Inseljahre - Christine Emmerich - E-Book

Inseljahre E-Book

Christine Emmerich

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Beschreibung

Ein junges alternatives Paar aus Berlin plant Mitte der 80 er Jahre auf eine kanarische Insel auszuwandern. Beim Versuch sich dort eine Existenz aufzubauen, zerbröckeln nach und nach die Illusionen über das paradiesische Eiland und es wird am Beispiel der Nachbarsfamilie klar, dass die Probleme der Großstadt längst dort angekommen sind. Parallel dazu kommt es in Berlin zum Fall der Mauer! Die Geschichte handelt vom Pendeln zwischen zwei sehr unterschiedlichen Inseln - zwei verschiedenen Welten. Mit Witz und Selbstironie erzählt die Protagonistin von ihren Erlebnissen und Missgeschicken beim Versuch, sich ein neues Leben aufzubauen. Staunend aber liebevoll beschreibt sie eigenwillige Persönlichkeiten eines Dorfes und das Wachsen von Freundschaften mit den Einheimischen. Selbst in der Wiege des Machismo beginnen einige Freundinnen, sich von der Bevormundung durch ihre Ehemänner zu befreien. Diese sind allerdings nicht glücklich über diese Entwicklung. Allen Hindernissen zum Trotz entsteht nach und nach ein Hotel.

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Glück ist etwas, das durch die Türen in unser Leben kommt, an die wir uns nicht einmal erinnern, sie offen gelassen zu haben.

Rose Lane

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 Die Überfahr

Kapitel 2 Das verlassene Haus

Kapitel 3 Der harte Kern

Kapitel 4 Belastete Zeiten

Kapitel 5 Guiris fuera

Kapitel 6 Betriebsprüfung

Kapitel 7 Familienzuwachs

Kapitel 8 Griseldas Familie

Kapitel 9 Die Mauer bröckelt

Kapitel 10 Die Mauer fällt

Kapitel 11 Das Gerippe

Kapitel 12 Der harte Kern

Kapitel 13 Die Frauentruppe

Kapitel 14 September 2014

1 Die Überfahrt

Die Sonne brannte noch immer unbarmherzig von einem tiefblauen Himmel auf Càdiz herab und es war schon Anfang September. Die riesige Fähre lag fest vertäut an der Hafenmole. Vom oberen Deck aus konnte man beobachten wie sich die letzten Fahrzeuge die schmale Rampe hinauf bewegten und schließlich in dem riesigen Schiffsbauch verschwanden. Die meisten Pkws waren bereits verladen, übrig waren noch Transporter, Campingmobile und Gespanne mit Anhängern. Eine Stunde zuvor hatte ich mich mit meinem klapprigen Berliner Taxi ebenfalls in die Schlange eingereiht. Prompt hatte man mich, zusammen mit zwei weiteren Wagen, aus der Reihe gewinkt und in eine große Halle gelotst. Dann hatten sie die Hunde losgelassen. Meine Hände waren plötzlich feucht geworden. Nicht, dass ich persönlich irgendwelche Befürchtungen hätte haben müssen, aber, als ich die Hunde durch die Autos schnüffeln sah, wurde mir klar, dass dieses Taxi in den letzten Monaten durch die Hände unzähliger Kreuzberger Taxifahrer gegangen war. Gut möglich, dass sich der ein oder andere dort einmal einen Joint gerollt hatte und vielleicht ein kleiner Krümel unter die Fußmatte gerutscht war. Mit einem Aufatmen nahm ich wahr, wie der Hund aus meiner Taxe heraus- und in den nächsten Wagen hineinsprang. Offensichtlich hatten die Gerüche, die ein Taxi nach zwölf Dienstjahren eben so annimmt, alles andere übertüncht. Ich wurde aus der Halle gewinkt, an der Schlange vorbei, direkt zur Rampe. Ich fuhr mehrere Stockwerke hinauf in die Garage des Schiffes, wo ich am Ende auf Tuchfühlung einparken musste und mich mit eingezogenem Bauch durch die nur knapp zu öffnende Fahrertür quetschte. In den engen Gängen herrschte ein heilloses Durcheinander. Menschen und Gepäckstücke verkeilten sich hoffnungslos ineinander, dem Himmel sei Dank war meine Kabine leicht zu finden. Ich stellte nur meine Tasche ab und ging auf Deck. Eine kleine fette Frau rangierte gerade einen überdimensionalen Camper die schmale Rampe hinauf, danach folgte ein Jeep mit Anhänger, dieser sollte nun rückwärts hinauffahren, was einige Schwierigkeiten machte. Seelenruhig rauchend saß der Fahrer am Steuer und ließ sich von der allgemeinen Hektik nicht beirren. Eine halbe Stunde später war auch der letzte Container verladen, es war erstaunlich, was sich dieses Schiff alles einverleiben konnte. Die meisten Passagiere kamen nun an Deck und mit lautem Rumpeln legte das Schiff ab. Alles war fröhlich und gutgelaunt, immerhin ging es ja endlich los zu den geliebten Inseln.

Ich sah mein heißgeliebtes Andalusien entschwinden und konnte mich nicht freuen. Eigentlich wollte ich gar nicht hier fort. Für die meisten Passagiere war Andalusien nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu den Inseln, ich war offensichtlich die einzige, die es nicht so empfand. Wie so oft in ähnlichen Situationen sah ich die Szenerie plötzlich gänzlich aus dem Zusammenhang heraus gelöst. Mir wurde gerade das Absurde klar: ich stand auf einem großen Schiff, das mich weit hinaus auf den Atlantik zu einem Ort brachte, an dem ich gar nicht sein wollte. Andalusien, die Region in der ich gerne geblieben wäre, entschwand in der Ferne. Wie um alles in der Welt war ich nur in diese Lage gekommen? Dieser Moment erstarrte zu einem Bild, einem Gemälde, das mir auch in späteren Jahren immer wieder in Erinnerung kommen würde als mahnendes Beispiel. Es wurde nun endlich Zeit, mein Leben dahingehend zu ändern, mich nicht mehr zu Dingen zu zwingen, die ich nicht will. Vorher aber musste ich noch durch diese Aufgabe. Ich fühlte mich alleine und verloren, gefangen auf einem Schiff im weiten Ozean. Eine Hand berührte mich sanft am Arm. Ich sah mich um und hinter mir stand ein älterer Herr mit lieben Augen und einem warmen Lächeln. Er hielt mir ein volles Cognacglas hin:

„Vielleicht kannst du das gebrauchen?“

Erst jetzt merkte ich, dass mir einige Tränen übers Gesicht gekullert waren. Ich musste einen dramatischen Eindruck vermittelt haben. Dankbar nahm ich das Glas und genehmigte mir einen kräftigen Schluck, dann wischte ich mir übers Gesicht. Er musste mich schon eine ganze Weile beobachtet haben wie ich in Gedanken versunken, mit Tränen im Gesicht, an der Reling stand. Verlegen stotterte ich:

„Oh, es ist nur ... ich mag Andalusien sehr gerne.“

„Schon gut“, er lächelte gutmütig, „ich heiße Bernd und das ist Silke.“

Eine unscheinbare kleine graue Frau hatte sich zu uns gesellt, er legte seinen Arm um sie und drückte sie zärtlich an sich.

„Wir fahren über den Winter auf die Inseln.“ Er hatte einen starken schwäbischen Dialekt und wie immer, wenn ich diese Mundart höre, fühlte ich mich ein wenig geborgen und ruhiger.

„Ich bin Andrea und“, mit einem kleinen Lächeln fügte ich hinzu, „auch aus Schwaben.“

Wir unterhielten uns noch eine Weile über unsere gemeinsame Heimat, dann entschuldigte ich mich und machte mich auf den Weg zu meiner Kabine.

„Wir sehen uns beim Essen!“, rief er mir noch nach.

„Danke für den Cognac!“

Die Kabine war ein enger Schlauch, in dem nur eine Person stehen konnte. Rechts und links waren je zwei Betten übereinander angebracht. Und gleich neben der Tür gab es ein winziges Badezimmer mit Dusche und Toilette. Eine ältere Dame war schon damit beschäftigt, alles für die Nacht herzurichten. Ich nahm mir eines der beiden freien oberen Pritschen und als ich mit dem Beziehen des Bettes fertig war, betrat eine weitere Frau die Kabine. Bei ihrer Körperfülle hatte sie Mühe, durch den schmalen Gang zu kommen und ich traute meinen Augen nicht, als sie das zweite freie obere Bett nahm. Sie musste etwa Ende vierzig sein und war nur ca. 1,60 groß. Die Haare trug sie kurz und als sie mich anlächelte, strahlten mir ein paar lebendige, türkisgrüne Augen entgegen. Nun wurde es wirklich zu eng und Dame Nr. eins wurde draußen von ihrem Gatten erwartet, die Kabinen waren nach Geschlechtern aufgeteilt. Als sie draußen war, hievte sich die Dicke mit unglaublicher Behändigkeit auf ihr Bett und grinste mich an:

„Now it is still possible.“ Ich wusste nicht so genau, wie sie das meinte.

„I am Helena.“ stellte sie sich vor. Na bravo, dachte ich verdrossen, nur „Trutscheln“ in der Kabine, aber na ja, es ist ja nur zum Schlafen. Da hielt mir Helena schon mit einem fragenden Blick ein Glas hin und entkorkte mit ruhiger Professionalität eine Rotweinflasche.

„Die Bar ist noch geschlossen“, sagte sie entschuldigend, „aber ich habe noch einen guten Bordeaux im Gepäck.“ Wir stießen auf eine ruhige Überfahrt an und plauderten dann in einem Mischmasch aus Englisch und Spanisch, das wir beide etwa gleich gut beherrschten. Ich schwenkte sofort auf den Gebrauch beider Sprachen ein, je nachdem, in welcher der beiden ich etwas Bestimmtes besser ausdrücken konnte.

Ein paar Brocken Deutsch waren auch dabei und bald kicherten wir fröhlich. Sie war Norwegerin und erzählte mir in aller Offenheit, dass sie unterwegs nach Teneriffa sei, um dort die Leitung einer Time Sharing Agentur zu übernehmen, die gutgläubigen Touristen Anteile an Ferienapartments andrehten. Das sei der Markt der Zukunft, versicherte sie mir und schenkte mir Wein nach. Ich erkannte in ihr die Fahrerin des großen Campers wieder. Sie sei, so erzählte sie mir, seit zwanzig Jahren wurzellos und tingle durch die ganze Welt, mal für die eine Firma, mal für eine Andere. Das Einzige was sie wirklich könne wäre: verkaufen. Ihre Offenheit war genauso entwaffnend wie ihr hübsches Lächeln und ich versuchte mir vorzustellen, wie sie wohl mit zwanzig Kilos weniger auf der Waage aussehen würde. Ich schlug ihr vor, noch einen Rundgang durch das Schiff zu machen und da die Weinflasche eh schon leer war, stolperten wir los durch die Gänge, wobei ich mir nicht ganz darüber im Klaren war, ob das Stolpern am leichten Schwanken des Schiffes oder am schweren Rotwein lag. Wir schlenderten übers Deck und sie stieß mir unauffällig den Ellbogen in die Seite:

„Schau mal den schmalen, Grauhaarigen dort drüben, wie findest du ihn?“

„Oh, ziemlich interessant aussehend, aber für meinen Geschmack ein paar Jährchen zu alt.“

„Ich hatte eigentlich weniger vor, ihn mit Dir zu verkuppeln, Dear.“ Der Schalk blitzte aus ihren Augen und ich war wieder mal verblüfft darüber, wie falsch man Menschen auf den ersten Blick oft einschätzt. Auf alle Fälle versprach es, eine amüsante Überfahrt zu werden. Auf dem Weg zur Cafeteria versicherte sie mir nochmals:

„Verkaufen können heißt, die Menschen für alles interessieren zu können, was man will“, und mit einem verschmitzten Lächeln fügte sie hinzu, „selbst für seine eigene fette Person!“

Ich war ziemlich gespannt, wie sie es anstellen wollte, diesen distinguierten Engländer zu verführen.

Die Cafeteria war ein Selbstbedienungsrestaurant mit den Preisen eines Gourmetlokals. Das Essen war ölig, abgestanden und schon viel zu lange warmgehalten. Es gab total zerkochte Nudeln in öliger Sauce, schlaffe Salate hingen in der Vitrine und fettige Fleischbrocken schwammen in undefinierbaren Saucen, begleitet von Gemüse aus der Dose und schlappen, vollgesogenen Pommes. Wir warfen uns einen angeekelten Blick zu und ich entschied mich schließlich für einen faden Eintopf, der wenigstens preislich erschwinglich, dafür aber keineswegs sättigend war. Helena schob mir noch ihren halbvollen Teller rüber, erstaunlicherweise hatte sie eine Lebensmittelallergie, bei der sie so gut wie nichts essen durfte. Ein Wunder dass sie bei dem, was da noch übrig blieb, so fett geworden war.

„Glücklicherweise vertrage ich wenigstens das Trinken“, raunte sie mir hinter vorgehaltener Hand zu. Der rothaarige Jeepfahrer gesellte sich noch zu uns und die beiden vertieften sich in ein Gespräch über Teneriffa. Ich winkte zum Nachbartisch. Dort saßen Bernd und Silke zusammen mit einem jungen Paar, das den weiten Weg nach Cádiz mit drei kleinen Kindern gemacht hatte. Entsprechend erschöpft sah die Frau auch aus und unmittelbar nach dem Essen zog sie sich mit den Kindern in die Kabine zurück. Er blieb seelenruhig sitzen, als ginge ihn das zu Bett bringen der Kinder nichts an. Wir anderen gingen hoch an Deck. Um den winzigen Pool herum waren mehrere runde Tische gruppiert, es gab eine kleine Bar und Helena und ich setzten uns an einen Tisch nahe der Theke, so hatten wir den Barmann in Rufweite. Die Anspannung der letzten Wochen und der langen Fahrt durch Frankreich und Spanien fiel langsam von mir ab, wir fuhren mittlerweile weit draußen im Atlantik und keine Küste war mehr in Sicht. Helena plauderte aus dem Nähkästchen:

“Weißt Du, wenn Du etwas verkaufen willst, musst Du Dich erst mal bei den Menschen einprägen. Du darfst kein Niemand sein, oder irgendeine anonyme Person. Sorge dafür, dass sie deinen Namen kennen und niemals vergessen.“

„Das ist leicht gesagt“, warf ich ein, „wie stellt man das denn an?“

„Ich habe da so ein paar Tricks“, sie grinste schelmisch, „z.B. mein Name ist geradezu ideal für Spanien!“

„Na ja, Andrea ist auch nicht schlecht, international und...“

„Darum geht es gar nicht. Das Geheimnis ist, dass man mich mit „H“ schreibt. Im Spanischen gibt es eine Elena aber ohne H“, sie sah mich bedeutungsvoll an.

„Na und, was ist denn daran so besonders, was hat denn eine gute Verkaufsstrategie mit einem lächerlichen H ...“

„Oh, sehr viel! Ganz einfach, ich sage den Leuten ich heiße Elena, aber, und dabei sehe ich ihnen intensiv in die Augen, Elena, aber con Atsche, mit H. Es ist mir persönlich egal, wie sie meinen Namen schreiben, aber wenn ich das scherzhaft ein-zwei Mal wiederhole, wird es keiner mehr vergessen."

“Ah, ich verstehe, es ist so etwas wie dein Markenzeichen.“

„Genau! Mein Markenzeichen, und wenn ich die Leute nach Wochen mal anrufen muss, brauche ich nie lange zu erklären, wer ich bin. Ich sage: „hier ist Elena, du weißt doch die con Atsche“, und die Leute erinnern sich sofort mit einem Lächeln.“ Triumphierend lehnte sie sich zurück.

„Nicht schlecht, hast du vielleicht noch so ein paar Tricks auf Lager, ich müsste nämlich gerade dringend ein paar halbfertige Ferienwohnungen in einer Bauruine verkaufen...“

„Ich sage dir nur eins: mach eine Verkaufsschulung bei Time Sharing und es wird in deinem ganzen Leben nichts mehr geben, was du nicht an den Mann bringst!“

„Selbst meine eigene fette Person!“, vollendete ich ihren Satz. Sie lachte und meinte dann nachdenklich:

„Du hast schon die erste Lektion gelernt, du hast Talent. Willst du nicht eine Zweigstelle auf eurer Insel eröffnen? Wie bist du eigentlich dazu gekommen, erzähl mal von den Wohnungen.“

„ Oh je, das ist eine lange Geschichte, sie begann genaugenommen schon vor zehn Jahren, ich denke das wäre jetzt zu lang...“

„Nein, nein, es ist nicht zu lang. Ich liebe wahre Geschichten, sozusagen vom Leben geschrieben.“ Sie winkte dem Barmann, bestellte mehr Wein und lehnte sich bequem in ihren Korbsessel zurück.

„Darling we ´ve got plenty of time...“

2 Das vergessene Haus

Als ich zum ersten Mal auf die Insel kam, stand bereits in jedem Wohnzimmer ein Videorecorder. Selbst in abgelegenen Spelunken, die meistens an verlassene Bahnhofshallen erinnerten, blinkten neben Fernsehern, die jedes Gespräch im Keim erstickten, grelle Spielautomaten, die, ohne dass jemand sie berührt hätte, alle fünf Minuten ein Liedchen dudelten, um gewissermaßen auf sich aufmerksam zu machen. Umso erstaunlicher war der Umstand, dass es auf der gesamten Insel nicht eine einzige Verkehrsampel gab.

Diese Tatsache allerdings drang erst Jahre später wirklich in mein Bewusstsein, nämlich just in dem Moment, als unter großem öffentlichem Palaver über das Für und Wider, das erste Exemplar dieser Art an der großen Durchgangsstraße in der Stadt installiert werden sollte. Bei meinem ersten Besuch war ich genau 30 Jahre alt, frischgebackene Mutter und zwar eine von der Sorte die, das Kind im indischen Tragetuch vor dem Bauch, der ganzen Welt beweisen wollte, dass Kinder zu haben auf keinen Fall bedeutete, bürgerlich und normal zu werden. Es war im Januar des Jahres 1986. Jan, mein Lebenspartner und der Kindsvater, hatte schon im vorangegangenen Jahr großen Elan an den Tag gelegt, mit mir, im achten Monat schwanger, ausgedehnte Bergwanderungen auf der Nachbarinsel zu unternehmen. Tiefe Schluchten und idyllische Bergdörfer wurden von uns auf steinigen Guanchenpfaden per Pedes erwandert. Eine Schwangerschaft sei ja schließlich keine Krankheit!

Als friesischer Bauernsohn aufgewachsen, hatte er alljährlich Schwangerschaft und Geburt bei unzähligen Kühen erlebt und als etwas Natürliches und Selbstverständliches hinzunehmen gelernt. Warum sollte ich, seine Frau, weniger auszuhalten im Stande sein, als die gemeine friesische Kuh. Im Grunde kam mir diese Einstellung sogar entgegen. Unkonventionell und geprägt von meiner Jugend im Zeitalter der „Spätachtundsechziger und darüberhinaus auch noch unter dem Sternzeichen des kämpferischen Widders geboren, setzte ich all meinen sportlichen Ehrgeiz daran, alles anders zu machen als die Anderen. Verächtlich sah ich auf all die zarten, femininen, hilflosen Wesen herab, die offensichtlich unfähig waren, etwas so selbstverständliches wie eine Geburt auf natürliche Weise zu erledigen. Mit Wehenhemmern oder - stimulantien, Kaiserschnitten oder gar Rückenmarksspritzen blockierten sie stundenlang die Kreißsäle mit ihrem Geschrei und danach mutierten sie monatelang zur Regeneration ihrer geschundenen Organismen zu einem neuen Geschöpf: dem schonungsbedürftigen heiligen Muttertier. Exakt zwei Stunden nach der Entbindung war ich von der Liege aufgestanden und hatte fassungslos den plötzlich wieder flachen, wenn auch etwas ausgeleierten Bauch unter der heißen Dusche betrachtet. Dann hatten wir das winzige Wesen in die viel zu großen, selbstgestrickten Anzüge gepackt und waren in unserem betagten, etwas klapprigen Taxi nach Hause gefahren.

Acht Monate später landeten wir in Begleitung von Brigitte, einer Bekannten, die als alleinerziehende Mutter mit ihrer eineinhalbjährigen Tochter auf der großen Nachbarinsel lebte, in diesem kleinen Paradies. Wir waren auf der Suche nach einem Ort, an dem die Welt noch in Ordnung und das Leben noch lebenswert war.

Aus Sparsamkeitsgründen mieteten wir uns einen Fiat Panda. Das Gepäck wurde im Kofferraum und die Kinderbuggys auf dem Beifahrersitz verstaut. Wir beiden Mütter, samt dem dazugehörigem Kind auf dem Schoss, quetschten uns auf die enge Rückbank.

Eine harte ungepolsterte Stange drohte uns bei jedem Schlagloch das Rückgrat zu brechen. Alle Straßen bestanden damals praktisch nur aus Schlaglöchern. Auf diese Weise vollbrachten wir die beachtliche körperliche sowie nervliche Leistung, innerhalb einer Woche fast die gesamte Insel im wahrsten Sinne des Wortes abzuklappern. Etwa 4 Kilometer gerade Strecke gab es auf dem ganzen Eiland, der Rest bestand ausschließlich aus Serpentinen, die sich schier endlos die steilen Berge hinauf- und hinunterwanden. Beseelt von der Freude, eine neue Welt zu entdecken saß Jan am Steuer des Panda. Von Kilometer zu Kilometer fasste er mehr Mut, es mit den sportlichen Fahrkünsten und den kühnen Kurventechniken der Einheimischen aufzunehmen, während wir Frauen auf dem Rücksitz, mit quengelnden Kindern, durchgeweichten Windeln und grünlichen Gesichtern versuchten, den Naturschönheiten der Landschaft Tribut zu zollen.

Nachdem wir die ersten beiden Tage in einer Pension direkt am Meer nahe der Hauptstadt gewohnt hatten, vertrieb uns von dort, abgesehen vom andauernden Nieselregen und dem nachts gegen unsere Fenster tosenden Atlantik, der Qualm der nahegelegenen Müllverbrennungsanlage. Außerdem hatte man uns versichert, dass das Wetter auf der anderen Inselseite schön sei. Das konnte ich mir nun überhaupt nicht vorstellen. Der ganze Himmel war wolkenverhangen bis weit auf den Atlantik hinaus, dennoch wurde am nächsten Morgen wieder alles, vom Flaschenwärmer über den Pamperskarton, bis hin zu den Buggys zusammengepackt und in den letztendlich erstaunlich geräumigen Panda verladen. Wir fuhren vom Meeresniveau einen Pass hinauf, an triefenden, moosigen Lorbeerwäldern vorbei, mitten in die Wolken hinein.

Der Nebel wurde immer dichter, eine Zeitlang konnte man gar nichts mehr sehen, dann kamen wir in ca. 1500 m Höhe an einen Tunnel. Wir fuhren in eine stockfinstere Röhre hinein, an deren unerreichbar scheinendem Ende ein hoffnungsvoller, heller Fleck leuchtete. Als wir das die andere Seite erreichten, leuchtete uns blauer Himmel entgegen, die Sonne strahlte und die letzten Nebelfetzen lösten sich in Nichts auf. Dies war das erste Mal, dass ich dieses Inselwunder erlebte. Ein kleines Fleckchen Erde, kaum 50 km breit, bildete einen ganzen Kontinent mit unterschiedlichen Klima- und Vegetationszonen, den man, hatte man nicht gerade zwei Kinder dabei, sogar an einem Tag umrunden konnte. Auf einen Schlag war die Atmosphäre verwandelt. Fort waren die feuchten kühlen Wälder, stattdessen schimmerte die Sonne durch Pinien hindurch und eine saftige grüne Wiese mit blühenden Mandelbäumen breitete sich vor uns aus. Ein langes Tal erstreckte sich zwischen schroff abgeschnittenen Felswänden bis hinunter ans glitzernde Meer. Je tiefer uns die kurvige Straße führte, desto wärmer wurde es. Wir fuhren durch eine größere Stadt, die sich völlig verschlafen und staubig rechts und links der Hauptstraße erstreckte. Hinter unbefestigten, staubigen Gehwegen, erhoben sich hässliche, billige Plattenbauten. Nur durch einige Baulücken konnte man hinter diesen Monstrositäten einen kurzen Blick auf eine malerische Altstadt mit kanarischen Häusern und hübsch bepflanzten Plätzen erhaschen. Hier bogen wir ab zu einem kleinen Badeort am Meer. Dort sollte es einen der wenigen Sandstrände geben, welche die Insel zu bieten hatte. Der größte Teil der Küste war felsig und steil oder die Buchten waren steinig und unzugänglich. Der Ort war eine eigenartige Mischung aus ein paar alten, an den Steilhang über der Bucht geklebten Häusern, einem schachbrettartig angeordneten Neubauviertel und einer Bretterbudensiedlung. Die Straßen waren schmale Einbahnstraßen, die Gehwege kaum breiter als 50 cm und die Gebäude rechts und links ragten bis zu 4 Stockwerke hoch. Es handelte sich um Ferienappartements, die von wohlhabenden Einheimischen dort erbaut worden waren. Der Ort wirkte verlassen, denn es war keine Ferienzeit. Zwei, drei Kneipen gab es, die aber nicht so einladend aussahen und vorne an der Strandfront hatte man eine breite Uferpromenade gebaut, die sich die ganze Bucht entlang zog. An deren Ende verrottete auf einem riesigen Felsen ein verlassenes Hotelgerippe. Der Wind fegte alte Plastiktüten durch die staubigen Straßen und alles in allem machte der Ort den Eindruck einer verlassenen Geisterstadt.

Wir mieteten eine geräumige Ferienwohnung in einem der Neubauten. Die Besitzerin führte uns durch die Räume, in der Küche ergriffen 2 Kakerlakenfamilien empört die Flucht. Allerdings hatten wir auch eine große Terrasse zur Verfügung. Es fand sich, Gott sei Dank, ein Restaurant an der Uferpromenade, wo wir essen konnten und zwei Tage verbrachten wir am schwarzen Sandstrand, das Wasser war zwar kalt, aber sehr erfrischend. Nach zwei Tagen hatten wir die Atmosphäre der Geisterstadt satt. Auf einem kleinen Ausflug hatten wir ein paar Kilometer weiter eine kleine Ortschaft entdeckt, die wesentlich lebendiger wirkte. Sie war eine der wenigen Ortschaften, die natürlich gewachsen aussah, außerdem sollte sie eine der ältesten Orte auf der ganzen Insel sein. Wir mieteten eine Ferienwohnung in einem der hässlichen Neubauten direkt an der verkehrsreichsten Kreuzung des Dorfs. Von unserem Balkon aus konnten wir Tag und Nacht die Mopeds mit abgesägtem Auspuff vorbeiknattern sehen und hören. Die Räume waren mit einem glänzenden schwarzen Steinfußboden gepflastert, das Mobiliar bestand aus besonders bemerkenswerten Stücken modernen spanischen Neobarocks, die Spitzentischdecke entpuppte sich als Plastikattrappe. Aber es war sauber und alles roch intensiv nach chlorhaltigen Desinfektionsmitteln und Insektenspray. Das letztere übte heimlich und im Stillen eine äußerst beruhigende Wirkung auf mich aus, denn schon jetzt hatte ich meine Todfeinde in diesem Paradies ausgemacht: die Kakerlaken. Wir badeten beide Mädchen in der geräumigen Badewanne und fuhren anschließend weitere Serpentinen vollends zum Meer hinunter, wo sich der zum Dorf gehörige Fischerhafen, ein steiniger Strand und eine Sozialbausiedlung befanden. Am Ende der Bucht, wo ein schroffer Felshang die Weiterfahrt verhinderte, entdeckten wir direkt am Wasser zwei Bretterbuden, wo man gegrillten Fisch oder Fleisch, Pellkartoffeln und eine grüne scharfe Sauce essen konnte, typisch kanarische Kost. Der Thunfisch schmeckte köstlich, das Meer brandete gegen die Felsen und den nächsten Tag verbrachten wir wieder am schwarzen Lavastrand. Nachmittags fuhren wir in die Stadt und bummelten durch die Altstadt, entdeckten kleine, Palmenbeschattete Plätzchen und tranken unter zwei riesigen Lorbeerbäumen Kaffee. Brigitte besuchte einen Freund ihres Vaters, der in einem wunderschönen kanarischen Haus mit großem, schattigem Innenhof seit einigen Jahren ein Immobilienbüro betrieb. Abends, als die beiden Kinder schliefen, öffneten wir eine Flasche Wein und studierten die Angebotslisten. Die meisten Objekte waren größere Anwesen oben in den Bergen oder im Norden der Insel und da man uns erklärt hatte, pro hundert Meter Höhe wäre es um ein Grad kälter, suchten wir etwas in einer Lage unter 300 Höhenmetern. Dort gab es nur wenige Angebote, die preislich im Rahmen unserer Möglichkeiten lagen. Ich entdeckte ein Haus, das genau in unserem Dorf lag. Das Grundstück hatte nur 300 Quadratmeter, dennoch beschlossen wir, aus Neugierde, es uns anzusehen.

Anscheinend machten wir auf den Makler nicht den Eindruck, kaufkräftige Kunden zu sein. Möglicherweise lag es an den ausgewaschenen Hosen, dem kurz zuvor von Marie bekleckerten Sweatshirt und den ausgelatschten Turnschuhen. Das Kind im Tragetuch trug wohl auch nicht zu meiner seriösen Ausstrahlung bei. Der Makler unterbrach leicht genervt sein Telefongespräch, nahm einen Schluck Kaffee und schleuderte uns den Hausschlüssel zusammen mit einer wagen Wegbeschreibung quer über den Tisch. Also machten wir uns alleine auf den Weg. Vom Kirchplatz des Dorfes aus führte eine schmale Straße steil den Hang hinauf. An einem kleinen Eckladen, in dem mindestens zehn Frauen, alle in Gymnastikhosen und T-Shirts, am Tresen lungerten und tratschten, wies man uns den Weg weiter den Berg hinauf. Fast hätte ich bedauert, nicht doch den Panda genommen zu haben, wenn ich mir auch nur annähernd hätte vorstellen können, diese Steigung mit einem Auto bewältigen zu können, ohne sich dabei nach hinten zu überschlagen. Im Zickzack begannen wir den Aufstieg, der Buggy wurde gezogen, an Schieben war bei der Steigung nicht zu denken und man konnte förmlich spüren, wie sich 10 neugierige Augenpaare in unsere Rücken bohrten. An einer schmiedeeisernen Gittertür machten wir Halt, es war das letzte Haus in der Straße. Das Haus war unbewohnt und das nicht erst seit gestern. Wir stiegen über ein niedriges Mäuerchen und gelangten in einen verwilderten Garten. Zwei riesige Gummibäume standen auf dem winzigen Grundstück, die oberen Äste hatten längst das Dach des zweistöckigen Hauses erreicht, dazwischen wucherte undurchdringliches, dorniges Gestrüpp. Auf der Rückseite des Hauses entdeckten wir einen aufgebrochenen Fensterladen, der in der sanften Brise klapperte. Das Innere glich einem verlassenen Geisterhaus, es war stockdunkel. Nachdem wir ein paar Fensterläden geöffnet hatten, fiel genug Licht herein, um einen Korridor, eine enge dunkle Essecke mit Küche, zwei kleine, mit schweren spanischen Möbeln vollgestellte Zimmer und ein fensterloses Badezimmer zu erkennen. Am Ende des Korridors führte eine enge steile Treppe in das obere Stockwerk. Dort gab es nur noch ein Zimmer und eine Tür aufs Dach hinaus. Mit viel Mühe konnten wir sie öffnen und standen draußen auf dem Flachdach: Es war ein phantastischer Ausblick!

Das ganze Dorf lag uns zu Füßen. Es schmiegte sich an die umliegenden Hänge und dazwischen lagen Bananenplantagen. Die steilen, schroffen Abhänge waren mit viel Mühe terrassiert und auf jedem verfügbaren Quadratmeter waren Bananen gepflanzt worden. Die Blätter der Bananenpalmen raschelten sanft im Wind und in einiger Entfernung war die Sonne gerade dabei im Atlantik zu versinken. Ein Hahn krähte.

Als wir die Treppe herunterkamen, stand vor der Gartentür eine etwa fünfzigjährige Frau. Sie hatte rötlich getönte Haare, grau-grüne Augen und war trotz ihrer unförmigen Figur elegant gekleidet. Sie lächelte verlegen und sagte etwas auf Spanisch, dabei deutete sie auf das Nachbarhaus. Ich verstand nicht ganz, was sie sagte und rief nach Brigitte. Durch unsere Dolmetscherin erfuhren wir nun, dass sie die Nachbarin war und gesehen hatte, dass jemand ins Haus gegangen war. Besorgt hätte sie nur nachsehen wollen, ob alles in Ordnung sei. Ob sie uns denn irgendwie helfen könne? Es war offensichtlich, dass nur die Neugierde sie hergetrieben hatte. Wir seien nicht die neuen Besitzer, übersetzte Brigitte, wir würden das Haus lediglich besichtigen. Sie machte eine bedauernde Gebärde und ließ sich lang und breit darüber aus, wie schade es sei, dass alles so verkommen war. Das Haus hätte einem deutschen Señor gehört, der aber nun seit vielen Jahren, genauere Angaben über die Anzahl der Jahre waren ihr nicht zu entlocken, nicht mehr dagewesen sei und dass das Haus seitdem leer stand. Sie schien sich gut auszukennen und ging, ohne Punkt und Komma redend, mit uns durch die Räume. Sie wies mit bedauerndem Gesichtsausdruck auf das eingedrückte Fenster in der Küche, durch welches offensichtlich irgendwelche Jugendliche, hier machte sie eine vage Geste in Richtung Dorf, einstiegen, um hier ihre Orgien zu feiern. Als Beweis deutete sie triumphierend auf einige abgebrannte Kerzenstummel. Sie war höflich, ehrerbietig und hilfsbereit und aus ihrem ganzen Verhalten ließ sich immer wieder ablesen: zu Diensten! Wir überließen unsere Freundin dem endlos dahinplätschernden Geplapper und schlenderten nochmals durch den völlig verwilderten Garten, der nach wie vor den großen Nachteil hatte, zu klein zu sein. Schließlich verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Rückweg hinunter zum Dorf.

Als wir den Schlüssel zurückbrachten, schien der Makler gerade nichts zu tun zu haben, er gewährte uns großzügig eine kurze Audienz. Er lehnte sich weltmännisch in seinem Bürosessel zurück:

„Tja, der Erich Garde war damals einer der ersten Deutschen, die sich hier auf der Insel was gekauft haben. Ich erinnere mich noch ganz genau, denn ich habe ihm selber damals das Haus verkauft.“

„Wie lange ist das schon her?“

Er kratzte sich nachdenklich das schlecht rasierte Kinn:

„So circa 15 Jahre. Er hat es damals einem Spanier für nen Appel und ein Ei abgekauft. Der Garten war damals ganz kahl und ihm haben die großen Gummibäume so gut gefallen. Da hab ich ihm einen Zweig abgebrochen und in die Erde gesteckt. Ich glaube, er ist auch angewachsen. Und eine lila Bougainvillea hab ich ihm auch gepflanzt. Sind die eigentlich alle gut angewachsen?“

Nun dämmerte mir auch, wie lange er dieses Haus nicht mehr betreten hatte.

„Das Haus ist komplett überwuchert“, sagte ich.

„Na toll, die geben einen schönen Schatten“, er strahlte.

...Und kein Sonnenstrahl dringt mehr durch das Gestrüpp, dachte ich grimmig.

„Ist denn das ein fester, endgültiger Preis?“, versuchte ich wieder auf das Geschäftliche zu kommen, „da muss ja eine ganze Menge dran gemacht werden...“

„Ich denke, der lässt da mit sich reden, das Problem ist nur... na ja ehrlich gesagt, wir haben ihn schon einzwei Mal angeschrieben, er hat aber nie geantwortet... tja um offen zu sein, ich weiß gar nicht, ob der noch lebt!“

„Na toll!“, konnte ich mir nicht verkneifen, „und was machen wir jetzt?“

„Hmmm wie machen wir...“, er runzelte nachdenklich die Stirn.

„Haben Sie denn seine Telefonnummer?“ Jan verlor langsam die Geduld. Offenbar hatte der Makler während all der Jahre schon die Inselmentalität angenommen.

„Nein, also eine Telefonnummer habe ich nicht,... aber ich hatte mal die Adresse...“ Er begann in einer Schublade in einem heillosen Durcheinander von Papieren zu wühlen.

„Na also!“, knurrte er zufrieden, „da haben wir ihn doch, Erich Garde, Platz am Wilden Eber, Berlin!“ Er hielt mir stolz den Zettel hin: „versuchen Sie ihr Glück.“

„Sie meinen, wir sollen selbst...?“

„Aber klar, das ist doch am Besten! Sie kommen doch auch aus Berlin, soweit ich weiß war er mal Zahnarzt!“

„Bei den Formalitäten helfen Sie uns doch dann?“

„Das ist alles kein Problem, nun treiben Sie den Burschen erst mal auf und werden sich einig, alles Andere geht dann wie von selbst!“ Er erhob sich und streckte uns die Hand hin, die Audienz war beendet. Als wir wieder auf der Straße standen, sahen wir uns erst mal kopfschüttelnd an:

„Wofür bekommen diese Makler eigentlich immer ihre Provision?“

„Na das ist ja ein Chaot, eine total schräge Type...“,

„und hundert Prozent schwul!“, beendete ich den Satz.

„Meinst Du?“ Jan sah mich zweifelnd an.

„Er hat Dich die ganze Zeit über auffällig interessiert angesehen.“

„Vielleicht hast du Recht. Mann, da hab ich ja auch mal Chancen!“

Zwei Tage später flogen wir zurück ins winterliche Berlin. Es war ein regelrechter Temperaturschock. Bei plus zwanzig Grad plus stiegen wir ein und bei minus fünfzehn Grad warteten wir am Flughafen Tegel zehn Minuten auf unseren Abholer. Einer unserer Fahrer hatte sich netterweise angeboten. Wir waren zwar Unternehmer, aber der ganz anderen Art. Mit den meisten unserer Fahrer waren wir befreundet. Bei der wöchentlichen Abrechnung saßen sie Stunde um Stunde in unserem Wohnzimmer, tranken unzählige Kannen Darjeeling Tee aus ökologischem Anbau und rauchten. An den Türen der klapprigen hundertdrei undzwanziger Taxen, fast alle hatten eine knappe halbe Million Kilometer auf dem Buckel, prangte stolz die Greenpeace Werbung, während hinten der schwarze Dieselruß aus dem Auspuff qualmte.

Die folgenden trüben Wintermonate verbrachte ich als Hausfrau, Mutter und Unternehmersgattin mit buchhalterischer „Nebentätigkeit“ in der erst vor knapp einem Jahr zuvor bezogenen Vierzimmerwohnung.

Das Mobiliar bestand noch überwiegend aus den zusammengewürfelten Relikten unserer jeweiligen Junggesellenzeit, also beispielsweise alten, bezogenen Matratzen als Sitzgruppe, selbstgebastelten Regalen und angestrichenen Weinkisten. Immerhin hatten wir uns aus zweiter Hand eine Spülmaschine angeschafft. Sie blieb lange Jahre mein einziger, treuer Helfer bei der Küchenarbeit. Vierzehn Tage vor Maries Geburt hatten wir die geräumige Altbauwohnung nach einer Renovierungsaktion bezogen, bei der viele Freunde tatkräftig mitgeholfen hatten. Stolz war ich mit meinem recht bescheidenen Neun-Monate-Bauch noch auf Leitern herumgeturnt, um Wände zu weißeln.

Sämtliche Fahrer hatten beim Umzug mitgeholfen. Selbstverständlich war da eine Dankesparty fällig. Also hatte ich unseren, ebenfalls aus zweiter Hand erworbenen, Esstisch ausgezogen und ein dreigängiges Menü für siebzehn Personen gezaubert. Den ganzen Tag war ich die drei Etagen hinauf- und hinuntergehetzt, vom Supermarkt zum Getränkehändler, dann hatte ich drei Stunden am Herd gestanden und gekocht. Überall standen noch nicht ausgepackte Kisten herum. Gegen halb drei Nachts sank ich mit geschwollenen Knöcheln und leicht beschwipst ins Bett.

Ein merkwürdiges rhythmisches Klopfen in meinem Bauch weckte mich so gegen fünf Uhr morgens. Ich versuchte, noch eine Stunde zu dösen, dann trieben mich aber die Unruhe und die Aufregung aus dem Bett. Natürlich war noch nichts für dieses Ereignis vorbereitet.

In hektischer Betriebsamkeit waren wir den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, dieser eine Woche zu früh einsetzenden Naturgewalt Rechnung zu tragen: Windelkartons, Öltücher und eine Plastikbadewanne wurden buchstäblich in letzter Sekunde gekauft. Gegen achtzehn Uhr schleppten wir gemeinsam ein Kinderbett in die dritte Etage, jede halbe Treppe blieb ich japsend stehen und versuchte, die immer intensiver werdenden Wehen zu „veratmen“. Dann sank ich auf ein Sofa und konzentrierte mich auf meine Entspannungsübungen, während Jan fachmännisch eine Wehen Kurve anlegte. Als die Wehen alle fünf Minuten kamen, fuhren wir ins Krankenhaus. Vier Stunden später war alles vorbei und in meinem Arm lag ein kleines Wesen, das mich mit großen Augen anblickte.

Um nichts in der Welt hätte ich dieses Erlebnis missen wollen oder es, benebelt durch Medikamente oder Rückenmarksblockaden, halb verschlafen wollen. Ein Kind zur Welt zu bringen war ein Ereignis, das man zuvor in unzähligen Filmen gesehen hatte, die entscheidenden Momente jedoch, die sah man nie. Als Krankengymnastin hatte ich schon während meiner Ausbildung Geburtsvorbereitungskurse leiten müssen und dabei hatte immer die vorwurfsvolle Frage der Kursteilnehmerinnen im Raum geschwebt:

„Haben Sie denn selber schon Kinder geboren?“ Nun konnte ich beweisen, dass meine vielgepriesenen Techniken von Atmung und Entspannung wirklich den Schmerz linderten. Ein paar Unangenehme Minuten gab es zwar, ein Gefühl, als ob einem scharfe Messer den Bauch und den Rücken durchschneiden, das faszinierendste dabei war aber, dass bei all meiner Unsicherheit, mein Körper genau zu wissen schien, was er zu tun hatte. Ich konnte alles getrost ihm überlassen, ein uralter Instinkt und ein Automatismus regelten den ganzen Vorgang. Offen blieb allerdings die Frage: Wozu braucht man bei einer Entbindung immer das kochende Wasser, das in vielen Filmen dann immer herbeigeschafft wurde.

In den ersten Monaten meiner Mutterschaft hatte ich reichlich zu tun: die letzten Umzugskartons mussten ausgepackt werden, die Buchführung unseres kleinen Betriebes musste erledigt und der Säugling wollte versorgt sein; viele Besucher meldeten sich an, schließlich wollte jeder das Kind mal sehen. Als uns noch eine weitere Taxikonzession inklusive eines Autos angeboten wurde, entschieden wir, auf meinen Namen einen neuen Betrieb anzumelden. Ich packte Marie in einen Tragesack und verbrachte viele Stunden im Polizeipräsidium Referat Taxi- und Konzessionsangelegenheiten. Um mich herum saßen dickbäuchige, hartgesottene Berliner Taxiunternehmer, die, offensichtlich kopfschüttelnd, den Niedergang des Gewerbes beklagten, da nun schon Mütter mit kleinen Babys Betriebe führten. Im Rahmen der Emanzipation machte es mir großen Spaß in diese Männerdomäne einzudringen. In der Warteschlange bei der Taxiinnung konnte ich mich fachmännisch über die neuesten Tarife, die Vorteile der einzelnen Funkanbieter und die Unzuverlässigkeit der Fahrer austauschen. So hatte ich von nun an zwar die doppelte Arbeit mit der Buchhaltung, aber, selbst Unternehmerin zu sein, gab mir ein Gefühl von Stolz und Unabhängigkeit.

Einige Zeit schon waren wir auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Jan träumte von Australien, ich von Andalusien, keiner von uns beiden konnte sich dem Traum des Anderen anschließen. Bis wir die Insel entdeckt hatten. Sie war letztendlich ein Kompromiss: sie gehörte zu Europa und es herrschte das ganze Jahr eine Durchschnittstemperatur von zwanzig Grad. Es gab viel Wasser und dadurch auch eine üppige Vegetation. Man war immer noch in der zivilisierten Welt, in der man mit Euroscheck bezahlen, in ein Flugzeug steigen und in vier bis fünf Stunden wieder zu Hause sein konnte. Nach unserer Rückkehr trug der harte Berliner Winter mit seinen eisigen Ostwinden ziemlich schnell zu unserer Entscheidung bei. Ich fand Dr. Erich Garde im Berliner Telefonbuch. Als Jan ihn anrief, schien er zwar etwas verwirrt, verstand aber doch, worum es ging. Einige Tage später rief uns eine Dame zurück, die sich als seine Lebenspartnerin vorstellte und schlug uns ein Treffen in einem Café ganz in unserer Nähe vor. Das Haus war in der Maklerliste mit einem Preis von fünfundfünfzigtausend Mark ausgeschrieben. Wir beschlossen, es mit einem Gegenangebot von vierzigtausend zu versuchen, dann könnte man ja verhandeln. Etwas nervös machten wir uns für das Treffen zurecht, Jan zog sich zu diesem Anlass sogar ein Jackett an, schließlich wollten wir als Kaufaspiranten auch ernst genommen werden. Mit klopfendem Herzen betraten wir das Café. Es war ausschließlich von älteren Herrschaften besetzt. Wir gingen unschlüssig durch die Tischreihen und fingen schließlich den suchenden Blick einer etwa fünfzigjährigen Dame auf, die mit einem älteren Herrn am Tisch saß.

„Herr Garde?“, fragte ich. Er stand höflich auf und gab uns die Hand.

„Garde“, sagte er mit einem Kopfnicken, „das ist meine Frau, das heißt,... eigentlich nicht direkt meine Frau wissen Sie, meine Frau ist schon seit vielen Jahren tot...“

„Hermann!“, beeilte sich die Dame ihm ins Wort zu fallen, offenbar kannte sie dieses Prozedere schon. „Ich bin die Lebenspartnerin von Herrn Garde.“

„Petersen und Valentin“, stellte Jan uns vor, wir setzten uns. Glücklicherweise unterbrach die Kellnerin das verlegene Schweigen. Wir bestellten eine Tasse Kaffee.

„Der Kuchen hier ist ausgezeichnet“, empfahl Frau Hermann. Brav bestellten wir eine Schwarzwälder Kirschtorte.

„Tja, was für ein Zufall, wir wohnen hier fast schräg gegenüber, woher kennen Sie das Café?“, wandte ich mich an Herrn Garde.

„ Ja, also... ich weiß nicht... das hat...“, hilflos ging sein Blick zwischen den Anwesenden hin und her.

„Ich habe früher mal hier in der Nähe gewohnt, daher kenne ich es“, griff Frau Hermann rettend ein.

„Aha, na wirklich ein Zufall!“

„Und Sie waren jetzt gerade auf der Insel“, erkundigte sich die Lebenspartnerin.

„Ja genau, vor etwa drei Wochen sind wir zurückgekommen. Was für ein Temperaturschock!“

„Nicht wahr, das habe ich auch immer so empfunden, wir sind auch meistens im Winter hingefahren.“

„Wie lange ist es denn her, dass sie das letzte Mal da waren?“, mischte sich Jan in die Unterhaltung.

„Ja, also ...das sind...ehm...also, es ist schon eine ganze Weile...“

„Es war genau vor fünf Jahren“, Frau Hermann nahm einen Schluck Kaffee, „Seitdem haben wir keine Gelegenheit mehr gehabt, wissen Sie, ich bin noch berufstätig und da ist es nicht so einfach.“

„Also, ich bin immer gerne hingefahren, als meine Frau noch lebte, aber die ist nun ja schon seit Jahren tot. Ich wäre da auch gerne geblieben, ich bin jetzt im Ruhestand und da...aber meine Frau... also ehm...meine...“, er deutete auf Frau Hermann, „also, sie will da nicht so gerne hin und alleine... also...na ja was soll ich dann noch mit dem Haus?“

„Sie haben das sozusagen als Ruhesitz gekauft?“

„Genau... als...Ruhesitz. Ich hab das damals dem alten Spanier abgekauft für ein paar Mark, ich glaub...“

„Er hat das Haus vor ungefähr fünfzehn Jahren gekauft, damals gab es noch so gut wie keine Deutschen auf der Insel, der Tourismus entwickelt sich ja erst jetzt langsam dort.“ Sie warf ihm einen strengen Blick zu.

„Dann haben Sie das Haus also seit fünf Jahren nicht mehr gesehen! Na ja, ist alles ganz schön runtergekommen.“ Jan wollte langsam zum Punkt kommen.

„Da haben die Dorfjugendlichen eingebrochen und ihre Orgien gefeiert. Der Garten ist total überwuchert da muss man alles rausreißen.“

„Ha...Dorfjugend...das war bestimmt dieses Früchtchen...dieser...wie heißt er noch, der...“

„Natürlich muss ein solches Haus nach so vielen Jahren renoviert werden, es stehen ja noch ne ganze Menge Möbel drin. Aber ich denke, von der Substanz her ist es in Ordnung.“ Mit einem Blick hatte sie ihn zum Schweigen gebracht.

„Also, ...was zahlen...wie viel würden sie...was stellen sie sich als Preis vor?“ Erich Garde sah Jan direkt an.

„Tja, also, wir haben mal so ein bisschen überschlagen, was alles gemacht werden muss: ein Heißwasserboiler, Rohre, teilweise Fenster, also wir würden es uns für vierzigtausend überlegen“, ließ Jan die Katze aus dem Sack. Ein angespanntes Schweigen breitete sich am Tisch aus. Die beiden sahen sich an und dann wieder uns und Herr Garde zuckte mit den Schultern: „Tja...also ich denke...vierzigtausend...also...“

„...für Vierzigtausend würden wir es ihnen verkaufen!“ vollendet Frau Hermann den Satz. Überrascht sahen Jan und ich uns an. So leicht hatten wir es uns nicht vorgestellt.

„Na...dann wären wir uns ja einig!“ Erich Garde streckte Jan die Hand hin und der schlug ein.

„Dann sind Sie ab heute stolze Hausbesitzer!“ Frau Hermann lächelte erleichtert, und auch von mir fiel die Spannung ab. Wir stießen auf den Handel mit einem Gläschen Likör an und vereinbarten, dass ich mich beim Spanischen Konsulat über die Möglichkeiten der Verkaufsabwicklung informieren würde. Wir verabschiedeten uns mit Handschlag auf der Straße. Erich Garde sagte:

„Sie werden sich da wohl fühlen, ich bin immer gerne da gewesen,...als meine Frau noch lebte... aber die ist ja...na ja, jetzt kann ich nicht mehr... eigentlich schade...“

„Auf Wiedersehen, ich werde Sie anrufen.“ Wir gingen in verschiedene Richtungen auseinander.

„Scheiße!“ Jan blieb stehen und sah mich an.“ Denkst du auch, was ich denke?“

„Ich hab´s sofort in dem Moment gedacht: die hätten uns das Haus auch für fünfunddreißig verkauft!“

„Die Alte ist auf die Kohle scharf, die hätte ihn zu jedem Preis rumgekriegt.“ Er machte eine wegwerfende Bewegung, „ist egal, ist trotzdem ein guter Preis, immerhin fünfzehntausend weniger als in der Liste.“

„Irgendwie tut mir der Alte schrecklich leid, da hat er sich das ganze Leben auf seinen Alterssitz gefreut und nun will seine Freundin da nicht hin. Ich fand ihn ganz süß...“

„Sag mal, ist das Alzheimer?“, unterbrach mich Jan.

„Keine Ahnung, wahrscheinlich schon, er tut mir trotzdem leid!“

„Ich fand ihn total witzig, mir war er auch lieber als die komische Lebenspartnerin!“

„Immerhin haben wir jetzt das Haus, ich kann’s noch gar nicht glauben.“

„Ich auch nicht.“

Zwei Wochen später hatten wir alles vorbereitet. Die Abwicklung war denkbar einfach. Das Spanische Konsulat in Berlin hatte auch die Funktion eines Notariats und wir konnten den Kaufvertrag dort abschließen. Wir besuchten Erich Garde in seiner hübschen Eigentumswohnung in einer kleinen Appartementanlage direkt am Platz am Wilden Eber. Die Räume waren komplett vollgestellt mit schweren, dunklen Möbeln. Offenbar hatte er vorher mit seiner Frau ein größeres Haus bewohnt und danach alle Möbel in diese Wohnung gezwängt. Es erinnerte mich stark an die vollgestellten Zimmer im Haus auf der Insel.

„Wir brauchen die Eigentumsurkunde“, erklärte ich, „der Konsularbeamte braucht die ganzen Daten zur Vorbereitung des Kaufvertrages.“

„Die Escritura?“, Herr Garde legte misstrauisch seine Stirn in Falten, „die gebe ich aber nicht raus...das ist ja, also...eines muss ich mal klarstellen: ohne Geld...“

„Erich!“, Frau Hermann griff mal wieder helfend ein. „Diese Dokumente werden zur Vorbereitung gebraucht und ich glaube nicht dass die Herrschaften...“

„Sie können die Papiere auch direkt ans Konsulat schicken, wenn ihnen das sicherer erscheint“, schlug ich vor.

„Ohne Geld läuft hier gar nichts!“ Wie ein bockiges Kind lehnte sich Herr Garde in seinem Sessel zurück.

„Ohne ihre Unterschrift können wir mit den Papieren gar nichts anfangen“, Jan lächelte ihn an. „Keine Angst, sie bekommen ihr Geld, wie möchten sie es denn gerne haben?“

„Das Geld? .... also, das... natürlich bar!“

„Dann hole ich ihnen jetzt die Escritura.“ Frau Hermann verließ den Raum um die Papiere zu holen.

„Herr Garde, gibt es denn ein paar persönliche Dinge im Haus die Sie gerne haben möchten? Wir fahren nämlich im Mai für ein paar Wochen hin, und da könnten wir Ihnen das ein oder andere mitbringen.“

Ich sah ihn fragend an. Er wischte die Frage mit einer Handbewegung weg.

„Nein, eigentlich nicht...ist doch alles alter Krempel, nein wirklich nicht.“ Er sah traurig aus.

„Sie können es sich ja noch mal überlegen“, schlug ich vor. Inzwischen hatte uns Frau Hermann die Papiere ausgehändigt. Wir verabschiedeten uns und vereinbarten, ihn am Tage des Kaufvertragsabschlusses von zu Hause abzuholen.

Am nächsten Tag ging ich ins Reisebüro. Es gab günstige Flüge für den neunten Mai, also noch etwa einen Monat Zeit. Im Nebenzimmer standen zwei große Taschen bereit, damit man schon jetzt die Sachen bereitlegen konnte, die auf die Insel mitgenommen werden sollten. Ich kaufte ein und durchstöberte meine Wäscheschränke nach alten Handtüchern und Bettwäsche, die im Haus ihren wohlverdienten Ruhestand erhalten sollten. Jan packte etwas Werkzeug zusammen, sogar eine Bohrmaschine, von denen wir zwei hatten. Es war eine glänzende Gelegenheit, meinen Haushalt auszusortieren und überflüssige Dinge zu entsorgen. Gleichzeitig organisierten wir, dass eine unserer Fahrerinnen in der Zeit unserer Abwesenheit den Betrieb beaufsichtigen sollte. Viele lange Abende saßen wir über der Buchhaltung. Außerdem plante ich eine kleine Feier für Maries ersten Geburtstag, der am 14. April gefeiert werden sollte. Marie konnte bereits seit zwei Monaten laufen. Sie war ein sehr kleines, aber lebhaftes Kind. Noch in Babystramplern hatte sie im Alter von 10 Monaten angefangen, sich am Tisch auf ihre kurzen Beinchen hochzuziehen und mutig ihre ersten Schritte zu üben. In dieser hektischen Zeit schleppte ich sie den ganzen Tag mit mir herum und solange um sie herum genug passierte, war sie zufrieden. Nur in der Nacht weckte sie mich immer noch oft auf und ich musste ihr die Teeflasche geben. Es war nun schon ein Jahr her, dass ich keine Nacht mehr durchgeschlafen hatte. Fast zehn Monate lang hatte ich sie gestillt. Essen war nicht ihre große Leidenschaft, sie nuckelte lieber an Mamis Brust und das tat sie bevorzugt zu nächtlicher Stunde. Als ich mit den Nerven ziemlich runter war, setzte ich das Stillen ab und kämpfte mit ihr zwei Hungertage durch. Am dritten Tag schlabberte sie mit sichtlichem Wohlgefallen Bananenmus und Kartoffelbrei vom Löffel.

Punkt neun Uhr am Vormittag standen wir wieder vor Erich Gardes Haus. Er hatte uns offensichtlich schon erwartet, denn kaum hatten wir den Klingelknopf berührt, kam er uns schon entgegen. Seine Lebenspartnerin hatte offensichtlich nicht die Absicht, uns zu begleiten, sie winkte uns von der Wohnungstür aus zu. Er stand etwas verwirrt vor uns:

„Wie war denn nun nochmal ihr Name...eh, wer sind sie denn?“

„Andrea und Jan wir fahren jetzt zum Konsulat.“ Ich reichte ihm die Hand.

Im Auto war er ziemlich schweigsam. Schließlich drehte er sich zu mir um und holte tief Luft:

„Also, eins muss ich nochmal sagen: ohne Geld läuft hier gar nichts!“

Jan und ich sahen uns mit verhaltenem Grinsen an.

„Aber selbstverständlich“, beruhigte ich ihn, „das Geld haben wir natürlich dabei – in bar!“ Für den Moment schien er beruhigt.

„Nehmen sie sich vor dem Nachbarsohn in Acht“, sagte er plötzlich wie aus heiterem Himmel, „das ist vielleicht ein Früchtchen!“

„Aha, danke für den Rat“ antwortete ich höflich, er musste wirklich ziemlich nervös sein.

Wir wurden in ein kleines Amtszimmer geführt. Der Konsul, denn niemand anderes war der Notar, gab uns reihum die Hand, dann verlas ein Konsularbeamter, der gleichzeitig als Dolmetscher fungierte, die Urkunde. Erich Garde rutschte immer unruhiger auf seinem Stuhl hin- und her und warf immer wieder dazwischen:

„Also, das muss ich nochmal sagen: Ohne Geld...“ Der Konsul blickte etwas irritiert von den Papieren auf, der Beamte war peinlich berührt. Dann legte er uns den Vertag zur Unterschrift vor. Erich Garde verschränkte entschlossen die Arme und sagte:

„Ohne Geld läuft hier gar nichts!“ Der Konsularbeamte übersetzte dem Konsul den Satz, der wand sich vor Peinlichkeit und erklärte dann, die Geldübergabe fände normalerweise nach Unterzeichnung der Escritura statt, denn ohne erfolgte Zahlung sei die Escritura sowieso nicht rechtskräftig. Herr Garde blieb hart. „Ohne Geld unterschreibe ich gar nichts.“ Um ihn zu beruhigen und einen peinlichen Eclat zu vermeiden zog ich einfach den Umschlag aus der Tasche und hielt ihm das Geldbündel unter die Nase. Langsam verlor auch ich die Geduld. Am Vortag hatte man mir auf der Bank im Nebenzimmer den Betrag auf den Tisch gezählt. Es stammte aus dem Erbe meines vor drei Jahren verstorbenen Vaters. Ich hatte mit der Vorstellung die Bank betreten, vierzigtausend Mark seien ein ganzes Köfferchen voll. In meiner Phantasie hatte es, gesichert mit einer Handschelle, an meinem Handgelenk gebaumelt. Umso enttäuschender war das kleine Bündel Geldscheine das in jede Brieftasche passte. Als er das Geld sah, beruhigte er sich augenblicklich, nahm den Stift und unterzeichnete schwungvoll die Urkunde. Wir unterschrieben ebenfalls. Obwohl das Geld aus meinem Erbe stammte, lautete der Kaufvertrag auf unsere beiden Namen. Verheiratet waren wir zwar nicht, aber doch immerhin eine Familie. Wir hatten einen gemeinsamen Betrieb, eine Tochter, also auch eine gemeinsame Erbin und wir hatten die getrennten Kassen längst aufgegeben. Also sollte das Haus auch uns gemeinsam gehören. An eine eventuelle Trennung dachte natürlich niemand. Herr Garde schnappte sich das Geldbündel und ließ es in der Innentasche seines Jacketts verschwinden. Jan und ich sahen uns an und dachten beide dasselbe: ob er sich bei seiner Vergesslichkeit morgen überhaupt noch an das Geld erinnern würde? Wir waren beide überzeugt, dass die Vierzigtausend schon bald im Besitz seiner geschäftstüchtigen Lebenspartnerin landen würden. Ich fühlte mich schlecht, wie eine Verbündete von Frau Hermann, als hätten wir alle zusammen dem alten Herrn sein Haus abgeluchst.

Sein Traum von einem ruhigen Leben im Alter auf einer sonnigen Insel war ihm zerronnen. Mühsam schluckte ich den Kloß im Hals hinunter. Er schien guter Dinge zu sein, hatte er doch letzten Endes mit dem Haus ein gutes Geschäft gemacht, der Kaufpreis hatte sich in fünfzehn Jahren glatt verdoppelt. Mit seinem Geldbündel in der Tasche setzten wir ihn zu Hause ab, wo er bereits freudig erwartet wurde.

„Wenn sie noch Fragen haben...also,...sie können mich jederzeit anrufen! Aber“, er kam nahe heran, „hüten sie sich vor denen!“

Winkend fuhren wir davon.

Am Abend wurde der Hauskauf mit ein paar Freunden und etlichen Flaschen Sekt gebührend gefeiert. Endlich hatten wir unser kleines Paradies gefunden, und es gehörte uns. Von dort würde uns niemand vertreiben können. Für Jan als Bauernsohn war es unheimlich wichtig, ein Stück eigenes Land zu besitzen, wenn auch die Bezeichnung „Land“ für ein dreihundert Quadratmeter großes Grundstück leicht übertrieben war. Aber es war ein Anfang. Langfristig planten wir, uns dort zuerst eine Lebensgrundlage zu suchen und dann, mit den Jahren, Schritt für Schritt ein zweites Zuhause zu schaffen, vielleicht sogar für immer dort zu bleiben.

„Aber eines muss ich jetzt noch mal klar stellen...“ grinste Jan mich an.

„OHNE GELD LÄUFT HIER GAR NICHTS!!!“ Brüllendes Gelächter, natürlich hatten wir allen ausführlich die peinlich komischen Geschichten von Erich Garde erzählt. Es wurde ein langer Abend.

Die nächsten Tage waren erfüllt mit hektischer Betriebsamkeit. Zunächst wurde Maries Geburtstag gefeiert, dann waren die letzten Abrechnungen zu erledigen. Ich wusch Berge von Wäsche und packte schon vieles ein, Jan seinerseits musste die Autos noch mal durchsehen, schließlich wollten wir sechs Wochen wegbleiben. Völlig erschöpft saßen wir abends auf dem Sofa vor dem Fernseher.

„Komm, lass uns Schlafen gehen“, ich gähnte, „ich bin hundemüde.“

„Ja, Okay, aber ich will nur noch schnell die Nachrichten sehen.“ Ich blieb noch sitzen, obwohl mich die Geschehnisse in der Welt im Augenblick nicht so sehr interessierten. Am Ende der Meldungen angekommen blickte die Sprecherin mit ernstem Gesicht auf und sagte:

„Soeben erreichte uns die Meldung von einem ernsteren Zwischenfall in einem Kernreaktor in der Ukraine. Zur Stunde liegen genauere Einzelheiten über Art und Hergang des Unfalls noch nicht vor es wird aber befürchtet...“ Jan und ich gefroren auf unserem Sofa zu Eisklumpen. Völlig erstarrt und ohne uns auch nur anzusehen, lauschten wir mit offenem Munde der Meldung. Eine bleierne Angst legte sich auf meine Brust. Ukraine, das war doch gar nicht so weit weg von hier! Sollte nun tatsächlich das eingetreten sein, wovor die Antikernkraftbewegung schon seit Jahren warnte?

Endlich konnte ich mich zu Jan umdrehen. Wir starrten uns an. Schließlich sagte er leise: „Jetzt ist es passiert!“

„Mein Gott“, konnte ich nur sagen, „und wir sitzen hier in Berlin in der Falle!“ Die schreckliche Vision eines panikartigen Exodus aus dieser Stadt, ja aus der ganzen Region, entstand in meinem Kopf. Unser Kind, gerade ein Jahr alt, würde verseuchte Nahrung zu sich nehmen müssen, Kinderspielplätze würden radioaktiv kontaminiert, die ganze Gegend vielleicht auf immer unbewohnbar sein. Und wir waren in dieser Stadt von einer hohen Mauer eingeschlossen! Ich fiel in einen von Alpträumen geplagten Schlaf.

In den folgenden Tagen wurden die Ereignisse von den offiziellen Stellen stark heruntergespielt. Die „Atomlobby“ hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Bevölkerung sollte beruhigt werden. Die Medienberichte unterschieden sich stark. Lediglich Sondersendungen wie Monitor oder auch die gute alte TAZ wiesen eindringlich auf den Ernst der Lage hin. Täglich hörten wir ängstlich Meldungen über die radioaktive Belastung der Luft, Niederschläge und deren Auswirkungen auf die Landwirtschaft und somit auch auf unsere Nahrung. Der erste Mai offenbarte sich, allen Ereignissen zum Trotz, als einer der ersten lauen Frühsommertage und die Sonne lachte fast spöttisch vom tiefblauen Himmel herab. Tschernobyl hin, radioaktive Belastung her, wir packten einen Picknickkorb und fuhren raus ins Grüne. Wir breiteten eine Decke auf einer schönen Frühlingswiese aus und räkelten uns in der Sonne, während Marie durchs Gras krabbelte und Blumen abriss. Erst in den Abendnachrichten konnte man erfahren, dass die radioaktive Belastung der Luft an diesem Tag besonders hoch gewesen war.

Am neunten Mai um fünf Uhr dreißig stand ich dann mit müden Augen und einem schlafenden Kind auf dem Arm auf dem Flughafen Tegel. Zwar hatten wir eine anstrengende Reise vor uns, es gab nämlich zu dieser Zeit noch keine Direktflüge, aber ich war froh, endlich wegzukommen: nach mir die Sintflut! Das Flugzeug startete steil in den wolkenverhangenen Morgenhimmel: wir waren entkommen. Mit einem leisen Bedauern ließ ich den frischen Salat unberührt auf meinem Teller liegen und schluckte stattdessen eine Vitamintablette. Der Flug war total ausgebucht und wir bekamen keinen Sitzplatz für Marie. Das bedeutete: fünf Stunden ein unruhiges Kind auf dem Schoß zu haben. Sie hampelte auf mir herum, während Jan in aller Seelenruhe den neuesten Spiegel las, schließlich musste man in diesen Zeiten ja gut über alles informiert sein. Als ich nicht mehr sitzen konnte, stand ich auf, um ihr in der etwa ½ qm großen Toilette die Windeln zu wechseln. In Schweiß gebadet kam ich zum Sitz zurück. Längst war mir klargeworden, weshalb Mütter mit Kleinkindern in der Regel so unattraktiv gekleidet waren. Welchen Sinn ergab es, Röcke mit Seidenstrumpfhosen zu tragen, wenn man immer wieder ein Kind auf den Arm nehmen musste, das sich noch kurz zuvor in einer schlammigen Pfütze getummelt hatte? Wenn es seinen schokoladenverschmierten Mund hingebungsvoll an Mamas Schulter abwischte oder auf Mamas Schoß umherstieg wie auf einem Klettergerüst. Da einem die Zeit fehlte, sich fünf Mal am Tage umzuziehen, wählte man nach einer Weile automatisch zweckmäßige, bequeme und vor allem robuste Kleidung. Damit konnte man die diversen Funktionen wie z.B. Fußabstreifer, Taschentuch, Spielwiese oder Abfalleimer wesentlich besser erfüllen. Neidvoll blickte ich auf die Frauen die in heller, eleganter Sommerkleidung mit Schmuck und Makeup dem Duft der großen weiten Welt wesentlich gerechter wurden als ich. Ich setzte Marie entschlossen auf Jans Schoß:

„Ich geh mal nach hinten, eine rauchen!“

„Seit wann rauchst du denn schon morgens?“

„Seit heute!“ Immerhin legte er die Zeitung weg und griff nach einem Bilderbuch.

„Mami kommt ja gleich wieder“, hörte ich ihn noch sagen.

Wir mieteten uns wieder im altvertrauten Morro-Sol ein. Der Besitzer begrüßte uns mit einem Lächeln und wir handelten einen guten Preis für mehrere Wochen aus. Später fuhren wir noch kurz hinauf zum Haus. Ich trug Marie auf dem Arm, Jan schulterte die Videokamera und machte diverse Schwenks durch das Haus, sozusagen um das Vorher und Nachher für alle Zeiten zu dokumentieren. Ich zerbrach mir derweilen den Kopf, wie man diese Bruchbude so schnell wie möglich zumindest bewohnbar machen konnte. Es dauerte keine Viertelstunde, da stand die Nachbarin auch prompt wieder vor der Tür.

„Hola“, sagte sie und posierte mit einem verlegenen Lächeln vor der Kamera, die Jan gnadenlos auf sie gerichtet hatte. Mit Händen und Füßen machte ich ihr klar, dass wir nun die neuen Besitzer des Hauses seien, worauf sie mich förmlich umarmte und sich vorstellte:

„Griselda.“

„Ah, Hola Griselda, yo Andrea y“, und dabei deutete ich auf Jan, „eso Jan.“

„Encantado, Jan.“ Ich ließ es bei den Vornamen. Mit den Resten meines Schullatein, etwas Französisch und den paar Brocken Spanisch, die ich mir auf meinen diversen Andalusienreisen angeeignet hatte, blieb die Unterhaltung nun weitgehend mir überlassen. Wir seien ja jetzt schließlich Nachbarn, betonte sie immer wieder, „vecinos“ schien das Zauberwort dieses sozialen Gefüges zu sein, fast ebenso wichtig wie das Wort „Familie“. Und da sie all die Jahre keine vecinos gehabt hätte, wäre sie jetzt sehr glücklich, dass wir da wären. Sie schlenderte mit mir durchs Haus und kommentierte dabei jedes einzelne Möbelstück, während ihr Wortschwall nicht versiegte. Sie schien sich auch keine Gedanken darüber zu machen, ob ich sie verstand oder nicht, einige Wörter konnte ich sogar verstehen, der Rest zog an meinen Ohren vorbei. Sie begleitete uns schließlich noch bis zum Auto, immer noch redend, und winkte uns nach, als wir die holprige Straße hinunter ins Dorf fuhren.

Am Abend versuchten wir einen groben Schlachtplan auszuarbeiten. Das dringlichste Problem war der Strom. Zwar war das Haus erstaunlicherweise immer noch ans Stromnetz angeschlossen aber es hatte nur einhundertzehn Volt. Als nächstes brauchten wir einen Schmied, der die Fenster im Erdgeschoß vergittern sollte, damit niemand mehr einsteigen konnte und schließlich brauchten wir einen Maurer der uns bei den Umbauten im Badezimmer beraten sollte. Am nächsten Morgen betraten wir das Haus voller Tatendrang. Als erstes wollte ich in einem der Zimmer eine Spielecke für Marie einrichten, damit ich wenigstens eine Zeitlang aufräumen und entrümpeln konnte. Ich war gerade damit fertig, da ertönte an der Haustür ein lautes “Andrea“. Ich ging zur Tür und da stand Griselda in einem alten Jogginganzug mit Besen und Wischeimer bewaffnet. Sie dachte, ich könne vielleicht Hilfe gebrauchen. Ich hatte zwar die Befürchtung, sie würde mich nur von der Arbeit abhalten, aber sie griff beherzt zu und mit ihrem winzigen Besen bewegte sie erstaunlich große Staubmengen mit kleinen, hektischen Bewegungen vor sich her. Währenddessen drang ich gnadenlos in die Intimsphäre von Erich Garde ein. Im Schrank hingen sogar noch Kleider von ihm und ich stopfte alles, außer zwei karierten Oberhemden, die ich sogleich zu Arbeitskitteln erklärte, in große Müllsäcke. Jan begab sich nach unten ins Dorf auf die Suche nach einem Elektriker. In einer Schublade fand ich eine Schachtel mit Zahnarztbesteck. Daneben lag das Futteral eines großen Fernglases. Es war leer. Griselda stupste mich an:

„Mira, Andrea“, sie deutete auf ein Häufchen weißer Körner, das unter einigen Möbelstücken lag. Ich sah sie fragend an. Das sei, so erklärte sie, der Kot von Holzwürmern. Entsetzt sah ich sie an. Sie meinte, die Möbel seine völlig durchsetzt von diesen Maden, und wenn ich die befallenen Stücke behalten würde, hätte ich sie bald in allen Möbeln. Wir untersuchten sämtliche Holzmöbel auf die verräterischen Spuren und sortierten die befallenen Teile aus. Besonders leid tat es mir um einen schönen geschnitzten Sessel und eine massive Anrichte im spanischen Stil, die sogar schon innen auf den Regalbrettern Berge der verräterischen Substanz zu liegen hatten.

Glücklicherweise war der Rest der Möbel noch ausreichend für die winzigen Zimmer. Ich sortierte die absolut hässlichen Dinge aus, bot ihr das eine oder andere Stück an und gemeinsam schleppten wir die ausgemusterten Stücke in den Hauseingang. Dort würden sich die Leute, so meinte sie und machte wieder eine unbestimmte Geste in Richtung Dorf, das mitnehmen, was sie gebrauchen konnten. Marie wurde ungeduldig und Griselda nahm sie auf den Arm und spazierte mit ihr durch die Räume, sprach mit ihr und beschäftigte sie. Ich war ihr wirklich dankbar, denn so konnte ich ungestört weiter arbeiten. Schließlich entschuldigte sie sich, sie müsse das Essen für ihre Familie machen aber sie nahm aber Marie mit, die sich offensichtlich bei Griselda wohlzufühlen schien. Jan kam aus dem Dorf wieder und verkündete stolz, er habe einen Elektriker aufgetrieben, der morgen mal