Im Kerker der Sehnsucht - Kimberly Killion - E-Book
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Im Kerker der Sehnsucht E-Book

Kimberly Killion

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Beschreibung

Gemeinsam trotzten sie der Gefahr - und begannen ein Spiel mit dem Feuer!

London 1483: Als die Henkerstochter Lizzy ein Dokument findet, das die Verantwortlichen hinter einem Komplott gegen den König enttarnt, flieht sie aus dem Tower. Der schottische Spion Broderick Maxwell nutzt die günstige Gelegenheit und schließt sich ihr an. Aufeinander angewiesen, formen die beiden auf der Flucht ein unsicheres Bündnis. Doch sosehr sie sich aus misstrauen, sie sind hilflos gegen das Verlangen, das zwischen ihnen aufflammt ...

Eine abenteuerliche Flucht durch das mittelalterliche England - eine Flucht voller Gefahren, aber auch voller Liebe und Leidenschaft.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.

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Seitenzahl: 503

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

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Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Anmerkungen der Autorin

Glossar

Danksagung

Weitere Titel der Autorin bei beHEARTBEAT:

Zauber der Highlands

Über dieses Buch

Gemeinsam trotzten sie der Gefahr – und begannen ein Spiel mit dem Feuer!

London 1483: Als die Henkerstochter Lizzy ein Dokument findet, das die Verantwortlichen hinter einem Komplott gegen den König enttarnt, flieht sie aus dem Tower. Der schottische Spion Broderick Maxwell nutzt die günstige Gelegenheit und schließt sich ihr an. Aufeinander angewiesen, formen die beiden auf der Flucht ein unsicheres Bündnis. Doch sosehr sie sich aus misstrauen, sie sind hilflos gegen das Verlangen, das zwischen ihnen aufflammt ...

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert

Über die Autorin

Kimberly Killion liebt schon seit Schulzeiten alles Tragische, Leidenschaftliche und Historische. Sie war mehr als fünfzehn Jahre lang Grafikdesignerin, bis sie den Farbpinsel gegen den Schreibstift eintauschte. Neben ihrer Schriftstellerei arbeitet sie als College-Dozentin in St. Louis. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann und zwei Kindern in Illinois, USA.

Kimberly Killion

Im Kerker der Sehnsucht

Aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Schilasky

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2008 by Kimberly Killion

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Her One Desire«

Originalverlag: KENSINGTON PUBLISHING CORP.

Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING COPR., New York, NY, USA

Für die deutschsprachige Erstausgabe:

Copyright © der deutschen Übersetzung 2010 by Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.

Redaktion: Kathrin Stachora

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG

unter Verwendung von Motiven © mareciok/ iStock / Getty Images Plus; PeriodImages.com; milovanov/ iStock / Getty Images Plus

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-2042-7

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Tim –du wirst stets das Herzassin meinem Royal Flush sein

Kapitel 1

London, Ostern 1483

Vater muss mich schützen, oder ich bin tot.

In ihrer Eile stolperte Lizbeth Ives auf der letzten Treppenstufe und fiel hart auf die Knie. In der Ferne hallten die Schritte der Wachen wider. Als sie sich umsah, tanzten Schatten über die von Fackeln erleuchteten Mauern, die ihr Herz noch wilder klopfen ließen.

Lizzy rappelte sich auf und hielt ihren Umhang oben zusammen, um das Dokument zu schützen, das sie im Mieder ihres Kleides verbarg. Im Geiste sah sie ihren Kopf schon auf dem Henkersblock. Bei jedem Schritt brannte es in ihrer Kehle. Der Kellergang erschien ihr länger, enger und dunkler, als sie ihn aus ihren Kindertagen in Erinnerung hatte. Sie bog um eine Ecke und wäre beinahe umgekippt, weil ihr plötzlich schwindlig wurde. Unwillkürlich kniff sie die Augen für einen kurzen Moment zu, um ihre schreckliche Angst zu bändigen, und schluckte. An den säuerlichen Gestank der Kerker würde sie sich niemals gewöhnen, obgleich sie Jahre im Tower verbracht hatte.

Zwei Kerkerwachen, die Lizzy bereits von Kindesbeinen an kannte, richteten sich vor dem bogenförmigen Durchgang auf, als sie näher kam. Sie zwang sich, ruhig und fest aufzutreten.

»Guten Tag, Lady Ives.« Der eine Wächter neigte seinen Kopf zum Gruß.

»Sirs.« Sie machte einen kleinen Knicks. »Ich möchte bitte mit meinem Vater sprechen.«

»Er ist bei der Arbeit«, erwiderte der größere der beiden. »Lord Ives missfällt es, gestört zu werden, Mylady.«

»Seinen Groll werde ich hinnehmen müssen. Wenn ihr jetzt bitte zur Seite treten und mich durchlassen wollt.« Ihre Strenge erschreckte sie selbst, doch für Freundlichkeiten fehlte ihr die Zeit. Lord Hollisters Verräter waren ihr dicht auf den Fersen.

»Wie du wünschst.« Beide Wachen gingen beiseite, um ihr Einlass zu gewähren.

Sie betrat das Vorzimmer und schob von innen den Riegel vor die Tür. Ein einzelnes Binsenlicht erhellte den kurzen Korridor vor ihr.

Nur noch zehn Schritte.

Sie umklammerte den Rosenkranz ihrer Mutter, an dessen Perlen sie die Schritte abzählte, bis sie die nächste Tür erreichte.

Knall!

Das Geräusch von Vaters Peitsche dröhnte in ihren Ohren und ließ sie innerlich erzittern, während ihre Hand auf dem Türriegel verharrte. Sie verfluchte ihren Mangel an Mut und wünschte sich zum tausendsten Mal, sie wäre als Tochter eines Schmieds oder Müllers auf die Welt gekommen. Dann wickelte sie sich den Rosenkranz um ihr Handgelenk, schüttelte die Hände und ballte sie zu Fäusten, damit das Zittern aufhörte.

Sollte sie sich feige zeigen, hätte ihr Vater kein Mitgefühl mit ihr.

Also nahm sie all ihren Mut zusammen und öffnete die schwere Tür. Der beißende Geruch versengten Fleisches brannte ihr in der Nase, so dass sie sich eine Hand vor das Gesicht schlug. Sie schloss die Tür hinter sich und wandte sich zu ihrem Vater.

Er bemerkte sie nicht. Nicht einmal einen umfallenden Baum hinter sich würde er bemerken.

Knall!

Er schwang seine Peitsche, die einen blutroten Striemen in den Rücken eines Mannes schlug. »Gestehe und schwöre dem Herrscher Englands Treue, oder stirb an deiner Halsstarrigkeit!«, befahl ihr Vater, dessen Stimme böse, kalt und grausam klang. Sie hasste den Mann, der er unter der schwarzen Kapuze war.

»Ich gestehe nichts.« Der Gefangene klammerte sich mit beiden Händen an die Ringe, die ihn an die Steinmauer fesselten. Blaue Adern traten an seinen Unterarmen hervor, in demselben Blau wie das alte Symbol, das ihm oberhalb des Ellbogens eintätowiert war. Sein schwarzes Haar klebte in seinem verschwitzten Nacken. Weder schrie er, noch flehte er um Gnade, obgleich die vielen roten Linien auf seiner bronzenen Haut bedeuteten, dass er bereits lange genug bei ihrem Vater war, um aufzugeben. Trotzdem hielt der Narr den Mund.

Als Lizzy ihren Kopf von der schrecklichen Szene abwandte, fiel ihr Blick auf einen blutverschmierten Mann, der in der Ecke lag. Er trug ein ähnliches Mal an seinem Arm wie der Ausgepeitschte, folglich musste es eine Verbindung zwischen den beiden geben. Ihn hatten die Methoden ihres Vaters offenbar zur Strecke gebracht, denn die blasse Farbe seiner Haut verriet Lizzy, dass sein Blut schon seit einer Weile nicht mehr floss.

Das metallische Schaben, als ihr Vater den Gefangenen aus den Ringen befreite, jagte Lizzy eisige Schauer über den Rücken. Leider atmete der Mann vorzeitig erleichtert auf, als er vor seinem Peiniger zusammensackte. Lizzy indessen wusste, in welcher Reihenfolge ihr Vater vorging. Nach dem Auspeitschen würde das Verbrennen folgen. Die Verbrechen des Gefolterten bestimmten, was danach kam.

Sie richtete sich kerzengerade auf. »Lord Ives.« Ihre Stimme nahm sich klein und schwach aus, und sogleich verachtete sie sich dafür, dass sie Angst vor ihrem eigenen Vater hatte. Sie räusperte sich und packte die Enden ihrer Ärmel, die sie in ihren Händen knüllte. »Lord Ives!«, rief sie lauter. »Ich muss dich dringend sprechen.«

Ihr Vater drehte sich zu ihr, ein irres Funkeln in den hellbraunen Augen. »Hinfort!«

Er holte mit seiner Peitsche nach ihr aus, und erfolglos suchte sie nach einer Spur des sanften Mannes, den sie einst gekannt hatte. Ihr Herz drohte auszusetzen. Rasch zog sie die Kapuze ihres Umhangs zurück. »Nein, Vater! Ich bin es, Lizzy!« Gleichzeitig hielt sie sich einen Arm vor das Gesicht, gewappnet für den schneidenden Hieb, der jeden Moment kommen konnte, und betend, er möge nicht erfolgen.

Er ließ seine Knute im selben Moment sinken, in dem ein raues Heulen durch die Kammer hallte.

Der Gefangene sprang vom Boden auf, zerschunden und blutig, aber sämtliche Muskeln sichtlich angespannt. Die Finger zu einer gigantischen Faust geballt, rammte er Lizbeths Vater seine Eisenhandschellen an die Schläfe, so dass dieser seitlich gegen einen aufgebockten Tisch fiel. Holz splitterte und metallene Instrumente schepperten über den Boden. Ihr Vater torkelte, hielt sich jedoch auf den Beinen.

»Nein!« Sie stürzte zu den beiden und packte den Arm des Gefangenen, dessen kräftige Faust die Nase ihres Vaters traf. Osborn Ives war fürwahr ein großer, kräftiger Mann, doch unter der Wucht dieses Hiebs kippte er nach hinten gegen die Wand.

Der dumpfe Knall, mit dem sein Körper gegen die Steine schlug, fuhr Lizzy bis ins Mark.

Ihr Vater torkelte. Die schwarze Peitsche glitt ihm aus der Hand und kringelte sich einer toten Schlange gleich zu seinen Füßen. Ein dicker Kloß bildete sich in Lizzys Hals, als sie ihn zu Boden sacken und damit ihre einzige Hoffnung auf Schutz dahinschwinden sah. Verzweiflung und Wut tobten in ihr.

»Geh weg von ihm!« Sie stieß mit beiden Händen nach dem Gefangenen.

Er stöhnte, rührte sich jedoch nicht vom Fleck. Stattdessen packte er ihren Arm. »Schrei und du hörst auf zu atmen!«

»Ich schreie nicht. Ich schwöre es bei meiner Seele!« Sie versuchte, sich von ihm zu befreien, während ihr Blick auf dem einzigen Menschen verharrte, der ihr noch geblieben war. »Bitte, er ist mein Vater!«

Der Grobian ließ sie los und zögerte kurz, ehe er zu dem anderen Gefangenen ging. Lizzy sank neben ihrem Vater auf die Knie und prüfte, ob er noch atmete. Der Puls an seinem Hals flatterte, doch er regte sich nicht. Sie fürchtete, Lord Hollister würde ihren Kopf im Korb sehen, bevor ihr Vater wieder bei sich war. Andererseits zog sie ein solches Schicksal bei Weitem jenem vor, das Lord Hollister für sie vorgesehen hatte. Sie würde keines Mannes Konkubine. Als oberster Wärter mochte er in der Gunst des königlichen Rates stehen, doch sobald sie seine Verbindung zu den Männern enthüllte, die sich gegen die Krone verschworen, wären ihr Vater und sie endlich keine Opfer von Lord Hollisters persönlichem Rachefeldzug mehr.

»... möge Gott dich schützen, und mögen die himmlischen Heerscharen dich geleiten, mein Bruder«, flüsterte der Gefangene auf Latein.

Auf dass du in Gemeinschaft aller Gläubigen in Frieden ruhen mögest, beendete Lizzy im Geiste das vertraute Gebet und schaute auf. Der Gefangene kniete in derselben Haltung wie sie auf dem Boden. Mit seinen großen Händen umfing er den Kopf des Toten. Und sosehr Lizzy sich bemühte, kein Mitleid mit diesem Fremden zu empfinden, kannte sie den Verlust doch zu gut, als dass ihr Herz nicht mit ihm litte.

Ein Krachen ertönte vor der Kammer, bei dem ihr der Atem stockte. Sekunden später wurde heftig an der Tür gerüttelt.

»Auf Befehl von Lord Hollister: Öffnet!« Das Schaben mehrerer Stiefelpaare untermalte die Stimme des Wärters.

Lizzy erstarrte, bevor sie die Schultern ihres Vaters schüttelte. »Bitte, wach auf! Du musst mir helfen!« Tränen, die sie seit Jahren zurückgehalten hatte, liefen ihr über die Wangen und tropften von ihrem Kinn.

Der Gefangene stand auf und schwankte so stark, dass er gegen die Mauer sank. Er griff sich an den Bauch, holte angestrengt Luft und wandte sich dann zu ihr. Als seine blauen Augen ihren Blick einfingen, war sie wie gelähmt. Sie sprachen kein einziges Wort, was auch nicht nötig war, denn sie wussten beide, in welch aussichtsloser Lage sie sich befanden.

Wieder donnerte es von draußen an die Tür, und nun erwachten sie gleichzeitig aus ihrer Schockstarre.

Lizzy sprang auf.

Der Gefangene sammelte zwei Dolche vom Boden auf, die er sich in den Bund seines hellen Beinkleids steckte. Unterdessen knurrte er Lizzy buchstäblich an: »Wo sind die Schlüssel?«

Sie war empört. Der Mann war ein Narr, falls er glaubte, sie würde ihm die Handschellen abnehmen, so dass sie ihm wehrlos ausgeliefert wäre. Sie hatte bereits hinreichend Sorgen, denn sie wusste zu viel und brauchte dringend jemanden, der ihr beistand. Lord Hollister war ein Gegner, dem sie sich unmöglich allein stellen konnte.

»Die Schlüssel, Mädchen!« Er hielt ihr die aneinandergeketteten Fäuste hin.

»Du bist ein Gefangener der Krone. Ich kann dir nicht helfen.«

Als Antwort erhielt sie ein zorniges Funkeln und ein Schnauben. Lizzy strafte beides mit Nichtachtung, lief zur gegenüberliegenden Wand und bohrte ihre Finger unten in die Mauerkante. Die Geheimtür öffnete sich schleifend. Dies war ihr Fluchtweg in die dunklen Tunnel unterhalb der Stadt. Ein Schwall stickig-modriger Luft wehte ihr entgegen. Die Finsternis, aus der er kam, versprach Freiheit, doch leider war sie schrecklich feige und fürchtete sich, in die vollkommene Schwärze zu laufen. Mit dreiundzwanzig war sie viel zu alt, um sich noch vor der Dunkelheit zu ängstigen, wie sie sich einredete. Dennoch konnte sie nichts dagegen tun, dass sie am ganzen Leib zu zittern begann und nach Atem rang.

Sie tastete nach der Wandfackel, als es abermals gegen die Tür hinter ihr donnerte, deren lautes Knarzen verriet, dass sie den Angreifern nachgab.

»Geh!« Der Gefangene stieß sie in den engen Tunnel.

Sie erreichte die Fackel nicht mehr, ehe die dicke Steintür sich hinter ihnen schloss und alles schwarz war. Mit weit aufgerissenen Augen versuchte sie, irgendein noch so winziges Licht zu erkennen, aber da war nichts.

Sie stemmte beide Arme gegen die Mauern zu ihren Seiten, die sie einzuklemmen schienen. Auf einmal wurde sie an die Brust des Gefangenen gedrückt. Sie hielt hörbar die Luft an, ehe sich auch schon eine Hand auf ihren Mund legte, die ihren Schrei erstickte. Wild fuchtelnd mühte sie sich, den Arm wegzuziehen, der sie festhielt. Oh Gott, hilf mir!

Sie musste zurück auf die andere Seite der Mauer.

Zurück ins Licht.

Sie konnte nicht atmen, und ihre Beine knickten unter ihr ein. Eine zweite Hand legte sich flach auf ihren Bauch, so dass die Kette, mit der die Handschellen verbunden waren, sich zwischen ihren Brüsten spannte – auf dem Dokument, das sie mit hergebracht hatte. Auf jenem Pergament, demgemäß die Krone in Gefahr war und das nun ihre einzige Hoffnung auf Freiheit darstellte.

»Hör auf zu zappeln!« Broderick Maxwell hielt die Frau fest, die zitterte wie ein frisch geschorenes Schaf in den Highlands. Hatte sie ihn noch vor Kurzem kühn attackiert, um den niederträchtigen Kerl zu schützen, der ihn brutal auspeitschte, war sie nun ein Bündel aus Angst.

Nach sieben Tagen und sieben Nächten in diesem verlausten Kerker war sein Entkommen endlich zum Greifen nah. Kein lächerliches Weibsbild würde ihn davon abhalten, in die Grenzgebiete zurückzukehren. Leider müsste er dort seine Niederlage gestehen. Verflucht! Sein Bruder und er hatten beinahe den Anführer der Rebellion entdeckt, der die Krone Englands an sich reißen wollte. Broc kannte die Namen von einem Dutzend Verschwörer, hatte jedoch keine Beweise, die er seinem König übergeben könnte.

Die junge Frau grub ihre Fingernägel in seinen Unterarm. Eigentlich hätte es sich zumindest wie das Stechen einer Distel anfühlen müssen, doch er spürte lediglich einen dumpfen Druck, weil sein Körper von der vielen Folter wie taub war. Er beugte sich dicht an ihr Ohr. »Wenn du schreist, breche ich dir dein zartes Genick! Hast du mich verstanden?«

Sie nickte unter seiner Hand.

»Wissen die Wachen von diesem Tunnel?«

An seiner Brust bewegte ihr Kopf sich von einer Seite zur anderen, wobei ein fremder Duft in seine Nase aufstieg. Schwindelerregend. Exotisch. Unmissverständlich weiblich. Zweifellos war sie jenes Geschöpf, von dem die Gefangenen gesprochen hatten und das sie »Feuerengel« nannten. Er hatte sie für mall gehalten, glaubte, sie würden in einem Fieberwahn sprechen, den die Folter hervorgerufen hatte. Niemals hätte er gedacht, dass eine solche Kreatur existieren könnte, bis er selbst das Feuer gesehen hatte, das in ihren goldenen Augen loderte. Nun, gewiss weinten die Armen im Kerker ihr keine Träne nach, wüssten sie, dass ihr Engel Lady Ives war, die Tochter des obersten Scharfrichters.

Er wandte den Kopf ab, um Abstand zwischen seiner Nase und ihrem Haar zu schaffen, was sich als vergeblich erwies. Angestrengt lauschte er auf den Tumult in der Folterkammer jenseits der Mauer. Tiefe Stimmen drangen durch den dicken Stein. Ein Teil von ihm, der sich nach der Anerkennung seiner Mutter sehnte, wollte Aidens Leichnam holen, damit er anständig begraben würde, aber der Krieger in ihm verwarf diesen Gedanken als überaus närrisch. Er war nun der älteste Sohn des Oberhaupts vom Maxwell-Clan, womit zu seinen Pflichten zählte, sein eigenes Leben zu schützen. Die Schuld, die er trug, weil er seines Bruders Titel begehrt hatte, lastete ebenso schwer auf seiner Seele wie der Tod seiner Schwestern.

Die englische Maid schlug ziellos nach seinem Kopf. Er schüttelte sie leicht, um ihr begreiflich zu machen, dass sie ihm zu gehorchen hätte. »Kennst du den Weg nach draußen?« Vorsichtig nahm er seine Hand von Lady Ives’ Mund, wenn auch nur ein winziges Stück, damit er sie gleich wieder darauf pressen könnte, falls sie doch schrie.

»Acht Schritte nach vorn, sechsundzwanzig nach rechts, siebzehn um den ...«

»Wohin führt der Tunnel?«

»Zu einer Geheimtür hinter dem Goldschmied, nördlich von Cheapside«, flüsterte sie gegen seine Handfläche, so dass ihm Hitze den Arm hinaufschoss und ein Summen durch seinen Leib ging. Was geschah mit ihm? Da er sicher war, dass es sich bei Lady Ives keineswegs um einen Engel handelte, sollte Broc nicht voreilig die Möglichkeit abtun, sie könnte eine Hexe sein.

»Geh voraus!« Er schubste sie leicht, doch ihre Füße schienen fest auf dem Boden zu haften.

»Ich kann nicht. Ich muss zurück.«

»Das zu tun kann ich dir nicht gestatten.« Er schubste sie erneut, worauf sie sich in seinem Arm umdrehte und seine Ellbogen gegen die seitlichen Mauern stieß. Ihre eiskalten Hände stemmten sich an seine nackte Brust. Wieder fühlte er, wie er eine Gänsehaut bekam. Sie war zweifelsohne eine Hexe.

»Wir müssen warten, bis sie fort sind, und uns die Fackel holen.«

Ohne ihrem Einwand die geringste Beachtung zu schenken, bewegte Broc sich nach vorn. Prompt trat sie ihm auf die Zehen und klammerte sich noch fester an seine geschundenen Rippen. »Ah, Mädchen! Denkst du, du könntest mich etwas weniger schmerzlich umschlingen?«

Erst jetzt wurde er gewahr, dass ihre Angst eventuell keine List darstellte. Sie war ebenso erpicht darauf gewesen, aus der Folterkammer zu fliehen, wie er. Jetzt hingegen schien sie von einem schwerer wiegenden Hindernis geplagt.

»Ich kann nicht durch den Tunnel gehen«, beharrte sie.

Unterdessen drückte sie sich so fest an seine Brust, dass er glaubte, sie wollte durch ihn hindurch in die Kammer zurückwandern. Er blickte über ihren Kopf, doch hier war alles so schwarz wie das Herz des Teufels. »Fürchtest du dich vor der Dunkelheit?«

Ihr Nicken fühlte er als ein Streifen unter seinem Kinn, und aufs Neue schlug ihm ihr Duft entgegen. Beim Gekreuzigten! Als hätte er Zeit, den Beschützer für einen angstgebeutelten Engel zu spielen, der duftete wie eine in Honig getunkte Wiese voller Wildblumen! Für einen Moment geriet er ins Schwanken, und ein Schweißtropfen rann ihm den Hals hinab. Er erschauderte.

Sogleich wurde sie starr in seinen Armen. Dann wich sie zurück und betastete seinen Hals, sein Kinn und schließlich seine Wange mit ihrer kleinen Hand. »Dir bleibt wenig Zeit. Du musst gehen, ehe deine Leibeskräfte schwinden.«

Broc fand den plötzlichen Wandel in ihrer Haltung seltsam, mehr noch jedoch die Art, wie sein Leib sich bei ihrer schlichten Berührung gebärdete. »Erkläre, was du meinst!«

»Die Peitsche war mit einem betäubenden Tonikum überzogen, damit dein Fleisch die Folter erträgt.«

»Ein Gift?«

»Nein, ein Gnadentrunk.«

Broc schnaubte. »Der Scharfrichter verabreichte meinem Bruder zwanzig Hiebe, versengte ihm dann Hände und Füße ohne jegliche Gnade! Hältst du mich für einen Tölpel, dass ich glaube, er scherte sich auch nur im Geringsten um das Wohl seiner Eingekerkerten?«

»Mein Vater hat die Peitsche nicht mit dem Trunk versehen. Ich tat es.« Ihr Kopf sackte gegen seine Brust. »Du wirst den Schmerz der Hiebe nicht spüren, bis der Mond hoch am Himmel steht. Bis dahin aber ist es nur noch eine Stunde, und dann werden deine Beine dich nicht mehr tragen können.«

Broc hatte nicht die letzten sechs Monate darauf verwandt, sich mit den verfluchten Engländern anzufreunden, um nun in den Tunneln Londons zu verrotten. »Dann bleibt uns weniger Zeit, als ich dachte.« Er hob seine zusammengeketteten Hände über ihren Kopf, drehte Lady Ives herum und versuchte, sie weiter in den Tunnel zu schieben. Ihre Samtröcke streiften seine Knie, und wieder einmal kitzelte ein Hauch ihres Duftes seine Nase. Noch dazu drängte sie sich zwischen seinen Arm und seine Seite und klammerte sich allerliebst an seinen Rücken.

Auch wenn er ihre Finger auf seiner zerpeitschten Haut kaum spürte, fühlte er sehr wohl, wie die Scharfrichterstochter sich an seinen Hintern schmiegte. In seinen neunundzwanzig Lenzen hatte er sich erst nach einer einzigen Maid verzehrt, aber dieser englische Engel schien sein Blut allein mit seinem Duft zu erhitzen.

Das Gift musste schuld sein.

Kopfschüttelnd vertrieb er die unerwünschte Lust aus seinen Gedanken und fing an, die ersten acht Schritte abzuzählen. Beim vierten rammte sein Zeh gegen eine Steinmauer. »Autsch! Sagtest du nicht, acht Schritte nach vorn?«

»Acht kleine Schritte. Ich war ein Kind, als ich sie zuletzt zählte.«

Zu seiner Rechten nahm er das Geräusch von vorbeihuschenden Pfoten wahr. Er folgte ihm durch die pechschwarze Finsternis. Gewiss war er besser beraten, dem Ungeziefer zu folgen, denn auf Lady Ives’ Wegweisung zu hören!

»Vierzehn, fünfzehn, sechzehn ...«, flüsterte sie wirr Zahlen vor sich hin. »Acht, neun, zehn ...« Sie zählte sie in Dreiergruppen und nicht mehr im Rhythmus ihrer Schritte. Broc fragte sich, ob sie überhaupt wusste, was sie zählte.

Der Tunnel erreichte eine Verzweigung, von der zu beiden Seiten weitere Gänge abgingen, während nach vorn ein Abgrund zu sein schien, denn Brocs Zehen tasteten ins Nichts. »Wohin?«

»Nach rechts und hinab. Wir müssen durch einen Abwassergraben waten und auf der anderen Seite wieder hinauf. Wir befinden uns unter der Kanalisation.«

Er ging die glitschigen Stufen hinunter und blieb stehen. Sie war dort. Er konnte sie atmen hören, aber sie hielt sich nicht mehr an ihm fest. »Lady Ives, du gehst entweder voraus oder folgst mir. Wähle!«

Leise Schritte kamen langsam auf ihn zu. Ihre Fingerspitzen berührten seinen Ellbogen, dann wickelten ihre Arme sich mit beachtlicher Stärke um ihn. Er zog sie ins wadentiefe Wasser, während sie ihr Gesicht an seiner Schulter vergrub. Unbeirrt schritt er weiter. Er wusste nicht, ob sie ganz an ihm hing oder auch noch selbst ging, aber er tastete sich entschlossen über die rutschigen Steine voran, um den Weg zu erfühlen.

»Es geht geradeaus, mindestens weitere dreißig Schritt. Eile dich! Bald wird mir unwohl.«

Er verdrehte die Augen, denn diese Bemerkung ruinierte das Bild des nackten Engels, das sich gerade in seinem Kopf formte. Nun, es war gewiss besser so, denn er sollte sich ohnehin keine nackten Engel vorstellen.

Einen Arm weit nach vorn gestreckt, den anderen um ihre Taille gewunden, trottete Broc durch die Abwässer, bis er zu einer Steigung gelangte. Drei Stufen führten ihn aus dem Wasser heraus. Lady Ives schöpfte offenbar hinreichend Mut, um sich aufzurichten, ließ aber seinen Arm nicht los, als sie weitergingen. Er vergaß, die Schritte zu zählen, weil er zu sehr auf ihren unregelmäßigen Atem konzentriert war. Das Mädchen wurde ihm noch ohnmächtig, bevor sie einen Ausgang aus dem Tunnel erreichten. Er hätte ihr aufmunternd zugeredet, glaubte er, dass dies helfen könnte. Wieder zwang ihn eine vermaledeite Mauer dazu, anzuhalten, und ein gedämpftes Trommeln drang an sein Ohr. War das sein Pulsschlag? Oder ihrer? Dann hörte er eine Laute und eine Viole. Ja, Festmusik brach in die hohle Stille ein.

»Hier entlang.« Ein Zupfen an seinem Arm zog ihn nach links.

Mehrere andere unsichtbare Stufen brachten sie zum nächsten Hindernis. Er hörte, wie sie die Wand abtastete und nach etwas suchte, von dem er inständig hoffte, dass es der Ausgang wäre. Anstelle der gemurmelten Zahlen vernahm er nun Flüstern, Stöhnen und schweres Atmen. Das wiederum trug dazu bei, dass sein ganzer Leib sich anspannte. Dann hörte er das Geräusch von schabendem Stein, und gleich darauf wurde er von grellen Lichtpunkten geblendet. Dünne goldene Strahlen schossen ihm durch dichtes Weinlaub entgegen und machten ihn blinzeln.

Lady Ives stieß ihre Faust durch das Grün. Im selben Moment explodierten fröhliche Klänge in der Stille. Broc packte ihren Arm, bevor sie zur anderen Seite durchtauchen konnte. »Warte! Die Stadt feiert Ostern. In dem Getümmel fallen wir auf. Leih mir deinen Umhang!« Er drehte sie herum, damit sie ihn ansah.

Ihre bezaubernden Augen lugten unter der hermelingesäumten Kapuze hervor und musterten ihn. »Du bringst mein Leben in Gefahr, indem du mich um Hilfe bittest.«

»Ich vermute, dein Leben ist bereits in Gefahr, Lady Ives. Und ich bitte dich nicht um Hilfe, sondern lediglich um eines deiner Kleidungsstücke.« Er konnte sich unmöglich halbnackt und zerschunden unter die Feiernden mischen. Fraglos würde irgendjemand ihn wiedererkennen.

Lady Ives neigte ihren Kopf zur Seite und zog die dünnen Brauen zusammen. »Wenn ich dir eine Hilfe sein soll, würde ich vorher gern wissen, welches Verbrechens du dich schuldig gemacht hast.«

Er konnte ihr wohl kaum erzählen, er wäre ein Spion, der Informationen suchte, mittels derer er den König von Schottland überzeugen konnte, sich mit den Franzosen zu verbünden. Sie wartete zweifellos auf ein gemeines Verbrechen, das er gestände. Und keines wäre schrecklicher, als ein Schotte zu sein. »Ich bin Broderick Maxwell, Erbe von Lord Magnus Maxwell, dem Lehnsherrn der West Marches.«

»Du bist Schotte?«

»Ja.« Es schien sie erstaunlich wenig zu schrecken.

»Gibst du mir die Schuld an deines Bruders Tod?«

Wie viele lasteten ihr den Beruf ihres Vaters an? Broc konnte ihr schlecht die Schuld an Aidens unangebrachtem Lüstern nach einem englischen Rock geben. Er trat einen Schritt vor, und zu seinem Erstaunen wich Lady Ives nicht zurück, sondern richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Ihre goldenen Augen forderten Ehrlichkeit. »Der Scharfrichter erhält seine Anweisungen von den Herrschenden seines Landes. Was er tun muss, bestimmt er nicht.«

Ihre Finger lösten die Bänder an ihrem Hals und die schwarze Kapuze rutschte ihr vom Kopf. Das Licht hinter ihr zauberte feurig rote Strahlen in ihr glänzendes dunkles Haar, das sich in weichen Wellen bis zu ihren Hüften ergoss. Die Kunstfertigkeit und Gewagtheit ihres sandfarbenen Gewands sprach für Qualität, Reichtum und Adel, vor allem aber für Verführung.

Er ballte die Hände zu Fäusten, was die Kette zwischen seinen Gelenken straffte. Diese Frau zählte zu Gottes edelsten Schöpfungen. Die Mönche in Dryburgh wären enorm enttäuscht, sähen sie, wozu ihr Schöpfer sich bisweilen hinreißen ließ. Sie hatten Broc gut erzogen, und dennoch konnte er seine Augen nicht von dem Feuerengel abwenden.

»Wenn ich dir bei deiner Flucht aus der Stadt helfe«, begann sie, während seine Aufmerksamkeit von ihrem Dekolleté auf ihr Gesicht zurückgelenkt wurde, »und mich um deine Wunden kümmere, würdest du mich im Gegenzuge eskortieren?«

»Eskortieren?«, fragte er und konnte nicht umhin, amüsiert zu klingen. »Du meinst, du wünschst meinen Schutz?« Er musste mall sein, einen Pakt mit diesem Weib auch bloß in Erwägung zu ziehen! Fraglos war der Teufel selbst im Spiel gewesen, dass sie seine Wege kreuzte! Ihre großen Augen drückten eine solche Verzweiflung aus, dass er sich unweigerlich fragte, vor wem sie floh. Was sollte er tun? Sie verlassen? Wer immer sie jagte, würde sie wahrscheinlich ihrem Vater übergeben, auf dass er sie bestrafte.

Sie senkte die Lider, und beinahe war er froh, denn ihre Augen hielten ihn gleichsam gefangen. Aber gleichzeitig knetete sie die Ärmelenden ihres Kleides. »Ich suche Zuflucht.«

»Vor wem suchst du Schutz, Lady Ives? Welches Verbrechen begingst du?«

Sie sah zu ihm auf, und er erkannte ihre ungeweinten Tränen. »Ich hatte das Unglück, dem Henker des Königs zur Tochter geboren zu werden.«

Wahrscheinlich hätte sie gestehen können, den König getötet zu haben, und er hätte ihr trotzdem geholfen. Und gewiss kam der Tag, an dem er seine nächsten Worte bereute. »Ich begleite dich.«

Ihre Lippen bogen sich nur sachte zu einem angedeuteten Lächeln, aber in seinem Bauch flatterte es seltsam.

Warum fühlte er sich plötzlich, als würde er die holde Lady Juliana hintergehen?

Kapitel 2

Inmitten der Lichtstrahlen, die durch das Weinlaub drangen, beobachtete Lizzy, wie Lord Maxwell sich ihren Umhang überwarf und mit den Bändern vorn kämpfte. Die Wirkung der Tinktur ließ nach, so dass der Schmerz in seinen Fingern bereits zugenommen hatte. »Erlaubst du?« Sie beugte sich vor und übernahm es, die Bänder zu einer Schleife zu binden. Sein Haar kribbelte an ihren Händen, und sie ließ ihren Blick von der auf und ab tanzenden Wölbung an seinem Hals zu seinen Augen wandern, weil sie sehen wollte, ob er bemerkte, dass sie erschauderte.

Betrüblicherweise schloss er die Augen, holte zischend Atem und warf dann den Kopf von einer Seite zur anderen, bevor er wortlos an ihr vorbei auf den Ausgang zuschritt. Ein Benehmen wie ein ... ein ... ein Schotte! Sie musste von Sinnen gewesen sein, einem Mann seiner Herkunft ihre Hilfe anzubieten!

»Halte den Kopf geneigt! Wir gehen die Watling Street in nördlicher Richtung zum Skinners hinauf. Mit ein wenig Glück sind die meisten Londoner bereits bei der Kathedrale.« Zweimal holte er mit seinen Armen aus, um die Efeuranken zu zerreißen, dann stieg er durch die Öffnung.

Vielleicht sollte sie ihm besser nicht folgen. Ihr Vater konnte sie immer noch retten. Sie blickte sich zu dem schwarzen Tunnel um, und ihr Magen schien ihr auf die Zehen zu plumpsen.

»Lady Ives?«

Sie wandte sich rasch um und fand sich Lord Maxwells gefesselten Händen gegenüber, die sich nach ihr ausstreckten.

»Wir müssen uns eilen.«

Nickend nahm sie seine Hände, die ihre sehr fest griffen. Sie fühlte, dass sie innen rau und heiß waren. Wie von selbst legten ihre Finger sich um seine, während er sie durch das Gebüsch führte. Und sie legte das Kinn an ihre Brust, ganz wie er befahl, drückte sich möglichst dicht an ihn und passte ihre Schritte den seinen an. Seine Statur erinnerte sie an Kamden – groß und kräftig gebaut, wie es einem Beschützer wohl anstand. Es tat gut, sich wieder sicher zu fühlen, ungeachtet dessen, dass diese Sicherheit trügerisch war, wurde sie doch unter fragwürdigen Umständen erlangt.

Ihr zu Boden geneigter Blick wanderte ein wenig zur Seite. Heilige Maria! Der Mann trug keine Stiefel! Verstohlen schaute sie sich nach möglichen Verfolgern um. Aber es waren keine Wachen auszumachen. Erneut tauchten die Zahlen in ihrem Kopf auf, als sie ihre Schritte zählte, was beruhigend und tröstend war, während sie über das Kopfsteinpflaster der Watling Street neben ihm her eilte. Sie blieben nahe an den verlassenen Marktständen, wo hier und da fein gekleidete Herren auf dem Weg zum Hochamt in der St. Paul’s Church waren.

Eine Matrone reckte ihren Hals, wobei die hastige Bewegung die weißen Bänder ihrer steilen Haartracht flattern ließ. Ihre Kinder starrten zu Lizzy, aber das war etwas, woran sie sich seit Langem gewöhnt hatte.

Lord Maxwell geleitete sie zu einem schwarzen Hengst, dessen Mähne mit tiefroten und goldenen Bändern zu Zöpfen geflochten war und der gleich vor der Abtei stand. Er löste die Zügel, strich dem Tier über den Hals und stieg auf, wobei er kurz stöhnte und sein Gesicht verzog. Dann nahm er seinen Fuß aus dem Steigbügel und reichte ihr die Hände.

»Ist das dein Hengst?« Kaum dass sie die Frage gestellt hatte, erkannte sie, wie lächerlich sie war.

»Ja. Ich ließ ihn hier, solange ich mich in euren Kerkern erholt habe.« Als wäre der Hohn in seiner Stimme noch nicht genug, zog er auch noch eine Braue hoch.

»Ich werde mich nicht daran beteiligen, wenn du das Pferd eines anderen Mannes raubst – vor allem nicht, wenn es zur königlichen Garde gehört.« Sie zeigte auf die goldene Stickerei auf der Pferdedecke.

»Meinst du, dein Vater würde anweisen, dass dir die Hand abgeschlagen wird, bevor oder nachdem du geköpft wurdest?«

Sie beantwortete diese zynische Frage nicht, sondern sah sich auf der Straße um, ob der Pferdehalter in der Nähe war. Ihre Sünden würde sie bereuen, sobald sie Fountains Abbey in Yorkshire erreichte. Mit diesem Gedanken nahm sie Lord Maxwells Hilfe an und stieg in den Sattel, so dass sie vor ihm saß. Als er sie mit seinen aneinandergeketteten Händen umfing, spürte sie seine Hitze wie ein offenes Feuer. Er hatte hohes Fieber.

»Haltet ein! Das ist ein Befehl des Königs!«, vernahmen sie eine wütende Stimme vom Eingang der Abtei.

Lizzy drehte sich gerade rechtzeitig um, dass sie sah, wie einer der Gardisten sein religiöses Gewand fallen ließ und sein Schwert zog.

»Halt dich fest, Lady Ives!« Lord Maxwell stieß dem Hengst die Fersen in die Seiten, so dass Lizzy gegen seine Brust flog. Des Wärters Rufe verhallten hinter ihnen, übertönt von den donnernden Hufen des Pferdes.

Ein einzelner Rabe geleitete sie, indem er über ihnen flog, und er erinnerte Lizzy an die hölzernen Vögel ihres Vaters. Reihen von Giebeln säumten die Straßen, und die Glocken waren zu hören, welche die Bürger der Stadt in die vielen Kirchen riefen. Lizzy bekreuzigte sich. Leb wohl, Vater! Sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um zurückzukehren und ihren Vater aus den Klauen von Lord Hollister zu befreien. Nun, da Kamden und die Jungen fort waren, erwarteten sie in London nur noch mehr Albträume.

Sie passierten die Stadttore. Dahinter gabelte die Straße sich. Nach rechts ging es zu Edlynns Cottage, wo der Weg nach den jüngsten Regenfällen in Schlamm versunken war. Sie könnten binnen Sekunden vor aller Augen verborgen sein, würden sie sich in dieses Dickicht begeben.

Sie packte die Zügel. »Ich muss anhalten, ehe wir London verlassen!«

»Nein, dazu ist keine Zeit.« Lord Maxwell schlug ihre Hände weg und lenkte den Hengst nach links. Das war der Weg, der um London herum und zurück zur Themse führte.

Hinter ihnen wurde das Getrampel anderer Hufe lauter. Beide drehten sich zu den Stadttoren um. Sie würde es wissen, wenn Lord Hollisters Männer oder die königlichen Garden hinter ihnen her waren. Und sie hatte keinerlei Verlangen, von einem von beiden gefangen zu werden. »Sie werden erwarten, dass wir am Fluss entlang fliehen. Wir können ihnen nicht entkommen.«

»Wir kämen weit besser voran, würdest du aufhören, an den Zügeln zu zerren.« Seine Hände umfassten ihre. Ihr Gerangel hatte zur Folge, dass der Hengst sich von seiner zu strammen Trense gereizt fühlte und nervös tänzelte.

Lizzy strengte sich an, das Pferd zu beherrschen, aber selbst in seinem geschwächten Zustand war Lord Maxwell immer noch stärker als sie. Sie nahm beide Hände von seinen und drehte sich um, weil sie ihn ansehen wollte.

Närrischer Schotte!

Sie hatte genug von Männern, die über ihr Leben bestimmen wollten. Und das Letzte, was sie brauchte, war irgendein schottischer Lord, der sich als ihr Herr und Meister aufspielte. Seine finstere, strenge Miene schüchterte sie nicht ein, und die Zeit erlaubte ihnen keinen Disput. »Wir reiten dorthin, wo ich will, oder ich kehre um, sobald deine Kräfte schwinden.« Ihre Stimme klang nicht einmal wie ihre eigene. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch niemals eine Forderung gestellt. Nun jedoch überkreuzte sie die Arme vor ihrem Oberkörper und atmete tief ein. Ja, entschlossen aufzutreten hatte durchaus etwas Befreiendes!

Lord Maxwells Nasenflügel bebten und er kniff die Lippen zusammen. »Wohin wünschst du zu reiten?«

»Dort entlang.« Sie wies nach rechts. »Um dich zu versorgen, brauche ich meine Kräuter und meine Instrumente.«

Er warf seinen Kopf hin und her, dass es hörbar in seinem Genick knackte. Dann wehte ihr ein heißer Atemhauch über die Wangen. »Genieße diesen Sieg, denn einen weiteren werde ich dir nicht gewähren!« Er lenkte das Pferd nach Nordosten. »Und sei versichert: Du wirst bereuen, mir gedroht zu haben, Engel!«

Sie biss die Zähne zusammen und beugte sich nach vorn. Er verhöhnte den einzigen Namen, auf den sie jemals stolz gewesen war. »Du tätest gut daran, mich nie wieder so zu nennen.«

Die Schotten waren ein elender Menschenschlag: unfreundlich, verdorben und zweifellos heidnisch. Das wusste jeder in England. Warum also war sie nicht angewidert? Verärgert schon, denn dieser Schotte hatte sich bereits arrogant und anmaßend gebärdet. Doch der letzte Gedanke, der ihr durch den Kopf ging, als er besitzergreifend seine Hand um ihre Mitte schlang, hatte mit Widerwillen nichts gemein.

Als sie in den Wald ritten, lauschte Lizzy auf das leiser werdende Hufgetrappel der Wachen, während sie sich anstrengte, die ungewöhnliche Hitze zu verbannen, die sich tief in ihrem Bauch sammelte. Sie war mit Verachtung und Hohn groß geworden, somit war sie inzwischen recht begabt darin, ihre Gefühle zu beherrschen. Diese unerwünschte Anziehung jedenfalls konnte sie allemal bekämpfen.

Broc lehnte sich gegen den Rücken des Engels und führte den Hengst durch das kleine Tal. Ihr betörender Duft und ihr seidiges Haar an seiner Wange reichten aus, um den stärksten Mann halb mall zu machen. Seine Hand glitt von ihrer zierlichen Taille zu ihrem Oberschenkel. Ein vortrefflich geformter Schenkel, soweit er es durch die vielen Röcke feststellen konnte. Und so kam er nicht umhin, sich auszumalen, wie zwei weiche, leicht muskulöse Schenkel um seine Hüften geschlungen waren und sich hinter ihm an den Knöcheln überkreuzten. Solche Phantasien überkamen ihn häufiger, nur hatten die Schenkel in diesen Tagträumen bislang ausnahmslos Lady Juliana gehört.

Lady Ives zuckte zusammen und richtete sich weiter auf.

Obgleich er sich der Unangemessenheit seiner Berührung inne war, konnte er seine Hand nicht von ihr nehmen – und das nicht zuletzt, weil er sich ... schwindlig fühlte, sein Körper schwach und sein Kopf noch schwächer war. Als hätte er den Abend mit seinen Brüdern und Onkel Ogilvys Whisky verbracht. Er war ziemlich sicher, dass seine Zunge jeden Augenblick unbeweglich würde. Wenn ihr Gift erst aus seinem Leib gewichen war, würde er Lady Ives gehörig den Hintern versohlen.

Kaum kam ihm dieser Gedanke, neckte sein benebelter Verstand ihn auch schon mit dem Bild: die Scharfrichterstochter, die über seine Knie gebeugt war. Und natürlich wäre sie nackt. Seine Hände kribbelten. Einzig der Gnade Gottes war zu verdanken, dass er es zwei Jahre im Kloster ausgehalten hatte. Zum Glück waren englische Damen freizügig mit ihrer Gunst, sonst wäre er dauerhaft mit einer steil aufgerichteten Rute herumgelaufen. Die wenigen Frauen, mit denen er gelegentlich das Lager teilte, hatten seine Lust zu stillen vermocht, womit es jetzt allerdings vorbei sein würde. Künftig wollte er sich an Bruder Mels Lehren aus dem Kloster halten und Lady Juliana treu sein.

Warum lag ihm der Gedanke an Enthaltsamkeit dennoch so fern?

Er war froh, als er weiter vorn ein Cottage sah. Ein dreibeiniger Hund umkreiste ein einzelnes Schaf, das auf dem kargen Boden graste. Aus dem Reetdach, das dringend ausgebessert werden musste, stieg grauer Rauch auf. Lady Ives kleidete sich und sprach wie eine englische Adlige, folglich konnte diese bescheidene Bleibe unmöglich ihr Heim sein.

Es kostete ihn größte Anstrengung, die Zügel zurückzureißen. Ihr gestohlener Hengst blieb vor dem Cottage stehen, worauf Broc noch dichter an die weiche Gestalt vor ihm gedrückt wurde. Sie hob seine gefesselten Hände über ihren Kopf und glitt vom Pferd. Broc erschauderte, weil ihn ohne ihre Wärme prompt fröstelte, und wäre beinahe aus dem Sattel gefallen, hätte er sich nicht in letzter Sekunde noch festhalten können. Schwäche war ihm ein Gräuel, und er fühlte sich so schwach wie ein neugeborenes Kätzchen.

Lady Ives tunkte einen Zinnbecher in ein Wasserfass und reichte ihn Broc. Gierig umfasste er den Becher mit beiden Händen und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter. Es war nicht annähernd genug.

Zögernd blieb sie vor dem Pferd stehen und streichelte dem Tier die Nüstern. Mit großen Augen blickte sie misstrauisch zu Broc auf. »Wirst du warten?«

»Ja.« Seine Antwort kam schneller, als er beabsichtigte. Wäre er besser beisammen, würde er umdrehen und spornstreichs ins Grenzland zurückkehren. In Schottland erwartete ihn ein neues Leben. Dort würde er den toten Bruder ehren, indem er Aidens Pflichten übernahm. Ihm fiele die Position des Chieftains zu und mit ihr die Verlobte seines Bruders, Lady Juliana.

»Ich bin rasch zurück«, erklärte Lady Ives mitten in seine Gedanken hinein, ehe sie sich bückte, um das schwarzköpfige Schaf auf die Nase zu küssen.

Broc blickte sich nach dem Rest der Herde um, konnte jedoch nur einen zerbrochenen Zaun entdecken, der von Wildwuchs überwuchert war. »Ist dies dein Zuhause?«

»In gewisser Weise.« Sie verschwand in dem Cottage, ließ aber die kleine Tür hinter sich offen.

War das eine Einladung? Vielleicht. Und seine Neugier drängte ihn, sie anzunehmen. Als er abstieg, landete er hart auf seinen Füßen. Die feuchte Erde kühlte seine Zehen, und seine Schultern schienen auf einmal von zehn Steinen beschwert. Dreimal füllte er den Becher am Wasserfass und trank, bis sein Bauch gurgelte. Ihm drohte übel zu werden, deshalb sammelte er genügend Speichel, um den kupfrigen Geschmack auszuspucken, bevor er durch die Tür trat.

»Lizzy, bist du das?«

»Ja, Edlynn«, rief Lady Ives einer alten Frau zu, die an einem aufgebockten Tisch saß. Mit ihren krummen Fingern zerrieb sie Kräuter in einem Mörser. Über dem Feuer, auf dem ein Kessel mit Eintopf hing, war ein Sims, das vollständig von nutzlosen geschnitzten Holzvögeln – dicken fetten Vögeln – eingenommen wurde. Bei dem Geruch von köchelndem Fleisch knurrte Brocs Magen. Wie lange war es her, seit er zuletzt etwas gegessen hatte?

»Was hast du mir gebracht? Ich rieche Blut.« Die Frau drehte sich zur Tür, und erst jetzt bemerkte Broc die Leere in ihren hellgrauen Augen. Als sie aufstand, hielt sie sich an der Tischkante fest. »Ist das wieder ein Kaninchen?« Sie schnupperte. »Essen wir es, oder wollen wir es heilen?«

Lady Ives blickte von der Satteltasche auf, die sie packte. Zu Brocs Belustigung färbten sich ihre Wangen feuerrot. Der Engel rettete also auch Tiere vor dem sicheren Tod. Die Scharfrichterstochter schien sich wider ihre Erziehung zu verhalten.

»Nein, ein Kaninchen ist es nicht«, antwortete Lady Ives, die Brocs Grinsen mit einem wütenden Blick abstrafte. »Es ähnelt eher einem Schwein. Ich kann es allein versorgen.«

»Hältst dich wohl für erwachsen, was? Sag mir die Zahlen, Kind!«

»Zwei um den Tisch herum, fünf geradeaus zur Tür.«

Die alte Frau, die Lady Ives mit Edlynn angesprochen hatte, zählte die Schritte ab, bis ihre Finger an Brocs Brust stießen. Autsch! Sie hatte die knochigen Finger seiner Großmutter. »Guten Tag, Mütterchen«, begrüßte Broc sie ein wenig zu laut.

Sie erschrak. »Gütiger Moses! Du hast mir einen Mann gebracht? Ah, der Herr segne dich, Lizzy!« Edlynn reckte ihm ihr Kinn entgegen und lächelte. Zu seinem Erstaunen besaß sie noch all ihre Zähne. Weißes Haar fiel über ihre Schultern, und die Falten an ihren Schläfen verrieten, dass sie oft und gern lachte.

Plötzlich waren ihre Hände überall: an seinen Schultern, seinen Armen, seinem Bauch. »Hat die Statur eines Zuchthengstes, was? Wo hast du ihn gefunden?«

»Unter Vaters Peitsche. Er ist Schotte«, bemerkte Lady Ives gelassen, während sie den Inhalt einer Holzschale durchsuchte.

»Ach ja? Ein Schotte in London?«

»Aus den West Marches an der Grenze«, erklärte Broc, dem nicht wohl dabei war, wie sie ihn inspizierte.

Ihre Finger bewegten sich südwärts und krümmten sich über seinem Gemächt, worauf sie ihre grauen Augen weit aufriss.

Zudem stieg ihr die Hitze in die Wangen, als sein Schwanz die Wirkung der Geste zeigte. »Beim Gekreuzigten, Weib!«

»Wie gut, dass dein Vater ihm erlaubte, sein Schwänzlein zu behalten – er ist behangen wie ein Engländer!«

Entsetzt schob Broc die Hände der Frau beiseite und blickte mürrisch zu Lady Ives. Sie kam grinsend zu ihm geeilt.

»Edlynn, nimm die Finger von Lord Maxwell! Du bist sehr ungezogen.« Mit dem Schlüssel, den sie gefunden haben musste, während die Alte ihn betatschte, schloss Lady Ives seine Handschellen auf und befreite seine wunden Gelenke aus den Eisen.

»Danke«, sagte er und war heilfroh, dass sie keinen Schmied ausfindig machen mussten.

Lady Ives lächelte, senkte den Blick, so dass ihre Augen von den langen dunklen Wimpern verschleiert waren, und machte auf dem Absatz kehrt. Abermals wehte ihm ihr exotischer Duft entgegen.

»Was hast du mit ihm vor?«, erkundigte die alte Frau sich und umklammerte seinen Unterarm.

»Er begleitet uns nach Norden. Wir haben wenig Zeit, daher werde ich euch alles auf dem Weg erklären.«

»Uns?«, fragten Broc und die Alte im Chor.

»Nein!«, ergänzte Broc. »Wir haben nicht einmal ein zweites Pferd, das dich trägt, geschweige denn eine blinde Frau.«

»Hinter dem Cottage steht ein Pferd. Edlynn kommt mit uns. Ich kann sie nicht hier zurücklassen.« Lady Ives raffte Kleider aus einem hohen Schrank, als wäre das Gespräch beendet.

»Lizzy, du redest Unsinn!«, sprach die Alte aus, was Broc dachte. »Diese alte Mähre ist lahm und hätte schon vor Jahren den Gnadenstoß bekommen sollen. Was ist mit dir, Kind?«

»Edlynn, ich bitte dich! Ich habe keine Zeit für deine Fragen oder deine Sturheit. Pack deine Sachen!« Nein, Lady Ives wich keinen Deut von ihrem Vorhaben ab.

Im nächsten Moment stand sie vor Broc, löste die Schleife ihres Umhangs und ersetzte ihn durch ein härenes Hemd. Der Stoff fühlte sich wie eine Feder auf seiner brennenden, juckenden Haut an und erinnerte ihn an sein eigenes nahes Ende. Mit aller Kraft, die er noch besaß, klammerte er sich an ihre Handgelenke. »Man wird uns einholen. Ich stimmte zu, dich aus London zu begleiten – mehr nicht.«

»Sie kommt mit uns«, erwiderte Lady Ives und entwand sich ihm mühelos, um zu einem anderen Schrank zu gehen, wo sie in einen Haufen Goldmünzen griff, die ebenso wenig in diese ärmliche Hütte passten wie die edle Dame.

Broc beobachtete sie ungläubig. Warum redete er überhaupt mit dieser starrköpfigen Engländerin? Sie war ganz offenbar dem Wahn verfallen, wenn sie glaubte, sie könnte mit einer Blinden auf einem lahmen Gaul im Schlepptau den königlichen Garden entkommen.

Auf ihn wartete draußen ein Hengst. Er brauchte nichts weiter zu tun, als in den Sattel zu steigen und davonzureiten. Bis zum Einbruch der Nacht könnte er in Bedford sein. Er müsste sich wohl am Pferd festbinden, um nicht hinunterzustürzen, aber wenigstens wäre er sehr viel weiter von London entfernt.

»Nimm alles, Lizzy!« Die alte Frau hatte sich zu einem Schemel am Feuer vorgetastet. »Ich brauche nur zu fragen, dann kümmert dein Vater sich um mich.«

»Nein, ich kann dich nicht hierlassen. Du bist in derselben Gefahr wie ich.«

Broc hatte sich bereits zur Tür umgewandt, blieb jedoch stehen. Er schloss die Augen und wünschte, das Gift würde das Brennen ihres Blickes in seinem Rücken lindern. Zum Teufel mit den Engländern! »Sag mir die Wahrheit: In welcher Gefahr schwebst du?«

»Ich hege berechtigte Zweifel, dass es sich bei der Krankheit des Königs um Pocken handelt. Er wurde vergiftet.«

Broc drehte sich zu schnell zu ihr, so dass er ein bisschen schwankte. Konnte Lady Ives ihm womöglich geben, was sein Bruder und er nicht zu entdecken vermocht hatten? »Hast du Beweise?«

»Die Tinkturen, welche Edlynn für Seine Majestät bereitete, wurden verfälscht. Ich fand die leeren Gefäße in Lord Hollisters Kammer, und aus ihnen roch es nach Eisenhut. Das ist ein Gift. Also wird man Edlynn des Hochverrates bezichtigen und hinrichten.«

»Sollen sie ruhig!« Edlynn rührte in dem Eintopf, der im Kessel brodelte. »Ich werde die Axt deines Vaters wetzen, bevor ich meinen Kopf auf seinen Henkersblock lege, und lächeln, wenn er zuschlägt.«

»Edlynn!« Lady Ives stand mitten in der kargen Hütte und knetete die weiten Ärmel ihres Kleides.

Als sie zu Broc sah, war er klug genug, rasch zur Seite zu blicken, sonst hätte er noch versucht sein können, die Alte gegen ihren Willen mitzunehmen. Lady Ives musste verzweifelt sein, ihm, einem schottischen Spion, zu vertrauen. »Gibt es niemand anders, der ihr helfen kann?«

Sie schüttelte den Kopf, so dass ihre dunklen Locken flogen. Für einen kurzen Moment sah Broc seine Schwestern Lilian und Mattie vor sich – trotzig, unschuldig und viel zu jung, um solch einen grausamen Tod zu sterben. Er hatte sie nicht beschützen können. Gab Gott ihm nun eine Gelegenheit, seine Sünden wiedergutzumachen? »Da ist eine Schänke, ungefähr drei Stunden von hier, kurz vor Hertfordshire. Ich kenne den Schankwirt und schicke ihn her, um Edlynn zu holen und sie in Sicherheit zu bringen.« Broc wagte es, zu Lady Ives zu sehen, ob sie mit seinem Angebot zufrieden wäre.

»Schwöre es bei deiner Seele!«

»Ich schwöre es. Ich schicke jemanden.«

Lady Ives nickte, wobei ihr Tränen über die Wangen liefen. »Ich ziehe dich zur Verantwortung, sollte sie zu Schaden kommen!«

»Du musst gehen, Kind. Sorge dich nicht um mich. Gib acht auf sie, Mylord! Seit Kamden nicht mehr ist, hat sie keinen Beschützer mehr.«

Kamden? Brocs Miene verfinsterte sich. Ihr Gemahl? Ihr Geliebter? Sie war alt genug, um beides schon gehabt zu haben. Aber was scherte ihn, wer Kamden war? Und warum spürte er das allzu bekannte Brennen von Eifersucht in seinen Eingeweiden?

»Er beschützt mich nicht, Edlynn. Er bot lediglich an, mich zu begleiten.« Lady Ives kniete sich vor die Alte. Edlynn küsste sie auf den Kopf und murmelte etwas in ihr Haar.

»Lady Ives, wir sollten aufbrechen.«

»Gott mit euch!«, rief Edlynn, als sie aus der Tür gingen.

Nach zwei Anläufen gelang es Broc, in den Sattel zu steigen. Was sich wie Hunderte Disteln anfühlte, die in seinen Kleidern steckten, peinigte ihn mittlerweile bis ins Mark. Er hatte seine liebe Not, sich aufrecht auf dem Pferd zu halten. Lady Ives gab ihm ihren Umhang, zurrte die Satteltaschen fest und verschwand hinter dem Cottage.

Als sie mit einem gescheckten Huhn in einem kleinen Käfig zurückkehrte, schüttelte er den Kopf und betete um Kraft. »Lady Ives, du stellst meine Geduld auf die Probe!«

Sie band auch den Vogelkäfig an den Sattel, dann stieg sie endlich vor ihm auf. »Denk nicht einmal daran, mir zu sagen, ich dürfte sie nicht mitnehmen!«

»Ich habe seit Tagen nichts gegessen. Der Vogel ist mir höchst willkommen.«

Wie er beinahe erwartete, stieß Lady Ives einen empörten Laut aus. »Sie ist nicht zum essen! Ihr Name ist Beatrice, und solltest du ihr auch nur eine einzige Feder ausreißen, verspreche ich dir, dass ich ...«

»Dass du was, Lady Ives?« Er beugte sich direkt zu ihrem Ohr, um sie einzuschüchtern. »Mich folterst? Mich schlägst? Mich vergiftest? Glaubst du, es gäbe etwas, womit du mir drohen könntest?«

»Ruhig Blut, Schotte!« Lady Ives schnalzte mit der Zunge, so dass der Hengst sich in Bewegung setzte.

Bei dem Ruck kippte Broc nach hinten, ließ die Zügel los und umfing mit beiden Händen ihre schmale Taille, die kaum hinreichend stark war, um sich an ihr festzuhalten. Als er erneut nach den Zügeln griff, schlug Lady Ives seine Hand fort. Seine Liebe zu Engeln schwand rapide.

»Du solltest dich gut festhalten, Lord Maxwell. Ich besitze nicht die nötige Kraft, dich zurück in den Sattel zu hieven, falls du vom Pferd fällst.«

»Hättest du mich nicht vergiftet, wäre ich gar nicht in Gefahr, herunterzufallen.«

Lady Ives setzte sich kerzengerade auf und hielt das Pferd an. »Nimm meinen Umhang, und binde dich damit an mir fest!«

Obgleich ihm der bissige Unterton nicht gefiel, reizte ihn ihr Befehl durchaus. Nachdem er sich das lange Cape über den Rücken gelegt hatte, zog er die Enden um ihre Mitte herum, um sie zu verknoten, während sie ihr langes Haar flocht. Er konnte weder fühlen noch sehen, was er tat.

Im nächsten Moment holte Lady Ives hörbar Atem und versteifte ihre Schultern, so dass eine ihm gegen das Kinn knallte. »Lord Maxwell! Unterlass es, mich derart intim zu berühren!«

Ihm war, als hätte sie geknurrt. Mit glühenden Wangen ließ er sofort den Umhang los. Dennoch hätte er zu gern gewusst, wo er sie wohl berührt hatte – was das verdammte Gift unmöglich machte. »Vergib mir! Ich habe kein Gefühl mehr in den Händen.«

Sie übernahm es, die Umhangenden zu verknoten, und trieb den Hengst in einen feurigen Galopp, der jede Unterhaltung verbot.

Ein vorsichtiger Blick nach hinten bescherte Broc immerhin ein wenig Erleichterung. Die königlichen Garden mussten den Weg am Fluss entlang genommen haben, denn sonst hätten sie sie inzwischen eingeholt. Im Stillen musste er Lady Ives Bewunderung zollen, denn sie hatte richtig vermutet. Sie war ein kluger Engel – starrköpfig, keine Frage, aber das Mädchen bewies einigen Verstand in ihrem Dickschädel. Unweigerlich fragte er sich, welche Geheimnisse sich in diesem hübschen Köpfchen noch verbergen mochten. Wusste sie vielleicht, wer den König vergiftet hatte? Und wenn ja, was musste er tun, um ihr einen Namen zu entlocken? Mit ein bisschen Glück wäre es der Name des Mannes, den zu zerstören Aiden und er nach England gekommen waren. König Edwards Bruder, der Duke of Gloucester, hatte guten Grund, den Tod des Königs zu wünschen.

Broc schloss die Augen. Er setzte zu große Hoffnung in ungewisse Anschuldigungen. Was er brauchte, war ein Beweis. Sobald sie Hertfordshire erreichten, würde er alles tun, um Lady Ives’ Vertrauen zu gewinnen. Und er gab zu, dass ihn diese Aufgabe reizte.

Er lehnte sich an sie, denn die Taubheit ergriff mehr und mehr Besitz von seinem Körper. Leider befiel sie seinen Geruchssinn nicht, und folglich plagte ihr Duft ihn für den Großteil des Nachmittags. Schlimmer noch war, dass ihr dunkelroter Zopf über ihre Schulter gerutscht war und einen süßen Ausschnitt ihrer hellen Haut freigab. Ihn hätte er überaus gern gekostet.

Ging es denn mit dem Teufel zu, dass sein ganzer Leib wie taub war, ausgenommen sein Schaft?

Beim Gekreuzigten, ich brauche ein Weib!

Kapitel 3

Die Dämmerung senkte sich um sie herum wie eine sterbende Flamme. Zu beiden Seiten des Weges stand der Wald hoch und dicht, umfing sie mit einer erstickenden Decke grauen Dunstes. Gelb glühende Augen lugten aus der Finsternis, machten ihr Angst und verhöhnten die Zahlen, die sich in ihrem Kopf anhäuften, bis sie sicher war, dass sie nicht mehr atmen konnte.

Sie zog an den Zügeln. Der Hengst blieb tänzelnd stehen und trottete ein paar Schritte rückwärts. »Lord Maxwell, wir müssen anhalten. Es wird bald dunkel.«

»Nein, bleib im Sattel, Mädchen! Führ uns durch den Wald!« Der Schotte rührte sich nicht, aber sein Atem strich ihr ruhig und regelmäßig über den Nacken.

Sie konnte ihre Furcht schmecken. Angestrengt schluckte sie und schaute suchend in die schwarzen Zweige über ihnen. Was sie dort suchte, konnte sie nicht sagen, aber sie war sicher, dass sie jeden Moment von etwas angegriffen würde. Ihre schwitzenden Hände rutschten auf den Lederriemen.

»Nur Mut, Engel – lass dich von der Dunkelheit nicht ängstigen!« Lord Maxwell flüsterte seine Worte leise in ihr Ohr. Aber leider bewirkte das bloß, dass sie eine Gänsehaut bekam.

»Die Dunkelheit raubte mir schon vor Jahren den Mut.«

»Du bist heute im Dunkeln deinem Feind entkommen.«

Dieses Spiel kannte sie gut. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Edlynn manch eine Nacht versucht, Lizzy einzureden, sie wäre tapfer und keine Ungeheuer würden in der Dunkelheit lauern. Aber sie wusste es besser.

Lord Hollisters böse dunkle Augen kamen ihr in den Sinn. »Ich fürchte, deine Bemühungen sind fruchtlos, Lord Maxwell. Ich bin außerstande, noch weiterzureiten.«

Rechts von ihr raschelte Laub und sie drehte abrupt den Kopf, so dass ihre Nase über sein stoppeliges Kinn strich. Sie wollte schreien, weinen, ihr Gesicht an seinem Hals vergraben.

»Was, wenn ich dir sage, dass die Schänke auf der anderen Seite des Waldes liegt?«

Er log. Dessen war sie gewiss. Aber falls er doch die Wahrheit sagte, wäre sie von der Nacht befreit. »Schwöre es bei deiner Seele!«

Er lachte über sie, nicht laut, doch es reichte aus, dass sie seine vibrierende Brust an ihrem Rücken spürte. »Ich schwöre es. Gott ist mein Zeuge, dir droht kein Schaden, wenn du durch diesen Wald reitest.«

Sie streichelte den schweißfeuchten Hals des Hengstes und trieb ihn vorwärts. Warum sie den Schwur des Schotten als tröstlich empfand, begriff sie selbst nicht. Er könnte sie in seiner gegenwärtigen Verfassung kaum besser beschützen als Beatrice.

»Wenn wir die Schänke erreichen, wirst du mich Julian nennen. Der Schankwirt heißt John. Er ist ...«

»Derjenige, der Edlynn holen und in Sicherheit bringen wird?«, ergänzte sie, während sie die Bäume absuchte, ob sich dort etwas bewegte.

»Ja.«

»Fahr fort!« Sie bemühte sich, einzig Lord Maxwells Anweisungen zu lauschen, doch unter den dichten Bäumen wurde ihre ganze Welt schwarz. Eine Eule schrie. Ein Vogelschwarm flog auf.

»Mein Zustand wird Misstrauen erregen, ebenso wie das Pferd. Sowie ein Stallbursche kommt, schick ihn John holen.«

»Und dein Zustand?«

»Sag ihm, ich hätte bei unserer Vermählung zu viel gebechert.«

»Unsere Vermählung? Willst du, dass ich mich als deine Gemahlin ausgebe?« Seine Gemahlin? Der Schotte war von Sinnen! Sie lehnte sich zurück. Das Pferd musste ihre Angst bemerkt haben, denn es hob und senkte seinen Kopf, um sich gegen die zu strammen Zügel zu wehren.

Lord Maxwells Lippen streiften ihre Ohrmuschel. »Ja, und du gibst eine mächtig hübsche Braut ab, Lizbeth.«

Auf einmal spürte sie ein seltsames Kitzeln an ihrem Hals.

Hatte er sie geküsst?

Heilige Maria! Er hatte sie soeben auf den Hals geküsst! Nun stockte ihr wirklich der Atem. Die Angst, die sich in ihrem Bauch verknotet hatte, schoss ihren Rücken hinauf und gleich wieder wie heißes Wachs über ihren Leib. Ihre Beine spannten sich um den Bauch des Hengstes, woraufhin das Tier durch den Wald preschte wie ein Stein, der von einem Katapult geschleudert wurde.

Sie klammerte sich an die Zügel. Siebenundzwanzig, achtundzwanzig, neunundzwanzig ...

Warum sollte er sie küssen? Kein Mann hatte jemals versucht, sie zu küssen. Der Beruf ihres Vaters machte es erstaunlich leicht, ihre Tugend zu wahren. Nun ja, und der Keuschheitsgürtel half außerdem.

»Langsamer, Engel, oder du jagst uns geradewegs in Johns Küche!«

Sie riss die Augen auf. Wie lange hatte sie sie geschlossen gehabt? Der Weg wurde breiter, und der Wald ging in ein Tal mit Frühlingswiesen über. Zwielicht blinkte auf dem Abendtau. Und sie sah das Gasthaus am Fuße des Hügels, wo es an einem Bach stand. All ihre Ängste hauchte sie mit einem langen Atemzug aus, doch während ihr Puls bereits langsamer wurde, spürte sie noch das Kribbeln in ihrer Halsbeuge. Sie ertastete die Stelle, an der Lord Maxwells Lippen ihre Haut berührt hatten. »Warum hast du mich geküsst?«

»Es war kaum ein Kuss.«

»Aber ein Kuss dennoch. Warum?«

»Weil ich dich durch den Wald bringen musste. Und es wirkte. Jetzt wird alles gut.«

Sie drehte sich zu ihm um. Seine blauen Augen leuchteten schelmisch im zunehmenden Mondlicht. Sein arrogantes Lächeln verärgerte sie. Er war fürwahr stolz auf sich. Doch statt ihn zu schelten, ließ sie ihm seine Eitelkeit und führte den Hengst den Hügel hinab zu der Schänke.

Ein Ast hing über der Eingangstür. Der strenge Geruch von Ale lag in der Luft, der zusammen mit den aufgestapelten leeren Fässern verhieß, dass es sich hier um eine reichlich heruntergekommene Schankwirtschaft handelte. Ohne Zweifel war sie bis unters Dach mit Trunkenbolden angefüllt. Lizzy wunderte nicht mehr, dass der Schotte so gut wusste, wo sie war.

»Julian!«, kreischte eine Frau im Eingang. Ihre Brüste wippten über dem geschnürten Mieder, als sie die Stufen hinunter- und auf sie zugelaufen kam. Ein hagerer Junge, nicht älter als sieben oder acht Lenze, folgte ihr dicht auf den Fersen und nahm die Zügel ihres Hengstes.

»Celeste, du siehst so gesund und munter aus wie eh und je. Ich möchte dir meine Gemahlin vorstellen«, lallte Lord Maxwell, der die Rolle des Tunichtguts sehr gekonnt spielte.

»Deine Gemahlin?«, wiederholte die Frau.

Lizzy lächelte süßlich, während sie sich ihre Meinung verkniff. Die Frau sah schockiert aus, angewidert, vielleicht sogar enttäuscht. Dabei betrachtete Lizzy sich eigentlich nicht als zu alt, um eine Braut zu sein. Weshalb sollte es unvorstellbar sein, dass ein Mann sie zur Frau nahm?

»Wann hast du dir denn ein Weib gesucht?« Die Frau stemmte die Fäuste in ihre vollen Hüften und zog eine dünne Braue hoch – das einzig Dünne an ihr –, während sie Lizzys Kleidung eingehend musterte.

»Julian und ich wurden heute Nachmittag getraut«, log Lizzy überraschend mühelos. »Danach schüttete er sich Becher um Becher in den Schlund, bis der Wein seine Augen rot färbte.« Da sie es kaum erwarten konnte, sich von dem Pferd und vor allem dem Schotten zu befreien, den sie die letzten Stunden auf ihrem Rücken getragen hatte, löste sie den Knoten in ihrem Umhang und schwang ein Bein über die Ohren des Hengstes. In dem Moment, in dem ihre Füße den Boden berührten, fuhr ihr ein stechender Schmerz die Schenkel hinauf und wie ein Dolch in den unteren Rücken. Ihr Kleid klebte an ihrer Haut, getränkt vom Schweiß des Schotten. Sein Fieber musste schon länger auf dem Höhepunkt sein.

Sie wandte sich gerade rechtzeitig um, dass sie mit ansah, wie Lord Maxwell seitlich vom Pferd rutschte und stöhnend auf dem Rücken landete.

»Lor– Los, holt Hilfe!«, fing sie sich im letzten Moment.

»Heiliger! Milo, hol John und Smitt!«