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Lena Mertens ist 20 Jahre alt, studiert in Bonn Germanistik und Theologie. Sie ist sehr engagiert in einer nahegelegenen Kirchengemeinde. Doch ihr Engagement kommt nicht bei Allen gut an. Lena Mertens weiß etwas. Zu viel?
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Seitenzahl: 72
Veröffentlichungsjahr: 2025
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»Alle Dunkelheit der Welt
kann das Licht einer einzigen Kerze
nicht auslöschen.«
(Chinesisches Sprichwort)
1 MONTAGMORGEN
2 AM BLEICHGRABEN
3 LICHTSUCHER
4 DER MANN MIT DEN WEIßEN HANDSCHUHEN
5 BEICHTGEHEIMNIS
6 DIE ADRESSE
7 DIE SCHATTENAKTE
8 SARG 89
9 OHNE ABSENDER
10 UNTER DER KIRCHE
11 DER ZWEITE NAME
12 DER MANN MIT DEM SCHLÜSSELBUND
13 HINTER DER TÜR
14 DIE AKTEN
15 DIE STIMME
16 UNSCHEINBAR
17 SCHWELLENWERT
18 DIE BEICHTE
19 FREIER FALL
Der Kaffee aus der Pumpkanne war dünn, die Luft dick, und Angihatte bereits zwei Akten auf dem Tisch ausgebreitet, als ich unser Büro betrat. Sie nickte nur kurz zur Begrüßung – sie war der Meinung, dass Effizienz keine Höflichkeit brauche.
Angi saß schräg gegenüber, die Haare locker gebunden, ein Stift zwischen den Fingern, den sie rhythmisch gegen ihr Notizbuch klopfte. Ich kannte das Geräusch. Es bedeutete: Gleich kommt etwas, das uns den Tag versaut.
„Vermisstenmeldung“, sagte sie, ohne aufzusehen. „Lena Mertens. Zwanzig. Studentin. Seit Samstagabend verschwunden.“
Ich setzte mich, nahm einen Schluck von meinem Tee, den ich mit herein gebracht hatte und bereute es sofort. Angi schob mir ein Foto rüber. Blonde Haare, offenes Lächeln, ein Blick, der zu viel Welt wollte.
„Wer hat sie gemeldet?“, fragte ich.
„Ihre Mitbewohnerin. Stefanie. Die beiden wohnen in einem Studentenwohnheim am Bleichgraben. Lena ist Samstagabend nicht zurückgekommen. Handy aus, keine Social-Media-Aktivität seitdem.“
„Und die Eltern?“
„Wohnen in der Eifel. Haben gestern angerufen. Die Mutter klang... kontrolliert panisch.“
Ich nickte. Das war die Sorte Panik, die sich in Listen und Anrufen äußerte, nicht in Tränen.
Angi blätterte in der Akte. „Soweit alles sehr unauffällig. Sie studiert Germanistik und Theologie. Wie gesagt, wohnt im Studentenwohnheim am Bleichgraben. Ihre Mitbewohnerin sagte, dass sie immer gut mit Allen zurechtkommt. Keine Probleme im Studium, kein aufdringlicher Ex-Freund.“
Ich seufzte etwas. „Das ist wirklich nicht viel. Was macht denn Frau Mertens sonst noch im Leben?“
Angi musste etwas lachen: „Sie ist aktiv in der Gemeinde. In der Kirchengemeinde. – Ich fürchte, du und die Kirche werdet keine Freunde mehr.“
„Das Thema verfolgt mich aber auch bis ans Lebens Ende! Halleluja!“
In diesem Moment kam Max durch die Bürotür. Begleitet wurde er von einem Becher aus der Cafeteria und einem Gesicht, das nach zu wenig Schlaf aussah. Er überlegte kurz und ich sah, dass er sich nicht mehr zusammenreißen konnte: „Vater, ich habe gesündigt.“
„Das ist noch milde ausgedrückt, mein Lieber!“, gab ich zurück und meine Laune war schlagartig wieder besser.
Angi brachte Max kurz auf den aktuellen Stand.
„Hm, das ist wirklich nicht viel“, sagte Max nachdenklich. „Wir fangen also wieder einmal irgendwo an und hoffen, dass uns etwas auffällt.“
„Angi, was weißt du über diese Kirchengemeinde?“, fragte ich.
„Hm, Moment.“ Angi klickte etwas mit der Maus an ihrem Arbeitsplatz herum und guckte konzentriert auf den Bildschirm. Sie sah kurz auf: „St. Marien. Klassisch katholisch. Ein bisschen zu aktiv für meinen Geschmack.“
„Zu aktiv?“ Max riss die Augen auf.
„Die haben alles: Chor, Jugendgruppe, Flüchtlingshilfe, Bibelkreis, Theatergruppe. Und einen Instagram-Account, der aussieht wie ein Lifestyle-Blog.“
Ich zog eine Augenbraue hoch: „Du folgst Kirchengemeinden?“
„Recherche, Steffen. Nicht Neigung.“
Max machte sich schnell ein paar Notizen und stand auf: „Dann werde ich mir das mal anschauen. Ich werfe auch mal einen Blick auf Lena Mertens Profile.“
„Ja, gut“, sagte ich. „Bis später.“
Angi schaute weiter auf den Bildschirm. „Ach, du liebe Zeit.“
„Was kommt denn nun noch?“
Angi zeigte auf die Internetseite der Kirchengemeinde und ein Bild des Chores: „Die schreiben allen Ernstes: Gottes Licht in euren Stimmen.“
„Kitschig“, murmelte ich.
„Oder kalkuliert“, sagte Angi. „Die wissen, wie man sich inszeniert.“
Ich nahm die Akte und blätterte durch die Angaben zur verschwundenen Lena Mertens. Viele Angaben konnten bislang keine gemacht werden. „Was hat denn die Mitbewohnerin noch sagen können?“
Angi schaute auf ihren Notizblock. Sie schien sich hastig ein paar Stichpunkte notiert zu haben; vermutlich als sie mit der aufnehmenden Dienststelle telefoniert hatte. „Sie meint, Lena sei Samstagabend zu einem Treffen mit dem Pfarrer gegangen. Irgendwas wegen der Jugendarbeit. Danach wollte sie noch kurz in die Stadt. Kam nie zurück.“
Ich sah Angi an. „Was bringt eine Zwanzigjährige dazu, ihre Samstagabende in einem Gemeindehaus zu verbringen?“
„Glaube. Hoffnung. Oder Flucht.“
Ich nickte. „Oder jemand, der ihr dort wichtig war.“
In diesem Moment klingelte das Telefon. „Ja, Reinders.“
„Hello!“, meldete sich Max.
„Ah ja. Hast du Lenas digitale Heiligkeit schon etwas durchleuchtet?“
„Höhö, ich liebe es wenn du poetisch wirst, Steffen!“
„Du, dann pass mal auf, ich hab noch einen: Auch Gottes Licht wirft irgendwo einen Schatten.“
Angi verdrehte die Augen, während sich Max am Telefon nicht mehr einkriegte.
„Das passt gerade so super. Die Gemeinde hat letzten Monat ein Jugendprojekt gestartet. Lichtpfade. Klingt nach spiritueller Selbstfindung mit PowerPoint.“ Max fing schon wieder an zu lachen.
„Und?“, fragte ich. „War Lena da involviert?“
„Kann man sagen. Laut Homepage hat sie sogar den Flyer entworfen. Ansonsten ist bisher nicht mehr viel zu sagen. Instagram... Letzter Post: Gruppenfoto im Gemeindehaus. Lena mittendrin, lächelt wie jemand, der glaubt, dass alles gut wird.“
„Und der Ort?“
„St. Marien. Ich hab das Fenster erkannt. Und das Kreuz. Und als Kommentar: Lichtpfade – danke für eure Energie! An Kontobewegungen, Handydaten und so weiter bin ich dran. Aber das dauert natürlich, ich hab gerade erst alles angestoßen.“
„Alles klar, Max. Danke soweit.“ Ich legte auf.
Angi nickte mir stillschweigend zu. Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, was ich vorhatte.
„Soll ich dich begleiten?, fragte sie.
„Ja, gerne.“ Ich stand auf und zog meine Jacke an. „Vielleicht hat die Mitbewohnerin doch noch eine Idee, wo Lenas Licht jetzt leuchtet.“
Der Regen hatte gerade aufgehört, als wir am Studentenwohnheim ankamen. Die Fassaden waren grau, die Fenster zu gleichmäßig, und irgendwo bellte ein Hund, der klang, als hätte er das Leben satt.
Angi stieg aus, zog die Kapuze hoch und sah sich um. „Hier wohnt also die Hoffnung der Theologie.“
Ich zuckte die Schultern. „Vielleicht ist das hier ja auch nur die Vorhölle.“
Wir gingen durch die Glastür, die sich mit einem müden Surren öffnete, und folgten den Schildern zur dritten Etage. Stefanie wartete bereits. Sie hatte das Gesicht einer Person, die zu lange auf etwas gehofft hatte, das nicht kam.
„Hallo“, sagte sie, als wir vor der Tür standen. Ihre Stimme war leise, aber nicht brüchig.
„Steffen Reinders, Kripo Bonn. Das ist meine Kollegin Frau Martin.“ Ich zeigte meinen Ausweis, sie nickte und trat zur Seite.
Die Wohnung war klein, ordentlich, mit einem Hauch von Lavendel in der Luft. Zwei Tassen standen auf dem Tisch, eine davon unbenutzt.
„Ich dachte, vielleicht möchten Sie etwas trinken“, sagte Stefanie.
„Danke, aber wir sind nur kurz da“, sagte Angi. „Sie haben Lena als vermisst gemeldet?“
Stefanie nickte. „Sie ist Samstagabend nicht zurückgekommen. Das ist nichts für sie. Sie ist ... zuverlässig.“
„Soweit wir wissen, wollte sie zur Kirchgemeinde, wegen der Jugendarbeit“, sagte ich.
„Ja. Sie war sehr engagiert. Lichtpfade war ihr Projekt. Sie hat viel Zeit da reingesteckt.“
„Und danach wollte sie noch in die Stadt?“
„Das hat sie gesagt. Nur kurz. Vielleicht ein Kaffee, vielleicht ein Buchladen. Sie war manchmal spontan.“
„Hat sie sich verändert in letzter Zeit?“ fragte Angi.
Stefanie zögerte. „Nicht wirklich. Vielleicht ... nachdenklicher. Aber nicht traurig. Eher ... auf der Suche.“
„Worauf?“
„Ich weiß es nicht. Sie hat viel gelesen. Bonhoeffer, Kierkegaard. Und Gedichte. Rilke. Manchmal hat sie mir welche vorgelesen.“
Ich sah mich um. Auf dem Regal standen Bücher, ordentlich sortiert. Ein gerahmtes Foto zeigte Lena und Stefanie, lachend, mit Sonnenbrillen auf einem Festival.
„Gab es jemanden in der Gemeinde, mit dem sie besonders viel zu tun hatte?“ fragte Angi.
„Pfarrer König. Und Sarah. Die leitet die Jugendgruppe. Lena hat oft mit ihr gesprochen.“
„Und sonst? Freunde, Ex-Freunde, Verehrer?“
„Nicht, dass ich wüsste. Sie war ... vorsichtig. Sie hat gesagt, Nähe sei etwas, das man nicht erzwingen dürfe.“
„Und Social Media?“, fragte Angi.
„Letzter Post war das Gruppenfoto. Danach nichts mehr.“
Angi sah sie an. „Haben Sie das Gefühl, dass Lena Ihnen etwas verheimlicht hat?“
Stefanie sah auf ihre Hände. „Vielleicht. Aber wenn, dann nicht aus Misstrauen. Eher aus ... Schutz.“
Ich nickte. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt – ein Ort, ein Name, ein Satz – rufen Sie uns bitte an.“
„Ich werde es tun.“
Wir verabschiedeten uns. Als wir wieder draußen waren, war der Himmel heller geworden, aber die Luft roch nach nassem Beton.
„Was meinst du?“ fragte Angi.
„Ich glaube, Lena hat etwas gesucht. Und jemand hat ihr versprochen, dass sie es findet.“
„Und jetzt ist sie weg.“
„Ja.“