen.

»Gianni wird mich begleiten«, entschied Tess. »Nicht wahr, mein Junge?«

»Naturalmente«, ertönte es von der Küchentür.

Emilia hatte beschlossen, die Küche und alles andere am nächsten Morgen aufzuräumen. Sie und ihr Sohn nahmen Tess in die Mitte, und so untergehakt verließen die drei die Seidenvilla. Angela schloss das Tor ab und zog Vittorio ins Haus, die Treppen hinauf zu ihren Wohnräumen im ersten Stock.

»Ich habe dich so vermisst«, sagte Vittorio, als er sie im Schlafzimmer in seine Arme schloss. »Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen!«

»Drei Tage«, flüsterte Angela, als er ihr den Reißverschluss am Rücken öffnete und ihr aus dem Kleid half.

»Drei verdammt lange Tage«, wiederholte er. »Die können eine Ewigkeit sein, wenn du nicht bei mir bist.« Und dann ließen sie ihre Hände sprechen, ihre Lippen und ihre Körper sich begegnen. Wohlig. Zärtlich. Leidenschaftlich.

»Ich liebe dich«, flüsterte Vittorio, als sie schließlich ermattet und glücklich an seine Seite geschmiegt dalag und ihren Kopf in seine Armbeuge bettete.

»Und ich liebe dich«, antwortete sie leise und rückte noch ein wenig näher, was kaum möglich war. Sie atmete tief den Duft seines Körpers ein, nach Sandelholz und feuchtem Moos oder Moschus, war kurz davor einzuschlummern, als plötzlich der Signalton ihres Handys den Eingang einer neuen Nachricht verkündete. Vittorio brummte verschlafen, doch Angela war auf einmal wieder hellwach.

»Du gehst doch da jetzt nicht mehr ran?«, murmelte er, als sie ihren Arm in Richtung Nachttisch ausstreckte.

»Ich muss«, flüsterte sie betreten. »Das ist Nathalies Klingelton.«

Vittorio war sofort hellwach. »Es wird doch nichts passiert sein?«, fragte er besorgt.

Angela griff nach dem Smartphone.

Mami, ich glaube, ich kann morgen nicht zur Villa Castro kommen, las sie. Mir geht’s gar nicht gut.

2

Die Principessa

Als Angela die Augen aufschlug, war schon heller Tag. Der Duft von Kaffee drang in ihr Bewusstsein, und als sie den Kopf wandte, entdeckte sie ein Tablett mit Joghurt, frischen Brioches, Tassen samt Leinenservietten auf dem kleinen Beistelltisch, der normalerweise unter dem Fenster stand. Eine Welle der Zärtlichkeit durchflutete sie. Wie so oft war Vittorio schon zur pasticceria Belmondo gegangen und hatte ihr Lieblingsgebäck für sie besorgt.

»Buongiorno! Wie hast du geschlafen?«

Vittorio trug vorsichtig eine noch zischende Espressokanne ins Schlafzimmer und goss die brodelnde Flüssigkeit in die Tassen.

»Es ging«, antwortete Angela, gerührt über seine Fürsorge, und setzte sich auf.

In Wirklichkeit hatte sie furchtbar schlecht geschlafen. Sie hatte mehrfach versucht, Nathalie telefonisch zu erreichen. Ohne Erfolg. Natürlich stimmte es, wenn Vittorio sagte, dass Nathalie eine vernünftige junge Frau war und nicht zu unüberlegten Handlungen neigte. Aber gerade das beunruhigte Angela noch mehr. Wenn Nathalie nachts um eins einen Termin absagte, von dem sie wusste, wie wichtig er ihrer Mutter war, musste einiges im Argen liegen.

Sie waren das perfekte Team, sie und ihre Tochter. Wenn es darum ging, die Seidenvilla nach außen zu vertreten, war Nathalie stets an ihrer Seite. Jedenfalls bislang gewesen. Ihre Tochter hatte die wunderbare Gabe, ihr den Rücken freizuhalten und ihr zugleich Sicherheit zu vermitteln. Sie war es, die stets Ruhe bewahrte, wenn es hektisch wurde, und ihre Mutter auch notfalls abzuschirmen verstand, wenn jemand sie zu sehr in Beschlag nehmen wollte. Und Nathalie wusste genau, wie wichtig sie für Angela war. Dass sie für das große Ereignis in der Villa Castro absagte, musste schwerwiegende Gründe haben.

»Du machst dir Sorgen.« Vittorio betrachtete sie forschend aus seinen dunklen Augen. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Er konnte in ihr lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch.

»Ja«, sagte sie mit einem Seufzen und nahm die Tasse entgegen, die er ihr reichte. »Es muss etwas passiert sein. Sonst hätte Nathalie nicht abgesagt.«

»Vielleicht bekommst du sie ja heute Morgen ans Telefon.«

»Sie wird sich melden«, sagte sie und atmete tief ein. »Ich hab schließlich auf ihre Mailbox gesprochen.« Ja, wenn sie es sich recht überlegte, sogar drei Mal. »Wenn sie so weit ist und reden will, ruft sie an.«

Sie fuhr zusammen, als sich ihr Smartphone erneut mit jener unverkennbaren Tonfolge meldete, die Angela für die Nachrichten ihrer Tochter eingerichtet hatte. Das Gerät vibrierte auf dem Nachttisch, dann lag es wieder still. Angelas Hand zitterte, als sie danach griff.

Ich brauche Zeit für mich, Mami, hatte Nathalie geschrieben. Bitte sei nicht böse.

»Vielleicht hat sie sich verliebt und erlebt einen Honeymoon«, mutmaßte Vittorio. »Du weißt doch, wenn die Liebe zuschlägt …«

Angela schüttelte den Kopf. Nathalie würde sie niemals wegen einer neuen Liebe hängen lassen. Sie kannte ihre Tochter. Irgendetwas musste passiert sein. Und es tat weh, dass Nathalie offenbar beschlossen hatte, die Sache mit sich allein auszumachen. Teilten sie ihre Freuden und Nöte nicht immer miteinander? Oder … Womöglich dachte sie das nur. Was konnte so schlimm sein, dass Nathalie es ihrer Mutter nicht erzählen wollte?

Angela hatte nicht viel Zeit, sich weiter zu sorgen. Es war schon elf, so lange hatte sie seit einer Ewigkeit nicht mehr geschlafen. Nachmittags um fünf würden hundertvierundzwanzig handverlesene Gäste aus Vittorios Kundenkartei zum Cocktailempfang im Rosengarten der Villa Castro erscheinen, sie alle hatten die Rückmeldungskarten aus schwerem Bütten mit ihrer Unterschrift versehen zurückgeschickt. Die Empfänge der Firma Fontarini waren legendär, wer dazu eingeladen wurde, konnte sich zu einem erlesenen Kreis zählen und brachte entsprechende Ansprüche mit. Angelas Herz begann zu flattern, als ihr klar wurde, dass sie an diesem Tag ganz allein vor die potenzielle Klientel treten müsste.

»Was heißt hier allein«, widersprach Vittorio, als sie ihm ihre Sorgen anvertraute. Er schloss sie zum Abschied fest in seine Arme, ehe er aufbrach, um am Ort des Geschehens nach dem Rechten zu sehen. »Schließlich bin ich bei dir.«

»Natürlich«, räumte Angela ein und gab ihm einen zärtlichen Kuss. »Aber du bist Hausherr und Gastgeber. Du musst dich um andere Dinge kümmern.«

Zum Glück hatte sie alles von langer Hand vorbereitet: Am Schrank hing das neue Kleid aus Seide in der Farbe von Rosenquarz, das sie tragen würde, auch die passenden Schuhe standen bereit. Die Seidenstrümpfe, von denen für alle Fälle ein zweites neues Paar in einem Spezialfach ihrer Handtasche steckte, hatte sie ebenfalls am Tag zuvor zurechtgelegt. Fioretta hatte für sie einen Termin bei Edda gemacht, der Friseurin, die ihren Salon drei Türen weiter hatte. Und auf einmal kam Angela die rettende Idee. »Ich werde Fioretta bitten mitzukommen«, erklärte sie. »Genau. Wofür ist sie meine Assistentin.«

»Ich würde das wirklich gern tun«, erklärte Fioretta nach kurzem Zögern, als Angela ihr am Telefon die Lage schilderte. »Aber … ich hab überhaupt nichts Passendes anzuziehen.«

»Wenn es nur daran liegt, könntest du etwas von Nathalie anprobieren.«

Die beiden jungen Frauen waren eng miteinander befreundet, Angela konnte sicher sein, dass ihre Tochter nichts dagegen haben würde, Fioretta eines ihrer Kleider auszuleihen.

»Nathalie ist einen Kopf größer als ich«, wandte die junge Frau ein. »Wir haben das schon einmal getestet. Das wird leider nichts.« Sie hatte recht. Doch da fiel Angela etwas anderes ein.

»Ich hab dich neulich in einem schönen schwarzen Kleid gesehen«, sagte sie.

»Bei der Beerdigung von meiner Großtante?« Fioretta klang nicht begeistert. »Das ist total langweilig!«

»Nein, es ist schlicht, nicht langweilig«, widersprach Angela. »Es steht dir sehr gut. Weißt du was? Komm rasch rüber, wir probieren es aus. Mit einer von Lidias Seidenstolen wirst du sehr elegant aussehen. Immerhin haben wir den ganzen Laden voller Seidentücher, da finden wir bestimmt etwas.«

Angela behielt recht. Zum Glück hatte Fioretta wenigstens dieselbe Schuhgröße wie Nathalie, und mit den passenden Pumps wirkte das einfach geschnittene Kleid wie ein elegantes Kleines Schwarzes.

Kurz nach zwölf betraten sie beide gemeinsam den Friseursalon.

»Du musst mir aus der Patsche helfen«, erklärte Fioretta Edda, die mit Anna einst zur Schule gegangen war. »Nicht nur Signora Angela braucht eine erstklassige Frisur, du musst auch meinen Wuschelkopf irgendwie aufpeppen.«

Edda lachte schallend.

»Du hat die hübschesten Haare weit und breit, Fioretta«, behauptete sie. »Eine Menge Frauen lassen viel Geld bei mir liegen, damit ich ihnen eine solche Lockenpracht verpasse, wie sie dir der liebe Gott geschenkt hat. Aber komm her, ich weiß, was du meinst.«

Sie wusch Fiorettas Haar, schnippelte ein wenig an den Spitzen, vor allem an jenen im Nacken, herum, massierte ein duftendes Produkt aus einer großen knallrosafarbenen Plastikflasche in die feuchte Fülle und föhnte sie im Nu zu einer frechen Frisur. Dann knetete sie die Locken mit einem anderen Produkt durch, sodass Fioretta aufschrie.

»Du machst ja alles wieder kaputt!«

»Nein, ich modelliere deine Frisur«, entgegnete Edda, und am Ende sah die junge Frau aus wie ein Topmodel, vor allem, nachdem Edda ihr noch ein dezentes Make-up aufgelegt hatte.

»Finito!«, rief sie und nahm Fioretta schwungvoll den Frisierumhang ab. »Jetzt kommt la bellezza nordica dran.« Mit einem Grinsen winkte sie die errötende Angela auf den Platz vor dem Spiegel. »Soll ich Ihnen die Haare hochstecken?« Prüfend trat sie hinter Angela und nahm probehalber das goldblonde, seidige Haar in die Hände. »Oder lieber mit dem Lockenstab schön in Form bringen?«

»Hochstecken!«

»In Form legen!«

Angela und Fioretta lachten. Sie hatten spontan gleichzeitig ihre Meinung gesagt.

»Vielleicht verratet ihr mir mal, für welchen Anlass ich euch überhaupt so schick mache. Dann kann ich Sie auch besser beraten, Signora Angela.«

Fioretta wechselte einen kurzen Blick mit ihrer Chefin. »Wir müssen heute die Reichen und Schönen von ganz Italien beeindrucken, damit sie bei uns Seide bestellen. Eine Menge Hochadel wird darunter sein.«

Edda pfiff wenig damenhaft durch die Zähne.

»Nun, das bringt mich auf eine Idee. Ich finde ohnehin, dass Sie große Ähnlichkeit mit Grace Kelly haben.« Sie lächelte. »Doch!«, fügte sie rasch hinzu, als Angela widersprechen wollte. »Und wenn Sie einverstanden sind, frisiere ich Ihnen die Haare so, wie sie sie immer trug. Wie eine echte Fürstin! Lassen Sie mich nur machen.«

»Nun gut«, gab Angela nach. »Aber es darf nicht länger als eine halbe Stunde dauern!«

Eine Dreiviertelstunde später rollte Angelas Wagen durch das Tor von Asenza, das noch aus dem Mittelalter stammte und die città vecchia von der Neustadt trennte. Neben ihr saß Fioretta, unter ihrem Make-up vor Aufregung ganz bleich.

»Du hältst dich einfach immer an meiner Seite«, erklärte Angela. »Deine Aufgabe ist es, unsere Visitenkarten an die zu verteilen, die Interesse zeigen. Vittorio wird uns eine Menge Leute vorstellen, und es wäre großartig, wenn du dir die Gesichter einprägen könntest. Lucrezia, das ist Vittorios Assistentin, wird stets bei uns sein und uns die Namen der Ankommenden nennen. Außerdem hat sie einen Fotografen engagiert, von dem wir später Abzüge bekommen. Sie wird dir helfen, die Namen zuzuordnen. Aber es wäre natürlich toll, wenn wir uns die meisten gleich merken könnten.« Sie verstummte kurz, dachte wehmütig und voller Sorge an Nathalie, die in solchen Sachen einfach unfehlbar war. »Bitte achte auch darauf, dass an den entsprechenden Stellen, die Lucrezia dir zeigen wird, ausreichend Exemplare von unserem neuen Werbeflyer liegen. Vielleicht kannst du der jungen Dame von Vittorios Büro am Ende beim Verteilen der Präsente helfen, damit kein weiblicher Gast ohne einen Fächer nach Hause geht.«

»Ach, die hatte ich ja ganz vergessen«, bekannte Fioretta. »Sind sie denn schon geliefert worden?«

»Fedo hat mir geschworen, dass sie rechtzeitig in der Villa ankommen werden.«

Sie hatten über Monate hinweg Seidenreste gesammelt und der Designer hatte eine Manufaktur beauftragt, die daraus hochwertige Fächer fertigen sollte. Sie würden allerdings erst in letzter Sekunde fertig werden.

»Ich kümmere mich darum!« Fiorettas Augen leuchteten. »Und ansonsten nehme ich dir alles ab, was man dir in die Hand drücken mag. Ich achte darauf, dass du nicht allzu lange von Wichtigtuern vollgequatscht wirst, versorge dich immer mit einem frischen Glas Sekt …«

»… Wasser«, korrigierte Angela ihre junge Mitarbeiterin mit einem Lächeln. »Nichts als Wasser. Und zwar am liebsten ohne Kohlensäure.«

»Wasser also«, echote Fioretta und zog ihre hübsche, sommersprossige Nase kraus. »Aber jetzt verrate mir doch bitte eines: Was hat Nathalie so Wichtiges zu tun, dass sie ausgerechnet heute nicht kommen kann?«

Angela tat so, als müsste sie sich aufs Fahren konzentrieren. Dabei kamen ihr kaum Autos entgegen.

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie schließlich leise. Sie konnte fühlen, wie Fioretta sie überrascht von der Seite ansah, und ihre Kehle wurde eng vor Beklemmung. Du lieber Himmel, dachte sie. Ich fahre hier fröhlich zu einem Verkaufsevent, dabei steckt meine Tochter möglicherweise gerade in Schwierigkeiten. Hätte sie vielleicht doch nach Padua fahren sollen? Aber nein. Wenn Nathalie das gewollt hätte, dann hätte sie es ihr mitgeteilt. »Sie hat geschrieben, dass sie Zeit für sich braucht«, erklärte Angela nach kurzem Zögern. »Und das will ich natürlich respektieren.«

Die Villa Castro war ein wahres Kleinod aus der Spätrenaissance, erbaut von einem Schüler des berühmten Künstlers und Architekten Andrea Palladio und seit Urzeiten im Besitz der Familie Fontarini. Zu seiner Freude und auch zu seinem Leidwesen hatte die Principessa ihrem einzigen Sohn Vittorio dieses Anwesen, in dessen Erhaltung er unermüdlich investieren musste, bereits vor vielen Jahren übertragen. Dabei besaß die Familie keine großen Reichtümer, wenn man einmal von einigen sehr alten, aber auch stets sanierungsbedürftigen und daher eher kostspieligen Immobilien absah. Vittorio verdiente sein Geld mit seiner kleinen Firma für Inneneinrichtungen, die mal schlechter, mal besser lief.

Wie ein kleiner Palast thronte das Bauwerk mit dem kreuzförmigen Grundriss, über dessen Mitte sich eine hohe Kuppel wölbte, am Ende einer Pappelallee, deren Abzweigung von der Hauptstraße in Richtung Treviso man leicht übersah. Das war Vittorio gerade recht, bislang war es ihm gelungen, das Anwesen vor neugierigen Touristenaugen verborgen zu halten. Die Villa tauchte in keinem Reiseführer auf, noch war der unscheinbare Zufahrtsweg in Navigationssystemen erfasst. Denn das Letzte, was Vittorio wollte, waren kunstbeflissene Besucher, die sich die Nasen an den Fenstern des Anwesens plattdrückten oder durch die Rabatten trampelten.

Es war gegen drei Uhr nachmittags, als Angela den Wagen im Schatten einer Zypresse abstellte. Im Rosengarten herrschte emsige Betriebsamkeit. Ein historisches Zelt, das nach Abbildungen aus der Renaissance angefertigt worden war, überspannte den runden, kiesbedeckten Platz im Zentrum der symmetrisch angeordneten Rosenbeete, wo sich schon die Blüten der frühen Sorten in verschwenderischer Fülle geöffnet hatten. In diesem Zelt wurde gerade das Buffet aufgebaut, und hier würden die Gäste zunächst empfangen werden.

Direkt gegenüber befand sich die Freitreppe zum Eingang der Villa, und auf diese gingen Fioretta und Angela nun eilig zu. Was Fedo sich wohl für die Seidenstoffe ausgedacht haben mochte? Angela hoffte, dass die vierundzwanzig Seidenschals in den vollständig mit Fresken ausgemalten Räumen überhaupt zur Geltung kommen würden. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, die Farben auf die Wandmalereien abzustimmen, doch jetzt fragte sie sich, ob es nicht besser gewesen wäre, mit modernen, satten Tönen dagegenzuhalten. Sogleich verwarf sie diesen Gedanken wieder. Knallige Farben kamen in Orsolinas Rezeptsammlung nicht vor. Die Seidenvilla verwendete ausschließlich Färbemittel pflanzlichen oder mineralischen Ursprungs. Das machte den Zauber ihrer Seide aus. Und entweder sie vertraute darauf oder nicht.

Fioretta war in der Mitte des Vestibüls stehen geblieben und sah sich mit vor Staunen halb geöffnetem Mund um. Angela konnte sich gut an ihren ersten Besuch in der Villa Castro erinnern und wie beeindruckt sie selbst damals gewesen war. Säulen gliederten den Raum und stützten an der Decke Kreuzgewölbe, die ebenfalls mit Fresken verziert waren. Ein lichtes Blau täuschte einen Himmel mit zarten Wölkchen vor, an dem Engel tanzten, Girlanden hielten und mit Vögeln spielten.

»Incredibile«, raunte Fioretta. »Einfach unglaublich!«

»Ja, das erste Mal haut es einen fast um«, murmelte Angela mit einem Lächeln.

Dann entdeckte sie die sechs Seidentücher in den unterschiedlichen Blautönen, die Fedo mit unsichtbaren Fäden wie kleine Baldachine von der Decke hatte hängen lassen, sodass sie wirkten, als schwebten sie im Raum, und zwar gerade so weit über ihrem Kopf, dass sie sie nicht berühren konnte. Im Licht der vielen Kristalllüster schimmerte die Seide, dass es eine Freude war.

»Gefällt es dir?« Fedo stand plötzlich hinter ihnen und strahlte über das ganze Gesicht. Er trug wie immer eine weiche schwarze Lederhose, statt des obligatorischen T-Shirts an diesem Tag jedoch ein elegantes weißes Leinenhemd.

»Und wie mir das gefällt!« Angela ließ sich von dem Designer auf die Wangen küssen. »Das passt so perfekt in diesen Raum, dass ich Sorge habe, dass die Gäste die Proben gar nicht bemerken werden«, wandte Angela ein.

Fedo nickte. »Deswegen haben wir Ventilatoren installiert, die einen leichten Wind erzeugen, sodass die Seide in Bewegung gerät. Pass auf, wir führen es euch im nächsten Raum vor, da ist schon alles fertig.«

Die beiden Frauen folgten ihm nach nebenan in einen Saal, der über und über mit Blumen bemalt war und wie eine weinumrankte Laube mitten in einem riesigen Garten wirkte. Hier waren die in Grüntönen gefärbten Tücher wie Fahnen zwischen die Säulen gespannt und unterstrichen damit die durch die Malerei erzeugte Raumwirkung. Fedo rief einem Mitarbeiter ein paar Worte zu, und schon begannen die Tücher sich zu bewegen, erst sanft, dann sah es aus, als liefen Wellen durch die Seidenbahnen.

»Als würde ein leichter Sommerwind wehen«, sagte Fioretta begeistert.

»Wir haben außerdem verborgene Scheinwerfer an den Säulen angebracht«, erklärte Fedo. »Siehst du, wie das funkelt?«

»O ja, absolut fantastisch«, sagte Angela. »Schade, dass meine Weberinnen das nicht sehen können«, fügte sie bedauernd hinzu.

Fioretta nickte.

»Wir werden es filmen«, versprach Fedo und winkte eine elegante Dame mit einem Tablet in der Hand zu sich. »Nicht wahr, Lucrezia?«

Wie immer wirkte Vittorios persönliche Assistentin wie aus dem Ei gepellt. Angela fragte sich oft, wie Lucrezia, die die sechzig bereits überschritten hatte, es anstellte, dass ihr dunkler Nackenknoten stets so perfekt wirkte, als käme sie gerade aus Eddas Salon. Ihre Begrüßung war freundlich und routiniert, doch wie immer ohne Wärme in den Augen. Das ist ihre Art, hatte Vittorio geantwortet, als sie ihn einmal darauf angesprochen hatte, ob Lucrezia womöglich etwas gegen sie hatte. So behandelt sie alle. Sogar mich. Und auch wenn Lucrezia nicht mal den kleinsten Anlass für diese Vermutung bot, wurde Angela das Gefühl nicht los, dass diese undurchdringliche Frau gewisse Vorbehalte gegen sie hegte.

»Natürlich wird gefilmt und fotografiert«, versicherte sie Angela jetzt und tippte auf dem Tablet herum. »Signor Fabiano kommt in einer halben Stunde. Ich werde ihn einweisen.«

Angela bedankte sich höflich, und Lucrezia eilte weiter.

»Attenzione, jetzt kommt der Höhepunkt«, verkündete Fedo stolz und winkte sie durch eine weitere Tür.

Angela war schon oft in der Villa gewesen, und doch konnte sie sich des gewaltigen Eindrucks dieses zentralen, kreisrunden Saales nie entziehen. Fioretta stieß Laute des Entzückens aus, als sie die Rotunde betraten, in die von oben durch die verglaste Kuppel strahlendes Sonnenlicht auf sie herunterfiel.

»Das ist … das ist ja wie in einer Kirche!«, rief die junge Frau aus und drehte sich um ihre eigene Achse.

Rings um die Glaskuppel war eine riesige Sonne an die Decke gemalt worden. Mythologische Szenen, die alle etwas mit diesem Thema zu tun hatten, gruppierten sich darum herum. Da war Helios auf seinem Sonnenwagen, Phaeton, der den Wagen seines Vaters im Übermut dem Sonnenfeuer zu nahe brachte, sodass er Feuer fing, ein stürzender Ikarus, dessen mit Wachs zusammengehaltene Flügel in der Hitze schmolzen, Eos, die Göttin der Morgenröte, und ihre Schwester Selene, die Mondgöttin. Und wie zu einem Baldachin zur Mitte hin ausgerichtet schwebten hier die zwölf Tücher in den unterschiedlichen Schattierungen von Gelb bis Rot.

»Wie findest du das?«, fragte Fedo gespannt.

»Fantastisch!«, rief Angela. »Du hast dich mal wieder selbst übertroffen. Keine Ahnung, wie es euch gelungen ist, die Tücher so aufzuhängen, dass man den Eindruck hat, dass sie schweben.«

»Wir haben mit einer kleinen Spezialhebebühne gearbeitet«, verriet der Designer. »Im Grunde hatte ich nur die Idee. Ausgeführt hat es Peppino mit seiner Truppe. Schau, da kommt er gerade. Darf ich euch einander vorstellen?«

Ein gestresst wirkender Mann mit der Figur eines Tänzers wollte eben mit einem dunkelblauen Seidentuch, das Maddalena gewoben hatte, in der Hand an ihnen vorübereilen, eine junge Kollegin im Schlepptau, auf die er aufgeregt einredete. Als Fedo ihm Angela vorstellte, wandelte sich seine angespannte Miene.

»Wundervolle Stoffe, Signora!«, rief der Dekorateur. »Aber bitte seien Sie nicht böse, wir müssen weitermachen. Eines der Tücher ist leider heruntergefallen. Wir werden die Fäden neu befestigen. Zum Glück kommen wir im Vestibül mit der Leiter klar …«

Und damit verschwand er mit seiner Kollegin eilig durch eine Tür, hinter der sich, wie Angela wusste, das Skulpturenkabinett der Familie Fontarini befand.

»Ich fürchte, die verfluchen mich gerade wegen meiner Idee.« Fedo grinste breit und wirkte sehr zufrieden mit sich. »Aber das ist immer so. Am Ende kriegen sie alles hin, und es sieht großartig aus. Hier in der Mitte wird übrigens gleich ein weiteres Catering aufgebaut.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Ich muss mal nachsehen, wo die bleiben. Angela, ich kann euch hier allein lassen, vero? Du kennst dich ja aus. Vittorio müsste hier auch irgendwo herumschwirren.« Sein Blick streifte kurz Angelas Kleidung, sie trug noch immer ihre bequemste Jeans und eine leichte Baumwollbluse. »Du … ziehst dich noch um?«

Angela nickte und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Natürlich, Fedo, keine Sorge! Und für Fioretta haben wir ebenfalls noch etwas anderes anzuziehen dabei.«

»Scusami«, rief er beschämt aus. »Das ist eben meine … Wie nennt man das? Professionelle Deformation. Einmal Designer, immer Designer.« Und schon war er weg.

Hätte er mir tatsächlich zugetraut, dass ich die Firma in Jeans und Bluse präsentiere?, fragte sie sich irritiert. Doch da betrat Vittorio gerade den Kuppelsaal und kam mit offenen Armen auf sie zu.

»Ihr seht beide fantastisch aus«, begrüßte Vittorio sie bewundernd. »Irgendwie erinnert mich deine Frisur an jemanden …«

»An die Fürstin von Monaco?«

»Genau, Fioretta! Sieht Angela ihr nicht wahnsinnig ähnlich? Dass mir das noch nie aufgefallen ist!«

»Ach, was ihr nur alle habt«, sagte Angela verlegen. »Ich sehe aus wie ich. E basta!«

»Ich geh mal eben die Taschen holen«, schlug Fioretta vor. »Wo werden wir uns umziehen?«

»Dort sind die Privaträume«, erklärte Vittorio ihr und wies auf eine der vier Türen, von denen sich je zwei gegenüberlagen.

»Darf ich dich küssen, oder zerstöre ich damit dein Make-up?«, fragte er Angela, nachdem Fioretta sich entfernt hatte.

»Nichts kann wichtiger sein als ein Kuss«, antwortete sie zärtlich.

Vorsichtig berührte er mit seinen Lippen ihre Stirn, ihre Augenwinkel und den Mund, zart wie ein Schmetterling. »Übrigens lernst du heute endlich meine Mutter kennen«, flüsterte er nah an ihrem Ohr.

»Wirklich?« Costanza Fontarini hatte bereits zwei Verabredungen zu Abendessen kurzfristig wegen anderweitiger Verpflichtungen absagen müssen. »Bist du sicher, dass sie es heute schafft?«

Vittorio zuckte mit den Schultern. »Das weiß man bei meiner Mutter nie so genau«, gestand er mit einem entschuldigenden Lächeln. »Aber mein Gefühl sagt mir, dass sie inzwischen neugierig auf dich geworden ist.«

Auch das noch, dachte Angela. Das Letzte, was sie an diesem Tag gebrauchen konnte, waren die prüfenden Blicke einer potenziellen Schwiegermutter. Was heißt schon Schwiegermutter?, rief sie sich zur Ordnung. Aus dem Alter, sich darüber Sorgen zu machen, war sie wahrlich heraus. Vittorio und sie waren ein Paar. Heiraten mussten sie deswegen noch lange nicht. Also konnte ihr egal sein, was seine Mutter von ihr dachte. Und doch fühlte sie, wie sich eine neue Art von Nervosität in ihr ausbreitete.

Dem Skulpturenkabinett gegenüber befanden sich Vittorios Privaträume, die später für die Besucher geschlossen werden würden. Es gab zwei Schlafzimmer, beide mit einem eigenen Bad ausgestattet, und einen kleinen, dazwischenliegenden Salon. Die historischen Malereien an diesen Wänden waren dezent in zartem Gelb und lichtem Graublau gehalten und dominierten die Räume bei Weitem nicht so wie im vorderen, repräsentativen Teil der Villa. Angela zeigte Fioretta das Gästezimmer, in dem sie sich später in aller Ruhe umziehen konnte, und beschloss, noch rasch hinüber ins Skulpturenkabinett zu gehen, um sich zu vergewissern, dass Maddalenas Tuch auch keinen Schaden genommen hatte.

In der großen Rotunde wurden gerade Tischsegmente so aufgestellt, dass sie direkt unter der Kuppel eine kreisrunde Tafel ergaben. Drei Männer arbeiteten konzentriert daran, und Angela sah, während sie einen weiten Bogen um sie schlug, dass sie ein eingespieltes Team waren, bei dem jeder Handgriff saß. Dann öffnete sie die Tür, hinter der der Dekorateur zuvor verschwunden war.