Im Interesse der Sache - Alexander Solschenizyn - E-Book

Im Interesse der Sache E-Book

Alexander Solschenizyn

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Beschreibung

Alexander Solschenizyn erzählt hier eine altbekannte Geschichte. Voller Begeisterung stürzen sich die jungen Schüler in den Bau ihrer neuen Schule, alles soll besser und schöner werden. Am Ende stellt sich jedoch heraus, dass der Bau nie als Schule gedacht wird und auf Anordnung der Parteioberen eine andere Institution dort ihre Heimat finden soll… Auch in dieser Erzählung bleibt Solschenizyn seiner Berufung als Chronist der Sowjetherrschaft treu.

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Neuauflage einer früheren Ausgabe

 

Übersetzung aus dem Russischen von Heddy Pross-Weerth

 

ISBN 978-3-492-97855-2

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© 1994–1995 Alexander Solzhenitsyn

Die Originalausgabe der Erzählungen erschien 1994 unter dem Titel »Ego« und »Na Krajach« in der Zeitschrift »Nowyj mir«, 5/1995 .

© der deutschsprachigen Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 1996

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

 

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Inhalt

Cover & Impressum

1 - »Fainotschka, wer hat ‎…‎

2 - »… Na, wer will ‎…

3 - Anderthalb Stunden später ‎…

4 - Alles war so plötzlich ‎…

5 - Niemand hatte den Studenten ‎…

6 - Iwan Kapitonowitsch Gratsdhikow liebte ‎…

1

»Fainotschka, wer hat den Stundenplan für die Elektriker?«

»Wozu brauchen Sie ihn denn, Sie sind doch Funker?«

»Faina Valerianowna, Ausgangsniveau – minus zwanzig Dezibel. Das ist unser neuer Kollege – für ihn brauch’ ich den Stundenplan.«

»Verzeihung. Was werden Sie bei uns unterrichten?«

»Kraftanlage. Und Theorie des elektrischen Antriebs.«

»So ein Lärm, man kann kein Wort verstehen. Das nennt sich Lehrerzimmer! Dort ist der Stundenplan, in der Ecke, dort sehen Sie nach.«

»Susanna Samoilowna! Guten Tag!«

»Lidia Georgijewna? Lidotschka! Fabelhaft sehen Sie aus! Wo waren Sie denn im Sommer?«

»Ja, wo – auf dem Bau, den ganzen Juli!«

»Auf dem Bau? Hatten Sie Urlaub oder hatten Sie keinen?«

»So gut wie keinen. Drei Wochen statt acht. Na, ich bedaure es nicht. Sie sehen aber ein bißchen blaß aus.«

»Grigori Lawrentjewitsch! Wie denn, haben die Elektriker nur für zwei Tage einen Stundenplan?«

»Für alle Fächer nur bis zum zweiten September. Vorläufig. Genossen, wer geht denn da weg? Genossen! Achtung! Ruhe! Ich wiederhole: Fjodor Michejewitsch hat gebeten, daß keiner weggeht.«

»Wo ist er?«

»Im neuen Gebäude. Er kommt gleich zurück, wir werden besprechen, ob wir umziehen oder nicht.«

»Das muß doch schnell gehen! Die Auswärtigen treffen schon ein. Sollen wir sie in Privatwohnungen unterbringen? Oder bekommen wir ein Studentenheim?«

»Weiß der Kuckuck! Wieder bis zur letzten Minute. Warum wird bei uns nie etwas rechtzeitig gemacht?«

»Ja, Marja Diomidowna, ich bekomme im neuen Schulgebäude zwei Räume, genug! Einen für die theoretischen Grundlagen der Elektrotechnik, den andern für die elektrischen Meßgeräte.«

»Und ich auch: die Elektronen- und Ionengeräte extra, bloß die Isolationsstoffe bleiben bei der Beleuchtungstechnik.«

»Na ja, für Sie freue ich mich am meisten. Sie haben doch kein Laboratorium, sondern einen Aufbewahrungsort für noch nicht ganz zerteppertes Glasgeschirr.«

»Und alles in Kisten – im Gang, im Keller stehen sie herum, fürchterlich! Aber da haben wir Wandbretter angebracht, und die Sache klappt – die Ignitronen, die Thyratronen, die Generatorröhren. Alles schön an seinem Platz.«

»Machen Sie doch die Zigarette aus, Vitali! Bevor man raucht, fragt man erst die Damen um Erlaubnis.«

»Darf ich Ihnen unsern neuen Lehrer vorstellen: Anatoli Germanowitsch, Ingenieur. Und das ist Susanna Samoilowna, Leiterin des Lehrstuhls für Mathematik.«

»Hören Sie auf mit Ihren boshaften Witzen! Was bin ich schon für ein Lehrstuhlleiter?«

»Nun dann, Vorsitzende der Fachkommission. Auch kein großer Unterschied! Und das ist Lidia Georgijewna, eine sehr typische Mitarbeiterin in unserem Technikum.«

»Ganz untypisch, glauben Sie ihm nicht! Sie werden schon am ersten Tag typischer sein als ich.«

»Das schließen Sie nach meinem Äußeren? Hab’ ich das nicht meiner Brille zu verdanken?«

»Ja, weil Sie Ingenieur sind und natürlich profiliert.

Mich kann man leicht ersetzen, ich bin hier sozusagen ein überflüssiger Mensch.«

»Was unterrichten Sie?«

»Russisch. Und Literatur.«

»Lidia Georgijewnas Lächeln aber verrät Ihnen sogleich, daß sie sich durchaus nicht für einen überflüssigen Menschen hält. Fangen wir damit an, daß sie der führende Geist unserer Jugend ist.«

»Ach so? Die Jugend hat Sie gewählt?«

»Nein, mich hat das Parteibüro ernannt. Ich bin vom Parteibüro dem Komsomolkomitee zugeteilt.«

»Aber Lidotschka, seien Sie doch nicht so bescheiden. Die Komsomolzen haben ausdrücklich Sie verlangt. Und schon vier Jahre hintereinander.«

»Ich fügte hinzu: die Hälfte des Erfolges bei dem Neubau schreibe ich persönlich Lidia Georgijewna zu …«

»Jetzt wollen Sie sich wohl über mich lustig machen?«

»Ich versteh’ nicht recht – wer hat das neue Gebäude gebaut? Ein Trust etwa? Oder Sie selbst?«

»Sowohl ein Trust als auch wir selbst; das ist eine ganze Geschichte.«

»Erzählen Sie doch, Lidia Georgijewna. Wir müssen ja sowieso warten.«

»Uns wurde erklärt: der Trust hat dieses Jahr nicht genug Geld für alle Arbeiten. Er wird noch zwei Jahre lang bauen. Wir haben gefragt – können wir helfen? Jawohl, das könnt ihr! Dann bekommt ihr am ersten September euren Neubau! Und wir packten zu! Haben eine Vollversammlung der Komsomolzen abgehalten …«

»Wo kann man denn hier Versammlungen abhalten?«

»In den Gängen, auf der Treppe, in den Hörsälen sind Lautsprecher; einen richtigen Saal natürlich … Also, die Versammlung fand statt. Madien wir’s? Wir machen’s! Wir bildeten Brigaden. Zuerst wurde für die Leitung jeder Brigade ein Lehrer bestimmt. Aber die Jungens protestierten! Nicht nötig, wir schaffen’s allein! Offen gestanden hatten wir zuerst ziemliche Angst wegen der Jüngsten, der Vierzehn- und Fünfzehnjährigen, die direkt von der Mittelschule kamen, daß sie nicht unter einen Kran geraten oder runterfallen. Na, die Erwachsenen hatten ein Auge auf sie, die Größeren wollten nichts davon wissen.«

»Und gab’s kein nutzloses Herumstehen?«

»Wir haben es nach Möglichkeit vermieden. Der Vorarbeiter gab dem Parteibüro für eine Woche die Listen, wann und wieviel Arbeiter gebraucht werden. Wir bildeten so eine Art Stab, der bestimmte, welche Brigade eingesetzt wird; an Wochentagen arbeiteten wir teils vor, teils nach dem Unterricht. Wir haben doch zwei Schichten. Und an vielen Sonntagen schafften wir auch. Es wurde beschlossen, daß jeder zwei Wochen von seinen Sommerferien auf dem Bau arbeiten soll. Bei den Auswärtigen bemühten wir uns, daß die zwei Wochen auf den Anfang oder das Ende der Ferien fielen, aber manche mußten doch mitten in den Ferien auf den Bau – und sie kamen.«

»Das ist ja erstaunlich.«

»Das ist gar nicht so erstaunlich. Erstaunlich ist, wie sich alle benommen haben. Nichts auszusetzen! Die Jungen und Mädchen waren wie ausgewechselt. Nicht nur wir – auch die Bauleute haben sich gewundert. Sie haben mir gesagt: Wir arbeiten schlechter, Ehrenwort.«

»Verblüffend.«

»Sie glauben nicht? Fragen Sie, wen sie wollen.«

»Ich zweifle nicht … Wahrscheinlich ist die Begeisterung ein natürlicher Zustand des Menschen und wohl auch der schönste. Nur ist das Wort bei uns so … so abgenutzt, so schal geworden. Wir gehen allzu unbedacht damit um, jedenfalls im Rundfunk. Im Betrieb höre ich meist: Was bekomme ich dafür? Wie wird es berechnet? Geben Sie mir’s schriftlich. Und niemand wundert sich. Keiner will zu kurz kommen.«

»Ja, was haben wir noch gemacht: haben den Bauentwurf abgezeichnet, ein Modell vom neuen Technikum angefertigt und es bei der Demonstration vorangetragen – als unser Wahrzeichen.«

»Lidia Georgijewna hat die gefühlsmäßige Seite beleuchtet, um aber richtig zu begreifen, muß man mit der wirtschaftlichen Seite der Frage beginnen. Unser Technikum besteht schon sieben Jahre, und seit man uns damals dieses Gebäude hinter der Eisenbahnlinie zugeteilt hat – damals lag es außerhalb der Stadt –, sind wir hier steckengeblieben. Später wurde ein ebenerdiger Flügel für die Werkstätten angebaut, außerdem bekamen wir ein Häuschen, ein halber Kilometer von hier – aber man konnte sowieso nichts Richtiges damit anfangen. Endlich erreichte Michejitsch, daß uns in der Stadt ein Grundstück überlassen wurde. Dort standen kleine Häuschen, die abgetragen werden mußten …«

»Das geschah natürlich im Handumdrehn?«

»Die Baugrube wurde ausgehoben und gleich zwei Fundamente auf einmal gelegt – für das Technikum und das Studentenheim nebenan. Als das Erdgeschoß halbwegs aufgeführt war, schlief alles ein. Und drei Jahre hintereinander konnten und konnten keine Mittel für den Weiterbau aufgetrieben werden. Einmal vergaß man, uns in eine Bauobjektliste einzutragen, dann wurde das Ministerium geteilt, dann wieder vereinigt, wir wurden einer andern Instanz unterstellt, inzwischen kamen Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und alles blieb beim alten. Kürzlich wurde der Volkswirtschaftsrat gegründet, zu dessen Kompetenzbereich wir nun gehören, der bewilligte uns ab ersten Juli vorigen Jahres das Geld für den Bau, und da …«

»Tante Dussja, machen Sie doch bitte das Fenster auf, die Männer haben hier ganz unverschämt das Zimmer vollgepafft.«

»Man kann doch nicht wegen jeder Zigarette rausgehen!«

»Das Lehrerzimmer ist nicht dazu da!«

»Und was für Arbeiten haben Sie gemacht?«

»Oh, sehr viele. Gräben vom Kesselhaus ausgehoben …«

»Ja, Gräben hauptsächlich. Für die Kabel, für … Und haben selber alles wieder zugegraben!«

»Dann haben wir Ziegel ausgeladen und in die Aufzugsbehälter gestapelt. Aus den Kellern die Erde rausgeschleppt.«

»Und den Bauschutt aus allen Stockwerken … Heizkörper, Rohre, Parkett in die Zimmer getragen, geschrubbt und gescheuert.«

»Kurz und gut, außer uns arbeiteten nur Baufachleute, keine Hilfsarbeiter.«

»Wir haben sogar unsere eigenen Fachleute angelernt. Eine Brigade von Stukkateurlehrlingen und eine von Anstreicherlehrlingen. Großartig, wie die das raushatten. Eine Augenweide!«

»Verzeihen Sie, kommt das von draußen? Wo wird da gesungen?«

Beim Kienspan zu sitzen

Macht uns keinen Spaß.

Die Kerzen und Leuchten –

Veraltet ist das.

Wir machen Lampen,

Die man nie gesehn hat,

Dioden!

Trioden!

Tetroden!

Pentoden!

Und Röhren aller Art.

»Sind das Ihre Studenten? Was singen sie denn?«

»Ich brauch’ gar nicht hinauszugucken und kann Ihnen sagen, daß es der dritte Kursus der Vakuumabteilung ist.«

»Verdammt, gut klingt das. Ich möchte sie gern sehen! Vom Fenster aus?«

»Kommen Sie her … Marianna Kasimirowna, darf ich Ihren Stuhl ein Stückchen rücken?«

»Aber nein, aber nein. Jetzt sind doch Kleider mit der ›Fäßchensilhouette‹ modern, haben Sie noch nicht gesehen? Schmale Taille, darunter hüftbetonte weichdrappierte Falten, nach unten zu wieder eng und bis zur halben Wade …«

»Ja, dort hinter dem Klosterbach, den See kenn’ ich, dort war ich oft, wieviel Karauschen hab’ ich da gefangen!«

»Lidotschka, drängen Sie nicht so, überall sitzen Leute.«

»Hierher, Anatoli Germanowitsch. Beugen Sie sich mal vor! Sehen Sie dort die Handvoll Mädchen und Jungen?«

Im Flugzeug, auf Raketen,

In jedem Menschenheim,

Auf Erden, auf andern Planeten

Kehrt die Elektronik ein.

Und alles Neue, was man kennt,

Eröffnet das Talent – lent – lent.

»Und wie die schmettern! Hundertprozentig überzeugt.«

Ende der Leseprobe