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Christina Warwel

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Beschreibung

Das 18. Jahrhundert neigt sich seinem Ende zu, doch für Sir David Peius, seines Zeichens Gouverneur einer Inselgruppe in der Karibik, fangen die Probleme erst an. Nicht nur, daß Piraten ihn ausplündern und der Kommodore seiner eigenen Flotte ihm das Gegenspiel hält, jetzt soll auch noch seine widerspenstige Nichte Cara zu ihm kommen. Selbst ihre Erziehung in einer Klosterschule vermag seine aus alter Erfahrung erwachsenen Befürchtungen nicht zu zerstreuen. Cara, ihrerseits eine Idealistin und Anhängerin der Aufklärung, lehnt sich gegen ihren dem Standesdünkel verhafteten Onkel auf. Ein Katz und Maus Spiel beginnt. Packende Seegefechte bilden den spannenden Hintergrund dieser Geschichte und lassen durch ihre ausführlichen und realistischen Beschreibungen einen Teil der damaligen Zeit wieder lebendig werden. Liebevoll geschilderte Naturschauspiele wechseln mit rasanten Kampfszenen und kessen Dialogen. Christina Warwel schrieb diesen Roman vor über 20 Jahren als Teenagerin, doch wurde er bisher nie veröffentlicht.

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Veröffentlichungsjahr: 2014

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Christina Warwel

In der Gestalt des Schwarzen Piraten

Wider dem Schein und Schauspiel unserer GesellschaftBookRix GmbH & Co. KG81371 München

1. Teil

In der Gestalt des Schwarzen Piraten ©Christina Warwel

 

 

 

In der Gestalt des Schwarzen Piraten

 

 

 

Dies ist die Geschichte eines jungen Mädchens, das die Gesellschaft zwang, etwas zu sein, das es nicht sein wollte und eines jungen Mannes, den das Leben im Kampf um das Überleben in der Gesellschaft zum Piraten machte.

 

 

 

Diese Geschichte ist frei erfunden, Unzulänglichleiten der Personen, Orte und Handlungen liegen daher in der Unvollkommenheit der Phantasie und des Wissens ihres Erfinders begründet. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind daher rein zufällig und vom Autor unbeabsichtigt.

 

 

Die meisten Informationen über die damaligen Kriegsschiffe sind Frank Adams Buch "Hornblower, Bolitho & Co.", Ullstein, August 1992 entnommen.

 

 

 

 

1. Teil

 

Sir David Peius setzte sich in seinem Stuhl zurecht. Mit dem Ortswechsel hatten die Probleme leider nicht aufgehört und der Gouverneursposten hatte sich als problematischer als erwartet erwiesen. Der Kommodore der örtlichen Flotte, Jack Lane, hatte per Eilbote schriftlich um eine Audienz bei seiner Ankunft gebeten und nun lag sein Schiff unten im Hafen. Also würde die Krisensitzung bald beginnen. Lane war sehr lange fort gewesen, da er allerlei Nachforschungen hatte anstellen wollen. Es standen also Neuigkeiten zu erwarten. Oder auch nicht. Bisher hatten Lanes Nachforschungen jedenfalls wenig Brauchbares ergeben. Er sollte ihm vielleicht weniger Spielraum bei lassen, so etwas konnte ein großer Fehler sein...

In diesem Augenblick wurde die Türe unsanft aufgestoßen, so daß Sir Peius jäh aus seinen Gedanken aufschreckte.

"Wo sind ihre Manieren geblieben, Mr Lane? Können Sie nicht mehr anklopfen!"

"Entschuldigen Sie bitte, ich ..."

Sir Peius war des Streites bereits überdrüssig, da er jetzt schon merkte, daß seine schlechte Laune dadurch diesmal auch nicht besser werden würde. Außerdem war es zu heiß hier. Das ganze Jahr über. Tag ein, Tag aus.

"Setzen Sie sich und kommen Sie demnächst gleich zur Sache!"

"Sir, Seine Majestät warten immer noch auf die Goldlieferung aus ihren Mienen auf dem Festland. Der Transport ist nicht angekommen, genau wie der letzte, vorletzte und vorvorletzte."

"Was soll das heißen, er ist nicht angekommen? Drücken Sie sich gefälligst klarer aus!" Ein anrollendes Gewitter war leise im Vergleich zu Sir Peius Stimme.

"Sir, die Sache ist die, daß die gesamten Waren einschließlich der Goldlieferungen vermutlich von Piraten aufgebracht wurden."

"Von Piraten," blaffte Sir Peius, "und wo, wenn ich fragen darf, sind das Linienschiff und die zwei Fregatten, die Begleitschutz fuhren? Fort? Von der See verschluckt? Mit Mann, Maus und Ratte? Versenkt, von einem einfachen Piraten?"

"Sir, wir haben in Erfahrung gebracht, daß die verschiedenen Piratenbanden, die sich hier zuweilen herumtrieben, bereits vor einiger Zeit von einem neuen Anführer vereinigt wurden, der allgemein der Schwarze Pirat genannt wird, weil keiner weiß, wer hinter der schwarzen Maskerade steckt."

"Dann stellen Sie es eben fest, verhaften ihn und hängen ihn auf!" Er hielt einen Moment inne und blickte flüchtig aus dem Fenster in den Garten. "Aber nicht wieder hier vor meinem Fenster, wie letztes Mal!"

"Jawohl, Sir! Aber wo denn sonst?"

"Da fragen Sie noch? Haben Sie denn überhaupt keinen Verstand mehr? Von mir aus hängen Sie sie auf dem Marktplatz, am Hafen oder an ihrer Großrah auf, Hauptsache bald!"

"Ich habe verstanden, Sir."

Während Kommodore Jack Lane sich umwandte und das Zimmer mit eiligen Schritten verließ, hörte er Sir Peius ihm nachrufen:

"Das will ich auch hoffen, für Sie!"

Jack Lane schmunzelte in sich hinein. Er wußte zwar nicht warum, aber es bereitete ihm eine gewisse Freude, Sir Peius ein wenig zu verärgern. Vielleicht war er etwas zu weit gegangen, mit dem Fenster? Doch dann dachte er an das, was vor ihm lag und seufzte. Die Arbeit und die Verantwortung, und somit auch das Risiko, blieben letztlich doch immer bei ihm hängen, egal ob es um das Entwerfen eines Plans ging oder um seine Ausführung, während Sir Peius grundsätzlich nur die Lorbeeren erntete.

Sir Peius spülte den Ärger mit einem Glas Rotwein herunter. Piraten, Korsaren, Freibeuter, Flibustier; er konnte es nicht mehr hören. Alle waren nur hinter dem Gold aus den Minen Seiner Majestät her und am Ende glaubte man in London noch, er habe das Gold absichtlich für sich verschwinden lassen, obwohl das natürlich lächerlich war. Seine Flotte war auf der Jagd nach den Piraten bereits von 15 auf 8 Schiffe geschrumpft und wie immer gab es keine Spur, außer großen Worten um einen schwarz gekleideten Piraten, aber keinen noch so kleinen Fetzen schwarzen Stoffes von seiner Kleidung. Und warum? Weil er von lauter unfähigen Trotteln umgeben war, die nicht in der Lage waren, ein Schiff im Kampf gegen eine Horde dahergelaufener Piraten zu verteidigen, geschweigedenn das andere Schiff selbst zu kapern! Er seufzte. Erst hatte er sich mit seiner widerspenstigen Nichte Cara herumschlagen müssen, jetzt waren es Piraten und morgen, was würde es morgen sein?

 

 

 

Cara stopfte ihr modernes Kleid vom britischen Hof, an dem sie zuletzt für einige Wochen gewesen war, bevor sie die lange Reise zu den westindischen Besitzungen Seiner Majestät und ihrem Onkel, dem Gouverneur Sir Peius, angetreten hatte, ohne jeden Sinn für Ordnung in ihre Reisetasche und zauberte gleich darauf ein wie frisch gewaschen und gebügelt aussehendes altes Männerhemd sowie eine Reithose daraus hervor. Während sie sich die Sachen überstreifte, dachte sie an die Erinnerungen, die mit ihnen verbunden waren, Erinnerungen an die schönste Zeit in ihrem Leben, voll Freiheit, Freude und Abenteuern. Doch dann hatte diese Zeit ein jähes Ende gefunden, als ihr Onkel ihren Geliebten angeblich wegen Diebstahls hatte verhaften und in eine Strafkolonie deportieren lassen, während er sie in die Klosterschule am Hofe gesteckt hatte.

Doch nun war sie zwei Tage früher als erwartet in der neuen Welt angekommen und diese zwei Tage würde sie genießen, denn wie sie ihren Onkel kannte, wußte der mal wieder über alles Bescheid, nur nicht über seine eigene Flotte. Die pflegte er grundsätzlich seinem Kommodore zu überlassen, damit er, wenn mal was schief ging, nicht die Verantwortung tragen mußte. Dafür trug er lieber, falls mal etwas gut verlief, Ruhm und Ehre.

Als Nächstes mußte sie dann alles versuchen, um von ihrem Onkel loszukommen, so schnell wie möglich, so gründlich wie möglich und so weit wie möglich. Die Hoffnung, ihren Liebsten jemals wiederzufinden, hatte sie ohnehin längst aufgegeben. Sie wußte noch nicht einmal, wohin er gebracht worden war.

Sie zwängte sich in ihre Reitstiefel, drückte sich ihren alten Hut mit der breiten Krempe auf den Kopf, nahm ihre Reisetasche und verließ die Kabine. Eigentlich hätte über die Reithose noch ein Reitkleid gehört, aber das war ihr zu albern. Sie wollte reiten, nicht posieren!

Die wenigen anderen Passagiere, die sich in dem engen Gang Richtung Ausgang zu schoben, starrten sie mit unverhohlenem Staunen und offensichtlicher Mißbilligung an, aber das war ihr so egal, wie kaum etwas anderes auf dieser Welt. Daran hatte auch die "gute" Schule nichts zu ändern vermocht.

Als sie schließlich endlich auf dem Steg angekommen war, dröhnte ihr bereits das Schimpfen und Fluchen der Matrosen entgegen, die gerade damit beschäftigt waren, die Pferde auszuladen. Cara steckte lächelnd zwei Finger in den Mund und stieß einen derart schrillen Pfiff aus, daß alle Leute in ihrer Nähe erschrocken herum fuhren und sie mit ärgerlichen und wütenden Blicken überschütteten.

Ein lautes Wiehern war die Antwort. Silver war eben gut erzogen, so, wie sie es von ihrem Liebsten gelernt hatte. Sie hatte ihn selbst angeritten. Nur sie konnte ihn reiten. Auch so eine Sache, wovon ihr Onkel nichts ahnte. Er dachte, sie hätte Silver gekauft, aber in Wirklichkeit war er der Bruder des Pferdes ihres Liebsten.

Am Ende des Steges sprangen nun die Leute entsetzt zur Seite und bildeten eine Gasse durch die Menschenmenge, um Silver durchzulassen. Seine silbergraue Mähne wehte in der leichten Brise, die von See herüber blies, auf, als er auf sie zu galoppiert kam und dann vor ihr stehen blieb. Sie klopfte seinen Hals, legte die Tasche über seinen Rücken und ergriff die lose herab hängenden Zügel. Damensattel, lächerlich! Sie brauchte gar keinen Sattel.

Dann schwang sie sich auf ihr Pferd und galoppierte davon, ohne auch nur einen Blick an die zurückbleibenden Gaffer zu verschwenden. Bis zum Strand war es nicht weit und nichts war schöner als auf dem Rücken eines Pferdes durch die anrollenden Wellen zu galoppieren und das hatte sie schon viel zu lange nicht mehr getan. Auf ihrem Pferd fühlte sie sich frei, wirklich frei, wenn sie so durch die Wälder reiten konnte und ihr niemand sagte, was zu tun sei. Die Frage war nur, wie lange noch?

Als die Sonne langsam unterging und den Himmel purpurrot färbte, hatte Cara längst einen Platz in den Dünen gefunden, ein Lagerfeuer entzündet und briet einen Fisch an einem Messer über dem Feuer. Es war einfach schön hier, weit ab von allen guten Manieren und höfischem Gerede, das sie im allgemeinen als Weibertratsch bezeichnete. Da wurden immer die neusten Neuigkeiten ausgetauscht, wer mit wem ein Verhältnis haben könnte und wer gerade in wen verliebt sei und anschließend wurde von einem erwartet, daß man darüber lachte. So etwas widerte sie schlicht an.

Sie schaute hinaus auf das Meer, wie es sich im Lichte der untergehenden Sonne golden zu färben schien. Soweit sie sich zurück erinnern konnte, war sie immer wieder auf See gewesen, schon von Kind an. Man könnte meinen, die See zöge sie mit einer ihr eigenen Magie an und vielleicht war es auch so.

Langsam versank die Sonne im Meer. In dieser Gegend war die Dämmerung nur kurz und bald schon wurde es ganz dunkel, doch morgen würde die Sonne wieder aufgehen und einen neuen Tag zum Leben erwecken.

 

 

 

Sir David Peius starrte von seinem Balkon aus in den Sonnenuntergang. Mit einem Westindienfahrer aus England, der heute nachmittag eingetroffen war, war die Nachricht vom Hof angekommen, daß seine Nichte die Schule erfolgreich absolviert habe und daß sie schon übermorgen eintreffen würde. Sie war nun 21 Jahre alt und würde in wenigen Wochen ihren 22. Geburtstag feiern, war also so gut wie erwachsen. Seit nun mehr fast vier Jahren hatte er sie nicht gesehen. Das war eine lange, sehr lange Zeit. Wie sie jetzt wohl aussah, als junge Dame?

In dieser Zeit konnte sich viel bei ihr geändert haben. Er hoffte es jedenfalls sehr. Trotzdem, Vorsicht war besser als Nachsicht. Er durfte sie nicht erst in Versuchung führen. Das mußte er um jeden Preis verhindern, damit die alte Geschichte von damals nicht wieder von vorne anfing. Die Gefahr war hier um so größer, da er kaum Zeit hatte, sich selber um sie zu kümmern. Er würde jemanden brauchen, dem er fest vertrauen konnte und der sie von jeglichen Alleingängen abhielt. Das Beste war wohl immer noch, sie schnell mit einem Mann aus guter Familie zu verheiraten, nur mit wem?

Er ging in Gedanken die Reihen der Familien und Offiziere durch, die bei seinen Festen oft eingeladen waren und in der Gesellschaft etwas darstellten. Sie mußten natürlich von einem gewissen Rang sein, nicht solche dahergelaufenen Armenkinder, die sich mehr schlecht als recht nach oben gepfuscht hatten. Eine entsprechende Sicherheit mußten sie selbstverständlich auch zu bieten haben, am Besten, sie stammten aus einer traditionsreichen Familie, die seinen Einfluß angebracht stärken würde. Ein anderer käme unter gar keinen Umständen in Frage! Wie wäre es denn mit dem Sohn des Kommodore? Zur Zeit war er Kapitän eines Zweidecker namens Victoria. Er konnte nicht über ihn klagen. Robert Lane war wahrscheinlich der beste Kapitän in seiner ganzen Flotte und eine Beförderung wäre auch an der Zeit - vielleicht als Hochzeitsgeschenk unter der Hand? Das würde, wenn er es durchblicken ließe, seiner Entscheidung sicher auf die Sprünge helfen. Schließlich war Robert Lane kein Dummkopf. Außerdem waren der Kommodore und er im Grunde doch alte Freunde und die Familie besaß sehr, sehr viel Land im Norden der Stadt.

Er war sich sicher, daß Cara eine gute Gesellschafterin abgeben würde, nachdem sie endlich gelernt hatte, was eine junge Dame ihres Standes zu wissen hatte, auch wenn es dazu erst einer Klosterschule bedurft hatte. Das war eben der Preis für ihre eigene Dummheit gewesen oder für ihre Freiheit, wie sie es nannte. Ein schöner Begriff, aber mehr auch nicht, erst recht nicht für ein junges Mädchen.

Freiheit! Wenn er dieses Wort schon hörte, kam ihm die Galle hoch. Bis jetzt hatte sie nichts als einen wahren Berg Tote hervor gebracht, geschweige denn irgend jemandem genützt und Geld eingebracht, denn ohne Geld konnte man nicht leben, das wußte doch jedes Kleinkind. Freiheit -reiner Schwachsinn war das und sonst gar nichts!

Aber was regte er sich denn jetzt noch darüber auf? Morgen würde er für eine angemessene Gesellschaft für Cara sorgen, damit sie nicht wieder auf irgend welche dummen Gedanken kam. Es würde sicher kein Problem sein, ein nettes junges Mädchen zu finden, das ungefähr in ihrem Alter war. Anschließen würde er den Kommodore informieren. Sein Sohn machte im Moment ja gerade Jagd auf irgend soein elendes Piratenschiff, vielleicht hatte er auch ausnahmsweise mal Erfolg dabei, aber wenn überhaupt einer Erfolg dabei hatte, dann wohl er. Am Besten wäre es, wenn er dieses Schiff gleich bis auf den Meeresgrund schickte, was jedoch mit zwei Zweideckern theoretisch keine allzu große Schwierigkeit sein dürfte, nachdem eine Korvette das Schiff vor der Küste entdeckt hatte.

Theoretisch. Praktisch brauchte er sich über gar nichts mehr zu wundern, nachdem, was hier schon so alles passiert war. Da hielt ein einfacher Schoner mit so ein paar Spielzeugkanönchen zwei Kriegskorvetten tagelang zum Narren, zwei Pinassen näherten sich bei Nacht unbemerkt einer Fregatte und steckten sie in Brand, eine vermeintliche Korvette lockte zwei Linienschiffe ins Kreuzfeuer zweier versteckter Batterien und so weiter und so weiter und so weiter. Er durfte gar nicht daran denken oder es raubte ihm den Verstand.

Soweit er sich erinnerte, war das Piratenschiff nur eine Fregatte, aber manche schworen ja auf diese Schiffe, gegen eine Zweidecker hatten sie allerdings keine Chance, erst recht nicht wenn sie vor einer Küste fest hingen. Dieses Mal würde die Falle zuschnappen, da wenigstens konnte er sicher sein. Schade eigentlich um das schöne Schiff. Irgend soein junger Hitzkopf von Offizier hätte sich garantiert über die Fregatte gefreut, vor allem, da sie rar waren, auch bei ihm.

Er verließ den Balkon und legte sich zufrieden mit seinem Entschluß schlafen. Es war alles getan, was getan werden mußte, um die nötigen Schritte einzuleiten, um seine Welt wieder gerade zu rücken. Damit war die Sache vorerst für ihn erledigt.

 

 

 

Donner riß Cara aus ihrem Schlaf. Ein nahendes Gewitter? Sie öffnete erschreckt die Augen und blinzelte dann vorsichtig in den strahlenden Sonnenschein, während sie sich langsam aufrichtete und sich umsah. Es war wohl doch kein Gewitter, zumindest war am ganzen Himmel nicht eine einzige Wolke zusehen. Trotzdem hätte sie schwören mögen, daß es irgend wo gedonnert hatte. War sie jetzt schon so weit, daß sie noch nicht einmal mehr im Schlaf ihre Ruhe hatte und von Donner träumte, bevor er da war?

Sie zog die linke Augenbraue hoch und schielte in Richtung Wasser. Ein merkwürdiger Brandgeruch lag in der Luft, obwohl das Feuer, das sie gestern abend entzündet hatte, schon längst völlig niedergebrannt war. Seltsam. War sie am Ende doch nicht so alleine hier, wie sie vergangenen Abend nach eingehender Untersuchung der Umgebung gedacht hatte?

Cara lauschte aufmerksam in Richtung See, denn der Wind kam von dort und mußte ihr demnach auch den brenzligen Geruch in die Nase treiben. Da war das Donnern wieder. Es war ganz deutlich zu hören. Mit einem Mal wurde Cara alles klar. Zu tief hatte sich das Geräusch in ihrer Erinnerung eingegraben, als daß sie es je würde vergessen können. Das war Kanonendonner. Daher kam auch der brenzlige Geruch. Wahrscheinlich befanden sich irgend wo hinter dieser Bucht zwei oder auch mehr Schiffe in einem Gefecht, da hier sonst weit und breit nichts war, was Kanonen besaß. Allerdings mußten die Schiffe ziemlich nah an Land sein, falls sie die Richtung richtig einschätzte. Aber das war gut möglich, wenn sie es sich recht überlegte, denn jetzt war schließlich gerade Flut.

Cara sah sich nach Silver um. Sie wollte Genaueres wissen. Er stand auf halber Höhe einer Düne und spitzte die Ohren in Richtung der nächsten Bucht, die aber hinter einer bewaldeten Landzunge verdeckt blieb. Sie schob sicherheitshalber mit dem Fuß Sand über die Feuerstelle, damit sie nicht so leicht auffiel und ihre Anwesenheit verriet, dann pfiff sie Silver heran. Dieser stieg auf die Hinterhand, warf sich herum und kam zu ihr her galoppiert. Sie schnappte sich ihre Reisetasche, sprang auf den Rücken ihres Pferdes und jagte los, immer dem ständig lauter werdenden Donner nach. Kurzentschlossen kürzte sie ein Stück der weit ins Land hinein gedehnten Bucht ab, indem sie geradewegs quer durch die Bucht auf die Landzunge zu ritt.

Das aufspritzende Salzwasser durchnäßte ihre Kleidung, aber was schadete schon eine morgendliche Dusche? Bei der Sonne hier war sie ohnehin im Nu wieder trocken. Als sie die andere Seite der Bucht erreichte, sah sie mit einem Mal einen schmalen Trampelpfad, der offensichtlich über die Landzunge hinweg zur nächsten Bucht führte. Sie folgte dem Weg. Bereits nachdem sie wenige Meter zurückgelegt hatte, konnte sie einige Masten von den Baumwipfeln unterscheiden, die anscheinend zu drei Schiffen gehörten. Kurz bevor sie die andere Seite der Landzunge erreichte, sprang sie vom Pferd, um den Rest des Weges zu Fuß zurückzulegen, da sie es für besser hielt, ungesehen zu bleiben. Silver ließ sie zwischen den Bäumen und Büschen zurück. Das Wasser reichte hier fast bis an die Stämme heran. Sich an den Stamm einer ausladenden Palme lehnend überblickte sie die nun vor ihr liegende Bucht.

Zwei Zweidecker hatten eine wohl in der Bucht ankernde Fregatte angegriffen und sie bereits völlig entmastet. Wahrscheinlich war sie morgens, als die Besatzung noch halb schlief, überrascht worden. Zwischen ihrer im Wasser treibenden Takelage konnte Cara sogar Verletzte und Tote treiben sehen, doch obwohl die Fregatte das Feuer längst eingestellt hatte, schossen die beiden Zweidecker munter weiter auf sie.

Warum nur? Was hatten die Kommandanten der anderen beiden Schiffe davon, wenn sie die Fregatte versenkten, außer einen Berg Munition weniger? Sie war doch immerhin eine ganz nette Prise. Die Antwort wurde ihr schlagartig klar, als sie die Überreste einer Flagge, die sich an dem Stumpf des am Mastkorb abgeschossenen Großmastes verfangen hatten, erkannte: Piraten!

Cara drehte, innerlich zu einer Salzsäule erstarrt, dem Gefecht den Rücken zu. Was sollte sie nun davon halten? Sicher, Piraten waren Räuber, aber ... sie wußte nicht recht. Immerhin waren es auch Menschen.

Schließlich hörte das Donnern der Kanonen auf und als Cara sich wieder dem Geschehen zuwandte, setzten die Linienschiffe gerade Boote aus, die Kurs auf die zu einem Wrack verarbeitete Fregatte nahmen. Das Wasser in der Bucht schimmerte rötlich verfärbt vom Blut der Toten und Verletzten auf den Überresten der sicher einst stolzen Fregatte; es sah aus, als sei es das Schiff selbst, das da verblute und nicht die Menschen. Fast wirkte es wie ein Lebewesen, das eben seinen letzten Kampf bis zum blutigen Ende gekämpft hatte, ohne auch nur einen Augenblick an Aufgabe zu denken.

Dann sah Cara, daß die Piraten auf der den Zweideckern abgewandten Seite über Bord sprangen und so schnell wie möglich auf das rettende Land zu schwammen, während die Boote dem Wrack immer näher kamen. Erstaunlicherweise, so stellte Cara fest, konnten die meisten Piraten recht gut schwimmen. Während die Ersten das Ufer bereits erreichten, blieben einige bei dem Versuch, ihre verletzten Kameraden zu retten, immer weiter zurück. Auf der anderen Seite waren die ersten Boote fast beim Schiff angekommen. Allerdings schienen sie noch auf die Nachzügler warten zu wollen, um gemeinsam die Fregatte entern zu können. Mittlerweile verschwanden dafür immer mehr Piraten im nahen Wald. Wenn sich die Boote nicht beeilten, würden bald alle verschwunden sein, auch die Verletzten, und in dem dichten Urwald würden sie nur schwerlich zu finden sein!

Jetzt schickten sich die ersten Boote an, am Wrack anzulegen und einige Matrosen kletterten am Fallreep hoch. Gleichzeitig wurde Cara gewahr, wie auf der anderen Seite in dem Augenblick, in dem die ersten Matrosen an Deck ankamen, eine Gestalt plötzlich kopfüber ins Wasser sprang und in demselben verschwand. Während Cara noch das Wasser nach ihr absuchte, legten zwei weitere Boote an den Überresten der Fregatte an. Da, urplötzlich, schoß eine meterhohe Feuersäule aus dem Schiffsinneren in den Himmel empor, deren Licht so hell war, daß es selbst bis zur dunkelsten Stelle des Waldes vorzudringen schien. Dem folgte unmittelbar mit ohrenbetäubenden Krachen eine derart gewaltige Explosion, daß die Wrackteile bis hin zu der Landzunge, auf der Cara sich befand, geschleudert wurden. Die Fregatte mußte mehr Pulver an Bord gehabt haben als Lebensmittel.

Obwohl direkt neben Cara der Rest einer brennenden Stenge zu Boden fiel, rührte diese sich nicht von der Stelle, sondern starrte nur wie gebannt in das schnell kleiner werdende Feuer derselben, bis es völlig erlosch, als die Überreste im Meer versanken. Erst als am Ufer einige Schüsse knallten, fand Cara nach und nach wieder in die Wirklichkeit zurück.

Mittlerweile hatten die beiden verbliebenen Beiboote den Strand erreicht und die Besatzungen waren herausgesprungen, um die Boote an Land zuziehen, während eine Abteilung Marinesoldaten die Verfolgung der Piraten aufnahm. Wieder krachten einige Schüsse und Cara sah, wie kurz vor dem Waldrand der letzte Nachzügler in den Sand stürzte. Es mußte die Gestalt gewesen sein, die zuletzt über Bord gesprungen war. Nun löste sich ein Mann, der Uniform nach ein Kapitän, aus der Gruppe der Seeleute und ging langsam auf die Gestalt zu, wobei er sicherheitshalber mit seiner Pistole auf sie zielte. Inzwischen hatte ein Leutnant auch an die Matrosen Schußwaffen ausgeteilt, die nun ihrem Kapitän für den Fall der Fälle folgten. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf den Waffen wieder und warfen Lichtreflexe zu Cara herüber. Es hätte ein schöner Frühsommertag sein können.

Cara beobachtete, wie sich der Kapitän vor der Gestalt hinhockte, um sie genauer betrachten zu können. Doch noch bevor er diese richtig ins Auge gefaßt hatte, schlug diese auf einmal blitzschnell die Pistole mit der Hand zur Seite, so daß der Schuß, den der Kapitän noch abfeuerte, sie verfehlte und irgend wo im Wald einige Vögel aufscheuchte. Im nächsten Augenblick rannte die Gestalt schon auf die Bäume zu, wobei sie den überraschten Kapitän einige Schritte mit sich riß, damit die übrigen Besatzungsmitglieder nicht auf sie schießen konnten, wenn sie nicht riskieren wollten, ihren eigenen Vorgesetzten zu verletzen oder gar zu erschießen. Dann stieß die Gestalt den Kapitän von sich und verschwand im Wald. Doch gleichzeitig gelang es dem Kapitän noch im Fallen auf die fliehende Gestalt zu zielen und den zweiten Schuß abzufeuern. Für Cara war es jedoch unmöglich zu erkennen, ob er sie noch getroffen hatte oder nicht. Dafür glaubte sie aber um so deutlicher die Wut des Kapitäns zu spüren, als er nun wieder aufstand und seinen Leuten befahl, sich ebenfalls auf die Suche nach den Piraten zu machen.

Cara entschied sich, die Zeit zu nutzen und sich näher an den Ort des Geschehens heranzuschleichen. Vielleicht konnte sie verstehen, was gesprochen wurde. Sie ging ein Stück auf dem Trampelpfad, den sie gekommen war, weiter, wandte sich dann nach links, bis sie sich hinter dem Waldsaum versteckt der zurückgebliebenen Gruppe Seeleute nähern konnte. Dabei gab sie alle Acht, um nicht aus Versehen auf ein trockenes Stück Holz oder dergleichen zu treten und sich somit zu verraten. So verstrich eine ganze Weile, bis sie nahe genug an die Zurückgebliebenen herangekommen war, um hören zu können, was gesprochen wurde, doch trotzdem mußte sie noch eine schier endlose Zeit lang warten, bis endlich die ersten Marinesoldaten wiederkamen. Während vier von ihnen zwei Piraten vor sich her trieben, schleiften zwei weitere einen an den Armen hinter sich her, da dieser ziemlich schwer verletzt worden zu sein schien, oder zumindest so, daß er nicht selber laufen konnte. Cara glaubte in diesem die Gestalt von vorhin wiederzuerkennen, war sich aber nicht ganz sicher, da sie sie vorhin nur von weitem gesehen hatte und jetzt das hohe Schilf, das sie verbarg, ihre Sicht verdeckte, so daß sie die Personen am Strand nur teilweise sehen konnte. Jedenfalls zogen die Soldaten die Gestalt bis zu dem Kapitän und ließen sie vor seinen Füßen fallen. Dabei fiel Cara auf, daß die Gestalt im Gegensatz zu den beiden anderen Piraten kein Hemd trug.

"Wie heißt du?" fragte nun der Kapitän.

"Was soll ich Dir meinen Namen sagen, wenn Du mir Deinen Namen auch nicht gesagt hast."

"Du wirst noch darum bitten, ihn noch einmal aussprechen zu dürfen, wenn Du erst aufgeknüpft wirst!"

"Reine Zeitverschwendung. Das ist doch nichts Neues."

"Dir wird dein unverschämtes Gerede noch vergehen, wenn der Gouverneur sich Dich erst vor nimmt. Bei ihm haben noch alle wie die Vöglein auf dem Baum gesungen, sofern sie noch die Kraft hatten, ihre Zunge zu bewegen!"

"Die Mühen könnt Ihr Euch sparen, das kann ich auch hier tun."

"So? Dann beantworte mir meine Fragen!"

"Piep- Pieppiep - Piep - Piep."

Einen Moment lang schaute der Kapitän die Gestalt an, als wolle er sie gleich hier aufhängen, dann wandte er sich ruckartig von ihr ab und bellte:

"Bringt sie alle unter Deck und sorgt dafür, daß sie lebendig im Kerker ankommen! Na los, wird's bald! Was steht ihr hier noch herum wie die Ölgötzen? Denkt ihr, ich wollte Weihnachten noch hier steh'n?!"

Cara registrierte im Unterbewußtsein, während die Seeleute langsam dem Befehl nachkamen, daß nach und nach auch die übrigen Marinesoldaten und Matrosen zurückkehrten, ohne allerdings Erfolge ihrer Verfolgung vorweisen zu können. Aber das war jetzt nebensächlich. Viel wichtiger war, daß die Piraten zu ihrem Onkel gebracht werden sollten und zwar in den Kerker. Das bedeutete, daß sich der Kerker in seinem Haus befand. Also war seine Residenz wohl so eine Art Festung. Das eröffnete ihr ungeahnte Möglichkeiten, doch erst brauchte sie einen Plan und das schneller als gewöhnlich. Morgen konnte es schon zu spät sein.

Cara mußte noch eine ganze Weile warten, bis alle and Bord zurück gekehrt waren und die Schiffe aus ihrem Blickfeld verschwanden, aber sie hatte schon so lang gewartet, da kam es da auch nicht mehr drauf an. Dann verließ sie ihr Versteck, zog ihre Reitstiefel aus und ging langsam durch die anrollenden Wellen in die Bucht hinaus, bis das Wasser tief genug war, daß sie schwimmen konnte.

Als der Abend ins Land zog, hatte Cara ihren Entschluß gefaßt. Manchmal mußte einem eben doch erst der Zufall zu Hilfe kommen, bevor man zu einem Entschluß kam. In diesem Fall hatte ihr das Schicksal zwar nicht mit einem Zaunpfahl gewinkt, aber ihn ihr dafür im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme getrieben und da man einen Wink des Schicksals nicht unbeachtet lassen soll, hatte sie ihn gleich in ihren Koffer gepackt.

 

 

 

2. Teil

2. Teil

 

Robert Lane suchte den Hafen mit den Augen ab, aber weit und breit war niemand zusehen, auf den Sir Peius' Beschreibung seiner Nichte auch nur annähernd paßte. Er war ja auch hoffnungslos verspätet, da brauchte ihn das nicht zu wundern. Erst hatte er gehofft, Cara zu verpassen, aber dann waren ihm die Folgen erst richtig zu Bewußtsein gekommen und er hatte sich überlegt, daß es das Beste sein würde, wenn er es erst einmal mit Cara versuchte. Schließlich konnte er schlecht von Luft und nicht vorhandener Liebe allein leben. Sicher, sein Vater war Kommodore und sein Sold bei Sir Peius war nicht schlecht, aber irgend wo hatte er, Robert, auch ein Recht auf Erfolg und Karriere.

Außerdem war Cara vielleicht sogar ganz nett; gut, sie war einige Jahre jünger als er, aber was bedeutete das schon? Sicher wußte die Besitzerin der Hafenkneipe etwas. Sie wußte immer jede Neuigkeit zuerst, besonders wenn diese Neuigkeit Fremde betraf. Er befahl dem Kutscher seines Vaters anzuhalten und stieg aus. Die Hafenkneipe gehörte nicht zu denen, in denen man nur den Abschaum der Menschheit antraf, denn dann hätte Sir Peius sie längst geschlossen, sondern zu denen, in denen jeder ehrliche Mann immer eine Bleibe finden würde. Zögernd trat er ein.

Zu dieser Zeit war der Speiseraum fast leer und nur an der Bar saßen einige Männer, zumeist Fischer, und unterhielten sich erregt über ein Thema. Dann erst sah er die junge Frau, die an einem Tisch am Fenster saß und eine Tasse langsam in den Händen hin- und herdrehte. Ihre blonden Haare reichten gerade mal bis etwas über ihr Kinn hinaus und wurden von einem Band nach hinten gehalten. Er hatte zwar schon einige Seeleute kennengelernt, die ihr Haar gemäß der neuen Mode kurz trugen, aber ein Mädchen mit so kurzen Haaren war ihm noch nicht begegnet. Ihr Kleid war wohl auch nach der neusten Mode geschnitten und aus bestimmt nicht ganz billigem Stoff angefertigt. Mit einem Mal gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Das war Cara Peius. Allerdings sah sie ihrem Onkel nicht allzu ähnlich. Aber das war unwichtig. So wie sie aussah, gefiel sie ihm gut, besser als er erwartet hatte. Zugegeben, sie war nicht direkt schön, aber hübsch. Robert Lane schluckte, als ihm klar wurde, daß er sie nun wohl schon eine ganze Weile lang angestarrt haben mußte. Er trat an ihren Tisch, doch sie sah nicht zu ihm hin, obwohl er ihr genau gegenüber stand.

"Entschuldigen Sie bitte, meine Dame, sind Sie Miss Peius?"

Cara sah auf. Robert Lane blickte geradewegs in ihre Augen. Sie waren grün wie die Augen einer Katze. Sie lächelte ihn freundlich, aber unbestimmt an.

"Ja, das bin ich. Und mit wem habe ich die Ehre?"

"Mein Name ist Robert Lane. Ihr Onkel schickt mich, um Sie abzuholen. Er ist leider verhindert."

"So? Woher kennen Sie denn meinen Onkel?"

Nichts verriet, was sie dachte oder empfand, obwohl sie immer noch freundlich lächelte.

"Ich bin Kapitän in seiner Flotte, aber erst seit kurzem. Mein Vater ist Kommodore."

"Kapitän? Das ist aber interessant. Wo liegt denn Ihr Schiff? Ich habe im Hafen keines gesehen."

Kein bißchen Ironie schwang in ihren Worten mit, nur Interesse, echtes Interesse, wie Robert Lane zu seinem Erstaunen feststellen mußte.

"Ich war gestern in ein Gefecht mit Piraten verwickelt, aber wir konnten ihr Schiff versenken und drei von ihnen gefangen nehmen. Sie müssen wissen, daß wir hier in letzter Zeit große Probleme mit Piraten und Freibeutern hatten, aber ich denke, gestern konnten wir ihnen eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht wieder vergessen werden. Leider ist mein Schiff bei diesem Gefecht auch beschädigt worden und daher liegt es jetzt im Dock. Aber wollen wir uns nicht erst auf dem Weg zu ihrem Onkel machen? Sie werden sich sicher freuen, ihn wiederzusehen."

"Oh ja, natürlich."

"Darf ich ihnen ihr Gepäck abnehmen? Ich bin mit einer Kutsche hergekommen, um Sie abzuholen."

"Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen. Mein Gepäck steht dort drüben in der Ecke. Ich habe allerdings noch mein Pferd dabei."

"Das ist kein Problem. Wir können es hinten anbinden. Also, geh'n wir."

Seltsam, für einen Moment hatte er gedacht, Cara schien alles andere als begeistert zu sein, ihren Onkel wiederzusehen, zumindest hatte er das Gefühl gehabt, daß ihre Antwort etwas unecht geklungen hatte, als er gesagt hatte, sie werde sich sicher freuen, ihren Onkel wiederzusehen, aber wahrscheinlich täuschte er sich und sie gehörte einfach nur zu den zurückhaltenderen Menschen dieser Zeit. Er holte ihr Gepäck, wobei er nicht umhin kam, sich darüber zu wundern, daß es aus nur einer Reisetasche bestand, die noch nicht einmal sonderlich schwer war. Sie hatte wohl auf der Reise hierher nicht mehr mitnehmen können, denn was seine bisherigen Erfahrungen mit Frauen betraf, so schleppten diese meist einiges an Gepäck mehr mit, allerdings mußte er einräumen, daß seine diesbezüglichen Erfahrungen nicht allzu groß waren.

Sie gingen langsam hinaus. Nachdem sie ihr Pferd aus dem Stall neben der Hafenkneipe geholt hatte und er ihre Reisetasche auf dem Dach der Kutsche verstaut hatte, betrachtete er das Pferd, das Cara gerade hinten anband, genauer. Er verstand zwar nichts von Pferden, denn schließlich war er Seemann, aber trotzdem sagte ihm sein Verstand, daß dieses Pferd so etwa das sein mußte, was man unter einem herrlichem Tier verstand. Es hatte eine silbergraue Mähne und einen gleichfarbigen Schweif, während es sonst mehr schwarz war. Von allen Pferden, die er je gesehen hatte, und das waren ziemlich viele, denn sein Vater züchtete nebenbei aus für ihn unverständlichen Gründen Pferde, war das entschieden das schönste.

Er half Cara in die Kutsche und setzte sich ihr gegenüber hin. Langsam setzte sich die Kutsche in Bewegung und rumpelte ebenso langsam durch die Straßen. Robert Lane war das nur recht. Nicht nur, daß er schon immer gerne gemütlich durch die belebten Straßen der Stadt gefahren war, sondern auf diese Weise konnte er auch noch eine Weile mit Cara zusammen sein. Er sagte:

"Das ist wirklich ein schönes Pferd, das Sie da haben. Wie heißt es eigentlich?"

"Silver. Ich habe ihn jetzt seit etwa sechs Jahren. Als ich ihn bekommen habe, war er gerade drei Jahre alt. Ein Jahr später konnte ich ihn dann anreiten, aber im Grunde ist er immer noch ein Wildpferd, das seinen eigenen Willen hat, den man ihm auch lassen muß, denn sonst würde er sich gar nicht reiten lassen. Mir ist das nur recht, denn die Hauptsache ist, daß auf ihn Verlaß ist, wenn's sein muß und Silver ist treu wie ein Hund."

"Sie reiten wohl sehr viel."

"Oh ja, eigentlich immer, wenn es nur irgend wie möglich ist."

"Tija, ich bin leider kein besonders guter Reiter. Ehrlich gesagt, ich habe nur höchst selten auf einem Pferd gesessen, obwohl mein Vater recht viele Reitpferde hat und auch jetzt noch ziemlich oft ausreitet."

"Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie mit meinem Gerede über Pferde gelangweilt habe. Ich vergaß wohl, daß Sie Kapitän sind. Erzählen Sie mir doch mehr davon. Es ist sehr interessant. Sie haben mich mit ihrer Geschichte über die Piraten neugierig gemacht. Was sind das für Leute und warum tun sie so etwas?"

Cara musterte Robert Lane dabei unauffällig genauer. Er hatte schwarze Haare, die er der Tradition gemäß im Nacken zu einem Zopf zusammen gebunden hatte. Sonst war er eher von untersetzter Statur und unscheinbar. Das einzig Auffallende an ihm waren seine grauen Augen. Sie erinnerten ein wenig an Eis.

"Nein, nein, gelangweilt haben Sie mich wirklich nicht. Es wird eigentlich schon lange Zeit, daß ich mal ein bißchen besser reiten lerne. Bisher war ich meist nur auf See und hatte mit Pferden nichts zu tun, aber das heißt ja nichts. Doch zurück zu Ihrer Frage. Seit einiger Zeit treiben hier mehrere Piratenbanden, oder wie man sie auch immer nennen will, ihr Unwesen. Wer ihr Anführer ist, weiß keiner oder wenigstens geben das alle vor, denn wir haben Grund zur Annahme, daß er Verbündete in der Bevölkerung hat. Na ja, jedenfalls wird er allgemein wegen seiner schwarzen Maskerade der Schwarze Pirat genannt. Richtig angefangen hat das ganze Theater erst vor ungefähr etwas mehr als zwei Jahren. Bis dahin haben sie hin und wieder mal ein leichtes Handelsschiff überfallen und ausgeraubt und sich anschließend auch schleunigst wieder in ihren Schlupfwinkeln verkrochen, aber dann hat sich diese Piraterie wie eine Seuche ausgebreitete. Wir nehmen an, daß der Schwarze Pirat die einzelnen Banden damals unter seiner Führung vereinigt hat, um fortan auch größere Schiffe angreifen zu können. Mittlerweile sind sie so stark geworden, daß sie sogar unsere Goldtransporte von den Minen Seiner Majestät auf dem Festland überfallen. Auffallend ist, daß sie immer bestens Bescheid wissen, wann, wo und wie sich ein Goldtransport auf den Weg macht. Daher sind wir auch recht froh darüber, daß wir gestern drei von ihnen gefangen nehmen konnten. Von ihnen erhofft sich der Gouverneur nämlich nähere Informationen über ihre Organisation und ihre Verbündete. Natürlich muß er diese Burschen erst mal ordentlich bearbeiten, bevor sie überhaupt nur den Mund aufmachen, aber wenn er sie dann erst mal richtig ausgefragt hat, dann werden sie aufgehängt, wie alle Piraten. Jetzt verspricht er ihnen natürlich, sie frei zulassen, falls sie ihm brauchbare Informationen liefern, aber das wäre selbstverständlich eine Torheit, bei dem, was die alles mit ihren Gefangenen machen, wenn sie mal welche in die Finger bekommen. Ich habe da schon Dinge gehört, demnach es direkt harmlos ist, wenn man den Haifischen zum Fraß vorgeworfen wird."

"Das ist ja furchtbar! Wie können Menschen nur so grausam sein?" Sie durfte es mit ihrer Neugier nicht übertreiben, sonst wurde das zu auffällig.

"Tija, ich fürchte das weiß keiner so recht."

"Das muß für Sie wirklich nicht einfach sein, gegen solche Bestien zu kämpfen und gefährlich dazu, aber vielleicht könnten wir jetzt lieber über etwas anderes sprechen, sonst bekomme ich im Nachhinein noch Alpträume, wenn ich nur daran denke, was alles auf der Fahrt hierher hätte geschehen können."

"Glauben Sie mir, ich wollte Sie damit nicht erschrecken. Wir sind hier wahrscheinlich schon so sehr davon vereinnahmt, daß wir das Tun der Piraten bald als normal ansehen, aber Sie sind ja noch nicht so lange hier. Da werden Sie sich mit der Zeit schon noch dran gewöhnen, da bin ich mir sicher."

Cara wußte nachher nicht mehr, worüber sie noch geredet hatte, denn es war belanglos gewesen, viel wichtiger war, was sie bis dahin erfahren hatte.

Als sie die Residenz des Gouverneurs erreicht hatten, ließ Robert Lane es sich nicht nehmen, Cara persönlich zu ihrem Onkel zu begleiten, während Stallknechte für Silver sorgten. Er betrachtete sie von der Seite. Die kurzen Haare standen ihr gut, wahrscheinlich viel besser als lange und auch die grünen Augen paßten zu ihrem Gesicht, zu ihrem unbeschreiblichen Lächeln, das ihm an ihr auf Anhieb so gefiel. Nein, sie war keine widerspenstige Wildkatze, sondern wie ein lachender Frühlingsmorgen, der die Nacht vertrieb.

Cara staunte nicht schlecht über den Luxus, in dem ihr Onkel lebte: Da war zuerst einmal der riesige, von einer Mauer umgebene Garten mit den vielen exotischen Zierpflanzen, den Gartenteichen mit den kleinen Schillerschwanzgoldfischen und den schattigen Wegen. Nein, dies war auch kein Garten mehr, sondern ein ausgewachsener Park. Es fiel ihr nicht schwer, sich vorzustellen, wofür ihr Onkel einen derart großen Park brauchte. Schließlich brauchten seine vielen Gäste auf den noch häufigeren Gesellschaften genügend Platz, um auch einmal ein paar ruhige Minuten in trauter Zweisamkeit verbringen zu können.

Nun, ein großer Garten hatte auch seine Vorteile, denn noch konnte ihr Onkel sich nicht in mehrere Teile aufteilen, um selbst seine Augen überall zu haben und andere waren nicht immer so loyal, wie sie es eigentlich sein sollten, besonders nicht wenn es um ihren Onkel ging, wie sie bei früheren Gelegenheiten schon oft zu ihrer Freude festgestellt hatte.

Dann gelangten sie durch ein Tor in den Innenhof des Hauses, der von einem Säulengang begrenzt wurde. Darüber lagen die Wohnräume und Säle mit etlichen Balkonen nach innen und außen gleichermaßen. Die Bediensteten wohnten anscheinend in den Räumen hinter dem Säulengang. Viel Luxus erfreuten sie sich dort allerdings sicher nicht, denn wenn sie nicht alles täuschte, waren diese Räume ursprünglich eher im Stil einer Festung angelegt wurden, so daß sie sich kaum der Bequemlichkeit der oberen Räume erfreuen durften, obwohl die oberen Zimmer sicher nicht minder wehrhaft waren. Wo Sklaven und Deportierte arbeiteten, war man eben nie vor einem Aufstand sicher und das kam nach ihrer Einschätzung auch nicht von ungefähr, fast würde sie sagen: selber schuld.

Sie grinste heimlich vor sich hin. Man konnte es sich also leisten; nur woher kam der plötzliche Reichtum?

Durch ein weiteres offenstehendes Tor konnte Cara in einen zweiten Innenhof sehen, der offensichtlich von den Stallungen gebildet wurde. Robert Lane führte sie eine Treppe hinauf in einen langen Gang, von dem verschiedene Türen abzweigten. Wahrscheinlich verlief er einmal rundum. Große Kronleuchter mit langen Kristallglasketten hingen in regelmäßigen Abständen von der Decke herunter und warfen schemenhafte Schatten durch ihr unwirkliches Licht an die Wand. Hier und da standen kunstvoll geschnitzte Möbel in dem Flur und Portraits früherer Gouverneure schmückten die Wand. Ihr neues Zuhause gefiel Cara sofort, das einzige, was in ihren Augen störte, war der übertriebene Prunk.

Vor einer Türe machten sie Halt und Robert öffnete, nachdem er energisch angeklopft hatte, sie ihr. Sie betraten einen Raum, dem es weder an Größe noch an kostbarer Einrichtung mangelte. In den weichen Perserteppichen auf dem Boden glaubte Cara fast zu versinken und an den Wänden hingen Wandteppiche von solcher Größe, daß sie sie um nichts in der Welt würde reinigen wollen müssen. Rechts von ihr stand ein Regal aus Mahagoni, das von kunstvoll bemalten asiatischen Vasen über große Kristalle aller Art bis zu einigen Bücher scheinbar alles nur Erdenkbare enthielt. Es hätte sie nicht gewundert, wenn sie in eine dieser Vasen geschaut hätte und festgestellt hätte, daß sie bis zum Rand mit Halbedelsteinen gefüllt war anstatt mit Blumen, überhaupt, in dem Zimmer stand nicht eine einzige Blume und was die Bücher betraf, so würde sie jede Wette eingehen, daß ihr Onkel nicht eines von ihnen gelesen hatte.

In der Mitte des Raumes stand ein langer Tisch, der natürlich auch aus Mahagoniholz angefertigt worden war. Da brauchte sie erst gar nicht hinsehen. Anscheinend war dieser Raum das Speisezimmer, denn der Tisch war fertig gedeckt, und ihr Onkel schien nur noch darauf zuwarten, daß das Essen serviert wurde. Jetzt stand er auf und kam mit dem strahlendsten Lächeln, das er aufsetzen konnte, wenn er schlechte Laune hatte, auf sie zu. Er hatte sich, seit sie ihn das letzte Mal in England gesehen hatte, nicht im Geringsten verändert. Er war immer noch ein bißchen mehr als für Leute seines Schlages üblich zu dick und trug ein teures Seidenhemd mit einer passenden Hose, die aussah, als käme sie geradewegs vom Schneider, was auch für das Hemd zuzutreffen schien. Alles war wie immer vollkommen makellos, ja perfekt, als würde alles von seiner Kleidung abhängen, als würde sie ihn zu einem besseren Menschen machen. Kleider machten vielleicht Leute, aber nicht Menschen und auf den Menschen kam es letztlich einzig und allein an.

"Endlich seid Ihr angekommen! Ich hatte schon befürchtet, ich müßte ohne Euch essen. Mr Lane, Sie bleiben doch hoffentlich zum Abendessen hier, da Sie sicher noch keine Gelegenheit dazu hatten." Hatte er auch nichts vergessen, was er sich vorher überlegt hatte, zusagen?

"Es tut mir schrecklich leid, Sir David, aber leider erwartet mich mein Vater, weil er noch etwas wichtiges wegen der Piraten mit mir zu besprechen hat. Sie werden sicherlich besser Bescheid wissen als ich, worum es geht, da Sie ja schon heute morgen mit ihm gesprochen haben."

"Oh ja, natürlich. Bei den ganzen Problemen, die täglich auf mich zukommen, hatte ich das doch ganz vergessen. Dann hoffe ich, daß Sie uns bald wieder mit Ihrem Besuch beehren und danke Ihnen dafür, daß Sie so freundlich waren, meine Nichte abzuholen."

"Keine Ursache, es war mir ein Vergnügen." Robert Lane gab sich einen kurzen, innerlichen Ruck, dann fügte er hinzu: "Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir David, würde ich gerne morgen früh mit Ihrer Nichte ausreiten?"

"Natürlich habe ich nichts dagegen. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn Sie sich gut mit ihr verstehen. Miss Julia wird Sie natürlich begleiten. Dann bis Morgen."

"Bis Morgen." Damit verschwand Robert Lane wieder.

"Also, liebste Nichte, da nun das Essen doch noch aufgetragen worden ist, bevor ich verhungert bin, könnten wir wohl zum Abendessen übergehen. Ich werde dringend mal ein ernstes Wörtchen mit der Köchin reden müssen. So geht das nicht mehr weiter!" Sir David Peius legte eine kleine Kunstpause ein, bis er sich wieder gesammelt hatte und sprach dann mit ruhiger Stimme weiter:

"Du hattest sicherlich eine anstrengende und lange Reise bis hierhin. Du mußt mir alles genau erzählen. Aber setz' Dich erst einmal hin. Beim Auspacken kann Dir Miss Julia später helfen. Sie ist in deinem Alter und wird Dir etwas Gesellschaft leisten, da ich in nächster Zeit sehr viel zu tun haben werde."

Viel zu tun? Daß sie nicht lachte! Seit wann tat ihr Onkel selber etwas? Das überließ er doch sonst immer den Anderen!

"Also, viel zu erzählen gibt es da wenig. Wir hatten recht gutes Wetter und die wenigen Passagiere waren ganz nett. Mit der Besatzung hatten wir so gut wie gar keinen Kontakt und das einzige Problem bestand in meiner Seekrankheit. Mir wurde dauernd übel. Aber jetzt bin ich ja endlich hier und ich hoffe, daß bis zu meiner nächsten Seefahrt erst einmal ein paar Jahre vergehen. Nun mußt Du mir aber auch mal einiges erzählen. Mr Lane sagte, ihr hättet hier Probleme mit Piraten und ihr hättet sogar drei eingefangen."

Cara beobachtete ihren Onkel bei ihren letzten Worten genau. Sie hoffte, der Anstoß reichte aus, um ihren Onkel zum Reden zubringen. Normalerweise mußte er sich über eine Sache, die ihn beschäftigte, erst einmal gründlich ausreden, sozusagen sich seinen ganzen Unmut darüber von der Seele reden, bevor er seine Gereiztheit wieder unter Kontrolle hatte. Von diesem Rededrang hatte sie schon oft profitiert, doch ihr Onkel wußte das auch und würde sich dementsprechend in Acht nehmen.

"Das ist richtig. Diese Räuber sind nun endlich da, wo sie hingehören, nämlich im Kerker und da kommen sie auch lebendig höchstens nur raus, um aufgehängt zu werden. Aber vorher werde ich sie mir noch einmal vornehmen, bis sie endlich damit herausrücken, wo ihr Unterschlupf ist, wer sie anführt, wer ihre Spione hier sind und so weiter. Es wird höchste Zeit, daß wir endlich Herr über diese verfluchte Plage werden!"

Sir Peius fing sich wieder ein, bevor er noch mehr verriet. Cara schien zwar endlich zur Vernunft gekommen zu sein, aber sicher war sicher. Wußte sie zuviel von solchen Dingen, würde sie doch nur ihre Nase in Angelegenheiten stecken, die sie partout nichts angingen. Da mußte er vorbeugen. Darum sagte er:

"Mr Lane hat Dir sicher einiges über ihr Treiben berichtet. Er ist da sozusagen Fachmann, aber das soll Dich nicht weiter behelligen."

"Ich habe von alledem nichts gewußt. Es war so schrecklich mit anzuhören, daß ich erst gedacht habe, er wollte mich nur damit erschrecken, doch jetzt, wo Du mir dasselbe erzählst ... ich kann mir so etwas einfach nicht vorstellen. Warum tun Menschen nur so etwas?"

"Wenn ich das nur wüßte, aber aus diesen Kerlen ist ja einfach nichts rauszukriegen. Ich werde es um Mitternacht noch einmal probieren, vielleicht werden sie nach ein paar schlaflosen Nächten gesprächiger. Aber jetzt haben wir wirklich genug davon gesprochen. Du brauchst Dir darum keine Gedanken zu machen. Lebe Dich erst einmal richtig hier ein und gewöhne Dich an das Klima. Das ist wichtiger. Außerdem gibt es für eine junge Dame in deinem Alter wirklich bessere Dinge zutun, als sich über Piraten den Kopf zu zerbrechen!"

"Wie Du meinst."

Damit war für ihren Onkel das Thema erledigt. Er hatte unmißverständlich klar gemacht, daß sie sich daraus zuhalten habe und nur die liebenswürdige Nichte spielen durfte und als wohlerzogene junge Dame würde sie sich auch daran halten. Den Teufel würde sie tun! Sie verfielen in Schweigen.

Sir David Peius hing seinen Gedanken nach. Es war wirklich seltsam, wie eine gute Erziehung doch Menschen änderte. Ja, Cara war nun doch letztlich eine junge Dame geworden und wußte was sie zutun und was sie zulassen hatte. Es wurde ja auch höchste Zeit. Er konnte wirklich froh sein, daß sie endlich eingesehen hatte, daß sie in seiner Welt nichts verloren hatte. Das war Männersache. Bald würde er auch dafür sorgen, daß sie mal endlich wieder unter Leute kam, dann würde sich der Rest schon von alleine finden. Doch jetzt mußte er zu aller Erst einmal die Sache mit den Piraten hinter sich bringen, aber das dürfte nun auch bald kein Thema mehr sein.

Nachdem sie ihr Essen beendet hatten, brachte David Peius seine Nichte auf ihr neues Zimmer und stellte ihr Julia kurz vor. Die beiden würden sich schon verstehen und Julia würde Cara sicher von irgend welchen dummen Gedanken abbringen. Anschließend machte er sich schleunigst auf den Weg in den Kerker unter dem Haus. Der vorherige Gouverneur hatte schon gewußt, warum er einen Kerker unter seinem Haus bauen ließ!

Cara musterte ihr neues Zuhause genauer ohne wirklich Einzelheiten wahrzunehmen. Julia hatte ein Zimmer neben ihr erhalten, das durch eine Zwischentüre mit dem ihren verbunden war. Sonst gab es nichts Besonderes.

Julia stand in der Türe und beobachtete sie. Sie trug ein einfaches blaues Kleid, das gut zu ihren schwarzen Haaren paßte. Ihre dunklen Augen ruhten ausdruckslos auf irgend einem Punkt hinter Cara.

"Weißt Du, ob es hier auch so etwas wie einen Keller, also einen Vorrats- bzw. Weinkeller, gibt und wenn ja, wie man hin kommt?"

"Schon, aber da gibt es nun wirklich nichts Interessantes. Es sei denn, man ist Weinliebhaber. Durch die Vorratsräume kommt man nur bis zur äußersten Gewölbemauer und dann ist der Raum zu Ende. Der Eingang zu den übrigen Gewölben und Gängen liegt woanders, ich weiß aber nicht wo und dein Onkel wird es Dir wohl kaum verraten."

Julia wartete einen Moment ab, wie Cara reagieren würde, doch als diese schwieg, faßte Julia sich ein Herz und fuhr fort, geradewegs auf ihr Ziel los, all die sorgsam in den letzten Stunden abgewogenen Formulierungen verwerfend.

"Was Dich wahrscheinlich mehr interessieren dürfte, ist, daß der erste Gouverneur dieser Insel seine Residenz mit einem ganzen Netz von Geheimgängen versah, weil er, so sagt man, öfters heimlich Besuch empfing, wer immer das auch war. Es gibt auch einen Plan von diesen Gängen, aber der vorige Gouverneur war so freundlich, ihn zu verstecken, anstatt deinem Onkel auszuhändigen, wie er es eigentlich hätte tun müssen, aber da er ohnehin kurz darauf starb, hat ihm keiner einen Vorwurf daraus machen können."

"Warum sollte mich das interessieren?" Cara beäugte Julia mißtrauisch. Was wußte Julia von ihr und auf welcher Seite stand sie? Cara trat langsam ans Fenster und schaute hinunter zum Hof, so daß Julia ihr Gesicht nicht sehen konnte.

"Ach, tue doch nicht so! Deinem Onkel, Robert Lane und all diesen anderen Analphabeten kannst Du vielleicht etwas vormachen, aber mir nicht. Heute Morgen ist gar kein Schiff angekommen, und Du weißt selber nur zu gut, daß dein Onkel seine Schiffe immer seinem Kommodore überläßt und der wird sich hüten, Sir Peius auch nur ein Wort davon zusagen, denn der hat wahrhaftig andere Dinge zu tun, als sich deswegen auch noch mit deinem Onkel zu streiten. Außerdem habe ich eben, als sie dein Pferd in den Stall gebracht haben, gesehen, was für ein Pferd Du hast. So eines gibt es auf der ganzen Insel nur ein Mal! Vor zwei Tagen war es unten am Strand und daß, obwohl Du doch angeblich erst heute angekommen bist."

Cara fuhr herum. "Was willst Du damit sagen?"

"Cara, ich kannte Dich schon, bevor ich Dich auch nur ein einziges Mal gesehen hatte. Ich weiß auch, warum Du und dein Onkel euch nicht versteht und was zwischen euch beiden passiert ist. Ihr habt euch zerstritten, weil deinem Onkel ein einfacher französischer Fregattenkapitän nicht gut genug als Schwiegersohn war und er Dir eine andere Welt zeigte, als die, in der Dich dein Onkel sehen wollte. Ich bin auf Deiner Seite, Cara!"

"Das Ganze könntest Du genausogut von meinem Onkel persönlich erfahren haben, weil er will, daß Du für ihn die Spionin spielst."

"Glaube mir doch, ich kann genausowenig wie Du Ungerechtigkeiten vertragen und ist es denn gerecht, wenn dein Onkel immer höhere Steuern einkassiert, die wir, die wir in seiner Gesellschaft wertlos sind, nicht bezahlen können? Findest Du es gerecht, wenn dein Onkel in Saus und Braus lebt und uns die Steuern an den Rande der Existenz bringen? Das erste, was dein Onkel tat, als er hierher kam, war die Abgaben, die zu bezahlen uns ohnehin schon schwer genug fiel, kräftig zu erhöhen. Er sagte, die Krone brauche mehr Geld und aus unserer Kolonie käme zu wenig, aber nicht nur ich habe Zweifel daran, daß die auch nur einen roten Heller davon zusehen bekommen hat. Als der vorige Gouverneur noch im Amt war, da gab es hier noch keine Piraten. Was denkst Du denn, warum es hier jetzt so viele davon gibt?"

Julia hielt einen Moment inne, bevor sie noch einmal nach setzte:

"Was für einen Unterschied macht es denn für die Menschen hier, ob sie als Piraten oder Steuerhinterzieher aufgeknüpft werden, oder ob sie schlicht verhungern? Cara, ich weiß, wer die Männer unten im Kerker sind. Sie haben uns oft geholfen, indem sie das erbeutete Geld an uns verteilt haben, wenn wir es brauchten, weil wir immer ärmer und ärmer wurden und dein Onkel immer reicher und reicher. Alleine kann ich niemandem helfen, nur zusammen können wir hier vielleicht noch etwas erreichen."

"Wir? Was hat das mit mir zu tun?"

Julia gefror innerlich. Konnte sich Cara derart verändert haben? War das möglich? Angst stieg in ihr auf, doch dann setzte sie alles auf eine Karte.

"Cara, der eine der drei Männer dort unten ist Daniel Leroux!"

Cara erstarrte innerlich zu einer Salzsäule, während Emotionen sie überfluteten wie eine Brandung.

"Überlege doch mal! Glaubst Du wirklich, ich wüßte das von Deinem Onkel?"

Cara faßte sich etwas und drehte sich wieder zum Fenster um. Sie hatte natürlich nicht im Ernst geglaubt, daß Julia für ihren Onkel die Spionin spielen sollte, das hätte nicht zu ihrem Onkel gepaßt. Für so etwas fehlte ihm der Sinn, bei Spionen wußte man schließlich nie, ob sie einem die Wahrheit sagten oder nicht. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Nein, das wäre ihrem Onkel zu wage gewesen. Aber Vorsicht war besser als Nachsicht. Sie mußte aufpassen.

"Was weißt Du von Daniel?" Ihre Stimme erstickte fast.

"Er wurde vor zwei Tagen zusammen mit Peter und Diego am Strand von Marinesoldaten aufgegriffen und hierher gebracht. Mehr konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Cara, er liebt Dich noch immer!"

Cara antwortete nicht. Julia spürte einen Schatten von Verzweiflung in sich aufziehen. Was sollte sie nur tun? Sie dachte an ihre Mutter, die sie mit einer Wäscherei über Wasser hielt und all die anderen einfachen Leute in der Stadt, die kaum wußten, wie sie satt werden sollten, obwohl dieses Land so üppig war, so reich, das ganze Jahr über. Julia wechselte das Thema:

"Ich war so frei, deine Sachen auszupacken und auf den Balkon zum Trocknen zuhängen. Die anderen habe ich über dem Kaminfeuer getrocknet und in den Schrank gelegt. Es muß ja nicht jeder wissen, daß Du in Männerklamotten herum spazierst."

"Danke. Aber erzähle mir noch mehr über die Sache mit dem Gouverneur und vor allem mit seinem Plan."

Einen Moment lang hielt Julia irritiert den Atem an, doch dann gab sie bereitwillig Auskunft.

"So genau weiß das hier kein Mensch mehr. Der besagte Plan wurde vom ersten Gouverneur gezeichnet und immer nur an seinen Nachfolger weitergegeben. Als dann der vorherige Gouverneur hier nach langer Krankheit im Sterben lag, hat er erfahren, daß sein Sohn, der von seiner Majestät schon als Nachfolger ernannt worden war, nicht zu seinem Amtsantritt in Kingston erschienen, sondern spurlos verschwunden ist und daß nun statt dessen dein Onkel seine Nachfolge antreten würde. Später, als er den Plan an Sir Peius übergeben sollte, war er verschwunden und nachdem man das halbe Haus auf den Kopf gestellt hatte, hat man ihn dann in der Kapelle gefunden. Tot. Und der Plan war weg. Tija, er ist dann in der Kapelle beigesetzt worden, wie die anderen vor ihm auch, aber ihm kam es vielleicht am Meisten zu, denn er war sehr gläubig."

Cara nickte:

"Mit Hilfe des Planes wäre es den anderen Piraten sicher ein Leichtes, ihre Kumpane zu befreien.... nur müssen wir dazu vorher den Plan finden."

"Das sage ich doch die ganze Zeit! Hast Du eine Idee, wo wir anfangen sollen zu suchen? Der Plan könnte überall sein und es haben schon viele nach ihm gesucht."

Cara schwieg. Sie hatte außer den spärlichen Informationen von Julia keine Anhaltspunkte und es hatten sicher schon ganz andere gesucht. Aber halt, vielleicht hatten die anderen etwas Entscheidendes übersehen. Die zeitliche Abfolge!

"Wo ist denn die Hauskapelle?"

"Komm' mit, ich zeige sie dir."

Sie verließen das Zimmer und gingen den Gang entlang ein Stück zurück, bis zu einer Tür, über der eine Inschrift in dem Mauerwerk besagte, daß dies die Kapelle sei. Cara öffnete die Türe und schob Julia vor sich her in den Raum. Er war nicht sehr groß und auch die Wände waren nicht verkleidet. Dafür hingen überall an den Wänden die verschiedensten Bilder und Ikone und auch die Decke war kunstvoll bemalt. Durch das bunte Glas des einzigen Fensters, das sich direkt gegenüber der Tür befand, fiel fahles Licht in den Raum. Unter dem Fenster stand ein kleiner Altar mit einem Kreuz und drei Kerzen, von dem Licht in einem Kegel beleuchtet. Rechts und Links der kurzen Sitzbänke waren hinter kurzen Mauerbögen ein paar kleine Seitenschiffchen.

"Wer hat denn all diese Bilder gemalt?" fragte Cara.

"Oh, ganz verschiedene Leute. Meist Künstler aus der Stadt." Julia ging zum Altar, kniete nieder und bekreuzigte sich, um dann in einem Gebet Hilfe zu suchen, denn Gottes Hilfe würden sie jetzt gewiß brauchen.

Cara schlenderte langsam an den Mauerbögen entlang und betrachtete die Bilder. Der Plan war hier in diesem Raum, darauf hätte sie schwören können. Aber wo? Hätte sie den alten Gouverneur doch nur gekannt!

Sie ging zu dem Seitenschiffchen hinüber, in dem der Sarg mit dem Gouverneur, der den Plan hatte verschwinden lassen, aufbewahrt wurde. Daß ein frommer Mann in die Kapelle ging, war sicher nichts Ungewöhnliches, aber einer, der schon mehr tot als lebendig war? Na, sie wußte nicht recht. Beten konnte man auch in seinem eigenen Zimmer. Außerdem hatte er ja noch nicht einmal sicher sein können, daß er hier überhaupt ankam, er hätte genausogut unterwegs schon sterben können und dann hätte er gar nicht mehr beten können. Cara strich gedankenverloren mit der Hand langsam über den verstaubten Steinsarg. Ohne den Plan war ihr eigener Plan wertlos.

Aber wie sollte sie die Karte finden, wenn sie nicht wenigstens einen einzigen Anhaltspunkt auf sein Versteck hatte, überhaupt, die Sache stank zehn Meilen gegen den Wind, fand Cara. Warum war dieser Sohnemann verschwunden? Das machte doch keinen Sinn, es sei denn, jemand, der davon Vorteile hatte, hatte ihn verschwinden lassen. Ihr Onkel? Was für ein wilder Verdacht! Konnte das wahr sein? Verdammt, so kam sie auch nicht weiter. Cara schlug ärgerlich mit der Handfläche auf den Sarg. Wo, zum Teufel, hast Du den Plan versteckt und warum? Sag' es mir! schoß es durch ihren Kopf.

In diesem Augenblick wurde sie plötzlich einen Schatten neben sich gewahr und fuhr herum. Dabei vergaß sie den Kopf unter dem niedrigen Bogen einzuziehen und stieß prompt mit ihm gegen ein Bild. Noch bevor sie dazu kam, sich über ihr Mißgeschick zu ärgern, fiel dieses von dem Torbogen herunter und sein Rahmen zerbrach auf dem harten Boden in Tausende von Scherben. Cara vergaß mit einem Mal alles um sich herum, starrte auf das Papier, das sich hinter dem Bild befunden hatte und nun oben auf dem Boden lag.

"Bei allem, was mir je heilig gewesen ist, ich glaube, ich werde abergläubisch! Das gibt's doch nicht!" Obwohl Julia durch das Klirren aufmerksam geworden war, waren die Worte doch so leise dahin gemurmelt, daß Julia sie nicht verstehen konnte. Cara hob das Papier blitzschnell auf und ließ es unter ihrem Kleid verschwinden.

"Julia, ich bin mit dem Kopf an ein Bild gestoßen und es ist zerbrochen, als es herunter fiel. Könntest Du die Scherben aufkehren? Ich will mir etwas kaltes Wasser zum Kühlen holen."

"Sicher."

Cara verließ die Kapelle schnellen Schrittes. Die Gestalt, die für den Schatten verantwortlich gewesen war, übersah sie dabei glatt.

 

 

 

Gong, Gong, Gong, Gong, ... -die kleine Turmuhr über dem Balkon der Kapelle im Haus schlug zwölf mal - Mitternacht. In der Gouverneursresidenz war alles dunkel, ihre Bewohner schliefen längst, zumindest fast, denn aus einem vergitterten Schacht am Rande des Säulenganges fiel ein wenig Licht in den Innenhof und gedämpft drangen Stimmen aus ihm nach oben, während im übrigen Haus vollkommene Stille herrschte. Tief unter der Erdoberfläche, in durch eine Petroleumfunzel nur sehr schlecht ausgeleuchteten Gängen bewegte sich eine Gestalt auf das etwas verbreiterte Ende eines Ganges zu. Wasser tropfte von der Decke oder rann in kleinen Straßen an den grob gemauerten Wänden herunter. Die Luft war feucht-kalt und roch nach Moder. Hin und wieder huschte etwas vor dem Schein der Lampe davon und warf dabei unwirklich tanzende Schatten an die Wände. Es mochten Ratten sein.