Silk and Sin - Ein unmoralisches Angebot - Robin Schone - E-Book
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Silk and Sin - Ein unmoralisches Angebot E-Book

Robin Schone

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Beschreibung

Verbotenes Verlangen in der sittenstrengen viktorianischen Zeit: Der Roman »Silk and Sin – Ein unmoralisches Angebot« von Robin Schone als eBook bei venusbooks. Sie sehnt sich nach seinen Berührungen – doch diese Leidenschaft könnte sie verbrennen … England im 19. Jahrhundert. Durch und durch eine Lady – dieses Kompliment hat für Anne einen bitteren Beigeschmack: Denn insgeheim träumt sie schon so lange davon, begehrt zu werden und die engen Fesseln der Sittsamkeit abzuschütteln. Der ebenso geheimnisvolle wie düstere Michel des Anges könnte dies nun wahr werden lassen: Seine Verführungskünste, so wispern die Damen Londons hinter vorgehaltener Hand, sind legendär! Anne lässt sich auf ein verbotenes Arrangement mit ihm ein – und ahnt nicht, dass ausgerechnet sie Michels versteinertes Herz wieder zum Schlagen bringen könnte. Doch welchen Preis werden sie beide dafür zahlen? »Robin Schone verbindet Romantik und Erotik auf eine Weise, die die Grenzen des Liebesromans neu auslotet.« The Literary Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Silk and Sin – Ein unmoralisches Angebot« von USA-Today-Bestsellerautorin Robin Schone ist der erste Roman ihrer sinnlichen »Silk and Sin«-Reihe jenseits aller Tabus. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 543

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Über dieses Buch:

England, im 19. Jahrhundert. Durch und durch eine Lady – dieses Kompliment hat für Anne einen bitteren Beigeschmack: Sie sehnt sich schon so lange danach, begehrt zu werden und die Fesseln der Sittsamkeit abzuschütteln. Ein Traum, den der ebenso charmante wie geheimnisvolle Michel des Anges wahr werden lassen könnte: Seine Verführungskünste, so wispern die Damen Londons hinter vorgehaltener Hand, sind legendär! Anne lässt sich auf ein leidenschaftliches Spiel mit ihm ein – obwohl sie weiß, dass Liebe zwischen ihnen niemals eine Rolle spielen darf. Dabei könnte ausgerechnet sie die Eine sein, die Michels kaltes Herz zum Schmelzen bringt … Aber können sie gemeinsam den Schatten seiner dunklen Vergangenheit entkommen?

»Mit einer prickelnden Mischung aus Erotik und Romantik lotet Robin Schone die Grenzen des Romance-Genres aus.« The Literary Times

Über die Autorin:

Robin Schone begann schon mit 15 Jahren romantische Geschichten zu schreiben, heute ist sie eine gefeierte amerikanische Bestsellerautorin. Für ihre stets außergewöhnlichen und beliebten historischen Liebesromane wurde sie 2008 von der Romantic Times ausgezeichnet. Robin Schones Romane wurden bereits in 13 Sprachen übersetzt. Sie lebt mit ihrem Mann in den USA.

Die Website der Autorin: www.robinschone.today/

Bei venusbooks erscheint auch ihr historischer Liebesroman Verführt von einem Lord.

***

eBook-Neuausgabe November 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2004 unter dem Titel Im Zauber der Verführung bei Ullstein, ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Robin Schone

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel The Lover bei Kensington Publishing Corp., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 by RM Buch und Medien Vertriebs GmbH

Copyright © der Originalausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY 10018 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von Period Images und shutterstock/Robert_Chlopas

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-639-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »In den Armen des Earls« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

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Robin Schone

In den Armen des Earls

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elisabeth Schulte-Randt

venusbooks

Ich widme dieses Buch:

RBL ROMANTICA, einer Website, auf der jede Menge schöner Körper zu besichtigen sind; und den vielen außergewöhnlichen Frauen, die sich für dieses Projekt einsetzen – danke für eure Unterstützung, meine Damen.

Nora Coffey, Gründerin von HERS, Hysterectomy Educational Resources & Services, einer internationalen Organisation für Frauengesundheit, die es sich zum Ziel gesetzt hat, über Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) und deren Folgen für das Leben der Frauen aufzuklären.

Mimi (Meserak) Ramsey, Gründerin von FORWARD USA, einer (nicht profitorientierten) Organisation, die für eine zweifache Zielsetzung arbeitet: weibliche Genitalverstümmelung auszurotten, wo immer sie noch praktiziert wird, und den jungen Mädchen und Frauen beizustehen, die Opfer von Genitalverstümmelung geworden sind.

Linda Hyatt, meiner Agentin, und Kate Duffy, meiner Herausgeberin; ihr Lob und ihre Ermutigung waren entscheidend, um meine Bedenken zu überwinden, dieses Mal wirklich die Grenze des Erlaubten überschritten zu haben.

Meiner Mutter – Mom, hier ist die Jungfrau, die du wolltest! Ein wenig unbedarft vielleicht ...

Selbstverständlich auch der Bibliothek von Roselle, deren Angestellte nichts unversucht ließen, Bücher über die Geschichte der heterosexuellen männlichen Prostitution zu beschaffen (ein wahrhaft wohl gehütetes Geheimnis, das können Sie mir glauben).

Und Don, meinem unbarmherzigsten Kritiker und glühendsten Verehrer.

Anmerkung der Autorin

So weit sind wir noch nicht, meine Lieben!

Sie machen sich keine Vorstellung, über wie vielen Büchern ich gebrütet habe bei dem Versuch, die Geschichte der männlichen Prostitution nachzuzeichnen. Eigentlich wollte ich nur herausfinden, wie sich die Situation im neunzehnten Jahrhundert darstellte. Dabei entdeckte ich, dass der Begriff Gigolo erst um 1920 geprägt wurde. Historiker gehen davon aus, dass das Phänomen selbst nicht vor dem zwanzigsten Jahrhundert aufgetreten ist; denn die Frauen besaßen bis in die jüngste Vergangenheit keine gesetzliche Verfügungsgewalt über ihr eigenes Vermögen. Folglich hatten sie nicht die finanziellen Mittel, sich die Gunst eines Mannes zu erkaufen; mit Ausnahme der Mitgift, wenn sie heirateten.

Sicher, so kann man die Sachlage sehen, aber ...

Immerhin gibt es historisch ältere Bezeichnungen für Männer, die sich Frauen anbieten. Sie sind aufgelistet in A Dictionary of the Vulgar Tongue von Francis Grose, zum ersten Mal erschienen um 1790. Eines dieser Wörter hat meine besondere Aufmerksamkeit erregt. Der Begriff existiert noch heute: Hengst.

Möglicherweise hat man unseren Ur-Ur-Ur-Großmüttern nicht zugetraut, dass auch sie Mittel besaßen, um sich sexuelle Dienste zu erkaufen. Aber sie hatten sie. Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig sich die technischen Möglichkeiten und die Moral seit dem Ende des Viktorianischen Zeitalters verändert haben. Es gab bereits modern ausgestattete Badezimmer mit fließendem warmen und kaltem Wasser und einer Toilette mit Wasserspülung – zumindest für alle, die sich diesen Luxus leisten konnten. Das Gleiche gilt für Annehmlichkeiten wie Strom und Telefon.

Die großen Warenhäuser wurden in dieser Zeit gegründet. Von Pferden gezogene Busse – Omnibusse genannt – beförderten für geringes Entgelt all die Menschen, die nicht reich genug waren, um sich ein eigenes Gespann zu leisten oder mit dem Taxi zu fahren. Um 1860 wurde eine Untergrundbahn gebaut, damit Arbeiter aus der Innenstadt Londons in die Randbezirke gelangen konnten.

Insgesamt gesehen verfügen wir heute nur über wenige Annehmlichkeiten, die unsere viktorianischen Vorfahren in der einen oder anderen Form nicht bereits besessen hätten.

Gynäkologen untersuchten die Frauen genauso wie heute mit einem Spekulum. Das Diaphragma, ein Verhütungsmittel für Frauen, um 1870 von einem deutschen Arzt entwickelt, erfreute sich bei unseren »steifen« viktorianischen Ahninnen schnell großer Beliebtheit. (In den Vereinigten Staaten von Amerika wurde allerdings der Gebrauch des Diaphragmas erst ab 1920 üblich, ungefähr zur selben Zeit, als auch der Begriff des Gigolo aufkam. Ein Zufall, meinen Sie?)

Man hatte Toilettenpapier und es gab Hygienetücher. Mit anderen Worten, das Zeitalter von Königin Viktoria war weniger rückständig, als wir gemeinhin glauben. Auch waren die Frauen auf dem Gebiet der Sexualität nicht so unwissend oder passiv, wie der Mythos uns allgemein glauben machen will.

Eines jedoch hat sich seit dem Viktorianischen Zeitalter bis heute nicht geändert, und das ist die Unterdrückung von Erotik und Sexualität.

Mein Buch ist eine Einladung an Sie, die Frau als sexuelles Wesen zu würdigen. Weibliche Sexualität ist ein Geschenk. So sollte sie auch geschätzt und respektiert werden. Wie alle Menschenrechte ist auch das Recht auf die freie Entfaltung der eigenen Sexualität immer gefährdet und kann, wenn wir nicht achtsam sind, uns jederzeit wieder genommen werden.

1. Kapitel

Tod.

Begehren.

Michael wusste nicht, was von beidem ihn nach London zurückgebracht hatte.

Er saß da und wartete auf die Antwort.

Um ihn war Stimmengewirr. Es schwoll an und wurde wieder schwächer. Brennende Zigarrenspitzen glommen wie die roten Augen hungriger Ratten. Kerzen flackerten. Kristall glitzerte. Juwelen funkelten.

Damen in eleganten Seidenroben und Herren im schwarzen Abendanzug fluteten in einem ständigen Strom über die gewundene Eichentreppe nach oben und unten. Ihre Schritte wurden durch einen dicken roten Läufer gedämpft.

Er fragte sich nicht, was sie in dieses exklusive Etablissement geführt hatte. Im »Gabriel's« waren die Getränke überteuert und die Zimmer wurden zu einem eindeutigen Zweck vermietet.

Aus einer dunklen, samtverhangenen Ecke klang das Kichern einer Frau.

Michael wusste genau, was die Männer an den umstehenden und von Kerzen beleuchteten Tischen flüsterten, während sie darauf warteten, die gesuchte Erleichterung zu finden, oder sich von den Anstrengungen erholten, die sie die Lust gekostet hatte. Er wusste, worüber die an ihrem Champagner nippenden Huren lachten.

Michel des Anges.

Michael bei den Engeln.

Ein Mann, den Frauen einst für seine Dienste bezahlten und der heute selber zahlen musste, wenn er eine Frau wollte.

»Mon frère.« Ohne Vorwarnung erschien Gabriel an seiner rechten Seite. Er berührte Michael nicht. Schon seit langem berührte Gabriel niemanden mehr. »Sie ist hier.« Langsam wandte Michael den Kopf in Gabriels Richtung. Ihre Blicke prallten aufeinander. Tiefblaue Augen, die fast violett waren, sahen in silbern glänzende Augen. Gabriel blieb vollkommen ruhig, als er Michaels Gesicht sah. Auch Michael reagierte mit keiner Regung auf den überweltlich schönen blonden Gabriel.

»Meine beiden Engel«, hatte die Bordellwirtin des »Maison de Rendezvous« vor siebenundzwanzig Jahren zu ihnen gesagt, nachdem sie die zwei Jungen in Paris von der Straße geholt und vor dem Hungertod gerettet hatte. »Für die Frauen den dunklen Engel, den blonden für die Männer.«

Damals waren sie zwei dreizehnjährige Ausreißer gewesen. Heute waren sie vierzig und erwachsene Männer. Vor der Vergangenheit liefen sie noch immer davon.

»Ist sie allein?«, fragte Michael.

»Ja, sie ist allein.«

Michaels Hoden zogen sich zusammen.

In freudiger Erwartung. Vor unterdrücktem Zorn.

Diese Frau, die zu ihm kam, weil sie sexuelle Befriedigung suchte, verdiente ihr Schicksal nicht.

»Noch ist es nicht zu spät«, murmelte Gabriel. »Ich kann sie fortschicken und ihr wird nichts geschehen.«

Vor fünf Jahren hätte Michael zugestimmt. Damals hatte er sein Geheimnis sicher verwahrt geglaubt.

Zu spät.

Sie saßen beide in der Falle; die Frau wegen ihrer Suche nach Vergnügen, er wegen seines Bedürfnisses nach Rache.

Michael lächelte. Er kannte die Wirkung seines Lächelns. Wenn sich seine dunkle Haut zu Falten verzog, entstand ein eher abstoßender als anziehender Eindruck.

Seinem Lächeln fehlte jede Spur von Heiterkeit. »Du übereilst die Dinge, mon vieux. Ein Blick in mein Gesicht, und sie kommt womöglich zu dem Ergebnis, dass sie übervorteilt wurde.«

»Man hat sie in gewisser Weise aufgeklärt, bevor sie hierher kam.« Gabriels Stimme traf Michael wie ein Peitschenhieb. »Du kannst sicher sein, ihr Anwalt wird ihr mitgeteilt haben, was sie erwartet.«

Wie könnte nur irgendjemand eine Frau auf das vorbereiten, was er heute war? Wie könnte nur irgendeine Frau ihn noch begehren?

»Bist du nicht deshalb zusammengezuckt, Gabriel?« Michaels Entgegnung war beißend scharf. »Weil du wusstest, was dich erwartet?«

»Lassen wir die Sache auf sich beruhen.« Licht und Schatten huschten über Gabriels makellose Züge. »Zusammen werden wir eine andere Lösung finden.«

Aber es gab keine andere Lösung. Schon vor siebenundzwanzig Jahren hatte es keine gegeben.

Ohne Gefühlsregung überdachte Michael die Konsequenzen seines Plans. Er wusste, nichts würde den unweigerlichen Ausgang dieser Begegnung verhindern.

Das Leben einer Frau, geopfert für die Rache.

Sechs Menschen waren tot. Was bedeutete einer mehr?

»Führe sie an meinen Tisch.«

Gabriel machte keine Bewegung. »Brauchst du so verzweifelt eine Frau, Michael?«

Michael unterdrückte ein Stöhnen. Ja, er brauchte verzweifelt eine Frau.

Madame, die Bordellwirtin im »Maison de Rendezvous«, hatte ihm gezeigt, wie er Erlösung von seinen Qualen finden konnte. Er hatte gelernt, das Grauen der Kindheit zu vergessen, wenn er im Duft und im Geschmack von Frauen schwelgte. Das Vergnügen der Frauen hatte ihm keinen Frieden, aber Linderung verschafft. Nun zuckten nur Huren unter seiner Berührung nicht zusammen.

Er ertrug das Leben nicht länger, das er seit fünf Jahren führen musste, gefangen in einem Körper, der ihm den einen Ausweg nicht gestattete, durch den sein Dasein erträglich blieb. Lieber würde er sterben – und den Mann mitnehmen, der für sein Schicksal verantwortlich war. Für ein Leben, das aus ihm einen Hengst gemacht hatte, der an jede Frau verkauft wurde, die den geforderten Preis zahlen konnte; und für die Nacht, in der ihm auch diese Möglichkeit genommen wurde.

Mit ausdrucksloser Miene erwiderte Michael den reglosen Blick Gabriels. »Du etwa nicht, Gabriel?«

Die Kerzenflamme neigte sich flackernd, wie durch ein zischendes Ausatmen. Oder der Mann und die Hure am Tisch nebenan hatten sich heftig bewegt.

Die anderen hatten ihre Zeit gehabt. Jetzt kam Michaels Stunde.

Gabriel verschmolz stumm mit den Schatten des Hauses, in denen er gegenwärtig lebte. Minuten später erschien er wieder im Bogendurchgang. Sein blondes Haar umstrahlte ihn wie ein silberner Lichtkranz. An seiner Seite war eine Frau. Sie trug einen Abendumhang aus grauem Samt, die Kapuze tief über den Kopf gezogen. Der Samtumhang war elegant und teuer. Er verhüllte mehr, als er zeigte. Ganz sicher verbarg sich keine Prostituierte darin.

Die Frau zögerte im Türbogen, als wüsste sie nicht recht, ob sie näher treten sollte, in dieses Haus, wo alle Gelüste, die ein Mensch haben konnte, Befriedigung fanden.

Lust. Leiden. Das »Gabriel's« kannte keine Tabus.

Zorn wallte in Michael auf. Er brannte heißer und heller als Feuer. Nicht immer hat Feuer getötet. Er würde den gleichen Fehler nicht noch einmal machen.

Seine Gedanken wanderten weiter, zu der bevorstehenden Nacht. Sofort wurde sein Glied hart. Ihm fiel ein, wie er sich früher gefühlt hatte, wenn er mit einer Frau schlief, die ihn wollte. Er stellte sich vor, wie die heutige Nacht sein würde, mit dieser Frau.

Es gab nichts, das er nicht für ihr Vergnügen tun würde. Um sie zum Orgasmus zu bringen, würde er jeden Teil seines Körpers einsetzen. Seine Lippen. Seine Zunge. Seine Zähne. Seine Hände. Sein Glied. All dies würde er benutzen, und noch mehr. Sengende Küsse. Folternde Liebkosungen mit seiner Zunge. Bisse, bis an die Grenze des Lustschmerzes. Streicheln, das sanft war wie ein Seufzer. Mit den Fingern würde er tief in sie eindringen, und dann kamen die tieferen Stöße mit seinem Penis.

Er wollte Rache, bei Gott. Aber die Leidenschaft einer Frau ersehnte er noch mehr.

Die Frau blieb an seinem Tisch stehen. Michael zwang sich zu vollkommener Ruhe. Das Gesicht der Frau war unter der Kapuze frei geblieben, aber die Züge lagen im Schatten und waren nur als blasses Oval erkennbar.

Michael spürte, wie sie ihn anstarrte. Seit fünf Jahren starrte ihn jede Frau auf diese Weise an.

Er bezweifelte keine Sekunde, wohin sie sah. Die Flammen hatten über seine rechte Wange geleckt wie die liebkosende Zunge einer Frau.

Er straffte sich, um vorbereitet zu sein; auf ihr entsetztes Atemholen, auf die zornige Zurückweisung: Das ist nicht Michel des Anges.

Dies ist nicht der Mann, den Frauen für seine sexuellen Dienste bezahlen.

Michael bekämpfte seinen Drang, den Kopf abzuwenden, um ihrer Musterung zu entkommen. Stattdessen erlaubte er der Kundin, sich anzusehen, was sie als Gegenleistung für ihre zehntausend Pfund erhielt. Zehntausend Pfund, das war der Preis, den ihr Anwalt für einen Monat seiner Dienste geboten hatte.

Ein aufgeregtes Raunen legte sich über das Frauengekicher und das Gemurmel, mit dem die Männer ihre Mutmaßungen äußerten. Wetten wurden abgeschlossen und Geldsummen bestimmt.

Michaels linke Schläfe pochte im Rhythmus mit dem hypnotisierenden Wechsel zwischen Licht und Dunkel. In ihm stiegen Bilder hoch. Sie leuchteten kurz auf wie bemalte Glasplatten einer Laterna Magica; ein lachendes junges Mädchen; eine keuchende Frau mittleren Alters. Wippende Brüste. Tausende von Würmern, die sich wanden.

Tod.

Verlangen.

Beide streckten die Hand nach ihm aus und erwarteten ihn.

»Monsieur des Anges.«

Plötzlich war das Warten vorüber.

Als entginge ihr völlig das Aufsehen, das sie erregten – eine offensichtlich wohlhabende Dame in der Gesellschaft des unberührbaren Engels Gabriel und des von Narben entstellten Michel des Anges –, nahm die Frau auf dem Stuhl Platz, den Gabriel ihr hinschob. Ihr Samtumhang raschelte, das Holz quietschte leise.

»Monsieur des Anges«, wiederholte die Besucherin leise mit ihrer kultivierten und überraschend erotischen Stimme. »Erfreut, Sie kennen zu lernen.«

Im schmeichelnden Kerzenlicht sah Michael ihr festes Kinn und die runden Wangen. Hinter einer äußerlich gesammelten Miene war ihre Nervosität körperlich fühlbar.

Gewaltsam unterdrückte Michael seine starke sexuelle Bereitschaft, die ihm in zwei Ländern ein Vermögen eingebracht hatte.

Ihr Anwalt hatte mitgeteilt, der Vertrag sei erst gültig, wenn die Prüfung bei diesem ersten Treffen zufrieden stellend ausfiel. Sie könnte noch immer aufspringen und gehen. Sollte dies geschehen, würde er um sie werben. Michael wollte sie nicht mit Gewalt nehmen. Sie sollte ihn begehren. Das Verlangen, von ihr gewollt zu werden, war so groß, dass er zitterte.

Michael sprach ruhig und leichthin, als wären keine fünf Jahre vergangen, seit er zum letzten Mal einer Frau gegenüber am Tisch gesessen hatte. Als wären keine fünf Jahre vergangen, seit eine Frau seinem Blick begegnet war, ohne zusammenzuzucken. »Möchten Sie Champagner ... Madame?«

»Ich bin nicht verheiratet, Monsieur. Falls Sie das fragen wollten.«

Er war über ihren Familienstand vollkommen im Bilde. Sie hieß Anne Aimes, war sechsunddreißig Jahre alt und ledig, eine unscheinbare Jungfer mit blassblauen Augen und von Silberfäden durchzogenem Haar, das weder blond noch braun war.

Niemand würde Fragen stellen über ihren Verbleib. Niemand würde sie vermissen. Kein Mensch empfand Verlangen nach ihr – nur er.

»Es spielte keine Rolle, wären Sie verheiratet«, erklärte Michael wahrheitsgemäß.

»Ja. Das denke ich mir ... Danke.« Die Luft schwirrte von einem Gefühl der Gewahrwerdung. Diese Frau wusste um ihre weibliche Schwäche, mit der sie seiner harten männlichen Natur ausgeliefert war. »Ich hätte gern Champagner. Ja, bitte.«

Hinter ihr hob Gabriel die Hand, gab dem Ober ein Zeichen und verschwand wieder in die Schattenwelt seines Hauses. Augenblicklich erschien ein Kellner. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Frack und eine rote Bauchbinde. Auf einer Hand balancierte er über dem Kopf ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Champagnerflasche in einem silbernen Kühler.

»Die Bedienung hier ist sehr gut«, sagte Anne Aimes steif.

Michael fragte sich, ob sie wusste, dass der Kellner nicht nur an den Tischen bediente, sondern auch für die Befriedigung sexueller Gelüste zur Verfügung stand.

Er fragte sich, ob sie sich zwischen seidenen Laken noch immer so steif und förmlich verhalten würde. Wie lange würde sie ihre Theatervorstellung durchhalten, bis sie angeekelt und schreiend in die Nacht floh?

Bei dem bittersüßen Gefühl der Belustigung leuchteten Michaels Augen für einen Moment auf. »Gabriels Etablissement ist bekannt für die außergewöhnliche Qualität seiner Dienstleistungen.«

Michael winkte den Kellner weg, als dieser den Champagner einschenken wollte. Er umfasste mit der rechten Hand den schlanken Hals der Champagnerflasche und nahm ein Kristallglas in seine Linke. Absichtlich hielt er beide Hände in das helle Licht. Sie sollte sehen, was er jeden Tag seines Lebens vor Augen hatte.

Wenn sie nicht standhielt und den Anblick der rot und weiß hervortretenden Narben und Striemen nicht ertrug, die seine Hände von den Fingerspitzen bis zu den Handgelenken entstellten, ertrug sie auch nicht, von ihm berührt zu werden.

Mit dem Blick folgte sie seinen Bewegungen. Sie sah von seinen Fingerspitzen zu den weißen Manschetten, die unter den Ärmeln seines Abendanzugs hervorschienen.

Jetzt würde sie sich abwenden, wie jede Frau sich abgewandt hatte – mitleidig, angewidert, geringschätzig.

»Sie haben Brandverletzungen.«

Seine Finger spannten sich um die Flasche und den Champagnerkelch. Er spürte die Oberfläche und nahm die Kühle auf, als bezöge er Kraft aus dem Glas, das durch einen Verwandlungsprozess im Feuer entstanden war. Die Erinnerung an seine verzweifelten Schmerzensschreie mischten sich mit den Erinnerungen an die Frauen und ihre Schreie, wenn er sie zur Ekstase gebracht hatte.

»Ja, ich bin bei einem Brand verletzt worden«, bestätigte er tonlos und war erstaunt, wie ruhig seine Hände blieben, als er den Champagner einschenkte.

Mit steifer Brust bot er ihr ein Glas von dem perlenden Getränk an und wartete ... Auf ein Wunder, das den nie endenden Schrecken auslöschen würde. Darauf, dass diese Frau ihn wollte, wie er sie nehmen wollte; nie ermüdend, ohne Ende.

Über seinen Rücken rieselte ein Schauer. Michael ließ beinahe das Glas fallen, als er die seidige Berührung ihrer behandschuhten Finger spürte.

Fünf Jahre waren vergangen, seit eine Frau seine Hand berührt hatte. Huren hatten sein Glied selbst in sich eingeführt, damit seine narbige Haut sie nicht streifte.

Anne Aimes schien das Ereignis ungerührt zu lassen. Sie neigte den Kopf und nippte an dem Champagner. Der Schatten ihrer Kapuze fiel auf die golden perlende Flüssigkeit. Mit einer festen Bewegung stellte sie das Glas auf das weißseidene Tischtuch zurück. »Warum nennen Sie sich Michel ... des Anges?«

Die Frage kam überraschend. Für einen Augenblick wusste er nicht, was er sagen sollte.

So viel Zeit war vergangen, seit er Michel gewesen war.

Warum wies sie ihn nicht zurück?

Er senkte seine dichten schwarzen Wimpern über die Augen. Das war ein Trick von Michel, einstudiert während seiner Ausbildung bei Madame. »›Voir les Anges‹«, sagte er leise und fragte sich, wie gewagt seine Erklärung sein durfte.

Manche Frauen mochten das unverblümte Gespräch über Sex. Andere zogen erotische Umschreibungen vor. Er verstand diese Jungfer nicht.

Sie übersetzte sorgfältig seine Worte, als hätte sie außerhalb der Mauern ihres Mädchenpensionats niemals Französisch gesprochen. »Die Engel sehen.«

»›Engel sehen‹«, korrigierte er sanft und beobachtete sie dabei. »Das ist der französische Ausdruck für: einen Orgasmus haben.«

Das war nicht die Erklärung, die sie erwartet hatte.

»Sie haben sich den Namen gegeben, weil sie die Gabe besitzen, einen Orgasmus zu haben?«

Er schenkte sich bedächtig Champagner ein und ließ sie auf seine Antwort warten. Dann stieß er die Flasche tief in das Eis zurück, als wäre sie sein Phallus und der Kühler ihre Scheide. »Chérie«, schnaubte er. »Ich trage diesen Namen wegen meiner Fähigkeit, Frauen zum Orgasmus zu bringen.«

Ihr Erschrecken verwandelte sich in glühende Erkenntnis. Auf einmal wurden ihr ihre erotischen Bedürfnisse bewusst und dass er in der Lage war, sie zu befriedigen. Sex war ein aufregendes Spiel. Ein gewagtes Spiel. Ein Spiel, bei dem sogar eine ältliche Jungfer mitmachen konnte. Falls sie die Mittel besaß, sich dieses Vergnügen zu leisten.

Sie spielte mit dem Stiel ihres Champagnerkelchs. »Sie haben mit vielen Frauen geschlafen.«

Ihr Satz war nicht als Frage gemeint.

»Ja.«

Zuerst in Frankreich, dann in England.

»Haben Sie jede dieser Frauen zum Orgasmus gebracht?«

Der Widerhall längst vergangener, aber in der Erinnerung lebendiger Leidenschaft klang in seinem Kopf. Jede Frau macht ein unverwechselbares Geräusch, wenn sie ihren Höhepunkt erreicht.

»Jede Frau.« Michael schlang die Finger um sein Glas und umschloss es wie die Wölbung einer weiblichen Brust. »Jedes Mal.«

Funkelnder Champagner tropfte auf ihre Hand. Er hinterließ einen dunklen Flecken auf ihrem blassgrauen Seidenhandschuh.

»Ich bin Jungfrau.«

Jesus Maria. Damit hatte er nicht gerechnet.

Anne Aimes war eine unscheinbare Person, aber in ihrem Leben musste doch wenigstens ein Mann gewesen sein, mit dem sie ihre Erfahrungen machen konnte – ein Freund aus ihrer Kindheit; ein Junge, der sich mehr dafür interessierte, die weiblichen Mysterien zu erforschen, als den Schönheiten in der Nachbarschaft den Hof zu machen. Ein Lakai, ein Stalljunge. Irgendjemand.

Er hatte noch nie mit einer Jungfrau geschlafen.

»Warum?«, schnaubte er und war jetzt Michael, nicht Michel, der nie allein in einem Bett gelegen hatte.

Warum sollte eine Frau ihre Jungfräulichkeit ausgerechnet einem Mann von seinem Aussehen opfern?

Sie warf den Kopf nach hinten. Der trügerische Moment erotischer Spannung war zerstört. »Wie bitte?«

Michael neigte sich zu ihr, die Augen zusammengekniffen und das Gesicht nur wenige Zentimeter von der Kerze entfernt, deren Flamme leicht außer Kontrolle geraten und ihn erneut verbrennen konnte. »Für zehntausend Pfund würde jeder Junggeselle in diesem Etablissement Sie heiraten. Der Sprecher des Unterhauses sitzt nur drei Tische entfernt. Baron Stinesburg befindet sich direkt hinter Ihnen. Warum tun Sie das? Ausgerechnet mit mir?«

Die Flamme bewegte sich. Ihr Licht fiel auf eine schlanke Nase und auf blasse Lippen, die weder voll noch dünn waren und sich jetzt strafften. »Vielleicht, Monsieur des Anges, habe ich den Tod zu gut kennen gelernt, um mich vor ein paar Narben zu fürchten. Vielleicht möchte ich Engel sehen.«

Michaels Atem stockte in der Brust.

Tod.

Begehren.

Der Kreis schloss sich.

Sie verdiente ihr Schicksal nicht. Aber die Menschen vor ihr hatten ihr Los auch nicht verdient.

Michael stellte das Champagnerglas sorgfältig auf das weißseidene Tischtuch zurück. »Ich werde Sie mit diesen Händen liebkosen. Ich werde mit diesen Fingern in Sie eindringen. Können Sie aufrichtig sagen, dass Sie unter meiner Berührung nicht zusammenzucken werden?«

Die Flamme der Kerze flackerte und knisterte.

Anne Aimes neigte das Kinn. »Das kann ich nicht, Sir. In meinen Körper sind noch nie Finger eingedrungen, gleichgültig von wem. Und ich möchte hinzufügen, meine Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie viele Finger Sie benutzen werden, um in mich einzudringen.«

Michael wollte keiner Frau die Unschuld rauben.

»Wissen Sie, was geschieht, wenn ich mit Ihnen ins Bett gehe?«

»Wüsste ich es nicht, wäre ich kaum hier.«

Widerstrebend musste Michael sich eingestehen, dass er diese Frau bewunderte.

Anne Aimes besaß Stärke. Es war die Stärke der Unwissenden.

Sie konnte unmöglich ahnen, welche Wonnen er ihr abringen und zu welchen Höhepunkten er sie führen würde.

»Noch ist es nicht zu spät.« Er wusste, woher die Worte zu ihm kamen. Vielleicht lebte in den Tiefen seiner Seele ein Rest des Mannes, der er hätte werden sollen. »Noch können Sie Ihre Meinung ändern.«

Nein, sogar diese plötzliche galante Geste war Lüge.

Er würde Anne Aimes nicht erlauben, vor dieser Nacht zurückzuschrecken. In dem Augenblick, als sie ihren Anwalt zu ihm schickte, um ihn aus seinem fünfjährigen Exil in die Welt zurückzuholen, hatte sie ihr Schicksal besiegelt.

Ihre Schultern strafften sich unter den Falten des weiten grauen Samtumhangs. »Ich habe nicht die Absicht, meine Meinung zu ändern.«

Michael stellte sich vor, wie sie nackt aussehen mochte, ohne den Mantel, hinter dem sie sich vornehm verbarg. Mit entblößten Brüsten, die Schenkel gespreizt und von der Erlösung nur einen Schrei entfernt.

Die sexuelle Bereitschaft, die er sorgfältig im Zaum gehalten hatte, durchfloss ihn heiß.

Sie spürte die Woge und ließ sich ergreifen.

Schön war sie nicht, diese Frau, die zu ihm gekommen war, um ihr Vergnügen zu suchen. Aber er verlangte keine körperliche Schönheit.

Anne Aimes wollte ihn. Trotz seiner Narben. Das war mehr als genug.

Er würde sie nicht enttäuschen. Für die vereinbarte Zeit, die sie miteinander verbrachten, würde er Michel sein – der Mann, der den Frauen die Engel zeigte; der Mann, der ihnen den Tod brachte.

»Einen Monat. Einen Monat der Wonne.« Michael stieß sein Glas über den Tisch. Es prallte mit dem Fuß des schweren silbernen Kerzenleuchters zusammen. Das Kristall vibrierte mit einem hellen Ton, der die Endgültigkeit ihrer Abmachung zu bekräftigen schien. »Ich werde alles tun, was Sie wünschen. So oft Sie wollen.«

Die Spitze ihrer Zunge schien rosafarben auf, als Anne Aimes mit einer flinken Bewegung die Lippen befeuchtete. »Dafür bezahle ich Sie, Monsieur des Anges.«

Michael verzog lächelnd den Mund.

Anne Aimes war noch nicht lange reich. Sie musste erst lernen, dass Männer nicht vom Geld beherrscht wurden. Männer wurden von ihrer Sexualität beherrscht. Der Drang nach Rache beherrschte sie. Geld bot ihnen lediglich die Möglichkeit, diesen beiden Bedürfnissen noch hemmungsloser nachzugehen.

»Ich versichere Ihnen, Chérie, ich werde nicht vergessen, wofür Sie mich bezahlen.«

Michael schob seinen Stuhl zurück, erhob sich und streckte die Hand aus. Sie zögerte nur eine Sekunde, dann nahm sie die angebotene Hand. Jubel stieg in ihm auf, gefolgt von einer Woge der Begierde, die ihn mit ihrer Wucht beinahe in die Knie zwang.

Michael führte Anne durch die von Kerzen beleuchteten Tischreihen, sorgfältig darauf bedacht, ihr Gesicht im Schatten zu halten, während er sein Gesicht mit Absicht den Männern darbot, deren Geliebten, Ehefrauen oder Töchter er früher beglückt hatte.

Morgen würde sich die Nachricht bis in den letzten Winkel Englands verbreitet haben: Michel des Anges war zurückgekehrt. Er mochte entstellt sein, aber eine Dame hatte für seine Dienste bezahlt.

Anne Aimes öffnete den Mund, als sie erkannte, wohin sie unterwegs waren. »Man gab mir zu verstehen, in den oberen Stockwerken seien Zimmer, in denen wir ... uns begegnen können.«

Ja, oben gab es Zimmer. Prunkvolle Gemächer mit verspiegelten Wänden und mit allem versehen, was nötig war, damit Männer und Frauen ihre Sexualität auf jede nur erdenkliche Weise ausleben konnten. Michael wollte nicht, dass ihr erstes Mal in einem Stundenhotel stattfand. Zumindest das konnte er Anne Aimes geben. Er wandte sich entschlossen um, schob Anne in eine Nische auf der anderen Seite des Bogendurchgangs und nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände. Sie verzog keine Miene, als seine rauen Brandnarben auf ihre Haut trafen. Hart und unbarmherzig presste er Anne mit seinen Lenden gegen die Wand und hielt sie dort fest. Unter dem Umhang spürte er ihr Korsett, die Rüstung weiblicher Wohlanständigkeit. Die hervortretenden Brustknospen verbarg das mit Walfischknochen verstärkte Mieder nicht. Auch die Unterröcke, die sie in mehreren Lagen übereinander trug, konnten nicht verhindern, dass sie sich ihm mit einer sehnsüchtigen Bewegung ihres leicht gerundeten Unterbauchs entgegenbog.

Ihre Wangen waren weich und glatt wie Samt – noch weicher als ihr Umhang. Unter seinen Fingerspitzen pochte das Blut durch die Adern.

Angst.

Erregung.

Eine Prostituierte kannte die Gefahr ungehemmter Leidenschaft. Außerhalb eines Bordells oder eines Stundenhotels war eine Frau wehrlos. Man konnte ihr Fesseln anlegen. Man konnte sie vergewaltigen. Man konnte sie umbringen.

Aber Anne war keine erfahrene und mit allen Wassern gewaschene Hure. Sie war unverheiratet und Jungfrau und musste den Geschmack der Lust erst kennen lernen, die ein Mann ihr geben konnte – oder den Schmerz, den er für sie bereithielt. Sie wusste noch nicht, dass es ihr Tod sein konnte, einem Fremden zu vertrauen.

Michael beugte den Kopf vor. Er sog den Duft von Seife und Unschuld ein und das betörende Parfüm ihres Begehrens, das sich darin mischte.

Anne Aimes' Hunger war nicht so groß wie seiner. Noch nicht.

»Sie müssen mir vertrauen«, sagte Michael leise. »Wenn diese Nacht vorüber ist, kenne ich jeden Zentimeter Ihrer Haut. Ich erforsche jede Vertiefung, jede Öffnung, jede Höhle Ihres Körpers. Vertrauen Sie mir nicht außerhalb dieser Mauern, kann ich Ihnen kein Vergnügen schenken. Dazu brauche ich Ihr ganzes Vertrauen – bedingungslos und ohne Einschränkung. Sonst lassen sich die Vertragsbedingungen nicht erfüllen und ich wünsche Ihnen AuRevoir, hier und jetzt.«

Noch mehr Lügen. Er würde sie nicht verlassen. Nicht heute Abend. Nicht morgen.

Er küsste sie leicht. Zumindest seine Lippen hatte das Feuer verschont.

Es war nur die Andeutung eines Kusses, ein Atemhauch, ein kurzes Streifen mit seiner Zunge. Ein Vorspiel und ein Versprechen.

Elektrizität baute sich zwischen ihnen auf.

Ihr Begehren.

Sein Begehren.

Sie wollte mit einem Mann schlafen.

Er wollte sich in einer Frau verlieren.

Sein Glied war geschwollen bis zur Schmerzgrenze. Zumindest in dieser Nacht würden ihrer beiden Bedürfnisse erfüllt. Diese Botschaft schien sein Körper für ihn zu haben.

Anne Aimes rang nach Luft. Ihr Atem war süß vom Champagner. Darunter lag der beißende Geruch nach Zahnpulver. Michael fühlte einen merkwürdigen Stich in der Brust. Sie hatte sich die Zähne geputzt, bevor sie zu ihm kam. Aus Angst, er könnte sie abstoßend finden. Sie glitt zur Seite, weg von dem harten Drängen seiner Männlichkeit, und straffte unter dem Samtumhang die Schultern. »Ich versichere Ihnen, alles wird gemäß unserer vertraglichen Vereinbarung sein, Monsieur des Anges. Wollen wir aufbrechen?‹

Michael ließ sie vor sich hergehen, als sie die rauchgeschwängerte Sicherheit des Stundenhotels verließen und hinaus in die kühle Frühlingsnacht traten.

Er fragte sich, ob Anne Aimes ihn in einem Monat immer noch wollte.

Nein, die Frage lautete, ob sie in einem Monat noch am Leben war.

2. Kapitel

Michel des Anges erfüllte mit seiner Gegenwart den ganzen Raum der rüttelnden und klappernden Droschke. Er nahm Anne sogar den Sauerstoff zum Atmen. Von den Schultern bis an die Hüfte drang seine sengende Körperhitze durch ihren Umhang. Die Erinnerung an seinen Kuss brannte noch auf ihren Lippen. Sogar die Innenseiten pulsierten heiß. Sexuelle Erfüllung, ein Orgasmus. Sein Versprechen war lebendig spürbar.

Jede Frau, jedes Mal, ratterten die Räder der Droschke. Vor achtzehn Jahren war Anne ihm einmal begegnet und hatte gedacht, nie einen schöneren Mann als Michel des Anges gesehen zu haben. Nun gehörte er ihr, bezahlt von dem Geld, das ihre Mitgift hatte sein sollen. Anne wollte den Droschkenkutscher anschreien, er solle halten. Vielleicht wollte sie ihn auch drängen, noch schneller zu fahren, damit sie diese Nacht schneller hinter sich brachte.

Der Mann neben ihr sprach ein reines Englisch ohne jeden Akzent, als wäre er in England geboren und aufgewachsen. Dies war nicht der Mann aus ihrer Erinnerung. Mit Ausnahme seiner Augen, die von einem unglaublichen Blau waren, dunkel, fast violett. In ihnen leuchtete unverhohlene sexuelle Begierde.

»Sie haben gesagt, Sie würden alles tun, was ich wünsche.« Anne starrte auf die Tür der Mietkutsche. Durch das schmutzige Fenster drang für einen kurzen Moment das Licht einer Straßenlaterne ins Wageninnere und erleuchtete die abgenutzten braunen Polster. »Und so oft ich es wünsche.«

Das rissige Leder unter Anne bewegte sich quietschend. Sie spürte den Blick ihres Begleiters auf sich. »Dafür bezahlen Sie mich.«

Aber sie wusste nicht, was sie von ihm verlangen sollte. Sie wusste nur, dass sie etwas wollte. Die Berührung durch einen Mann. Einen Männerkörper. Die Befriedigung ihrer eigenen Begierde.

»Was wäre ... wenn eine Frau nicht weiß, was sie von Ihnen wünschen soll?« Annes Stimme klang unnatürlich laut über dem Getrappel der Pferdehufe und den malmenden Droschkenrädern. Die Stelle an Annes Schulter, wo sein Arm in regelmäßigem Rhythmus gegen sie rieb, pochte. »Was wäre ... wenn die Frau nicht weiß, wie viele Finger sie in sich haben möchte?«

»Ich würde mit einem Finger beginnen.« Seine Stimme klang dunkel und rau. »Dann schiebe ich noch einen hinein und noch einen, bis die Frau keinen Finger mehr aufnehmen kann, ohne dass der Druck unbequem wird.« Anne presste die Oberschenkel zusammen. Im Unterleib spürte sie den stechenden Schmerz der Begierde, den seine Worte ausgelöst hatten. Sie dachte an seine Hände, wie sie auf dem weißen Tischtuch lagen. Ihr Blick hatte nicht den Narben gegolten. Die Brandverletzungen waren ein unbedeutender Makel. Sie entstellten ihn, machten aber keinen Krüppel aus ihm. Er hatte keine arthritischen Hände und auch keine nässenden offenen Krebsgeschwüre. Anne hatte nur gesehen, wie groß und breit seine Hände waren.

»Wie viele Finger sind bei einer Frau normalerweise erforderlich?«

»Drei. Manchmal vier.«

Seine Finger waren lang. Und viel dicker als ihre. »So viele wären mir sicher nicht angenehm.«

»Sexuelle Lust ist nicht immer angenehm. Ich versichere Ihnen, wenn Sie richtig vorbereitet sind, wird Ihr Körper so viele Finger aufnehmen können. Und Sie wollen noch mehr in sich spüren.«

Anne bemühte sich, ruhig weiterzuatmen. »Wie wollen Sie wissen, wann ich richtig vorbereitet bin?«

»Wenn Ihr Körper heiß und feucht ist«, antwortete er unverblümt.

Ihr Körper war schon jetzt heiß und feucht.

»Wie oft können Sie ... eine Frau zum Orgasmus bringen?«

Ihre Kapuze rutschte vom Kopf. Anne atmete mit leisem Seufzen ein. Sie zwang sich, die Hände im Schoß zu lassen, statt die Kapuze wieder über den Kopf zu ziehen.

Dieser Mann, der benannt war nach seiner Fähigkeit, Frauen zum Orgasmus zu bringen, hatte seine Schönheit verloren, aber er war noch immer auf eine düstere und gefährliche Weise attraktiv.

Das Einzige, was Anne attraktiv machte, war ihr Geld. Doch nicht einmal dieses Geld konnte einen Mann blind machen für die Silberfäden in ihrem Haar, die zeigten, dass sie eine ältliche Jungfer war.

»So viele Orgasmen, wie die Frau wünscht. So viele, wie Sie wünschen, mon amour.«

Nur der französische Ausdruck ließ seine Herkunft erkennen. Die andere Sprache machte seine Stimme tiefer, melodischer und verführerisch. In ihr lag das Versprechen, einer Frau alles zu geben, was sie sich ersehnte; erotische Wunderdinge, von denen eine ältliche Jungfer keine Vorstellung besaß.

»Bitte nennen Sie mich nicht so. Ich bin nicht Ihre Geliebte. Ich bin Ihre Auftraggeberin.«

Und sie hatte Angst. Vor der Macht ihrer Begierde. Vor dem Mann, der neben ihr saß. Angst vor all den Dingen, die er mit ihr tun könnte; und Angst vor allem, was er womöglich unterließ.

Lieber Gott. Was machte sie?

Ihre alten und kränkelnden Eltern waren noch kein Jahr tot. Statt sie zu betrauern, sorgte ihre Tochter für die Befriedigung ihrer Gelüste. Gelüste, die eine ältliche Jungfer nicht haben, geschweige denn zugeben durfte. Heißer Atem streifte ihr Ohr. »Sie sagten, Sie wüssten, was geschieht, wenn ich mit Ihnen schlafe.«

Anne saß vollkommen reglos, mit kerzengeradem Oberkörper. Diese Haltung hatte sie während ihrer ersten und einzigen Ballsaison gelernt, die furchtbar gewesen war. Als reiche Erbin war sie von einem Schwarm lästiger Bewerber verfolgt worden. Frauen hatten ihr geschmeichelt und Männer ihr den Hof gemacht, um dann hinter ihrem Rücken über sie zu lachen.

Sie wollte nicht, dass dieser Mann über sie lachte.

»Mir sind die technischen Einzelheiten des Geschlechtsverkehrs nicht unbekannt, Monsieur.«

»Tatsächlich.« Etwas Heißes und Glattfeuchtes berührte ihr Ohr. »Beschreiben Sie mir, was geschehen wird, wenn ich mit Ihnen schlafe, Mademoiselle.«

Anne befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen. Sie waren trocken wie Kohlenstaub. Ihr Ohr prickelte und fühlte sich heiß an. Was hatte er damit gemacht? »Unsere Körper werden zusammenkommen.«

Wie bei den Tieren.

Aber Tiere machten sich keine Gedanken über ein mögliches Versagen oder Mängel, die sie haben könnten. Dunkelheit umhüllte Anne. Die Schwärze hatte nichts mit der Tatsache zu tun, dass die Gaslaternen in der engen Londoner Straße spärlicher wurden.

Feuchte Hitze- staute sich in ihren Haaren und strich an ihrer Wange entlang – sein Atem. Michel des Anges versperrte ihr die Sicht auf die Kutschentür und zwang Anne, stattdessen ihn anzusehen, indem er sich dicht vor sie beugte. »Haben Sie schon einmal einen Mann nackt gesehen, Chérie?«

Anne sollte ihn für diese Vertraulichkeit tadeln. Sie bezahlte Michel des Anges nicht dafür, dass er sie mit französischen Kosenamen überschüttete. Seine Aufgabe war, ihr körperliches Vergnügen zu verschaffen. Nun stellte sie fest, dass sie ihn nicht rügen konnte.

Niemand hatte sie jemals »Schatz« oder »Liebling« genannt, nicht in ihrer Muttersprache und ganz sicher nicht in Französisch. Für ihre Eltern war sie Anne gewesen. Die Bediensteten nannten sie Miss Anne. Für alle anderen hieß sie Miss Aimes. So würden die Leute sie für den Rest ihres Lebens anreden.

Sie sog den Tabakrauch ein, der an Michel des Anges haftete. Unter dem scharfen Aroma lag ein atemberaubender Duft nach reiner gesunder Männlichkeit – teure Seife und ein Hauch von Moschus. »Nein, ich habe noch nie einen Mann nackt gesehen.«

Das war nur eine halbe Lüge. Was sie gesehen hatte, war kein Mann gewesen.

»Wissen Sie, wie tief ich Sie besitzen werde, wenn ich ganz in Ihrem Körper bin?«

Anne wandte den Blick nicht von den schwarzen Höhlen seiner Augen ab. »Wenn Sie damit meinen, wie tief Sie in mich eindringen werden, lautet meine Antwort: Nein.«

Dieses Mal sagte sie die Wahrheit.

»Aber ich möchte es erfahren, Monsieur des Anges. Ich möchte wissen, wie tief Ihre Finger und wie tief Ihr Körper in mir sein werden. Sonst säße ich nicht mit Ihnen in dieser Kutsche.«

In der Dunkelheit ließ sich nicht unterscheiden, ob er den Atem anhielt oder ob sie es war, deren Atem stockte.

»Eine Frau zu besitzen ist etwas anderes, als in sie einzudringen, Mademoiselle.«

Licht flutete durch die Scheiben und beschien seine rechte Gesichtshälfte. Die Wülste der Brandnarben auf den Wangen traten deutlich hervor. Dann verschwand sein Gesicht wieder im Dunkeln.

»In diesem Fall verstehe ich Ihre Frage nicht.«

»Wie tief ein Mann in eine Frau eindringt, ist verschieden – ungefähr zwölf bis fünfundzwanzig Zentimeter, je nach Größe des erregten Glieds. Eine Frau kann einen Mann in sich aufnehmen und die Herrschaft über ihre Gefühle vollständig bewahren. Liegt sie jedoch keuchend unter ihm und nur sein Atem kann sie am Leben erhalten – nur sein Körper kann ihr den Orgasmus verschaffen, von dem ihr Leben abzuhängen scheint –, in diesem Moment, Chérie, besitzt ein Mann diese Frau.«

Anne rang nach Luft; es war sein Atem, der in sie einströmte.

Sie stellte sich vor, dass Michel des Anges in ihr war – ungefähr zwölf bis fünfundzwanzig Zentimeter tief – und sein Atem ihre Lunge füllte. Vollständig. Bedingungslos.

Ein Angstschauer lief prickelnd über ihren Rücken.

»Wie Sie sagten, Monsieur. Das kann nur geschehen, wenn die Frau nicht Herrin ihrer Gefühle ist. Zwischen uns gibt es eine geschäftliche Vereinbarung. Wir haben keine Affaire de Cœur.«

»Sie haben mich dafür bezahlt, dass ich die Mauer Ihrer Selbstbeherrschung überwinde, Mademoiselle.«

Annes Herz setzte für einen Schlag aus und pochte dann umso heftiger weiter. »In Ihren Worten höre ich ...« Gefahr. Was er sagte, klang nicht nach der geschäftlichen Vereinbarung, die sie getroffen hatten. »Ich habe Sie dafür bezahlt, dass Sie mir Lust verschaffen. Wie ein Mann, der eine Frau kauft, damit sie ihm Befriedigung verschafft. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Es ist nicht dasselbe, ob ein Mann einer Frau Lust verschafft oder eine Frau einen Mann befriedigt.«

Ja, Männer besaßen die Freiheit, uneingeschränkt ihr eigenes Vergnügen zu suchen, während Frauen dies nicht konnten.

»Und worin besteht der Unterschied, wenn ich fragen darf?«

»Ein Mann braucht nur den Körper einer Frau; es ist nicht notwendig, dass sie ihn zum Orgasmus bringt. Dafür sorgen seine eigenen Bewegungen.«

Zorn flammte in ihr auf. »Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass eine Frau einen Mann nur wegen seiner Geschlechtsteile benötigt, Monsieur?«

»Wäre dies so, Mademoiselle, säßen Sie nicht mit mir in dieser Kutsche.«

Seine schmeichlerische Antwort parodierte ihre eigenen Worte.

Anne griff nach ihrem Beutel. »Ich verstehe den Sinn und Zweck dieser Unterhaltung nicht.«

»Ich versuche Sie auf das vorzubereiten, was Sie heute Nacht erwartet.«

»Indem Sie mir sagen, dass eine Frau einen Mann benötigt, aber umgekehrt ein Mann keine Frau?« In ihrer Stimme lag eine schrille Schärfe.

»Ich habe nie gesagt, ein Mann bräuchte keine Frau. Ich habe gesagt, ein Mann hätte die Bewegungen einer Frau nicht nötig, um den Orgasmus zu erreichen. Aber mich werden Sie in den kommenden Stunden brauchen, Mademoiselle. Ihre eigenen Bedürfnisse werden Sie verletzlich machen; ihnen sind Sie noch mehr ausgeliefert als meinem Körper, ganz gleich, wie tief ich in Sie eindringe. Und ich versichere Ihnen, Chérie, ich werde sehr tief in Ihnen sein.«

Begierde. Angst. Zorn. Schmerz überlagerte die Unzahl der Gefühle, die seine Worte auslösten. Und von der Erkenntnis, dass nichts von dem, was er sagte, sie verletzen sollte. Er sprach nur die Wahrheit aus.

Glaubte sie, ein beliebiger Mann könne sie befriedigen, wäre sie nicht hier. Ihre Bedürfnisse machten sie verletzlich – vor allem, wenn sie sich einem Mann offenbarte, der nicht das gleiche Ziel wie sie verfolgte. Aus diesem Grund hatte sie Michel des Anges gewählt. Um der Vortäuschung falscher Tatsachen zu entgehen.

»Wie tief werden Sie in mich eindringen, Monsieur?«

»Vierundzwanzig Zentimeter, Mademoiselle.«

Vierundzwanzig Zentimeter, hallten seine Worte in der engen Droschke nach.

Ein unbestimmter Schrecken durchfuhr sie. »Wir haben eine geschäftliche Vereinbarung getroffen, Monsieur«, wiederholte sie, mehr für sich selbst als an ihn gerichtet. »Was wir vereinbart haben, ist eine sexuelle Verbindung, Mademoiselle. Zwischen uns gibt es keine Romanze. Wir treiben auch keinen Handel miteinander. Ich werde Ihnen keine Blumen überreichen und nicht um Erlaubnis bitten, Sie küssen zu dürfen. Morgens werden wir uns nicht mit Handschlag verabschieden, und ich hinterlasse meine Karte nicht auf Ihrem Kopfkissen. Meine Aufgabe besteht darin, Ihnen ein Ausmaß an Vergnügen zu verschaffen, das Ihre wildesten Phantasien übersteigt. Verwechseln Sie eine körperliche Beziehung nicht mit Liebe oder mit einem Geschäftsereignis.«

Seine Worte klangen hart. Erregend.

Hitze wallte in Anne auf – und die Hoffnung, er möge ihr tatsächlich ein Ausmaß an Lust verschaffen, das ihre wildesten Vorstellungen übertraf.

Die Ehe ihrer Eltern hatte neunundfünfzig Jahre gedauert. Sie waren miteinander verheiratet worden, um die Vermögen von zwei Familien zusammenzuführen. Ihre Eltern hatten Wohlstand und Krankheit miteinander geteilt, aber keine Liebe und kein Vergnügen. Dann waren sie gestorben. So einsam und elend, wie sie gelebt hatten. Wenn Anne einmal starb, wollte sie nicht darüber nachgrübeln müssen, was sie in ihrem Leben versäumt hatte. Sie straffte die Schultern. »Mir ist das Wesen dieser Verbindung bewusst, Monsieur. Und ich versichere Ihnen, dass sie in allem meinen Erwartungen entspricht. Ich möchte keine Blumensträuße von Ihnen, sondern will, dass Sie mir die Jungfräulichkeit nehmen. Meine Hoffnung ist, dass Sie mich küssen, statt mir die Hand zu schütteln. Ich erwarte nicht, dass Sie mich um etwas anflehen, schon gar nicht um Freiheiten, für die ich Sie bezahle. Was Ihre Behauptung angeht, Sie könnten mir ein Ausmaß an Lust verschaffen, das meine wildesten Phantasien übertrifft, bleibt dies zu beweisen. Ich denke, wir haben uns verstanden.«

Die Mietkutsche kam ruckend zum Stehen.

Für eine atemlose Sekunde glaubte Anne, sie hätte die Pferde durch ihre schockierenden Worte zum Halten gebracht.

Ohne einen Kommentar abzugeben, stieß Michel des Anges den Droschkenschlag auf, zog die Schultern ein, trat auf das kleine Trittbrett hinter dem kurzgestutzten Pferdeschwanz und streckte Anne die Hand entgegen, um ihr auf die Straße zu helfen.

Im Licht der Kutschenlaterne waren die roten und weißen Striemen überdeutlich sichtbar.

Wie würden sich diese narbigen schlanken Finger in ihr anfühlen? Würde er mit drei ... oder mit vier Fingern in sie eindringen? Wie sollten diese Finger sie vorbereiten, ein vollständig erregtes Glied in sich aufzunehmen ... einen Penis von vierundzwanzig Zentimetern?

Sie legte ihre Hand in seine – wie sie es in dem Etablissement getan hatte. Hitze drang durch den dünnen Seidenhandschuh. Würden seine Finger auch so heiß sein, wenn er sie in ihren Körper schob? Würde sein steifes Glied so heiß sein?

Plötzlich war Anne frei und konnte wieder atmen. Sie grub in ihrem Handtaschenbeutel nach einigen Münzen, um den Kutscher zu bezahlen, und stellte fest, dass die Droschke sich bereits in Bewegung setzte.

Sie spürte Hitze am Rücken – ein Männerarm. Er war hart wie eine Bogensehne. Ihr Herz trommelte schmerzhaft gegen das eng geschnürte Korsett.

Michel des Anges war beinahe zwanzig Zentimeter größer als sie. Er hatte viele Möglichkeiten, ihr wehzutun, und sie wusste nicht einmal, welche. So wenig, wie sie gewusst hatte, dass ein Mann seine Finger dazu benutzte, in den Körper einer Frau einzudringen.

Michel des Anges könnte sie töten. Und sie wäre unfähig, sich dagegen zu wehren.

Für einen kurzen Augenblick erwog Anne, hinter der Kutsche herzurennen. Die Wirklichkeit hielt sie fest.

Sicher konnte Anne jeden der Junggesellen heiraten, die das »Gabriel's« besuchten – und sie hatte eine überraschende Zahl von Gästen erkannt, wie Michel des Anges wusste. Sie würden bei Tag das Geld aus ihrer Erbschaft einfordern und bei Nacht in das Etablissement zurückkehren, um es dort für ihr Vergnügen wieder auszugeben.

Anne wäre Ehefrau – vielleicht sogar Mutter – und bliebe trotzdem unglücklich. Von der Lust und der Befriedigung, die eine Frau bei einem Mann finden konnte, wüsste sie noch immer nichts.

Michel des Anges wurde gerühmt für seine Fähigkeit, Frauen zu beglücken. Er war ein Hengst. So lautete die Bezeichnung für einen Mann seiner Sorte. Der höchstbezahlte Hengst von ganz England.

Zehntausend Pfund gingen nach einem Monat in seinen Besitz über.

Dieser Mann würde sich hüten, einer Frau, die seine Geldgeberin war, Schaden zuzufügen. Vor allem nicht, wenn die Verbindung durch einen Anwalt herbeigeführt wurde.

Anne straffte ihr Rückgrat und erlaubte ihm, sie die Steintreppe eines hohen schmalen Stadthauses hinaufzuführen. Michel des Anges suchte nicht lange, ließ den Schlüssel ins Schloss gleiten und öffnete. Mit der gleichen Geschicklichkeit, die er bei seiner Tür bewies, würde er wohl Zugang zum Körper einer Frau finden.

Anne betrat die kleine und schwach beleuchtete Eingangshalle. Sie war mit Eichenholz vertäfelt. Eine üppig in den unterschiedlichsten Blautönen erblühte Hyazinthe stand auf einem Tisch vor der Wand. In ihrem Schatten blinkte Silber; das Tablett für die Morgenpost. Auf der anderen Seite der Eingangshalle führte eine Marmortreppe nach oben und verschwand nach dem ersten Absatz im Dunkeln. Zu beiden Seiten des Treppenaufgangs verlief eine kunstvoll geschmiedete Balustrade.

Das Haus, in dem Anne Aimes ihre Jungfräulichkeit verlieren sollte, wirkte nicht wie ein Hort des Bösen. Es erweckte den Eindruck eines richtigen Zuhauses.

Der Duft nach Bienenwachspolitur und Blumen lag in der Luft. Ihr Haus in Dover roch nach Krankheit und karbolhaltigen Desinfektionsmitteln; in ihrem Londoner Haus haftete der Geruch nach Alter, Staub und Schimmel.

Michel des Anges drehte das Gaslicht in der Halle ab. Er sprach kein Wort. Seine Hand, die unten an ihrem Rücken lag, pochte heiß; er schob sie mit seiner Berührung in das dunkle Nichts nach oben.

Eine nicht erkennbare Lichtquelle erhellte den Korridor, der hinter dem ersten Treppenabsatz begann, nur undeutlich.

Anne umfasste den Handlauf des schmiedeeisernen Geländers. Sie sah nichts, sondern spürte nur das Metall an ihrer Hand. Mit zitternden Beinen stieg sie Stufe um Stufe dem wartenden Licht entgegen und hörte, wie beim Gehen ihre Röcke raschelten.

Der lange Gang im ersten Stockwerk war mit heller Seide ausgekleidet. Ihre Absätze klapperten in einem hohlen regelmäßigen Zweiklang über das spiegelblanke Eichenparkett. Eindringen. Besitzen. Eine fächerförmige Wandlampe am Ende des langen schmalen Korridors milderte die alles verschlingende Dunkelheit. Ein mattweißes Girlandenfries verlief an beiden Wandseiten unter der Decke; verschlossene Türen glitten an ihnen vorbei; eine Frau, die auf dem Weg zu sexueller Selbstbestimmung energisch und etwas steif voranschritt, während ein Mann, der um seine Gabe wusste, jeder Frau einen Orgasmus zu verschaffen – so oft und wann immer sie wollte –, sie selbstbewusst und lässig geleitete.

Michel des Anges stieß die schwere Eichentür neben der Wandlampe auf. In dem dahinter liegenden Raum leuchtete ein Himmelbett aus Messing auf.

Er drehte das Gas der Lampe ab und schob Anne mit sanftem Nachdruck in das Schlafzimmer. Tiefschwarze Dunkelheit umhüllte sie. Die Luft war schwer, süß und erstickend. Für einen panischen Moment meinte Anne in ein Treibhaus geraten zu sein. Oder in einen unheimlichen Traum.

Leise glitt Michel des Anges vor ihr her. Das scharfe Geräusch eines entfachten Streichholzes durchbrach die Stille.

Warmes Licht flutete von einer Milchglaskuppel in den Raum. Ein Nachtschrank aus Eichenholz erschien und eine Kristallvase mit blutroten Rosen. Links neben der Lampe stand das Messingbett. Weiße, seidene Laken und ein grüner Samtüberwurf waren einladend zurückgeschlagen.

Michel des Anges ließ das glimmende Streichholz in eine kleine grüne Schale fallen. Dann wandte er sich um. Sein Gesicht war dunkel und seine schwarzen Haare umgab ein goldener Schein. Lautlos und entschlossen trat er zu Anne. »Erlauben Sie mir, Ihnen das Cape abzunehmen.«

Anne starrte auf die tiefen unregelmäßigen Schatten, die seine Wangen furchten, und stählte sich bei dem Gedanken, dass er jedes Tal, jede Öffnung und jede Höhle ihres Körpers erforschen würde. »Danke.«

Er streckte ihr die narbigen Hände entgegen – eine unbarmherzige Erinnerung, dass er nicht mehr der Mann war, den vor achtzehn Jahren alle Frauen, von der kleinsten Debütantin bis zur ältlichen Matrone, umschwärmt hatten. Einen nach dem anderen öffnete er die Knöpfe ihres Umhangs, zuerst am Hals ... dann tiefer, über ihren Brüsten ...

Ihre Knospen prickelten heiß.

Alles ging viel zu schnell.

»Ich habe kein Nachthemd mitgebracht«, stieß Anne hervor.

Er hob langsam die schwarzen Wimpern. Der Blick seiner verblüffend violetten Augen fesselte Anne.

»Das brauchen Sie nicht«, sagte er leise. Er zog ihr die Handtasche aus den verkrampften Händen und warf sie hinter sie. Die Flamme in der Lampenkuppel flackerte und man hörte ein leises Plumpsen. Der Umhang folgte. Der schwere Seidensamt raschelte zu Boden.

Anne fühlte sich unsäglich nackt in ihrem schlichten grauen Seidenkleid, wie eine farblose Henne neben einem prächtig schillernden Hahn.

Sie schloss die Augen. Sein Blick ließ keinen Zweifel zu, welches Kleidungsstück er ihr als nächstes ausziehen würde.

Sie wollte nicht, dass er die zu kleinen Brüste sah und ihre Hüften, die zu breit waren.

Aber ihn wollte sie sehen. Immerhin zahlte sie ein kleines Vermögen für die Erlaubnis, dieses Verlangen zu äußern. Was er dazu sagte, war unwichtig. Zwischen ihnen galt eine geschäftliche Vereinbarung: ein Geschäft der Lust. Sie bezahlte ihn für ihr Vergnügen.

Anne öffnete die Augen und trat mit zitternden Beinen einen Schritt zurück. »Bitte entkleiden Sie sich für mich.«

In Michels Augen flammte violettes Feuer auf. »Sie wollen mich sehen ... nackt?«

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter und dreiundsechzig Zentimetern auf. »Ich mag eine ältliche Jungfer sein, Monsieur. Aber ich bin auch eine Frau und habe die gleichen Bedürfnisse wie jede andere. Natürlich möchte ich Sie unbekleidet sehen.«

Wieder flackerte die Flamme in der Lampe. Licht und Schatten umtanzten ihn. »Wissen Sie, wie ein Mann gebaut ist, Chérie?«

Sie neigte trotzig das Kinn. »Ich werde beim Anblick Ihrer männlichen Teile nicht in Ohnmacht fallen, Monsieur. Falls das Ihre Sorge sein sollte.«

»Aber wird der Anblick Ihnen Vergnügen bereiten?«

»Gefällt er anderen Frauen nicht?«

»Sie sind noch Jungfrau, Mademoiselle. Wenn Sie noch nie einen nackten Mann gesehen haben, könnten Sie ... erschrecken.«

Sie zog die Lippen straff. »Nun, zuerst muss ich Sie sehen. Vorher kann ich das nicht wissen.«

Hintergründige Berechnung glitzerte in seinen Augen, und dann eine Art von mutwilliger Herausforderung. »Und wenn Sie erschrecken?«

»Ich werde Ihren Haushalt nicht in Aufruhr versetzen und auch nicht schreiend auf die Straße laufen.«

Der Lampenschein flammte kurz heller auf und schwächte sich genauso schnell wieder ab. »Nein, Mademoiselle. Das denke ich mir.«

Mit geübten Bewegungen glitt er langsam aus seinem schwarzen Frackrock und ließ ihn zu Boden gleiten. Der Stoff raschelte verführerisch, als Seide auf Seide traf. Ohne den Blick von Anne Aimes zu nehmen, löste Michel des Anges den obersten Knopf seiner weißen Frackweste.

Zweifellos hatten schon viele Frauen verlangt, dass er sich vor ihnen auszog. Schöne Frauen. Erfahrene Frauen. Statt seinem tiefen Blick zu begegnen, sah Anne angestrengt auf seine Hände.

»Haben Sie Schmerzen?«, fragte sie jäh. »Ich meine, in den Händen? Brauchen Sie Hilfe?«

Er hielt die vernarbten Finger still.

Entschlossenheit erlöste Anne aus ihrer nervösen Unruhe. Hiermit kannte sie sich aus. Sie war ihren Eltern ein Leben lang zur Hand gegangen. Bei der Haushaltsführung, als Gesellschafterin im Salon, bei Tisch und am Ende auch auf ihrem Sterbebett.

Sie trat vor und schob seine Finger beiseite. Die kleinen Perlmuttknöpfe waren störrisch und ließen sich nicht durch die Knopflöcher schieben. Im Krankenzimmer war Anne nie so ungeschickt gewesen.

Sie runzelte die Stirn und zog die Handschuhe aus.

Ihre Gelenke wurden mit eisernem Griff umschlossen. Die grauen Seidenhandschuhe sanken aus den plötzlich gefühllos gewordenen Händen.

»Ich brauche keine Pflegerin, Mademoiselle.«

Jäh stieg die lähmende Erkenntnis in ihr auf, dass er die Macht hatte, sie zu verletzen. Sie war mit ihm allein. Bis jemand kam, könnte es zu spät sein.

Anne befeuchtete mit der Zunge die Lippen und schmeckte seinen Atem, der heiß und feucht war. »Ich beabsichtige nicht, Ihre Pflegerin zu sein, Monsieur.«

»In der Kutsche haben Sie gesagt, Sie wüssten nicht, was Sie wollen.«

Sie würde seinen Blick aushalten und auch nicht vorgeben, ihn nicht zu verstehen.

»Nein, Monsieur. Ich habe Sie gefragt, was geschieht, wenn eine Frau nicht weiß, was sie verlangen soll.«

Michel des Anges senkte den Kopf. Seine Lippen waren zum Küssen nah. »Was wollen Sie, Mademoiselle?«

Er forderte sie heraus. Wie weit werden Sie gehen, Jungfer? So lautete seine Frage in Wirklichkeit. Sind Sie vorbereitet für die Erwartungen eines Mannes, der berühmt ist für seine Gabe, Frauen zum Höhepunkt zu bringen?

Anne machte einen tiefen Atemzug.

Alles, was sie in ihrem Leben haben würde, war dieser eine Monat. Ein Monat voller Wonnen und Lust. Sie würde nicht zurückweichen, nicht vor ihm und nicht vor ihren albernen jungfräulichen Ängsten.

»Ich will, dass Sie mich zum Orgasmus bringen.«

»Wie oft?«

»So oft mein Körper dies erlaubt.«

»Wie viele Finger wollen Sie in sich haben?«

»So viele, wie mein Körper aufnimmt.«

»Wie tief werden Sie mich einlassen?«

»So tief, wie Sie in mich eindringen können.«

In seinen violetten Augen loderten Flammen. »Hat jemals ein Mann Ihre Brüste berührt?«

Die Wahrheit einzugestehen war unerwartet schwer. »Nein.«

»Haben Sie jemals einen Zungenkuss mit einem Mann getauscht?«

Anne schluckte den erinnerten Ekel hinunter. »Einmal.«

»Sie haben die Erfahrung nicht genossen?«

Nein, sie hatte die Erfahrung nicht genossen. Der junge Gentleman, der ihr diesen Kuss geraubt hatte, hatte sich anschließend auch noch bei seinen Freunden über sie lustig gemacht: dass sie verzweifelt auf einen Schönling zum Heiraten hoffte, wo doch höchstens ein Mann, der verzweifelt Geld bräuchte, eine so langweilige Kuh küssen würde.

Anne starrte auf den dichten Schleier seiner Wimpern. Sie waren pechschwarz und so lang, dass die Enden sich bogen. »Er hat mich erstickt, bis mir schlecht wurde«, sagte sie steif. »Und er hat ... gegeifert.«

»Ich werde Sie nicht ersticken, Chérie. Und aus meinen Mund wird auch kein Speichel rinnen.«

Die Hitze, die auf ihr Gesicht traf und ihre Handknöchel einhüllte, war plötzlich verschwunden.

Michel des Anges trat einen Schritt zurück und schüttelte die Weste ab. Sein Rückzug war so brüsk, dass Anne ihn wortlos anstarrte. Er senkte die schwarzen Wimpern und griff nach hinten, an seinen Hals, um den weißen Binder zu lösen.

Annes Lippen und ihre Zunge pochten. Sie hatte gewollt, dass er sie küsste. Das musste er gewusst haben. Eine Kühnheit und Entschlossenheit stieg in ihr auf, dass sie über sich selbst erstaunte. »Und was werden Sie tun, Monsieur?«

»Wenn ich Sie küsse, sauge ich an Ihrer Zunge.« Michel des Anges senkte die Arme und ließ den Binder los. Er fiel zu Boden. Dann hob er die dichten schwarzen Wimpern. »Anschließend ziehe ich Ihr Kleid aus und nehme Ihre Brustspitzen in den Mund. Und dann, wenn Sie nackt sind ...«, er zog fest an dem ersten der drei goldenen Stecker, die seine Hemdbrust zusammenhielten, »... küsse ich Ihre Klitoris und sauge daran.«

Anne stockte der Atem.

Nehme ich Ihre Brustspitzen in den Mund, hallten seine Worte in der kühlen Nachtluft nach. Küsse ich Ihre Klitoris und sauge daran.

Er löste den zweiten Goldknopf. »Wissen Sie, wo Ihre Klitoris sich befindet, Mademoiselle?«

Sie mühte sich, den Blick weiter auf sein Gesicht zu richten und nicht auf das schwarze Haar, das aus der größer werdenden Öffnung am Hemdkragen hervorschien. »Ich bin nicht ungebildet, Monsieur.«

Vor achtzehn Jahren, kurz nach ihrer Rückkehr aus London, hatte sie in der Praxis des Arztes ihrer Eltern in Dover ein medizinisches Lehrbuch entwendet. In diesem Buch wurden die Körperteile mit Namen bezeichnet, die beim Geschlechtsakt beteiligt waren. Welche Freuden eine Frau von einem Mann erwarten konnte, hatte nicht darin gestanden. Auch sagte das Buch nicht, was ein Mann von einer Frau erwartete.

Michel des Anges löste den letzten Goldstecker und ließ alle drei Knöpfe in seine Hosentasche gleiten. Mit der Bewegung lenkte er absichtlich ihren Blick zu der gewölbten Vorderseite. »Wissen Sie, was geschieht, wenn ich Sie lecke und an Ihnen sauge?«

Annes Brustknospen und ihre Klitoris begannen zu pochen, als das Bild, das er beschwor, vor ihrem inneren Auge auftauchte. Sie riss ihren Blick von der Ausbuchtung in seiner schwarzen Abendhose los.

Von ihren Bedürfnissen würde sie sich nicht beschämen lassen.

Anne straffte die Schultern. »Zweifellos werde ich einen Orgasmus erleben. Den ersten von vielen, wie ich hoffe. Haben Sie sich aus diesem Grund Ihren Namen erworben, Monsieur? Wegen Ihrer Kunstfertigkeit, eine Frau zu lecken und an ihr zu saugen?«

»Unter anderem.«

Michel des Anges verschränkte die Arme, fasste das Hemd am Saum und zog es über den Kopf.

Annes Herz hämmerte gegen die Rippen.

Seine Wangen und die Hände trugen Narben, aber am restlichen Körper war er makellos; goldbraune Haut, lockiges schwarzes Haar und pralle Muskeln.

Sein dunkler Kopf tauchte wieder auf und das Seidenhemd landete bei den anderen Kleidungsstücken, die verstreut auf den Eichendielen lagen.

Michel des Anges wusste, wie er auf Anne wirkte. Die gleiche Wirkung musste er auf alle Frauen ausgeübt haben, die ihn für seine Dienste bezahlten.

Sie wollte nicht als Einzige erschrocken und prüde sein. »Ist Ihr Glied vollständig aufgerichtet, Monsieur?«

»Ja«, entgegnete er, offensichtlich ungerührt durch ihre kühne Frage. »Mein Glied ist vollständig aufgerichtet.«

Zwischen Annes Schenkeln sammelte sich heiße Flüssigkeit.

»Ist Ihr ... Glied immer vollständig erregt, wenn Sie mit einer Frau zusammen sind?«

»Ja.«

»Ich möchte Sie sehen.«

»Dann ziehen Sie mir die Hose aus, Mademoiselle.«

Seine violetten Augen leuchteten herausfordernd. Sie sollte ihn berühren – und alles zu sehen bekommen, wofür sie bezahlte. Die ganzen vierundzwanzig Zentimeter. »Gut, Monsieur«, entgegnete Anne gleichmütig und trat näher zu ihm hin.

Seine Hitze strömte ihr entgegen. Anne kämpfte gegen die aufsteigende Erinnerung an den kranken sterbenden Mann, den sie gepflegt hatte. Dann galt ihr Kampf den seidenbezogenen Knöpfen. Sie machte sich an seinem Hosenverschluss zu schaffen und war genauso unbeholfen wie vorhin, als sie versucht hatte, ihm die Weste auszuziehen. Dieses Mal konnte sie ihre mangelnde Geschicklichkeit nicht auf die Tatsache schieben, dass sie Handschuhe trug.