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Das Leben von John Wilson war nie einfach.
Eine schwere Kindheit, der Verlust seiner Frau, der Kampf gegen die Sucht – er hat viel durchgemacht, um ein ruhiges Leben für sich und seine zehnjährige Tochter aufzubauen. Eine Kleinstadt, die Arbeit in einer Autowerkstatt, ein geregelter Alltag – alles schien endlich in Ordnung zu sein.
Bis zu jener Nacht.
Als
sie kamen.
Wer sind sie? Warum sind sie hier? Und warum wird gerade sein Leben zum Schauplatz eines Kampfes ums Überleben?
Ein Roman über das Menschsein in einer zerfallenden Welt.
Über innere Stärke, Liebe – und darüber, wie weit wir gehen, um die zu schützen, die wir lieben.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
TEIL 1 KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
TEIL 2 KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
TEIL 3 KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
EPILOG
Die Nacht war ungewöhnlich warm und hell. Der Vollmond schien von irgendwo oben, und ich starrte ihn an, ohne zu bemerken, dass meine Zigarette in den Fingern fast bis zum Filter abgebrannt war. Um diese späte Stunde hing er so tief über der Erde, dass seine Größe unglaublich riesig wirkte und seine leuchtend orange Farbe so intensiv war, dass es gar nicht wie der Mond aussah, sondern wie eine Mittagssonne, die sich irrtümlich auf den dunklen Nachthimmel geschoben hatte. Ich hatte noch nie einen solchen Mond gesehen.
Von Zeit zu Zeit glitt mein Blick kurz nach unten, doch schon nach ein paar Augenblicken richtete er sich von selbst wieder nach oben, wie magisch von seinem sanften Leuchten angezogen. Kurzum, es war eine jener seltenen Nächte, in denen die leuchtende Kugel über dem Kopf echtes Interesse weckt, sodass man die Krater auf ihrer Oberfläche betrachtet und über den Aufbau des Universums nachdenkt.
Als Teenager stellte ich mir oft vor, dass sich irgendwo dort, auf der von der Erde aus unsichtbaren Seite, in den dunklen Höhlen oder zwischen den staubigen Steinen vulkanischer Plateaus etwas Unbekanntes verbirgt. Etwas, das die Menschheit noch zu entdecken und zu erforschen hat. Damals begeisterte ich mich für wissenschaftliche Sendungen über den Weltraum, Mondmissionen, Marsrover, Satellitenstarts zur Venus und zu anderen, noch ferneren Planeten. Ich erwartete, dass bald eine andere Lebensform auf einem dieser Himmelskörper gefunden würde, und versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl aussehen könnte.
Jetzt denke ich nicht mehr darüber. Der Weltraum und alles, was damit zu tun hat, interessiert mich gar nicht. Ehrlich gesagt interessiert mich in letzter Zeit überhaupt wenig — ich muss mich um weitaus alltäglichere Dinge kümmern. Seltsam, dass ich jetzt daran gedacht habe.
— Oh, da scheint noch einer zu sein! — ertönte plötzlich der zufriedene Ausruf von Rob Holder neben mir. — Ja, er beißt bestimmt...
Seine Stimme riss mich aus meinen Gedanken über die unendlichen Weiten des Alls. Ich ließ den Kopf sinken und spürte erst jetzt, wie steif mein Nacken geworden war. Rob beugte sich derweil gespannt nach vorne. Mit konzentriertem Blick auf den leicht zitternden Schwimmer rieb er sich vor Ungeduld die Hände und war schon bereit, nach der Angel zu greifen. Doch plötzlich erstarrte der Schwimmer. Als wollte er noch einmal necken, zuckte er kaum merklich, bevor wieder ruhig auf dem Wasser schaukelte.
— Verdammtes Biest! — fluchte Rob und spuckte frustriert vor seine Füße.
Mit einem beleidigten Schnauben wickelte er die Angelschnur auf die Rolle. Ich schmunzelte über seinen mürrischen Gesichtsausdruck, trat den Zigarettenstummel mit dem Stiefel aus und lockerte meinen steifen Nacken, um die durch das lange Betrachten des Mondes entstandene Starre zu lösen. Angesichts der Tatsache, dass in seinem Kescher bereits ein paar große Zander zappelten, während meiner immer noch leer war, wirkte seine Unzufriedenheit amüsant. Doch die Fische im Fluss waren heute wirklich misstrauisch, als hätten sie gewusst, warum wir hier waren.
In den letzten acht Jahren kommen wir oft hierher. Nur dreißig Kilometer von der Stadt entfernt, steht uns ein Fluss zur Verfügung, der auf beiden Seiten von einem breiten Sandstreifen fest umschlossen wird. Gleich dahinter erhebt sich eine dichte Wand aus Laubwald, die die ruhige Bucht vor neugierigen Blicken schützt. Dort schlagen wir gewöhnlich unsere Zelte auf. Die Gegend ist fischreich und menschenleer, deshalb betrachten wir sie schon lange als unser eigenes Refugium.
Hier ist es gut. Ruhig, friedlich... Ich würde sogar sagen: unbeschwert. Ja, dieses Wort trifft es wohl am besten. Nicht dass mein Leben nach Ruhe oder Unbeschwertheit verlangen würde — im Gegenteil, es ist bis zum Überdruss langweilig. Doch hier überkommt mich stets eine besondere Entspannung und Gelassenheit. Genau das fühlte ich in diesem Moment.
Schläfrig beobachtete ich den westwärts strömenden Fluss, unterdrückte ein Gähnen und zündete mir eine neue Zigarette an. Wie eine träge Schlange kroch der Fluss gemächlich in die Ferne, schlängelte sich bis zum Horizont. Sein glattes Bett wurde nur vom gespenstischen Licht des über dem Himmel schwebenden Mondes. In der Luft lag ein süßlicher Geruch von Schlamm und Unkraut. Es herrschte nahezu vollkommene Stille.
Rob und ich müssen keine langen Gespräche führen — wir kennen uns schon so viele Jahre, dass ein Blick oder ein kurzes Wort genügt, um einander zu verstehen. So wurde das Schweigen nur vom Zirpen der Nachtinsekten, dem leisen Rascheln der Blätter und dem Plätschern des Wassers am Ufer unterbrochen. Während ich nachdenklich an meiner Zigarette zog, warf er den Haken wieder ins Wasser und starrte mit der gleichen Anspannung auf den Schwimmer. Terry war im Zelt. Terry ist meine Tochter, sie ist zehn Jahre alt.
Versunken in unsere Gedanken saßen wir noch lange schweigend da, bis das Schweigen plötzlich von einem unerwarteten Geräusch durchbrochen wurde. Es ließ mich den Kopf ruckartig heben und lauschen. Das Geräusch kam aus einer Entfernung von etwa fünfhundert Metern von unserem Lagerplatz. Es enthielt etwas Unklares, das Neugier weckte, aber zugleich auch Misstrauen. Mein Gehör nahm deutlich laute Wasserspritzer, ein Gerangel und noch etwas anderes wahr, das ich nicht bestimmen konnte.
— Was zur…? Hörst du das auch? — fragte ich.
Die Frage klang dumm — Rob hörte offensichtlich dasselbe.
— Wahrscheinlich Waschbären, — vermutete er nach kurzem Schweigen. Nach einigem Überlegen fügte er hinzu: — Oder Füchse. Für Fische ist das zu laut.
— Kaum. Nach den Geräuschen zu urteilen, ist es etwas Großes.
— Ein Hirsch? — schlug er als Nächstes vor, doch selbst er schien nicht recht daran zu glauben. In seiner Stimme lag eindeutig Zweifel.
— Woher denn? Hier gibt es seit fünfzehn Jahren keine Hirsche mehr.
— Vielleicht sind sie zurückgekehrt. Lass uns nachsehen…
Ohne zu zögern stand er auf und ging zu dem schmalen Pfad, der in den Wald führte. Mir blieb nichts anderes übrig, als mein Gewehr zu nehmen und ihm zu folgen, doch weit kam ich nicht.
— Papa, wohin geht ihr? — fragte eine schläfrige Stimme.
Ich drehte mich um und konnte mir ein Lachen kaum verkneifen. Aus dem Zelt schaute mich ein zerzauster, hellblonder Kopf an. Das im Mondlicht blasse Gesicht verschwamm zu einem undefinierbaren Fleck, aus dem sich nur ein schmaler Mund und große Augen abzeichneten. Durch den Schatten, der auf sie fiel, wirkten die Augen riesig, was dem Kopf Ähnlichkeit mit einem zerzausten Vogel verlieh, der aus seinem Nest hervorlugt.
— Warum schläfst du nicht? — fragte ich und unterdrückte ein Lachen.
— Wohin geht ihr?
Der Kopf ignorierte meine Frage demonstrativ, doch ich antwortete trotzdem:
— Irgendwelche Geräusche weiter am Ufer. Wir gehen nachsehen. Rob denkt, es könnte ein Hirsch sein.
— Ich komme mit! — rief Terry hastig (es war natürlich sie) und begann sich zu regen, offensichtlich darauf bedacht, sich aus ihrem gemütlichen Nest zu befreien.
— Nein! Bleib im Zelt und komm nicht raus, bis wir zurück sind. Verstanden, Terry? Im Zelt!
Ich betonte absichtlich die letzte Phrase und beeilte mich, Rob zu folgen. Ich passte mich seinem Schritt an und ging neben ihm her. Die Geräusche hörten nicht auf. Im Gegenteil — je näher wir kamen, desto deutlicher wurden sie. Nun mischten sich zu den Wasserspritzern auch Quieken und Keuchen, die keinem Tier ähnelten, das ich kannte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass sie von einem Lebewesen stammten, aber ich konnte mir nicht erklären, was es sein mochte.
— Das klingt nicht wirklich nach einem Hirsch, Rob, — flüsterte ich.
— Halt die Klappe, sonst verscheuchen wir es, — zischte er zurück, flüsterte aber sofort: — Scheiße! Warum habe ich mein Gewehr nicht mitgenommen?!
In Rob erwachte der Jagdinstinkt. Mit weichen, geräuschlosen Schritten bewegte er sich vorwärts, ohne trockene Äste zu berühren. Er umging knirschende Kiesflecken und schlängelte sich geschickt um die an manchen Stellen wachsenden Büschel vertrockneten Sommergrases. Ich tat es ihm gleich. Wir beide kennen uns mit der Jagd aus — wie jeder Mann in unserer Gegend. Doch die keuchenden und quiekenden Laute, die uns erreichten, gehörten offensichtlich weder einem Kojoten noch einem Fuchs oder Hasen, auf die wir sonst jagten.
Alles wurde klar in dem Moment, als der Pfad abrupt nach rechts abbog. Plötzlich endete er und führte uns zu einem von üppigen Baumkronen beschatteten Strandstück, wo wir beide wie angewurzelt stehen blieben.
— Was zum Teufel? — entfuhr es mir.
Vor unseren Augen spielte sich ein seltsames Schauspiel ab. Die Geräusche, deren Ursprung ich vergeblich zu erraten versucht hatte, kamen von zwei Menschen. Bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass beide männlich waren. Doch nicht so sehr ihre bloße Anwesenheit war verstörend — auch wenn wir noch vor Kurzem sicher waren, dass außer uns niemand hier war. Es war vielmehr ihr Verhalten, das jeglicher Logik entbehrte.
Einer der Männer stand bis zur Taille im Fluss und schlug ziellos mit den Händen auf das Wasser, während der andere nervös am Ufer hin- und her trat und sich umblickte. Aus ihren Kehlen drangen schrille Schreie, die in ein Keuchen und seltsames Glucksen übergingen. Es klang wie das Röcheln eines verstopften Abflussrohrs und passte überhaupt nicht zu dem, was wir sahen.
Versteckt im Schatten der Bäume beobachteten wir sie schweigend für eine Minute. Ich versuchte zu verstehen, wer sie waren und wie sie hierhergekommen waren, während Rob mit schief geneigtem Kopf ihr Verhalten interessiert studierte und nachdachte.
— Sieht so aus, als wären die beiden ziemlich zugedröhnt, — murmelte er schließlich leise.
— Wenn ja, dann haben sie einen ordentlichen Trip, — grinste ich. Doch bevor ich noch etwas hinzufügen konnte, rief er:
— Hey, Jungs! Alles in Ordnung bei euch? Was zum Teufel macht ihr hier?
Aus dem Schatten tretend ging er langsam auf ihnen zu. Plötzlich verspürte ich den Drang, ihn aufzuhalten, doch aus irgendeinem Grund tat ich es nicht. Alle Reaktionen meines Gehirns schienen verlangsamt, nur meine Augen registrierten weiterhin das seltsame Verhalten dieser aus dem Nichts aufgetauchten Gestalten. Es war, als wären die beiden direkt vom Himmel gefallen.
Als sie Rob bemerkten, hielten sie für einen Moment inne, drehten sich dann aber wortlos um und kamen auf uns zu. Noch wusste ich nicht, was los war, aber instinktiv spürte ich — mit ihnen stimmte etwas ganz und gar nicht. Im fahlen Mondlicht waren ihre Gesichtszüge undeutlich, doch was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht.
Sie bewegten sich schwankend, als kämpften sie gegen einen unsichtbaren Widerstand an. Dabei grinsten sie auf eine Weise, die nicht recht zu einer freundlichen Geste passte. In all ihren Bewegungen lag eine unerklärliche Aggression. Je näher sie kamen, desto mehr wuchs mein Unbehagen.
— Jungs, was macht ihr hier? — rief Rob erneut.
Er blieb etwa fünf Schritte vor mir stehen und wartete darauf, dass sie näher kamen. Doch ihre einzige Antwort waren die selben seltsamen Keuch- und Quietschlaute.
— Rob, komm zurück, — rief ich leise, aber eindringlich. Doch er schien mich nicht zu hören.
Ein Gefühl unbestimmter Gefahr ergriff mich. Ich hob instinktiv das Gewehr an die Schulter. Rob machte noch zwei Schritte nach vorne, blieb dann abrupt stehen, schaltete seine Taschenlampe ein und richtete den schwachen Lichtstrahl auf ihre Gesichter. In genau diesem Moment schrie er:
— Schieß!..
Dieser unerwartete Schrei verwirrte mich. Ich war immer überzeugt gewesen, im Falle einer Bedrohung ohne zu zögern zu schießen. Doch jetzt wurde mir plötzlich klar, dass ich Angst hatte. Angst, auf einen lebenden Menschen zu schießen. Sie waren unbewaffnet, aber ich hatte ihre Gesichter auch gesehen.
— Noch einen Schritt, und ich schieße! — sagte ich laut, wobei ich vor allem mich selbst von meinen Worten zu überzeugen versuchte.
Meine Drohung zeigte keinerlei Wirkung. Es schien, als hätten die beiden mein Warnung überhaupt nicht gehört. Der, der zuvor im Fluss geplanscht hatte, blieb ein wenig zurück, während der andere, humpelnd und mit zuckendem Körper, unaufhaltsam auf uns zukam.
Äußerlich war er nicht besonders groß, doch er hatte einen kräftigen, ja sogar etwas stämmigen Körperbau. Kurze, muskulöse Beine steckten in einer dunklen Hose, und eine schlabberige Sportjacke, direkt über dem nackten Oberkörper getragen, verbarg nicht die mächtigen Ausmaße seiner Brust. Als er noch näher kam, sah ich mit Entsetzen das irre Grinsen auf seinem entstellten Gesicht und die von Hass erfüllten Augen. Kein Zweifel — er wollte nicht einfach nur Hallo sagen.
— Stehenbleiben, ihr verdammten Arschlöcher! Was wollt ihr? — schrie ich wieder.
Doch wieder kam keine Antwort. Ich feuerte einen Warnschuss in die Luft, aber auch das zeigte keinerlei Wirkung. Der Schuss hallte ohrenbetäubend, doch der Typ marschierte weiter auf uns zu. Ich zielte auf ihn und brüllte Warnungen, in der Hoffnung, ihn zu stoppen. Vergeblich. Er ignorierte meine Rufe einfach.
— Scheiße! Schieß endlich! — schrie Rob.
Er hatte einen dicken Ast vom Sand aufgehoben und wich langsam zurück.
— Ich habe nur noch eine Patrone übrig, — krächzte ich mit trockenem Hals.
— Du verdammter Idiot, John! Warum zur Hölle hast du in die Luft geschossen?
Ich antwortete nicht. Was hätte ich ja sagen sollen? Stattdessen spannte ich den Verschluss und feuerte erneut.
Das Gewehr ruckte schmerzhaft gegen meine Schulter. Meine Nase füllte sich mit dem beißenden Geruch von heißem Schrot, der Hals brannte — und im nächsten Moment wurde mir klar, was für ein Narr ich war. Ich hatte danebengeschossen. Die Kugel sauste zwischen der linken Seite des Mannes und seinem Arm hindurch, doch er zuckte nicht einmal.
Chaotisch überlegend, was ich tun sollte, wich ich zurück, als ich plötzlich eine schleichende Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Sie huschte nur wenige Meter von mir entfernt vorbei — links, hinter den Bäumen. Ein kalter Schauer lief mir über den Nacken, doch im selben Moment durchzuckte mich eine vage Ahnung: «Terry? Das war... Ja, das war sie!»
Im grauen Dämmerlicht des Waldes erkannte ich ihre leuchtend gelbe Windjacke. Doch Zeit zum Nachdenken, was sie hier zu suchen hatte, blieb nicht. Der irre Bastard kam weiterhin mit der Unaufhaltsamkeit eines besessenen Psychopathen auf mich zu. Jetzt hing alles von der Schnelligkeit meiner Reflexe und der Wucht meiner Schläge ab.
— Terry, Patronen! — schrie ich. — Sie sind im Zelt! Lauf!
Ich vergewisserte mich, dass sie losstürmte, so schnell sie konnte, und suchte mit meinen Blicken Rob. Am Ufer kämpfte er bereits mit dem zweiten Angreifer. Von dort drang sein bellendes Lachen, unterbrochen von diesen quietschenden Lauten und dem ekelhaften Gurgeln. Ich sah mir die Einzelheiten ihres Kampfes nicht an, aber ich wunderte mich, wie Rob so schnell dorthin gekommen war.
Das alles fühlte sich wie purer Wahnsinn an. Was sich hier vor meinen Augen abspielte, glich einem surrealen Albtraum oder eher der Aufführung eines schlecht geschriebenen Stücks. Es war, als hätte ich die Bühne eines billigen Jahrmarkttheaters betreten, wo mir eine wichtige Rolle zugedacht war — nur blieben mir sowohl die Worte als auch die Handlung unverständlich. Gleichzeitig dämmerte mir, dass diese beiden weder zugedröhnte Junkies noch betrunkene Angler waren — die Sache stand wahrscheinlich weit schlimmer. Jetzt packte mich eine kalte Angst.
Inzwischen war der Angreifer bedrohlich nahe. Ich unterdrückte die lähmende Panik, hörte auf zurückzuweichen, fasste das Gewehr mit dem Lauf nach unten und ging selbst auf ihn zu. Mit voller Wucht schlug ich ihn mit dem Kolben an die Schläfe. Ein dumpfer Schlag war zu hören, er wankte, aber zu meinem Entsetzen richtete er sich sofort wieder auf, streckte beide Arme aus und kam, als wäre nichts geschehen, erneut auf mich zu.
Von so einem Schlag wäre jeder normale Mensch umgekippt, doch er blieb unbeeindruckt. Ob aus Erstaunen oder Wut stürzte ich mich auf ihn und schlug erneut zu — immer wieder, mit aller Kraft, die meine Arme aufbringen konnten. Ich prügelte auf seinen Schädel ein, bis er schließlich zu Boden ging. Die Angst war wie weggeblasen. «Hoffentlich bringt Terry die Patronen!» — das war jetzt alles, woran ich dachte.
Sobald er zu Boden gefallen war, rannte ich zu Rob. Auch ihm war es gelungen, seinen Gegner niederzuringen, und dieser saß jetzt in einer unnatürlich verdrehten Pose direkt am Wasser, ohne dabei aufzuhören zu grinsen und zu lachen. Während ich mich näherte, sah ich sein von einem wilden Grinsen verzerrtes Gesicht, die mit Hass erfüllten Augen, die krankhafte Magerkeit und die struppigen roten Haare. Irgendwie war ich mir sicher, dass sie rot waren.
Ohne zu zögern schlug ich ihm den Gewehrkolben ins Gesicht. Dann noch einmal und noch einmal, doch nach jedem Schlag hob sich sein nach hinten fallender Kopf wieder. Sein verzerrter Mund erfüllte die Nacht mit einem hysterischen, kreischenden Lachen, während ich, brüllend vor Anspannung und Entsetzen, wie ein Wahnsinniger auf dieses Gesicht einschlug. Ich starrte in dieses verrückte Grinsen, in die schrecklichen Augen und konnte nicht begreifen, wie ich dieses Biest zum Schweigen bringen sollte.
Irgendwann verlor ich völlig die Kontrolle über mich selbst. Ich kam erst wieder zu mir, als Rob mich am Arm riss. Während ich mit dem Gewehrkolben auf den Angreifer einprügelte, hatte ich nicht bemerkt, dass Terry zurückgekehrt war. Nur Robs Ruf brachte mich wieder zur Besinnung. Schwer atmend hielt er mir eine Handvoll Patronen hin.
Ich befahl meiner Tochter, ins Zelt zurückzukehren und sich diesmal wirklich nicht mehr zu zeigen, bis wir zurückkämen. Ohne zu diskutieren — was für Terry ungewöhnlich war — gehorchte sie. Wahrscheinlich lud mein Anblick gerade nicht zu Diskussionen ein. Ich nahm die Patronen, lud das Gewehr hastig nach und verfolgte sie mit dem Blick, bis sie in Sicherheit war.
Dann drehte ich mich zu dem rothaarigen Bastard um, der gerade versuchte aufzustehen, und drückte wortlos den Abzug. Vom Schuss aus nächster Nähe getroffen, fiel er rücklings in den Sand.
Erleichtert atmete ich aus und richtete den Lauf auf den zweiten Angreifer. Dieser hatte sich bereits von meinen Schlägen erholt und war nun ganz nah. Er rannte nicht — im Gegenteil, er schien überhaupt keine Eile zu haben. Langsam hinkte er auf uns zu, schwankte von einer Seite zur anderen wie das Pendel eines großen Metronoms.
Rob und ich sahen uns an. Weder er noch ich verstanden, was hier vor sich ging oder wer diese Kreaturen waren, doch diesmal schoss ich ohne zu zögern auf ihn. Wie in Zeitlupe sah ich, wie die Ladung ihn direkt in den Bauch traf. Ich sah, wie er zuckte. Und ich sah, wie er weiterging.
Ungläubig und vollkommen ahnungslos starrte ich ihn an, als hinter mir dieses widerliche bellende Lachen erneut erklang. In diesem Moment begriff ich die Bedeutung des Ausdrucks «Mir stehen die Haare zu Berge» — denn genau das fühlte ich jetzt. Kalter Schweiß rann mir über den Körper, und meine Beine schienen plötzlich nur noch aus weichem Schaumstoff zu bestehen. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte mein Gehirn: MAN KANN SIE NICHT TÖTEN!
Von Panik ergriffen warf ich Rob das Gewehr zu, zog das Klappmesser aus meiner Tasche, stieß die grinsende Kreatur vor meinen Füßen zu Boden und begann, auf ihren Rücken einzustechen. Die Klinge glitt in ihren dürren Körper wie in Erdnussbutter. Ein ekelhafter Geruch stieg auf, doch Blut gab es keines... Formularbeginn
Ich hantierte immer noch wütend mit dem Messer, als die Dunkelheit von einem schrillen Schrei zerrissen wurde. Beim Hören erstarrte ich augenblicklich. Mein Herz sank tief in meiner Brust, stolperte einige Male, bevor es unregelmäßig zu schlagen begann. Es war Terrys Schrei — ich hätte ihn unter Tausenden erkannt.
Ich ließ das Biest, das einfach nicht verrecken wollte, liegen, riss Rob das Gewehr aus der Hand, rannte um den zweiten Wichser herum, der nach mir griff, und stürmte zum Zelt. Vor meinen Augen flackerte nur noch ein schmaler Streifen des Pfads, und ich raste darauf entlang, während mir die Luft lautstark aus der Lunge pfiff. Mich trieb die Angst an, es nicht rechtzeitig zu schaffen — und dazu eine alles überblendende, brennende Wut. Rob rannte mir hinterher.
Terry rief noch dreimal nach mir — dann verstummte ihre Stimme. In der Angst vor dem Schlimmsten beschleunigte ich meinen Lauf bis ins Unermessliche, rief ihren Namen und redete mir ein, dass ich es schaffen würde. Doch die Panik schnürte mir immer enger die Kehle zu. Es blieb keine Zeit mehr zu überlegen, wer uns angegriffen hatte. In diesen eineinhalb Minuten dachte ich ohnehin an nichts.
Meine Gedanken schrumpften zu Impulsen, zu einem Pulsieren in den Nervenenden meines Gehirns, das meinem Körper nur ein einziges Signal sandte: Laufen. So schnell es geht. Und ich lief, bis ich zur Lichtung kam, wo ich abrupt stehen blieb, den Mund vor Entsetzen offen.
Die Waldlichtung war im spärlichen Mondlicht kaum zu erkennen, doch mein Blick fand sofort Terry — sie presste sich mit ihrem ganzen Körper gegen einen Baum neben dem Zelt. Ihre Aufmerksamkeit war auf einen riesigen Kerl von fast zwei Metern fixiert. Er gab die gleichen verwirrenden Laute von sich und war ihr schon bedrohlich nahe gekommen, während sie dort stand und sich nicht zu bewegen wagte.
— Terry, lauf! — schrie ich, aber sie rührte sich nicht.
Es war, als wäre sie wie gelähmt. Sie schrie nicht mehr und schien sogar aufgehört zu haben zu atmen. Nur ihre Augen lebten noch — in ihnen erstarrte ein alles verschlingender Schrecken.
Der Bastard, der gemächlich auf meine Tochter zukam, war ein Schwarzer mit einem massiven, felsartigen Rücken. Darüber erhob sich ein kleiner, seitlich abgeflachter Kopf, der im Vergleich zu seiner Größe und Statur unproportioniert wirkte. Sein Kopf sah auf dem muskulösen Körper wie ein fremdes Geschwür aus, das aus der Ferne an eine verschrumpelte, schimmlige Frucht erinnerte.
Ein flüchtiger Blick genügte, um seine gewaltige Stärke zu erkennen und zu wissen, dass ich ihm im Nahkampf nicht gewachsen war. Sein Gewicht überschritt offensichtlich einen Zentner, und sein Körper war mit stählern wirkenden Muskeln bedeckt. Wie die anderen beiden war er unbewaffnet, doch die Kraft seiner mächtigen Hände, die selbst auf diese Entfernung spürbar war, ließ keinen Zweifel daran, dass er kein anderes Kampfwerkzeug brauchte.
Meine Chancen gegen ihn waren gleich null. Ich konnte mich nicht als Schwächling bezeichnen, aber einen solchen Kerl zu Boden zu werfen, war definitiv außerhalb meiner Möglichkeiten. Zwei lange Sekunden brauchte ich, um diesen Fakt zu begreifen, dann kam ich wieder zu mir und brüllte aus voller Kehle:
— Lass sie in Ruhe, du Drecksack!
Er reagierte auf meinen Ruf nur mit einer leichten Drehung des Kopfes und machte einen weiteren Schritt. Mit Entsetzen wurde mir klar, dass ich ihn nicht rechtzeitig einholen würde. Er war zu nah, und was ich auch unternahm, er würde Terry erreichen, bevor ich bei ihr war. Trotzdem rannte ich los und feuerte beim Laufen in die Luft.
Aus Angst, meine Tochter zu treffen, wagte ich es nicht, auf ihn zu zielen. Zum Glück genügte ein einzelner Schuss, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Der Riese drehte sich schwerfällig um, sein hässliches Gesicht verzerrte sich zu einem schiefen Grinsen, und er begann, mit einem entsetzlichen, gurgelnden Lachen, auf mich zuzuwanken. Er vergaß Terry und konzentrierte sich auf mich. Ich stoppte abrupt und atmete erleichtert aus.
— Na los! Komm her, du Drecksau. Komm näher...
Rob kam von hinten angestürmt. Er blieb neben mir stehen, beugte sich nach vorne und hielt sich abwechselnd die Seiten, während er keuchend Luft einsog. Sein Atem ging schwer und pfeifend vom wahnwitzigen Lauf. Er sah aus, als würde er jeden Moment erschöpft zusammenbrechen, doch stattdessen starrte er wie ich gebannt auf den riesigen Schwarzen. Der schlurfte gemächlich wie ein Flaneur bei einem abendlichen Spaziergang über die mit Gras bewachsene Waldlichtung.
— Das schaffen wir nicht, John, — krächzte Rob heiser. — Was jetzt?
— Ich weiß es nicht! Verdammt, ich weiß es nicht! Hast du gesehen, dass Kugeln ihnen nichts anhaben? — schrie ich außer mir, fügte aber sofort ruhiger hinzu: — Wir müssen ihn von Terry ablenken.
Ich kämpfte verzweifelt darum, einen klaren Kopf zu bewahren, aber mein Verstand war am Rande des Wahnsinns. Meine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, die emotionale Anspannung hatte einen Punkt ohne Wiederkehr erreicht. Es fühlte sich an, als könnte jede Kleinigkeit eine Explosion auslösen, die stärker wäre als ein nuklearer Schlag. Irgendwo in meinem Bewusstsein blitzte der Gedanke auf, dass so der Zustand eines Affekts beginnt.
— Er ist riesig, — flüsterte Rob erschüttert. — Wir schaffen das nicht sogar zu zweit. Wir müssen hier weg.
— Ich weiß, — entgegnete ich, während ich fehlende Patronen ins Magazin des Gewehrs lud.
Das schwere Pump-Action-Gewehr, das ich in diesem Moment krampfhaft umklammerte, fasste nur vier Patronen. Doch dank seines einfachen Nachlade- und Abzugssystems war es leicht zu bedienen. Es war pures Glück, dass ich heute ausgerechnet dieses Gewehr mitgenommen hatte. Normalerweise benutze ich eine doppelläufige abgesägte Flinte, die nur zwei Schüsse fasst. Wäre ich jetzt damit bewaffnet, wäre die Situation weitaus schwieriger.
— Bring Terry weg, Rob, und fahr den Wagen vor. Ich versuche, ihn abzulenken.
— Bist du sicher?
— Ja, ich bin sicher, — bestätigte ich, obwohl ich alles andere als sicher war. Ein letztes Mal repetierte ich das Gewehr, schaute ihm direkt in die Augen und wiederholte: — Das Wichtigste ist, dass du Terry hier rausholst. Hast du verstanden, Rob? Bring sie weg von hier.
Nachdem er mir einen langen, prüfenden Blick zugeworfen hatte, nickte er schließlich schweigend. Dann begann er vorsichtig, um die Aufmerksamkeit des zwei Meter großen Hünen nicht zu erregen, sich zum Baum zu schleichen. Terry stand immer noch daneben. Es schien, als wäre ihr kleiner Körper fest mit dem massiven Stamm verwachsen, mit ihm verschmolzen — als ließe er sich nicht davon lösen.
— Na los! Komm her, du Freak! — rief ich währenddessen dem Schwarzen zu. — Beweg dich... So ist es... Komm näher, noch näher...
Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen und schlurfte gehorsam auf mich zu. Aus seiner Kehle drangen gurgelnde Laute und Röcheln, seine dicken Lippen verzogen sich zu einem verzerrten Grinsen, und sein Körper wurde von leichten Krämpfen geschüttelt. Aus der Entfernung konnte man meinen, er lächle mir zu, als wäre ich seine geliebte Mutti. Gleichzeitig spürte ich jedoch die ernsthafte Bedrohung, die von ihm ausging.
Ich verstand immer noch nicht, womit wir es zu tun hatten, genauso wenig wie ich wusste, wie ich ihn erledigen sollte. Den beiden anderen hatten die Schrotladungen nichts ausgemacht, und diesen Kerl würde ich nicht mit dem Gewehrkolben niederschlagen können — er war einfach zu groß und zu kräftig. Doch zu meiner Überraschung geriet ich nicht in Panik. Er war ein Berg aus Muskeln, wild wie ein hungriger Braunbär, doch schwerfällig und extrem langsam.
Während ich seinen Annäherungen folgte, behielt ich gleichzeitig Rob im Auge. Es gelang ihm, sich unbemerkt an Terry heranzuschleichen, sie mühsam vom Baum loszureißen und sie in die Dunkelheit des Waldes zu führen. Ich wusste, dass sie zum Wagen gingen, und zog deshalb die Zeit in die Länge.
Während ich den Schwarzen näher kommen ließ, wich ich zurück und erreichte beinahe die Grenze zum Strand. Dort stolperte ich über eine Kiste mit Angelzeug, fluchte laut und blieb schließlich stehen. Mein Plan war, zu fliehen, doch im weichen Sand davon zu rennen wäre deutlich schwieriger gewesen.
Ich schoss, als zwischen uns nur noch etwa vier Meter lagen. Schoss zweimal — die erste Ladung traf ihn in die Brust, ohne ihn aufzuhalten, die zweite direkt in die Stirn. Was dann geschah, erschien mir in diesem Moment unbegreiflich — etwas Übelriechendes spritzte auf mich, und der hässliche Schädel des Schwarzen explodierte wie eine überreife Melone. Mit einem dumpfen Aufschlag stürzte der Kerl ins Gras.
Von seinem Gesicht blieb nichts übrig, nur ein Brei aus Knochen und übel riechendem Schleim. Seine Gliedmaßen zuckten noch krampfhaft, aber er war eindeutig erledigt. Er hatte es nur noch ein paar Schritte zu mir nicht geschafft.
«Ich habe einen Menschen getötet...», — schoss es mir durch den Kopf, doch dieser Gedanke wurde sofort von einem anderen verdrängt: «Er war kein Mensch. Was auch immer er war, aber kein Mensch».
Der ekelhafte, süßlich-stechende Gestank zog mir in die Nase und schnürte meinen Magen schmerzhaft zusammen. Mein Blick verschwamm, Übelkeit stieg in mir hoch. Ich spuckte die bittere Spucke aus, die sich in meinem Mund gesammelt hatte, und starrte noch eine Weile benommen auf den leblosen Körper im Gras. Immer wieder kreiste es in meinem Kopf: «Das ist unmöglich. Das ist unmöglich. Unmöglich...»
Ich stand so lange da, bis ich in der Nähe das vertraute Gurgeln hörte. Vielleicht kamen die beiden vom Strand, vielleicht war hier noch jemand, oder es war nur Einbildung — ich wusste es nicht mehr. Genau genommen wollte ich es auch nicht wissen. Deshalb fühlte ich Erleichterung, als ich hörte, wie Rob seinen Pickup startete.
Den Würgereiz unterdrückend, wischte ich mir die vom Schwarzen stammenden Fetzen aus dem Gesicht und rannte auf das Licht der Scheinwerfer zu. Der Pickup fuhr bereits in meine Richtung, sodass ich praktisch im Laufen hineinsprang.
— Wo ist Terry, Rob? Wo ist sie?! — brüllte ich, kaum auf dem Sitz gelandet.
Vor Aufregung überschlug sich meine Stimme zu einem dünnen, welpenhaften Quietschen. Mein ganzer Körper zitterte, und mein Magen wurde von heftigen, wellenartigen Krämpfen geschüttelt. Auf meinem Gesicht klebten noch immer Reste dieser ekelerregend schleimigen Masse. Sie verbreitete einen entsetzlichen Gestank, und egal, wie sehr ich sie abwischte — sie war überall.
— Ich bin hier, — meldete sich Terry vom Rücksitz. Ihre Zähne klapperten, und genauso wie ich wurde sie von nervösem Zittern geschüttelt. — Papa, hast du ihn getötet?
— Geht es dir gut? Hat er dich nicht berührt?
Ich drehte mich um und tastete hastig ihr Gesicht, ihre Arme, Beine, den Bauch ab... Alles war heil.
— Wer sind die? Was wollen die von uns? Papa, wer sind die?
Sie schrie die Sätze mehr, als dass sie sie sagte. Als mir klar wurde, dass wir beide im Zustand nahender Hysterie nur Fragen stellten, ohne Antworten zu finden, atmete ich aus und zwang meine Stimme zur Ruhe:
— Beruhige dich, Kleines. Beruhige dich! Geht es dir gut? — Ihre Zähne schlugen noch immer aufeinander, doch sie nickte schwach. — Gut. Ich weiß nicht, wer sie sind. Ich weiß es nicht. Wir werden später darüber nachdenken, aber jetzt müssen wir so schnell wie möglich nach Hause.
Während ich das sagte, wollte ich sie beruhigen, doch selbst konnte ich das Zittern meiner Hände nicht unter Kontrolle bringen. Innerlich drehte sich alles bei dem Gedanken daran, dass ich vielleicht zu spät gekommen wäre. Wäre ich nur eine Minute später angekommen, wer weiß, was dieses Vieh ihr angetan hätte. Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, dass ich auch sie hätte verlieren können, und wiederholte wie ein Mantra: «Denk nicht daran. Es ist gut ausgegangen. Alles ist in Ordnung. Denk nicht daran...»
— Rob, lass uns schnell von hier verschwinden, — sagte ich erschöpft und lehnte mich in den Sitz zurück.
— Beruhigt euch beide. Wir kommen hier schon raus, aber ich denke, wir fahren besser gleich zum Polizeirevier. Wir müssen alle warnen – hier geht irgendeine Scheiße ab.
Mit eingeschaltetem Scheinwerferlicht raste er den ausgetretenen Feldweg entlang. Ich hatte keine Zeit, ihm zu antworten. Genau in dem Moment, als Rob seinen Satz beendet hatte, tauchte mitten auf der Straße die Gestalt diese missgestaltete Drecksau, der ich vor Kurzem in den Bauch geschossen hatte. Er stand da, fletschte die Zähne und zeigte keine Angst vor der auf sie zurollenden Metallmasse.
Vor Schreck nahm Rob das Tempo raus und begann, hin und her zu lenken. Während ich Terrys schrillen Schrei übertönte, brüllte ich:
— Überfahr ihn, Rob! Überfahr ihn! Bleib nicht stehen!
Aber Rob hatte sein Zögern bereits überwunden. Mit einem Ruck zog er den Schalthebel und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Nur wenige Augenblicke später raste der Pickup mit voller Geschwindigkeit in den Bastard, der uns den Weg versperrte. Ein dumpfer Aufprall folgte, doch wie durch ein Wunder klammerte er sich an der Motorhaube fest, offenbar nicht bereit, uns so einfach ziehen zu lassen. Seine hässliche Fratze war nur wenige Zentimeter entfernt, getrennt nur durch die Windschutzscheibe. Was ich im Licht der Scheinwerfer sah, versetzte mich in Schock.
Seine Gesichtshaut war von einem Netz schwarzer Kapillaren durchzogen und mit dunklen Flecken übersät. Sie hatte einen grauen, stellenweise fast bläulichen Farbton. Ich hatte es schon bemerkt, als Rob die Taschenlampe anknipste, doch damals hatte ich im schwachen Licht gedacht, ihre Gesichter seien mit Dreck verschmiert. Jetzt aber war ich sicher — es war kein Dreck.
Sein weit aufgerissener Mund enthüllte eine Reihe großer, schief stehender Zähne, zwischen denen seine geschwollene, schwarz verfärbte Zunge immer wieder hervorlugte. Seine dünnen, fettigen Haare klebten an Stirn und Schläfen, am Hals zeichneten sich violette Male ab, doch am furchterregendsten waren seine Augen. Blutunterlaufen leuchteten sie mit einer wilden, erbarmungslosen Wut und einem unstillbaren Drang zu töten. Es war klar, dass er vor nichts zurückschrecken würde, um an uns heranzukommen.
— Ich sehe nichts! Verdammt, John, ich sehe gar nichts! Mach diesen Bastard von der Motorhaube runter! — brüllte Rob mit einer Stimme, die nicht mehr wie seine eigene klang.
Er fuhr von der Straße ab und schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, in dem Versuch, den Bastard abzuschütteln, doch der klammerte sich mit einem wahrhaft tödlichen Griff am Metall fest. Während wir durch den Wald kurvten, wirbelte ein ganzer Sturm an Gedanken durch meinen Kopf. Rob fluchte wie ein Irrer, Terry schrie weiterhin verzweifelt, und ich starrte wie gebannt auf dieses abscheuliche Gesicht, unfähig, den Blick abzuwenden.
Schließlich schloss ich die Augen, schüttelte heftig den Kopf, dann öffnete ich mit immer noch zitternden Händen das Seitenfenster und schoss ihm direkt in die Stirn. Seine Finger lösten sich. Der Bastard rutschte unter die Räder des Pickups, hinterließ einen dicken, braun-schwarzen Streifen auf der Windschutzscheibe.
— Los, Rob, gib Gas! — flüsterte ich. — Bring uns endlich hier raus!
Wir saßen zu dritt auf dem Polizeirevier. Es war uns gelungen, ohne weitere Zwischenfälle dorthin zu gelangen, obwohl jeder von uns erwartete, dass jeden Moment ein weiteres bösartiges Biest vor das Auto springen würde. Mit brennenden Augen vor Anspannung fixierten wir uns auf, die holprige Straße zu beobachten, die sich durch den Wald schlängelte, ebenso wie die Bäume am Straßenrand, jede Bewegung, die vom Wind oder einem Nachtvogel verursacht wurde, sogar die feinste Schwingung der Luft. Erst als wir uns der Stadt näherten, konnten wir einigermaßen frei durchatmen.
Während der Fahrt suchten Rob und ich nach einer Erklärung, stritten viel und heftig, fanden aber keine einigermaßen plausible Theorie darüber, wer diese drei gewesen waren. Wir stellten verschiedene, teils völlig absurde Vermutungen an, aber sowohl die Identität als auch die Motive für ihren Angriff blieben ein Rätsel.
Am Ende kamen wir beide zu dem Schluss, dass wir bei unseren Aussagen vorsichtiger sein mussten — die Polizei davon zu überzeugen, dass wir von einer Bande Verrückter angegriffen worden waren, die praktisch unverwundbar schien, würde schwierig werden. Wenn mir jemand so etwas erzählt hätte, hätte ich es sicher nicht geglaubt. Aber ich hatte sie mit eigenen Augen gesehen und sogar zwei von ihnen getötet.
Mit dem Hinterkopf gegen die kalt-blau gestrichene Wand gelehnt, starrte ich auf das Fenster des diensthabenden Beamten. Wahrscheinlich war mir nicht einmal bewusst, wohin mein Blick gerichtet war — ich schaute einfach nur geradeaus. Meine Kleidung stank nach Schweiß, mein ganzer Körper fühlte sich tödlich erschöpft an, und mein Geruchssinn wurde immer noch von dem widerlichen Leichengeruch verfolgt. Obwohl ich mir Gesicht und Hände gewaschen hatte, schien dieser Geruch an mir zu haften, in meine Kleidung, meine Haut, meine Haare eingedrungen zu sein. Ich wollte nur eines — ihn abwaschen, dann in ein Bett sinken und in einen tiefen Schlaf fallen. Ich wollte diese schreckliche Nacht einfach hinter mir lassen.
Leider konnte ich davon nur träumen — wir warteten darauf, dass der örtliche Polizeichef im Revier erschien. Seit unserer Ankunft waren bereits etwa vierzig Minuten vergangen, doch er ließ sich nicht blicken. Normalerweise ärgert mich langes Warten, aber jetzt fehlte mir die Kraft für Wut.
Meine Gedanken flossen träge dahin, ich wurde schläfrig, und manchmal überkam mich ein Gefühl der Unwirklichkeit. Manchmal glaubte ich, alles, was am Fluss passiert war, sei nur ein Produkt albtraumhafter Halluzinationen gewesen. Doch Robs zerzaustes Aussehen und Terry, die im Stuhl eingeschlafen war, waren ein lebendiger Beweis dafür, dass ich nicht den Verstand verloren hatte.
Terry... Als ich ihr erschöpftes Gesicht mit den getrockneten Tränenspuren sah und bemerkte, wie sie in einer unbequemen Haltung einen unruhigen Schlaf schlief, überkam mich ein stechendes Gefühl der Bitterkeit. In den letzten zwei Jahren war zu viel auf sie hereingebrochen. Viel zu viel, selbst für einen Erwachsenen — mit acht Jahren musste sie den Tod ihrer Mutter und die gleichgültige Trunkenheit ihres Vaters verkraften.
Mit geschlossenen Augen driftete ich unwillkürlich zu jenen Ereignissen zurück.
Anna war im vorletzten Herbst gestorben, und es traf mich völlig unerwartet, sodass es mir den Boden unter den Füßen wegriss. Ich konnte den Verlust nicht verkraften — alles, woran ich gewöhnt war und was ich liebte, verschwand mit ihr. Die Welt um mich herum drehte sich um und ging zum Teufel.
Ich trank. Zuerst, um den Schmerz zu betäuben und die entstandene Leere nicht zu spüren, doch schon bald wurde diese Flucht vor der Realität zu einer Sucht. Betäubt und gebrochen durch ihren frühen Tod, betrank ich mich das erste Mal am Tag der Beerdigung.
Nur eine Stunde, nachdem sie unter die Erde gebracht worden war, lag ich im Rausch auf dem Sofa des Hauses, das sie für immer verlassen hatte, und wollte nicht mehr in die Wirklichkeit zurückkehren. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich von ihr mit einer Mauer abgeschottet, und im Grunde genommen tat ich damals genau das. In den darauffolgenden Wochen trank ich Glas um Glas, lief in schmutziger Kleidung durchs Haus, aß kaum, rauchte viel und schlief. Ich wachte auf, trank und fiel wieder in den Schlaf.
Schon am Morgen griff ich zur Flasche, und am Abend war ich in einem Zustand völliger Gleichgültigkeit angelangt. Das half mir, mit der Hoffnungslosigkeit zurechtzukommen, die mich völlig durchdrungen hatte. Wie ein schwarzes Loch, das mit mächtiger Gravitation alles in seiner Nähe verschlingt, zog mich diese Hoffnungslosigkeit in eine bodenlose Tiefe, in der es weder Licht noch den gewohnten Lauf der Zeit gab.
Irgendwelche Ereignisse zogen an mir vorüber, irgendwelche Menschen tauchten an meiner Türschwelle auf — ich nahm nichts davon wahr. Die ersten zwei Monate waren völlig aus meinem Gedächtnis gelöscht, und so sehr ich auch versuchte, die Chronologie jener Tage zu rekonstruieren, es gelang mir nicht. Alles, was blieb, war die Erinnerung an unaufhörlichen Schmerz und bodenlose Trauer.
Später unternahm ich immer wieder Versuche, zu einem normalen Leben zurückzukehren, doch alle scheiterten. Sobald mein Blick auf irgendeinen Gegenstand fiel, der mich an sie erinnerte, überrollte mich der Schmerz mit dreifacher Wucht, und ich griff wieder zum Glas. Entdeckte ich ihren Notizblock mit ihren Aufzeichnungen, ihre Bürste, in der noch ihre Haare waren, die Tasse, aus der sie morgens Kaffee trank, oder irgendeine andere Kleinigkeit, die ihr gehörte, blieb ich lange mit diesem Gegenstand in der Hand stehen und konnte nicht fassen, dass sie fort war. In den ersten Monaten sah alles um mich herum so aus, als wäre sie nur kurz weggefahren, aber würde morgen zurückkehren, und das Leben würde wieder so sein wie zuvor.
Danach begannen sich meine apathischen Phasen mit Wutausbrüchen abzuwechseln. Ich war wütend auf die Welt, aber vor allem auf mich selbst. Ich gab mir die Schuld an ihrem Tod und schickte jeden zur Hölle, der an meine Vernunft appellierte, mich tadelte oder — noch schlimmer — bemitleidete. Mitleid war für mich am unerträglichsten.
Ich empfand ständig Mitleid mit mir selbst, und wenn jemand anderes begann, mich zu bedauern, explodierte ich buchstäblich vor Zorn. Die Leute kamen mit Ratschlägen, boten Hilfe oder unnötiges Mitgefühl an, forderten irgendetwas von mir, mischten sich in mein Leben ein, während ich einfach nur in Ruhe gelassen werden wollte. Irgendwann kam es so weit, dass ich den Kontakt zu allen abbrach.
Ein halbes Jahr später ließ der Schmerz schließlich etwas nach, und ich unternahm einen weiteren Versuch, mich zusammenzureißen. Vergeblich. Ich versuchte, durchzuhalten, wieder zur Arbeit zu gehen, mein verkorkstes Leben zu ordnen, doch jedes Mal hielt ich höchstens ein paar Tage durch, bevor ich wieder zur rettenden Flasche griff. Der Alkohol wurde zu meinem Medikament, meinem Freund und Gesprächspartner, zu meiner Stütze und meinem Schutz vor der Verzweiflung, die mich erdrückte. Als mir klar wurde, dass ich keinen einzigen Tag mehr ohne ihn auskommen konnte, war ein Jahr vergangen.
In diesem Jahr war viel Scheiße passiert, doch der Höhepunkt war ein Vorfall, der meine Sicht auf das Leben grundlegend veränderte. Er ereignete sich im letzten Herbst, und ohne dieses verdammte Zusammentreffen von Umständen wäre ich heute wohl ein hoffnungsloser Alkoholiker. Ich erinnere mich noch genau an diesen Septembermorgen.
Ich befand mich in meinem gewohnten, seit dem Vorabend anhaltenden Rauschzustand. Daher brauchte ich eine Weile, um zu mir zu kommen, als die Stille plötzlich von einem lauten Klingeln meines Handys durchbrochen wurde. Der schrille Ton des Klingeltons hämmerte auf meine angespannten Nerven ein und verursachte nichts als Ärger. Er bohrte sich unangenehm in meine Schläfe, als wollte jemand eine Öffnung in meinen Kopf fräsen. Um dieser Folter ein Ende zu setzen, tastete ich nach dem summenden Telefon und öffnete mühsam die Augen.
Die Nummer, die auf dem Display erschien, war mir nicht bekannt. Ich wollte den Anruf abweisen, aber stattdessen räusperte ich mich mit trockenem Hals und nahm schließlich ab. Eine strenge Stimme am anderen Ende der Leitung teilte mir mit, dass sich Terry in der Schule geprügelt hatte.
Zu dieser Zeit war es im Zimmer bereits hell. Sonnenstrahlen drangen durch das schmutzige, seit Langem nicht geputzte Fenster meines Schlafzimmers, schnitten es schräg in bizarre Ornamente und Linien, glitzerten in dem Staub, der in der Luft schwebte. Ich lag schweigend mit dem Telefon am Ohr da, ließ meinen verschwommenen Blick über die Decke, die Wände, die einst von Anna sorgfältig ausgewählten Möbel und die auf dem Boden verstreuten Sachen schweifen, bis ich meine bloßen Füße erblickte.
«Also habe ich es doch bis ins Bett geschafft», — schoss mir träge durch den Kopf.
Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde indes immer eindringlicher. In einem kategorischen, keinen Widerspruch duldenden Tonfall forderte sie mich auf, zu einem Gespräch mit der Schuldirektorin zu kommen. Da ich begriff, dass man von mir eine Antwort erwartete, brummte ich etwas Unverständliches, drückte auf «Auflegen» und quälte mich dann fluchend mit schmerzender Stirn irgendwie aus dem Bett.
In die Schule zu fahren, war das Letzte, was ich wollte. Mein Schädel fühlte sich an, als würde er gleich explodieren, und ich hatte einfach keine Kraft, mich zurechtzumachen. Außerdem hatte ich keine Lust, mir wieder einmal von der überheblichen Mrs Nowak anhören zu müssen, wie schlecht meine Tochter lernt. Ihre Belehrungen reichten mir schon lange, und jetzt auch noch diese Schlägerei.
In diesen Monaten wurde ich viel zu oft in das Büro der Direktorin zitiert. Nach Annas Tod hatte Terry Probleme in der Schule — schlechte Noten, Konflikte mit Mitschülern und Lehrern, sogar Fehlstunden. Ich versuchte nicht einmal, etwas dagegen zu unternehmen. Nur gelegentlich führte ich kurze Gespräche mit ihr, in denen ich betrunken über die Bedeutung von Bildung philosophierte, aber im Grunde war es mir vollkommen gleichgültig. Damals war mir alles scheißegal.
Bis zum Treffen war es noch etwas mehr als eine Stunde, und um die Kopfschmerzen zu lindern, beschloss ich, einen Schluck Whisky zu trinken. Dann noch einen. Und noch einen. Ich bemerkte nicht einmal, wie ich die ganze Flasche geleert hatte.
Je mehr ich trank, desto wütender wurde ich. Auf alle um mich herum. Auf die Schule, die Lehrer, auf Terry, auf mich selbst und sogar auf Anna. Ich war wütend auf sie, weil sie gegangen war und mich mit all der Scheiße allein gelassen hatte, der über mich hereingebrochen war. Wäre ich nüchtern gewesen, wäre mir so etwas nicht in den Sinn gekommen, aber im alkoholisierten Wahn schien es, als hätte sie das absichtlich getan. Es schien, als wäre für sie jetzt alles leicht und einfach, und wenn es den Himmel gibt, von dem die Heuchler so gerne schwafeln, dann musste sie genau dort sein.
Meine benebelte Fantasie malte sie sofort fröhlich und zufrieden aus, froh darüber, alle zum Narren gehalten zu haben. Sie lachte mich aus. Sie lachte, zeigte mit dem Finger auf mich und wiederholte ständig: «Ich wusste es, John. Ich wusste, dass du es nicht schaffen würdest. Du warst schon immer so — ein verantwortungsloser, selbstverliebter Egoist».
Genau diese Worte hatte Anna einst bei einem dummen Streite gesagt, und ausgerechnet jetzt hallten sie mir wieder im Kopf nach. «Zum Teufel mit dir! — zischte ich mit düsterem Blick auf ihr lächelndes Foto. — Du hast versprochen, dass du nie wieder weggehen würdest. Also hast du gelogen? Gelogen! Warum muss ich allein für alles den Kopf hinhalten?»
In Momenten der Ohnmacht, des Selbstmitleids oder der Wut führte ich oft lange Gespräche mit ihr. Manchmal waren es Dialoge über unsere Beziehung und Erinnerungen an die Vergangenheit, manchmal Worte der Reue und tränenreiche Bitten um Vergebung, seltener gegenseitige Angriffe und Beschuldigungen. Doch an jenem Tag war ich von Zorn erfüllt. Er hatte sich in mir angestaut, glühend und brodelnd wie Lava im Krater eines kurz vor dem Ausbruch stehenden Vulkans, und zugleich überdeckte er das gewohnte, zum Überdruss gewordene Selbstmitleid.
In dieser Stimmung tauchte ich in der Schule auf. Was dort geschah, ist nur bruchstückhaft in meiner Erinnerung geblieben, aber eines ist sicher — ich war sturzbetrunken. In Fetzen erinnere ich mich daran, wie ich laut schrie, fluchte, irgendetwas von Mrs Nowak forderte und schließlich dem Vater des Mädchens eine verpasste, das Terry zuvor an den Haaren gezogen hatte. Auch dessen Frau bekam etwas ab — ich nannte sie eine Hure.
Zu mir kam ich in genau diesem Polizeirevier. Ich saß in einer schmutzigen, nach Alkohol stinkenden Zelle, als man mir mitteilte, dass Terry nicht länger bei mir wohnen würde. Das Jugendamt wollte sie in ein Übergangsheim bringen und war bereits dabei, eine Pflegefamilie zu suchen. Zudem war ein Verfahren gegen mich wegen Schlägerei, Beleidigung und Sachbeschädigung eingeleitet worden. Das war der Wendepunkt.
Als mir bewusst wurde, dass ich meine Tochter vielleicht nie wiedersehen würde, stürzte ich in einen bodenlosen Abgrund. Gleichzeitig erkannte ich mit erschreckender Klarheit, dass ich mich nicht mehr erholen würde, wenn sie mir weggenommen würde. Es war seltsam, denn seit Annas Tod hatte ich sie kaum wahrgenommen — sie war einfach nur da.
Die letzten Reste von Verstand und elterlichen Gefühlen flüsterten mir manchmal zu, dass ich mich um sie kümmern, sie erziehen und Verantwortung für sie übernehmen sollte. Doch es gelang mir mühelos, solche Gedanken und meine Pflichten beiseitezuschieben. In jenem Jahr hatten wir scheinbar die Rollen getauscht — nicht ich kümmerte mich um sie, sondern sie um mich.
Unzählige Male zog Terry mir die Schuhe aus, wenn ich im alkoholischen Delirium eingeschlafen war, und drehte mich auf die Seite, damit ich nicht an meinem eigenen Erbrochenen erstickte. Sie schleppte mich ins Bett, wenn ich mitten im Zimmer zusammengebrochen war, sammelte die leeren Flaschen auf, löschte die in der Asche vergessenen Zigaretten und bereitete Essen für mich zu. Sie hielt das Haus so gut es ging in Ordnung und erledigte viele andere Dinge, die kein Kind tun sollte. Wenn es nicht die Probleme in der Schule gegeben hätte, hätte sie mir überhaupt keinen Ärger bereitet. Während ich mich in Apathie und Selbstmitleid suhlte, ertrug meine Tochter still und geduldig all die Schwierigkeiten, trotz ihres eigenen Schmerzes.
Ich bemerkte nichts. Mir fiel nicht auf, wie sie sich innerhalb eines Jahres von einem fröhlichen, sorglosen Kind in einen Erwachsenen mit ernstem, klugen Blick verwandelte. Von uns beiden war ich das Kind, während sie völlig selbstständig wurde und mich stark an Anna erinnerte. Dasselbe blonde Haar, riesige blaue Augen und eine schmale, leicht aufgeworfene Nase mit Sommersprossen.
So oder so, seit jenem Tag trank ich keinen Tropfen mehr. Gar nicht. Nachdem ich erkannt hatte, dass ich nach dem Verlust meiner Frau beinahe auch meine Tochter verloren hätte, erwachte etwas in mir. Ich erinnerte mich daran, dass ich mich früher immer für stark gehalten hatte. Doch plötzlich stand ich da — als würde ich mich zum ersten Mal selbst im Spiegel sah.
Ich erstarrte vor Entsetzen bei dem, was ich sah. Von dort starrte mich ein erbärmlicher, aufgedunsener, halb verwahrloster Feigling und Schwächling an, doch noch mehr erschreckte mich etwas anderes. Dieses Bild erinnerte mich so deutlich an meinen eigenen Vater, dass ich in diesem Moment beschloss, für immer mit dem Alkohol Schluss zu machen. Der Vergleich mit ihm traf mich wie eine schallende Ohrfeige — ich wurde mir selbst bis zum Zähneknirschen verhasst.
Danach kam die späte Scham. Jeden Tag ließ meine Erinnerung wieder auferstehen, wie ich total betrunken auf allen Vieren durch das Haus kroch (bei jedem Versuch aufzustehen schien der Boden unter meinen Füßen zu verschwinden, ich fiel, fluchte und mühte mich wieder hoch), bis Terry genug von meinen nutzlosen Versuchen hatte und mich zum Sofa schleppte, auf das ich dann den Inhalt meines völlig verätzten Magens erbrach. Ich erinnerte mich daran, wie ich ihr mein Herz ausschüttete und ihr Dinge erzählte, die ein Kind nie erfahren sollte. Oder daran, wie ich beinahe handgreiflich wurde. Nie zuvor hatte ich meine Hand gegen meine Tochter erhoben, aber an jenem Abend war ich wegen einer belanglosen Kleinigkeit in Rage geraten.
Einmal hatte ich mich sogar eingenässt. Am nächsten Morgen wachte ich in nasser Hose auf und überlegte lange, warum ich in diesem Zustand eingeschlafen war. Ich mühte mich ab, die Ursache zu ergründen, redete mir ein, dass jemand absichtlich Wasser über mich geschüttet hatte, oder dass ich vielleicht in der Kleidung unter die Dusche gegangen war. Vielleicht hatte ich auch den Regen abbekommen oder stark geschwitzt… Ich spielte verschiedene Erklärungen durch, weigerte mich jedoch, die einzig richtige Antwort zu akzeptieren.
Als Terry ins Zimmer kam, blinzelte ich verwirrt und starrte auf den gelben Fleck, der sich unter mir ausbreitete. Dieser blassgelbe Fleck auf dem weißen Laken verfolgt mich besonders oft, und der Gedanke daran, dass Terry sich ebenfalls daran erinnert, treibt mich manchmal in den Wahnsinn. Er wurde für mich zum Sinnbild meiner Schande, ein Symbol für Erniedrigung und Scham, ein Brandmal, das ich unserer Beziehung eigenhändig aufgedrückt hatte.
Wahrscheinlich werde ich diese Scham vor ihr bis ans Ende meiner Tage spüren. In einem Moment der Not ließ ich sie im Stich, überließ sie sich selbst, während ich mich vor meinen Problemen im alkoholischen Vergessen und in Gleichgültigkeit versteckte. Für meine eigene Schwäche suche ich keine Entschuldigungen. Ich weiß, dass es sinnlos ist.
Danach kostete es viel Kraft und Geduld, alles wieder in Ordnung zu bringen — sieben lange Monate kämpfte ich darum, den Behörden zu beweisen, dass ich fähig war, den richtigen Weg einzuschlagen. Am Ende bekam ich Terry zurück und erhielt eine wertvolle Lektion. Sie gab mir die Erkenntnis, dass ich im Leben nichts und niemanden mehr hatte, der mir wichtiger war als sie.
Vor einem Jahr versprach ich mir selbst, dass ich meine Tochter nie wieder enttäuschen würde. Und ich versprach auch, dass sie sich niemals mehr für ihren Vater schämen müsste.
Von meinen traurigen Erinnerungen wurde ich durch die donnernde Stimme des Polizeichefs abgelenkt.
— Also, was haben wir hier? — dröhnte er. — Wenn ihr mich grundlos so früh aus dem Bett geholt habt, schwöre ich bei Gott, dass ich euch für mindestens 24 Stunden in die Zelle stecke!
Mit lautem Getöse polterte Bill Thompson durch die Eingangstür dem Polizeirevier und brachte Unruhe und Hektik mit sich. Es schien, als würde der ohnehin kleine Raum des Foyers mit seinem Auftreten noch enger werden. Er war einer von denen, die es schafften, selbst den weitläufigsten Raum auf die Maße ihrer monumentalen Persönlichkeit zu schrumpfen.
Kaum er ihn sah, sprang der junge diensthabende Polizist, der noch vor einer Minute einnickte, in die Höhe, nahm Haltung an und salutierte. Er war noch nicht lange im Polizeidienst und geriet jedes Mal beim Anblick seines Vorgesetzten in Panik, wurde rot, dann blass und begann nervös zu stottern. Auch Rob und ich standen unwillkürlich auf, als wir seine Stimme hörten. Nur Terry reagierte kaum. Sie öffnete kurz die Augen, blinzelte schläfrig, rollte sich bequemer im Stuhl zusammen und schlief weiter.
Bill ist seit nunmehr dreißig Jahren der Polizeichef und kennt jeden Einwohner unserer Stadt. Er muss inzwischen über 60 sein, aber trotz seines Alters, seiner massigen Figur und seines beeindruckenden Bauches bewahrt er immer noch die Kraft eines Stieres und eine energische, scharfe Beweglichkeit. Zu diesem furchteinflößenden Äußeren kommt auch ein ziemlich explosiver Charakter, weshalb viele ihn fürchten und es nicht wagen, das Gesetz leichtfertig zu brechen.
Hinter ihm schlich wie ein Schatten Tom Brody. Diesem großen, schlaksigen Kerl gibt man etwa 40 Jahre. Mit seinen buschigen, rötlichen Koteletten erinnert er an ein Alpaka, und sein nachdenklicher Blick aus braunen Augen zusammen mit seiner auffällig vorstehenden Oberlippe verstärkt diese Ähnlichkeit erheblich. Seit zehn Jahren ist er Bills Assistent und folgt ihm praktisch auf Schritt und Tritt.
— Hallo, Bill. — Ich trat einen Schritt auf ihn zu und streckte ihm zur Begrüßung die Hand entgegen. — Wir wurden am Fluss angegriffen. Es waren drei von ihnen.
— Ach, tatsächlich? Angegriffen, sagst du… — brüllte er, sah sich dann aber abrupt um, schnupperte in der Luft und schrie: — Mist! Woher kommt dieser Gestank?
— Von mir.
— Von dir? Bist du verdammt nochmal in eine Viehgrube gefallen?
— Nein, schlimmer, — sagte Rob und trat zu uns. Er schüttelte Bill und Brody die Hand und schlug vor: — Können wir in deinem Büro reden? Es ist ernst.
In unserer verschlafenen Kleinstadt kommen ernste Vorfälle äußerst selten vor. Sie ist winzig, fast jeder kennt jeden, daher besteht die Hauptbeschäftigung der örtlichen Polizei, die nur aus sechs Personen besteht, aus dem Ausstellen von Strafzetteln wegen Trunkenheit am Steuer, dem Schlichten von Schlägereien und dem Aufklären von Bagatelldiebstählen. Manchmal bauen Jugendliche Mist, wenn sie sich mit Drogen zudröhnen, oder Terrence, der örtliche Alkoholiker, schlägt im Suff seine Frau. Aber im Großen und Ganzen ist es hier ruhig.
— Hoffentlich ist es wirklich ernst, ansonsten... — Als er die schlafende Terry bemerkte, brummte Bill: — Was macht deine Tochter hier, Wilson? Schleppst du sie etwa nachts mit dir rum?
— Wir waren angeln, Bill. Mit Zelten. Können wir das jetzt vielleicht in ruhigerer Umgebung besprechen?
— Befiehl mir nicht, was ich zu tun habe! Also! Paul, du kleiner Mistkerl! Willst du da stehen bleiben und weiter blöd glotzen?
Früher hat Bill auch mich «kleiner Mistkerl» genannt. Er tat das so lange, praktisch seit meiner Geburt, zumindest seit ich denken kann. Irgendwann hörte er plötzlich damit auf. Warum, weiß ich nicht; er begann einfach, mich bei meinem Namen zu nennen. Wann genau das geschah, kann ich nicht mehr sagen — vielleicht, nachdem Anna krank wurde, oder vielleicht erst nach ihrem Tod.
Er wandte sich dem diensthabenden Polizisten zu und schien Rob und mich vergessen zu haben. Doch nach etwa fünf Minuten saßen wir endlich in seinem engen, verqualmten Büro. Durch das einzige Fenster, das auf den Marktplatz hinausging, brach langsam die Morgendämmerung herein. Bis zum Sonnenaufgang war es höchstens noch eine Stunde.
Das Büro wurde von dem gelblichen Licht einer kleinen Schreibtischlampe erhellt — ihr schwacher Schein beleuchtete unsere Gesichter klar, konnte jedoch die Schatten in den Ecken des Raumes nicht vertreiben. Dort versteckten sich ein hoher Aktenschrank, ein massiver Metallsafe, eine große, fast wandfüllende Landkarte und sonstiger unwichtiger Kram.
Im Grunde musste ich gar nicht sehen, was sich in der Dunkelheit verbarg — ich kannte das Büro im Tageslicht nur zu gut. Ich hatte es bereits in meiner Jugend ausgiebig studiert, wenn ich wegen kleinerer Vergehen hier landete. Und im letzten Jahr hatte ich sogar die Gelegenheit, es bis ins kleinste Detail kennenzulernen.
— Ihr behauptet also, dass euch irgendwelche Typen ohne Grund angegriffen haben. Sie hatten keine Waffen dabei, ihr wisst nicht, was sie wollten, und vorher habt ihr sie auch noch nie gesehen. Stimmt’s? — fragte Bill.
— Genau. Solche wie die habe ich noch nie getroffen, — antwortete Rob für uns beide. — Ihr Verhalten war sehr merkwürdig.
Der Kragen seines blauen T-Shirts war zerrissen, an seinem Hals zeichneten sich tiefe Kratzer ab, und seine dunkelblonden, bereits ergrauten Haare standen in alle Richtungen. Er sah aus, als hätte er mit einem wilden Tier gekämpft, was im Grunde auch der Wahrheit entsprach.
— Was heißt merkwürdig? — fragte Brody.
— Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, — begann Rob vorsichtig. — Zuerst dachte ich, es wären gewöhnliche Junkies...
Er hielt inne, um seine Gedanken zu sammeln, woraufhin Brody ungeduldig nachhakte:
— Also waren sie auf Drogen?
Bevor Rob das verneinen konnte, brüllte Bill los:
— Und ihr Idioten seid auf nichts Besseres gekommen, als mich um halb fünf Uhr morgens aus dem Bett zu holen wegen einer Schlägerei mit zugedröhnten Spinnern?
Mit seinem massigen Körper lehnte er sich nach vorn und ließ beide Hände auf die mit Papieren überhäufte Schreibtischplatte sinken. Sein bohrender Blick heftete sich auf Rob, wanderte jedoch keine Sekunde später zu mir. Früher hatte mich dieser Blick in völlige Starre versetzt — als Kind hatte ich eine Heidenangst vor ihm. Seitdem war viel Zeit vergangen, doch auch jetzt spürte ich noch eine Mischung aus Beklemmung und Ehrfurcht vor ihm.
— Welche verdammten Drogen?! — platzte ich los, ohne Rücksicht auf Vorsicht. — Ich weiß, wie Leute auf Drogen wirken! Was soll ich sagen — ich habe selbst ein paar Mal damit experimentiert, als ich noch zur Schule ging. Aber die da waren wie tot, Bill! Wie Zombies, verstehst du?
Bei dieser Aussage verengten sich seine Augen misstrauisch, und mir wurde sofort klar, dass ich das besser nicht gesagt hätte. Die Notwendigkeit, die Ereignisse der letzten Nacht zu schildern, nervte mich ungemein. Hinzu kam das konstante monotone Dröhnen in meinem Kopf, das ich einfach nicht loswurde, und meine Lider waren so schwer, dass ich sie nur mit reiner Willenskraft offen halten konnte. In diesem Moment konnte ich nur daran denken, die Befragung so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, nach Hause zu gehen, ins Bett zu fallen und zu schlafen.
— Hey, mach mal halblang, John! — bremste mich Rob und verpasste mir dabei unauffällig einen Tritt gegen das Bein. — Bill, er will sagen, dass sich diese drei nicht normal verhalten haben. Ich weiß nicht recht, wie ich’s beschreiben soll... Sie bewegten sich total komisch und gaben dabei diese seltsamen Geräusche von sich… Da kam ständig so ein Schmatzen aus ihren Kehlen. Ein widerliches Schmatzen, wie wenn man im Regen in Gummistiefeln geht und der Schlamm einen immer wieder festhält. Ich weiß, das klingt total bescheuert, aber es ist die Wahrheit.
— Sie haben auch die ganze Zeit gelacht und gefletscht, — fügte ich hinzu. — Aber Lachen konnte man das nicht nennen, es klang eher wie das Gekicher einer Hyäne.
— Ja, und dieses Lachen war unheimlich, — bestätigte Rob. — Wir haben versucht herauszufinden, was sie wollten, aber kein Wort aus ihnen herausbekommen. Sie sind einfach wortlos auf uns losgegangen. Direkt auf uns zu, ohne jede Erklärung. Der Typ, mit dem ich gekämpft habe, war wie von Sinnen. Er lachte die ganze Zeit und wollte nach meinem Hals greifen. Von der Statur her war er ein klapperdürrer Kerl, so dünn wie ein streunender Hund, aber stark wie...
Rob hielt inne, suchte nach dem passenden Wort, fand es jedoch nicht und verstummte schließlich.
Einen Moment lang herrschte Schweigen im Büro. Bill rieb seine glatt rasierte Bulldoggen-Kinnlade und bohrte seinen durchdringenden Blick in mich, während Brody in der Ecke rauchte. Die glühende Spitze seiner Zigarette blitzte im Halbdunkel auf, zog eine Spur von seinem schmalen Mund zum überfüllten Aschenbecher und zurück. Es war klar, dass beide uns nicht wirklich glaubten.
Ich wollte genauso sehr rauchen, wie ich schlafen wollte, aber ich wusste, dass eine Bitte um eine Zigarette Bill nur noch wütender machen würde. Es war besser, ihn nicht unnötig zu reizen. Schließlich hatte ich das Wichtigste noch gar nicht erwähnt — und, ehrlich gesagt, hätte ich es am liebsten so lange wie möglich verschwiegen.
— Irgendetwas verheimlicht ihr, Jungs, — sagte er in schmeichelndem Ton. — Oder ihr sagt nicht alles. Hand aufs Herz — habt ihr getrunken?
Seine Frage klang mehr nach einer Feststellung, weshalb ich sofort explodierte:
— Nein, verdammt nochmal! Ich trinke nicht, Bill, das weißt du doch!
— Woher soll ich das wissen? — donnerte er und ließ seine Faust schwer auf den Tisch krachen. — Du erzählst hier irgendeinen Blödsinn über Angriffe von Toten! Verdammter Mist, Holder! Bei diesem Trottel könnte ich ja noch vermuten, dass er sich irgendwas reingepfiffen hat und Zombies sieht, aber wie kommst du dazu?
— Wir behaupten nicht, dass uns Zombies angegriffen haben, — sagte Rob fest. — Natürlich ist das totaler Mist, Bill, aber die Typen benahmen sich wirklich, als wären sie tollwütig. Sie waren verdammt aggressiv, reagierten weder auf Warnungen noch auf Schüsse in die Luft... — Er sah mich an und fuhr ebenso bestimmt fort: — Wir müssen ihnen alles erzählen, John.
— Ja... — Ich senkte den Blick zu Boden und sammelte ein paar Augenblicke lang Mut, als wollte ich in ein Eisloch springen. Dann sah ich Bill ins Gesicht und sagte klar und deutlich: — Ich musste schießen. Ich glaube, ich habe zwei von ihnen erledigt.
— Wir hatten keine andere Wahl, — fügte Rob schnell hinzu. — Ich habe John gesagt, er soll schießen. Ich habe mit der Taschenlampe in ihre Gesichter geleuchtet und sofort begriffen, dass das die einzige Möglichkeit war, diese Bastarde aufzuhalten. Später habe ich selbst auch auf einen von ihnen geschossen. Ich habe ihm den Bauch durchlöchert, aber er hat es nicht einmal bemerkt.
— Wie bitte, nicht bemerkt? — fragte Brody. — Was redet ihr für einen Unsinn? Wie kann man einen Bauchschuss nicht bemerken?
— Das würden wir auch gern wissen.
Wieder hing Stille in der Luft, diesmal erschien sie mir unheilvoll. Bill glaubte kein Wort von dem, was wir sagten. Zu meinem Ärger begann ich jetzt selbst zu zweifeln — hatte ich mir etwas eingebildet? Es war doch unmöglich, dass dieses Arschloch nach einem Bauchschuss einfach so vor den Pickup laufen konnte, als wäre nichts geschehen.
Vielleicht hatte ich mich getäuscht und die Ladung war an ihm vorbeigeschossen, ohne dass ich es bemerkt hatte? Oder ich hatte ihn nicht in den Bauch getroffen, sondern vielleicht in die Schulter? Aber wie sollte ich dann sein widerliches Gesicht erklären? Das hatte ich doch deutlich gesehen! Und was war mit dem Rothaarigen? Ich hatte ihm aus nächster Nähe in die Seite geschossen, und er hatte danach hysterisch gelacht. Selbst als ich ihm das Messer bis zum Heft in die Seite rammte, hörte er nicht eine Sekunde lang damit auf.
Beim riesigen Schwarzen passte erst recht nichts zusammen. Ich hatte keinen Zweifel daran, was ich auf der dunklen Lichtung im Wald gesehen hatte. Ich hatte genau gesehen, wie die Schrotladung seine Brust durchschlug, doch er hatte es einfach ignoriert. Wäre ich ihm nicht den entstellten, plattgedrückten Schädel weggeblasen, dann säße ich jetzt nicht hier.
Während ich darüber nachdachte, schob Bill einen Stapel Papiere von einer Seite des Tisches zur anderen, zog eine Zigarette aus der Packung, zündete sie in aller Ruhe an und knirschte durch die Zähne gleich drei Fragen:
— Also, du hast zwei erledigt? Und kommst erst jetzt damit an? Bist du noch bei Trost, Junge?
— Sie haben uns angegriffen! — antwortete ich herausfordernd. Ich hatte nicht die Absicht, irgendeine Schuld dafür einzugestehen, dass ich diese Missgeburten abgeknallt hatte. — Mehr noch, einer von ihnen hat Terry angegriffen.
— Das stimmt, Bill, — schaltete sich Rob ein. — Während wir uns gegen zwei von ihnen wehrten, hat ein dritter bei den Zelten Terry angegriffen, von dem wir nichts ahnten. Wir kamen gerade noch rechtzeitig zu Hilfe. Und der war riesig! Verdammte Scheiße, so einen großen Kerl habe ich noch nie gesehen!
Bill trommelte nachdenklich mit den Fingern auf den Tisch und zog gleichzeitig seine buschigen Brauen zusammen. Durch diese Grimasse bildeten sich zusätzliche Falten in seinem zerfurchten Gesicht. Seine große, fleischige Nase sog mit lautem Zischen die Luft ein, während seine Lippen zu einem schmalen Strich wurden, der scharf sein Kinn durchschnitten.
Er sagte kein Wort, aber man konnte sehen, wie wütend er war. Diese Wut lag förmlich in der stickigen Luft des Büros. Kein Wunder — sich mit Leichen herumzuschlagen war keine besonders verlockende Aussicht für einen Sonntagmorgen. Er hatte sicher andere Pläne für heute.
— Ruf Sandra an, — knurrte er schließlich Brody zu. — Sie soll im Revier bleiben, und wir müssen alle eine Runde fahren.
— Scheiße, Bill, — protestierte ich. — Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen, ich kippe gleich um, und Terry...
— Sag mal, Wilson, ist das dein Ernst, oder willst du mich verarschen? — Er sah mich derart an, dass ich sofort resigniert verstummte. — Vor einer Minute hast du zugegeben, dass du zwei Typen erschossen hast. Willst du jetzt etwa nach Hause? Soll ich dich vielleicht noch zur Tür begleiten, dir die Decke zurechtziehen und gleich noch ein Schlaflied singen, verdammt nochmal? Hm? Was sagst du dazu? — Er drehte sich zu Brody um und fragte mit beißendem Spott: — Tom, wie wäre es, wenn du den Kleine John nach Hause bringst und ihm ein Liedchen trällerst?
Ich wollte schon eine scharfe Bemerkung zurückgeben, besann mich aber gerade noch rechtzeitig. Mit Bill anzubinden war wirklich keine gute Idee. Die Frage brauchte keine Antwort, also schwieg auch Brody.
— Ich rufe Aylin an, — klopfte Rob mir auf die Schulter. — Sie wird Terry abholen und sich um sie kümmern.
Aylin war seine Frau. Als ich mir vorstellte, dass Rob nicht nur alles mit ihr wegen Terry regeln, sondern auch die ganze Geschichte erklären und sie davon überzeugen musste, dass niemand verletzt worden war, verzog ich grimmig das Gesicht. Vielleicht hatte meine Lage doch gewisse Vorteile — ich war nie gut darin gewesen, weibliche Nervenzusammenbrüche zu beruhigen.
— Soll ich den Bezirk informieren? — fragte Brody leise und beugte sich zu Bill.
— Noch nicht. Erst schauen wir uns das selbst an, und dann sehen wir weiter. Wenn es ernst ist und es tatsächlich Leichen gibt, werden wir nicht drumherumkommen, sie zu rufen. Verdammt!
Schwerfällig stand Bill vom Tisch auf, drückte die Kippe in einem Aschenbecher aus und stapfte mit schweren Schritten zur Tür. Nachdem er mit einem lauten Knall die Tür hinter sich zugezogen hatte, sahen wir drei uns an.
— Du kannst wohl nicht ohne Ärger leben, Wilson, — sagte Brody gereizt. — Bet mal lieber, dass alles stimmt, was ihr hier erzählt habt, sonst macht unser Minotaurus dich zu Staub.
— Verpiss dich, Brody, — knurrte ich zurück. — Deine Belehrungen kann ich jetzt echt nicht gebrauchen.
Nach einer Weile ging ich auch nach draußen, um mit meiner Tochter zu sprechen, eine Zigarette zu rauchen und, wenn ich Glück hätte, irgendwo einen Kaffee aufzutreiben. Bill hielt dem diensthabenden Polizisten gerade eine laute Standpauke, Brody telefonierte mit Sandra und Rob mit seiner Frau. Aus dem Revier kamen wir erst nach dreißig Minuten heraus.