Im Labyrinth der Gefahr - Monique Feltgen - E-Book

Im Labyrinth der Gefahr E-Book

Monique Feltgen

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Beschreibung

Die luxemburgische Richterin Marie verliebt sich über eine Dating-Plattform in Finn. Es scheint alles perfekt, bis sie feststellt, dass er sie in kriminelle Machenschaften mit hineinzieht. Kommissar Tom Becker bietet Marie seine Unterstützung an. Die Ermittlungen erstrecken sich von Maries Wohnort Gasperich nach München und wieder zurück nach Ulflingen. Sie verrennt sich im Labyrinth eines Geldwäscheringes, der vor Entführung und Mord nicht zurückschreckt. Wer ist Finn wirklich? Wer ist Juriy und wer ist der ,Boss‘? Der Weg aus dem Labyrinth ist gefährlich und führt nur über die Identität vom ,Boss‘!

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Für Massimo, meinen Sohn.

Mit Dank für seine Liebe, für seine nüchterne Art zu analysieren, seine Motivation, seine Unterstützung!

In Liebe

***

Für Manuel, der uns bei dieser Reise leider nicht mehr begleiten kann.

DANKE AN…

Linda, deren erstes Lektorat wie immer wegweisend war,

Christian, für die polizeitechnische Unterstützung, die ich nicht mehr missen möchte,

Myriam Welschbillig, meine Lektorin, für die wundervolle Zusammenarbeit, für ihre Mühe und Geduld,

Lena Schortgen und das ganze Team der „Editions

Schortgen“, mit denen hier eine neue, spannende

Reise beginnt.

An dieser Stelle auch einen herzlichen Dank an meine wunderbaren Freundinnen, die mir immer die Kraft gegeben haben, mich meinem Buchprojekt zu widmen. Ohne euch hätte ich das niemals geschafft.

Alle Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Prolog

Was stimmt nicht mit mir, fragte sich Marie seit einiger Zeit immer öfters. Sie sehnte sich nach einem Mann, mit dem sie ihr Leben teilen konnte, nach einem liebevollen Partner, der für sie da war, der sie verwöhnte, mit dem sie tanzen, reisen, lachen und weinen konnte. Ausbrechen aus dem manchmal trostlosen Alltag, aus dem Hamsterrad springen, den Käfig verlassen und leben!

Natürlich interessierten sich Männer für sie, nur leider waren sie meist verheiratet, entsprachen überhaupt nicht ihrem Typ oder waren einfach nur schreckliche Spießer. Sie wünschte sich jemanden, mit dem sie verrückte Dinge tun konnte – den Weg im Wald verlassen, Höhlen erforschen, in einem Bubble Hotel übernachten oder mit dem Camper durch Schottland reisen –, der aber auch dem Alltäglichen nicht abgeneigt war und mit dem sie gemeinsam kochen, vor dem Kamin kuscheln und im Jogging einen Film anschauen konnte. Ab und an ein Diner im Fünf-Sterne-Restaurant, sie in High Heels und Abendrobe, er im Nadelstreifenanzug, wäre das i-Tüpfelchen. Sie wollte jemanden, dem sie die Liebe schenken konnte, die in ihr schlummerte, und diese Liebe erwidern würde. Aber warum konnte sie diesen Mann nicht finden?

Schlecht sah sie nicht aus, auch wenn sie manchmal mit ihrem Gewicht haderte, ihre Hände ihr zu plump waren und ihre Füße zu lang. Aber insgesamt war ihre Figur in Ordnung, sie hatte schöne Zähne, ihre leicht gewellten, langen Haare konnte man als sexy bezeichnen und den Männern gefielen ihre braunen Augen – das behaupteten sie jedenfalls immer. Sie war intelligent, charmant, witzig und ihr Herz saß am rechten Fleck.

Ihr Sohn Eloy war mit seinen achtzehn Jahren ein erwachsener junger Mann und bereitete ihr keine Sorgen, sie liebte ihren Job und die Kollegen mochten sie. Also warum um alles in der Welt war sie noch immer single? Ihr Ex-Mann, zu dem sie ein gutes Verhältnis pflegte, meinte dazu nur: „Du bist eben speziell!“

Dass sie bald einen Mann finden und ihr Leben sich alles andere als trostlos gestalten würde, ahnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht! Ansonsten hätte sie ihn sich vielleicht nicht so sehnlich gewünscht.

Wie alles begann

Marie hatte eine anstrengende Gerichtsverhandlung hinter sich und keine Lust auf eine Aktivität, bei der sie ihr Penthouse verlassen musste. Barfuß und im Bademantel setzte sie sich mit einem Glas Barolo auf die Couch und klappte ihr Tablet auf.

Auf Anraten ihrer Freundin Emilia hatte sie sich einige Partnerbörsen angesehen, schnell aber die Finger davongelassen. Wollte man einen halbwegs passenden Lebensgefährten finden, musste man wohl ein wahrheitsgemäßes Profil anlegen, vielleicht noch ein Bild hinzufügen. Da aber in Luxemburg jeder jeden kannte, würde man sie sofort erkennen. Denn so viele Angestellte bei Gericht mit ihrem Dienstgrad gab es nicht; sie zu identifizieren wäre leichter, als einen Fertigkuchen zu backen. Da hätte sie gleich einen Aufruf „Suche Mann“ über Facebook oder Instagram starten können.

Maries Augen glitten über das Display.

Chatroom – E-Chat für jeden – Free Chat – Online Free Chat. Sie war ein Profi-Tipper. Sie brauchte keinen Blick auf die Tastatur zu werfen, ihre Finger kannten jede Position. Dieses Tablet mit Tastatur war die beste Investition überhaupt gewesen – klein, handlich, einfach zu bedienen! Sämtliche Apps eines herkömmlichen Smartphones standen auf einem bequemen Display zur Verfügung, sie konnte fernsehen, Protokolle schreiben, Gerichtsakten lesen und natürlich Dokumente speichern. Das Ganze passte bequem in ihre Handtasche. Da Marie viel im Internet surfte, sich mit ihren Freunden gerne über WhatsApp, SMS, Messenger und Facebook austauschte, war das ohne Frage angenehmer als die fummelige Angelegenheit auf dem Handy und weniger anstrengend für die Augen.

Ihr Blick huschte weiter über das Display und blieb plötzlich an einer Seite hängen. Chatroom 2020 – Kostenloser Chat ohne Anmeldung. Neugierig klickte sie auf den Link. Interessante Leute kennenlernen und chatten. Sie brauchte nur einen „Nickname“, also einen beliebigen Namen einzugeben und die allgemeinen Geschäftsbedingungen zu akzeptieren, was sie auch spontan tat.

Es war das erste Mal, dass sie sich in einen Chatroom wagte. Die Chats zogen nur so an ihr vorbei. Achthundert Personen waren online und schrieben sich kleine Messages. Hi, weiß jemand, wo heute Abend was in Bonn los ist? – Brauche Schminktipps für eine Theateraufführung – Hallo, sind hier auch Lesben aus dem Raum Koblenz und, und, und.

Eine ganze Stunde las Marie die Chats von Menschen mit den verschiedensten Wünschen. Das Interessante dabei war, dass es sich nicht nur um Partnersuche handelte. Und so tippte sie ihre erste Nachricht:

Hi, ich bin neu hier. Ich liebe Bücher.

Prompt kam eine Antwort.

Mirko: Hallo Marie, ich auch. Wenn du möchtest, können wir in den Privatchat wechseln.

Privatchat. Was war das? Marie überprüfte das Display. Oben rechts befand sich ein Icon. Privatchat!

Okay, Privatchat.

Sie klickte das Icon an. Tatsächlich war sie nun alleine mit Mirko. Nicht mehr diese hunderte Namen, von denen ihr fast schwindelig geworden war.

Von wo bist du denn, Marie?

Aus Luxemburg. Du?

Losheim.

Ah. Und du magst Bücher?

Ja.

Was liest du denn gerade?

Keine Zeit zum Lesen. Wie alt bist du?

Marie stutzte. Der geht aber ran, dachte sie. Das wollte sie nicht.

Ciao Mirko.

Sie wischte mit dem Zeigefinger über „Privatchat verlassen“ und schon war sie wieder im Chatroom. Sie verbrachte die nächsten sechzig Minuten mit der gleichen Prozedur. Immer wieder gaben Männer vor, Interesse an Büchern oder Reisen zu haben, aber spätestens die fünfte Frage ging meistens in Richtung Alter, Statur oder Augenfarbe, single, verheiratet oder geschieden. Um dreiundzwanzig Uhr verließ sie den Chatroom und ging zu Bett.

Tagsüber hatte Marie immer wieder über den Abend und ihre ersten Erfahrungen im Chatroom nachgedacht. Sollte sie es nochmals in demselben wie gestern versuchen oder sich eher in einem anderen anmelden? Eigentlich konnte man es den Männern nicht verdenken, nicht an Büchern oder Reisen interessiert zu sein, sondern nur an einer Frau. Schließlich war sie auch auf der Suche nach einem Mann. Nur die Dreistigkeit, die so mancher an den Tag legte, gefiel ihr nicht. Sie würde sich und „Mister Right“ also eine neue Chance geben. Sie wählte ein schönes Rotweinglas aus der Vitrine, entkorkte ihren Lieblingswein, einen Ripasso Valpolicella aus dem Veneto, und beschloss, im Chatroom 2020 zu bleiben. Mit dem Rotwein und ein paar Crackers sank sie auf die Couch.

Wie ein Güterzug schossen unzählige Chats an ihren Augen vorbei. Sie versuchte so viele wie möglich einzufangen, nippte an ihrem Rotwein, musste hier und da schmunzeln und tippte dann ihre Nachricht.

Hi, wenn du interessiert bist an Büchern und Reisen, dann triff mich im Privatchat.

Eine Frau namens Silvia meldete sich. Mit ihr tauschte Marie sich etwas länger aus. Sie teilten gemeinsame Interessen: Bücher, Musik, Filme und Reisen. Ohne Umschweife fragte Silvia, ob Marie sich eine Beziehung mit einer Frau vorstellen könne, denn sie sei lesbisch.

Ich habe kein Problem damit, aber das Thema interessiert mich nicht.

Schade Marie, aber ich such dann mal weiter. Nimm das aber jetzt nicht persönlich. Ciao.

Nein, keine Rede. Viel Glück Silvia.

Marie loggte sich aus. Sie hatte keine Lust mehr auf weiteren Austausch.

Sie spülte ihr Weinglas, wünschte ihrem Sohn noch gute Nacht und begab sich zu Bett.

***

„Abendessen ist fertig“, rief Marie über den Flur. Nach einer Weile hörte sie, wie Eloy sein Zimmer verließ.

„Was gibt es denn?“, fragte er, als er die Küche betrat.

„Schinken-Nudel-Auflauf.“

„Lecker, mein Lieblingsessen“, schwärmte Eloy.

Stolz musterte Marie ihren Sohn. Sie konnte sich vorstellen, dass er bei den Mädchen gut ankam. Er war groß und sportlich. Seine kastanienbraunen, lockigen Haare und die schönen braunen Augen hatte er definitiv von ihr.

„Wie war dein Tag?“, fragte sie, streifte einen Handschuh über und zog die Auflaufform aus dem Ofen.

Er zuckte die Schultern. „Wie immer. Schule halt.“

„Viel zu tun?“

„Yep. Und du?“

Sie schmunzelte. Yep war Eloys Lieblingswort. Das altmodische Ja und einige andere Wörter hatte er scheinbar aus seinem Wortschatz verbannt.

„Eine Verhandlung, viel Papierkram.“ Sie schob ihm seinen Teller mit dem dampfenden Gratin zu und beobachtete lächelnd, wie die Portion im Nu verschwand.

„War wirklich lecker, Mama. Ich verzieh mich aber jetzt in mein Zimmer. Ich habe noch eine Textanalyse für morgen vorzubereiten. Stör mich also heute Abend nicht mehr.“

„Alles klar. Geh du mal, ich räume hier auf.“

„Yep!“

An diesem Abend rang Marie mit sich, ob sie überhaupt noch einmal in diesen Chatroom 2020gehen sollte. Die meisten Gespräche waren wirklich gehaltlos, endeten immer beim gleichen Thema und einige, die so an ihr vorbeisausten, waren einfach nicht ihre Welt.

Na ja, dachte sie sich, ein letztes Mal, habe ja sowieso nichts Besseres zu tun. Und dann kam ihr eine verrückte Idee. Sie loggte sich ein und schrieb:

Suche einen Mann ab fünfundvierzig, intelligent, witzig, charmant. Und romantisch darf er auch sein!

Sie zögerte einen Moment, bevor sie die „Senden-Taste“ betätigte, dachte an all die Heiratsschwindler, die eigentlich nur an das Geld wohlhabender Frauen wollten. Eine kinderlose Tante hatte ihr ein Haus in einer noblen Gegend im Luxemburger Stadtteil Merl-Belair vererbt; die Miete war recht einträglich. Aber wie hieß es – no risk, no fun. Außerdem musste sie das ja nicht jedem gleich auf die Nase binden. Sie drückte die Taste und schickte ihr Anliegen ins Netz.

Hi. Hier Mathias. Ich bin zweiunddreißig.

Ich könnte deine Mutter sein, Mathias.

Ich mag reife Frauen.

Kein Interesse, Mathias. Such dir Frauen in deinem Alter.

Es meldeten sich einige Männer, die tatsächlich ihre Söhne hätten sein können. Sie wollte schon aufgeben, da poppte eine neue Message auf:

Hi. Hier Finn. Darf es auch vierundvierzig sein?

Marie lächelte. Diese Antwort gefiel ihr.

Ja, das darf es! Und ab dem Moment war in Maries Leben nichts mehr, wie es vorher war; eine Wanderung durch ein Labyrinth nahm ihren Lauf. Es sollte kein Spaziergang werden, was Marie zu diesem Zeitpunkt aber in keinster Weise erahnen konnte.

An diesem ersten Abend schrieben sie Stunden hin und her. Er wurde nicht anzüglich, sondern interessierte sich für sie und ihre Hobbys. Sie berichteten gegenseitig von ihren Reisen und Erlebnissen rund um die Welt. Durch den regen Austausch verschob sich das Bild auf dem Display immer mehr, der Text wurde kleiner und sogar auf dem Tablet wurde es langsam kompliziert, die Übersicht zu behalten. Marie wagte den Vormarsch.

Sollen wir nicht über WhatsApp schreiben? Ich verliere hier so langsam den Faden.

Geht leider nicht. Mein Handy ist kaputt. Muss mir ein neues holen.

Handy kaputt! Irgendwie klang das wie eine Ausrede für Marie.

Gib mir deine Telefonnummer schon mal.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, dachte sie und tippte ihre Nummer. 00352 nicht vergessen.

Er schickte ein Smiley zurück, sie wünschten sich gute Nacht und beendeten den Chat.

***

Beschwingt ging Marie den nächsten Tag an. Sie war gespannt, ob Finn sich melden würde. Der Austausch im Privatchat war gespeichert und so konnten sie beide sehen, ob der andere online war.

Marie genoss die Aussicht auf Gasperich, während sie ein wenig verträumt am Panoramafenster ihres Penthouses ihren Cappuccino schlürfte. Ein schöner Apriltag kündigte sich an. Im Bad flocht sie sich ihre braunen Haare zu einem Zopf und legte blauen Lidschatten auf, der ihren braunen Rehaugen einen intensiven Ausdruck verlieh. Dann schlüpfte sie in eine elegante schwarze Hose und einen weißen, gerippten Pullover. Dazu passend einen ihrer unzähligen schwarzen Blazer und fertig war das perfekte Business-Outfit. In der Diele, dem Vorraum zum Aufzug, lagen mehrere Lippenstifte auf der Ablage der Garderobe. Sie entschied sich für rosa glänzend, was ihre vollen Lippen betonte, ohne aufdringlich zu wirken. Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel fuhr sie mit dem Aufzug vom Penthouse in die Garage.

Im Büro warteten einige Unterschriftenmappen. Mit Elan machte sie sich an die Arbeit, las Dokumente, unterzeichnete einige Beschlüsse und Anweisungen, führte Telefongespräche. Gegen zehn Uhr dreißig piepste ihr privates Handy. Ein Schmunzeln huschte über ihr Gesicht. Eine WhatsApp von einer deutschen Nummer.

Na junge Frau, schon fleißig?

Ihr Herz machte einen Hüpfer.

Natürlich.

Ich habe ein neues Handy. Mein Kollege versucht, die Fotos vom alten zu retten. Hoffe, das klappt.

Drück dir die Daumen.

Ja, sind top Bilder dabei, wäre schade, die zu verlieren. Was machst du heute?

Natürlich arbeiten.

Aha. Darf ich fragen was, Marie?

Ich arbeite in einem Dönerladen, schrieb Marie und grinste das Handy an.

Finns Antwort kam sofort: Cool, ich liebe Döner.

Maries Grinsen wurde noch breiter. War ein Witz, Finn, ich bin Richterin.

Er schickte ihr ein Lachsmiley.

Sie wählte einen zwinkernden Smiley und schrieb: Was arbeitest du?

Internetbusiness. Schreib ich dir heute Abend. Hab nun zu tun. Einverstanden?

Ja, natürlich. Melde dich einfach, wenn du Zeit hast.

Karussell

Ein Tag jagte den anderen. Marie und Finn schrieben sich fast stündlich, telefonierten regelmäßig und lernten sich nach und nach besser kennen. Finn war ein Einzelkind und wie Marie geschieden, seit fünf Jahren single, hatte zwei erwachsene Kinder, die aber hunderte Kilometer von ihm entfernt lebten. Demnach sah er sie kaum. Er und Marie diskutierten viel über Politik und verglichen die luxemburgischen Verhältnisse mit den deutschen. Worüber Finn sich am meisten ärgerte, war, dass die Schere zwischen Reich und Arm für seine Begriffe in Deutschland zu sehr auseinanderklaffte. Wollte Marie genauer wissen, was er denn arbeite, so blieb er vage. Sicher war, dass er sich sehr gut im Baugewerbe auskannte. Vom Rohbau über das Dach bis zu den Elektro- und Sanitärinstallationen gab es keine Frage, die er Marie nicht beantworten konnte. Seine Kenntnisse im Investmentbereich waren ebenfalls beachtlich und so gingen ihnen die Gesprächsthemen niemals aus. Zu Liebesbekenntnissen kam es jedoch nicht. Marie musste manchmal ihre romantische Ader unterdrücken, sie wollte nicht vor den Wagen springen. Das sollte ihm überlassen bleiben.

Sie schickten sich unzählige Fotos, vom Grillen mit Freunden, vom Himmel, vom Essen, aus dem Garten oder vom Balkon, im Auto und jede Menge Selfies. Marie spürte sich ihm so nah, und sie hoffte, dass ihr Gefühl sie nicht täuschte und es auch ihm so erging. Die kleinen Tierchen, die in ihrem Bauch umherflatterten, konnte sie nicht verleugnen. Ende Mai kam dann die lang ersehnte Nachricht.

Marie?

Ja!

Ich muss dich kennenlernen!!!

***

Endlich war es so weit. Wie ein verliebter Teenager hatte Marie dem Treffen entgegengefiebert. Stunden davor begann sie mit den Vorbereitungen, sie wollte einfach nur perfekt aussehen! Nach mindestens zehn Anproben fiel ihre Wahl schließlich auf ihr Lieblingskleid, dazu eine schwarze Strumpfhose und Schuhe mit Absatz. Der Abend kündigte sich eher kühl an und so rundete eine schwarze Jacke das Ganze ab.

Ihrer Freundin Emilia hatte sie genau beschreiben müssen, wo und wie sie Finn treffen würde. Marie sollte sich außerdem per SMS nach dem Rendezvous melden; das war auch mit ihrer Schwester Martine so abgemacht.

Marie steuerte ihren Wagen auf den Parkplatz des kleinen Hotels in Koblenz, wo Finn sich mit ihr treffen wollte. Sie hatten abgemacht, zunächst an der Bar etwas zu trinken. Falls es nicht passte, würden sie sich gleich wieder voneinander verabschieden. Ni vu, ni connu, würde der Franzose sagen.

Marie stieg aus dem Auto. Mit einem raschen Blick in den Seitenspiegel vergewisserte sie sich, dass die Frisur noch perfekt saß. Dabei stieß sie sich den Kopf am Türrahmen.

Typisch, dachte sie. Dusselig wie ich immer bin, stolpere ich Finn noch in die Arme. Bei dem Gedanken musste sie lächeln. Sie kramte ihr Handy hervor, um Finn mitzuteilen, dass sie angekommen war. Ein Klingelton hinter ihr erschreckte sie. Sie fuhr herum. Und da stand er, keine fünf Meter von ihr entfernt und mit einem Grinsen, das wie ein Pfeil in ihr Herz flog!

Auf den Fotos und Videos hatte sie immer nur sein Gesicht, oder vielleicht noch den Oberkörper gesehen. Er war schlank, aber etwas kleiner, als sie ihn sich vorgestellt hatte, vielleicht eins fünfundsiebzig. In den Jeans mit dem strahlend weißen Shirt und der grünen Hemdjacke, deren Ärmel er lässig hochgekrempelt hatte, wirkte er jünger als vierundvierzig. Marie überkam Panik. Was, wenn ihn ihr Alter nun doch störte? Sie fühlte sich einen kurzen Augenblick wie eine Oma. Und während sie sich panisch überlegte, ob sie ihm die Hand reichen oder die Wange hinhalten sollte, hatte er ihr bereits das Heft aus der Hand genommen.

„Hi“, begrüßte er sie ungezwungen und blickte sie leicht erstaunt aus seinen braunen Augen an.

Ich bin ihm doch zu alt, dachte sie verwirrt.

„Du bist noch hübscher als auf den Bildern“, erklärte er prompt und küsste sie auf die Wange.

Bei seiner Berührung wurde ihr fast schwindelig. Sie errötete, und das mit zweiundfünfzig!

„Ich bin für einen Drink.“ Er grinste erneut.

„Gerne“, krächzte sie mit trockener Kehle.

In der Bar herrschte eine gemütliche Atmosphäre. Das Licht war gedämmt, aber nicht zu schummrig, die Musik war angenehm, aber nicht zu laut. Finn steuerte auf einen freien Tisch zu.

„Okay hier für dich?“, fragte er sie.

„Perfekt.“

Sie nahmen auf bequemen Polsterbänken Platz und Finn winkte einen Kellner herbei.

„Was möchtest du trinken, Marie?“

„Einen Moselwein bitte.“

„Hast du einen Riesling aus der Gegend?“, fragte Finn den Kellner.

Marie war etwas überrascht über die saloppe Art, der Kellner jedoch nahm es gelassen.

„Wir hätten eine Spätlese Edelsüß 2018 oder einen Trockenen, auch 2018.“

„Ich würde dann den Trockenen nehmen“, antwortete Marie.

„Für mich bitte ein Bier.“

„Kommt sofort.“

„Wir haben nun Phase zwei erreicht“, meinte Finn.

„Unser Treffen?“

Er bejahte.

„Wie sieht denn Phase drei aus?“, fragte sie.

„Auswandern, Villa am Meer, Heirat, Kinder!“, erwiderte er.

„Mindestens sieben Stück, nehme ich an.“ Die Tierchen in Maries Bauch schlugen Purzelbaum. Es war der Anfang eines schönen Abends, eines Abends, an dem die Gespräche zusehends privater wurden. Marie erzählte von ihrer Jugend, den Hänseleien in der Schule, ihrer ersten langjährigen Beziehung. Finn gab ein wenig von seiner Kindheit preis. Sein Vater hatte als Lastwagenfahrer bei einer Spedition gearbeitet. Wenn er betrunken war, was häufig vorkam, tyrannisierte und verprügelte er seine Mutter und ihn. Eines Tages jedoch hatte Finn zurückgeschlagen.

„Wäre meine Mutter nicht dazwischengegangen, hätte ich ihn wahrscheinlich totgeschlagen.“

„Wie alt warst du damals?“

„Fünfzehn.“

„Was passierte dann?“

„Der Alte verließ das Haus und kam nie wieder zurück.“

„Wovon habt ihr anschließend gelebt, du und deine Mutter?“

„Meine Mutter arbeitete, seit ich denken konnte, als Putzfrau. Der Alte versoff immer das ganze Geld. Ich wollte nicht, dass sie ewig putzen gehen müsste. Ich suchte mir einen Job und landete in einem Pfandverleih hinter der Theke. Der Besitzer nahm mich unter seine Fittiche. Ich lernte den Wert von Gegenständen einschätzen und Preise festlegen. So begann mein Weg zu dem, was ich heute mache.“

„Dein Internetbusiness?“

„Genau. Einige Leute verkauften ihre Wertsachen lieber, als sie zu verpfänden. Es sprach sich auch schnell rum, dass ich gute Preise zahlte, unterm Tisch natürlich. Mein Chef hätte mir sofort gekündigt.“

Marie hörte gespannt zu.

„Anfangs verdiente ich ein paar deutsche Mark hier und da. Je mehr Geld ich überhatte, desto mehr Sachen konnte ich erstehen, die ich dann wieder weiterverkaufte. Mit zwanzig eröffnete ich meinen ersten Goldladen. Ankauf und so.“

„Steile Karriere!“

„Hatte Glück. Vor allem aber musste meine Mutter nicht mehr putzen. Wir zogen in eine schöne Wohnung, sie lernte einen netten Mann kennen und beide leben heute noch glücklich und zufrieden zusammen.“

Marie überkam eine Gänsehaut. „Wie im Märchen.“

Ein Schatten lief über Finns Gesicht. „Das Leben ist aber nicht immer so.“

Sie bestellten noch ein Glas Wein für Marie und einen Whisky für Finn. Marie wünschte sich, der Abend würde niemals enden.

„Und du?“, fragte Finn. „Keine Leiche im Keller?“

Marie blickte zur Decke und überlegte. „Oh doch, ein Bußgeld wegen Falschparkens!“

Finn grinste spitzbübisch. „Deine kriminelle Ader ist ja erschreckend.“

Der Kellner trat an ihren Tisch. „Es tut mir wirklich leid, aber wir schließen jetzt.“

Finn sah auf seine Uhr. „Schon zwölf. Die Rechnung dann bitte.“

„Ich muss sowieso nach Hause. Mein Sohn ist nicht gewohnt, dass ich so spät nach Hause komme.“

„Eigentlich möchte ich dich nicht gehen lassen.“

„Ich würde auch lieber bleiben.“ Marie lächelte verlegen. „Vielleicht morgen Abend?“

„Es tut mir leid, aber ich muss sehr früh wieder raus. Ich habe einen Termin in Darmstadt.“

Sie versuchte, ihre Enttäuschung zu verbergen.

„Wir sehen uns bald wieder. Komm, ich bring dich zu deinem Wagen.“ Er legte den Arm um sie und sie schmiegte ihren Kopf leicht an seine Schulter. Die Größe passte perfekt, nur beim Gehen kamen sie nicht in den Rhythmus und so stolperten sie etwas unbeholfen zum Parkplatz. Beide lachten darüber, was ihnen den Abschied etwas leichter machte.

„Fahr vorsichtig“, bat er sie. „Schreib mir eine Nachricht, wenn du zuhause bist.“

Sie kramte den Autoschlüssel aus ihrer Tasche. „Mach ich.“

Finn packte sie sanft an der Schulter und drehte sie zu sich. Sie standen nun Brust an Brust, sie spürte seinen Atem an ihrer Schläfe. Behutsam strich er ihr eine Strähne aus der Stirn und küsste sie zärtlich auf das Haar. Dann schob er seine Hand unter ihr Kinn, hob ihr Gesicht sanft an. Sein Blick traf sie tief im Herzen und sie erwiderte ihn voller Zärtlichkeit, bevor sich ihre Lippen zu einem ersten, innigen Kuss trafen.

***

Viel Schlaf hatte Marie nicht bekommen. Sie war um zwei zu Hause angekommen, hatte sich bei Finn gemeldet, dann, wie abgemacht, Emilia und ihrer Schwester eine SMS geschickt und vor dem Zubettgehen noch bei Eloy hineingeschaut. Eingeschlafen war sie aber erst nach drei und um sechs schon wieder hellwach gewesen. Ihre erste Geste war der Griff zum Handy.

Guten Morgen, junger Mann. Gut geschlafen? ♥

Finns Handy war noch im „Nicht-stören-Modus“, das jedenfalls war aus der Statusleiste ersichtlich. Schaltete er sein Handy ein, erschien dort ein online oder zuletzt online mit der Uhrzeit. Beschwingt hatte sie geduscht und dann ihren Sohn geweckt. Eloy war ein Morgenmuffel und ließ sich Zeit im Bad. Das Frühstück ging immer relativ wortkarg über die Bühne.

Marie räumte ihre Müslischüssel in die Spülmaschine. „Ich bin dann weg. Wir sehen uns heute Abend.“

„Ja“, brummte Eloy, schaffte aber ein müdes Lächeln zum Abschied.

Marie war, als schwebe sie durch die Flure des Gerichtsgebäudes, die Kaffeeküche und ihr Büro. Sie strahlte jeden an, dem sie begegnete. Am liebsten hätte sie es laut herausgeschrien: ICH BIN VERLIEBT!

„Guten Morgen, Yvette“, begrüßte sie ihre Sekretärin gut gelaunt.

„Guten Morgen, Frau Richterin.“

„Was steht heute auf dem Programm?“

„Zwei Verhandlungen, ein Lunch. Liegt alles auf ihrem Schreibtisch.“

„Danke Yvette.“

„Und der Anwalt des Drogendealers, dessen Gerichtsverhandlung für morgen Vormittag angesetzt ist, hat angerufen. Er möchte Sie unbedingt vorher sprechen.“

„Aha. Stellen Sie ihn in fünfzehn Minuten durch. Vielleicht rückt sein Mandant doch noch ein paar Namen raus.“

„Mach ich.“

Marie hatte die Bürotür noch nicht geschlossen, da klingelte ihr Handy. Die Melodie kündigte Emilia an.

„Und, wie war es? Erzähl!!!“

„Traumhaft. Er ist so ein toller Typ, sieht gut aus, ist witzig, intelligent und charmant. Zu schön, um wahr zu sein.“ Marie plumpste auf ihren Bürostuhl.

„Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, na los!“

„Ich habe Kribbeln im Bauch, Emilia, und klar denken fällt mir schwer!“

„Dann bin ich aber richtig gespannt. Was macht er denn nun beruflich? Das war ja nicht so offensichtlich bis jetzt.“

„Weiß ich noch immer nicht genau. Er gründet Firmen, um insolvente Betriebe aufzukaufen, glaube ich. Er kauft aber auch Lagerbestände aus Insolvenzen und hat Mitarbeiter, die das ins Internet stellen und weiterverkaufen. Zusätzlich spekuliert er mit Gold, Silber, Kupfer und weiß der Teufel. Da er die Verhandlungen vor Ort führt, ist er viel unterwegs. Seinem Job kann er von überall auf der Welt nachgehen, alles, was er dafür braucht, ist ein Computer.“

„Viel unterwegs? Wo bleibt da Platz für eine Beziehung?“

„Ich könne zu ihm fliegen, egal wo er sei, meinte er. Ein Fahrer würde mich am Flughafen abholen und zu ihm bringen.“

„Das klingt sehr romantisch“, gestand Emilia etwas nachdenklich ein. „Wo wart ihr denn gestern?“

„In einer schönen Bar in Koblenz. Es war, als würden wir uns ewig kennen.“

„Was hast du sonst erfahren?“

Marie lachte. „Wenn du so weitermachst, bin ich bald gelöchert wie ein Schweizer Käse. Lass uns heute Abend in Ruhe telefonieren.“

„Komm doch auf ein Glas Sekt zu mir“, bot Emilia an. „Nach der Arbeit.“

„Ich sag dir noch Bescheid. Ich schau mal, ob Eloy mich nicht braucht. Ich war ja gestern schon nicht zu Hause.“

„Marie“, rief Emilia in den Hörer, „Eloy ist achtzehn.“

„Jaaa, ich weiß. Aber einmal Mama, immer Mama. Ich gebe dir später Bescheid. Gerade kommt eine WhatsApp herein, von Finn.“

Emilia schnaufte. „Tja, da kann ich nicht mithalten.“

„Kannst du nicht!“

„Gib trotzdem acht, Marie. Es gibt viele Betrüger, die einsame Frauen zu bezirzen wissen, nur um sie um ihr Vermögen zu bringen.“

„Finn ist nicht so. Er fährt ein schickes Auto und besitzt Immobilien. Haus, Grundstück und so weiter.“

„Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Marie. Das weißt du. Aber lass seinen Worten zuerst mal Taten folgen und lass dich bitte nicht überrumpeln.“

„Keine Sorge, Emilia. Ich bin schließlich kein naiver Teenager. Vertrau mir und lege den Sekt schon mal kalt.“

***

Riesenrad

Die Monate Juni und Juli schwebte Marie auf Wolke sieben. Täglich flogen unzählige WhatsApps über die Grenze und zurück, dazu gesellten sich Küsschen und Herzchen. Finn richtete es ein, dass sie sich jede zwei bis drei Wochen in Koblenz in „ihrem“ Hotel trafen. Meistens kündigte er sein Kommen erst am Tag vorher an, was Marie anfangs nervte. Aber nach und nach bekam sie ein Gefühl dafür, wann sie sich sehen könnten, und dementsprechend organisierte sie ihre Termine. Aber für Finn schaffte sie es auch kurzfristig, Treffen zu verschieben. Mit dem Sport hatte sie auch wieder angefangen, für Finn wollte sie in Form bleiben. Bis zu dreimal die Woche joggte sie durch den ‚Bambësch‘ oder um die Weiher in Kockelscheuer.

Im Juni verbrachte sie eine Woche mit einem befreundeten Ehepaar in Rimini. Dies war eine Tradition, die sie seit fünfzehn Jahren aufrechthielten. Ihre gleichaltrigen Söhne kannten die Gegend wie ihre Westentasche, sodass die Eltern sie getrost am Abend ziehen lassen und sie selbst den Abend bei Kaffee und Limoncello auf der Terrasse des Hotels genießen konnten. Finn hatte ihr zwar versprochen, sie in Italien zu besuchen, doch sie wartete vergebens auf ihn. Wie so oft schluckte sie ihre Enttäuschung hinunter, wollte sich und den anderen den Urlaub nicht verderben. Insgeheim hatte sie wenigstens auf eine Entschuldigung gehofft. Doch die kam auch nicht. Dann war es eben so, er hatte Wichtigeres zu tun.

Sie tröstete sich mit dem geplanten gemeinsamen Urlaub im August. Eine ganze Woche wollten sie miteinander verbringen, abends zusammen einschlafen und morgens nebeneinander aufwachen. Finn hatte die Organisation übernommen. Treffen in Koblenz am vierten August, auf zu einem Flughafen und ab in den Urlaub.

Da Marie sehr strukturiert lebte, nervte es sie total, dass sie am dritten August immer noch nicht wusste, wohin die Reise gehen würde. Sie hatte einige Mal zaghaft nachgefragt, aber über ein „ich mach das“ oder „mal schauen“ war sie nicht hinausgekommen. Ein wenig verzagt packte sie einen Koffer für einen Flug in die Sonne und eine Reisetasche, wenn es nun doch ein Urlaub mit dem Auto sein würde. Am Sonntag, den vierten August teilte er ihr dann mit, dass sie sich am sechsten August in Koblenz treffen würden, in ihrem Hotel! Ungläubig starrte Marie das Handy an. Das konnte doch nicht wahr sein! Ihren wertvollen Urlaub verbrachte sie damit, auf ihn zu warten. Sie musste mit jemandem reden.

„Hallo Emilia.“

„Hat er dich wieder versetzt?“ Emilia klang mitfühlend.

Marie schluckte. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. „Hat er. Übermorgen jetzt. Koblenz.“

„Koblenz. Und was ist mit Strandhaus, blaues Meer, weißer Sand?“

„Keine Ahnung, was er plant, aber ich bezweifele mehr denn je, dass es seinen Versprechen und meinen Vorstellungen entspricht“, schluchzte Marie. „Er plant und plant, macht unzählige Ansagen, aber bei der Umsetzung hapert es dann.“

„Marie, bitte. Er ver…, sagen wir, veräppelt dich ganz schön. Das kannst du doch nicht zulassen.“

Wenn sie ehrlich war, war sie in der Beziehung zu Finn schon öfters über ihren Schatten gesprungen, hatte sich ihm angepasst. Aber sie bereute es nicht. Mit ihm hatte sie wieder lachen gelernt, das Leben machte wieder Spaß.

„Aber er tut mir gut, das weißt du!“, meinte Marie zögerlich.

„Er tut dir gar nicht gut, Marie. Du bist nur noch auf ihn fokussiert. Wann warst du das letzte Mal aus auf einen Drink mit Freundinnen oder zu Besuch bei mir?“

„Du hast nicht ganz unrecht, aber gerade deshalb ist dieser Urlaub so wichtig, Emilia.“

Unter Finns Einfluss hatten sich einige positive Änderungen in Maries Leben eingeschlichen. Sie gönnte sich Freizeit und Auszeit, auch wenn diese Zeit oft nur aus Warten auf seine Anrufe oder Textnachrichten bestand. Für sie war der Himmel blau, auch wenn er in Wirklichkeit mehr als einmal grau war. Aber das ignorierte sie geflissentlich. Auch darin war Marie geübt.

„Ich hoffe, der Urlaub bringt dir das, was du dir wünschst. Ich gönne es dir, sehe dich gerne glücklich, aber das alles kommt mir doch sehr spanisch vor. Für mich ist er nur ein egoistischer Narzisst.“

Marie schluckte. Unrecht hatte Emilia nicht. „Er hat auch wundervolle Eigenschaften, Emilia. Wenn ich erst mal ein paar Tage mit ihm zusammen bin, dann habe ich Zeit, ihn besser kennenzulernen und auch meine Bedürfnisse mal klarzustellen. Schriftlich, per Kurznachricht übers Handy, artet das immer in Missverständnisse aus.“

Emilia hätte noch tausend Argumente gehabt, aber sie wollte ihre Freundschaft nicht strapazieren. „Jetzt erst einmal Kopf hoch und auf Dienstag freuen. Okay?“

„Das mach ich. Danke, dass du immer für mich da bist.“

„Wozu hat man Freundinnen? Bis bald.“

Marie legte auf und fühlte sich keinen Deut besser. Sie trat an ihr Panoramafenster. Der blaue Himmel und die Sonne zeichneten einen scharfen Kontrast zu der dunklen Vorahnung, die sich zunehmend in ihr ausbreitete.

***

Die düstere Vorahnung hatte sich bestätigt. Der Urlaub war eine einzige Katastrophe gewesen. Sie waren mit dem Wagen quer durch Deutschland gereist. An sich war das nicht das Problem, doch obwohl es am Abend hieß, morgen fahren wir nach Berlin, landeten Sie am Ende in irgendeinem kleinen Dorf in einer Pension. Da Finn eine Fußverletzung auskurierte, ließ er sich kutschieren; an lange Spaziergänge war nicht zu denken. Zudem hing er ständig am Handy oder saß an seinem Laptop.

„Ich muss zwischendurch arbeiten, Kleine, das ist so in meinem Business“, erklärte er manchmal. Wenn er sah, dass sie sauer wurde, gab er sich einen Abend lang Mühe, aber das war es dann auch schon wieder.

Manchmal blinzelte sie zu ihm rüber, wenn er arbeitete, und stellte fest, dass er auf Aktien- und Börsenseiten unterwegs war. Sie verstand zwar nichts davon, doch ihre Neugier war geweckt, was ihm wiederum nicht entging.

„Interessiert dich das, Kleine?“

„Ich verstehe nichts davon“, erwiderte sie.

„Gold ist die Zukunft. Du solltest dein Geld in Gold anlegen. Auf der Bank bringt es dir nichts.“

„Wie meinst du? Aktien kaufen?“