Im verbotenen Grab - Tobias Schuffenhauer - E-Book

Im verbotenen Grab E-Book

Tobias Schuffenhauer

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Beschreibung

Wie aufregend! Keiner der 5 Geschwister hätte jemals gedacht, einmal bis nach Ägypten zu reisen. Der bekannte Archäologe und Forscher Jonas Dümisch hat Marianne, Petra, Hans-Georg, Esther und Alexander um Hilfe gebeten. Denn während wichtiger Ausgrabungen im Pharaonen-Grab TT33 wurden seine Team-Mitglieder nach und nach krank. Mysteriöser Zufall - oder steckt gar ein Fluch dahinter? Die 5 Geschwister machen sich an die Ermittlungen. Doch dann werden Alexander, Esther und Hans-Georg in einem Schacht verschüttet ...

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Seitenzahl: 155

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Über die Autoren

Tobias Schuffenhauer ist ein Kassettenkind und Hörspielliebhaber. Schon während seines Studiums der Musikwissenschaften produzierte er privat sein erstes szenisches Hörbuch. Seit er 2003 bei ERF Medien angestellt ist, macht er sein Hobby zum Beruf: Hörbares sichtbar zu machen ist sein Ziel. 2008 gründete er mit seinem Kollegen Tobias Schier die TOS-hörfabrik und seitdem produzieren sie Hörbücher und Hörspiele. Außerdem ist er als Sprecher und Sänger auf zahlreichen weiteren Produktionen vertreten. Tobias Schuffenhauer ist verheiratet und lebt in Hüttenberg bei Wetzlar.

Tobias Schier ist Mitbegründer und Leiter des Radiosenders ERF Pop von ERF Medien. Er hat Germanistik und Medienwissenschaften in Düsseldorf studiert und war acht Jahre lang beim WDR im Bereich Hörspiel- und Featureproduktion tätig. Schon als Siebenjähriger hat er erste Schreibversuche unternommen. Im Teeniealter kamen dann Gedichte und Kurzgeschichten dazu. Seine Kinder schließlich weckten seine Lust am Schreiben wieder. Tobias Schier lebt mit seiner Frau und drei Kindern in Wetzlar.

www.5Geschwister.de

Inhalt

Kairo

Das Lager

Erste Nachforschungen

Das TT33

Viele Fragen

Die Recherche

Schrecken in der Nacht

Wasser ist das A und O

Die Befreiung

Kairo

Das schwarze Band mit den Koffern ratterte an ihren Augen vorbei. „Wo bleibt denn nur mein Rucksack? Hoffentlich ist der überhaupt im richtigen Flugzeug gelandet.“ Esther, die Zweitjüngste der fünf Geschwister, wurde langsam ungeduldig. „Das ist doch nicht normal! Alle meine Geschwister haben ihr Gepäck schon bekommen. Nur ich nicht!“ Nervös hüpfte sie von einem Bein auf das andere. „Warum dauert das denn so lange?“

Unsicher checkte sie auf dem Bildschirm die angezeigte Flugnummer. Es war das richtige Band. „Was, wenn mein Rucksack verloren gegangen ist? Dann hab ich nichts außer meinen Klamotten am Körper. Sonst nichts! Das geht ja überhaupt nicht.“

Ihr fielen Geschichten ein, in denen Menschen ihr Gepäck nie wiedergefunden haben und dann im Urlaub erst einmal alles neu kaufen mussten. Für so etwas hatte sie nun wirklich kein Geld und auch gar keine Zeit, geschweige denn Lust. Nach und nach wurde ihr ziemlich unwohl zumute. Dann passierte es: Das Band hielt an. Kein Koffer, keine Tasche lag mehr darauf, und die Fluggäste, mit denen sie gekommen waren, hatten sich alle schon in Richtung Passkontrolle aufgemacht.

Esthers Geschwister Hans-Georg, Alexander, Petra und Marianne warteten ein wenig abseits auf das Mädchen. Alexander, der Jüngste, der immer irgendeinen coolen Spruch auf Lager hatte, schaute zu seiner Schwester hinüber und rief leicht belustigt: „Na, Esther, was ist los? Haben sie deinen Rucksack etwa in die falsche Richtung fliegen lassen?“

Esther fand das gar nicht lustig, gab aber prompt zurück: „Hoffentlich nicht in die Arktis, da können sie nämlich wenig anfangen mit Shorts, Flipflops und Sonnencreme mit Schutzfaktor 50.“

Sie wollte den anderen zeigen, dass sie trotz der Situation ganz cool drauf war, hastete dann aber doch ziemlich aufgelöst zu ihren Geschwistern. Ja, ihr ging es gar nicht gut wegen der Sache mit dem Rucksack und ihre Geschwister sollten das ruhig wissen. Marianne, ihre älteste Schwester, merkte das sofort und fragte besorgt: „Was machen wir denn jetzt? So was hab ich bisher auch noch nicht erlebt.“

„Keine Ahnung“, meinte Petra und auch Alexander zuckte mit den Schultern. Esther konnte im Moment sowieso keinen klaren Gedanken fassen und sagte nur immer wieder: „Wo ist nur mein Rucksack?“

Da hatte Hans-Georg eine Idee: „Wir gehen einfach zu einem Flughafenangestellten. Der wird uns schon helfen.“ Hans-Georg war zusammen mit Alexander der Abenteuerlichste unter den Geschwistern und hatte sich für die Reise nach Ägypten extra noch ein neues Cap gegen die Hitze der Sonne besorgt. Hans-Georg liebte Caps und hatte zu Hause auch schon eine stattliche Sammlung von über sechzig Stück.

„Und was ist, wenn der nur Arabisch kann oder so?“, fragte Petra.

„Glaub ich nicht.“ Da war sich Hans-Georg ziemlich sicher. „Ist doch ein riesiger Flughafen hier in Kairo. Die müssen Englisch können.“ Sofort machten sich die Geschwister auf die Suche, aber so einfach war das gar nicht. Die Halle war übervoll mit hektisch umherlaufenden Menschen – von gestressten Fluggästen, die mit Blick auf die Uhr in Richtung Ausgang hasteten. Die einen waren gerade im Urlaub angekommen, die anderen Einheimische, die gerade wieder zu Hause angekommen waren. Aber Flughafenpersonal sahen sie nirgendwo.

Also durchforsteten sie als Nächstes die Halle systematisch von einer Seite zur anderen. Es war zum Verrücktwerden: Die einzige Möglichkeit, die sie hatten, um wieder an den Rucksack zu kommen, scheiterte daran, dass kein Verantwortlicher zu finden war! Alexander war der Erste, der aufgab: „Hat doch alles keinen Zweck!“

Auch die anderen verloren jetzt das letzte Fünkchen Hoffnung. Esther saß niedergeschmettert in einer Ecke. „Ich hatte mich so auf die Zeit hier in Ägypten gefreut, und jetzt das!“

Alle schwiegen bedrückt und starrten auf den Boden. Nur Petra blickte weiterhin interessiert um sich. Sie war die Zweitälteste unter den Geschwistern. Sie stellte nicht nur die besten Fragen von allen, sondern gab auch meist nicht so schnell auf wie die anderen.

„Hey, Esther …! Ich glaub es nicht!“, rief Petra auf einmal. „Leute, seht mal, da ist er!“ Sie wies freudestrahlend mit ihrem Finger in die Richtung, wo – tatsächlich – Esthers Rucksack stand! Sofort sprang Esther auf und rannte auf ihn zu. Nur wenige Meter von den Geschwistern entfernt stand dort der violette Wanderrucksack an die Wand gelehnt, neben einer Stahltür.

„Hier stehst du also mutterseelenallein und sagst keinen Ton!“, schimpfte Esther freundlich und hievte überglücklich ihr Gepäck auf die Schultern.

Im gleichen Moment sah Hans-Georg das Schild an der Wand gleich neben der Stahltür. „Sperrgepäck“, sagte er mit einem breiten Grinsen.

Alexander prustete los: „Vielleicht hättest du deine Ausgrabungsausrüstung doch nicht mitnehmen sollen. Vor allem, weil die Forscher doch sowieso alles vor Ort haben.“

„Weiß ich ja auch“, erwiderte Esther, „aber wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich sagen: Ich war mit diesem Seil, diesem Spaten und diesen Kerzen in einer jahrhundertealten Grabanlage Ägyptens.“

„Die Nummer mit den Kerzen hab ich ja immer noch nicht kapiert“, sagte Marianne.

„Willkommen im Zeitalter der Taschenlampe!“, posaunte Alexander.

„Ihr werdet schon sehen!“ Esther nickte vielsagend mit dem Kopf.

Tatsächlich wartete auf die fünf Geschwister ein komplettes Forscherteam, ein altes ägyptisches Grab und jede Menge Abenteuer. Nachdem sie die Passkontrolle durchlaufen hatten, dauerte es eine ganze Weile, bis sie den Busbahnhof ausfindig gemacht hatten. Kein Wunder, denn der Flughafen mitsamt der Abfertigungshalle war wirklich riesig und bis zum Zerbersten voll. Hohe Decken mit Neonlicht, ewig lange Rolltreppen, riesige Tafeln, auf denen die Ankünfte und Abflüge der Airlines von unten nach oben durchklackerten. Hier kamen wirklich Flüge aus aller Welt an. Es war laut und hektisch. Alexander zählte drei Terminals. Ein vierter Terminal war geschlossen und allein dem König samt seinem Hofstaat vorbehalten.

Als die fünf Geschwister endlich nach draußen kamen, standen sie vor einer Wand aus heißer Luft. Natürlich! Der Flughafen war ja klimatisiert. Jetzt bekamen sie das echte ägyptische Wüstenklima zu spüren.

„Boah, was für eine Hitze – Wahnsinn!“ Petra konnte es gar nicht fassen. „Ich glaubs ja nicht. Ist das hier immer so heiß?“

Esther wusste Bescheid: „Das ist Kairo, Leute, und nicht London. Kaum Regen, dafür über 40 Grad im Sommer.“

„Na, wenn wir da mal nicht braun gebrannt wieder nach Hause kommen …“, witzelte Alexander, während Marianne sich schon jetzt den Schweiß von der Stirn wischte: „Da schwitzt man ja schon vom Rumstehen!“

Breite, asphaltierte Straßen und riesige betonierte Parkplätze speicherten die unglaubliche Hitze und gaben sie dampfend wieder ab, sodass die Luft vor ihren Augen flimmerte. Hier und da gab es kleine, saftig grün leuchtende Rasenflächen, die mit Palmen und anderen exotischen Gewächsen bepflanzt waren. Dass die Pflanzen hier nur gedeihen konnten, weil sie mehrmals täglich bewässert wurden, wurde den Geschwistern klar, als sie ihren Blick hoben. Der Flughafen lag nämlich wenige Kilometer außerhalb Kairos. Die gläsernen Hochhäuser der Großstadt reflektierten das Sonnenlicht. In der Ferne erhoben sich braune felsige Berge und weite Flächen von Sand leuchteten golden in der Sonne. Esther entdeckte natürlich sofort die Pyramiden von Gizeh. „Genau so habe ich es mir hier immer vorgestellt!“, rief sie total begeistert. Jetzt, wo sie ihren Rucksack auf dem Rücken hatte, war sie wieder richtig gut drauf.

Petra war das genaue Gegenteil von Esther: Sie stöhnte nur noch. „Die sechs Stunden Flug waren mir eigentlich genug. Jetzt will ich mich nur noch ausruhen.“ Gerade wollte sie sich auf ihren Rucksack fallen lassen, da machte Hans-Georg ihr einen Strich durch die Rechnung: „Seht mal, da ist unser Bus!“

„Wie bitte?!“ Petra sprang entsetzt wieder auf. „Das soll unser Bus sein? Da kriegen mich keine zehn Pferde rein!“

Marianne kontrollierte die Tickets, die sie vor Reiseantritt von ihrem Freund Baron Zerbach per E-Mail bekommen und ausgedruckt hatten. „Ja, das ist unser Bus“, bestätigte sie.

„Dass das klapprige Ding überhaupt noch fährt“, wunderte sich Alexander.

Esther hatte kein Problem damit. Sie rief freudestrahlend: „Hey Leute, das ist das wahre Ägypten! Genießt das Fremdländische, saugt es in euch auf, kostet es aus!“

„Ja, genau!“, rief Hans-Georg. „Was kann es Besseres geben, als Land und Leute kennenzulernen? Und schließlich müssen wir ja heute noch in Luxor ankommen. Bevor es Nacht wird!“

Die beiden stürmten vorneweg in Richtung Bus, die anderen folgten ihnen.

„Von wegen ausspannen!“, grummelte Petra und schlurfte mit müden Schritten hinterher.

Es hatte also doch keine zehn Pferde gebraucht, Petra in den Bus zu kriegen. Es reichte schon die Vorstellung, allein auf dem riesigen, fremdländischen Flughafen zurückzubleiben, und das wollte sie schon gleich gar nicht! Nun waren die Geschwister also auf dem Weg durch die Wüste, eingequetscht zwischen Einheimischen, Hühnern, Ziegen und Koffern. Sie saßen auf abgewetzten, speckigen, durchgesessenen Sitzen und trauten sich kaum, sich zu rühren.

„Sag mal, Petra, könntest du bitte deinen Fuß von meinem runternehmen?“, fragte Marianne.

„Klar, Schwesterherz, wenn du aufhörst, mit deinem Kinn in meiner Schulter zu bohren.“

Beide mussten lachen. So oder so ähnlich ging es die ganze Zeit. Petra und Marianne saßen mehr aufeinander als nebeneinander. Es roch nach Tieren, Schweiß und Benzin.

Hans-Georg war das alles egal. „Wahnsinn, wer hätte gedacht, dass wir mal nach Ägypten kommen!“

Alexander dachte schon in Vorfreude an das Rätsel, das sie diesmal zu lösen hatten. „Ich kann es auch kaum erwarten. Das wird ein richtig großes Abenteuer. Oder, Petra?“

„Na, ich weiß ja nicht.“ Sie war ein bisschen besorgt. „Alte ägyptische Gräber erforschen, das ist irgendwie schon unheimlich. Auf der Grabstätte sollen Flüche liegen. Gerade das Grab TT33 ist dafür bekannt, dass viele Forscher, die reingegangen sind, nie wieder rausgekommen sind!“

„Ach was. Klingt doch superspannend. Da müssen wir rein! Und außerdem –“ Alexander konnte sich gar nicht wieder einkriegen.

„Jetzt mach mal langsam, Alex“, unterbrach Marianne ihn. „Ich würde sagen, wir hören uns erst mal an, was dieser Professor Dümisch zu erzählen hat, und dann können wir ja immer noch entscheiden, was wir machen.“

Esther war in Gedanken ganz woanders. Sie hatte nur Augen für die Umgebung. „Wow, seht mal da … und da … krass! Die Reise hat sich auf jeden Fall jetzt schon gelohnt. Allein wegen der Architektur! Seht ihr die Gebäude da … Unglaublich! Diese Reise werde ich jedenfalls nie vergessen.“

„Das stimmt allerdings“, entgegnete Petra.

Esther guckte sie mit großen Augen an: „Echt? Dass du so was sagst, wundert mich jetzt mal echt.“

„Oh ja, diese Reise mit dem Bus über die Sandpisten werde ich wirklich nie vergessen. Mein Hintern tut mir schon total weh! Wieso sind wir denn nicht auch gleich noch von Kairo nach Luxor geflogen?“

Esther hatte Mitleid mit ihrer Schwester und versuchte sie zu ermutigen: „Na, weil der Baron uns wahrscheinlich auch die Chance geben wollte, Land und Leute kennenzulernen.“

Petra kam gar nicht dazu, zu antworten, denn ein Huhn hatte sich auf ihrem Schoß verirrt. „Ahhh!“, schrie sie erschrocken auf und fuchtelte mit den Armen: „Ich mag ja Tiere, aber so viele und so nah …“

Alexander lachte Petra an. „Sie mögen dich auch. Schau mal, das Huhn … das fliegt ja geradezu auf dich.“ Er grinste dabei schelmisch.

Petra verdrehte die Augen und seufzte.

„Es sind doch nur noch ein paar Kilometer!“, meinte Marianne nach einer Weile und faltete die Karte wieder zusammen. „Also, nur noch so um die 250.“

„Was??? Na großartig! Das heißt im Klartext: Drei Stunden liegen hinter uns und noch drei Stunden vor uns.“ Petra war ganz und gar nicht begeistert und versuchte, das nächste Huhn von einem Sprung auf ihren Schoß abzuhalten. Was hätte sie auch an der Situation ändern können? Jetzt war sie einmal mit auf dieser Reise. Und da musste sie wohl oder übel auch mit Hühnern fertigwerden …

Der Bus nahm jedes Schlagloch mit und ließ die Geschwister jedes Mal auf ihren Sitzen nach oben hüpfen. Alle schauten gebannt durch die staubigen Scheiben hinaus in die Wüste, die in den nächsten Tagen ihre Heimat sein sollte. Die Hitze machte sie langsam müde und schließlich fielen ihnen die Augen zu, bis auf Esther.

Das Lager

„Da, da! Wir sind fast da!“, rief Esther. Zuerst sah sie nur kleine weiße Punkte am Horizont auftauchen. Sie hatte die ganze lange Fahrt vor Aufregung keine Sekunde lang geschlafen. Jetzt weckte sie sofort ihre Geschwister: „Hey, wacht auf! Hans-Georg, Marianne, Petra, Alexander! Los, aufwachen! Wir sind gleich da!“

„Mmmmh, was?“, murmelte Alexander und blinzelte müde. Mit verschlafenen Augen suchte er die Landschaft hinter der Scheibe ab, aber außer Sand sah er nichts.

Jetzt waren auch die anderen wach. „Warum hast du uns denn bitte schön geweckt, hier ist doch rein gar nichts!“, beschwerte sich Hans-Georg und drehte sich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. Weil im Laufe der Zeit immer mehr Fahrgäste ausgestiegen waren, hatte er nach einer ganzen Zeit einen Doppelsitz in Beschlag nehmen können und sich dort ausgestreckt.

„Unsere Schwester sieht schon Fata Morganas, das kann ja heiter werden“, brummte Alexander und wollte ebenfalls weiterschlafen.

„Ich sehe nur ein paar weiße Punkte ganz dahinten“, meinte Marianne vorsichtig.

„Genau!“, bestätigte Esther. Sie hatte ihre Nase an die Fensterscheibe gepresst. „Das sind sie! Die Zelte der Expedition!“

Bei so einer aufgeregten Schwester konnten Hans-Georg und Alexander allerdings nun wirklich nicht weiterschlafen, selbst wenn sie gewollt hätten.

„Bist du dir da wirklich sicher, dass das die Zelte sind?“, fragte Petra, während sie sich ihren Hintern rieb. „Ohhhh, mein Hintern ist eingeschlafen.“

Marianne kicherte. „Seit wann kann denn ein Hintern einschlafen?“

„Keine Ahnung, aber meiner tut so was. Das ist ja wohl auch nicht so ungewöhnlich, wenn ich stundenlang in einem ausgeleierten Sitz hänge. Außerdem sind hier Löcher im Polster drin.“ Petra seufzte und schüttelte ihren Kopf.

Alexander kicherte. „Such dir doch ’nen anderen Sitz aus, Mensch. Der Bus ist doch völlig leer.“

Er hatte recht: Der Bus war mittlerweile wirklich leer – hierher, in die einsame Wüste, wollte wohl keiner außer den Geschwistern hin.

Als sie näher kamen, verwandelten sich die weißen Punkte tatsächlich in Zelte. Esther hatte es richtig erkannt. Nun konnten auch die anderen die etwa fünfzehn weißen Zelte eindeutig erkennen – trotz der vor Hitze flimmernden Luft, in der alles nur undeutlich zu sehen war. Es war das Basislager ihrer Expedition!

„Hier wohnt also das Forschungsteam!“ Esther war begeistert aufgesprungen, konnte aber wegen der unebenen Piste nur mühsam das Gleichgewicht halten.

„So muss es aussehen, wenn Nomaden ihre Zelte in der Wüste aufschlagen“, sagte Marianne. „Ich kann mir nicht vorstellen, in diesen Stoffhäusern ein ganzes Leben zu verbringen.“

Esther lachte: „Jetzt übertreib mal nicht. Wir sind ja nur eine Woche hier und kein ganzes Leben.“

In sieben Tagen sollte der Rückflug von Kairo zurück nach Deutschland gehen. Bis dahin würden sie Nomaden und Forscher auf Zeit sein.

Der Bus kam in einer großen Staubwolke zum Stehen. Die Geschwister griffen sich ihr Gepäck und drängten sich, nachdem sich der Fahrer in gebrochenem Englisch überschwänglich bei ihnen verabschiedet hatte, nach draußen. Der Fahrer wirkte auf irgendeine Art leicht beunruhigt, ja, fast besorgt. Aber darauf achteten sie nicht weiter, denn endlich, nach mehr als zehn Stunden Reise, waren sie an ihrem Ziel angekommen. Als der Bus wieder anfuhr, wirbelte er eine riesige Wolke aus Staub und Sand auf und die Geschwister mussten ihre Hände schützend vor die Augen halten. Sie konnten kaum zwei Meter weit sehen.

„Ich seh gar nichts mehr“, hustete Alexander. „Lasst uns warten, bis sich der Staub gelegt hat.“

Esther fiel das offensichtlich schwer, aber sie geduldete sich.

Da kam ihnen aus der Wolke, wie aus dem Nichts, ein Mann entgegen. Petra sah ihn sich genau an: Er trug dicke Arbeiterschuhe an den Füßen, eine dünne Stoffhose und ein grob gewebtes Hemd – kakifarben. Selbst wenn er im Sand gewühlt hätte, hätte man den Dreck auf seinem Oberteil nicht wirklich gesehen. Wie praktisch, dachte sie.

Die Sonne brannte von einem strahlend blauen Spätnachmittagshimmel herunter. Dem kräftigen Mann mit grauem Stoppelbart und einer Nickelbrille auf der Nase machte die Hitze sowie sein Körpergewicht anscheinend sehr zu schaffen. Sein Gesicht war stark gerötet und Petra konnte große Schweißringe unter seinen Armen erkennen. Unter seinem Hut steckte ein Stofftaschentuch, das den Nacken vor der starken Sonneneinstrahlung schützte. Er schaute prüfend, aber freundlich in die Gesichter der Ankömmlinge.

„Ah, Salam!“, sagte er. „Ihr müsst die fünf Geschwister sein. Herzlich willkommen in der Nekropole von al-Asasif! Mein Name ist Jonas Dümisch. Du musst Marianne sein, die große, sorgsame Schwester! Salam!“ Er sprach in einer Art Singsang und reichte der Ältesten die Hand.

„Guten Tag!“, antwortete Marianne verunsichert.

Dümisch fuhr fort und begrüße Petra: „Und du bist die zweifelnde Petra mit den guten Ideen!“

„Hallo … “, grüßte sie zögernd zurück.

„Salam, Hans-Georg. Du Abenteurer!“

Hans-Georg war ähnlich überrascht über die Begrüßung wie seine beiden Schwestern. „Salam, aber woher …“

Der Archäologe ließ ihn aber gar nicht ausreden. „Willkommen, Esther! Dich müssen die Pyramiden und Bauwerke auf der Fahrt hierher ziemlich gefesselt haben.“

„Ähm, stimmt.“ Esther war verblüfft. Woher wusste er das nur?

„Und du bist dann zweifelsohne Alexander. Der mutige Familienclown!“, beendete Dümisch seine Begrüßung.

Alexander schien am wenigsten überrascht zu sein. „Salami! Woher wissen Sie eigentlich, wer wir sind?“

Esther versetzte ihrem Bruder einen Ellenbogenstoß in die Rippen. Sie fand es unfreundlich von Alexander, die arabische Begrüßung so lächerlich zu machen. Sie waren schließlich hier, um ein Rätsel zu lösen. Sie flüsterte ihm zu, ruhig zu sein.

„Ist ja schon gut“, raunte Alexander zurück. Der Professor stand immer noch vor ihm.

„Hahaaa!“ Dümisch lachte kurz auf. „Salami … Nein, nein, mein Junge, es heißt ‚Salam‘. Und das ist eines der arabischen Wörter für Frieden. Gleichzeitig ist es auch ein Gruß. Vollständig würde man sagen: ‚as-salāmu ’alaikum‘. Und das heißt: Der Frieden sei auf euch! Der Frieden mit Gott, wohlgemerkt.“

Damit hatte Alexander nicht gerechnet – jetzt war ihm die Blödelei irgendwie peinlich.