Irrlicht 31 – Mystikroman - Carola Blackwood - E-Book

Irrlicht 31 – Mystikroman E-Book

Carola Blackwood

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Während ihres Fluges nach London und der Wartezeit, bis sie den Anschlußflieger zum Weiterflug nach Cardiff in Wales besteigen konnte, hatte Sabrina, Baronesse von Rottenstein, genügend Muße, um sich die letzten Tage und Stunden durch den Kopf gehen zu lassen. Die 23jährige Kunststudentin mit dem Berufswunsch Malerin und Bildhauerin, war von ihren Eltern quasi abkommandiert worden, um ihren Vetter in Wales, den 30 Jahre alten Sir Michael Carmarthen, dreizehnter Earl of Milford-Pembroke, aufzusuchen, der völlig überraschend seine Ehefrau und die Mutter seiner beiden Kinder verloren hatte. Der walisische Edelmann war ein ziemlich weit entfernter Verwandter ihrer Mutter, der Baronin Mary-Anne von Rottenstein-Flowery, die sich just zu diesem Zeitpunkt zu ihrem Leidwesen einer längst überfälligen Operation zu unterziehen hatte. »Warum kann Felix nicht fliegen?« hatte Nathalie wissen wollen und dabei ihren feixenden Zwillingsbruder angesehen, aber die Mutter hatte abgewinkt. »Quatsch«, hatte die elegante 46jährige Grande Dame, die eine wichtige Rolle in der High Society der bayrischen Landeshauptstadt spielte, salopp gemeint. »Nur eine Frau kann Cousin Michael jetzt Trost spenden, und du wirst mich würdig vertreten.« Auch bei ihrem Vater, Baron Hubert von Rottenstein, dem 55 Jahre alten Betreiber eines exklusiven Geldinstituts, der »Rottenstein-Flowery-Private Bank« in München – einem der ganz wenigen Bankhäuser, die sich noch in Privathand befanden – hatte sie auf Granit gebissen. »Wie stellst du dir das vor, Sabrina? Ich muß dringend geschäftlich nach New York fliegen und von da aus nach Hongkong und Singapur.« So hatte sich Sabrina eben »geopfert«. Im geheimen argwöhnte sie, daß es ihren Eltern ganz recht war, sie eine Weile von München fernzuhalten. Es war ihr nicht verborgen geblieben, wie wenig erfreut diese waren, daß sie so »unpassenden« Umgang pflegte. Wolf Hausmann, ihr Freund seit zwei Jahren, war in ihren Augen ein junger Habenichts, ein ewiger Student dazu, der sich für vieles schnell begeisterte und nichts zu Ende brachte. Er war intelligent, besaß aber keinerlei Ehrgeiz, und Herr von Rottenstein verspürte keine Lust, mit seinem sauer verdienten Geld diesen Luftikus irgendwann einmal durchzufüttern. Der so überraschend verwitwete Graf aus Wales war immens reich – seine Familie hatte ihr Vermögen unter anderem durch die Ausbeutung von Kohlebergwerken gemacht – und sah aus wie eine Mischung von jungem Richard Burton und Sean Connery – wobei letzterer allerdings ein Schotte war. Sabrina traute ihrer Mutter ohne weiteres zu, daß diese sich bereits eine Ehe zwischen ihrer Tochter und Sir Michael ausmalte – ihre Verwandtschaft bestand sozusagen nur um hundert Ecken herum und bildete daher kein Hindernis.

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Irrlicht – 31 –

Wo das Grauen herrscht…

Das Unfaßbare hält Einzug auf Pembroke Castle

Carola Blackwood

Während ihres Fluges nach London und der Wartezeit, bis sie den Anschlußflieger zum Weiterflug nach Cardiff in Wales besteigen konnte, hatte Sabrina, Baronesse von Rottenstein, genügend Muße, um sich die letzten Tage und Stunden durch den Kopf gehen zu lassen.

Die 23jährige Kunststudentin mit dem Berufswunsch Malerin und Bildhauerin, war von ihren Eltern quasi abkommandiert worden, um ihren Vetter in Wales, den 30 Jahre alten Sir Michael Carmarthen, dreizehnter Earl of Milford-Pembroke, aufzusuchen, der völlig überraschend seine Ehefrau und die Mutter seiner beiden Kinder verloren hatte. Der walisische Edelmann war ein ziemlich weit entfernter Verwandter ihrer Mutter, der Baronin Mary-Anne von Rottenstein-Flowery, die sich just zu diesem Zeitpunkt zu ihrem Leidwesen einer längst überfälligen Operation zu unterziehen hatte.

»Warum kann Felix nicht fliegen?« hatte Nathalie wissen wollen und dabei ihren feixenden Zwillingsbruder angesehen, aber die Mutter hatte abgewinkt. »Quatsch«, hatte die elegante 46jährige Grande Dame, die eine wichtige Rolle in der High Society der bayrischen Landeshauptstadt spielte, salopp gemeint. »Nur eine Frau kann Cousin Michael jetzt Trost spenden, und du wirst mich würdig vertreten.«

Auch bei ihrem Vater, Baron Hubert von Rottenstein, dem 55 Jahre alten Betreiber eines exklusiven Geldinstituts, der »Rottenstein-Flowery-Private Bank« in München – einem der ganz wenigen Bankhäuser, die sich noch in Privathand befanden – hatte sie auf Granit gebissen.

»Wie stellst du dir das vor, Sabrina? Ich muß dringend geschäftlich nach New York fliegen und von da aus nach Hongkong und Singapur.«

So hatte sich Sabrina eben »geopfert«. Im geheimen argwöhnte sie, daß es ihren Eltern ganz recht war, sie eine Weile von München fernzuhalten. Es war ihr nicht verborgen geblieben, wie wenig erfreut diese waren, daß sie so »unpassenden« Umgang pflegte.

Wolf Hausmann, ihr Freund seit zwei Jahren, war in ihren Augen ein junger Habenichts, ein ewiger Student dazu, der sich für vieles schnell begeisterte und nichts zu Ende brachte.

Er war intelligent, besaß aber keinerlei Ehrgeiz, und Herr von Rottenstein verspürte keine Lust, mit seinem sauer verdienten Geld diesen Luftikus irgendwann einmal durchzufüttern.

Der so überraschend verwitwete Graf aus Wales war immens reich – seine Familie hatte ihr Vermögen unter anderem durch die Ausbeutung von Kohlebergwerken gemacht – und sah aus wie eine Mischung von jungem Richard Burton und Sean Connery – wobei letzterer allerdings ein Schotte war.

Sabrina traute ihrer Mutter ohne weiteres zu, daß diese sich bereits eine Ehe zwischen ihrer Tochter und Sir Michael ausmalte – ihre Verwandtschaft bestand sozusagen nur um hundert Ecken herum und bildete daher kein Hindernis.

Ihm würde sie ihre bildschöne, groß gewachsene, schlanke und mit schulterlangen rotblonden Haaren ausgestattete Tochter jedenfalls viel lieber als Gattin überlassen, als Wolf, diesem Bruder Leichtfuß, der außer gutem Aussehen, einer sportlichen Figur und witzigen Einfällen nichts Handfestes vorzuweisen hatte.

Ihr Zwillingsbruder Felix hatte noch zusätzlich Öl aufs Feuer gegossen durch seine süffisante Bemerkung: »Vor zehn Jahren, als Michael uns in München-Grünwald besucht hat, warst du doch ganz verschossen in den Herrn von der Insel. Er hat sich deiner kaum erwehren können, so hast du ihn angehimmelt. Einen regelrechten Starkult hast du um ihn veranstaltet.«

Die Eltern hatten gelacht, und Sabrina war sehr verlegen geworden. »Ach, was! Blödsinn! Kindereien! Damals war ich dreizehn und er zwanzig und noch ledig. Ich habe halt ein bißchen für ihn geschwärmt. Aber das ist lange vorbei.«

Eben wurde ihr Weiterflug von Chadwick nach Wales aufgerufen, und sie setzte sich zu dem betreffenden Gate in Bewegung. Bald würde sie Michael, ihrem Verwandten gegenüberstehen: er hatte versprochen, sie mit seinem Jeep abzuholen, da er in der Nähe des Flughafens etwas zu erledigen hatte.

Felix, den sie über alles liebte – wenn er nicht gerade so furchtbar eklig zu ihr war –, hatte sie später noch einmal auf das Thema Michael Carmarthen angesprochen, bis sie ärgerlich ausgerufen hatte:

»Laß mich zufrieden mit ihm! Inzwischen sind wir beide erwachsen; Michael war verheiratet und hat einen Sohn und eine Tochter.«

»Sehr richtig, Schwesterchen! Michael war verheiratet. Er ist nun Witwer und damit wieder frei. Seinen beiden Kindern wird er bestimmt bald wieder eine Mutter geben wollen, und er selbst ist mit dreißig im besten Alter, um sich erneut nach einer Frau umzusehen!«

Da war sie beinahe ernstlich böse geworden. »Tu mir den Gefallen, Fex, und tu nicht so, als würde ich, wenn ich nach Wales fliege, auf ›Bräutigamschau‹ gehen wollen. Ich tue lediglich – auf Wunsch der Familie – Michael einen Gefallen. Verstanden?«

»Aber klar doch, Schwesterherz! Niemand behauptet etwas anderes.«

Felix – oder »Fex«, wie Sabrina den Bruder meistens nannte, lag nichts daran, es sich mit »Sabby«, wie er sie als kleiner Junge gerufen hatte, zu verderben. Dazu mochte er seine Zwillingsschwester viel zu sehr – wenn er sie auch liebend gerne auf den Arm nahm.

*

Sabrina machte es sich in ihrem Sitz am Fenster so bequem wie möglich. Das Flugzeug war nur halbvoll, und sie konnte die Beine sogar hochlegen – ein Luxus, den sie nur zu gern in Anspruch nahm. Dann überließ sie sich erneut ihren Gedanken.

Die so plötzlich verstorbene Frau ihres Cousins, Lady Eleanor Carmathen-Wakefield, war dem Vernehmen nach und wie sie sich auf Fotos präsentiert hatte, atemberaubend schön gewesen, mit tiefschwarzem, hüftlangem Haar, weißer Haut und strahlend grünen Augen… daß sie vier Jahre älter als ihr Ehemann gewesen war, hätte kein Mensch vermutet.

So hatten sie jedenfalls ihre Eltern beschrieben, als sie sie kennengelernt hatten anläßlich des Begräbnisses von Sir Randolph Carmarthen, zwölfter Earl of Milford-Pembroke, und Vater von Sir Michael. Der alte Herr, seit fünfzehn Jahren verwitwet, war, kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag, vor zwei Jahren bei einem Jagdunfall tödlich verunglückt.

Hubert von Rottenstein und seine Gattin Mary-Anne waren damals nach Wales geflogen, ohne Sabrina, die gerade ihren Wolf kennengelernt hatte und mit ihm einen Urlaub auf den Malediven verbrachte und ohne Felix, der mit einem Freund per Fahrrad in Bulgarien oder Rumänien unterwegs gewesen war.

Regelrecht geschwärmt hatten ihre Eltern von Michaels Frau, von ihrem Aussehen, ihrem Charme, ihrer Warmherzigkeit und ihrem Witz. »Sie könnte Französin sein«, hatte Sabrinas Vater gesagt und das bedeutete für ihn ein Riesenkompliment. Vor allem aber war beiden aufgefallen, wie sehr sie ihre zwei Kinder liebte, die damals vierjährige Mary-Helen und den zwei Jahre alten Charles.

Sabrina empfand auf einmal heftiges Mitleid mit den Kleinen, die so unvermittelt zu Halbwaisen geworden waren. Um der Kinder willen nahm sie gerne die Reise nach Wales auf sich – obwohl es ihr ungeheuer schwer gefallen war, sich von Wolf, mit dem sie neuerdings zusammen mit noch einem Pärchen in einer WG in München-Schwabing lebte, zu trennen.

Der Bursche sah einfach zu gut aus, war charmant und liebenswürdig, und die Mädels in der Uni liefen ihm scharenweise hinterher.

»Die Versuchungen für einen gutaussehenden Mann sind in München tausendfach«, hatte sie geseufzt, aber Fex hatte schulterzuckend gemeint: »Betrachte es einfach als Prüfung, ob eure Liebe diese Zeit der Trennung übersteht. Wenn ja, ist sie es wert, weiter gepflegt zu werden. Tut sie es nicht, war es eine schöne Zeit, die ihr miteinander verbracht habt, und ihr könnt euch ohne Groll trennen und anderen Partnern zuwenden.« Er hatte leicht reden…

*

Ihre Maschine der British Airways kam mit etwa zwanzig Minuten Verspätung an – ein Umstand, der Sabrina leicht nervös machte, obwohl sie daran keinerlei Schuld traf. Aber ihre Erziehung, die stets sehr locker und überhaupt nicht restriktiv von ihren Eltern gehandhabt worden war, hatte ihr in dieser Beziehung einen wahren Horror anerzogen.

»Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige«, hatte ihre Mutter immer gesagt, und ihr ansonsten sehr toleranter Vater konnte ausgesprochen ungnädig werden, falls sich eines seiner Kinder verspätete. Auch als Felix und sie erwachsen geworden waren und studierten, hielt der Baron von Rottenstein von der sogenannten »akademischen Viertelstunde« überhaupt nichts.

Die junge Frau war froh, als sie endlich mit ihrem Gepäck dem Ausgang zustreben konnte und ihren Cousin Michael unter den vielen Wartenden erspähte. Auf den ersten Blick hatte sie ihn wiedererkannt. Da stand er, breitschultrig, hochgewachsen, die meisten der anderen Leute überragend, lässig in einem praktischen, aber eleganten Freizeitoutfit.

Sein schwarzes Haar trug er kürzer als vor zehn Jahren, außerdem hatte er sich einen niedlichen, schmalen Oberlippen- und Kinnbart zugelegt, aber seine blaugrünen Augen funkelten unternehmungslustig wie eh und je.

Als er seine hübsche junge Verwandte im Visier hatte, schien er angenehm überrascht zu sein; sein Mund mit den vollen Lippen verzog sich zu einem breiten Grinsen und ließ eine Reihe von strahlend weißen Zähnen erkennen.

Nein, Michael hatte sich kaum verändert – und wenn, dann war er höchstens noch attraktiver geworden. ›Wie ein trauernder Witwer, der sich wegen des erst kürzlich erfolgten Ablebens seiner Gattin grämt, sieht er keineswegs aus‹, dachte sie unwillkürlich, verbat sich diesen unfreundlichen Gedanken aber sofort. Nicht jeder konnte oder wollte schließlich seinen Kummer vor sich hertragen und aller Welt seinen Schmerz präsentieren.

Aber immerhin war es Sabrina nicht möglich, ihn bei der sehr herzlichen Begrüßung auf Lady Eleanors Tod anzusprechen. Es hätte einfach nicht gepaßt. Später würden sie noch viel Zeit haben, um über alles zu reden, dachte die junge Frau und überließ sich der stürmischen Umarmung durch Sir Michael.

»Laß’ dich anschauen, liebste Cousine! Wie schön du geworden bist. Aus dem mageren staksigen Teenager mit der Zahnspange hat sich eine attraktive junge Dame entwickelt. Wie lange ist es eigentlich her, daß ich bei euch in Deutschland war? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor – und ich bin inzwischen ein alter Mann geworden.«

Damit sie merkte, daß er letzteres nur als Scherz gemeint hatte, zwinkerte er ihr zu, als er freundschaftlich seinen Arm um sie legte.

»Komm, laß uns gleich fahren, Sabrina. Es sind ungefähr 150 Kilometer bis Pembroke Castle, und der größte Teil davon sind kleine, äußerst schmale Straßen mit endlosen Kurven. Aber ich denke, die Landschaft wird dir gefallen. Wir haben natürlich keine Alpen wie ihr in Bayern – eher ein sanftes Mittelgebirge – aber trotzdem wunderschön.«

Draußen führte er sie zu einem riesigen Parkplatz, auf dem er seinen Jeep abgestellt hatte. Der dreizehnte Earl of Milford-Pembroke verstaute Sabrinas Gepäck, dann fuhr er los. Es war Freitag und früher Nachmittag, und es herrschte ziemlich lebhafter Verkehr.

»Alle wollen rasch nach Hause«, lachte Sir Michael, »um das Wochenende zu genießen; aber ich denke, ich werde ein wenig gemächlicher fahren, damit du mehr von der hübschen Landschaft sehen kannst.«

Sie verließen Barry, wo sich der Flughafen befand. Und als Sabrina mühsam den Namen der nächsten Stadt auf dem Ortsschild radebrechte: »Caerdydd«, da lachte der Earl nur.

»Das ist walisisch, meine Liebe, und bedeutet ›Cardiff‹. Du wirst hier viele seltsame Wörter entdecken – mach dir nichts draus. Wir sprechen eben eine etwas andere Sprache als die Leute in Oxford oder Cambridge.«

Sabrina lehnte sich zurück. Ganz entspannt war sie jedoch nicht. ›Wenn Michael seinen momentanen Fahrstil tatsächlich »gemächlich« nennt – mit welcher Geschwindigkeit fährt er denn dann normalerweise?‹

Wie stets auf den Britischen Inseln irritierte sie außerdem, daß hier die Leute sozusagen auf der »falschen« Straßenseite fuhren.

Die Straße zog sich am Fluß Severn entlang nach Newport, dann in nördlicher Richtung nach Abertillery bis Hereford, wo der Earl nach Osten abbog und nun seinen Weg am Fluß Wye entlang nahm.

»Wären wir von Hereford aus weiter nach Norden gefahren, wären wir nach Worcester gelangt, einer kleinen Stadt, die eigentlich nur durch den Namen einer würzigen Sauce bekannt ist. Hereford und Umgebung ist übrigens englisch«, meinte der charmante Chauffeur der jungen Frau. »Sobald wir aber die Black Mountains, eine Erhebung von stattlichen 811 Metern erreichen, befinden wir uns wieder auf walisischem Boden.«

Die Fahrt am Wye entlang kam Sabrina von Rottenstein höchst romantisch vor – vor allem in Gesellschaft des gutaussehenden Earls, der entfernt mit ihrer Mutter Mary-Anne verwandt war. Er machte sie laufend auf markante Punkte in der Landschaft oder auf historische Bauten aufmerksam.

Über die arme Eleanor oder seine beiden Kinder verlor Michael nach wie vor kein Wort…

»Du wirst ein wenig Hunger haben, denke ich«, meinte er schließlich. Es war jetzt früher Nachmittag, und was sie zu Mittag im Flugzeug serviert bekommen hatte, war nicht der Rede wert gewesen.

»Ja, laß uns Rast machen, bitte«, stimmte Sabrina, die auf einmal tatsächlich Appetit bekommen hatte, zu.

In Builth Wells ließen sie sich in einem malerischen Gasthof, einem Fachwerkbau aus dem 15. Jahrhundert, nieder, der den Namen »King’s Head« trug – zur Erinnerung an den geköpften englischen König Charles I.

Michael bat um einen Platz, von dem aus sie den imposanten Gebirgsriegel der Cambrian Mountains vor sich hatten, ein zwar nur flaches Gebirge, dessen Berg Mynydd Preselli im Süden gerade mal 536 Meter mißt, während in der Mitte Plynlimon Fawr genau 753 Meter hoch aufragt und im Norden der Berg Snowdon es immerhin auf 1085 Meter bringt.

Sabrina hatte diese Angaben dem Deckblatt der Speisekarte entnommen, welche aber ansonsten wenig ergiebig war. Kein Wunder, fürs Mittagessen war es zu spät und für den Tee noch etwas zu früh. Schließlich konnte Sir Michael den Wirt wenigstens dazu überreden, daß er ihnen einen Teller Suppe aufwärmte.

Sabrina schaute aus dem Fenster. Die Gegend gefiel ihr ausnehmend gut. In diesem Teil der Britischen Insel war sie noch nie gewesen. London kannte sie ganz gut, und in Schottland und Irland war sie auch schon gewesen, aber in Wales war es ihr erster Aufenthalt.

»Die Cambrian Mountains bilden quasi eine Nord-Süd-Barriere gegen den St. George’s Channel, einen Meeresarm, der Irland von Wales, England und Schottland trennt«, unterbrach Michael die Gedanken seiner Cousine.

»Wir fahren noch ein Stück nach Llandrindod Wells und von da aus, auf halbem Weg nach Devil’s Bridge, der ›Teufelsbrücke‹ – auf einer kleinen Anhöhe in einem Seitental – liegt Pembroke Castle, meine bescheidene Hütte aus dem 14. Jahrhundert, die ich dir so lange als deine neue Heimat anbiete, wie du Lust hast zu bleiben – und sollte es auch für immer sein.«

»Ich danke dir für die liebenswürdige Einladung, Cousin Michael, aber allzu lange werde ich leider nicht bleiben können. Mein Studium…«

»Klar, verstehe!«

Sir Michael zwinkerte seiner hübschen Verwandten zu. »Und, wie ich vermute, zieht dich die Liebe zu diesem Wolf Hausmann ebenfalls wieder mit Macht nach München zurück.«

»Also, woher weißt du denn das schon wieder? Hat meine Mutter…?«

»Natürlich! Was glaubst du, wie sehr mir Tante Mary-Anne in den Ohren gelegen hat mit ihrem Herzenskummer, daß du ihr einen nicht standesgemäßen Schwiegersohn ins Haus bringen könntest.«

»Ach! Das ist ja interessant. Mutter streitet mir gegenüber immer ab, daß sie der fehlende Stammbaum von Wolf stört, aber vermutet habe ich immer schon, daß es das in Wahrheit ist, was sie an ihm nicht mag.«

»Dies und die Tatsache, daß er anscheinend ein Windhund ist – wenn auch zugegebenermaßen ein sehr liebenswürdiger – aber nichtsdestotrotz ein Luftikus, bar jeglichen Verantwortungsgefühls«, erwiderte trocken der Earl.

»Also, also, das ist doch…! Das muß ich mir aber ernsthaft verbitten, Michael, daß du so über meinen Freund herziehst!«

Die junge Frau war im Gesicht krebsrot vor Empörung und ihre meergrünen Augen – ähnlich denen des Earls – funkelten wütend.

»Reg’ dich nicht auf, Sabby.«

Er benützte denselben Kosenamen wie ihr Bruder, mit dem er sie vor zehn Jahren als Dreizehnjährige auch schon bedacht hatte. »Was ich eben gesagt habe, war Originalton Tante Mary-Anne. Ich würde so etwas nie behaupten, wenn ich die betreffende Person überhaupt nicht kenne.«

Sabrina beruhigte sich zwar, aber Sir Michael bemerkte sehr wohl, daß die gute Stimmung seiner jungen Verwandten einen empfindlichen Dämpfer erhalten hatte. ›Anscheinend liebt sie diesen Burschen wirklich‹, dachte er bei sich und nahm sich vor, in Zukunft sensibler mit dem »Thema Wolf« umzugehen – am besten erwähnte er ihn überhaupt nicht mehr.

Auch Sabrinas Mutter hatte gemeint, durch schlichtes Ignorieren ihre Tochter dazu zu bringen, diesen Studenten zu vergessen – eine Hoffnung, die Sir Michael allerdings sehr fraglich erschien, nachdem er eben erlebt hatte, mit welcher Vehemenz seine Cousine den jungen Mann verteidigte… Es würde wohl anderer Mittel bedürfen.

*

Nicht weit vor »Devils Bridge«, der Teufelsbrücke also, bog der Earl of Milford-Pembroke nach rechts in ein schmales Seitental, zu dessen beiden Seiten sich etliche hundert Meter hohe Hügel erhoben, auf denen Schafe in großer Anzahl weideten. Da man sich nahezu auf Meereshöhe befand, ragten die bescheidenen Buckel der Cambrian Mountains ziemlich majestätisch in den blauen, walisischen Himmel.

Etliche der weißen, wolligen Tiere hatten schwarze Gesichter, wie Sabrina sofort auffiel. Ihre letzte Schur mußte schon länger zurückliegen, denn ihr dicht gekräuseltes Fell war bereits wieder stark nachgewachsen.

»Gleich sind wir da«, unterbrach Sir Michael die etwas peinliche Stille, die zwischen ihnen seit ihrem Gespräch im »King’s Head« vorgeherrscht hatte. Ein wenig mühsam hatte sich ihre Unterhaltung seither dahingeschleppt.

Die kleine Straße wand sich bergauf, und nach einigen steilen Kehren lag ein Plateau vor ihren Augen, auf dem seit dem frühen 14. Jahrhundert das weitläufige Stammschloß der Herren von Milford thronte.

»In seinen ältesten Teilen existiert das Gebäude bereits seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts. Wie du vielleicht weißt, sind unsere Vorfahren mit Wilhelm dem Eroberer auf die Insel gekommen…«

»Ich weiß«, erwiderte Sabrina etwas kurz angebunden. »Im Jahr 1066 haben sie ihm geholfen, den englischen König Harald zu schlagen und haben sich anschließend hier auf der Insel breit gemacht. Ich kenne die historischen Fakten, Cousin Michael.«

An ihrer immer noch verschlossenen Miene, sowie an ihrem etwas brüsken Tonfall erkannte der Earl, daß seine junge Verwandte immer noch »verschnupft« war wegen seiner Äußerungen über ihren Liebsten. Er überlegte, wie er seine schöne Cousine versöhnen konnte.

»Meine Güte! Was für ein prachtvolles Anwesen, Michael!« hörte er im gleichen Augenblick Sabrina ausrufen. Ihre Begeisterung klang echt; und eigentlich war der Hausherr es auch gar nicht anders gewöhnt von Gästen, die das erste Mal des Gebäudes ansichtig wurden.

Von der ursprünglichen Anlage her war es eine mittelalterliche Ritterburg mit Ringmauer, Burggraben, Zugbrücke, Torturm mit Wächterhäuschen, Bergfried, einer Kapelle, sowie den unumgänglichen Neben- und Wirtschaftsgebäuden. Aber im Laufe der Jahrhunderte hatte jeder Besitzer – von denen alle aus ein und derselben Familie stammten, nur im 17. Jahrhundert war eine Nebenlinie zum Zuge gekommen – das Schloß nach seinem persönlichen Geschmack erweitert, umgebaut, modernisiert oder einfach renoviert.

Sie überquerten die Zugbrücke, die zum letzten Mal vor etwa zweihundert Jahren hochgezogen worden war, und fuhren rasant durch den Torturm; dann hielt Sir Michael seinen Jeep im Schloßhof am alten Brunnen an, der noch wie im Mittelalter ein überdachter Ziehbrunnen mit Eimer und Winde war.

»Funktioniert der noch?« war Sabrinas erste Frage, als sie behende aus dem Wagen gesprungen war und sich neugierig im Schloßhof umsah. Sie und Michael waren nicht allein; etliche Männer und Frauen liefen geschäftig umher, und bei den Wirtschaftsgebäuden herrschte lebhaftes Kommen und Gehen.

»Aber ja! Wir können heute noch aus etwa einhundert Metern Tiefe frisches Quellwasser schöpfen. Es schmeckt wunderbar. Möchtest du versuchen?«

Der Earl griff nach einer Schöpfkelle und einem der Tonbecher, die am gemauerten Brunnenrand für diesen Zweck bereitgestellt waren.