Irrlicht 13 – Mystikroman - Anne Alexander - E-Book

Irrlicht 13 – Mystikroman E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Cynthia Moore stand mit einem Glas Sekt in der Hand neben der Terrassentür von Dawn House und blickte zu Lady Litchfield hinüber, die inmitten der Gäste ihrer Tochter hof hielt. Die Einladung nach Dawn House hatte Cynthia überrascht. Immerhin gehörte sie nicht zu dem Kreis der Leute, die Lady Litchfield gewöhnlich um sich scharte. Auch wenn sie sehr vermögend war und immer wieder Mühe hatte, Mitgiftjäger abzuwehren, ihre Familie zählte nicht zum Adel. Doch da sie den Familienschmuck der Litchfields umgearbeitet hatte und die Mutter der Gastgeberin ihn an diesem Abend zum erstenmal trug, war man wahrscheinlich der Meinung gewesen, daß auch ihr eine Einladung gebührte. Um Cynthias Lippen huschte ein Lächeln, als sie daran dachte, wie Lady Litchfield mit ihrer Gesellschafterin das Für und Wider dieser Einladung erwogen hatte. Vermutlich sollte sie es als Ehre betrachten, an diesem Abend dabeisein zu dürfen. Wie gut, daß Lady Litchfield nicht ahnte, daß sie keine Lust gehabt hatte, an der Party teilzunehmen, und es sich erst im letzten Augenblick anders überlegt hatte. »Man fragt sich unwillkürlich, für wen diese Party veranstaltet wird«, bemerkte neben ihr ein dunkelhaariger Mann. Er wirkte irgendwie fehl am Platze, obwohl er vom Aussehen her es jederzeit mit den anderen Partygästen aufnehmen konnte. »Allerdings«, bestätigte Cynthia. »Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle?« fragte er und neigte leicht den Kopf. »Mein Name ist Brian McArthur.« »Cynthia Moore.« »Ah, dann sind Sie die junge Dame, die für die Komposition verantwortlich ist, die Lady Litchfield heute abend zur Schau stellt.« Cynthia mußte lachen. »Sie scheinen nicht sehr viel von Schmuck zu halten, Mister McArthur.«

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Irrlicht – 13 –

Das Grauen kommt um Mitternacht

Cynthia Moore muß nicht nur gegen Schatten kämpfen…

Anne Alexander

Cynthia Moore stand mit einem Glas Sekt in der Hand neben der Terrassentür von Dawn House und blickte zu Lady Litchfield hinüber, die inmitten der Gäste ihrer Tochter hof hielt.

Die Einladung nach Dawn House hatte Cynthia überrascht. Immerhin gehörte sie nicht zu dem Kreis der Leute, die Lady Litchfield gewöhnlich um sich scharte. Auch wenn sie sehr vermögend war und immer wieder Mühe hatte, Mitgiftjäger abzuwehren, ihre Familie zählte nicht zum Adel. Doch da sie den Familienschmuck der Litchfields umgearbeitet hatte und die Mutter der Gastgeberin ihn an diesem Abend zum erstenmal trug, war man wahrscheinlich der Meinung gewesen, daß auch ihr eine Einladung gebührte.

Um Cynthias Lippen huschte ein Lächeln, als sie daran dachte, wie Lady Litchfield mit ihrer Gesellschafterin das Für und Wider dieser Einladung erwogen hatte. Vermutlich sollte sie es als Ehre betrachten, an diesem Abend dabeisein zu dürfen. Wie gut, daß Lady Litchfield nicht ahnte, daß sie keine Lust gehabt hatte, an der Party teilzunehmen, und es sich erst im letzten Augenblick anders überlegt hatte.

»Man fragt sich unwillkürlich, für wen diese Party veranstaltet wird«, bemerkte neben ihr ein dunkelhaariger Mann. Er wirkte irgendwie fehl am Platze, obwohl er vom Aussehen her es jederzeit mit den anderen Partygästen aufnehmen konnte.

»Allerdings«, bestätigte Cynthia.

»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle?« fragte er und neigte leicht den Kopf. »Mein Name ist Brian McArthur.«

»Cynthia Moore.«

»Ah, dann sind Sie die junge Dame, die für die Komposition verantwortlich ist, die Lady Litchfield heute abend zur Schau stellt.«

Cynthia mußte lachen. »Sie scheinen nicht sehr viel von Schmuck zu halten, Mister McArthur.«

»Nun, es gibt wichtigere Dinge auf der Welt«, entgegnete er. »Darf ich Sie zum Tanzen auffordern?«

»Ja, gerne.« Die junge Frau stellte ihr Sektglas auf einem kleinen Tischchen ab. »Ich…« Sie blinzelte. Für den Bruchteil einer Sekunde war hinter ihrem neuen Bekannten ein schmaler Schatten aufgetaucht. Verschwommen hatte sie in ihm sogar das Gesicht eines Mädchens wahrgenommen. Sie fing doch nicht etwa an, Geister zu sehen? Schon ihre Großmutter hatte darunter gelitten, und auch ihre Mutter hatte behauptet, hin und wieder etwas wahrzunehmen, das nicht von dieser Welt stammte.

»Was haben Sie?« fragte Brian.

»Ach, es ist nichts«, wehrte Cynthia ab. »Nur eine Sinnestäuschung.« Sie lächelte ihm zu. »Wollten wir nicht tanzen?«

»Aber gerne.« Er nahm ihren Arm. »Jetzt macht es mich sehr froh, daß ich doch zu dieser Party gegangen bin. Ursprünglich hatte ich nicht die geringste Lust. Um ehrlich zu sein – ich hoffe, das bleibt unter uns –, Lady Litchfield ist ziemlich anstrengend.«

»Wie wurde Ihnen die Ehre zuteil?«

»Unsere Familien sind über hundert Ecken miteinander verwandt. Eine McArthur heiratete vor etwa zweihundert Jahren einen Lord Litchfield. Als unsere Gastgeberin erfuhr, daß ich in der Stadt bin, glaubte sie wahrscheinlich, mich einladen zu müssen.«

Brian McArthur erwies sich als ein hervorragender Tänzer. In seinen Armen kam es Cynthia vor, als würde sie schweben. Sie fühlte sich von ihm unwiderstehlich angezogen. Das machte ihr angst. Sie lebte gerne alleine und hatte nicht vor, sich an irgendeinen Mann zu binden, aber gleichzeitig gefiel es ihr auch, wie Brian sie im Arm hielt, wie er immer wieder ihren Blick suchte. Die junge Frau gestand sich ein, daß es tatsächlich zum ersten Male ein Mann schaffte, sie völlig zu verwirren. Sie war fast erleichtert, als die Musik verklang und sie sich von ihm lösen konnte.

»Miß Moore, darf ich Ihnen Mister McArthur für einen Augenblick entführen?« fragte Lady Litchfield und wandte sich an Brian. »Ich muß Sie unbedingt mit Lord Edwards bekannt machen. Er ist nur für drei Tage in London. Bitte, kommen Sie, Mister McArthur.«

»Entschuldigen Sie mich bitte, Miß Moore«, bat

Brian. »Ich bin gleich wieder zurück.«

Cynthia sah ihm nach. Brian McArthur wirkte wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wurde. Plötzlich glaubte sie wieder, diesen Schatten zu sehen. Er verschwand genauso schnell wie beim erstenmal, aber sie war sich ganz sicher, ihn gesehen zu haben. Doch sie kam nicht dazu, länger darüber nachzudenken, weil Lady Violet, eine Tante der Gastgeberin, sie ins Gespräch zog. Sie erkundigte sich bei ihr, ob es ihr möglich sein würde, ihren Familienschmuck ebenfalls umzuarbeiten.

»Am besten, ich komme einmal bei Ihnen vorbei und sehe mir die Stücke an«, erwiderte sie.

»Eine gute Idee.«

Die alte Dame strahlte sie an. »Sie müssen wissen, das Sammeln von Schmuck gehört in meiner Familie zur Tradition.« Wie verliebt berührte sie das Collier, das sie um den Hals trug.

Das kalte Büfett wurde eröffnet. Cynthia probierte von den Salaten. Sie setzte sich mit ihrem Teller an einen der kleinen Tische, die im Halbkreis um das Büfett aufgebaut worden waren.

Wenige Minuten später steuerte Brian McArthur mit einem vollen Teller auf ihren Tisch zu. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?« erkundigte er sich.

»Ja, warum nicht?« entgegnete die junge Frau leichthin.

»Der Hühnersalat ist ausgezeichnet«, bemerkte er.

»Ich habe ihn bereits probiert.« Cynthia lehnte sich zurück. »Stammt Ihre Familie aus Schottland?« fragte sie. »Ich habe einmal von McArthurs im Zusammenhang mit einem alten schottischen Schloß gehört.«

»Unser Familiensitz«, bestätigte Brian. »Der Grundstein zu ihm wurde bereits im zehnten Jahrhundert gelegt. Noch jetzt gibt es Überreste aus jener Zeit, vor allen Dingen die Verliese sind interessant.« Er schmunzelte. »Mein älterer Bruder und ich, wir haben sie als Kinder erkundet. Einmal wollte mir Matthew einen Streich spielen und hat mich dort eingesperrt. Es war schrecklich. Es waren höchstens zwanzig Minuten, aber mir erschienen sie wie eine Ewigkeit. Ich wagte kaum zu atmen. Aus allen Ecken und Enden schienen die Geister der Vergangenheit aufzutauchen.« Er schüttelte sich. »Davon abgesehen, liebe ich unseren Besitz. Ich verbringe jedes Jahr einige Wochen dort.«

»Es muß schön sein, auf so eine lange Familiengeschichte zurückblicken zu können«, meinte Cynthia.

Brian nickte. »Auch wenn diese Geschichte oft grausam und schrecklich gewesen ist. Wir McArthurs haben uns nicht immer mit Ruhm bedeckt. Es gab Dinge… Nun, sie gehören der Vergangenheit an.« Er blickte auf ihren Teller. »Darf ich Ihnen noch etwas vom Büfett holen?«

»Vielleicht noch ein Lachsbrötchen«, sagte sie.

»Gerne.« Er nahm ihren Teller und stand auf. Als er zum Büfett ging, schien ihn wieder dieser Schatten zu begleiten. Cynthia blinzelte. Von einer Sekunde zur anderen war der Schatten verschwunden. Sie schaute zum Licht hinauf. Es mußte an der Beleuchtung liegen.

Ja, es konnte nur die Beleuchtung sein.

»Wie kamen Sie dazu, Goldschmiedin zu werden, Miß Moore?« fragte Brian, als er an den Tisch zurückkehrte.

»Dieser Beruf liegt in meiner Familie«, erwiderte die junge Frau und erzählte ihm, daß sich seit über zweihundert Jahren fast alle Moores mit Gold und Edelsteinen beschäftigten. »Mein Bruder Cedric bildet allerdings eine Ausnahme«, fuhr sie fort. »Er studiert in Cambridge Jura.« Ihre Züge wurden unwillkürlich weich, als sie an Cedric dachte. »Wir sind Zwillinge, müssen Sie wissen.« Sie lachte leise. »Cedric kam eine Stunde später als ich auf die Welt, deshalb ist er der Meinung, ich müßte immer für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen. Schließlich sei ich älter als er.«

»Und wie ich Sie einschätze, tun Sie das gerne.«

»Wie man’s nimmt. Unsere Eltern meinten stets, ich sollte Cedric nicht so verwöhnen. Vermutlich haben sie damit recht gehabt, denn mein Bruder steckt sehr oft in Schwierigkeiten. Meistens handelt er erst und denkt dann. Ich kann ihm nicht beibringen, daß es umgekehrt besser ist.«

»Ist denn auch das Jurastudium das richtige für ihn?«

»Das glaube ich schon. Schon als Cedric noch ein kleiner Junge war, versuchte er, seine Freunde zu verteidigen. Je größer die Schwierigkeiten waren, in denen er steckte, um so stärker war auch der Wunsch, anderen zu helfen.« Cynthia nickte. »Ich glaube, daß Cedric ein sehr guter Anwalt werden wird. Gerade, weil er weiß, wie leicht etwas danebengehen kann.«

»Leben Ihre Eltern noch?«

»Neugierig sind Sie gar nicht.«

»Ich war schon immer dafür berühmt, Dinge zu fragen, die mich nichts angehen. Vielleicht bin ich deswegen Kunsthistoriker geworden. Da kann ich nach Herzenslust in der Vergangenheit wühlen und meine Neugier in die richtigen Bahnen lenken.«

Cynthia gestand sich ein, daß ihr der junge Mann von Minute zu Minute sympathischer wurde. »Nein, meine Eltern leben nicht mehr», erwiderte sie. »Vor einigen Jahren verbrachten sie mehrere Wochen in Indien. Nach ihrer Rückkehr starben sie kurz hintereinander an einer Infektionskrankheit, die sie sich dort geholt hatten.« Abrupt wechselte sie das Thema. »Wann fahren Sie wieder nach Schottland?« wollte sie wissen.

»Wie es aussieht, erst Ende des Jahres«, antwortete er. »Ich will im Sommer einige Wochen auf dem Kontinent verbringen. Neben Italien, Frankreich und Deutschland steht auch Spanien auf meinem Reiseplan. Diese Wochen werden eine gute Gelegenheit sein, mich ausgiebig unter den Kunstschätzen Europas umzusehen. Vielleicht unternehme ich sogar einen Abstecher nach Griechenland.«

»So eine Reise muß sehr interessant sein«, erwiderte die junge Frau. »Ich war letztes Jahr in New York.« Die Musik hatte wieder zu spielen begonnen. Sie blickte durch die offene Tür in den Ballsaal.

»Tanzen wir noch einmal miteinander?« fragte er.

»Ja, gerne.«

Brian führte sie nach nebenan. Wieder kam es Cynthia vor, als würde sie auf Wolken schweben. Sie schloß die Augen und genoß es, von ihm über die Tanzfläche geführt zu werden. Fast hätte sie bedauernd aufgeseufzt, als die Musik verklang. Was war nur mit ihr los? Wieso schaffte es Brian McArthur, sie in ein derartiges Chaos zu stürzen?

»Gehen wir etwas nach draußen«, schlug er vor und wies in den Garten. Wie benommen folgte ihm die junge Frau. »Ein herrlicher Abend.« Brian lehnte sich gegen die Terrassenbrüstung.

Cynthia nickte. Sie blickte zum sternenübersäten Himmel hinauf. Sie wünschte sich, daß dieser Abend niemals ein Ende nehmen würde.

»Miß Moore, hätten Sie nicht Lust, mit mir am Freitag abend essen zu gehen?« fragte er.

Cynthia erwachte wie aus Trance. Sie liebte es, mit Brian McArthur zu tanzen, sie fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft, aber sie schreckte davor zurück, seine Einladung anzunehmen. Sie hielt ihn für einen sehr ernsthaften Menschen, für jemanden, der sich nur mit einer jungen Frau verabredete, wenn er mehr dahinter sah als ein flüchtiges Rendezvous. Nein, sie wollte sich nicht binden.

»Bitte, seien Sie mir nicht böse, aber ich kann die Einladung nicht annehmen«, antwortete sie deshalb, wagte jedoch nicht, ihn dabei anzusehen.

»Schade«, bemerkte er und ließ sie deutlich seine Enttäuschung spüren. »Ich dachte, wir sind einander sympathisch. Was haben Sie dagegen, ein paar nette Stunden mit mir zu verbringen?«

»Ich verabrede mich niemals«, erklärte sie.

»Dann sollten Sie diesmal eine Ausnahme machen.« Er berührte ihren Arm. »Aber ich möchte Sie nicht drängen, Miß Moore. Ich werde Sie anrufen. Das darf ich doch, oder?«

»Ja, das dürfen Sie«, antwortete Cynthia und überlegte, ob es richtig war, nie eine Einladung zu einem Rendezvous anzunehmen. Sie sah ihn an. »Sind Sie mir jetzt böse?«

»Nein, das bin ich nicht«, erwiderte Brian McArthur herzlich. »Kommen Sie, tanzen wir noch einmal miteinander.« Entschlossen führte er sie in den Ballsaal zurück.

*

Es war kurz nach Mitternacht, als Cynthia aus dem Taxi stieg. Ihr neuer Bekannter hatte sie nach Hause bringen wollen, aber sie hatte abgelehnt. Resignierend hatte Brian sich gefügt.

»Gute Nacht«, wünschte sie dem Taxifahrer, dann betrat sie das hohe Wohnhaus und ging zu dem Aufzug, der ins Penthouse hinaufführte. Sie wollte ihn gerade aufschließen, als ihr Blick auf den jungen Mann fiel, der halb schlafend auf der Treppe hockte. »Was tust du denn hier, Cedric?« rief sie überrascht aus.

Cedric Moore streckte sich und sprang auf. »Jetzt hätte ich dich fast verschlafen, Cynthia«, meinte er gähnend. »Ich warte schon seit Stunden auf dich. Ich hatte völlig vergessen, daß der Aufzug und die Hintertür deiner Wohnung ein neues Schloß bekommen haben.« Vorwurfsvoll sah er sie an. »Wo warst du denn?«

»Ich bin auf einer Party gewesen«, erwiderte sie, während sie in den zehnten Stock hinauffuhren. »Warum hast du mich nicht angerufen, um mir zu sagen, daß du nach London kommst? Du…« Ihre Stirn umwölkte sich. »Was tust du überhaupt mitten im Semester in London?«

Cedric verzog das Gesicht. Mit seinen wirren dunkelblonden Haaren und den braunen Augen wirkte er in diesem Moment wie ein Lausbub, der etwas ausgefressen hatte. »Klingt nach Inquisition«, bemerkte er.

»Keineswegs.«

Sie betraten das Penthouse. Cynthia zog ihren Abendmantel aus. »Danke«, sagte sie, als ihn Cedric ihr abnahm und auf einen Bügel hängte. »Wolltest du dich nicht voll auf dein Studium konzentrieren?«

Ihr Bruder gab keine Antwort. Er ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Geschäftig nahm er Geschirr und Besteck aus dem Schrank.

Cynthia folgte ihm. »Cedric, was ist geschehen?« Sie spürte, daß etwas passiert sein mußte. Cedric ging in seinem Jurastudium auf. Es mußte einen triftigen Grund geben, wenn er es unterbrach.

»Habe ich vielleicht einen Hunger.« Der junge Mann öffnete den Kühlschrank. »Sieht nicht aus, als seist du auf deinen hungrigen Bruder eingestellt.«

»Wenn du angerufen hättest, hätte ich genug im Haus. Mach dir doch ein paar Eier. Schinken muß auch noch da sein.«

»Magst du auch etwas?«

»Nein, ich habe bei den Litchfields gegessen.«

»Seit wann verkehrst du bei den Litchfields?«

Cynthia sprach von dem Familienschmuck der Familie. »Nur deshalb wurde mir die Ehre der Einladung zuteil«, fügte sie lachend hinzu und überlegte, ob sie ihrem Bruder von Brian McArthur erzählen sollte, dann sagte sie sich, daß sie diesen Mann ohnehin niemals wiedersehen würde. Warum also von ihm sprechen? »Nun, Cedric, ich warte.«

Der Student atmete tief durch. »Ich habe mein Studium aufgegeben«, sagte er, wagte jedoch nicht, seine Schwester dabei anzusehen.

»Was hast du?« Cynthia fiel aus allen Wolken. »Du hast alle Voraussetzungen, ein guter Anwalt zu werden«, meinte sie und bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Hast du dir etwas zuschulden kommen lassen? Bist du etwa von der Uni geflogen?«

Cedric, der gerade ein paar Eier in die Pfanne schlagen wollte, schüttelte den Kopf. »Nein, es ist wegen meiner Freundin.«

»Okay, Cedric, ich bin zwar todmüde und sehne mich nach meinem Bett, aber wir werden uns in aller Ruhe im Wohnzimmer zusammensetzen, und dann erzählst du mir, was passiert ist.« Seine Zwillingsschwester nahm ein Tablett und stellte das Geschirr darauf. »Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte er und zündete das Gas im Herd an.

Einige Minuten später saßen sich die Geschwister im Wohnzimmer gegenüber. Während Cedric sich fast gleichgültig das Essen in den Mund schob, berichtete er, wie er seine Freundin kennengelernt hatte.

»Marcella lebte mit ihren Eltern in einem Haus ganz in der Nähe der Universität«, fuhr er fort. »Die de Murillos betrieben ein großes Geschäft in der Innenstadt. Vor einigen Wochen kehrten sie nach Spanien zurück und nahmen Marcella mit. Kurz darauf schrieb sie mir, daß ihre Eltern tödlich verunglückt sind. Sie plante, nach England zurückzukehren und hier ihre Ausbildung abzuschließen.« Er sah seine Schwester an. »Marcella und ich, wir wollten heiraten, Cynthia. Über kurz oder lang hätte ich sie dir vorgestellt.«

»Das mit ihren Eltern tut mir sehr leid, Cedric.«

»Ich habe die de Murillos sehr gemocht. Wir kamen fabelhaft miteinander aus. Allerdings ahnten sie nicht… Nun, Marcella ist nicht zurückgekehrt, aber es gelang ihr, mir noch einen weiteren Brief zu schicken.«

Cedric zog ein Foto aus seiner Brieftasche und reichte es seiner Schwester. Es zeigte eine bildhübsche junge Frau von einundzwanzig Jahren mit langen schwarzen Haaren und braunen Augen. Sie lachte in die Kamera. Das Bild strahlte eine ungeheure Lebensfreude aus.

»Sie ist sehr hübsch«, bemerkte Cynthia und gab ihrem Bruder das Foto zurück.

»Marcella wird in Granada von ihrer Großmutter gefangengehalten«, erklärte er.

»Bist du jetzt nicht etwas zu theatralisch, Cedric?« fragte die junge Frau ungläubig.

»Nein, Cynthia, genauso ist es. Bitte, lies Marcellas Brief. Keine Angst, er ist in englisch abgefaßt – immerhin ist sie hier aufgewachsen.«