5,99 €
Eine mutige Frau, ein falscher Name, eine Reise in die Ferne … 1885: Als die junge Orissa Fane von ihrer englischen Stiefmutter auf die Straße gesetzt wird, tritt sie die schwere Reise in ihre indische Heimat an, wo sie sich die Unterstützung ihres Onkels erhofft. Um nicht als unverheiratete Lady aufzufallen, gibt sie sich auf dem Schiff als Gouvernante aus. Hier begegnet sie auch Major Meredith, einem attraktiven wie strengen Soldaten. Zwischen den beiden sprühen Funken der Abneigung – und des Verlangens – und Orissa ist froh, als sich endlich Delhis Küste in all seinem Glanz am Horizont abzeichnet. Doch mit Erschrecken muss sie feststellen, dass ihr Onkel zu einem fernen Fort beordert wurde. Mit Wagemut nimmt sie auch diesen Weg auf sich und ahnt nicht, dass das Schicksal tödliche Gefahr für sie bereithält – und ein weiteres Treffen mit Major Meredith … Indischer Liebeszauber für Fans von Tara Haigh – ein historischer Liebesroman, so schillernd wie Seide.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
1885: Als die junge Orissa Fane von ihrer englischen Stiefmutter auf die Straße gesetzt wird, tritt sie die schwere Reise in ihre indische Heimat an, wo sie sich die Unterstützung ihres Onkels erhofft. Um nicht als unverheiratete Lady aufzufallen, gibt sie sich auf dem Schiff als Gouvernante aus. Hier begegnet sie auch Major Meredith, einem attraktiven wie strengen Soldaten. Zwischen den beiden sprühen Funken der Abneigung – und des Verlangens – und Orissa ist froh, als sich endlich Delhis Küste in all seinem Glanz am Horizont abzeichnet. Doch mit Erschrecken muss sie feststellen, dass ihr Onkel zu einem fernen Fort beordert wurde. Mit Wagemut nimmt sie auch diesen Weg auf sich und ahnt nicht, dass das Schicksal tödliche Gefahr für sie bereithält – und ein weiteres Treffen mit Major Meredith …
eBook-Neuausgabe August 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1974 unter dem Originaltitel »Karma of Love« bei Thorndike Press. Die deutsche Erstausgabe erschien 1976 unter dem Titel »Das indische Liebeslied« im Erich Pabel Verlag.
Copyright © der englischen Originalausgabe 1974 by Barbara Cartland
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1976 Erich Pabel Verlag KG
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © john / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock/ shutterstock
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)
ISBN 978-3-98952-882-6
***
dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people . Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
***
Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected] . Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags
***
Dieses Buch wurde ursprünglich 1974 veröffentlicht und verwendet eine Sprache, die diese Ära widerspiegelt.
***
Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)
***
Besuchen Sie uns im Internet:
www.dotbooks.de
www.facebook.com/dotbooks
www.instagram.com/dotbooks
blog.dotbooks.de/
Barbara Cartland
Roman
Aus dem Englischen von Annette von Heinz
»Hinaus mit dir! Und komm mir nie wieder unter die Augen! Ich kann dein blasiertes Gesicht nicht mehr ertragen. Meinst du vielleicht, daß du etwas Besonderes bist? Ein Nichts bist du! Hörst du? Ein Nichts! Sieh doch zu, wie du ohne mich zurechtkommst. Meinetwegen kannst du erfrieren!«
Damit versetzte die Countess of Lyndale, eine aufgedunsene und ungepflegte Frau mittleren Alters, dem Mädchen einen kräftigen Stoß, so daß es der Länge nach auf der Freitreppe hinschlug.
Dann krachte die Eingangstür ins Schloß.
Wie betäubt blieb Lady Isabel Fane einen Augenblick lang liegen. Aus Erfahrung wußte sie, daß es sinnlos war, sich gegen die heftigen Ausbrüche ihrer Stiefmutter zur Wehr zu setzen, denn in angetrunkenem Zustand war sie unberechenbar. Allerdings hatte sie es bisher noch nie gewagt, sie buchstäblich aus dem Haus zu werfen.
Wie üblich hatte es keinerlei Anlaß für den Streit gegeben. Die Countess of Lyndale, die unter einem starken Minderwertigkeitsgefühl litt, hatte nach dem Genuß einer Flasche Gin ihre Stieftochter plötzlich als arrogant empfunden.
Es geschah häufig, daß sie sich in Isabels Gegenwart ihrer niederen Herkunft bewußt wurde. Jahrelang hatte sie als Frau eines unbedeutenden Verwaltungsbeamten in den indischen Kolonien gelebt, bis ihr Mann einer Epidemie zum Opfer gefallen war.
Auf der Rückreise nach England war sie dem Earl of Lyndale begegnet.
Der Earl of Lyndale hatte als Witwer ein äußerst zurückgezogenes Leben geführt und war daher kaum noch an den Umgang mit Frauen gewöhnt.
So war es Mrs. Smithson, einer damals reizvollen und gutaussehenden Frau, nicht schwer gefallen, den unter seiner Einsamkeit leidenden Mann für sich zu gewinnen. Durch ihre zur Schau gestellte Warmherzigkeit hatte sie sich derart in sein Gefühlsleben eingeschlichen, daß er ihr unmittelbar nach seiner Ankunft in England einen Heiratsantrag machte. Es war der größte Triumph in Mrs. Smithsons Leben gewesen, Countess of Lyndale zu werden.
Isabel war auf dieser Schiffsreise nicht dabei gewesen. Sie hatte sich häufig gefragt, ob es ihr wohl gelungen wäre, ihren Vater von diesem Schritt abzuhalten, der die gesamte Familie in eine Katastrophe hineingerissen hatte.
»Oh, wenn er doch wenigstens noch bei seinem Regiment wäre«, hatte sie sich immer wieder bitterlich bei ihrem Bruder Charles beklagt, wenn er zu Besuch kam. Denn zu allem Unglück hatte der Earl of Lyndale sofort den Austritt aus seinem Regiment beantragt und seinen Haushalt in Indien aufgelöst, als ihn die Nachricht von dem Tod seines Bruders erreichte.
Er hatte geglaubt, von seinem Bruder nicht nur den Titel, sondern auch ein ansehnliches Vermögen zu erben. Erst nach seiner Ankunft in England hatte man ihn darüber aufgeklärt, daß so gut wie kein Vermögen vorhanden war.
Die zweite Countess of Lyndale hatte sehr schnell begriffen, daß ein wohlklingender Name keinen Ersatz für die beschränkten Verhältnisse bot, in denen sie leben mußte. Die Gin Flasche hatte sie jedoch schnell über diese Enttäuschungen hinweggetröstet.
Für Isabel hatte sich das Leben von da an zu einem einzigen Alptraum entwickelt. Sie war zu diesem Zeitpunkt erst zehn Jahre alt gewesen und hatte hilflos zusehen müssen, wie nicht nur ihre Stiefmutter, sondern auch ihr Vater immer mehr dem Alkohol verfielen.
Die wenigen Freunde, die der Earl in England hatte, waren über diese Entwicklung entsetzt gewesen und hatten ihre Besuche bald ganz eingestellt. So war Isabel zunächst in völliger Abgeschiedenheit aufgewachsen.
In den ersten Jahren hatte sie sich in die Erinnerungen geflüchtet, die sie mit Indien verbanden. Indien, das Land, wo sie glücklich gewesen war, wo sie die liebende Fürsorge einer Mutter gespürt hatte. Indien war bald der Inbegriff all ihrer Träume und Wünsche geworden.
Daß sich ihre Situation schließlich doch änderte, verdankte sie ihrem älteren Bruder, dem Viscount Dillingham. Er hatte energisch darauf bestanden, sie auf eine Schule zu schicken.
Das Leben war daraufhin für Isabel erträglicher geworden, da sie den größten Teil ihrer Zeit außer Haus verbringen konnte, und sie hatte sich zu einem gebildeten und ungewöhnlich schönen jungen Mädchen entwickelt.
Und das mußte den Neid ihrer Stiefmutter erweckt haben. Besonders, wenn die Countess ihre eigene, vom Alkohol verwüstete Erscheinung im Spiegel betrachtete. Das mußte der Grund gewesen sein, warum sie in einem Anfall ohnmächtigen Hasses ihre Stieftochter aus dem Haus gewiesen hatte.
Isabel erhob sich langsam und klopfte den Schnee von ihrem Kleid. Sie spürte, wie die bittere Kälte der Winternacht durch den dünnen Stoff drang, und sah ratlos auf die geschlossene Eingangstür.
Es war zwecklos zu klopfen. Die einzige Person, die sie hören könnte, war ihre Stiefmutter. Und die würde in ihrer augenblicklichen Verfassung bestimmt nicht öffnen. Die beiden Bediensteten, die noch im Haus beschäftigt waren, würden es nicht wagen, sich gegen ihre Herrin aufzulehnen. Und ihr Vater schlief in einem Trakt des Hauses, wo ihn ihr Rufen oder Klopfen nicht erreichen würde.
Isabel wandte sich unschlüssig um und blickte suchend die Straße entlang. Da entdeckte sie einen Fiaker, der sich langsam näherte und vor dem benachbarten Haus halt machte. Ein Mann sprang auf die Straße, entlohnte den Kutscher und stieg die Freitreppe hinauf.
Der Kutscher schob das Geld in die Tasche und setzte sein Pferd mit einem lauten Peitschenknall wieder in Bewegung. Als das Fahrzeug an Isabel vorbeifuhr, hatte sie einen Entschluß gefaßt.
»Droschke!« rief sie mit fester Stimme.
Der Kutscher brachte sein Pferd wieder zum Stehen, und sein Blick drückte deutliche Mißbilligung aus, als er Isabel vom Kutschbock herab musterte. Sie hatte es nicht anders erwartet, denn eine Dame, die etwas auf sich hielt, ging nachts nicht ohne Begleitung auf die Straße.
»Wohin möchten Sie?« fragte er widerstrebend. Er schien zu überlegen, ob er sie überhaupt mitnehmen sollte.
»Es wäre sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie mich in die Queen Anne Street fahren würden. Zur Wellington-Kaserne.«
Ihre ruhige und angenehme Stimme schien ihn davon zu überzeugen, daß sie doch nicht von der Sorte war, wie er zunächst angenommen hatte. Umständlich schickte er sich an, vom Kutschbock zu steigen, um Isabel beim Einsteigen behilflich zu sein.
Aber sie kam ihm zuvor. Schnell öffnete sie die Wagentür und ließ sich behände in die schwarzen Lederpolster gleiten. Aufatmend lehnte sie sich zurück.
Charles würde über ihren nächtlichen Besuch nicht gerade erfreut sein, das wußte sie. Aber andererseits kannte sie sonst niemand, der ihr hätte helfen können.
Ihr Bruder war erst vor einer Woche aus Indien in London angekommen, und sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, ihm zu erzählen, wie erbärmlich die Situation zu Hause war.
Viscount Charles Dillingham war diesmal nicht für einen kurzen Urlaub in England. Er war für einen Sondertrupp ausgewählt worden, der die englischen Streitkräfte am Nil unterstützen sollte. Da diese Aufgabe spezielle Kenntnisse über Ägypten erforderte, mußte er sich vorher in London einem Intensivlehrgang unterziehen.
Hoffentlich läßt man mich überhaupt in die Kaserne hinein, dachte Isabel. Und wenn nicht, was dann?
Bei diesem Gedanken geriet sie einen Augenblick lang in Panik, bis sie sich schließlich damit beruhigte, daß sie ihm ja eine kurze Nachricht überbringen lassen konnte.
Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis die Kutsche endlich in die Queen Anne Street einbog. Isabel tastete nach ihrem Geld. Zum ersten Mal war sie dem Stubenmädchen dankbar, das ihre Stiefmutter kürzlich eingestellt hatte. Es war ein junges Mädchen von sechzehn Jahren, das leider nicht ganz ehrlich war. Sie stahl keine großen Wertgegenstände, aber sie nahm jedes Geldstück an sich, dessen sie habhaft werden konnte. Und so hatte sich Isabel, die über sehr wenig eigenes Geld verfügte, in jedes Kleid eine kleine Tasche eingenäht, wo sie ihr Bargeld immer bei sich tragen konnte.
Als die Droschke anhielt, kletterte Isabel aus dem Wageninneren und fragte nach dem Fahrpreis. Sie gab dem Kutscher noch ein zusätzliches Trinkgeld und eilte dann auf das vor ihr liegende Gebäude zu. Das Eingangsportal war geöffnet, und zögernd trat sie in die kleine Halle. Der Soldat hinter dem Empfangstisch maß sie mit erstaunten Blicken.
»Ich möchte zu Viscount Dillingham«, sagte sie.
»Zweite Etage, Madam. Der Name steht an der Tür«, erwiderte er in zackigem Tonfall.
»Vielen Dank.« Isabel wandte sich der Treppe zu.
Auf dem Treppenabsatz in der ersten Etage wäre sie beinahe mit einem Mann zusammengestoßen, der ziemlich unvermittelt aus seinem Zimmer kam.
Er war sehr groß und trug einen blauen Offiziersmantel mit einer rot eingefaßten Weste darunter. Er schien über ihren Anblick aufs Höchste überrascht zu sein und starrte sie in einer Weise an, die sie unter normalen Umständen als beleidigend empfunden hätte.
Bevor sie einigermaßen verwirrt ihren Weg fortsetzte, stellte sie mit einem kurzen Seitenblick fest, daß seine grauen Augen in dem sonnenverbrannten Gesicht merkwürdig eindringlich wirkten.
Sie spürte seinen bohrenden Blick in ihrem Rücken und begann zu laufen, bis sie außer Atem in der zweiten Etage anlangte. Vor der Tür mit der Aufschrift »Captain Viscount Dillingham« blieb sie stehen. Sie klopfte sehr zaghaft, weil sie befürchtete, der Offizier könnte noch immer auf dem Treppenabsatz stehen und lauschen. Da sie keine Antwort erhielt, drückte sie die Türklinke, entschlossen nach unten und trat in einen kleinen, engen Gang.
»Charles!« rief sie mit verhaltener Stimme.
»Wer ist da?« hörte sie ihren Bruder antworten. Kurz darauf öffnete sich eine der beiden Türen, und Charles stand vor ihr.
»Guter Gott, Isabel!« rief er aus. »Was machst du denn hier?«
»Ich hatte keine andere Wahl, Charles«, erwiderte sie. »Sie hat mich hinausgeworfen, und es gab keine Möglichkeit, wieder ins Haus zu kommen.«
Es war nicht nötig zu erklären, wer »sie« war.
»Verflucht! Das geht zu weit. Wie kannst du das nur aushalten?«
»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig.«
Charles sah, daß sie zitterte.
»Komm, setz dich an den Kamin«, sagte er. »Mein Gott, du hättest nicht kommen dürfen.«
»An wen hätte ich mich denn sonst wenden sollen?« fragte sie und ging langsam durch den kleinen Raum.
Sie blieb vor dem Kamin stehen und hielt ihre klammen Hände gegen das Feuer.
»Hinausgeworfen hat sie dich also.«
»Ja, und zwar mit Gewalt«, erklärte Isabel. »Wenn mein Haar nicht so dicht wäre, dann hätte ich bestimmt mehrere Beulen auf dem Kopf.«
Isabels Gesicht verzog sich bei diesen Worten zu einem kleinen Lächeln. Jetzt, wo sie in Sicherheit war, empfand sie die ganze Situation mehr komisch als tragisch.
»Verdammt!« rief Charles. »Warum mußte sich der alte Herr nur mit dieser Frau einlassen!«
»Das frage ich mich schon seit acht Jahren. Wenn ich daran denke, wie gut und sanft Mutter war...«
Isabels Stimme begann zu schwanken, und sie brach unvermittelt ab. Obwohl schon so viele Jahre seit dem Tod ihrer Mutter vergangen waren, konnte sie noch immer nicht über sie sprechen, ohne daß ihr Tränen in die Augen stiegen.
»Ich weiß, Kleines. So kann es nicht weitergehen. Wir müssen eine Lösung finden.«
»Das nächste Mal bist du vielleicht nicht mehr hier.«
»Unter keinen Umständen kannst du ein zweites Mal hierher kommen, Isabel! Ich bete zu Gott, daß dich niemand gesehen hat.«
Isabel zögerte. Aus Angst, ihn zu beunruhigen, wagte sie nicht, ihm die Wahrheit zu sagen. Andererseits hatte sie ihren Bruder noch nie belogen.
»Nun ja, weißt du«, sagte sie schließlich, »da war jemand in der ersten Etage. Ein ziemlich großer Offizier mit auffallenden grauen Augen.«
»Zum Teufel!«
Isabel hielt erschreckt inne.
»Schlimmer könnte es nicht sein«, fuhr Charles fort. »Das muß Meredith gewesen sein.«
»Das... das tut mir leid«, stammelte Isabel. »Ist es sehr schlimm?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Aber warum denn? Wer ist dieser Mann?«
»Es ist Major Michael Meredith. Ich stehe ohnehin schon auf seiner schwarzen Liste.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Isabel. »Er trug nicht die Uniform deines Regiments. Selbst wenn er also im Rang eines Majors steht, so hat er doch noch lange keine Befehlsgewalt über dich.«
»Er ist kein gewöhnlicher Major. Er hat gewissermaßen eine Sonderfunktion. Wenn du mich fragst, ich nehme an, daß er Mitglied des Geheimdienstes ist, Auf jeden Fall gehört er in Indien zu den einflußreichsten Offizieren.«
»Und warum stehst du auf seiner schwarzen Liste?« fragte Isabel verwundert.
»Ach, ich habe Ärger mit ihm gehabt«, erwiderte Charles ausweichend.
»Was für Ärger?«
»Guter Gott, du bist aber hartnäckig. Genügt es, wenn ich dir sage, daß sie sehr schön war?«
»Eine Frau also.«
»Es handelt sich immer um eine Frau, wenn man in Schwierigkeiten gerät.«
»Und warum mischt sich Major Meredith in dein Privatleben?«
»In diesem besonderen Fall handelte es sich um die Frau eines Offiziers aus demselben Regiment. Meredith hielt eine lange Ansprache über die Ehre unseres Regiments und über unser Ansehen in Indien.«
»Aber ich denke, er gehört nicht zu deinem Regiment.«
»Das ist richtig. Aber er schnüffelt leider überall herum. Ich kann ihn nicht ausstehen, und ganz bestimmt ist auch er daran schuld, daß sich Gerald Dewar erschossen hat.«
Isabels Kopf fuhr in die Höhe.
»Was sagst du da?« fragte sie erschrocken. »Er hat Selbstmord begangen?«
»Ja. Gerald war mein bester Freund. Er hatte ein Verhältnis mit einer ungewöhnlich attraktiven Frau.«
»Und warum hat sich Major Meredith auch in diese Angelegenheit eingemischt?«
»Ich weiß es nicht. Aber eines Tages werde ich ihn danach fragen, und dann gnade ihm Gott.« Charles ballte die Hände, bis die Knöchel weiß hervortraten. »Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich Gerald erschossen hat. Obwohl man sich alle Mühe gegeben hat, die Sache zu vertuschen und als einen Unfall hinzustellen.«
»Und wie wird Major Meredith jetzt reagieren, nachdem er mich auf dem Weg zu dir gesehen hat?« fragte Isabel leise.
»Es wird in jedem Fall ein Nachspiel geben, denn ich mußte mein Ehrenwort geben, mich dem schönen Geschlecht fernzuhalten.« Er hielt einen Moment lang inne und begann zu lächeln. »Fernhalten bedeutet, daß ich zumindest hier keine Frauen empfange.«
»Aber du kannst ihm doch sagen, daß ich deine Schwester bin.«
»Das würde alles noch verschlimmern. Dann müßte ich zugeben, daß meine Schwester mitten in der Nacht aus dem Hause gewiesen wurde und daß aus meinem Vater ein notorischer Trinker geworden ist.
Das könnte ich nicht ertragen. Du weißt, daß Vater früher eine allseitig beliebte und geachtete Persönlichkeit war.«
»Ich weiß, daß Mutter immer sehr stolz auf ihn war.«
»Zum Teufel also mit Meredith. Schließlich bin ich nicht der einzige Offizier, der eine Schwäche für schöne Frauen hat. Und außerdem, was soll ich denn dagegen tun, wenn mich die Weiber bis hierher verfolgen?«
»Man könnte dich fast bedauern«, scherzte Isabel und stimmte in das fröhliche Gelächter ihres Bruders ein.
Niemand, das wußte sie, würde Charles jemals seine leichtsinnige und lebenslustige Art abgewöhnen können. Auch nicht Major Meredith.
Wer die beiden so einträchtig nebeneinander sah, hätte sie niemals für Geschwister gehalten.
Die Fanes waren entweder blond oder schwarz. Die Fanes mit den schwarzen Haaren verdankten ihr Äußeres einer dunklen, glutäugigen Spanierin, die einer ihrer Vorfahren zur Zeit Charles II. nach England mitgebracht hatte.
Charles gehörte zu den hellen Fanes. Er hatte blaue Augen und blondes, gelocktes Haar, war hochgewachsen, hatte kantige, gut geschnittene Gesichtszüge und schien auf Frauen eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben.
Isabel dagegen ähnelte ihrer spanischen Vorfahrin. Sie hatte langes, blauschwarzes Haar. Ihre dunklen Augen standen riesengroß in dem zarten, herzförmigen Gesicht. Ihr Teint war weiß und durchscheinend wie Porzellan. Sie war eine so vollkommene und liebliche Erscheinung, daß jede andere Frau im Vergleich zu ihr grob und aufgemacht wirkte.
»Ich muß dir irgendwie helfen, Isabel.« Charles war wieder ernst geworden und sah nachdenklich zu seiner Schwester hinüber.
»Und was hast du für Vorschläge?«
»Haben wir nicht irgendwelche Verwandte, die dich aufnehmen könnten?«
»Wohl kaum«, erwiderte Isabel kurz. »Vater hat sich mit allen zerstritten.«