Immer wieder - auf und nieder - R.K. Wenzing - E-Book

Immer wieder - auf und nieder E-Book

R.K. Wenzing

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Beschreibung

Für Gundi war das Leben einfach. Sex wird überbewertet, findet die wohlbehütete 20-Jährige aus dem kleinen Bauerndorf Kutenwald. Alle Versuche ihrer besten Freundin, sie vom Gegenteil zu überzeugen, blockiert Gundi. Als Peter aus dem fernen Hamburg auftaucht, um einen Brandschaden zu regulieren, geraten ihre Ansichten ins Wanken. Der elegante, junge Mann lässt die Herzen aller Damen im Ort höher schlagen, doch sein Interesse gilt nur Gundi. Wird sie ihre Überzeugung über Bord werfen und schwach werden? Die Turbulenzen nehmen ihren Anfang.

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Seitenzahl: 529

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Kapitel 1: Gundi

Sprechstunde 1

Kapitel 2: Sichtung

Kapitel 3: Erste Begegnung

Kapitel 4: Wiedersehen

Sprechstunde 2

Kapitel 5: Rückkehr in die Gesellschaft

Kapitel 6: Intimitäten

Kapitel 7: Offiziell ein Paar

Sprechstunde 3

Teil 2

Kapitel 8: Nachtfahrt

Sprechstunde 4

Kapitel 9: Bei Melanie

Kapitel 10: Laura

Sprechstunde 5

Teil 3

Kapitel 11: Gundi und Franzi

Kapitel 12: Aufräumen

Sprechstunde 6

Epilog

TEIL 1

KAPITEL 1

Gundi

„Sexy, oder?“ Gundi stand in Melanies Jungmädchenzimmer vor der verspiegelten Kleiderschranktür und wandte sich beifallheischend zu ihrer Freundin um.

Melanie nickte zustimmend.

„Super sexy, besonders die zum Kleid passende Spitzenunterwäsche, sehr geschmackvoll, die bringt ganz bestimmt jeden Mann zum Schwitzen, noch bevor er anfängt, sich zu bewegen.“

Die beiden zwanzigjährigen Mädchen hockten bereits seit Stunden zusammen und stylten sich für den heutigen Tanzabend in der Festhalle von Neudorf, gerade einmal hundert Meter von Melanies Elternhaus entfernt.

„Wieso Unterwäsche? Die wird heute mit Sicherheit kein Mann zu sehen bekommen.“ Sicherheitshalber warf Gundi aber noch einmal einen prüfenden Blick in den Schrankspiegel.

Mit dem, was sie sah, war sie eigentlich zufrieden: eine 1.75 m große schlanke Brünette in einem weißen Sommerkleid mit einem großzügigen Ausschnitt, der ein neugieriges Spähen interessierter Männer provozierte; und das durchaus absichtsvoll. Kirschrot abgesetzt passte er sowohl zum Taillengürtel als auch zum Lippenstift, mit dem sie gerade den Schwung ihrer vollen Lippen unterstrich. Der weite Rock endete eine Handbreit über den Knien und erlaubte sehnsuchtsvolle Männerblicke auf ihre langen wohlgeformten Beine.

„Ich jedenfalls kann weder BH noch Höschen ausmachen“, kommentierte sie beruhigt.

„So nicht“, stimmte Melanie zu. Sie saß vor ihrem Frisierspiegel und fuhr sich mit der Bürste durch ihr leicht gewelltes blondes Haar. „Wenn du dich allerdings etwas vorbeugst ... Was man dann da vorn zu sehen bekommt, reicht ganz sicher aus, den Blutdruck der meisten Jungs in die Höhe zu treiben. Derart appetitliche Hügel sorgen für ganz besondere Aufmerksamkeit, nicht nur bei uns im Flachland. Und wenn du beim Tanzen so richtig in Fahrt kommst“, fuhr sie fort, „benötigst du für die unteren Regionen sogar eine behördliche Sondergenehmigung. Sonst riskierst du noch eine Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Aber wie auch immer: Unsere Männer werden auf jeden Fall begeistert sein.“

„Höre ich da etwa Neid aus deinen Worten?“ Kopfschüttelnd richtete die Angesprochene ihren Blick auf die Brüste der Freundin. „Was den Busen angeht, gewinnst du garantiert jeden Wettbewerb gegen mich“, meinte sie versöhnlich. „Deine Mammas treiben den Mannsleuten doch erst recht die Tränen in die Augen, vor allem, weil sie zurzeit unerreichbar scheinen, da sie schon seit Monaten einem Dauergast zur Verfügung stehen, der gar nicht genug von ihnen bekommen kann.“

„Stimmt.“ Melanie war sichtlich zufrieden mit dieser Tatsache. „Wann immer Stefan die Gelegenheit hat, stürzt er sich förmlich auf meine großen Augen, wie er immer sagt, und stellt die tollsten Sachen mit ihnen an. Küssen, kneifen, beißen, streicheln, nuckeln, saugen. Er lässt nichts aus. Ich könnte süchtig werden danach, und auch noch nach anderen Sachen. Mensch, Gundi“, drängte sie ihre Freundin, „halt dich endlich ran. Du weißt ja gar nicht, was dir alles entgeht.“

„Du bist gut. Wie stellst du dir das eigentlich vor? Vielleicht jede einigermaßen gut aussehende Zufallsbekanntschaft zu einem unverbindlichen Probeverkehr auffordern, um deren sexuelle Qualitäten besser einschätzen zu können? Nee danke, für so etwas hab’ ich nun wirklich keinen Nerv. Ich suche einen Mann, bei dem ich von Anfang an das sichere Gefühl habe: Das ist er. Den will ich.“

„Das kann aber dauern.“ Skeptisch zog Melanie mit großer Sorgfalt ihre Augenbrauen nach. „Und wie ich dich kenne, ist Geduld nicht gerade deine stärkste Seite.“

„Kommt Zeit, kommt Rat.“ Achselzuckend schloss Gundi die Diskussion zu diesem Thema ab. Auch sie brachte ihre Brauen in die richtige Form.

Sie wusste zwar, dass Melanie damit recht hatte und sie wirklich nicht die Geduldigste war, aber das Thema „Männer“ hatte über Jahre hinweg für sie keine Rolle gespielt. Da bestand nun wirklich kein Anlass, jetzt plötzlich alles übers Knie zu brechen.

Eigentlich musste sie sich überhaupt darüber wundern, dass sie nach den Jahren der Abstinenz neuerdings so viel Zeit und Mühe darauf verwendete, eine feste Beziehung zu einem Mann zu suchen. Gewiss, sie hatte mit vierzehn Jahren schon recht früh erste Sexerfahrungen mit älteren Jungs gemacht. Allerdings erwiesen sie sich damals allesamt als unerfahrene Rohrkrepierer. Daher war sie zu der Überzeugung gekommen, Sex werde überbewertet. Das Thema „Männer“ war darum in der Folgezeit auch ohne jede Bedeutung für sie geblieben.

Erst nach langer Zeit der Enthaltsamkeit war es schließlich Melanie, die in ihrer Gefühlswelt einen Wandel herbeiführte. Schon seit Wochen textete ihre beste Freundin sie mit Geschichten aus ihrem Liebesleben zu und bewies dabei einen ausgeprägten Hang zu pikanten Details. Details, über die man sich gemeinhin nur mit einer ganz engen Vertrauten austauschen konnte.

Besonders nahe ging es Gundi, als sie in ihrem Zimmer mit Melanie Musik hörte und ihre Freundin bei der Gelegenheit mit träumerischen, vor Glück glänzenden Augen von dem neuen Freund schwärmte, mit dem sie sich seit geraumer Zeit traf.

„Du kannst dir nicht vorstellen“, flüsterte sie in verschwörerischem Ton, „welche Schauer mir durch und durch gingen, als Stefan mir mit dem Daumen ganz zart die Klit streichelte und gleichzeitig mit zwei Fingern in meiner Muschi genau die richtigen Stellen stimulierte. Himmlisch, sag ich dir. Ich könnte dafür sterben.“

Von wegen, du kannst es dir nicht vorstellen!

Die von erfüllten Sehnsüchten geprägte Schilderung traf die vertraute Zuhörerin mitten ins Herz und ließ in ihr ein Gefühl aufkommen, als sei sie dabei gewesen. Und ganz plötzlich fühlte auch sie ein Kribbeln, das sich erst im ganzen Körper ausbreitete, um sich schließlich in ihrem Schoß zu manifestieren. Das Gefühl war so intensiv, dass sie sich nach wenigen Minuten genötigt sah, ihr ziemlich feucht gewordenes Höschen gegen ein trockenes auszutauschen. Sie konnte sich sogar ziemlich lebhaft vorstellen, was Melanie empfunden haben mochte.

Diese ihr bisher fremden Gefühle ließen Gundi wenig später nachdenklich werden, zumal sich derartige Empfindungen in der Folgezeit immer öfter bei ihr einstellten. Nicht nur nach einschlägigen Schilderungen Melanies.

Vielleicht war ja mittlerweile auch für sie die Zeit gekommen, eine intensive Beziehung zu einem Mann einzugehen, in der auch die Erotik eine wichtige Rolle spielte. Plötzlich erschien es ihr gar nicht mehr als so absurd, sich auf einen Mann einzulassen. Im Gegenteil: Wenn ein Mann in der Lage war, Gefühle in ihr zu entfachen, wie Melanie sie immer wieder so anschaulich schilderte. Ja, dann ...

Sehnsüchte begannen in ihr aufzusteigen. Sehnsucht nach jemandem, dem sie sich vorbehaltlos hingeben konnte. Und Sehnsucht danach, so lustvoll genießen zu dürfen, wie es der Freundin offensichtlich Woche für Woche vergönnt war.

So kam sie zu dem Entschluss, es zu versuchen. Sie wollte es gezielt darauf anlegen, einen geeigneten Mann kennenzulernen, einen Mann, den sie wirklich lieben konnte.

Da Zögerlichkeit nicht zu ihren Untugenden gehörte, hatte sie beschlossen, damit sofort zu beginnen und Melanie begeistert Beifall gespendet:

„Willkommen im wirklichen Leben. Ich helfe dir.“

Und so kam es, dass sie heute wieder zusammenhockten und sich mit stundenlangem Styling fit machten für ein neues Abenteuer auf dem Tanzparkett.

Solche oder ähnliche Szenen wiederholten sich in den vergangenen Wochen immer wieder. Aber obwohl sich die beiden Freundinnen redlich Mühe gaben, Gundi in leckerer Form der Männerwelt zu präsentieren: Erfolg war ihnen nicht beschieden. Zwar gab es in den umliegenden Dörfern genügend junge Männer, die Interesse hätten, jedoch trauten sie sich zunächst nicht - zu oft hatte Gundi ihnen in den vergangenen Jahren den Rücken zugekehrt.

Es war deprimierend. Die Einzige, die immer noch zu glauben schien, dass es in absehbarer Zeit klappen könnte, war Melanie. Einschlägige Fragen beantwortete sie stets lapidar mit einer Binsenwahrheit: „Jede Serie geht einmal zu Ende!“

SPRECHSTUNDE 1

„Zunächst einmal möchte ich mich bei euch entschuldigen.“

Dr. Petersen lächelte seinen beiden Besuchern um Verständnis bittend zu und legte seine dampfende Pfeife in den neben seiner Kaffeetasse befindlichen Aschenbecher.

„Als Arzt und Gesundheitsapostel sollte ich eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen, aber die Pfeife ist ein altes Laster aus der Studentenzeit, dem ich leider nach wie vor verfallen bin. In der Öffentlichkeit vermeide ich in aller Regel das Rauchen und in der Praxis während der Sprechstunde sowieso. Unser Zusammensein hier im Büro meines Privathauses wird vermutlich viel Zeit in Anspruch nehmen. Und wenn ich dabei rauche, dann ist es ein Zeichen dafür, dass ich es nicht als ärztliche Leistung, sondern als privates Gespräch betrachte, das ich mit euch führe, weil ihr mich, als Freund der Familie, wegen eines bestimmten Problems um Rat gefragt habt. Dafür nehme ich mir gern alle Zeit der Welt, aber nur, wenn ich davon ausgehen kann, dass euch der Pfeifenrauch nicht übermäßig stört. Könnt ihr euch mit diesem Arrangement anfreunden?“

Als Gundi und Peter nickten, fuhr der Gastgeber fort:

„Wie ihr schon bemerkt habt, bin ich dabei, eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die eurem Leben in den vergangenen Jahren zwar sehr ähnelt, aber nicht in allen Einzelheiten mit ihm übereinstimmen sollte.“

Dr. Petersen nahm seine Pfeife wieder in die Hand und setzte daran saugend mithilfe eines Streichholzes den Tabak in Brand. Den Rauch behaglich ausstoßend fuhr er fort:

„Diese Geschichte habe ich schon einige Male erzählt, Paaren wie euch, aber auch Einzelpersonen. Es gibt viel mehr Menschen, als man gemeinhin glaubt, die sich in einer ähnlichen Bredouille befinden wie ihr. Dabei ist es gleichgültig, ob die Überbelastung der Beziehung von einem Kind oder einem anderen Angehörigen ausgeht. Entscheidend ist ganz allgemein der Grad der emotionalen Verbundenheit zwischen der beeinträchtigten Person und den sie umsorgenden Familienmitgliedern. Jedes Mal, wenn ich meinen Patienten die eigentlich rein fiktive Situation schildere, passe ich die beschriebenen Geschehnisse den tatsächlichen Erlebnissen meiner Zuhörer an, jedenfalls soweit sie mir bekannt sind. Auch die Namen der handelnden Personen entstammen jeweils ihren persönlichen Verhältnissen, damit die beschriebenen Handlungen und Gefühle einfacher auf die eigenen übertragen und verinnerlicht werden können. Das gilt auch für andere Details, die entweder meiner Fantasie oder den Berichten anderer Personen entstammen. Der Rahmen der Handlung bleibt hingegen immer gleich: Er hilft uns zu verstehen, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind. Die Details wiederum ermöglichen uns, das Durchlebte noch einmal plastisch zu vergegenwärtigen, das uns über eine lange Zeit hinweg in das gegenwärtige Dilemma geführt hat. Entweder trifft meine Schilderung in etwa den realen Verlauf und ihr könnt euch bildhaft genau daran erinnern, einschließlich der Gefühle, die euch früher innewohnten und belasteten. Oder aber die Details stimmen nicht mit den tatsächlichen Erlebnissen überein. In diesem Fall werdet ihr geneigt sein, meinen Bericht zu korrigieren. Zu diesem Zweck kramt ihr dann selbst in eurer Erinnerung und erlebt auf diese Weise alles noch einmal. Alles zusammen schließlich versetzt uns dann hoffentlich in die Lage, die Auswirkungen unseres damaligen Handelns auf die heutigen Ereignisse besser zu beurteilen. Und auf diese Weise können wir auch unserem Ziel näherkommen, nämlich den anderen und uns selbst besser zu verstehen. Nicht nur jeder Streit könnte so entbehrlich werden, auch körperliche Beschwerden können zuweilen auf vergangene Ereignisse zurückgeführt und durch bestimmte Maßnahmen behoben werden. In der Medizin ist heute allgemein anerkannt, dass für viele Krankheiten und Beschwerden auch Stress als Ursache infrage kommt. Das könnte auch für euch zutreffen. Einige Beispiele dafür werden wir wohl später noch kennenlernen. Aber jetzt erst mal zurück zu unserer Geschichte.“

KAPITEL 2

Sichtung

Strategisch gesehen war es ein guter Tisch, den sich die beiden Mädchen von Thorsten, dem Barkeeper, für die Männersuche im Tanzsaal reservieren ließen. Ganz nahe der Eingangstür sitzend, konnte man den ganzen Saal überblicken und besonders die Neuankömmlinge genau in Augenschein nehmen. So hatten sie es immer in den letzten Wochen gehalten, egal, wo in der weiteren Umgebung ein Tanzabend oder etwas Ähnliches stattfand.

Zurzeit saß Gundi allerdings allein vor ihrer Limo. Die Cola neben ihr war noch nicht angerührt. Die Freundin hatte gleich, nachdem sie an ihrem Tisch angekommen waren, ihren himmlischen Lover gesichtet, den sie unverzüglich und kompromisslos egoistisch mit Beschlag belegte. Fortan waren die beiden wie von der Erdfläche verschwunden, schon mehr als eine Stunde - vermutlich anderweitig beschäftigt.

Neidvoll nuckelte die Alleingelassene am Strohhalm und verfolgte mit mäßigem Interesse das Geschehen im Eingangsbereich, wo die Männer und die, die es werden wollten, zumeist mit einem Bier befasst waren oder, wenn sie sich noch Mut antrinken mussten, auch mit etwas Stärkerem.

*

Sie kannte sie alle. Die Tätigkeit im Fitnessstudio von Kutenwald, ihrem Wohnort, brachte dies mit sich. Vor allem, wenn sie nachmittags von der Verwaltungsangestellten zur Trainerin mutierte, kam sie mit fast allen jüngeren Leuten aus dem Samtgemeindegebiet in Kontakt. In den unzähligen Gesprächen mit ihnen erfuhr sie so manches über die Verhältnisse, in denen ihre Kunden lebten, über ihre persönlichen Probleme, Wünsche und Neigungen. Dabei waren Frauen und Männer ihr gegenüber gleichermaßen voller Mitteilungsdrang.

Die Frauen suchten jemanden, der ihnen zuhörte und ihre Sorgen und Nöte verstand und ihnen das Gefühl geben konnte, mit ihren Problemen nicht allein zu sein.

Männer dagegen sprachen eher die Fakten und Probleme an, und in der Regel noch weitaus offener und detaillierter als die Frauen. Sie waren weniger an Mitgefühl, sondern eher an konkreten Ratschlägen und Problemlösungen interessiert.

Wenn Gundi darüber nachdachte, wunderte sie sich manchmal selbst ein wenig. Aber so unterschiedlich die Menschen auch sein mochten, mit denen sie es täglich zu tun bekam, sie kam eigentlich mit allen gut klar. Es war jedoch niemand darunter, auf den sie so richtig abgefahren wäre. Mit keinem von ihnen würde sie ins Bett wollen. Auch nicht zur Probe.

An Annäherungsversuchen aus der Männerwelt hatte es ihr in den letzten Wochen wahrlich nicht gemangelt. Für eine gewisse Zeit stand sie als attraktive „Rückkehrerin“ in die Szene offenbar im Mittelpunkt des Interesses. Ihr sexy Outfit, die neue freche Kurzhaarfrisur und das von Melanie ausgesuchte Parfum taten ihr Übriges.

Bisher interessierte sie das Thema Parfum eigentlich nur am Rande, aber als Melanie ihr diesen dezenten Duft unter die Nase hielt, war sie davon doch sehr angetan. Es vermittelte ihr ein Gefühl von Frühling, Lust und Lebensfreude. Und das übertrug sich eins zu eins auf alle, die ihr nahe kamen, führte aber leider bei einigen gelegentlich zu einem gewissen Überschwang der Gefühle, derer sie sich dann zu erwehren suchte.

Sie seufzte, denn diejenigen, die auf sie zukamen, um sie zum Tanzen aufzufordern oder sie auf einen Drink einzuladen, verfolgten in eindeutiger Weise stets dasselbe Ziel, nämlich das, was sie auch in Bezug auf andere Mädchen verfolgten: eine schnelle Nummer, egal ob im Bett oder im Heu.

Gundi wusste das, da die Frage, wer in dieser Beziehung einen Erfolg verbuchen konnte, stets - vornehmlich an Montagen - im Fitnessstudio besprochen wurde, wo sie das immer wiederkehrende Thema war.

Auch in Gundis Gegenwart sprachen die Sportler darüber, denn es störte niemanden, wenn sie während dieser Gespräche anwesend war. Für alle, die dort trainierten, gehörte sie einfach dazu, wie die Möbel und die Übungsgeräte auch. Vor ihr hatten sie keine Geheimnisse, redeten weitgehend ungeniert.

Es war daher nicht verwunderlich, dass es ihr niemand übel nahm, als sie alle Bemühungen, ihr näherzukommen, zurückwies. Sie machte keinen Unterschied, begegnete dabei allen ihren Verehrern auch in dieser Situation freundlich und mit Respekt, so wie man es von ihr von jeher gewohnt war.

Die allgemein beliebte Fitnesstrainerin brachte für das Verhalten ihrer Klienten ferner ein gewisses Verständnis auf. Der Testosteronspiegel der Männer war in jungen Jahren besonders hoch und schlug sich nicht zuletzt in einer hohen Libido nieder. Das bedeutete aber nicht, dass sie das Verhalten ihrer Kunden ihr gegenüber tolerieren musste. Jedem, der das wissen wollte oder nicht, machte sie das unmissverständlich klar.

Aus diesem Grund hatte sie in letzter Zeit auch die vielen Körbe verteilen müssen, was wiederum dazu führte, dass immer weniger junge Männer sie zum Tanzen aufforderten oder zu irgendetwas einluden.

*

Und so saß sie jetzt allein an ihrem Tisch und nuckelte weiterhin wenig begeistert an der fast leeren Limoflasche. Sie sah auf die Uhr. Ihr Bruder Michael würde sie erst gegen 1.00 Uhr abholen und nach Hause fahren. Das waren noch mehr als vier Stunden, die sie hier absitzen musste.

Ergeben und ein wenig traurig blickte sie in die Runde und betrachtete das Geschehen am Saaleingang mit eher mäßigem Interesse. Langeweile beschlich sie.

Enttäuscht musste sie feststellen, dass Melanie wohl richtig lag: Wahrscheinlich würde noch viel Zeit vergehen, bis sie auf den Richtigen treffen würde. Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Geduld war nun einmal nicht ihre Stärke. Aber was half es?

*

Gundi versuchte sich an ihre ersten eigenen Aktivitäten auf dem Gebiet von Liebe, Lust und Sex zu erinnern. Fünf lange Jahre war das jetzt her. Aber soweit sie sich erinnerte, gab es da wenig Erbauliches oder gar Nützliches hervorzuholen, das ihr jetzt weiterhelfen könnte.

Sie dachte besonders an ihr „erstes Mal“.

Es sollte aufregend werden, hatte sie sich damals gewünscht. Und als es so weit war und ihr damaliger Favorit wie verabredet in der Gartenlaube ihrer Eltern auf sie wartete, war sie voll freudiger Erwartung zu ihrem Tete-á-Tete geeilt.

Auf der alten Matratze, die schon so Einiges erlebt haben mochte, erwies sich dann aber ihr gleichaltriger Freund Kai-Uwe als eine einzige Enttäuschung. Nicht an einen einzigen Aspekt konnte sie sich entsinnen, der für sie angenehm gewesen wäre; nur Schmerz, ein bisschen Blut - und Frust.

Dazu wenig aufbauend der lakonische Originalkommentar von Melanie:

Nach erstem Akt mit Weh und Ach

gibt’s Elternschelte nächsten Tag.

Ihre Busenfreundin hatte zu dieser Zeit ihre Defloration bereits hinter sich und wusste darum um die Probleme davor, dabei und danach.

Für Gundi überwog der Frust.

Nach dieser ersten Erfahrung verzichtete sie dankend auf eine Wiederholung mit Thorsten, auch wenn er sich in der Zeit danach noch sehr um sie bemühte, um, wie er beteuerte, alles wiedergutzumachen.

In den darauf folgenden Monaten ließ sie sich dann aber doch noch mit drei weiteren pubertären Jungs ein, zwar etwas älter als sie selbst, aber einen Orgasmus konnte ihr nur einer von ihnen bescheren - einmal bei vier Anläufen.

Eine Offenbarung war das allerdings auch nicht, zumal sie den Höhepunkt im Rahmen eines Pettings erlebte und nicht bei einem „normalen“ Verkehr, von dem sie sich ja eigentlich das „ganz große Erlebnis“ und die „tiefen Gefühle“ erhoffte, wie sie die anderen Mädchen erlebt haben wollten.

Sollte sie deswegen die Strategie aufgeben, auf den Richtigen zu warten? Sollte sie es doch zu so etwas wie Probeverkehr kommen lassen? Melanie würde das wahrscheinlich begrüßen, schon deshalb, um später alle Details in epischer Breite besprechen zu können. Aber nein, für sie selbst waren weitere Enttäuschungen auf dem Gebiet durchaus entbehrlich. Und damit auch ein One-Night-Stand als Probeverkehr. Nein, ein Aufgeben kam für sie nicht infrage. Irgendwann, so hoffte sie inständig, würde er doch noch kommen: der Mann, von dem sie träumte und der anders war als alle, die sie bis jetzt kennengelernt hatte.

Wie er aussehen würde? Sie konnte es nicht sagen. Sie wusste nur, er würde gut aussehen und sie in den Arm nehmen, um sie nicht wieder loszulassen. Ein Supermann also. Schade eigentlich, dass so ein Kerl nicht an jeder Straßenecke herumstand und sich nach Gundi verzehrte. Also würde sie weiterhin auf ihren Traummann warten müssen.

Wie Melanie richtig vermutet hatte, erwies sich aber eben dies aufgrund ihrer Ungeduld als recht schwierig. Schwieriger jedenfalls als erwartet, wie sie sich im Stillen eingestand.

*

Gundi seufzte. Wenn doch nur Melanie einmal vorbeikäme, wenigstens auf einen kleinen Tratsch, und sei es nur, um für eine kurze Abwechslung zu sorgen und ihr damit die Gelegenheit zu geben, ihren Frust rauszulassen.

Aber nein, nicht einmal das passierte.

Melanie war sicherlich auf das Angenehmste beschäftigt und hatte momentan anderes im Kopf, als die ungeduldige Freundin aufzumuntern.

Gundi überlegte gerade, ob sie trotz ihrer Skepsis gegenüber harten Getränken einmal versuchen sollte, die aufkommende Resignation mit Alkohol zu bekämpfen, als plötzlich Bewegung in die Gruppe um die Eingangstür kam.

Ein Mann bahnte sich einen Weg durch die dort versammelte männliche Dorfjugend und strebte gemessenen Schrittes dem Getränketresen zu.

Allein schon durch den dunkelgrauen Anzug, den er trug, unterschied er sich deutlich von den Gästen, die von hier waren oder aus den umliegenden Dörfern kamen. Seine blau-grau gestreifte Krawatte, die zeitlos schwarzen Schuhe und die gepflegte Frisur unterstrichen den eleganten Eindruck, den seine ca. 1.85 m große, schlanke Gestalt hinterließ. Dazu die vollen Lippen mit ihrem sympathischen Lächeln - wie zum Küssen gemacht.

Gundi schmolz dahin. War das etwa so etwas wie Liebe auf den ersten Blick?

Egal, sie war jedenfalls hin und weg.

Spontan erhob sie sich und wollte schnurstracks auf ihn zu eilen, sich mit ihm bekannt machen. Aber schon nach wenigen schnellen Trippelschritten hielt sie abrupt inne und sammelte sich. Was tat sie hier bloß? Sie war auf dem besten Weg, sich in aller Öffentlichkeit lächerlich zu machen.

Sie stellte sich vor, sie wäre zu ihm gelaufen. Was hätte sie tun können, nachdem sie ihn erreicht hatte? Ihn fragen, ob er mit ihr schlafen wollte? Egal wo und wann? Sich ihm an den Hals werfen? Alles tun, was ihr gerade in den Sinn kam?

Wie blöd war sie eigentlich? Ziemlich ernüchtert setzte sie sich wieder. Was sollte sie denn nun machen? Ihr Kopf war plötzlich leer wie ein Heuschober im Mai.

Melanie! Wo um Himmels willen war bloß Melanie? Nur sie konnte ihr jetzt helfen. Mit hilflosen Blicken durchforschte sie hektisch den dichten Dschungel der Tanzenden, allerdings gab es nicht das kleinste Anzeichen von ihr zu entdecken. Melanie war und blieb verschwunden.

Gundi war der Verzweiflung nahe.

Doch plötzlich - das Glück ist mit den Liebenden! - war sie doch in der Nähe und schlenderte auf sie zu.

Die unentbehrliche Freundin erschien mit einem nach überstandener Anstrengung augenscheinlich verschwitzten Gesicht in der Tür des Seiteneingangs und spähte glücklich lächelnd nach dem Tisch, an dem sie sowohl ihr Getränk als auch Gundi zurückgelassen hatte.

Offensichtlich hatte sie gerade das durchlebt, nach dem Gundi sich jetzt so sehr sehnte. Aufgeregt winkte sie der Ankommenden zu und bedeutete ihr, sich zu beeilen. Wie ausgewechselt wippte sie auf ihrem Stuhl hin und her. Man spürte förmlich, sie würde platzen, wenn sie nicht augenblicklich ihr Mitteilungsbedürfnis stillen konnte.

Neugierig kam Melanie auf sie zu.

„Was ist denn mit dir los? Du scheinst ja völlig aus dem Häuschen zu sein. Hast du vielleicht im Lotto gewonnen?“

Gundi machte eine wegwischende Bewegung mit der Hand und schüttelte unwillig den Kopf.

„Melanie“, drang sie auf die Freundin ein, „ich glaube, da ist ein Traum von einem Mann gekommen. Und ich will, nein, ich muss ihn unbedingt kennenlernen“, flüsterte sie hektisch. „Wie kann ich das anstellen? Was kann ich tun?“, fragte sie verzweifelt. „Er darf mir doch nicht einfach so durch die Finger gleiten. Nun sag doch auch mal etwas!“

„Nee, durch die Finger nicht, lieber durch die Beine, sag ich auch immer.“ Melanie grinste. „Jetzt krieg dich mal wieder ein. So kenne ich dich ja gar nicht.“ Kopfschüttelnd setzte sie sich neben ihre Freundin. „Das muss ja ein wahrer Supermann sein. Wenn ja, dann ist er jemand, den ich nicht kenne. Also ist es ein Fremder? Einer, der Frauen schon feucht werden lässt, bevor er sie berührt? Oder bist du einfach nur ganz normal läufig, jetzt, wo deine Libido wieder so funktioniert, wie es sein soll? Nun sag schon! Und bleib vor allem ruhig. Hektik und Aufgeregtheit helfen dir nicht weiter.“

Sie nahm erst einmal einen kräftigen Schluck von ihrer Cola..

Gundi blieb stumm. Das war zwar untypisch für sie, aber nach blöden Sprüchen stand ihr in diesem Moment nun wirklich nicht der Sinn. Und so wies sie lediglich mit dem Kinn in Richtung Getränkebar, an der sich der elegante Neuankömmling mit sichtlichem Genuss einem großen Glas Bier widmete.

Als Melanie den Blick in die angegebene Richtung wandte, wurde ihr sofort klar, wer die Ursache dafür war, dass ihre Freundin dermaßen aus dem Gleichgewicht geriet. Nicht nur Mädchen, die drei Jahre oder länger trocken gelegt waren, bekamen bei seinem Anblick feuchte Höschen.

Eleganter Anzug, gerade Körperhaltung und ruhige, selbstbewusste Bewegungen signalisierten der Betrachterin, dass es sich hier um jemanden handelte, der sich des Öfteren auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegte und sich dort auskannte.

Sie betrachtete den Fremden einige Momente und beobachtete, wie er freundlich lächelnd und interessiert den Tanzenden zuschaute und die Fußspitze im Takt der Musik bewegte. Er schien sich alsbald ebenfalls ins Gewühl stürzen zu wollen.

„Eine Sahneschnitte“, meinte sie. „Du hast Glück, dass ich gerade gut und gekonnt behandelt worden bin. Ich werde dir also keine Konkurrenz machen. Wie lange hast du ihn schon im Auge?“

„Er ist eben erst gekommen, aber auf einen solchen Mann habe ich seit Wochen gewartet. Ich glaube, der wäre einen Versuch wert“, lautete Gundis Antwort.

Melanie legte ihrer langjährigen Gespielin eine Hand auf den Unterarm und drückte ihn beruhigend.

„Ich kann dich verstehen. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Konkurrenz schläft nicht.“ Sie zog ihre Hand wieder zurück und legte ihr Gesicht in nachdenkliche Falten. „Lass uns überlegen!“ Schon nach wenigen Augenblicken hellte sich ihre Miene auf. Offenbar hatte sie eine Idee. Aber als sie dann zu sprechen anhob, war es alles andere als ein Plan. „Eines vorweg“, sagte sie, „er ist ein Sahneschnittchen, das sagte ich schon. Und Konkurrenz machen werde ich dir auch nicht. Aber wenn du ihn dir mit meiner Hilfe eroberst, dann schuldest du mir etwas. Einmal in unserem Leben, sagen wir frühestens in fünf Jahren, darf ich ihn mir mal ausleihen, ohne dass du sauer bist. Deal?“

Gundi verstand nicht gleich.

„Was heißt das: ausleihen?“

„Na ja, einmal benutzen, an deiner Stelle.“

„Ach so.“ Gundi kicherte, wurde dann aber wieder ernst. „Einmal und nie wieder?“, fragte sie. Und als Melanie nickte, sagte sie: „Okay, Deal.“ In fünf Jahren ist sowieso alles vergessen, dachte sie und klatschte die Hand ihrer Freundin ab. „Aber jetzt zu deinem Plan“, verlangte sie ungeduldig.

Melanie nickte wieder.

„Er ist ohne Begleitung hier angekommen“, begann sie, „und noch immer ohne Gesprächspartner. Also ist er fremd hier und ohne Anschluss. Das ist ein gutes Zeichen. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, ob er erstens an anderer Stelle an jemanden gebunden ist, ob du zweitens sein Typ bist und ob drittens ein Wiedersehen überhaupt möglich ist.“ Nach kurzer Denkpause meinte sie: „Er scheint tanzen zu wollen“, neigte sich zu Gundi hinüber und gab ihr flüsternd zu verstehen, wie sie am besten vorgehen sollte.

KAPITEL 3

Erste Begegnung

Der ausgeheckte Plan widersprach in einem wesentlichen Punkt Gundis ursprünglicher Absicht, nach der kein Mann am heutigen Abend ihre Unterwäsche zu sehen bekommen würde. Ihr war daher auch etwas mulmig zumute.

Trotz eines gewissen Risikos fasste sie jetzt dankbar und erleichtert neuen Mut, nickte ihrer alten Schulfreundin verschwörerisch zu und sog in einem Zug den Rest der Limo aus der Flasche.

Damit war es beschlossen und verkündet.

Die Unsicherheit war überwunden; sie wusste jetzt, was zu tun war.

Nach einem Zeichen Melanies erhob sie sich, richtete sich stolz auf und nach einem letzten Blick in das listig lächelnde Gesicht der Vertrauten nahm sie den Arm des rasch vom Biertresen herbeigewinkten Stefan und entschwand mit ihm in Richtung Tanzfläche.

Der Weisung seiner Freundin folgend führte Stefan seine ihm überraschend zugewiesene Partnerin immer wieder an der Stelle vorüber, an der sich der blauäugige Anzugträger mit dem halbvollen Bierglas in der Hand aufhielt.

Der DJ hatte mit Rücksicht auf die anwesenden älteren Semester Rock ’n’ Roll aufgelegt. Musik, die ihnen, aber auch den Jüngeren gewagte Tanzfiguren erlaubte.

Wie Melanie vorgeschlagen hatte, nutzte Gundi diese Möglichkeit weidlich aus, indem sie immer, wenn sie in die Nähe ihrer Zielperson kamen, durch eine schnelle Drehung oder mit dem Heben eines Knies in die Richtung dieses Mannes ihren Rock so hoch fliegen ließ, dass dadurch ein kurzer Blick auf ihr knapp bemessenes Spitzenhöschen geradezu provoziert wurde.

Schon bald gewahrte sie jedes Mal, wenn sie das tat, ein Aufblitzen in den Augen des Mannes und erkannte, dass seine Aufmerksamkeit und sein Interesse geweckt waren.

Nachdem sie sich dessen sicher war, stellte sie ihre Bemühungen ein und bedeutete auch Stefan, sie nunmehr in entferntere Bereiche der Tanzfläche zu führen. Die Vorstellung, die sie dem Fremden bot, wollte sie nicht länger als nötig fortführen; schon deshalb, um zu vermeiden, dass er von ihr den Eindruck einer leichten Beute bekam.

Während des Tanzes schien es zwar so, als habe sie das Interesse des Fremden gewonnen, jedoch wollte sie einerseits ganz sicher gehen und andererseits wünschte sie, den Fortgang der Dinge zu beschleunigen.

Sie begleitete Stefan bis zum Getränketresen, wo sie sich von Melanies Freund trennte, damit er sich wieder seinen Bierfreunden widmen konnte.

Sie selbst begab sich zur Sektbar und streifte dabei ‚ganz aus Versehen‘ den Arm des von ihr Auserwählten. Mit einem gemurmelten „Tschuldigung“ wollte sie schon ihren Weg fortsetzen, als sie von einer überraschend fest zupackenden Hand an ihrer Schulter daran gehindert wurde.

„Was war das denn?“, erkundigte sich der Angerempelte gleichermaßen überrascht und neugierig. Auf ihren fragenden Blick tat er empört: „Sie haben soeben einen Teil meines Getränks verschüttet.“ Er hielt ihr sein halbleeres Glas demonstrativ entgegen.

„Nun stellen Sie sich mal nicht so an. Das war sowieso nicht mehr voll, und außerdem habe ich mich dafür entschuldigt. Reicht das nicht?“

Kampflustig reckte sie das Kinn vor, obwohl sein fester Griff und die Eindringlichkeit seines Blickes sie in den Knien schwach werden ließen.

Als fühlte er ihre Schwäche, zog er sie noch näher an sich heran und raunte ihr ins Ohr, so sanft, dass es ein Kribbeln in ihrem ganzen Körper auslöste:

„Nein, das reicht mir ganz und gar nicht. Ich möchte nämlich wissen, ob es Zufall oder Absicht war, dass ich heute eine so aufregende Frau kennenlernen durfte, deren Liebreiz mich betört und schwindeln lässt.“ Er schaute ihr tief in die Augen.

Gundi schwankte. Ihr wurden die Knie weich. Sollte sie jetzt ladylike reagieren und verschämt mit gesenkten Augenlidern den Kopf zur Seite neigen oder wäre es besser, ihm mit offenem Visier zu begegnen?

Sie entschied sich für Letzteres. Das entsprach auch ihrem Naturell. Trotz ihrer vorübergehenden Schwäche entwand sich Gundi daher energisch seinem Griff und hielt beide Hände zum Himmel erhoben.

„Zufall?“, rief sie pathetisch. „Nein, das kann nicht sein. Im Gegenteil: Dank, oh Zeus, dass du es endlich hast geschehen lassen: ‚Ein Fremder kommt zum Landei‘, welch unerwartet Glück zu preisen.“ Sie seufzte vernehmlich, setzte aber gleich noch einen drauf, indem sie in sarkastischem Ton hinzufügte: „Und dann gleich ein so umwerfender Charmebolzen, der bei allen frei laufenden Weibern den Verstand 80 Zentimeter nach unten sacken lässt.“

Spöttisch und selbstbewusst blickte Gundi ihrem Gegenüber in die blauen Augen. Sie war selbst überrascht davon, dass sie ihre Unsicherheit so plötzlich überwunden hatte.

„Ich bin übrigens Gundi und wohne in Kutenwald. Haben Sie auch einen Namen?“

Amüsiert schmunzelnd erwiderte er ihren Blick.

„Ich bin Peter, Peter Hartmann, und ich freue mich, Sie kennenzulernen.“

„Gut, Peter, wenn es stimmt und Sie sich wirklich freuen, dann schlage ich vor: Sie besorgen etwas Angemessenes zu trinken und begleiten mich dann zu dem Tisch, an dem meine Freundin sitzt und auf mich wartet. Ich biete Ihnen dann den Stuhl an meiner Seite.“ Nach einer Weile blickte sie ihm in die Augen und stemmte eine Faust in die Hüfte: „Was ist? Wollen Sie nicht?“

Ein bisschen überrumpelt von Gundis überraschendem Vorstoß brauchte Peter ein paar Sekunden, um sich zu sammeln. Schließlich fügte er sich und begleitete sie mit drei Piccolos samt Gläsern in den Händen zu ihrem Platz.

An ihrem Tisch blickte ihnen die Freundin und Mitverschworene erwartungsvoll entgegen.

„Melanie, das ist Peter Hartmann“, stellte Gundi die beiden vor. „Und wie er sagt, freut er sich, mich kennenzulernen.“

„Wie schön.“ Melanie sah lächelnd zu dem Neuankömmling auf. „Frischfleisch in Neudorf, das kommt nur ungefähr alle drei Jahre vor. Und meine beste Freundin hat sich gleich darüber hergemacht. Da haben Sie aber Glück gehabt.“ Nachdenklich fügte sie nach einem langen abschätzenden Blick hinzu: „Na ja, aber vielleicht war es ja nicht nur Glück. Bei Ihrem Aussehen ist sie möglicherweise anderen Mädchen auch bloß zuvorgekommen.“

„Ihnen auch einen ‚Guten Tag‘“, nahm Peter ihr ein wenig den Wind aus den Segeln. „Meine Freunde nennen mich übrigens Piet; und ja, sie ist mit ihren Tanzdarbietungen tatsächlich anderen zuvor gekommen.“ Augenzwinkernd wechselte er das Thema. „Wenn ich diese Frau mit den gerade immer roter werdenden Bäckchen richtig verstanden habe, kann ich wohl davon ausgehen, dass Sie ein Glas Prosecco mit uns trinken?“

„Aber immer“, antwortete die Angesprochene und überging zunächst geflissentlich seine ersten Bemerkungen. „Bei der Gelegenheit könnten Sie uns dann ja auch gleich verraten, woher Sie kommen und was Sie in unser schönes Weltdorf verschlagen hat.“ Neugierig blickte sie ihn an. „Außerdem würde ich gern wissen, ob Sie mit den erwähnten roten Bäckchen die schamhaften Wangen meiner Freundin gemeint haben oder ob Sie ihr den Hintern so versohlt haben, dass der die besagte Farbe angenommen hat.“

„Das waren gleich drei Fragen auf einmal“, stellte der Neuankömmling fest. „Erst einmal prost.“ Mit verschmitztem Grinsen hob Peter den beiden Frauen sein Glas entgegen. „Und jetzt zu Ihren Fragen. Erstens: Ich komme aus Hamburg. Zweitens: Ich bin zurzeit auf verzweifelter Suche nach einer willigen Frau, die noch zu haben ist. Irgendwo habe ich nämlich gelesen, dass ich die schönste aller Frauen genau hier finden würde. Wie ich jetzt selbst feststellen durfte, stimmt das ja sogar. Drittens: Ich habe mir ein Versäumnis vorzuwerfen, da ich es unterlassen habe, meine überaus sensiblen Hände auf die hübschesten aller Popobacken klatschen zu lassen, obwohl es die Eigentümerin dieser Kleinode durchaus verdient gehabt hätte. So ist mir leider ein Heidenspaß entgangen. Und die Antwort auf Ihre Frage lautet: die Wange. Aber mein Verzicht auf das Vergnügen war durchaus kalkuliert, denn so habe ich mir wenigstens die Chance erhalten, diese Frau für mich zu erobern.“

Während er diese halb als Spaß, halb ernstgemeinten Worte sprach, suchte er mit seinen Blicken unverwandt Gundis sanfte Augen, was dieser einen neuen Satz heißer Ohren bescherte und dazu führte, dass sie nun doch verschämt die Lider niederschlug, als eine zarte Röte ihre Wangen überzog.

„Aber im Ernst“, wechselte Peter schnell das Thema, als er Gundis Verlegenheit bemerkte. Sie war ihm in der kurzen Zeit schon zu wichtig geworden, als dass er ihr in irgendeiner Form Unbehagen bereiten wollte. „Ich bin bei einer Versicherung in Hamburg tätig und muss hier einen Brandschaden begutachten.“

„Ach, der Friedrichshof“, wusste Gundi sofort Bescheid.

Ihr Vater war Brandmeister in Kutenwald und die Schilderung des Brandverlaufes hatte sie sich zu Hause schon mehrmals in allen Einzelheiten anhören müssen.

„Genau“, bestätigte er, „mit dem Brandmeister der hiesigen Feuerwehr habe ich schon sprechen können. Aber die Kutenwalder Wehr war am Löschvorgang auch beteiligt, und mit deren Brandmeister muss ich mich darum auch noch unterhalten. Dummerweise scheint der aber nicht zuhause zu sein.“ Gundi nickte bestätigend, sagte aber nichts. „Darum“, führte der Möchtegernbräutigam weiter aus, „habe ich mich entschlossen, noch eine Nacht hier zu bleiben und es morgen noch einmal zu versuchen.“

Melanie unterbrach seinen Redefluss und lächelte Peter entschuldigend an.

„Ich würd’ ja gern noch hier bei euch sitzen bleiben, aber ich muss mich dringend um meinen Freund Stefan kümmern. Der ist nämlich jetzt bei seiner Fußballclique und vergisst mich sonst. Und“, sie sah Peter fragend an, „ich kann Gundi doch wohl bedenkenlos Ihrer Fürsorge überlassen?“

Nachdem der bejahend seinen Kopf geneigt hatte, wandte sie den Blick ihrer Freundin zu, länger als nötig, als wolle sie sagen: Siehst du wohl, geht doch, und nickte ihr mit einem aufmunternden Lächeln zu.

„Das können Sie sich sparen“, nahm Gundi zu ihrem Sitznachbarn gewandt den Gesprächsfaden wieder auf, „der ist zu einem Lehrgang in Berlin und kommt erst nächste Woche zurück. Und seine Frau ist auf einem Wellness-Tripp an der See - wie immer, wenn er für die Feuerwehr unterwegs ist.“

„Das war aber eine präzise Auskunft.“ Etwas erstaunt zog er seine brünetten Augenbrauen hoch. „Sind Sie über alle Leute hier so gut informiert?“

„Ach, wissen Sie“, sie machte eine wegwerfende Handbewegung, „ich arbeite hier im Fitnesscenter. Da komme ich ständig mit irgendwelchen Leuten ins Quatschen. Und Gesprächsthema Nummer eins ist nun einmal der Tratsch. Fragen Sie mich, was Sie wollen. Wenn es um Menschen in dieser Gegend geht, bin ich wahrscheinlich die bestinformierte Person weit und breit.“

Dass der Brandmeister in Kutenwald ihr eigener Vater war, verschwieg sie ihm. Sie wusste selbst nicht, warum.

Gundi erstaunte ihn immer mehr. Sie war selbstbewusst, frech, konnte sich gut ausdrücken und war offensichtlich beliebt und anerkannt. Eine junge Landpomeranze mit Führungsqualitäten. Er schien in einen Glückstopf gegriffen zu haben. Aber abgesehen davon war sie so entzückend, dass sie ihm bereits von Beginn an ins Auge gestochen hatte, noch bevor sie ihn mit ihrem mutig und anmutig dargebotenen knappen Höschen betört hatte. Und jetzt, da sie ihm so nahe war, dass ihm ihr wunderbar duftendes Parfum in die Nase stieg, wurde ihm ganz schwindelig vor Aufregung und der Pegel seines Begehrens stieg deutlich an.

„Sind Sie eigentlich allein hierher gekommen?“, wollte er jetzt von ihr wissen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass eine Frau wie Gundi keine Beziehung zu einem Mann unterhielt.

„Nein“, war die erwartet niederschmetternde Antwort, die Gundi aber absichtlich nicht näher erläuterte.

„Und“, fragte er deprimiert nach, „wo ist Ihre Begleitung jetzt?“

„Ach, so genau weiß ich das auch nicht“, blieb Gundi etwas nebulös, „sich um irgendetwas kümmern.“

Betrübt nickte er, griff zu seinem Glas, sagte aber nichts mehr.

„Prost.“ Gundi lächelte ein wenig. Über seine spürbare Enttäuschung freute sie sich insgeheim. Sie bohrte auch gleich tiefer: „Sie sehen irgendwie enttäuscht aus. Hat das etwa etwas mit mir zu tun?“

„Nun ja ...“ Er verstummte und wusste nicht recht, was er ihr darauf antworten sollte.

Um zu verhindern, dass die Stimmung noch weiter in den Keller getrieben wurde, klärte sie ihren Fremden dann sogleich auf:

„Sie haben es doch gehört, als sie ging: Melanie muss sich um ihren Freund kümmern.“

Verständnislos schüttelte Peter den Kopf, doch dann begriff er.

„Jjja, ja, sicher ... Melanie! Sie sind mit ihr hergekommen?“

Gundis Nicken quittierte er zwar mit einem tiefen Atemzug der Erleichterung, jedoch machte der gleich darauf folgende misstrauische Blick in ihre Richtung deutlich, dass Zweifel blieben - auch wenn die Frau, die er zu erobern gedachte, gerade jetzt mit betont harmloser Miene den Paaren beim Tanzen zuschaute und Langeweile demonstrierte. Als Mann, der für dieses bezaubernde Wesen interessant bleiben wollte, musste er eine Verlegenheitspause vermeiden und entsprechend reagieren.

„Möchten Sie auch tanzen?“ Neugierig beobachtete er Gundis Mienenspiel, während er sich erhob.

Sie freute sich, dass ihr Manöver funktioniert hatte, konnte es aber trotzdem nicht lassen, ihn ein wenig zu necken, und antwortete darum gedehnt:

„Das kommt ganz darauf an.“

„Worauf denn?“ Wieder hatte sie ihn irritiert.

„Darauf, wer mich dazu auffordert.“

Allmählich konnte er sich auf ihre neckische Art einlassen und gab sich unschlüssig. Nach kurzem Zögern fragte er dann aber doch:

„Was, wenn ich es wäre?“

Das Gespräch war lockerer geworden und nicht mehr ganz so ernsthaft. Trotzdem hielt er jetzt den Atem an, gespannt auf ihre Antwort.

Im scherzhaften Stil bleibend tat Gundi mit schräg gelegtem Kopf, als müsse sie über ihre Antwort nachdenken.

„Hm“, sie schien nachdenklich, „in dem Fall ... ja, gern“, meinte sie schließlich.

„Na, dann“, war er sichtlich erfreut, „darf ich bitten?“

War das der Durchbruch? Er bot ihr seinen Arm und führte sie auf die Tanzfläche.

Ihre Unterhaltung war damit zunächst einmal beendet, denn der DJ hatte ein Herz für die ganz Jungen und legte in dieser Phase mehrere Scheiben mit lauten und temporeichen Musikstücken auf, die den Tänzern komplizierte und anstrengende Verrenkungen abnötigten, die Gespräche nur für diejenigen zuließen, die die Zeichensprache beherrschten.

Erst nach etwa einer halben Stunde waren wieder ruhigere Töne zu hören, die Gundi und Peter die Gelegenheit boten, ein wenig zu verpusten und sich noch etwas näherzukommen; und das nicht nur körperlich.

„Vorhin sprachen Sie davon, dass Sie noch den Brandmeister von Kutenholz sprechen müssten“, begann jetzt Gundi eine neue Gesprächsrunde. „Muss ich das so verstehen, dass Sie bis zum nächsten Wochenende hier auf ihn warten werden oder verzichten Sie notgedrungen auf den Kontakt und erledigen das telefonisch von zuhause aus?“

„Nein, ich muss ihn persönlich sprechen. Aber ich kann ja nicht deswegen gleich eine ganze Woche Urlaub machen. Ich werde wohl nächste Woche noch mal herkommen müssen. Aber ich kann Ihnen versichern“, er blickte ihr tief in die Augen, „ich komme gern.“

Damenhaft blickte Gundi zur Seite und ließ die letzte Bemerkung unkommentiert, hoffte aber, er würde sich noch näher erklären.

„Auch ohne meine berufliche Aufgabe würde ich gern wieder hierher kommen“, erfüllte Peter prompt den unausgesprochenen Wunsch. „Aber mit dem dienstlichen Charakter wird der Ausflug finanziell lukrativer. Das Private wird für mich aber eindeutig im Mittelpunkt stehen“, ergriff er nun endlich die Initiative, ihr nahezukommen. „Ich wünsche mir nämlich nichts so sehr, als Sie noch besser kennenzulernen und nach Möglichkeit sehr viel Zeit mit Ihnen zu verbringen.“

Das war genau die Äußerung, die Gundi von ihm hören wollte und die sie ein gutes Stück emporhob, der Wolke sieben entgegen. Aber sie sagte nichts.

Eine geraume Zeit lang gaben sie sich nur schweigend den Tanzrhythmen hin und genossen ihre gegenseitige Nähe.

Erst eine Peter endlos erscheinende Zeitspanne später bequemte sich Gundi dann doch noch zu einer Antwort:

„Auch ich würde mich sehr freuen, wenn Sie noch einmal herkämen. Besonders an einem Wochenende könnte ich dann auch sehr viel Zeit mit Ihnen verbringen.“

Peter wurde fast schwindelig vor Glück. Die Aussicht, dieser jungen Frau in seinen Armen über längere Zeit ganz nahe zu sein, machte ihn euphorisch. Das war im Moment alles, was er sich wünschte, alles, wonach er sich sehnte.

Gundi erging es ähnlich. Nach einigen weiteren Minuten stummen Tanzens war sie es dann, die noch einmal die Initiative ergriff:

„Wenn wir uns beide darüber einig sind, dass wir einander wiedersehen möchten, dann könnten wir eigentlich auch gleich zum Du übergehen. Aber ...“ Abwartend verstummte sie und versuchte mit zusammengepressten Lippen, ihr Gegenüber einzuschätzen.

„Was aber?“

„Na ja“, provozierte sie ihn, „der Vorgang des Brüderschafttrinkens ist in unserem Dorf seit jeher mit dem guten Brauch verbunden, dass der Herr bei dieser Gelegenheit seiner Angebeteten einen Drink spendiert, einen Drink, aus dem die Dame auch den Grad der Wertschätzung ablesen kann, die der Partner ihr entgegenbringt. Ich weiß ja nicht, inwieweit Sie ...“ Abwartend unterbrach sie sich noch einmal.

„Damit habe ich kein Problem“, versicherte er hastig, „und mit einer Tanzpause auch nicht“, fügte er fast ein wenig erleichtert hinzu. „Für einen so guten Zweck gebe ich auch gern einen Drink aus“, meinte der Versicherungsmann großmütig, „wenngleich ich eigentlich ein sparsamer Mensch bin und auch niemanden sehe, den ich anbeten müsste.“

Damit legte er seiner Noch-Nicht-Angebeteten eine Hand in den Rücken und führte sie an den Tresen, wo er dem Barmann flüsternd seine Order mitteilte.

„Finden Sie mich so hässlich?“, wollte sie wissen und gewährte ihm kokett einen ausgedehnten Blick auf ihre weiblichen Attribute, die das Kleid mit dem großzügigen Ausschnitt nur sehr unvollständig bedeckte.

„Hässlich?“, wiederholte er fragend und ließ seinen Blick genüsslich im Zeitlupentempo über ihren Körper wandern.

Beginnend an ihrer frechen Frisur, die ihre spitzbübische Art hervorhob, widmete er seine Aufmerksamkeit alsbald ihren strahlend blauen Augen, die ihn so faszinierten.

Das ebenmäßig geformte Näschen überging er eilig. Zu groß war die Versuchung des tiefen Ausschnitts, in dem sich nach wie vor ein verlockender Busen präsentierte. Auffällig, beinahe unanständig lange ließ er seine Augen dort verweilen und nahm die sinnliche Wirkung der mädchenhaft unschuldig erscheinenden Brustansätze wie ein Geschenk in sich auf.

Nur widerwillig löste er sich von diesem Anblick und richtete seine Aufmerksamkeit mit gleichbleibend unbewegter Miene weiter nach unten, wo sich vom Kleidersaum bis zu den Pumps ein Paar entzückend gedrechselte Beine zeigte.

Lediglich seine sanft über die Oberlippe streichende Zunge verriet, wie sehr ihm gefiel, was er da sah.

Schließlich hob er sein markantes Kinn und wiederholte noch einmal gedehnt:

„Hässlich?“ Er gab sich gleich selbst die Antwort: „Nein. Ich glaube“, er rieb sich noch einmal abwägend das Kinn, „ganz so kann man es wohl doch nicht nennen ...“

Stumm reichte er ihr eines der beiden Sektgläser, die der Barkeeper auf dem Tresen abgestellt hatte.

Sie nahm es mit ebenfalls unbewegter Miene entgegen und forderte ihn auf:

„Sprechen Sie ruhig weiter.“ Dann fuhr sie mit leichtem Crescendo fort: „Für den Fall aber, dass Sie jetzt wirklich mit diesem abfälligen Unterton weiterreden wollen, wenn Sie das wirklich tun wollen, dann mache ich Sie schon jetzt darauf aufmerksam, dass Sie in dem Fall den Sekt, der sich noch unschuldig in meinem Glas befindet, ganz plötzlich an einer sehr peinlichen Stelle ihrer furzvornehmen Anzughose vorfinden werden.“

„Das wäre aber schade um die Hose und nicht zuletzt auch um den guten Tropfen. Übrigens echt französischer Champagner. Das Beste, was sie hier haben. Der sollte jetzt besser seiner Bestimmung entsprechend verwendet werden. Ich verspreche auch, ganz brav zu sein.“

Mit leichtem Zögern, aber immer noch freundlich lächelnd löste er seinen begehrlichen Blick wieder von den unteren Regionen und hob ihr um Nachsicht bittend sein Glas entgegen.

Offensichtlich beflügelt durch den hohen Grad der zum Ausdruck gebrachten Wertschätzung vergab Gundi ihm mit strahlendem Gesicht und kreuzte seinen Arm zum brüderschaftlichen Trunk.

Wie sehr sie ihm wirklich zugetan war, unterstrich sie dann noch, indem sie ihm nicht nur sogleich ihre vollen Lippen zum rituellen Kuss bot, sondern diesen auch noch ungebührlich in die Länge zog.

Peter selbst hatte es längst geahnt: Diesem Mädchen würde er nicht widerstehen können.

Blind vor Lust neigte er sich ihr entgegen und presste seinen Mund auf ihre einladenden Lippen. Gierig und ohne Rücksicht auf irgendwelche rituellen oder gesellschaftlichen Normen riss er diese faszinierende junge Frau eng an sich, schob ihr ein Knie zwischen die Oberschenkel und rieb sich sogar ein wenig an ihnen.

Ein heißes Prickeln durchlief Gundi und gab ihr das Gefühl, ins Unendliche zu schweben. Sie schwamm förmlich in Seligkeit.

Sekunden später aber die Ernüchterung: Entsetzt und mit vor Wut und Empörung blitzenden Augen stieß sie ihren neuen Kussbruder vor die Brust und von sich weg.

„Wie können Sie es wagen?“, fauchte sie und setzte gleich nach: „Glauben Sie etwa, ich sei hier die Kutenholzmatratze für den Allgemeingebrauch, die man schon im Tanzsaal flachlegen kann? Vielleicht sogar wie eine der Bordsteinschwalben, die Sie ja von der Reeperbahn her kennen; diejenigen, die langsam gehen, um schneller voranzukommen? Oder“, sie verzog verächtlich den Mund, „oder aber sind Sie einfach nur der Meinung, fern der Großstadt, in einem kleinen Dorf, da könne man mit feinem Zwirn bekleidet eben mal, nur so zum Vergnügen, ungestraft seine guten Manieren über Bord werfen?“ Nach einer kleinen Pause setzte sie hinzu: „Sofern man denn über so etwas überhaupt verfügte. Ich gebe ja zu“, schimpfte sie weiter, immer noch aufgebracht, „ich habe Sie ziemlich keck angemacht, weil ich neugierig auf Sie war. Aber das ist noch lange kein Grund dafür, mich hier in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Schließlich muss ich weiterhin hier leben. Und es wäre wahrlich kein Zuckerschlecken, wenn sich dabei alle Freunde und Nachbarn hinter vorgehaltener Hand über mich lustig machten.“

Sichtlich betroffen, die Augen weit aufgerissen, mit offenem Mund und starr vor Schreck ließ Peter ihre Tirade ergeben und bewegungslos über sich ergehen.

Sie hat ja recht, dachte er. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Er wusste es nicht. Er war innerhalb kürzester Zeit voll auf sie abgefahren und durfte so etwas wie die „Liebe auf den ersten Blick“ erleben. Er erinnerte sich nicht, dass ihn eine Frau je zuvor so schnell und so vollständig für sich eingenommen hatte. Und als diese Klassefrau ihm dann ihre Lippen darbot, da war’s einfach um ihn geschehen. In diesem Augenblick war es ihm völlig egal, wo er sich befand und ob irgendwelche Leute zuschauten. Er musste dieses unwiderstehliche Mädchen einfach an sich reißen und mit aller Leidenschaft küssen. Leidenschaftlich, nicht brüderlich!

Aber jetzt, nach ihrem wortreichen Gefühlsausbruch deutlich ernüchtert, war ihm seine heftige Reaktion von eben doch ziemlich peinlich. Mit zusammengepressten Lippen blickte er Gundi verlegen in die immer noch blitzenden, sonst so strahlend blauen Augen.

Seine Verlegenheit steigerte sich sogar noch, als er bemerkte, dass sich einige der Umstehenden köstlich amüsierten. Die meisten von ihnen grinsten Peter schadenfroh an und warfen Gundi anerkennende Blicke zu. In ihren Augen war sie eine von ihnen, und sie hatte es diesem Fremden, diesem Stadtfatzken, so richtig gegeben. Gut gemacht!

Danach erlosch ihr Interesse an den beiden und sie wendeten sich wieder anderen Dingen zu.

Peter dagegen suchte weiterhin ganz verzweifelt nach Worten.

„T...t...tut“, krächzte er, räusperte sich noch einmal und raunte Gundi schließlich lapidar „tut mir leid“ ins Ohr. Er merkte selbst, wie banal diese Entschuldigung ausgefallen war und fügte an: „So etwas ist mir noch nie passiert. Wirklich! Noch nie“, betonte er.

„Aber jetzt.“ Gundi stemmte erbost die Hände in die Hüften. „Wieso muss es Ihnen ausgerechnet jetzt passieren?“, wollte sie wissen. „Schade, es sah gerade so aus, als hätte es ein sehr netter Abend werden können.“

„Ich ..., ich ..., ich weiß auch nicht“, stammelte er. „Ich weiß nur, dass ich Sie, nein, dass ich dich küssen wollte, und zwar nicht nur brüderlich; dass ich dich in den Arm nehmen wollte, dass ich einfach alles tun wollte, was man macht, wenn man einen Menschen so ..., so ..., so sehr wollte wie ich dich. So sehr“, beteuerte er, „wie ich dich jetzt immer noch will.“ Zerknirscht senkte er sein Haupt. „Gundi, ich glaube, ich habe mich in dich verliebt. Wie ich schon gesagt habe: Ich möchte dich näher kennenlernen, viel näher. Aber ich scheine alles falsch zu machen. Glaubst du, du könntest mir trotzdem noch eine Chance geben?“

Bittend legte er ihr seine Hände auf die Schultern.

Gundi konnte nicht glauben, was sie da hörte. Peter hatte für einen kurzen Moment die Beherrschung verloren, nur weil er in sie verknallt war. Wie krass war das denn?

Es war kaum eine Stunde her, da hatte sie Melanie noch verzweifelt angefleht, ihr dabei zu helfen, diesen eleganten Mann kennenzulernen. Und jetzt war er es, der sie darum bat, ihm eine Chance zu geben. Konnte er das wirklich ehrlich meinen?

Zweifelnd blickte sie in seine flehenden Augen, aber sie konnte nichts Falsches darin entdecken und beschloss, ihm weiterhin ihr Vertrauen zu schenken. Er war hier nicht der Einzige, der verliebt war.

Weitgehend besänftigt legte sie ihm ihre Hand in einer beruhigenden Geste auf den Arm und schlug ihm vor, wieder mit ihr zu ihrem Tisch zu kommen:

„Ich hab da immer noch ein Getränk stehen, du kannst dich ja zu mir setzen.“

Sie wandte sich um und begab sich festen Schrittes in die angesprochene Richtung. Peter holte sich noch ein Bier vom Tresen und folgte ihr, unsicher, was ihn an ihrer Seite erwartete. Zunächst allerdings passierte zwischen Gundi und ihm erst einmal gar nichts, denn Melanie hatte sich inzwischen wieder am Tisch niedergelassen, nippte an ihrem Getränk und blickte ihnen neugierig entgegen.

Breit grinsend wartete sie, bis die beiden sich gesetzt hatten, dann hob sie ihnen ihr Glas entgegen.

„Das war spannend. Jetzt weiß ich genau, was es heißt, wenn davon gesprochen wird, dass sich zwei Leute zusammenraufen ...“

Verlegen rutschte Gundi unruhig auf ihrem Stuhl herum und Peter musterte angelegentlich das Getränk in seiner Hand.

Wie selbstverständlich übernahm dann Gundi den Versuch einer Erklärung:

„Ach was“, meinte sie, „da kamen nur einige Missverständnisse zusammen. Alle unwichtig. Wir haben sie jetzt beseitigt, nicht wahr, Peter?“

Zustimmung heischend blickte sie zu ihrem neu gewonnenen Freund, legte beruhigend ihre Hand auf die seine und streichelte sie zärtlich. Peter besah sich einmal mehr konzentriert seine Schuhspitzen und nickte stumm.

Genüsslich stocherte Melanie noch mal kräftig in Peters Gefühlswelt herum:

„Mich geht es ja nichts an, aber ein bisschen peinlich für euch fand ich es schon“, meinte sie und traf damit seinen wunden Punkt so exakt wie ein studierter Tiefenpsychologe. „So laut und in aller Öffentlichkeit“, legte sie bekräftigend nach.

Gundi war weiterhin bestrebt, ihren Peter aus Melanies Schusslinie zu nehmen:

„Nun mach mal halblang. Nächste Woche redet darüber doch kein Mensch mehr. Wir sollten uns jetzt über andere Themen unterhalten.“

„Tut mir leid, ich kann nicht bleiben, ich muss mich wieder um Stef kümmern. Sonst trinkt er zu viel Bier, und ich guck heute in die Röhre. Bei dem Wetter wäre das doch doppelt schade“, erklärte sie und zwinkerte ihrer Freundin zu.

Als Melanie aufstand, um zu gehen, erhob sich auch Peter höflich von seinem Stuhl, um sich von ihr zu verabschieden. Damit erntete er ein anerkennendes Lächeln von ihr.

„Das hat Stil, daran erkenne ich den Städter“, meinte sie anerkennend, winkte ihm zu und entschwand.

Peter schaute ihr nach und fragte Gundi:

„Seid ihr eigentlich sehr eng befreundet?“

„Ja, sehr. Jedenfalls erzählen wir uns alles“, machte Gundi deutlich. „Mehr, als ich meinem Vater, meinem Bruder, sogar mehr, als ich meiner Mutter erzählen würde.“

„Wirklich alles?“ Peter wirkte ein wenig besorgt. Das konnte ja heiter werden. „Ich meine, es gibt doch manchmal etwas, das ist so privat ...“

Gundi merkte natürlich, worauf Peter hinaus wollte. Und mit seinen Befürchtungen lag er durchaus richtig. Melanie und sie steckten sehr oft die Köpfe zusammen. Mehrmals in der Woche besuchte sie ihre engste Freundin, wenn sie nach ihrer Arbeit im Neudorfer Fitnesscenter den Heimweg für einen Plausch mit Melanie unterbrach. Bei diesen Gelegenheiten sprachen sie dann über alles, was sie bewegte. Einerlei, ob es sich um Alltagsprobleme handelte, heimliche Wünsche oder ernstere Themen, wie Religion, Gesundheit oder auch Schieflagen im Verhältnis zu den Eltern. Manchmal diskutierten sie sogar deren Beziehungsprobleme untereinander. Gegenwärtige Hauptthemen für beide waren aber eindeutig „Liebe“ und „Sexualität“.

Und genauso umfassend und detailgetreu, wie Gundi ihre Freundin seinerzeit über die Verläufe ihrer ersten Sexversuche ins Bild gesetzt hatte, genauso war sie jetzt bis ins Einzelne über alle Aktivitäten auf diesem Gebiet informiert, die zwischen Melanie und ihrem Stefan abliefen, insbesondere so weit es Zeit, Ort, Dauer und die Art und Weise betraf. Selbstredend wurden auch die Gefühle ausführlich beschrieben und besprochen, die dabei in Melanie aufkamen.

Gundi war klar, dass es der aufkeimenden Beziehung zu Peter nicht unbedingt nützte, wenn dieser wüsste, wie tief die Verbundenheit der jungen Frauen reichte und wie offen sie ihre Gespräche führten. Andererseits wollte sie ihn aber auch nicht ganz im Unklaren darüber lassen.

„Doch“, meinte sie daher, „wir reden wirklich über alles.“ Und nach einer Weile setzte sie hinzu: „Natürlich nur unter einer bestimmten Voraussetzung.“

Natürlich. Peter hatte es sich auch nicht anders vorstellen können. Ein bisschen war er schon jetzt beruhigt.

„Und welche könnte das sein?“

Gundi lächelte verschmitzt.

„Na ja, es muss natürlich etwas passieren, über das zu reden sich wirklich lohnt.“

Das verschlug Peter nun endgültig die Sprache, zumindest so weit es dieses Thema betraf. Wenn das, was Gundi da soeben verklausuliert von sich gegeben hatte, die einzige Einschränkung darstellte, bedeutete es nach seinem Verständnis nichts anderes als: ‚Über das, was wir beide zusammen erleben, rede ich mit Melanie nicht. Es sei denn, du bist sensationell gut in dem, was du tust.‘

Allein bei der Vorstellung brach ihm schon der Schweiß aus. Andererseits hatte sie ihm das mit einem Lächeln im Gesicht gesagt. Vielleicht war es ja doch nicht ganz ernst gemeint und er sollte die Sache nicht zu wichtig nehmen. Sicher war er sich indessen aber nicht. Was sollte er glauben? Seine Verwirrung war vollkommen. Er wusste nicht mehr, was er glauben konnte. Am besten nahm er es fürs Erste so hin und schwieg dazu. Er konnte später einmal darauf zurückkommen.

Eine Weile saßen sie beide nachdenklich nebeneinander und schauten den Tanzenden zu. Ganz allmählich jedoch bewegten sie sich wieder vertrauensvoll aufeinander zu.

Peters Hand, mit der er schon längere Zeit Gundis Stuhllehne umfasste, wanderte nun Stück für Stück von dort weg und lag bald auf ihrer Hüfte. Immer enger zog er sie an sich heran. Im Gegenzug legte sich ihr Oberschenkel an den seinen und verstärkte dort fortwährend Druck und Reibung. Das alles geschah im stillen Einvernehmen ohne Kommentar und ohne, dass sie einen Blick tauschten. Sie genossen ihr Beieinandersein. Das gegenseitige Zusammengehörigkeitsgefühl wuchs zusehends.

Nach einigen Minuten unterbrach Peter das stumme Beieinander. Er wollte mehr über Gundi erfahren.

„Was machst du eigentlich im Fitnesscenter, wenn du dort arbeitest? In welcher Funktion bist du dort tätig?“

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern. „Ich bin da so etwas wie ein Mädchen für alles. Ein Drittel meiner Arbeitszeit verbringe ich mit der Erledigung von Büroarbeiten und organisatorischen Aufgaben. Für die Leitung von Gymnastikgruppen geht ein weiteres Drittel der Zeit drauf. Und während der übrigen Zeit beaufsichtige ich das Fitnesstraining einzelner Mitglieder, gebe ihnen Tipps, Ratschläge usw.“

„Das ist aber eine ungewöhnliche Kombination“, meinte Peter. „Die Verbindung von Gymnastik und Muskeltraining kann ich noch nachvollziehen, aber Bürotätigkeiten passen damit irgendwie nicht zusammen. Wie kam es dazu?“

„Das war Zufall. Vor zwei Jahren hatte ich gerade meine Ausbildung zur Physiotherapeutin abgeschlossen und wollte eine Auszeit von drei Monaten nehmen, mich noch ein einziges Mal ausgiebig entspannen, bevor ich in der Kreisstadt eine Stelle antreten sollte. Eine solche Auszeit kann sehr entspannend sein. Mir bescherte sie allerdings nichts als Langeweile. Darum besuchte ich während dieser Phase mehrmals das hiesige Fitnesscenter, um die Geräte dort auszuprobieren. Ganz zufällig erfuhr ich dabei, dass gerade ein Trainer wegen Umzugs ausgeschieden war und sich ein anderer noch im Urlaub befand. Ich habe mich als Aushilfe angeboten und wurde eingestellt. Das war ganz einfach. Als kurz darauf auch noch eine Bürokraft ausfiel, haben sie mich gefragt, ob ich dort auch helfen würde. Ich hab’s getan und auch ganz gut hinbekommen, gefallen hat es mir auch. Alle waren zufrieden. Mir wurde mit unverändertem Aufgabengebiet eine Vollzeitstelle angeboten und ich hab zugegriffen. Voila, da bin ich. Glück gehabt. Die Arbeit ist manchmal anspruchsvoll, mal nervtötend, zeitweise auch mühselig. Ja, und phasenweise läuft es dann wieder wie von selbst“, schloss sie ihre Arbeitsplatzbeschreibung ab. Danach holte sie tief Luft und verkündete: „Und nun möchte ich mal wieder tanzen. Kommst du mit?“

„Mit Vergnügen“, bejahte Peter, erhob sich sofort und nahm ihre Hand.

Anscheinend spielte die Situation mit dem Brüderschaftskuss nun keine große Rolle mehr. Die atmosphärischen Störungen in ihrer kaum begonnenen Beziehung schienen beseitigt. Sie konnten wieder unaufgeregt miteinander umgehen.

Gundi folgte ihm auf dem Weg zur Tanzfläche. Die stolze Haltung und ein leichtes Lächeln um den hübschen Mund verrieten: Auch sie war froh darüber, dass die Probleme zwischen ihnen überwunden waren.

Mit der derzeit aufgelegten Musik stellte der DJ einmal mehr den Weg zur schlanken Linie in den Mittelpunkt seiner Bemühungen, indem er flotte Rhythmen geräuschvoll in die Boxen schickte und die gesamte Tänzerschaar zu schweißtreibenden Verrenkungen nötigte. Unterhaltungen zwischen den Tanzpartnern wurden damit von vornherein auf eine Verständigung über das Notwendigste durch Zeichensprache beschränkt. Erst nach einer anstrengenden halben Stunde hatte der „Plattenspieler“ ein Einsehen und schaltete um auf Engtanz und Stehtango.

Augenblicklich führte dies zwischen Gundi und Peter wieder zu einer gewissen Spannung. Peters gelöstes Mienenspiel wich wieder einem ernsten, konzentrierten Gesicht - Ausdruck seines unübersehbaren Bestrebens, weitere Disharmonien zwischen ihnen unter allen Umständen zu vermeiden.

Seine Versuche, Körperkontakte unter Nabelhöhe zu umgehen, quittierte Gundi mit einem dankbaren Lächeln. Gerührt nahm sie seine Rücksichtnahme als Zeichen dafür, dass sein Empfinden für sie, wie umgekehrt auch, über den Wunsch nach einem One-Night-Stand deutlich hinausging.

Da war es zurück, das Flattern in Gundis Bauch. Sollte sich die Beziehung zu diesem immer noch Fremden wirklich zu mehr entwickeln als zu einer flüchtigen Bekanntschaft? Sie wünschte es sich. Aber ihr war klar: Der vorsichtig gewordene Peter würde seine Zurückhaltung nicht mehr aufgeben. Jedenfalls nicht heute.

Wenn sie also wollte, dass sich das Bauchflattern zu einem Prickeln weiterentwickelte, zu einem Prickeln, das sich auf die Gegend unter dem Bauchnabel konzentrierte - und sie wollte es ganz sicher -, dann war es jetzt an ihr, die Initiative zu ergreifen.

Gundi atmete tief durch. Dann mal los, sprach sie sich selbst Mut zu.

Zunächst versuchte sie es mit einer kleinen, unabsichtlich erscheinenden Bewegung ihrer Hüfte gegen seine Mitte.