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Studienarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Psychologie - Diagnostik, Note: 1,0, Hochschule Magdeburg-Stendal; Standort Stendal, Veranstaltung: Grundfragen der Diagnostik, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Zentrum dieser Arbeit steht das kontrovers diskutierte Thema „Intelligenz“. Neben der Darstellung des historischen Verlaufs der Intelligenzdiagnostik werden Begriffsdefinitionen, Intelligenztheorien und zwei Intelligenztests vorgestellt. Dabei wird auf die Interpretation von Testergebnissen und die Grenzen der psychometrischen Intelligenzdiagnostik eingegangen. Eine Auseinandersetzung erfolgt sowohl mit der dichotomen Betrachtungsweise der Konzepte Intelligenz und Dummheit, als auch mit Ausdifferenzierung des Intelligenzbegriffes. Abschließend wird ein Fazit gezogen.
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Veröffentlichungsjahr: 2010
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Einleitung
1. Das Schicksal des ersten Intelligenztests
2. Definitionsversuche von Intelligenz
3. Intelligenztheorien
3.1. Spearmans Generalfaktoren-Theorie
3.2. Thurstones Modell mehrerer gemeinsamer Faktoren
3.3. Cattells Theorie der fluiden und kristallinen Intelligenz
3.4. Jägers Berliner Intelligenzstrukturmodell
3.5. Sternbergs Konzept der Erfolgsintelligenz
3.6. Gardners Theorie der multiplen Intelligenzen
4. Intelligenztests
4.1. Der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE)
4.2. Der Berliner Intelligenzstruktur-Test (BIS)
4.3. Interpretation von Intelligenztestwerten
4.4. Grenzen der psychometrischen Intelligenzdiagnostik
5. Intelligenz versus Dummheit?
6. Inflation des Intelligenzbegriffs
7. Fazit
Literaturverzeichnis
Intelligenz - ein gefragtes Persönlichkeitsmerkmal, mit dem sich viele gern brüsten oder das viele liebend gern zugeschrieben bekämen. Die wenigsten bezeichnen sich alsunintelligentoder gar dumm. Schließlich spielt Intelligenz in fast allen Lebensbereichen wie Schule, Studium und Beruf, mitunter selbst in der Partnerschaft eine wichtige Rolle - eine scheinbar so wichtige, dass das Anwendungsfeld der Intelligenzdiagnostik im Laufe der Zeit immer breiter wurde. Die psychologische Diagnostik bezeichnet laut Zimbardo und Gerrig (2004) den Einsatz festgelegter Verfahren zur Evaluation der Fähigkeiten, Verhaltensweisen und persönlichen Eigenschaften von Personen“ - in diesem Fall der Intelligenz (S. 399). Aber was ist eigentlich unter Intelligenz zu verstehen? Der Begriff wird mit einer Selbstverständlichkeit verwendet, obwohl sich noch nicht einmal die Wissenschaft über seine Bedeutung einig ist. Das ist auch nicht verwunderlich, denn ein Konstrukt - und Intelligenz ist lediglich ein Konstrukt - kann mit vielen Inhalten gefüllt werden. Diese unterliegen wiederum historischen und gesellschaftlichen Veränderungen.
Intelligenz wird in der Forschung aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Unterschieden werden hauptsächlich der Informationsverarbeitungsansatz, der entwicklungspsychologische und der psychometrische Ansatz (Funke & Vaterrodt-Plünnecke, 2004). Letzterer, bei dem es um die Messung psychischer Merkmale mittels Tests geht, steht in dieser Arbeit im Vordergrund. So soll im folgenden das umstrittene Thema „Intelligenz“ beleuchtet werden, indem auf die Geschichte der Intelligenzdiagnostik, Begriffsdefinitionen, Intelligenztheorien und Intelligenztestverfahren einschließlich der Ergebnisinterpretation eingegangen wird. Es werden die Grenzen der psychometrischen Intelligenzdiagnostik aufgezeigt, die Dichotomie der Konzepte Intelligenz und Dummheit infrage gestellt sowie die Ausdifferenzierung des Intelligenzbegriffes dargelegt. Abschließend folgt ein Fazit.
Vor ungefähr einem Jahrhundert führte die französische Regierung die allgemeine Schulpflicht ein, sodass sich Lehrer plötzlich mit einer Vielfalt individueller Unterschiede konfrontiert sahen. Einige Kinder schienen dem regulären Unterricht nicht folgen zu können und besonderer Förderung zu bedürfen. Da sich der französische Erziehungsminister jedoch nicht auf subjektive, willkürliche (eventuell durch den sozialen Hintergrund des Kindes beeinflusste) Einschätzungen der Lehrer verlassen wollte, beauftragte er unter anderem den Psychologen AlfredBinet(1857-1911) eine vorurteilsfreie, objektive Vorgehensweise zu finden. Um mögliche Lernschwierigkeiten erkennen zu können, entwickelteBinetum 1905 gemeinsam mit seinem SchülerThéodoreSimon (1873-1961) den weltweit ersten, auf empirisch-mathematischen Untersuchungen beruhenden „Intelligenztest“ (Lamberti, 2006; Myers, 2005). Der Grundstein für die moderne Intelligenzdiagnostik war gelegt.
Binet und Simon begriffen intellektuelle Begabung als generelle Fähigkeit, die sich auf vielfältige Weise zeigen kann. So entwickelten sie verschiedene Denk- und Problemlösungsaufgaben, die zunächst an Binets beiden Töchtern ausprobiert wurden (Lamberti, 2006; Myers, 2005). Aufgaben des sogenannten Binet-Simon-Tests waren u. a. die Erkennung von Sinnwidrigkeiten und Unterschieden, die Bearbeitung von Lückentexten oder das Verstehen und Nachsprechen von Sätzen. Zur Normierung wurden 50 Kinder, zehn für jede von 5 Altersklassen herangezogen. Die Bestimmung der Intelligenz erfolgte anhand der gelösten Aufgaben. Dabei verglichBinetdie Leistung jedes Kindes mit dem Durchschnitt Gleichaltriger, Leistungsunterschiede wurden also in Abhängigkeit des jeweiligen Lebensalters betrachtet. Aufgaben, die von 75% eines Altersjahrgangs gelöst wurden, stellten eine „Altersreihe“ dar. Die Aufgabenreihe, die ein Kind mit höchstens einer Ausnahme löste, markierte sein (später so bezeichnetes) Intelligenzalter (Holling, Preckel & Vock, 2004). Es konnte seiner Altersgruppe voraus sein oder im Vergleich zu ihr zurückliegen. So hat ein Kind, das die Leistungen eines durchschnittlichen 7-Jährigen vollbringt ein Intelligenzalter von 7. Durch zusätzlich gelöste Aufgaben höherer Altersstufen konnte das Intelligenzalter gesteigert werden. Ein unterdurchschnittliches Intelligenzalter hätte beispielsweise ein 9-Jähriger, der lediglich die typische Leistungsebene eines 7-Jährigen erreicht. Diesem Kind würde es Binet zufolge wahrscheinlich schwerer fallen, die für seine Altersgruppe typischen schulischen Anforderungen zu erfüllen (Myers, 2005).
Binet stellte keine Spekulationen an, was mit dem Test tatsächlich gemessen wurde. Keinesfalls, betonte er, seien die Testwerte ein Maß für angeborene Intelligenzunterschiede (Funke & Vaterrodt- Plünnecke, 2004; Myers, 2005). Er lehnte es generell ab, das von den Kindern erreichte Testergebnis als Intelligenz zu interpretieren. Diese Gabe ließe sich schließlich nicht mit einer einzigen Zahl abbilden, „... da intellektuelle Qualitäten nicht addiert und somit nicht wie lineare Oberflächen gemessen werden können.“(Binet,1905, zitiert nach Enzensberger, 2007, S. 26). Dennoch befürchtete Binet, sein Verfahren könne missbraucht werden um Kinder vorschnell abzustempeln und sie in ihren Entwicklungsmöglichkeiten einzuschränken. So wies er ausdrücklich darauf hin, dass der Test nicht zur Einordnung der Schüler nach ihrem geistigen Niveau zweckentfremdet werden dürfe. Er diene lediglich dazu, herauszufinden, welche französischen Schulkinder besondere Aufmerksamkeit benötigen (Funke & Vaterrodt-Plünnecke, 2004; Myers, 2005). Davon ausgehend, dass sich Leistungen durch Training steigern lassen, hoffte Binet, der Test würde ein Ansporn sein das Bildungssystem zu reformieren. Zur Verbesserung des Unterrichtes empfahl der Psychologe beispielsweise statt der üblichen Klassengröße von 60-80 kleinere Klassen von 15-20 Schülern. Auch sollten Körperübungen („geistige Orthopädie“) in den Schulalltag integriert werden, die Aufmerksamkeit, Willenskraft, Disziplin und Konzentration trainieren. Die Konzentrationsdauer könne zum Beispiel verbessert werden, indem Kinder erst wild herumspringen und anschließend auf ein Signal hin für immer längere Zeitspannen in Bewegungslosigkeit verharren sollen. Laut Binet steigere sein Unterrichtskonzept nicht nur Wissen, sondern auch die Intelligenz: „Wir haben das gesteigert, was die Intelligenz eines Schülers ausmacht: die Fähigkeit zu lernen und den Unterricht in sich aufzunehmen“ (Binet, 1912, zitiert nach Funke, 2004, S.20).