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Liebe nach Plan - oder doch nicht?
Lena ist 34, Single und hat langsam aber sicher Torschlusspanik. All ihre Versuche, einen netten Mann kennenzulernen, enden in einer mittelschweren Katastrophe. Der vorläufige Höhepunkt: Bei einem Flirtversuch in ihrem Lieblingscafé bekommt Till, das Objekt ihrer Begierde, einen allergischen Schock und muss direkt ins Krankenhaus.
Frustriert beschließt Lena, die Männersuche fortan strategischer anzugehen. Sie entwickelt ein ausgeklügeltes Testsystem und nutzt jede Gelegenheit, um geeignete Kandidaten kennenzulernen. Immer wieder läuft ihr dabei Till über den Weg. Der ist allerdings gar nicht auf der Suche nach einer Frau, sondern recherchiert für einen Artikel über Partnersuche. So unter Beobachtung tut sich Lena natürlich schwer und stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste - bis sie erkennt, dass jeder Test überflüssig wird, wenn eine Bedingung erfüllt ist: die Liebe.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Leserstimmen:
"Mit ‚Im Zweifel ist es Liebe‘ hat Leonie Wieck eine großartige und herrlich unterhaltsame Liebesgeschichte zu Papier gebracht, die nur so vor Humor sprüht und für jede Menge Lesespaß sorgt." (Meine-Magische-Buchwelt, Lesejury)
"Eine tolle Liebeskomödie, die grandios unterhält ohne schnulzig zu werden und daher eine klare Leseempfehlung von meiner Seite." (TiiundAna, Lesejury)
"Wer Lust auf eine sensationelle Liebeskomödie mit garantiertem Lachmuskelkater hat, der darf dieses Buch nicht ungelesen im Regal stehen lassen!" (kati-katharinenhof, Lesejury)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2018
Lena ist 34, Single und hat langsam aber sicher Torschlusspanik. All ihre Versuche, einen netten Mann kennenzulernen, enden in einer mittelschweren Katastrophe. Der vorläufige Höhepunkt: Bei einem Flirtversuch in ihrem Lieblingscafé bekommt Till, das Objekt ihrer Begierde, einen allergischen Schock und muss direkt ins Krankenhaus.
Frustriert beschließt Lena, die Männersuche fortan strategischer anzugehen. Sie entwickelt ein ausgeklügeltes Testsystem und nutzt jede Gelegenheit, um geeignete Kandidaten kennenzulernen. Immer wieder läuft ihr dabei Till über den Weg. Der ist allerdings gar nicht auf der Suche nach einer Frau, sondern recherchiert für einen Artikel über Partnersuche. So unter Beobachtung tut sich Lena natürlich schwer und stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste – bis sie erkennt, dass jeder Test überflüssig wird, wenn eine Bedingung erfüllt ist: die Liebe.
Leonie Wieck, Jahrgang 1982, ist ein Pseudonym. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Sinologie in Köln, Prag und Berlin. Sie hat an verschiedenen Orten in verschiedenen Jobs gearbeitet und lebt heute in Köln, wo sie düstere Krimis und humorvolle Liebesromane schreibt.
LEONIE WIECK
Im Zweifel ist esLiebe
beHEARTBEAT
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Clarissa Czöppan
Lektorat/Projektmanagement: Anna-Lena Meyhöfer
Covergestaltung: © ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung von Motiven © FinePic/shutterstock
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-5534-5
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für T.
Alles fing mit einem Kaffee an. Es war nicht der berüchtigte Kaffee, auf den er nach einem heißen Rendezvous ›noch mit raufkommt‹. Auch nicht der Kaffee, der bei einem mehr oder weniger versehentlichen Zusammenstoß auf dem Anzug eines attraktiven jungen Anwalts landet und dadurch eine packende Romanze oder wenigstens ein prickelndes erotisches Abenteuer entfesselt. Dieses Erlebnis lässt bisher auf sich warten, egal wie oft ich mit einem To-go-Becher in der Fußgängerzone unterwegs bin.
Es war ein ganz normaler Kaffee an einem ganz normalen Tag in einem ganz normalen Café. Dachte ich zumindest. Aber das zeigt nur mal wieder, dass selbst aus etwas so Einfachem wie einem Kaffee die kompliziertesten Geschichten entstehen können.
Es muss nur ein Mann ins Spiel kommen.
»Hallo, darf ich dich auf einen Kaffee einladen?«
Oder: »Hi, was liest du denn da?«
Oder: »Entschuldigung, hättest du vielleicht Lust, mich zu heiraten und dich für den Rest deines Lebens von mir glücklich machen zu lassen?«
Möglichkeiten, in einem Café eine Frau anzusprechen, gibt es ja nun wirklich genug. Also warum sträubte er sich so? Wollte er mich die ganze Arbeit allein machen lassen? Ich hatte ihm schon vielsagende Blicke zugeworfen und einladend gelächelt. Musste ich mir erst aufreizend Milchschaum von den Lippen lecken, auffällig die Beine übereinanderschlagen oder andeutungsvoll an meinem Trinkhalm saugen, bis er die Güte hatte, zu mir rüberzukommen?
Er war mir gleich aufgefallen, als er das Café Klatschmohn betreten hatte. Ich hatte gerade den Persönlichkeitstest in der Zeitschrift abgeschlossen, die ich las, und festgestellt: Entweder ich oder die Cosmo hatte keine Ahnung, welcher Beziehungstyp ich war. Ich tippte auf die Cosmo. Laut der war ich eine »romantische Draufgängerin, die sich Hals über Kopf ins Liebesglück stürzt, um mit dem Mann ihres Lebens auf Wolke sieben abzuheben, wenn er ihr den Halt und die Geborgenheit bietet, die sie auf einem solchen Höhenflug braucht, bevor die beiden Turteltauben sicher im behaglichen Familiennest landen«.
Das war zwar schön und gut, aber irgendwie doch nichts Ganzes und nichts Halbes. Andererseits konnte ich es der Cosmo schlecht vorwerfen, mich nicht eindeutiger zuzuordnen. Schließlich war ich mir nach eineinhalb Jahren Singledasein selbst nicht mehr sicher, ob ich in die Kategorie »Romantikerin«, »Anhängliche« oder »Unabhängige« gehörte oder doch eher der »Gute Kumpel« war.
Genervt, dass nicht mal die Fachleute einfache Erklärungen für das Rätsel der Liebe lieferten, hatte ich das Heft zugeschlagen, aufgeschaut – und ihn in der Tür stehen sehen. Er schien mir wie ein Wink des Schicksals, eine Aufforderung, in Sachen Beziehung von der Theorie wieder auf die Praxis umzusteigen. Mittelgroß und sportlich gebaut – nicht wie ein Bodybuilder, eher wie ein Tennisspieler –, braune Haare mit sympathischen Wirbeln, freundliche braune Augen und ein schnuckelig geschwungener Mund: Er war genau mein Typ – und perfekt für einen Nachmittagsflirt. Um ihn nicht allzu offenkundig anzuglotzen und mich sofort zu verraten, hatte ich die Cosmo wieder hochgerissen und hinter meiner Deckung hervor beobachtet, wie er sich an einen Fenstertisch gesetzt hatte, ein Notizbuch aus seiner Umhängetasche gezogen und angefangen hatte zu schreiben.
Seitdem behielt ich ihn im Auge – und er mich. Jedenfalls konnte es kein Zufall sein, dass unsere Blicke sich immer wieder begegneten. Aber jedes Mal, wenn ich versuchte, Blickkontakt mit ihm zu halten, wich er aus. Mehr als ein flüchtiges Lächeln hatte ich ihm bisher nicht abluchsen können. Und langsam war ich mit meinen Verführungskünsten am Ende.
Jetzt stell dich nicht so an, beschwor ich ihn im Stillen. Gucken, lächeln, herkommen, Mund aufmachen. Das kann doch nicht so schwer sein.
Normalerweise hatte das Klatschmohn mit seinen hellblauen Wänden, den Stühlen mit Blumenmuster, dem behaglichen Duft von frischem Kaffee und der leise dahinplätschernden Chansonmusik eine beruhigende Wirkung auf mich. Hier konnte ich abschalten, wenn Chef, Kollegen oder Kunden mich mal wieder an den Rand des Wahnsinns getrieben hatten. Probleme und Krisen, die Katja, Steffi und ich hier besprachen, schienen weniger bedrohlich und niemals unlösbar. Hier hatte ich den Schock darüber verwunden, dass Reiseleiterin doch nicht mein Traumberuf war und ich mir plötzlich die Frage stellen musste, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen sollte: ob es das Beste wäre, Hannover zu verlassen und in einer anderen deutschen Stadt einen Neustart zu unternehmen, oder ob ich lieber gleich nach Frankreich auswandern sollte (mein üblicher Fluchtimpuls bei Schicksalsschlägen).
Hier war ich hergeeilt, um allen, die es wissen oder nicht wissen wollten, zu verkünden, dass mein Bruder Malte und seine Frau ein Kind erwarteten, ich also Tante wurde. Das kleine Café in Linden war mein Rückzugsort, meine erste Anlaufstelle bei umwälzenden Veränderungen, schönen wie schlimmen. Wenn ich gut drauf war, stieg meine Laune hier noch mehr, wenn es mir schlecht ging, baute mich die gelassen-lebendige Atmosphäre wieder auf, und wenn ich Stress hatte, fühlte ich mich hier nach kurzer Zeit wieder erholt, geradezu tiefenentspannt.
Aber heute war nichts mit Tiefenentspannung. Dieser Typ machte mich kirre. In meinem Frust war ich drauf und dran, selbst rüber zu seinem Tisch zu marschieren und ihn aufzufordern, dieses Hin und Her bleiben zu lassen und sich endlich mal zu entscheiden, ob er jetzt mit mir flirten wollte oder nicht.
Aber da schwang die Tür auf, und die Dinge wurden erst richtig verzwickt. Die Schöne Julia stolzierte herein, selbsternannte Femme fatale und Feindbild aller Frauen, die nicht über Modelmaße, lange blonde Haare und einen Schmollmund verfügten. Normalerweise ging sie nach Einbruch der Dunkelheit in Bars und Clubs auf Beutefang. Aber wenn sie zum Latte macchiato nebenbei noch einen Mann vernaschen konnte wie einen von Jochens köstlichen Walnuss-Brownies, sagte sie nicht Nein (falls dieses Wort in ihrem Sprachschatz überhaupt vorkam).
Sie ließ ihren Diva-Blick unter künstlichen Wimpern hervor durch das gut besuchte Café schweifen, über die Studentengruppe (zu jung), den glatzköpfigen Zeitungsleser (zu alt), die beiden knutschenden Jungs in der hinteren Ecke (zu schwul). Sie erspähte Schnuckelmund an seinem Fenstertisch und entschied wohl im selben Moment, ihn auf die lange Liste ihrer Eroberungen zu setzen. Sie schritt an ihm vorbei, um ihm ihre ewig langen Beine vorzuführen, und drapierte sich auf einen Stuhl in seiner Nähe. Mit ihrem geübten Blick für Rivalinnen erkannte sie sofort, dass auch ich ein Auge auf ihn geworfen hatte. Aber das kümmerte sie nicht. Als Konkurrentin nahm sie mich ungefähr so ernst wie die jungen Mütter zwei Tische weiter oder die Rentnerinnen bei ihrem Kaffeeklatsch.
›Wer zuerst kommt, flirtet zuerst‹, war leider keine Regel, an die sie sich hielt. Wenn ich bei Schnuckelmund landen wollte, musste ich es mit ihr aufnehmen, und sie machte gleich deutlich, wie schwer ich es dabei haben würde. Sie entledigte sich ihres Mantels, wobei ihr die Brüste quasi aus der Bluse fielen. Schnuckelmund konnte gar nicht anders, als hinzusehen. Ihm rutschte fast der Kugelschreiber vom Papier. Mein Nachmittagsflirt schien gelaufen.
Aber ich war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Er hatte mich bemerkt und mir zugelächelt, wenn auch nur kurz. Darauf ließ sich aufbauen, Melonenbrüste hin oder her. Ich konnte nicht einfach zu ihm gehen und ihn ansprechen. Julia hätte es als Kampfansage aufgefasst und nicht geduldet, dass wir uns in Ruhe unterhielten. Und trotz meiner dritten Woche im Step-Aerobic-Kurs und meiner Beauty-Food-Diät für strafferes Gewebe hätte ich in einem Wettstreit der Reize gegen sie wenig Chancen gehabt. Wenn ich ihr den Rang ablaufen wollte, musste ich mir was Besseres einfallen lassen. Und ich hatte auch schon eine Idee.
Als ich auf dem Weg zur Theke an Julias Tisch vorbeikam, lächelte sie mich hochmütig an.
»Spar dir die Mühe, Süße«, raunte sie mir zu. »Das Zuckerstück nehm ich mit nach Hause.«
Sie machte einen Knutschmund und schlug die Beine übereinander, als wollte sie mir zeigen, dass kein Mann so viel geballter Weiblichkeit widerstehen könnte.
Ich schenkte ihr keine Beachtung. Sie mochte die Gesichtszüge einer griechischen Göttin haben, einen Körper wie aus dem Playboy und einen Kleidungsstil wie beim Edel-Escort, und vermutlich brauchte sie nur eine Augenbraue zu heben, um Männer in winselnde Schoßhündchen zu verwandeln. Aber ich würde mich von ihr nicht einschüchtern lassen. Vielleicht stand Schnuckelmund nicht auf Blondinen. Vielleicht war Julia ihm zu plump. Vielleicht gehörte er zu jenen Männern, die eine intelligente Frau suchten, eine, die neben äußeren auch noch ein paar innere Werte zu bieten hatte. Soll es ja geben. Ohne Gegenwehr würde ich jedenfalls nicht das Feld räumen. An Einfallsreichtum war ich Julia haushoch überlegen. Ich hatte gesehen, dass Schnuckelmunds Glas seit einer guten Weile leer war, und ich hatte vor, mir diesen Umstand zunutze zu machen.
Hinter der Theke war Jochen gerade dabei, ein Milchkännchen unter der Heißluftdüse der Kaffeemaschine langsam auf und ab zu führen.
»Hey, Jochen«, sagte ich. »Hast du kurz Zeit? Ich würde dich gerne was fragen.«
Jochen blickte nicht auf. Er hielt den Kopf schräg, sodass sein rotblondes Haar ihm in die Stirn fiel, und sein Jungengesicht mit den Sommersprossen nahm einen Ausdruck höchster Konzentration an, während er auf das Zischen und Sprudeln lauschte. Seine Berufsehre verbot ihm, das heilige Ritual der Milchaufschäumung zu unterbrechen, nur weil jemand mit ihm reden wollte. Erst nachdem er den Dampf abgedreht hatte, sah er mich an.
»Hey, Lena«, sagte er. »Na, wie viele glückliche Paare hast du heute in die Wüste geschickt? Oder hast du gleich welche auf den Mond geschossen? Und hast du inzwischen endlich mal deine eigenen Flitterwochen gebucht?«
Ich lächelte. Aber innerlich grummelte ich vor mich hin. Das hatte ich davon, mich mit dem Besitzer meines Lieblingscafés anzufreunden. Ich konnte mir zwar als Gast mehr erlauben als andere, bekam meinen Kaffee hin und wieder aufs Haus, und auf meiner Untertasse lag immer ein Extra-Keks. Aber ich musste mich eben auch gelegentlich damit aufziehen lassen, in einem Reisebüro zu arbeiten, das auf Flitterwochen spezialisiert war.
Ich liebte meinen Job. Er war abwechslungsreich und spannend und es gefiel mir, am Glück anderer teilzuhaben. Aber er hätte mir noch weitaus mehr Spaß gemacht, wenn ich selber dieses Glück gehabt hätte. Dass ich den größten Teil meiner Tage damit verbrachte, frisch verheirateten Paaren zu Traumurlauben zu verhelfen, während ich selbst weder Beziehungs-, geschweige denn Hochzeitsaussichten vorzuweisen hatte, gehörte nicht unbedingt zu den Tatsachen, über die ich allzu gern nachdachte – oder an die ich nach Feierabend gern erinnert wurde.
»Der Plan steht«, sagte ich. »Erst eine Woche Paris, dann für zwei Wochen runter in die Provence, die perfekte Mischung aus Städtetrip und Abenteuer, Romantik, Natur und Kultur. Ich brauche nur noch die passende Reisebegleitung.« Und vielleicht, dachte ich, saß sie ja in greifbarer Nähe am Fenstertisch.
»Und deine Wohnung?«, setzte Jochen nach. »Lebst du immer noch zwischen vollen Umzugskartons und kramst dir deine Klamotten aus dem Koffer, oder fängst du langsam an, dich da mal zu Hause zu fühlen? Ich meine, die Trennung von Patrick ist ja nun schon eine Weile her, und so langsam …«
»Alles toll«, unterbrach ich ihn und hatte Mühe, es nicht grob klingen zu lassen. Jochen war ein ungeheuer netter Mensch, er war immer für mich da, wenn ich Rat brauchte oder mich ausheulen musste, und es gab kaum einen Mann, den ich so gut leiden konnte, ohne etwas von ihm zu wollen. Aber er hatte eine Art, die Leute mit Fragen nach ihrem Privat- und vor allem ihrem Liebesleben zu löchern, bei der ich manchmal durchdrehen konnte. Am Anfang dachte ich, er interessiere sich für mich und wolle deshalb so viel über mich wissen. Aber ich fand bald heraus, dass er das bei allen so machte. Was Klatsch und Tratsch anging, war er schlimmer als viele meiner Freundinnen, ein richtiges Waschweib.
»Mir geht es bestens, die Arbeit läuft spitze, und in meiner Wohnung fühle ich mich pudelwohl.« Was nicht ganz stimmte. Aber auch das war ein Thema, über das ich nicht nachdenken wollte, schon gar nicht hier und jetzt. »Danke der Nachfrage. Können wir das Quiz mal für einen Moment unterbrechen? Ich muss dich was Wichtiges fragen.«
Jochen schaute mich prüfend an. Dann machte er ein Gesicht, das gleichzeitig besorgt und mitleidig war. Ich hasste es, wenn er mich mit diesem Gesicht anschaute.
»Ach, Lena, Lena«, sagte er, schwenkte sein Kännchen und prüfte den Schaum, der inzwischen fest geworden war. »Was hast du jetzt wieder vor?«
»Wie bitte? Was meinst du?« Er deutete auf Schnuckelmund.
»Na, ihn meine ich. Ihn und die Art, wie du und Julia ihn ins Visier nehmt. Und jetzt hast du vor, zum Angriff überzugehen.«
Langsam wurde er mir unheimlich. Klar, ich hing nicht nur ständig mit meinen Freundinnen hier herum, sondern schaute auch fast täglich auf dem Heimweg vorbei, um bei einer Dosis Koffein und einer Illustrierten den Büroalltag hinter mir zu lassen. Und ich gehörte nicht gerade zu der verschlossenen Sorte, die nichts von sich preisgab.
Es war kein Wunder, dass Jochen mich gut genug kannte, um von meiner Bestellung auf meinen Gemütszustand zu schließen: Cappuccino, wenn ich gut drauf war, doppelter Espresso bei Erschöpfung nach der Arbeit, schwarzer Kaffee bei Trübseligkeit, Mokka mit Schuss bei Beziehungskrisen. Aber es kam selten vor, dass ich im Klatschmohn mit jemandem flirtete – im Gegensatz zu Julia war ich nicht ständig auf Männerjagd – und für Dates wählte ich neutrale Locations. Zum einen wollte ich die entsprechenden Herren keinesfalls ›zufällig‹ hier wiedertreffen, falls es danebenging, zum anderen hatte ich keine Lust, mich hinterher von Jochen über sie ausquetschen zu lassen. Er hatte mich daher nicht oft mit Männern erlebt, und dass er meine Absichten sofort durchschaute, war verstörend. Es brachte mich auf den Gedanken, dass er vielleicht ein bisschen zu gut über mich Bescheid wusste und es möglicherweise an der Zeit war, hin und wieder bei Starbucks vorbeizuschauen.
Jochen füllte den Kaffeetrichter mit frisch gemahlenen Bohnen und hängte ihn in die Maschine.
»Aber wenn ich dir einen Rat geben darf«, sagte er. »Vergiss es. Und ich meine das gar nicht wegen Julia. Wenn du mich fragst, habt ihr bei dem beide keine Chance.«
»Wieso nicht?«, fragte ich und spähte zu dem Typen hinüber. Er war in seine Aufzeichnungen vertieft und bemerkte nicht, dass wir über ihn sprachen. Julia zog ihren Lippenstift nach und machte sich bereit für ihre Charme-Offensive. »Hat er eine Freundin? Ist er verheiratet? Ist er schwul? Ist er ein liebesunfähiger Psychopath? Hat er seinen Penis im Krieg verloren?«
Jochen lachte. Er drückte einen Knopf und ließ den Kaffee in ein Glas laufen.
»Er hat keine Freundin, und er ist auch nicht verheiratet. Glaube ich zumindest. Er ist nicht schwul, und soweit ich weiß, ist er auch kein Psychopath. Über seinen Penis kann ich nichts sagen.«
Er rührte Haselnusssirup und Gewürze in den Kaffee und löffelte den Milchschaum obendrauf.
»Er kommt recht regelmäßig, allerdings meistens vormittags, weshalb ihr euch bisher nicht begegnet seid. Er sitzt dann immer da am Fenster und schreibt. Und zwar immer allein. Ich hab ihn hier noch nie mit einer Frau gesehen. Ich habe auch noch nie erlebt, dass er mit einer Frau hier ins Gespräch gekommen wäre. Klar gibt es immer wieder welche, die ihm schöne Augen machen oder ihn anquatschen. Aber er geht nie darauf ein. Keine Ahnung, woran es liegt. Vielleicht will er einfach seine Ruhe haben. Oder er hat keinen Bock auf Bekanntschaften.«
»Oder es war noch nicht die richtige Frau dabei.«
»Kann sein«, sagte er. »Und wer wäre die richtige Frau, wenn nicht du, stimmt’s?«
Er steckte eine Zimtstange in den Kaffee und stellte ihn auf den Tresen. Es war eine seiner Spezialkreationen, ein Marcello Mastroianni, wie die Tafel verriet, die neben dem Aquarellgemälde eines blauen Mohnfeldes an der Wand hing.
»Meine Bescheidenheit verbietet mir, darauf zu antworten«, sagte ich und sondierte die Lage. Die Schöne Julia fixierte Schnuckelmund mit ihrem Schlafzimmerblick. Ich brauchte keine Sorge zu haben, dass sie ihn ansprach. Die Schöne Julia sprach Männer nicht an. Sie ließ sich ansprechen, und sie kannte alle Tricks, um Männer dazu zu bringen. Ich war nicht so überzeugt wie Jochen, dass sie Schnuckelmund damit nicht kleinkriegen würde. Noch schrieb er in sein Notizbuch. Aber immer wieder wanderte sein Blick zu ihr herüber, und jedes Mal verharrte er ein wenig länger auf ihr. Es wurde Zeit zur Tat zu schreiten.
»Sieht spitze aus«, sagte ich und wies auf den Kaffee. »Ist der für ihn?«
»Ist er«, meinte Jochen.
»Wäre es okay, wenn ich den serviere, sobald du meinen fertig hast?« Ich zwinkerte ihm verschwörerisch zu. »Ich verspreche auch, dass er heiß ankommt.«
Jochen schien zu überlegen, ob er mir diesen Gefallen zu meinem eigenen Besten abschlagen sollte. Aber dann zuckte er die Schultern.
»Wenn du unbedingt willst. Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Und versprich mir, nicht ganz aus Versehen zu stolpern und Julia das Ding überzukippen – oder ihm, wenn er dich abblitzen lässt.«
»Keine Sorge«, sagte ich. »Ich werde nichts tun, was dich oder dein Café in Verruf bringt. Wärst du dann so lieb und machst mir eine Gina Lollobrigida? Mit extra viel Tonka, bitte!«
Jochen hantierte mit seinen Gerätschaften. Ich war ihm dankbar, mich vor einer Enttäuschung bewahren zu wollen. Aber er hätte wissen müssen, dass er den angeblich unerreichbaren Traumprinzen mit seiner Warnung für mich nur noch interessanter gemacht hatte. Schließlich war ich noch nie vor einer Herausforderung zurückgeschreckt – ›romantische Draufgängerin‹ eben. Schon möglich, dass er regelmäßig angeflirtet wurde. Aber er war noch nie von mir angeflirtet worden. Ich würde sämtliche Register ziehen, bis er gar nicht anders könnte, als mich auf den Knien um ein Date anzuflehen.
Als Jochen meine Gina vor mich hinstellte, war ich bereit. Ich fühlte mich wie Mata Hari in geheimer Mission. Ich war mutig, verwegen, und ich hatte einen Plan. Ich nahm die beiden Gläser, wandte mich um und näherte mich Schnuckelmund, der nicht ahnte, was – und wer – auf ihn zukam. Die Schöne Julia beobachtete mich. Es passte ihr gar nicht, wie ich zielstrebig seinen Tisch ansteuerte. Aber sie konnte mich schlecht daran hindern, ihm seinen Kaffee zu bringen.
Schnuckelmund bemerkte mich erst, als ich den Kaffee vor ihn hinstellte – und zwar meine Gina statt seines Marcellos. Er schaute auf, verdutzt, dass ich plötzlich an seinem Tisch auftauchte, und einen Moment lang sahen wir einander an.
»Hier, bitte«, flötete ich und war an ihm vorbei, bevor er fragen konnte, was ich mit seinem Kaffee zu schaffen hatte.
»Danke«, rief er, noch immer verwirrt.
Ich ging nicht darauf ein. Ich setzte mich mit dem zweiten Kaffee an meinen Tisch, schlug meine Zeitschrift auf und tat, als hätte ich ihn und unsere kurze Begegnung schon wieder vergessen.
Die Schöne Julia funkelte mich böse an. Sie wusste: Nach diesem Schachzug war ich ihr einen Schritt voraus. Sie ging sofort zum Gegenangriff über. Sie warf ihr Haar nach hinten, so gekonnt, dass es wie in Zeitlupe aussah, und reckte ihre Brüste in Schnuckelmunds Richtung, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Aber er hatte keine Augen für sie und ihre wogenden Überredungskünste. Er war zu sehr damit beschäftigt, seine Verwunderung zu überwinden. Über das Heft hinweg beobachtete ich, wie er einen Schluck trank – und stutzte. Er betrachtete skeptisch den Kaffee und probierte noch mal. Meinem Plan nach hätte er jetzt zu mir rüberkommen und mich darauf hinweisen sollen, dass ich wohl unsere Kaffees verwechselt hatte. Wir hätten über das ›Versehen‹ gelacht, wären ins Gespräch gekommen, und die Schöne Julia hätte ihre Brüste einpacken und geschlagen von dannen ziehen können.
Aber er schien noch unschlüssig, was er von der Sache halten und wie er damit umgehen sollte. Er studierte die Wandtafel, rührte in seinem Kaffee und wartete scheinbar, dass ihm jemand erklärte, was sich in seinem Glas befand und wer diese mysteriöse Fremde war. Er schaute zu mir rüber. Ich prostete ihm zu. Auch er hob sein Glas und trank, während wir einander in die Augen sahen. Spätestens jetzt hätte er aufstehen und mich ansprechen sollen. Aber vielleicht war er schüchtern. Oder einfach nicht der Hellste. Ich lächelte mein patentiertes Eisbrecher-Lächeln. Wenn er von sich aus nicht aus dem Quark kam, musste ich ihn eben ein bisschen antreiben.
Meine Taktik ging auf. Er lächelte zurück. Ich konnte es nicht glauben: Ich hatte es geschafft! Wir flirteten. Sein Lächeln fiel zwar etwas krampfig aus, aber das schmälerte meinen Erfolg nicht. Vielleicht war er einfach ein ungeschickter Flirter und überfordert von einer so selbstbewussten Frau. Unsere Blicke verschmolzen miteinander. Er lief hochrot an. Ich jubelte im Stillen. Offensichtlich war ich heute unwiderstehlich und hatte es bloß noch nicht gemerkt.
Die Schöne Julia verfolgte meinen Triumph fassungslos. Sie konnte nicht glauben, dass sie von einer Frau mit Kleidergröße achtunddreißig und Körbchengröße B ausgebootet worden war. Sie sah aus, als würde sie mich am liebsten mit ihrem Stiletto-Absatz erstechen oder mit ihrem BH erdrosseln – falls sie ausnahmsweise einen anhatte. Aber ich hatte keine Zeit, mich mit ihr abzugeben. Ich hatte einen Mann zu erobern.
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Es war nicht so aufreizend, wie Julia es gemacht hatte. Aber es wirkte. Schnuckelmund glotzte mich an, wobei seine Augen aus den Höhlen zu treten schienen. Ich legte mit ein paar gekonnten Wimpernschlägen nach. Er japste nach Luft. Sein Gesicht verzerrte sich, und Adern traten auf seiner Stirn hervor. Es war eine recht heftige Art auszudrücken, wie sehr ich ihm gefiel. Aber ich fand es sympathisch: Endlich mal ein Mann, der nicht den coolen Macho mimte, sondern offen zeigte, dass er von einer Frau überwältigt war. Als er sich jedoch an den Hals griff und zu röcheln anfing, ging mir auf, dass sein Verhalten nicht – oder zumindest nicht nur – auf meinen Sex-Appeal zurückzuführen war.
Ich hatte keine Ahnung, was los war. Aber es schien mir keine gute Idee, blindlings weiterzuflirten. Schnuckelmund hätte sowieso nicht mehr darauf eingehen können. Er war zu sehr damit beschäftigt, um Atem zu ringen. Außerdem waren Jochen und die übrigen Gäste inzwischen auf ihn aufmerksam geworden. Ich wollte nicht die Frau sein, die einen Mann in misslicher Lage anlächelte. Ich konnte mich auch nicht einfach wieder hinter meiner Zeitschrift verschanzen, als wäre nichts gewesen. Und vielleicht war noch nicht alles verloren. Wenn er sich an seinem Kaffee verschluckt oder etwas im Hals stecken hatte, konnte ich ihn möglicherweise aus seiner Notlage befreien – und wenn das kein gelungener Gesprächseinstieg war, was dann?
Ich stand auf und eilte zu ihm. Er blickte mich an. Er sah nicht mehr ganz so gut aus wie vorher. Sein Gesicht war krebsrot. Seine Augen waren groß wie Tischtennisbälle, und sein Schnuckelmund hatte sich in einen Schmollmund verwandelt, mit dem er sogar Julia ausstach. Ich tat das Einzige, was mir einfiel, und hieb ihm kräftig auf den Rücken. Aber ich erreichte dadurch nichts, außer dass er ein weiteres Röcheln ausstieß. Er schüttelte den Kopf. Sein Atem klang wie Zischen und Pfeifen in kaputten Heizungsrohren. Ich wollte mich gerade hinter ihn stellen und das Heimlich-Manöver durchführen, wie ich es im Fernsehen gesehen hatte, als er mich am Arm packte und mit zitternder Hand auf den Kaffee deutete, den ich ihm hingestellt hatte.
»Was ist das?«, würgte er hervor.
»Gina Lollobrigida.«
Er starrte mich entgeistert an. Ich wies auf die Wandtafel.
»Weißer Mandel-Mocca-Macchiato mit Tonkabohnen-Milchschaum und Raspeln von Porcelana-Schokolade.«
»Was?«
Ich sah ihm nach, dass er in seinem Zustand etwas schwer von Begriff war.
»Weißer Mandel-Mocca-Macchiato mit Tonkabohnen-Milchschaum und …«
»Tonkabohnen«, keuchte er. »Dagegen bin ich allergisch.«
»Oh, Scheiße!«
Ich wusste, dass uns dieser Beitrag bei der Lösung des Problems nicht half. Aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Ich schaute zu Jochen hinüber. Er stand hinter dem Tresen und starrte mich an. Er wirkte nicht begeistert davon, dass ich einen seiner liebevoll zubereiteten Kaffees dazu missbraucht hatte, einen seiner Gäste zu vergiften. Auch einige der anderen waren aufgestanden und bildeten einen Kreis um uns. Aber niemand unternahm etwas. Aus unerfindlichen Gründen schienen alle von mir ein rettendes Einschreiten zu erwarten. Leider hatte ich keine Ahnung, wie das aussehen sollte. Nur weil ich allergische Reaktionen auslösen konnte, wusste ich noch lange nicht, was man gegen sie unternahm. Schnuckelmund schwankte, kurz davor, von seinem Stuhl zu fallen. In meiner Verzweiflung setzte ich dazu an, ihn in die stabile Seitenlage zu bringen und eine Mund-zu-Mund-Beatmung vorzunehmen, nur um irgendetwas zu tun.
»Jetzt hören Sie doch mit dem Blödsinn auf!«, rief jemand hinter mir. »Er hat einen anaphylaktischen Schock. Er braucht sofort einen Arzt.«
Erleichtert, eine klare Anweisung zu haben, schob ich Schnuckelmund einen Arm unter.
»Das Krankenhaus ist nicht weit«, sagte ich. »Ich fahr dich hin. Das geht schneller, als einen Notarzt zu rufen.«
Er gab keine Antwort. Ich war nicht mal sicher, ob er mich verstanden hatte. Aber er ließ sich von mir aufhelfen. Er betastete den Tisch, bekam sein Notizbuch zu fassen und presste es an sich. Ich bugsierte ihn zwischen den Tischen hindurch, stieß die Tür auf und warf einen letzten Blick über die Schulter. Jochen und die übrigen Gäste schauten uns mit teils besorgten, teils verstörten Gesichtern nach. Die Schöne Julia lächelte spöttisch.
Unsere Ankunft am Krankenhaus bot ein filmreifes Spektakel. Mit Vollgas jagte ich meinen klapprigen roten Polo auf den Haupteingang des grauen, klobigen Gebäudes zu, schlug hupend eine Blondine im Bademantel in die Flucht, die zum Rauchen nach draußen gekommen war, und schlingerte haarscharf an einem Typen mit Krücken vorbei, der schon zu einem rettenden Hechtsprung ins Gebüsch ansetzte. Fast wären wir durch die Glastür in die Eingangshalle gekracht. Im letzten Moment riss ich das Lenkrad herum und brachte den Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen. Ich sprang heraus, stürzte zur Beifahrerseite und riss die Tür auf. Mein Passagier fiel mir entgegen. Ich packte ihn unter den Armen und hievte ihn mit Kräften, die ich mir nicht zugetraut hätte, auf die Beine. Mit meiner Unterstützung konnte er sich schwankend aufrecht halten.
Dem attraktiven jungen Mann, dem ich im Café verfallen war, ähnelte er kaum noch. Mit seinem aufgedunsenen Gesicht, den Glubschaugen und den geschwollenen Lippen sah er aus, als hätte er seinen Kopf in einen Bienenstock gesteckt. Die Umstehenden waren von unserem Auftritt so verblüfft, dass niemand mich für meine gemeingefährliche Fahrweise rügte oder beanstandete, dass mein Auto die Zufahrt blockierte. Allerdings kamen sie auch nicht auf die Idee, uns zu helfen. Sie glotzten nur, während wir uns durch die Türen schleppten, die vor uns auseinanderglitten. Wie zwei Betrunkene torkelten wir in die Eingangshalle.
»Wir brauchen einen Arzt!«, schrie ich. »Schnell! Das ist ein Notfall!«
Ich war kurz davor, unter meiner Last zusammenzubrechen und mit meinem benommenen Patienten auf dem hellen Linoleumboden zu landen. Ächzend schleifte ich ihn in Richtung des langen, geschwungenen Empfangstresens am Ende der lichtdurchfluteten Halle. Ein paar Besucher auf dem Weg nach draußen machten uns erschrocken Platz. Blasse Gestalten, die im Wartebereich auf weißen Plastikstühlen hockten, drehten uns ihre Gesichter zu. Hinter dem Tresen stand eine bullige Krankenschwester mit Dauerwelle und blickte mir missbilligend entgegen, wahrscheinlich weil ich so einen Aufruhr veranstaltete.
»Gucken Sie nicht so doof!«, fuhr ich sie an. »Tun Sie was! Er ist ja kaum noch bei Bewusstsein.«
Aber statt endlich in die Gänge zu kommen und irgendwelche lebensrettenden Maßnahmen einzuleiten, runzelte sie bloß die Stirn.
»Versicherungskarte?«, sagte sie.
Ich fasste es nicht. Nach allem, was bisher schiefgelaufen war, mussten wir auch noch an eine Bürokratin geraten, die nicht einsah, von den vorschriftsmäßigen Abläufen abzurücken, bloß weil irgendein Störenfried meinte, in ihrer ordentlichen Eingangshalle regelwidrig das Zeitliche segnen zu müssen.
»Versicherungskarte?«, rief ich. »Sie haben sie ja wohl nicht alle! Sehen Sie nicht, wie schlecht es ihm geht?«
Mein Patient röchelte und schwankte wie zur Bestätigung. Dennoch gelang es ihm zu meiner Überraschung, sein Portemonnaie hervorzuziehen und seine Karte herauszukramen, die er der Schwester mit zitternder Hand über den Tresen reichte. Offenbar war er der Meinung, ich würde mit meiner Empörung nichts weiter erreichen, als seine Heilung auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Ich war froh, dass wenigstens einer von uns imstande war, Ruhe zu bewahren, auch wenn das eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre.
Meine frisch gekürte neue Erzfeindin nahm die Karte mit einem Nicken, das zu sagen schien »Na also, geht doch« und steckte sie in ein Gerät.
»Nehmen Sie im Wartebereich Platz«, wies sie uns an, während sie die Daten auf ihrem Computerbildschirm ablas. »Wir rufen Sie auf.«
Mein Allergiker wollte sich schon folgsam hinüber zu den Stühlen schleppen. Wahrscheinlich hätte er die Wartezeit auch noch auf einem Bein stehend absolviert, wenn sie es ihm aufgetragen hätte. Aber ich hielt ihn fest. Genug war genug. Ich war vielleicht schuld an seiner miesen Verfassung. Aber genau deswegen würde ich nicht dulden, dass er nur eine Sekunde länger litt als nötig.
»Nichts da Wartebereich!«
Die Lautstärke meines Organs war vorher schon beachtlich gewesen. Aber jetzt schrie ich dermaßen, dass alle in Hörweite zusammenfuhren und ich wahrscheinlich sämtliche anwesenden Herzpatienten gefährlich nah an einen Infarkt brachte. Aber darauf konnte ich keine Rücksicht mehr nehmen.
»Sie rufen jetzt auf der Stelle jemanden, der ihm hilft, sonst klage ich Ihren Laden in Grund und Boden. Ich bin mit zahlreichen Anwälten befreundet.«
In Wahrheit nur mit einer, und Katja war Anwältin für Scheidungsrecht. Aber das brauchte diese Korinthenkackerin ja nicht zu wissen. Allerdings sah sie nicht so aus, als wäre sie von meiner Drohung nachhaltig beeindruckt. Im Gegenteil schien sie eher geneigt, statt des verlangten Arztes die Polizei zu verständigen.
Zum Glück waren nicht alle hier so pingelige Paragrafenreiter wie sie. Ein Blondschopf mit Vollbart, der gerade aus einem der Aufzüge trat und durch mein Gebrüll auf uns aufmerksam geworden war (es war auch schwer zu überhören), erkannte mit einem Blick, wie schlimm es um meinen Patienten stand. Er eilte mit wehendem Kittel herbei, griff dem Leidenden unter den Arm und half mir, ihn zu stützen. Es war gerade noch rechtzeitig. Einen Augenblick länger, und er hätte mich mit ausgekugelter Schulter gleich mit behandeln können.
»Schon gut«, sagte er. »Beruhigen Sie sich. Ich kümmere mich um ihn.«
Mit der freien Hand winkte er die Empfangsschwester herbei, die widerwillig ihren Posten verließ und uns folgte, während wir, unseren Kranken in der Mitte, den nächstliegenden Untersuchungsraum ansteuerten.
»Was ist passiert?«, fragte der blonde Arzt.
»Er wollte einen Marcello, bekam aber eine Gina und durfte den Schaum nicht wegen der Bohnen.«
Für mich war die Sache klar. Vor lauter Aufregung dachte ich nicht daran, dass meine atemlos hervorgestoßene Erklärung die eine oder andere Frage offenließ. Zum Glück gehörte es zum Beruf meines Helfers, sich auf wirres Gerede einen Reim zu machen.
»Er hat eine allergische Reaktion?«
Ich nickte.
»Wie heißt er?«
»Schnuckelmund, äh, ich meine Steffen«, sagte ich, froh, eine hilfreiche Information parat zu haben.
Während der Fahrt, den Fuß auf das Gaspedal gepresst und die Hände um das Lenkrad geklammert, hatte ich mich bemüht, ungezwungene Konversation zu machen und meinen Beifahrer von seiner fortschreitenden optischen Annäherung an eine überreife Tomate abzulenken. Wild durcheinander hatte ich ihm von meinem Job im Reisebüro erzählt, dem Bogenschießkurs, den ich gerade mit Steffi besuchte, um ›meine Mitte zu finden‹ (oder heuchlerische Exfreunde zu erlegen), dem Coldplay-Konzert, auf dem wir mit unserer Mädelsgruppe in Hamburg gewesen waren, und allem anderen, das mir gerade in den Sinn gekommen war. Er hing schlaff in seinem Sitz und starrte mit glasigem Blick durch die Windschutzscheibe. Nur wenn wir über eine rote Ampel schossen oder knapp einem Zusammenstoß entgingen, fuhr er mit einem Schrei auf und klammerte sich am Haltegriff über der Tür fest. Ich nahm es als gutes Zeichen, dass er trotz seines Zustands noch imstande war, in Panik zu geraten. Anschließend sank er wieder in sich zusammen. Die meiste Zeit gab er nur blubbernde Geräusche von sich, bei denen ich erst dachte, sie stammten von meinem Wagen, der sich über die ruppige Behandlung beschwerte. Aber ein- oder zweimal stieß er ein paar Worte aus. Ich nickte dann und lächelte. Dabei wusste ich nicht einmal, ob er nur im Delirium vor sich hinlallte, versuchte, mir etwas mitzuteilen, oder die letzten Minuten vor dem Wachkoma nutzte, um mich zu beschimpfen. Immerhin hatte ich im Laufe unserer Unterhaltung seinen Namen erfahren: Steffen. Es konnte zwar genauso gut Stefan, Steven oder Stavro sein. Aber ich fand, Steffen passte am besten zu ihm.
»Steffen, hören Sie mich?«, fragte der Arzt. »Mein Name ist Doktor Jacobi. Wir helfen Ihnen, okay? Machen Sie sich keine Sorgen.«
Er erteilte der Krankenschwester Anweisungen. Ich verstand kein Wort. Aber bei der Souveränität, die er dabei ausstrahlte, fasste ich sofort Vertrauen zu ihm. Ich hatte keinen Zweifel, dass er meinen Steffen im Null Komma nichts wieder auf Vordermann bringen würde. Ich war froh, die Verantwortung für sein Wohlergehen los zu sein. Aber ich war entschlossen, nicht von seiner Seite zu weichen, bis ich sicher war, dass er sich vollständig erholen würde.
»Sind Sie mit ihm verwandt?«, fragte Doktor Jacobi, während wir Steffen auf eine Krankenliege hievten.
»Ich bin seine Frau«, sagte ich.
Es kam einfach so raus. In Filmen machen es die Frauen immer so, wenn sie einen Mann, der ihnen gefällt, ins Krankenhaus bringen. Steffen wusste es nicht zu schätzen, dass ich ihm in der Stunde der Not beistehen wollte und dafür sogar bereit war zu lügen. Er schüttelte den Kopf und machte protestierende Laute, die zum Glück nicht zu verstehen waren. Die Gesten, mit denen er mich aus dem Zimmer zu scheuchen versuchte, waren allerdings überdeutlich. Die Krankenschwester, die gerade eine Spritze aufzog, rügte mich mit einem grimmigen Blick für meine Hochstapelei. Ihr Vorwurf war berechtigt. Es war nicht die erste Dummheit, die ich in Liebesdingen beging. Aber einen Mann zu vergiften und ihn anschließend gegen seinen Willen zu meinem gesetzlich angetrauten Ehemann zu küren, war ein neuer Tiefpunkt.
»Er möchte wohl lieber etwas Ruhe«, sagte Jacobi diplomatisch. »Vielleicht warten Sie besser draußen.«
»In Ordnung.«
Wenn ich Steffen nicht auch noch zu einem Herzinfarkt verhelfen wollte, musste ich mich der ärztlichen Anweisung fügen. Ich verzog mich auf den Flur, schloss die Tür hinter mir und schlich zu einer Reihe von Stühlen, die an der Wand aufgestellt waren. Ich setzte mich, machte mich klein und vermied es, jemanden anzusehen. Das grelle Neonlicht der Deckenröhren kam mir verräterisch vor, als wäre es nur da, um meine Schande zu beleuchten. Ich war sicher, dass alle, die an mir vorüberkamen, Ärzte, Schwestern, Pfleger, Patienten und Besucher, auf den ersten Blick erkannten, was ich getan hatte. Hin und wieder hallten Lautsprecherdurchsagen über den Gang, und es hätte mich nicht gewundert, wenn eine von ihnen mein Verbrechen im ganzen Krankenhaus verkündet hätte.
Mit einem Seufzen ließ ich meinen Kopf gegen die Rückenlehne kippen. An der Wand gegenüber hing ein Poster, auf dem ein blasser Jüngling mit gequältem Lächeln als Warnung vor Tripper, Genital-Herpes und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten diente. Ich beneidete ihn. Klar, es juckte ihn im Schritt und brannte beim Pinkeln. Aber immerhin hatte er Sex (wenn er auch zu blöd war, sich ein Kondom überzuziehen). Mir hingegen war es nicht mal gelungen, mit einem potenziellen Kopulationskandidaten ins Gespräch, geschweige denn ins Bett zu kommen. Zwar hatte ich mir zweifellos seine Aufmerksamkeit verschafft und würde ihm garantiert in Erinnerung bleiben. Auch standen die Chancen gut, dass er mich nachher nach meinem Namen, meiner Adresse und meiner Telefonnummer fragte – allerdings nur, um sie für eine Klage wegen fahrlässiger Körperverletzung an seinen Anwalt weiterzuleiten. Wie viele Jahre standen wohl auf Mordversuch durch Tonkabohnen-Macchiato? Singlefrust galt bestimmt als niederer Beweggrund, der mir eine lange Zeit hinter Gittern einbringen würde.
Vielleicht war es halb so schlimm. Im Knast brauchte ich mir wenigstens keine Gedanken mehr über meinen Beziehungsstatus zu machen. Und meine Eltern würden mich nicht mehr mit Fragen löchern, ob ich denn nicht langsam mal heiraten wolle. Mein Bruder Malte hatte ihnen bereits vier Enkel beschert, zwei Jungen, zwei Mädchen – und er war drei Jahre jünger als ich. Bei dem Tempo, mit dem er und seine Frau Laura sich vermehrten, konnte man nur auf spontane Zellteilung schließen. Natürlich war es großartig. Ich liebte meinen Bruder, ich verstand mich super mit Laura und genoss es, für meine Nichten und Neffen die ›coole Tante‹ zu sein. Und ich gönnte meinem Vater und meiner Mutter ihre Großelternfreuden von ganzem Herzen. Aber ich würde lieber lebenslang bei Wasser und Brot in Isolationshaft sitzen, als noch einmal mann- und kinderlos bei einem unserer Familienessen zu hocken und mich von den beiden von der Vorspeise bis zum Nachtisch mit der stummen Frage beäugen zu lassen, wann ich ihnen endlich den langersehnten Schwiegersohn präsentierte, am besten gleich inklusive Nachwuchs.
Malte mit seiner harmonischen Ehe, seiner ergiebigen Fortpflanzung und seiner erfolgreichen Karriere als Steuerberater war der Beweis dafür, dass es nicht an ihnen und ihrer Erziehung lag, sondern irgendetwas mit mir nicht stimmte (Maltes Erfolg hingegen war natürlich ihr Verdienst). Sie taten immer so, als bräuchte ich bloß die richtige Einstellung, die Bereitschaft, mich dauerhaft zu binden, und eine gewisse Einsatzfreude, um einen brauchbaren Mann kennenzulernen. Jetzt, wo ich auf der Suche nach Liebesglück nicht einmal vor Mord und Totschlag zurückgeschreckt war, könnten selbst sie mir nicht mehr vorwerfen, ich gäbe mir nicht genug Mühe.
Das Warten machte mich verrückt, und diese Gedanken halfen nicht. Ich hätte gerne Katja oder Steffi angerufen, um ihnen von der Misere zu erzählen und ihren Rat zu hören, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich Steffen gegenübertrat. Aber ich wagte weder, im Krankenhaus zu telefonieren, noch meinen Posten vor dem Untersuchungszimmer zu verlassen. Ich war kurz davor, an die Tür zu klopfen, um herauszufinden, was sie da drinnen trieben, ob sie immer noch an Steffen herumspritzten, ob sie beratschlagten, wie sie es mir am besten heimzahlen könnten – zum Beispiel mit Windpocken oder einer Magen-Darm-Infektion –, oder ob sie Steffen halfen, aus dem Fenster zu klettern, damit ihm eine weitere Begegnung mit mir erspart bliebe.
Endlich öffnete sich die Tür, und die Krankenschwester kam heraus. Ich wollte auf sie zu stürzen. Aber ihr Gesicht verriet, dass sie für heute von meinem Irrsinn genug hatte und es keine gute Idee war, ihr noch mehr davon zuzumuten. Sie eilte vorüber, ohne mich anzusehen, und verschwand im Schwesternzimmer.
Zum Glück trat nun auch Doktor Jacobi auf den Flur.
»Sie können jetzt zu ihm rein«, sagte er. Aber auch er war an mir vorbei, bevor ich etwas fragen konnte.
Ich war auf mich allein gestellt. Ich atmete tief durch und brachte meine Haare in Ordnung, um gefasst auszusehen. Ich überlegte, ob ich als zusätzliche Besänftigungsmaßnahme einen weiteren Knopf meiner Bluse öffnen sollte. Aber als ich daran dachte, was bei meinem letzten Versuch, sexy und anziehend zu wirken, herausgekommen war, ließ ich es lieber bleiben. Ich klopfte an die Tür und trat ein.
Das Untersuchungszimmer lag im Halbdunkel. Die grünen Vorhänge waren zugezogen, das Tageslicht drang nur gedämpft herein. Nach der Neonfolter war es eine Wohltat. Verglichen mit der Geschäftigkeit auf dem Gang war es hier beinahe andächtig still. Steffen lag noch immer auf der Untersuchungsliege. Seine Augen waren geschlossen. Auf der Brust hielt er sein Notizbuch. Sein Atem ging ruhig, und ich dachte erst, er würde schlafen. Aber dann drehte er den Kopf und sah mich an. Ich hatte keine Ahnung, was ich zu ihm sagen, wie ich mit ihm umgehen sollte. Aber kneifen galt nicht.
»Hey«, sagte ich.
Es war nicht viel. Aber es war ein Anfang.
»Hi«, murmelte er und rang sich ein schwaches Lächeln ab. Zu mehr fehlte ihm die Kraft.
Ich schloss die Tür und trat zu ihm an die Liege.
»Fühlst du dich besser?«
Ich hätte fast nicht gewagt zu fragen. Er sah elend aus. Sein Gesicht war zwar etwas abgeschwollen, aber es würde noch eine Weile dauern, bis es wieder seine natürliche Form annehmen würde. War es vorher hochrot gewesen, war es jetzt totenblass. Nur auf seinen Wangen zeigten sich noch ein paar rote Flecken. Sein Haar war feucht vom Schweiß und klebte ihm an der Stirn. Ich schaffte es kaum, ihn anzusehen, so schrecklich fühlte ich mich für das, was ich ihm angetan hatte.
»Ich werd schon wieder.«
Er drehte das Gesicht weg und starrte an die Decke. Ich nahm es nicht persönlich. Sicher hatte er Schmerzen, und das Sprechen strengte ihn an. Außerdem war es nur fair, dass ich das Reden übernahm, ihm endlich sagte, wie leid mir das alles tat. Nur wusste ich noch immer nicht recht, wie ich es anstellen sollte. Ich hätte am liebsten seine Hand genommen, zum einen, um ihn zu trösten, und zum anderen, weil ich einfach gern seine Hand gehalten hätte. Da war etwas zwischen uns gewesen im Café, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, und trotz des anschließenden Chaos war es immer noch da. Ich war sicher, auch er hatte es gespürt, und ich hätte gern daran angeknüpft, selbst wenn es nicht der passende Zeitpunkt war. Aber ich traute mich nicht.
»Hat der Arzt was gesagt, wie lange du hierbleiben musst?«
Er seufzte. »Doktor Jacobi hat mir ein Antihistaminikum gespritzt«, sagte er. »Das wirkt relativ schnell. Wobei diese allergischen Anfälle lange Nachwirkungen haben können. Es wird wohl ein paar Tage dauern, bis ich wieder richtig fit bin.«
Ich blickte betreten auf den grauen Boden.
»Aber ich muss hier nicht die Nacht verbringen oder so«, sagte er. »Ich kann gehen, sobald die Schwellung etwas weiter zurückgegangen ist und mein Schädel aufhört zu pochen.«
Ich witterte eine Chance, ihm meine Hilfsbereitschaft zu beweisen und ein wenig Wiedergutmachung zu leisten.
»Soll ich dich noch irgendwo hinfahren?«
Ganz uneigennützig war mein Angebot nicht. Ich sah darin eine Möglichkeit, den schlechten Eindruck wettzumachen, den ich bisher bei ihm hinterlassen hatte. Ich wollte nicht als kaltblütige Kaffee-Killerin dastehen, die unbescholtenen Männern toxische Substanzen verabreichte, um sie in laufende Schwellkörper zu verwandeln. Wenn alles klappte und wir uns verstanden, könnte ich ihn zu einem Versöhnungsessen einladen. Mit etwas Glück ließe sich der hässliche Vorfall vielleicht noch zum Guten wenden.
Aber Steffen zeigte sich von der Idee, noch einmal zu mir ins Auto zu steigen, alles andere als begeistert. Sein Gesicht zuckte, und seine Hände zerknüllten die Papierunterlage auf der Liege. Unsere Hetzfahrt zum Krankenhaus gehörte wohl nicht zu seinen angenehmsten Erinnerungen.
»Nein, danke«, sagte er. »Mein Bedarf an Nahtoderfahrungen ist für heute gedeckt.«
Ich lachte, bis mir aufging, dass er keinen Witz gemacht hatte. Ich versuchte, das Lachen als Husten zu tarnen. Aber es haute nicht hin. Ich beeilte mich, das Thema zu wechseln.
»Kann ich sonst irgendwas für dich tun? Brauchst du was zu trinken oder vielleicht eine Decke? Soll ich jemanden für dich anrufen? Deine Frau, deine Freundin, deine Verlobte …«
Man konnte es dreist – oder beknackt – finden, dass ich es selbst jetzt nicht schaffte, das Flirten einzustellen. Aber Männer, die mir so gut gefielen, traf ich selten. Wir hatten schon ein gemeinsames Erlebnis, wenn auch nicht gerade ein schönes, und es wäre doch schade gewesen, wenn bei dem ganzen Ärger nicht irgendetwas herausgekommen wäre. In einer romantischen Komödie hätte er jetzt zu mir aufgesehen und mir mit einem Lächeln vorgeschlagen, zur Entschädigung mit ihm auszugehen. Leider war es einer der Momente, in denen das Leben beweist, wie wenig es mit romantischen Komödien gemein hat.
»Ehrlich gesagt hätte ich einfach gern etwas Ruhe«, sagte er. »Mein Kopf tut wirklich noch ziemlich weh, ich bin groggy, und sprechen kostet echt viel Kraft. Wegen der Sache im Café: Vergiss es einfach. Es war ein blöder Unfall. Keine Glanzleistung von dir, wenn ich das sagen darf. Aber ist halt passiert. Belassen wir es dabei.«
Er schloss die Augen als eindeutiges Zeichen: Für ihn gab es zwischen uns nichts mehr zu sagen. Aber ich hatte mich noch nicht einmal anständig bei ihm entschuldigt, ganz abgesehen davon, dass ich noch immer nicht ausgetüftelt hatte, wie ich ihn zum Essen einladen konnte. Wenn ich jetzt gegangen wäre, hätten wir uns wahrscheinlich nie wiedergesehen, und ich konnte mich nicht damit abfinden, dass unsere Begegnung einfach so zu Ende sein sollte.
»Das ist nett von dir«, sagte ich. »Ich bin auch gleich weg, versprochen. Ich wollte nur noch sagen, wie leid mir das alles tut. Wenn ich gewusst hätte, was passieren würde, hätte ich natürlich niemals unsere Kaffees vertauscht. Wenn es dir besser geht, würde ich mich gerne noch einmal richtig bei dir entschuldigen, und daher wollte ich fragen, ob du dir vielleicht vorstellen könntest …«
»Moment mal!« Er öffnete die Augen und richtete sich auf.
Erschrocken begriff ich, in meinem Eifer zu viel preisgegeben zu haben.
»Vertauscht?«, fragte er. All seine Benommenheit schien verschwunden. »Nicht verwechselt? Du meinst, das war Absicht? Warum machst du denn bitte so was?«
Ich suchte nach einer Ausflucht. Aber da mir keine einfiel, blieb mir nur die Wahrheit.
»Na ja«, sagte ich. »Ich fand dich sympathisch und interessant und wollte dich kennenlernen. Ich dachte, wenn ich dir den falschen Kaffee hinstelle, würdest du es merken und mich darauf ansprechen, und wir würden ins Gespräch kommen.« Im Café war mir der Plan brillant vorgekommen. Hier und jetzt klang er einfach nur bescheuert.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein!« Er setzte sich auf, legte sein Notizbuch neben sich und schwang die Beine von der Liege. Groggy wirkte er mit einem Mal gar nicht mehr. »Nur, damit ich das richtig verstehe: Ich verrecke fast und lande im Krankenhaus, weil du mich mit irgendwelchen kindischen Spielchen auf dich aufmerksam machen wolltest? Oder ist das deine Taktik, einen Mann erst mal außer Gefecht zu setzen, bevor du dich an ihn ranmachst, damit er sich nicht mehr gegen deine Avancen wehren kann?«
Auch dies hätte man für einen Scherz halten können, einen Versuch, die Stimmung seinerseits ein bisschen aufzulockern. Aber er lächelte wieder nicht.
»Ich weiß ja, es war nicht die allerbeste Idee«, sagte ich. »Ich dachte eben …«
»Nicht die allerbeste Idee?« Er schüttelte den Kopf. »Totale Schnapsidee trifft es besser. Wo lernt man so was, in Kursen für Guerilla-Flirts und amouröse Attentate? Echt erstaunlich, was für einen Schwachsinn sich die Leute einfallen lassen, nur um sich an jemanden heranzuschmeißen. Wie kamst du überhaupt darauf, dass ich Lust hätte, mich mit dir zu unterhalten?«
Ich verstand seinen Ärger. Er hatte jedes Recht, sauer auf mich zu sein. Aber ich würde ihm nicht erlauben, sich alles zurechtzubiegen, wie es ihm passte, und es darzustellen, als hätte ich mich unaufgefordert und rücksichtslos an ihn rangemacht.
»Na hör mal«, sagte ich. »Du hast schließlich zu mir rübergesehen, und zwar mehrmals. Du hast mich sogar angelächelt. Das waren schon ziemlich klare Signale.«
Aber wenn ich geglaubt hatte, er werde einlenken, wurde ich enttäuscht.
»Klare Signale?«, rief er, sprang von der Liege und fing an, im Zimmer auf und ab zu stapfen. Die Empörung hatte seinen Gesundheitszustand merklich verbessert. Aber er machte nicht den Eindruck, als wäre er mir für diesen Beitrag zu seiner Genesung dankbar.
»Ich soll dir Signale gesendet haben? Ja, ich habe zu dir rübergesehen. Weil du mich die ganze Zeit angegafft hast. Das hat mich gestört, und ich wollte wissen, ob du endlich damit aufhörst. Und falls ich tatsächlich gelächelt haben sollte, war es nur höflich gemeint, nicht als Aufforderung, irgendwelchen Unfug mit meinem Kaffee anzustellen. Und ich habe dir garantiert nicht signalisiert, mir zu einem Spontantrip in die Notaufnahme zu verhelfen.«
Ich war kurz davor, den roten Knopf an der Wand zu drücken und die Schwester herbei zu beordern, bevor das Gespräch völlig aus dem Ruder lief. Vor ein paar Minuten hatte ich noch gedacht, wir könnten uns aussprechen, dem Unglück vielleicht sogar noch etwas abgewinnen und es zum Anlass nehmen, uns besser kennenzulernen. Mit einem Mal war diese Möglichkeit in weite Ferne gerückt. Jetzt musste ich schon zufrieden sein, wenn er mir nicht an die Kehle ging.
»Okay, okay«, versuchte ich die Wogen zu glätten. »Dann habe ich mich eben geirrt.« Ich hatte mich auf keinen Fall geirrt. Er hatte mich angelächelt, und es war nicht nur höflich gewesen. Aber wenn er nicht zugeben konnte, dass auch ich ihm gefallen hatte, würde ich nicht darum betteln. »Ein Missverständnis, das dumm gelaufen ist. Deshalb müssen wir uns doch nicht in die Haare kriegen.«
Aber es half nichts. Er war zu sehr in Fahrt, um auf meinen Einwand einzugehen.