Im Schatten der Blutbuchen - Oliver Erhorn - E-Book

Im Schatten der Blutbuchen E-Book

Oliver Erhorn

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Beschreibung

Es gibt kein Entkommen, wenn du das Dorf betrittst. Jedenfalls ist es das, was sich die Menschen über das winzige, zurückgebliebene Dorf Ennersberg erzählen. Markus Baack hat allerdings keine andere Wahl. Er muss die Hinterwäldler überzeugen, ihre Heimat aufzugeben, denn wenn er versagt, wird er alles verlieren. Seine Existenz, seinen Sohn, seine liebevolle Frau. Markus' zukunftsträchtiger Ausflug in den eigenartigen, roten Buchenwald nimmt allerdings eine schreckliche Wendung: Jemand hat es auf ihn abgesehen und trachtet nach seinem Leben. Einer der Hinterwäldler? Das ganze Dorf? Oder etwas ganz anderes? Markus letzte Chance bleibt die Flucht, die ihn schon bald in die Schatten der unheilvollen Blutbuchen treibt.

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Seitenzahl: 98

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

1

Er beobachtete den Fremden, der von der Teerstraße abbog und nach einigem Zögern und mit leerlaufendem Motor seinen Weg auf der steinigen Waldstraße fortsetzte. Das war der Weg zu seinem Dorf und er mochte nicht, dass dieses Auto hier entlangfuhr. Der Gestank der Abgase brannte in seiner Nase und er war sich sicher, dass der Fremde nichts Gutes im Sinn hatte.

Er blickte dem Auto hinterher, das in dem dichten Buchenwald immer weiter verschwand. Einige der Bäume besaßen eine graue, glatte Rinde, saftig-grüne Laubblätter und ragten knapp vierzig Meter hoch in den Himmel, wie normale Bäume es in einem normalen Wald immer tun, wenn sie nicht von einem Holzwurm befallen sind. Es waren gute Bäume, aber er war auf ihre Brüder besonders stolz. Die grauen Rinden dieser Kolosse waren von fuchsroten Adern durchzogen und die Blätter wiesen eine Färbung auf, die an das Innere von köstlichen, rotfleischigen Pflaumen erinnerte. Jeden Tag erfreute er sich aufs Neue an den wunderbaren Farbspielen.

Doch am meisten gefiel ihm das Harz, das er so gerne trank. So gerne, dass er gar nicht genug davon bekommen konnte.

Es war Montagmorgen und er hatte Hunger.

2

Eine ungeschriebene Regel besagt, dass es in einem Dorf mindestens einen Sonderling gibt, der in einer ranzigen Baracke fernab von einer funktionablen Straße wohnt. Ein ungewaschener Kerl mit dichtem Bart, in eine stinkende Wolke aus Alkoholduft gehüllt, der bereits dreißig Meter gegen den Wind in der Nase brennt.

Die winzige Gemeinde Ennersberg, weit versteckt vor den Städtern und ungemütlich genug, um jeden Touristen abzuschrecken, war umgeben von einem dichten Buchenwald in einem dünn besiedelten Abschnitt Deutschlands. Sie bestand nur aus solchen merkwürdigen Gestalten. Die Wohnhäuser waren modrige, krumme Hütten, die sich wild verstreut an einer Pflastersteinstraße reihten, und auf den Einsturz warteten. Niemand wusste mehr, wann sie gebaut worden waren und wer sie gebaut hatte und trotz ihres morschen Aussehens hielten sie jedem Wind und Wetter stand. Sie waren genauso stur, genauso altmodisch, und genauso hässlich, wie die Einwohner, die im allgemeinen Konsens als Hinterwäldlerpack galten – das sagten sie sogar von sich selbst, nicht ohne Stolz.

Strom und fließendes Wasser waren hier rar. In den Siebzigern war zwar eine überirdische Stromleitung gelegt worden und offiziell hieß es, dass bei einem Sturm mehrere Pfosten abgeknickt seien, aber einige wenige, mittlerweile sehr alte Ennersberger wussten, dass sie wie Bäume abgeholzt worden waren. Die Bewohner hatten es verkraften können und scherten sich nicht drum.

Für ihren Unrat hatten sie vereinzelte Plumpsklos mit tiefen, stinkenden Gruben ausgehoben, deren Inhalt sie nutzten, um die kleinen Beete, in denen eine Vielfalt an Gemüse- und Obstpflanzen gediehen, zu düngen. Wenn man genau hinsah, entdeckte man sogar den ein oder anderen Nussbaum. Ein kleiner, aber wilder Bach versorgte sie mit Trinkwasser und einer Möglichkeit, ihre Wäsche zu waschen. Ein rostiger Transportwagen parkte am hintersten Haus, den der Kaufmann Gert alle zwei Wochen aus seiner Scheintotenstarre erweckte, um in die nächste Stadt zu fahren und das Dorf mit Nahrung, Kleidung und Werkzeugen einzudecken, jedenfalls tat er das, wenn der verdammte Motor nicht wieder ächzte und knatterte und kläglich im uralten Öl ersoff. Mehr Wünsche hatten die Ennersberger Bürger nicht; mehr brauchten sie nicht.

In der Gegend kursierte seit Jahrzehnten eine Spukgeschichte, die besagte, dass einst ein Stadtarchitekt eine Wasserleitung nach Ennersberg hatte legen wollen. Er war von Büromenschen, die fernab der Realität in ihren Pools lagen und Cocktails aus mit Ananasscheiben bestückten Gläsern nuckelten, beauftragt worden. Der Mannwollte nur seinen Job erledigen, wie alle Arbeiter ihre Jobs erledigen wollten. Ein altes Dorf mit Wasser zu versorgen, ohne dass die Ennersberger dafür etwas zahlen brauchten, ja, nicht einmal einen Nachteil davon trugen, war ein Angebot der Büromenschen gewesen, das man von derartiger Brut gar nicht erwartet hätte.

Der Mann war allein zum Dorf gefahren, mit seinem Messwerkzeug und all den ganzen Apparaturen in Taschen und Koffern fein säuberlich verpackt.

Er war nie mehr gesehen worden.

Einige wenige behaupteten sogar, er wurde von den Ennersbergern verspeist; sie hätten ihn, an einem rituellen Hinterwäldlergrillplatz, auf eine Stange geschnürt und ihn wie ein Schwein über dem Feuer gebraten, ihn säuberlich in Scheiben zerschnitten und mit einigen Laiben Roggenbrot und in Honig gerösteten Karotten genüsslich verzehrt. Aber nicht nur, um den Hunger mit Menschenfleisch zu stillen, sondern damit die Lebenskraft des fleißigen Mannes in die Bewohner selbst überging.

So lauteten jedenfalls die Gerüchte.

Ein paar Polizisten hatten die Ennersberger befragt und auch nach dem Fahrzeug des Architekten gesucht, aber die Leute wussten nichts, das Auto wurde nie gefunden und auch der rituelle Grillplatz blieb ein Mythos, den man sich manchmal aus Witz, und um sich über die Hinterwäldler moralisch zu erheben, bei einem abendlichen Bier mit Kumpels erzählte und dann schnaufend lachte.

Markus Baack hatte von dieser Geschichte auch schon gehört, aber in seinen Augen waren die Ennersberger nicht gefährlich. Nur ungewaschen, ungepflegt und ungebildet. Männer trugen verfilzte Bärte und löchrige, dreckige Hosen; Frauen hatten fettiges, langes Haar und picklige Gesichter; Kinder waren über und über mit Schmutz verklebt und bei der Hälfte der Kleinen hingen verkrustete Rotzklumpen unter der Nase, die in der Sonne funkelten wie angelaufene Nasenringe, um die sich weder Kind noch Erwachsene kümmerten.

Anders als der Stadtarchitekt, hatte Markus vor, seinen Job richtig zu machen. Etwas Anderes blieb ihm auch gar nicht übrig.

Seit er seinem Arbeitgeber, einem Kohleenergieunternehmen namens 'Kohle für die Welt', kurz 'KFDW', bei den letzten Verhandlungen für ein winziges Vorkommen Millionen gekostet hatte, stand er auf der Kippe. Und natürlich wurde er zur Strafe, oder 'um zu prüfen, ob die Arbeitsqualität von Herrn Baack der Kohle für die Welt GmbH ausreiche', wie es sein Chef ausgedrückt hatte, an den furchtbarsten Ort der Welt geschickt, um mit den stursten Menschen der Welt zu verhandeln.

Ein falscher Schritt und seiner Kündigung stand nichts mehr im Weg. Ein falscher Schritt und er verlor seine Ehe und seinen Sohn.

»Wir wollen das nicht!«, schrie einer der Bärtigen, der so aussah wie alle anderen, als Markus mit seiner Präsentation fertig war. Bevor der erste Hinterwäldler sein Maul aufgemacht hatte, war er eigentlich ganz zufrieden mit sich gewesen. Zwar hatten die Bewohner hin und wieder im Flüsterton mit Sitznachbarn geredet und ihn mit düsteren Blicken beäugt, aber sie hatten brav zugehört und ihn nicht unterbrochen. Er hoffte, dass der Gegenwind nicht zu groß werden würde. Dann hätte er nämlich ein großes Problem.

»Der Wald gehört dir nicht!«, brüllte ein anderer.

Markus stand in dem Ennersberger Rathaus hinter einem morschen Pult. Jedenfalls war es das, was die Ennersberger ein Rathaus nannten; ein zweistöckiges Gebäude, dessen Tür schief in den Angeln hing und irgendwie unmotiviert, sogar fast traurig aussah, als hätte sie jeder Lebenswille verlassen. Eine Tür war nur so gut, wie sie schließen konnte, und diese Tür schloss nicht sehr gut. Ein stetiges Windpfeifen drängte sich durch die Lücken ins Zimmer, sodass es niemals komplett leise war. Die Holzwand hinter Markus strahlte durch die Projektion seines tragbaren Beamers weiß und kalt und zeigte eine komplexe Abbildung, die den Zeitplan für das Dorf und ihre Bewohner beschrieb.

Die Ennersberger saßen auf lehnenlosen Bänken in Zweierreihen und starrten zu ihm nach vorne, wie in einer Kirche. Vielleicht wurden hier auch Gottesdienste abgehalten. Markus hätte es nicht überrascht, wenn die Dörfler veraltete Freikirchler mit altmodischen Ansichten wären.

Er stand mit geradem Rücken hinter dem abgenutzten Katheder und hatte seinen Laptop vor sich liegen, auf dem das Textdokument seiner Rede und der Vortrag geöffnet waren. Der Beamer surrte leise, er lief auf Akku, eine Stromversorgung war hier nicht möglich.

»Dieser Wald hier, in dem Ennersberg erbaut wurde, gehört dem Land, wie ich Ihnen gezeigt habe«, sagte er ruhig, öffnete eine Karte von Ennersberg und dem umliegenden Wald und fuhr mit seinem Zeigefinger über die Wand.

»Du bist nicht das Land«, sagte eine Frau. Eine ihrer Brüste lag frei und hing, wie ein abgenutzter, lederner Trinkschlauch, nach unten, während das Baby auf ihrem Arm schon längst eingeschlafen war. Neben ihr saß ein Junge mit einer dicken Warze auf dem verklumpten Riechkolben, der wohl ihr Sohn war, und glotzte auf den Boden.

»Ich bin nicht das Land, das ist richtig. Aber ich bin im Namen des Landes hier. Und dort wurde festgelegt, dass der Wald abgeholzt werden muss, um die kostbare Kohle abbauen zu können. Ihr werdet gut entlohnt werden, dafür, dass sich die Gegend so sehr verändert.«

»Wir wollen dein albernes Geld nicht«, sagte ein Bärtiger, der so aussah wie einer der anderen.

»Pfui! Uns so bestechen zu wollen«, murrte die Frau mit dem Baby und spuckte einen milchigen Brei auf die Dielen.

Markus presste seine Lippen zusammen und strengte sich an, den Ekel, den er bei diesen Menschen empfand, nicht zu zeigen.

»Hört mir bitte zu«, fuhr er fort, versuchte sanft und verständnisvoll zu klingen. Dieses Gespräch hatte er schon viele Male geführt, aber noch nie waren die Zuhörer so abstoßend gewesen wie hier. Diese Menschen waren doch alles Idioten. Dass die Präsentation sie nicht überzeugt hatte, verwunderte ihn nicht. Die verschiedenen Folien zeigten viel zu viele Wörter, viel zu viele Zahlen und Tabellen und die Hälfte der Anwesenden konnte vermutlich nicht einmal lesen. Das hätte er voraussehen müssen.

»Nicht an dir zweifeln«, rief er sich in den Kopf. »Es war eine großartige Präsentation. Die sind schuld, sie sind die Dummen.« Er dankte seinem Unterbewusstsein für die freundlichen Worte und atmete tief durch.

»Das Land hat eure Bemühungen, den Wald zu schützen, natürlich mitbekommen. Dass ihr die Telefonanrufe ignoriert und nicht einmal auf E-Mails reagiert, hat seine Wirkung gezeigt. Deshalb bin ich hier. Um euch zu sagen, dass das Blatt sich gewendet hat. Ihr bekommt …«, Markus tat so, als würde er noch einmal nachrechnen, obwohl er die Zahlen schon seit Tagen auswendig aufsagen konnte, »… 45.000 Euro pro Bewohner. Auch die Kinder. Und ihr werdet nicht einmal vertrieben. Ihr könnt hier wohnen bleiben und euer Leben nach dem Abbau ganz normal weiterführen.«

So eine Summe war eigentlich ein schlechter Witz, ein bösartiger Täuschungsversuch der Naiven und Unterbelichteten, dafür, dass direkt neben dem Dorf der Wald abgeholzt, eine riesige Grube ausgehoben und mindestens ein Jahrzehnt Kohle abgebaut werden würde, war es nicht einmal ein Trostpflaster.

Seine einzige Hoffnung war, dass die Menschen hier so blöd waren und sein Angebot annahmen. Er hätte mehr Geld als diese mickrige Bestechung angeboten, aber sein Chef hatte ihm eben nur die Freigabe über dieses Kapital gegeben; als Strafe dafür, dass er seinen letzten Job so sehr verhauen hatte.

3

Er hatte vor einigen Wochen in einer anderen Stadt, unter der ein winziges Kohlevorkommen gefunden worden war, einen Vortrag gehalten, um die Bürger zu überzeugen, wie wichtig das Projekt doch sei – für den Fortschritt, für die Menschen, für die Umwelt – und hatte einen Aufstand gegen ihn und 'Kohle für die Welt' verursacht. Markus hatte die richtigen Argumente an den falschen Stellen genannt und als er dann auch die großzügige Summe, die die Bürger als Entschädigung erhalten hätten, falsch angegeben hatte – er übersah eine Nullstelle, sodass die Millionen zu lächerlichen Tausenden wurden –, war es vorbei gewesen.

Seine Fehler. Niemand hatte unterschrieben. Da war nichts zu machen gewesen.

Danach war es für zwei Wochen in den Zwangsurlaub gegangen, in dem sein Chef entscheiden musste, ob sein Versagen wiedergutzumachen war. Seine Frau Inga war in Panik verfallen, als Markus ihr am Abend die schlechte Botschaft erzählt hatte.