Irrlicht 9 – Mystikroman - Anne Alexander - E-Book

Irrlicht 9 – Mystikroman E-Book

Anne Alexander

0,0

Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Es war Sommer. Der achtzehnte in Colleens Leben. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf die alten grauen Gebäude des Schulkomplexes hinunter. Leichtfüßig eilte das junge Mädchen durch den mit Bäumen bestandenen Park zum Wohngebäude der Oberstufe. Bis zum Abend gab es noch viel zu tun. Immerhin hatte sie sich vorgenommen, die schönste Geburtstagsparty ihres Jahrgangs auszurichten. Plötzlich wurde es dunkel. Colleen blieb erschrocken stehen. Erst jetzt wurde ihr auch bewußt, daß sie völlig alleine im Park zu sein schien. Wo waren die anderen? Hatte sie nicht eben noch ihre Stimmen gehört? Sie blickte zum Himmel. Schwarze Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Angst schnürte ihr Herz zusammen. Der Park verwandelte sich. Seine Bäume und Sträucher wirkten wie Gestalten aus dem Hades und schienen nur darauf zu warten, sich auf sie zu stürzen. Zwischen ihnen gab es dunkle tiefe Nischen, aus denen sie Hunderte von glühenden Augen anstarrten. Colleen wollte fliehen, aber ihre Füße bewegten sich bei jedem Schritt nur um Millimeter. Es war, als wollte die Erde sie in sich aufsaugen. Jedesmal, wenn sie einen Fuß hob, gab es ein schmatzendes Geräusch.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 148

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irrlicht – 9 –

Hilfe aus dem Jenseits

Doch sie versetzt Colleen Davies in Angst und Schrecken

Anne Alexander

Es war Sommer. Der achtzehnte in Colleens Leben. Die Sonne stand hoch am Himmel und brannte auf die alten grauen Gebäude des Schulkomplexes hinunter. Leichtfüßig eilte das junge Mädchen durch den mit Bäumen bestandenen Park zum Wohngebäude der Oberstufe. Bis zum Abend gab es noch viel zu tun. Immerhin hatte sie sich vorgenommen, die schönste Geburtstagsparty ihres Jahrgangs auszurichten.

Plötzlich wurde es dunkel. Colleen blieb erschrocken stehen. Erst jetzt wurde ihr auch bewußt, daß sie völlig alleine im Park zu sein schien. Wo waren die anderen? Hatte sie nicht eben noch ihre Stimmen gehört?

Sie blickte zum Himmel. Schwarze Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben. Angst schnürte ihr Herz zusammen.

Der Park verwandelte sich. Seine Bäume und Sträucher wirkten wie Gestalten aus dem Hades und schienen nur darauf zu warten, sich auf sie zu stürzen. Zwischen ihnen gab es dunkle tiefe Nischen, aus denen sie Hunderte von glühenden Augen anstarrten.

Colleen wollte fliehen, aber ihre Füße bewegten sich bei jedem Schritt nur um Millimeter. Es war, als wollte die Erde sie in sich aufsaugen. Jedesmal, wenn sie einen Fuß hob, gab es ein schmatzendes Geräusch.

Endlich hatte sie das Haus erreicht. Mit einem schrillen Kreischen sprang das Portal vor ihr auf und gab den Blick in eine bizarr verzerrte Halle frei. Im Hintergrund wand sich die Treppe wie eine dünne, lange Schlange zu den oberen Stockwerken.

»Kehr um!« rief eine Stimme in ihr. »Flieh, solange du noch fliehen kannst!«

Aber trotz ihrer Angst ging sie weiter. Sie griff nach dem Geländer, das sich unter ihren Füßen eiskalt anfühlte, und stieg die Treppe hinauf.

Die Stufen nahmen kein Ende. Ächzend und stöhnend neigten sich ihr Wände zu. Als Colleen den Kopf hob, sah sie, daß die Decke große Sprünge aufwies, durch die eine rote Flüssigkeit tropfte.

»Nicht weitergehen! Lauf zurück!«

Ganz deutlich hörte das Mädchen die Warnung, aber es beachtete sie nicht. Auch wenn es umkehren wollte, es wäre dazu nicht imstande gewesen. Eine unsichtbare Macht trieb es weiter und weiter.

Die Treppe endete vor einem endlos langen Gang. Colleen zitterte vor Furcht, als sie ihn betrat. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte. Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus.

»Nein!«

»Ich muß«, sagte sie und stieß mit angehaltenem Atem die Tür auf.

Im Zimmer war es dunkel. Durch die hohen Fenster fiel kein einziger Lichtstrahl. Dennoch bemerkte sie, daß sich auch hier etwas verändert hatte. Der Raum glich einer Höhle, in deren Tiefen etwas Gräßliches lauerte. Das junge Mädchen holte tief Luft und drückte auf den Lichtschalter. Entsetzt schrie es auf.

»Colleen! Colleen, wach auf!«

Verwirrt schlug Colleen Davies die Augen auf. Sie bemerkte, daß ihre Nachttischlampe brannte. Alison, ihre zehnjährige Nichte, stand vor ihr am Bett und sah sie aus weit aufgerissenen Augen an. »Tut dir etwas weh?« fragte das Mädchen angstvoll.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Es war nur ein Alptraum, Lovely«, erwiderte sie. Noch immer hielt sie der Traum gefangen. Es fiel ihr schwer, in die Wirklichkeit zurückzufinden. Sie richtete sich auf. »Auch erwachsene Leute haben manchmal Alpträume.«

Alison setzte sich. »Ich dachte schon, du wärst krank, Colleen«, gestand sie. »Ich hatte solche Angst.«

»Du mußt dich nicht fürchten«, versuchte die junge Frau das Mädchen zu beruhigen. Zärtlich strich sie durch die langen blonden Haare ihrer Nichte. Vor einigen Wochen waren Alisons Eltern bei einer Fotosafari in Kenia ums Leben gekommen. Seitdem lebte die Zehnjährige bei ihr.

»Hast du oft Alpträume?« fragte Alison, wartete jedoch nicht die Antwort ihrer Tante ab, sondern fuhr fort: »Manchmal träume ich, ich wäre mit Mommy und Daddy zusammen. Ich sehe sie dann ganz deutlich vor mir, aber wenn ich nach ihnen greifen will, sind sie verschwunden.«

»Nein, nicht verschwunden, Alison«, sagte Colleen. »Deine Eltern sind immer bei dir, auch wenn du sie nicht sehen kannst. Du trägst eine ganze Menge von ihnen in dir, und das kann dir niemand nehmen.«

Alison nickte. »Ich weiß, aber trotzdem wünschte ich mir, sie wären noch da. Ohne sie ist alles nicht mehr so schön wie es früher gewesen ist. Ich vermisse sie so sehr.«

»Das kann ich sehr gut verstehen, Lovely.« Colleen zog ihre Nichte an sich. »Ich vermisse sie auch.« Sie dachte an ihren Bruder und ihre Schwägerin. Sie waren gute Freunde gewesen. »Aber jetzt wird es allerhöchste Zeit für dich.« Sie stand auf. »Ich bringe dich zu Bett und bleibe bei dir, bis du wieder eingeschlafen bist.«

Ohne Widerspruch ging Alison mit ihrer Tante mit. Früher war sie ein fröhliches, lebhaftes Kind gewesen, das den Kopf voller Streiche gehabt hatte, doch seit dem Tod ihrer Eltern wirkte sie nur noch wie ein Schatten ihrer selbst.

»Ich hab’ dich lieb, Colleen«, bekannte sie, bevor sie sich wieder zu Bett legte. »So lieb.« Sie schlang die Arme um den Nacken der jungen Frau. »Du darfst mich niemals alleine lassen. Versprich es mir.«

»Ich verspreche es«, sagte Colleen. Sie verstand Alisons Verlustängste. Außer ihr hatte ihre Nichte keine Verwandten. Wo sollte sie hin, wenn sie sich von ihr abwandte?

Während die junge Frau an Alisons Bett saß und darauf wartete, daß das Mädchen wieder einschlief, dachte sie über ihren Alptraum nach. Jahrelang war sie fast Nacht für Nacht von ihm gequält worden, selbst am Tag hatte sie sich manchmal die Treppe hinaufsteigen sehen und die Zimmertür öffnen. Unbewußt mußte irgend etwas sie jetzt wieder an Sean erinnert haben.

Sean! Colleen vergrub ihr Gesicht in den Händen. Fünf Jahre waren seit seinem Tod vergangen. Sie konnte noch immer nicht verstehen, was ihn bewogen hatte, sich ausgerechnet an ihrem achtzehnten Geburtstag das Leben zu nehmen. War es Rache gewesen, oder hatte er wirklich geglaubt, nicht ohne sie leben zu können, wie er stets behauptet hatte?

Nach Seans Selbstmord hatte sie lange gebraucht, ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Ohne die Hilfe ihres Bruders und ihrer Schwägerin, deren Liebe und Fürsorge sie wie ein schützender Kokon umgeben hatte, wäre es ihr nicht gelungen. Nun war sie es, die helfen mußte. Sie hatte sich fest vorgenommen, Alison eine glückliche Kindheit zu bereiten.

Zärtlich blickte Colleen auf das Mädchen hinunter. Alison war wieder eingeschlafen. Ihr Gesicht wirkte entspannt. Sie deckte ihre Nichte besser zu, dann stand sie auf und kehrte in ihr eigenes Schlafzimmer zurück. Obwohl sie sich sicher gewesen war, nicht wieder einschlafen zu können, fiel sie schon Minuten später in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Draußen dämmerte gerade der Morgen, als die junge Frau vom Läuten des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Verwirrt hob sie den Hörer ab und meldete sich.

»Sean«, sagte eine dunkle Stimme klar und deutlich. »Erinnerst du dich?«

Augenblicklich war die junge Frau hellwach. Diesmal war es kein Alptraum, sondern Wirklichkeit. Colleen richtete sich auf. Sie spürte, wie sich jedes Härchen an ihrem Körper aufstellte. Sean war tot, er konnte nicht anrufen, aber es war seine Stimme. Selbst nach all den Jahren gab es für sie keinen Zweifel daran.

»Warum sagst du nichts?« fragte die Stimme.

»Wer sind Sie?« flüsterte Colleen heiser vor Entsetzen und krallte die Finger in die Bettdecke.

»Ich sagte es bereits, Sean.« Der Mann lachte. »Ich bin zurückgekehrt, weil ich hier noch einiges zu erledigen habe. Zum Beispiel muß ich mich um dich kümmern. Da ist noch eine offene Rechnung zu begleichen.«

Colleen wollte auflegen, aber sie schaffte es nicht. »Was für eine offene Rechnung?« hörte sie sich fragen.

»Mein Tod«, erwiderte er. »Ja, mein Tod.« Noch immer lachend, unterbrach er das Gespräch.

*

Im Schlafanzug rannte Alison zum Fenster. »Fein, heute regnet es mal nicht«, sagte sie und blickte zum St. James Park hinüber. »Kann ich vor der Schule noch Enten füttern gehen, Colleen?« Sie legte den Kopf zur Seite. »Ich werde mich mit dem Anziehen auch beeilen.«

»Wir haben noch reichlich Zeit, Alison«, erwiderte ihre Tante. »Was jedoch nicht heißen soll, daß du trödeln mußt. Während du dich wäschst und anziehst, bereite ich das Frühstück. Was möchtest du essen?«

»Am liebsten Rühreier mit Schinken und Toast.«

»Also wie gewöhnlich«, meinte Colleen lachend und verschwand in der Küche.

Während sie das Frühstück vorbereitete, grübelte die junge Frau über den nächtlichen Anruf nach. Wieder rann ihr ein Schauer über den Rücken, als sie sich die Stimme des Anrufers und sein höhnisches Lachen ins Gedächtnis zurückrief.

Mach dich nicht verrückt, es war nur ein furchtbarer Traum, dachte sie und schaltete den Toaster ein. Sean ist tot, seit fünf Jahren tot. Wie hätte er also in der Nacht anrufen können. Und wenn sich jemand mit ihr einen Scherz erlaubt hatte?

Colleen schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß jemand aus ihrem Bekanntenkreis zu einem derart schlechten Scherz fähig war. Zudem gab es nur wenige Leute, die von Sean Wilson wußten. Nein, es konnte nur ein weiterer Alptraum gewesen sein.

Aber warum war sie dann felsenfest davon überzeugt, wirklich mit einem Mann telefoniert zu haben? Jede Nuance seiner Stimme hatte sich in ihr Gedächtnis eingegraben.

Die junge Frau riß sich zusammen. Sie durfte nicht zulassen, daß sie ihre Träume für Wirklichkeit nahm. Vielleicht würde es besser sein, einen Psychiater aufzusuchen, bevor sich diese Wahnideen bei ihr festsetzten.

In ihrem Arbeitszimmer klingelte das Telefon.

»Ich nehme schon ab, Colleen!« rief Alison. »Es wird für mich sein. Jocelyn wollte mich heute morgen vor der Schule noch anrufen.«

»Beeil dich, das Frühstück ist bald fertig!« Colleen legte den Toast in ein Körbchen und stellte die Pfanne mit dem Schinken auf den Herd.

Alison erschien halb angezogen in der Küchentür. »Es ist für dich«, sagte sie grinsend und verdrehte die Augen.

»Dein Mister Dewhurst.« Sie zog den Namen in die Länge.

»Mister Dewhurst ist nur mein Chef, Alison.«

»Und warum sieht er dich dann immer so verliebt an?«

»Manchmal bist du eine Landplage, Lovely.« Colleen tippte gegen die Nasenspitze der Zehnjährigen und eilte in ihr Arbeitszimmer. Sie mochte James Dewhurst und fühlte, daß er sich längst in sie verliebt hatte, doch sie konnte seine Liebe nicht erwidern. Manchmal fragte sie sich, ob sie überhaupt jemals fähig sein würde, sich zu verlieben. Seit Seans Tod hatte sie, soweit es ging, um jedes männliche Wesen einen weiten Bogen gemacht.

»Guten Morgen, Mister Dewhurst«, meldete sie sich.

»Guten Morgen, Miß Davies«, erwiderte James

Dewhurst. »Schon, daß ich Sie noch erreiche, bevor Sie Alison zur Schule bringen. Hoffentlich störe ich nicht.«

»Ganz gewiß nicht, Mister Dewhurst.«

»Fein. Könnten Sie mir sagen, wie weit Sie mit den Zeichnungen für die Tiergeschichte sind?« fragte James Dewhurst. »Ich würde einige der Bilder gerne meinem Vater vorlegen, wenn er heute nachmittag aus New York zurückkommt. Er hat sich kurzfristig entschlossen, seine Reise abzubrechen.«

»Ich bin bei der fünften Geschichte«, sagte Colleen. »Am besten, ich bringe Ihnen die Zeichnungen noch heute vormittag vorbei.«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

Die junge Frau antwortete ihm nicht. Fassungslos starrte sie auf den Monitor ihres Computers. Sie war sich ganz sicher, ihn am Abend ausgeschaltet zu haben. Deutlich stand in der Mitte des Bildschirms

»Sean«.

»Miß Davies! – Miß Davies, sind Sie noch dran?«

Colleen holte tief Luft. »Ja, Mister Dewhurst«, antwortete sie mühsam.

»Ist etwas passiert?« fragte er.

»Nein, warum?« Sie strich sich über die Stirn. Noch immer starrte sie auf den Bildschirm. War der Anruf in der vergangenen Nacht doch kein Traum gewesen? Hatte sie mit einem Toten gesprochen?

»Ihre Stimme klingt so merkwürdig«, sagte James Dewhurst. »Sie wissen, es ist nicht meine Art, mich in die Angelegenheiten meiner Mitarbeiter einzumischen, aber bei Ihnen ist das etwas anderes. Sie sind für mich weit mehr als nur eine freie Mitarbeiterin, Miß Davies.«

»Es ist wirklich alles in Ordnung, Mister Dewhurst«, log die junge Frau, obwohl sie sich ihm gerne anvertraut hätte. »Ich bringe dann die Zeichnungen so gegen zehn Uhr vorbei.«

»Gut, Miß Davies«, erwiderte ihr Chef und legte mit einem Gruß auf.

Colleen hielt noch immer den Hörer in der Hand, doch sie war sich dessen nicht einmal bewußt. Nach wie vor starrte sie auf den Bildschirm. Wurde sie langsam verrückt? Hatte sie am vergangenen Abend

Seans Namen in die Tastatur eingetippt?

»Colleen, wo bleibst du denn?« Alison kam ins Zimmer. »Wir wollen doch nach dem Frühstück noch die Enten füttern gehen.«

Die junge Frau wandte sich ihr zu. »Alison, warst du am Computer?« fragte sie.

Die Zehnjährige schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe schon seit Tagen keine Computer-Spiele mehr gemacht. Warum?« Sie trat zu ihr. »Wer ist Sean?«

»Nur ein junger Mann, den ich einmal kannte«, erwiderte ihre Tante und schaltete den Computer aus. »Also, gehen wir essen.« Sie nahm das Mädchen bei den Schultern und schob es in den Korridor. »Was würdest du davon halten, wenn wir nach der Schule einen ausgiebigen Einkaufsbummel machen? Du brauchst ein paar neue Sachen.«

»Prima.« Alison strahlte. »Und deine Arbeit?« fragte sie dann.

»Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Colleen. Sie brauchte zu den Zeichnungen eine ruhige Hand, und sie spürte, wie sie innerlich zitterte. Es würde ihr nicht möglich sein, den Stift so sicher über das Papier zu führen, daß ihre Arbeit auch bestehen konnte.

Alison drehte sich ihr zu. Ernst blickte sie zu ihr auf. »Du bist anders als sonst, Colleen«, stellte sie fest. »Hast du Sorgen?« Sie hob die Hand und berührte das Gesicht ihrer Tante.

»Nein, ich habe keine Sorgen«, behauptete die junge Frau und zwang sich zu einem Lächeln. »Das heißt, eine Sorge schon. Wenn wir weiter so trödeln, kommst du doch noch zu spät zur Schule.« Sie gab dem Mädchen einen leichten Klaps. »Also ab mit dir in die Küche. Der Toast wird inzwischen ohnehin kalt sein.«

»Und der Schinken und die Eier sind noch nicht gebraten.« Alison eilte zum Herd und schaltete ihn ein. Sie bemerkte nicht, wie ihre Tante sich verstohlen über die Augen wischte.

*

Während der nächsten beiden Wochen brauchte Colleen Davies ihre ganze Kraft, um nicht die Nerven zu verlieren. Es verging kaum eine Nacht, in der sie nicht durch das Läuten des Telefons aus dem Schlaf geschreckt wurde.

Zweimal zog sie abends den Stecker, doch sie wußte, daß das keine Lösung war. Sie konnte nicht für den Rest ihres Lebens davonlaufen.

Vielleicht sollte sie zur Polizei gehen, dachte sie und ließ den Zeichenstift sinken. So dringend ihre Arbeit war, sie konnte sich nicht darauf konzentrieren. Dabei hatte sie James Dewhurst fest versprochen, die restlichen Illustrationen für das Tierbuch bis Ende des Monats abzuliefern. Bisher hatte er sich immer auf sie verlassen können.

Die junge Frau schloß die Augen und lehnte sich zurück. Ganz deutlich glaubte sie Sean Wilson vor sich zu sehen. Sie war gerne mit ihm zusammengewesen, doch sie hatte nicht mehr als Freundschaft für ihn empfunden.

Nein, ich kann mich nicht an die Polizei wenden, überlegte sie. Es ist unmöglich. Man würde mich nur auslachen. Anrufe von einem Toten!

Colleen griff wieder nach ihrem Stift. Für kurze Zeit gelang es ihr, sich voll auf die Zeichnung, an der sie gerade arbeitete, zu konzentrieren. James Dewhurst würde begeistert sein. Sie kannte inzwischen seinen Geschmack. Es gelang ihr immer wieder, ihn mit ihren Illustrationen zu treffen.

Doch schon bald glitten die Gedanken der jungen Frau erneut zu den nächtlichen Anrufen zurück. Schließlich gab sie es auf. Es hatte keinen Sinn weiterzuarbeiten. Sie beschloß, sich sehr früh am Morgen an ihren Schreibtisch zu setzen.

Bevor Colleen ihr Arbeitszimmer verließ, überzeugte sie sich, daß der Computer ausgeschaltet war. Auf dem Weg ins Bad kehrte sie sogar noch einmal zurück und zog den Stecker, dann schloß sie die Tür hinter sich ab.

Machst du dich nicht lächerlich? fragte sie sich, als sie unter der Dusche stand. Außer Alison und dir ist niemand in der Wohnung. Wer sollte also ins Arbeitszimmer gehen und den Computer einschalten, um

Seans Namen zu schreiben?

Colleen hüllte sich ins Badetuch. Sie blickte in den Spiegel. Es gab nur eine einzige Person, die in jener Nacht den Computer eingeschaltet haben konnte, das war sie selbst.

Wenig später schob sie lautlos die Tür von Alisons Zimmer auf.

Ihre Nichte schlief tief und fest. Die Atemzüge des Mädchens erfüllten den kleinen Raum. Leise zog sich Colleen zurück. Sie wollte Alison nicht stören, obwohl sie am liebsten ihre Nichte zu sich ins Schlafzimmer getragen hätte, um die Nacht nicht alleine verbringen zu müssen.

Die junge Frau wollte schon wieder den Stecker des Telefonapparates ziehen, als sie sich sagte, daß es sinnlos war. Der nächtliche Anrufer würde einen Weg finden, um sich mit ihr in Verbindung zu setzen.

Es dauerte lange, bis sie an diesem Abend Schlaf fand. Unruhig warf sie sich im Bett herum. Im Traum sah sie Sean. Er stand auf einem hohen Turm und blickte zu ihr hinunter. »Du hast mit mir gespielt, nur gespielt!« rief er ihr zu.

»Nein, das ist nicht wahr«, murmelte sie im Schlaf.

Das Läuten des Telefons drang in den Traum. Seans Gesicht verzerrte sich. In seinen Augen loderte Haß. Aber war es noch Sean? Nein, nein, er…

Schweißgebadet erwachte Colleen. Sie preßte eine Hand auf ihre schmerzende Brust. Das laute Schlagen ihres Herzens schien selbst noch das Läuten des Telefons zu überdröhnen. Schlaftrunken hob sie den Hörer ab.

»Hallo, Colleen! Hier ist wieder Sean, dein Sean.«

»Meinen Sie nicht, daß Sie sich mit der Zeit lächerlich machen, wer immer Sie auch sein mögen?« fragte die junge Frau erregt.

»Im übrigen war ich bei der Polizei. Man hat eine Fangschaltung gelegt.«

»Und das soll ich dir glauben?« Der Mann lachte. »Wenn du bei der Polizei gewesen wärst, hättest du eingestehen müssen, schuldig an meinem Tod zu sein. Zudem kann eine Fangschaltung nichts gegen mich ausrichten. Der Ort, von dem ich anrufe, ist nicht auf dieser Welt.«

»Sie müssen verrückt sein. Absolut verrückt«, stieß Colleen hervor.