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A. Dierkes

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Beschreibung

So hatte ich mir den Tag nicht vorgestellt. Es war eiskalt, ich stand im Regen und sah auf das tote Kind vor mir im Unrat. Ich vergrub die Hände in den Manteltaschen. Die Fahrer des Leichenwagens warteten ruhig wie Aasgeier, bis ihre Zeit gekommen war. Ich drehte mich um. >>Verdammt!<< Hätte ich auch nur im Geringsten geahnt, in welchen Sumpf von Gewalt, menschlicher Verkommenheit und Hass ich geraten würde, ich wäre in meinem warmen Bett geblieben und hätte niemals das Telefon angefasst. Aber so...

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Isy Frey

Maali

1

Verdammt! Mein Kopf fühlte sich an, als würde er in einem Schraubstock stecken. Ich bewegte mich nicht. Das Telefon klingelte unnachgiebig. Das Klingeln schrillte quälend in meinen Ohren. Jeder einzelne Klingelton zerrte an meinen gereizten Nerven. Ich beugte mich über Sylvie hinweg und tastete nach dem Wecker vor dem Bett auf dem Boden. Ich öffnete die Augen erst, als ich ihn gefunden hatte - vorsichtig. Das Tageslicht schmerzte in den Augen.

>>Verdammt!<<

Fluchte ich leise. Ich hatte kaum vier Stunden geschlafen und den Rest besorgte der Alkohol. Mir ging es nicht gut. Ich ließ den Wecker fallen und plumpste zurück auf die Matratze. Mit geschlossenen Augen wartete ich auf das Ende meines Leidens. Ich wartete angestrengt darauf, dass das Telefon verstummen würde - vergeblich, das Klingeln wollte nicht aufhören. Ich drehte den Kopf zur Seite. Sylvie atmete ruhig und gleichmäßig neben mir. Das klingelnde Telefon schien sie nicht zu stören. Wahrscheinlich hörte sie es nicht einmal. Warum auch? Es war nicht ihre Wohnung und auch nicht ihr Telefon. Vorsichtig schlüpfte ich unter der Decke hervor. Die kalte Luft ließ mich frösteln. Leise vor mich hinfluchend suchte ich meinen Lammfellmantel - irgendwo musste er ja sein. Ich fand ihn auf dem Boden neben dem Kordsessel. Ich warf mir den Mantel über und nahm das Telefon vom Couchtisch. Ich ließ mich in den Sessel fallen und nahm den Hörer ab. Es war das Präsidium. Die Stimme am Telefon klang vorwurfsvoll.

>>Guten Morgen Kommissar Frey, wir versuchen schon den ganzen Morgen sie zu erreichen.<<

>>Mhmm..., warum?<<

>>Dr. Althoff will sie sehen. Ich gebe ihnen die Adresse. Ihr Kollegen Schmit ist übrigens schon vor Ort.<<

Ich zog den Mantel enger um mich herum.

>>Und was soll ich dann noch da tun?<<

>>Sie kennen die Flüchtlingsunterkunft in Wedau!? Der Parkplatz daneben - fahren sie dahin!<<

Es klickte in der Leitung. Ich wartete einen Moment. Die Leitung war tot. Ich legte auf. Mit dem Telefon im Schoß blieb ich noch etwas unschlüssig sitzen. Schließlich stand ich aber doch auf, schloss die Fenster, drehte die Heizung an und stellte mich dann unter die Dusche. Ich drehte am Wasserhahn.

>>Verdammt!<<

Das Wasser war eiskalt. Ich drehte den Hebel auf warm - besser.

>Die Kollegen sind schon vor Ort.<

Hatte ich es noch in den Ohren, während mir das heiße Duschwasser über den Körper lief.

>Das hätte er sich auch sparen können.<

Wenigstens ließen die Kopfschmerzen nach. Ich hatte keinen Grund zur Eile. Wochenende war Wochenende. Aufgewärmt stieg ich aus der Dusche. Dampf hüllte das Bad ein. Wassertropfen liefen an den Wänden herab. Ich griff zum Handtuch und trocknete mich ab. Zusammen mit einer Dampfschwade verließ ich das Bad, als ich in den kalten Wohnraum trat. Eilig suchte ich meine Sachen vom Boden auf und stolperte dabei über Sylvies Schuhe. Sie hatte sich umgedreht und beanspruchte jetzt das ganze Bett für sich. Neidvoll sah ich sie an. Ich zog mir den Pullover über den Kopf und suchte meine Socken. Der Linoleum Boden war eiskalt. Meine Schuhe mussten auch noch irgendwo sein. Nachdem ich vollständig angezogen war, nahm ich vorsichtig den Mantel vom Sessel und schlich mich zur Wohnungstür. Ich drückte sachte die Türklinke und machte leise die Tür auf. Vorsichtig zog ich die Tür hinter mir ins Schloss. Das Schloss klickte leise. Der schmale Flur war kalt und schäbig. Ich eilte durch das Treppenhaus nach unten und lief über den Werkstatthof zum Auto. Der Alfa kauerte auf seinem Parkplatz unter den Platanen der Straße. Der nächtliche Niederschlag perlte vom dunkelgrünem Lack ab. Der Wind blies eisig. Ich fummelte den Schlüssel ins Schloss und machte hastig die Fahrertür auf. Ich rutschte auf den Sitz und zog schnell die Tür zu. Der Motor sprang nach wenigen Umdrehungen des Anlassers an, das verbesserte meine Laune und der Klang des Boxermotors beruhigte meine Nerven. Die Nacht war zu kurz gewesen. Nach wenigen Kilometern hatte der Motor Temperatur bekommen und die Heizung blies zögerlich erste warme Luft in den Innenraum. Ich entspannte mich und lenkte den Wagen über die, vom Regen nassen und kalt glänzenden, Straßen. Die kahlen Bäume hatten ihre Blätter schon lange abgeworfen. Nur noch vereinzelt winkte ein farbloses Blatt in regennassen Böen vom dürren Geäst herab. Monoton wischten die Scheibenwischer über das Glas. Die Fahrt dauerte nicht all zulange. An der Absperrung winkte mich ein uniformierter Kollege durch, als er den Alfa erkannten. Vor einem Absperrband stellte ich den Alfa ab. Ich stieg aus und duckte mich unter dem Flatterband hindurch. Mirco erwartete mich schon im Zentrum der Absperrung. Es regnete immer noch. Staatsanwältin Cornelia Medir und Polizeipräsident Dr. Althoff, standen bei ihm. Weiter abseits standen die Fahrer des Leichenwagens unter ihren Regenschirmen mit fröstelnd hochgezogenen Schulter. Sie unterhielten sich und rauchten Zigaretten, während sie warteten. Dr. Althoff löste sich aus der Gruppe, als er mich sah und kam mir entgegen. Als er mich erreicht hatte sagte er im Vorbeigehen:

>>Halten sie das Ganze klein Frey!<<

Ich sah ihm fragend nach, bis er mit seinem großen Regenschirm im Regen verschwunden war. Dann richtete sich mein Blick wieder auf die Gruppe vor mir. Mit Cornelia Medir hatte ich schon oft zusammen gearbeitet. Mirco Schmit, mein Kollege, war erst seit kurzem bei uns. Ein junger Kommissar. Er strahlte Eifer aus, was meine Laune nicht gerade verbesserte. Ich senkt den Kopf zwischen die Schultern. Staatsanwältin Medir bereitete sich ebenfalls vor zu gehen. Als ich die beiden erreicht hatte, sagte sie knapp:

>>Herr Schmit wird ihnen die Situation erklären.<<

Sie hatte es eilig. Bevor sie endgültig verschwand, warf sie noch einen abschließenden Blick über das trostlose Gelände. Im Gehen drehte sie sich um und sagte, ohne ihre Schritte zu verlangsamen, über ihre Schulter hinweg:

>>Und halten sie mich auf dem Laufenden Herr Frey!<<

Schnell war auch sie verschwunden. Nur Mirco und ich standen jetzt noch innerhalb der flatternden Absperrbänder. Er kam gleich zur Sache:

>>Kindesleiche bei den Containern da vorne.<<

Dabei deutete er mit dem Kinn auf ein paar Altkleidercontainer, die nur wenige Meter von uns entfernt aufgestellt waren. Wir befanden uns auf einem großen Parkplatz. Mirco erklärte:

>>Ein Hundebesitzer hat das Mädchen heute morgen gefunden - oder besser gesagt sein Hund.<<

Ich sah zu den Containern.

>>Verdammt! Was für ein Mist. Haben wir schon irgendwas?<<

Eine Böe blies mir Sprühregen ins Gesicht. Mirco zog ein Plastiktütchen aus seiner Jackentasche.

>>Nur das hier.<<

In dem Tütchen waren Ausweispapiere.

>>Das Mädchen heißt Maali Malik, aus Syrien - wenigstens den Papieren nach, die sie dabei hatte. Neun Jahre alt.<<

Ich sah zur angrenzenden Flüchtlingsunterkunft.

>>Von da?<<

Mirco schüttelte den Kopf.

>>Nein, so wie’s aussieht nicht. Sie hatte nur ihre syrischen Papiere dabei - kein Ankunftsnachweis, nichts von deutschen Behörden.<<

Wir gingen zu den Containern.

>>War der Arzt schon da?<<

>>Ja - konnte aber nicht viel sagen. Schätzungsweise liegt sie seit gestern hier - nicht viel länger.<<

Ich nickte.

>>Ok. Was wollten übrigens der Chef und die Staatsanwältin hier?<<

Mirco zuckte mit den Schultern.

>>Die sind nervös - wollen die Sache schnell erledigt haben.<<

Ich ging um die Container herum. Die Spurensicherung hatte eine Art Zelt, oder Pavillon über Maalis Leiche aufgebaut. Sie lag halb verdeckt unter aufgerissenen Mülltüten und Sperrmüll . Die Kollegen der Spurensicherung wirkten in ihren Schutzanzügen beinahe surreal, wie sie sich routiniert am Tatort bewegten. Ich ging näher. Maali trug einen roten Strickrock, oder Strickkleid unter einer braunen Weste. Darüber trug sie eine dünne, blumenbestickte Jeansjacke. Ihr linker Fuß steckte in einem Schuh, der rechte nicht. Der Platz hinter den Containern war zugemüllt. Eine alte Matratze, voller großer, gelber und brauner Flecken lag auf einem Schutthaufen, zwischen Tapetenresten und zerschlagenen Möbeln. Der Regen hatte alles aufgeweicht und ließ die festeren Bestandteile der Müllsammlung kalt glänzen. Die Farben wirkten schmutzig. Maalis schwarze Haare und ihr nasses Gesicht stachen unnatürlich scharf aus dem Unrat hervor. Der Regen dämpfte Stimmen und Geräusche und ließ alles in einer unwirklichen Ruhe versinken. Mein Kopf schmerzte noch immer. Jetzt war aber der eiskalte Wind schuld daran, der kräftig über den Platz blies und nicht der Alkohol. Mirco sprach mit einem der Kriminaltechniker. Ich steckte die Hände in die Manteltaschen und beobachtete die Szenerie. Der Mann ließ Mirco stehen und ging an mir vorbei zu seinen Kollegen unter dem Pavillon. Mirco kam zu mir.

>>Was sagt er?<<

Mirco zuckte mit den Schultern.

>>Nichts. Hier sind so viele Spuren, wie auf einem Rummelplatz - kann also dauern, bis Verwertbares dabei herausspringt.<<

Ich nickte. Passenderweise legte der Regen noch etwas zu. Damit es nicht zu eintönig wurde, mischten sich auch noch ein paar Schneeflocken darunter. Sie ließen sich freudig auf meinem Mantel nieder, der sich mittlerweile wie ein nasser Sack an mich schmiegte. Hier gab es nichts mehr für mich zu tun. Bevor ich ging sah ich mir noch die Umgebung an. Der Parkplatz war groß. Ungefähr hundertfünfzig Meter lang und fünfzig Meter breit. Er gehörte zum gegenüberliegenden Rangierbahnhof, schien aber hauptsächlich von Spaziergängern genutzt zu werden, die im angrenzenden Wald Erholung suchten. Davon abgesehen war hier die meiste Zeit eher wenig betrieb, wie das wuchernde Gras zwischen den Pflastersteinen vermuten ließ. Ein Schotterweg führte in den Wald. Die Altkleidercontainer, hinter denen Maali lag, befanden sich an der rechten Schmalseite, gegenüber der Zufahrt. Direkt daneben war die Flüchtlingsunterkunft. Ein breiter Gebüschstreifen und abgestorbener Knöterich vom letzten Sommer, dazwischen wild wucherndes Unkraut, bildeten eine natürliche Grenze zur Unterkunft. Ein Trampelpfad war hineingetreten worden. Ich hatte genug gesehen. Die Kollegen kamen auch ohne mich klar. Ich beeilte mich zum Auto zu kommen. Ich winkte Mirco durch den Regen zu und rief:

>>Wir sehen uns Morgen.<<

Ich hatte es eilig und hoffte Sylvie noch da anzutreffen, wo ich sie verlassen hatte.

2

Sylvie war Belgierin. Am Abend zuvor hatte ich sie kennengelernt, als ihr alter Renault liegen geblieben war. Bis dahin war mein Abend weitgehend ereignislos verlaufen. Lustlos hatte ich mich aufgerafft und war schließlich, trotz des anhaltenden Regens, zum Imbiss am Ende der Straße gelaufen, um dort ein spätes Abendessen zu mir zu nehmen. Während ich auf meine Bestellung wartete, hatte ich gelangweilt ich durch die beschlagenen Scheiben des Schnellimbisses, als Sylvies gelblicher R5 auf der gegenüberliegenden Straßenseite kraftlos ausrollte. Gedankenlos hatte ich ihre erfolglosen Versuche, den Wagen wiederzubeleben beobachtet. Als der Motor nicht wieder anspringen wollte, war sie aus dem Wagen gestiegen und hatte die Motorhaube geöffnet. Daraufhin war eine weiße Dampfwolke aus dem Motorraum gekommen. Als ich aus meiner Lethargie aufgewachte, war ich ins Freie getreten und, den Pfützen im löchrigen Asphalt ausweichend, auf die gegenüberliegende Straßenseite gehüpft.

>>Kann ich helfen?<<

Hatte ich sie gefragt, als ich den R5 erreicht hatte. Sie hatte mich nur wenig beachtet, während sie am Verschluss des Wasserbehälters drehte. Ich hatte schnell gesagt:

>>Tun sie das nicht! Das Wasser ist heiß.<<

Dann war mir aufgefallen, dass der R5 belgische Kennzeichen hatte. Ich hatte es in Französisch versucht.

>>Le moteur est chaud.(Der Motor ist heiß.)<<

Der dunkle Motorraum des R5, war ein öliges, schwarzes Grab. Klar war nur, dass der Motor Kühlwasser verlor.

>>Ok, ich rufe den Pannendienst.<<

Als ich das gemacht hatte, hatte ich mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis geformt, was soviel heißen sollte, wie “Hilfe ist unterwegs“ und gesagt:

>>Un instant.(Einen Augenblick.)<<

Ich hatte mit dem wenigen Französisch zurechtkommen müssen, das noch irgendwo in mir schlummerte und unvorbereitet gefordert wurde. Nachdem wir einige Zeit im Regen gestanden hatten, hatte ich vorgeschlagen, im Imbiss gegenüber auf den Pannendienst zu warten.

>>Attendre?(Warten)<<

Ich war mir blöd vorgekommen, aber nach kurzem Zögern hatte sie zugestimmt.

>>Ok.<<

Wieder den Pfützen ausweichend waren wir über die Straße gelaufen und in die nach Frittenöl riechende Luft des Imbisses eingetaucht, die uns feucht-warm entgegen geschlagen war, als wir die Räumlichkeit betraten. Ich hatte auf einen freien Stehtisch gedeutet.

>>Si’l vous plaît.(Bitte.)<<

Sylvie hatte genervt gewirkt und ich hatte mit dem Französisch meine Grenze weit überschritten. Deshalb hatte ich es mit Englisch versucht.

>>I have called the breakdown service.(Ich habe den Pannendienst angerufen.)<<

Das war mir gefühlt etwas leichter über die Lippen gekommen. Um sicher zu gehen, dass sie mich verstanden hatte, hatte ich noch "Le ADAC" gesagt. Danach war ich zu der Dame hinter der Glastheke gegangen und hatte Flaschenbier und Pommes frites bestellt. Während die Fritten im Öl badeten und ich wartete, hatte ich Sylvie verstohlene Blicke zugeworfen. Sie trug Jeans, einen gestreiften Rollkragenpullover und eine kurze Jeansjacke. Ihre schwarze Daunenjacke hatte sie zum Trocknen über einen freien Hocker gehängt. Die Frau hinter der Theke hatte meine Betrachtung unterbrochen und das Bier und die Pommes frites auf die Glastheke gestellt. Nachdem ich bezahlt hatte und ich hatte alles zu dem Tisch balanciert.

>>Si’l vous plaît.(Bitte.)<<

Sylvie hatte mich misstrauisch angesehen - wahrscheinlich weil ich Bier mitgebracht hatte.

>>Je m’appelle Isy.(Mein Name ist Isy.)<<

>>Sylvie.<<

Aus Verlegenheit, hatte ich noch einmal erklärt:

>>J’ai appellé l’ADAC.(Ich habe den ADAC gerufen.)<<

Sie hatte nur entgegnet:

>>Oui, qui, j’avais compris. Mercie.(Ich hatte verstanden. Danke)<<

Nachdem ich meinen Mantel ausgezogen hatte und ihn ebenfalls zum Trocknen über einen freien Hocker gehängt hatte, hatte sie mich gefragt:

>>Très humide?(Sehr nass?)<<

>>Oui - la plui.(Ja - der Regen.)<<

Hatte ich geantwortet, mir dabei ein paar Pommes frites in den Mund gesteckt. Dann hatte ich beiläufig gefragt:

>>En Belgique ajourd’hui?(Heute noch nach Belgien?)<<

>>Oui quand la voiture roule à nouveau.(Ja, wenn das Auto wieder läuft.)<<

Zwischen zwei Happen hatte ich versprochen:

>>Ce n’est pas un problem.(Kein Problem.)<<

Vom Pannendienst war noch nichts zu sehen gewesen, was mich aber nicht allzu betrübt hatte. Ich hatte die leeren Flaschen weggebracht neue geholt. Sylvie hatte abgewunken:

>>Non, pas pour moi.(Nein, nicht für mich.)<<

Wodurch ich gezwungen gewesen war das Bier alleine zu trinken, als sich plötzlich Telefon in meiner Tasche gemeldet hatte.

>>L’ADAC, il est lá.(Der ADAC ist da.)<<

Ich hatte das Bier stehen lassen und wir hatten uns wieder unsere durchweichten Mäntel gezwungen. Als wir aus dem Imbiss gekommen waren, hatte der Rehen noch nicht nachgelassen. Wir waren gleich über die Straße zum R5 geeilt und Sylvie hatte dem Pannenhelfer den Motorraum geöffnet.

>>La voiture perd de l’eau.(Der Wagen verliert Wasser.)<<

Der Fehler war eine durchgerostete Leitung des Kühlsystem gewesen.

>>Das kann ich jetzt nicht reparieren.<<

Hatte der Pannenhelfer festgestellt.

>>Kann man nicht irgendwas machen, damit das länger hält - bis nach Belgien zum Beispiel?<<

Hatte ich gefragt.

>>Auf keinen Fall, wenn ich das jetzt zusammenflickte hält das gerade mal bis zur nächsten Werkstatt.<<

Sylvie hatte ratlos neben ihrem R5 gestanden, woraufhin der Pannenhelfer vorgeschlagen hatte, am nächsten Morgen mit das Ersatzteil zu besorgen und einzubauen. Notgedrungen hatte Sylvie zugestimmt. Der Pannenhelfer hatte seine Sachen zusammengepackt und noch einmal versprochen den Wagen zu reparieren. Sylvie hatte in ihrem Wagen gekramt und war mit einer Tasche wieder erschienen. Ich hatte gefragt:

>>Sais-tu où tu peux aller?(Wissen sie, wo sie hin können?)<<

>>Dans un Hotel.(In ein Hotel.)<<

>>Ok.<<

Hatte ich nachdenklich gesagte und dann vorgeschlagen:

>>Viens avec moi d’abord, lors nous verrons.(Kommen sie erst einmal mit zu mir, dann sehen wir weiter.)<<

Sie hatte gezögert und mich wieder misstrauisch gemustert. Um sie von meinen lauteren Absichten zu überzeugen hatte ich gesagt, weil mir nichts anderes eingefallen war:

>>J’espère que je ne ressemble pas à un pervers.(Ich hoffe ich sehe nicht aus wie ein Perverser.)<<

Ob sie das beruhigt hatte konnte ich nicht sagen. Sie sagte:

>>Espéron le meilleur.(Hoffen wir das Beste.)<<

Was ich wiederum nicht wirklich verstanden hatte. Nachdem sie den Wagen abgeschlossen und den Schlüssel, wie abgemacht, im hinteren Radkasten versteckt hatte, meinte sie:

>>Je suis prêt.(Ich bin soweit.)<<

Des Regen wegens hatten wir uns beeilt zu meiner Wohnung zu kommen. Als sie das Gebäude sah - im Grunde eine Werkstatt mit darüber liegenden Büroräumen und einer Wohnung - meiner Wohnung - war sie unsicher geworden. Die Wohnung lag links über der Werkstatt und um in die Wohnung zu kommen musste man auf der rechten Seite der Werkstatt durch ein kleines Treppenhaus gehen und dann einem schmalen Flur folgen. Links des Flures lagen die Büroräume und die Wohnung, rechts war der Flur durchgehend auf halber Höhe verglast. Mir waren ihre Bedenken nicht entgangen, weshalb erklärt hatte:

>>Ceci est un atelier de réparation automobile. Mon appartement est à ce sujet.(Das ist eine Autowerkstatt, meine Wohnung ist darüber.)<<

>>Votre atelier?(Ihre Werkstatt?)<<

Verneinend hatte ich abgewunken:

>>Non, non, je vis seulement ici.(Nein, ich wohne nur hier.)<<

Etwas verunsichert war sie mir aber doch gefolgt. Als ich die Wohnungstür aufgeschlossen und das Licht eingeschaltet hatte, war sie in der Tür stehengeblieben und hatte vorsichtig in die Wohnung gespäht.

>>Mettez vos affaires quelque part.(Legen sie ihre Sachen irgendwo hin.)<<

Schließlich hatte sie mir doch vertraut und war hereingekommen. Sie hatte ihren Mantel abgelegt, während ich ein frisches Handtuch geholt hatte.

>>Pour leurs cheveux.(Für ihre Haare.)<<

>>La salle de bain. La cuisine.(Das Bad - die Küche.)<<

Ich hatte ihr gezeigt, wo Bad und Küche waren und gehofft, dass ich Küche und nicht Cousine gesagt hatte. Dann war ich in die Küche gegangen.

>>Café, biére ou autre chose?(Kaffee, Bier, oder etwas anderes?)<<

>>Un café s’il vous plaît.(Einen Kaffee bitte.)<<

Ich hatte Kaffee gekocht. Später hatte wir noch Bier getrunken und noch später etwas gegessen. Viel später, als das Bier ausgegangen war, hatten wir noch einmal Kaffee getrunken. Irgendwann aber hatte keiner von uns mehr wach bleiben können. Ich hatte auf die Uhr gezeigt und gesagt:

>>Il est tard.(Es ist spät.)<<

Das war es auch - fünf Uhr dreißig. Als Sylvie im Bad verschwunden war, hatte ich mich prüfend in meiner Wohnung umgesehen. Bis dahin hatte ich die Wohnung immer ganz passabel gefunden. Da fing ich aber an zu zweifeln: Der braune Linoleum Boden hatte plötzlich tiefe Furchen und Kratzer bekommen, die mir vorher noch gar nicht aufgefallen waren. Das Bett mit seinem viereckigen, mit dem Boden abschließenden Holzrahmen, sah ziemlich nach DIY aus - was auch war. Es war zwar nicht schlecht, aber nicht top-notch. Der Bezug der ehemals teuren Tweedcouch zeigte schon leichten Verschleiß und auf dem Tischchen vor der Couch lagen alte Autozeitschriften und Fernsehprogramme herum. Die Stehlampe mit ihren kugeligen Lampenfassungen aus den Siebzigern hielt gerade noch zusammen. Lichtblick war mein beinahe zweieinhalb Meter hoher Drachenbaum - fand ich. Als Sylvie aus dem aus dem Bad gekommen war, hatte ich frisches Bettzeug aufgezogen und auf die Couch gezeigt:

>>Je dors ici.(Ich schlafe hier.)<<

Dann war auch ich ins Bad gegangen und hatte anschließend eine Wolldecke hervor gekramt. Damit hatte ich mich auf die Couch begeben und versucht eine passende Position einzunehmen. Die Couch war dafür nicht gemacht.

>Egal.<

Ich hatte die Stehlampe ausgeknipst und mich hin und her bewegt, um entweder die Beine, oder den Kopf auf das Sofa zu bekommen. Sylvie hatte das bemerkt und nach einiger Zeit gesagt:

>>Tu peux dormir ici si tu peux garder tes mains.(Du kannst hier schlafen, wenn du deine Hände bei dir behalten kannst.)<<

>>Mains dans la main?(Hände halten?)<<

Hatte ich verstanden.

>>Non, non rester de ton côte.(Nein, auf deiner Seite bleiben.)<<

Ok, ce n’est pas de problem pour moi.(Ok, das ist kein Problem für mich.)<<

Ich war zu ihr ins Bett gestiegen und hatte mich auf meiner Seite eingerichtet. Am nächsten Morgen war dann der Anruf vom Präsidium gekommen. Den Rückweg legte ich zügig zurück, in der Hoffnung, dass Sylvie noch da wäre. Ihr leichter Duft lag noch in der Luft, als ich meine Wohnung betrat. Ihre Formen zeichneten sich noch warm und weich unter der Bettdecke ab. Der Duft der frischen Croissants, die ich mitgebracht hatte, breitet sich in der Wohnung aus. Ich setzte Kaffee auf. Der Duft weckte Sylvie auf. In der Küche hörte ich, wie sie aufstand, ihre Sachen zusammensuchte und sich anzog. Ich rief aus der Küche heraus:

>>Sylvie?<<

Sie kam in die Küche, stellte sich neben mich und sah mich etwas verschlagen von der Seite an. Dann goss sie sich eine Tasse Kaffee ein, gab Zucker und Milch dazu, rührte das Ganze um und sagte etwas spitz:

>>Mercie.<<

Sie setzte sich an den kleinen Küchentisch vor dem Fenster und beobachtet mich. Das machte mich nervös. Ich stellte schnell das Körbchen mit den Croissants und Butter auf den Tisch. Dann goss ich mir selber Kaffee ein und setzte mich zu ihr. Sie rührte in ihrem Kaffee. Gleich nach dem Frühstück wollte sie nach dem R5 sehen. Ich sah aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört und die kalte Wintersonne blinzelte durch die Wolkendecke. Nach dem Frühstück liefen wir zu ihrem R5. Der Autoschlüssel lag wieder da, wo sie ihn am Abend deponiert hatte. Sie machte die Motorhaube auf und schaute in den Motorraum. Die neue Leitung war eingebaut und Kühlflüssigkeit eingefüllt. Sylvie setzte sich in den R5 und startete den Motor. Sie stieg aus dem Auto und sah mich fragend an. Ich nickte.

>>Tout ok.(Alles ok.)<<

Ich ließ die Haube ins Schloss Fallen. Sylvie fasste meinen Arm, schaute mich an und sagte:

>>Mercie Isy.<<

Sie beugte sie sich in den R5 und kramte auf dem Armaturenbrett nach einem Kugelschreiber. Dann schrieb sie ihre Adresse in Belgien - Antwerpen - wie ich sah und ihre Telefonnummer auf eine Pappschachtel und trennte den Teil mit ihrer Adresse heraus.

>>Si te êtes en Anvers.(Wenn du mal in Antwerpen bist.)<<

Ich steckte die Adresse in meine Brieftasche.

>>Je vais le faire.(Das mache ich.)<<

Sie stieg ins Auto, zog die Tür zu, kurbelte das Fenster runter und winkte, als der R5 sich entfernte aus dem Auto.

>>Jusque-là.(Bis bald.)<<

Ich sah dem gelblichen R5 hinterher, bis er außer Sicht war.

3

Nachdem Sylvie gefahren war, machte ich mich auf den Weg zum Präsidium. Ich war früher dran als sonst. Ich war sogar der Erste im Büro. Zuerst schaltete ich den Rechner ein, dann ging ich zum Kaffeeautomaten. Als ich zurück kam, stellte ich den Pappbecher neben dem Notebook auf den Schreibtisch und sah in meinen Mailordner nach, ob es schon Neues vom Tatort gab. Die Spurensicherung hatte, trotz des Wochenendes, zügig gearbeitet, denn ich fand Tatsächlich einen Bericht, oder eher ein Infoblatt, in meinem Mailordner. Ich nahm einen Schluck aus dem Pappbecher. Der Kaffee schmeckte bitter und wässrig zugleich, als wenn er noch vom Vortag, oder dem Tag davor wäre, denn nur wenige Kollegen wagten das Zeug zu trinken, weswegen der Behälter im Automaten immer einen Rest von der Brühe für mich parat hatte. Worte wie „gesundheitsschädlich“, „riskant“, „würde ich nicht machen“ und „lass die Finger davon“, brachte man damit in Verbindung. Sicher war da nichts dran, man weiß ja wie die Leute reden, trotzdem verschlimmerte der Kaffee noch den ranzigen Geschmack des Leberwurstbrötchens, das ich fahrlässigerweise auf dem Weg ins Präsidium an einem Kiosk gekauft hatte noch. Nie wieder Leberwurst schwor ich mir. Aber egal, ich riss zwei weitere Zuckertütchen auf und kippte den Inhalt in den Pappbecher. Jetzt war das Zeug war wenigstens süß. Klebrig schmiegte sich die Flüssigkeit an meine Schleimhäute. Ich schüttelte mich und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder dem Bericht zu: Die lange Zeit, die Maali im Freien gelegen hatte und die wechselhafte Witterung machten es schwierig ihren Todeszeitpunkt genau zu bestimmen. DNA-Spuren von Maalis Kleidern und undefinierte Verschmutzungen waren noch zur Analyse im Labor. Mirco und Michaela kamen kurz nacheinander ins Büro. Um zehn rief Dr. Althoff an. Nur um mitzuteilen, dass sich Staatsanwältin Medir für elf Uhr angekündigt hatte, um das weitere Vorgehen mit uns besprechen. Dr. Althoff bat uns, bitte darauf vorbereitet zu sein. Wir hatten unsere Schreibtische so zusammengestellt, dass sie ein großes Quadrat bildeten. Dadurch saßen wir uns mehr oder weniger gegenüber. Von den anderen Büros auf unserer Seite des Flures, waren wir durch Glaswände und Rollos getrennt. Die letzten Kollegen trudelten langsam ein. Der Flur belebte sich und Stimmen drangen in unser Büro. Die Streifenwagen der Frühschicht verließ den Hof. Eine beliebte Schicht. Ich schlürfte etwas Kaffee und las den Bericht noch einmal. Geschätzter Todeszeitpunkt war der vergangene Freitag, außerdem gab es im Brustbereich des Kindes Prellungen. Die Todesursache war, stand noch nicht fest. Das war Sache der Gerichtsmedizin. Die Fotos, die die Spurensicherung am Fundort der Leiche gemacht hatten, waren von der harten, kalten Unpersönlichkeit, die Tatortfotos immer hatten. Wie unsere Fotografen das hinbekamen, musste ich mir bei Gelegenheit mal erklären lassen. Das eingesetzte Blitzlicht machte Maalis Gesichtszüge auf den Fotos unnatürlich hart. Neben den Verschmutzungen und DNA Spuren auf Maalis Kleidung, hatten die Techniker immerhin schon Lebensmittelreste in Maalis Haaren und an ihren Schuhen, oder viel mehr dem einen Schuh, der noch da war, identifizieren können. Mirco stand auf und klopfte auf den Schreibtisch. Ich schaute auf. Er tippte auf sein Handgelenk, was soviel wie, “es ist Zeit“ bedeuten sollte. Ich wedelte mit der Hand.

>>Geht schon mal vor.<<

Ich warf noch einen Blick auf den Bericht, was mich aber nicht schlauer machte. Ich schaltete den Rechner aus und machte ich mich ebenfalls auf den Weg zu Dr. Althoff. Michaela und Mirco saßen schon an dem Tischchen in den Sesselchen, die um den Tisch gruppiert waren, als ich Dr. Althoffs Büro betrat. Außerdem war Staatsanwältin Cornelia Medir anwesend. Dr. Althoff wartete bis ich mich gesetzt hatte.

>>Dann können wir ja jetzt anfangen.<<

Cornelia Medir sah uns an.

>>Haben sie schon irgendeine Idee, was da gelaufen ist?<<

Dr. Althoff sagte:

>>Herr Frey?<<

Ich schüttelte den Kopf.

>>Nein, wir wissen nur, dass das Mädchen war neun Jahre alt war und syrische Papiere bei sich hatte. Wir arbeiten daran die Echtheit der Papiere festzustellen. Bis jetzt haben wir aber keinen Grund die Echtheit zu bezweifeln. Mit dem, was wir von der Spurensicherung haben, können wir noch nicht viel anfangen. Nur soviel kann man schon sagen, das Kind lag nicht länger als zwei Tage am Fundort - also etwa seit Freitag. Die Verletzungen und Spuren, die der Körper aufweist passen nicht zum Fundort. Der Fundort der Leiche ist also nicht der Tatort. Ach so, das Mädchen wurde nicht missbraucht.<<

Mirco meinte.

>>Leider sind in den Tagen, die sie im Freien gelegen hat, auch Spuren vernichtet worden.<<

Cornelia Medir nickte.

>>Ok, damit können wir noch keine Mordkommission zusammenstellen. Ich schlagen vor, dass sie erst einmal weiter machen, bis sie mehr wissen - dann sehen wir mal.<<

Sie sah fragend in die Runde. Dr. Althoff war ihrer Meinung.

>>Sie haben es gehört, sie drei ermitteln also erst einmal in kleiner Besetzung weiter. Sollte es sich herausstellen, dass sie nicht weiterkommen, dann bekommen sie noch Leute dazu.<<

Als keine Einwände kamen, klappte Staatsanwältin Medir den Pappdeckel ihres Ordners zu und sagte:

>>Gut so machen wir das dann. Bis Ende der Woche schauen sie, was sie zusammentragen können. Bis dahin halte ich mich erst einmal raus.<<

Dr. Althoff sah uns an.

>>Sie wissen dann wissen ja soweit Bescheid nur eins noch: Gibt es eine Verbindung zu dieser Flüchtlingsunterkunft, gleich in der Nähe zum Leichenfundort?<<

Ich schüttelte den Kopf.

>>Können wir noch nicht sagen. Von da liegt keine Vermisstenmeldung vor, aber man weiß ja nie wie das da so läuft, wir sehen uns das heute noch an. <<

Ich sah Mirco und Michaela an und fragte:

>>Oder ist von da irgendwas gekommen?<<

Mirco zuckte mit den Schultern.

>>Nein, bis jetzt nicht.<<

Ich nickte.

>>Ok, außerdem muss die Syrische Botschaft informiert werden. Vielleicht hatte Maali ja Familienangehörige in Deutschland.<<

Staatsanwältin Medir nahm ihren Mantel und wünschte uns noch einen schönen Tag. Wir drei standen auf und Dr. Althoff erhob sich aus seinem Sesselchen und geleitete uns seinem Büro. An seiner Bürotür fand er die Gelegenheit günstig mich beiseite zu nehmen.

>>Ähm Herr Frey, ich möchte sie noch einmal daran erinnern, wie heikel diese Ermittlungen sind und welchen politischen Sprengstoff diese Ermittlungen bergen.<<

Ich wusste, was er meinte, aber er sollte es mir schon sagen. Ich fragte also:

>>Wieso heikel und was ist daran politisch?<<

Dr. Althoff warf die Stirn in Falten und sah mich wissend an. Dann sagte er:

>>Das können sie sich sicherlich denken. Sie wissen, wie sensibel die Öffentlichkeit auf alles, was auch nur im entferntesten mit Migration in Verbindung gebracht werden kann, reagiert und ich will das nicht wochenlang in der Presse darüber haben, ermitteln sie also bitte möglichst diskret.<<

Ich nickte.

>>Das machen wir doch immer.<<

Er sah mich verunsichert an und zog sich dann in sein Büro zurück. Ich grüßte seine Sekretärin, als ich das Vorzimmer durchschritt. An den Fahrstühlen holte Michaela und Mirco ein. Michaela wollte die syrische Botschaft übernehmen, während für Mirco sich um die Vermisstenmeldungen kümmern wollte. Im Büro griff ich zum Telefon und ließ mich mit der zuständigen Sachbearbeiterin des Jugendamtes verbinden. Maali war ihr zwar nicht bekannt, sie wollte aber noch mit Kolleginnen sprechen und zurückrufen, was sie auch wenig später machte. Nein, eine Maali Malik war dem Jugendamt nicht bekannt, aber Kinder in Maalis Alter würden ohnehin sofort weiter vermittelt. Unbegleitete Flüchtlingskinder kämen auch nicht in die Flüchtlingsunterkünfte, sondern würden gleich in Familien vermittelt. Bedauernd sagte sie:

>>Wir müssen uns da auf die Informationen verlassen, die wir von den Aufnahmeeinrichtungen bekommen. Leider sind die Auskünfte von da nicht immer korrekt, oder aktuell.<<

>>Ok.<<

Das konnte ja noch interessant werden.

>>Dann vielen Dank für die Auskunft.<<

Mirco schlürfte ohne Begeisterung Früchtetee.

>>Und?<<

Ich zuckte mit den Schultern.

>>Nichts. Die haben keine Ahnung.<<

>>Ok, ich check dann mal die Vermisstenanzeigen. Oder hast du sonst noch was für mich?<<

Ich dachte kurz nach.

>>Ja, erkundige dich doch mal bei der Bundespolizei, ob da der Name Malik schon mal aufgetaucht ist.<<

>>Alles klar - ich ruf’ da mal an.<<

Ich klappte mein Notebook auf und machte vergrößerte Kopien von Maalis Passfoto. Dann warf ich mir meinen Mantel über und machte mich auf den Weg in die Tiefgarage. Ich fluchte. Der Mantel war immer noch klamm. Schneeregen klatschte gegen die Scheiben des Alfas, als ich die Tiefgarage verließ. Mühsam arbeiteten die Scheibenwischer dagegen an. Das Thermometer zeigte etwas über null. Nasskaltes Ekelwetter. Die schäbigen, beigen Wohncontainer der Flüchtlingsunterkunft mit ihren blau abgesetzten Dachkanten wirkten im trüb-grauen Tageslicht noch trostloser, als sie es ohnehin schon waren. Hier zu leben war mit Sicherheit kein Vergnügen. Kaputtes Spielzeug lag achtlos herum. Die brüchige Asphaltschicht der Flüchtlingsunterkunft hatte an einigen Stellen Löcher groß wie Gullydeckel, in denen aufgeweichter Lehmboden schimmerte. Ich hielt vor dem ersten Container, der etwas abseits stand und nach Büro aussah. In dem Container brannte nur eine nackte Glühbirne an der Decke, soweit ich das von draußen sehen konnte. Ich stieg aus dem Alfa und ging zum seitlichen Eingang des Containers. Mit kurzem Klopfen betrat ich den Container. Die Tür öffnete nach außen. Zuerst war ein kleiner quadratischer Tisch. Darüber, an der kurzen Containerseite, hing eine Pinnwand, an der schon vor längerer Zeit ein paar Zettel angeheftet worden waren und niemand hatte sich die Mühe gemacht die vergilbten Zettelchen wieder abzunehmen. Darunter, auf einem alten Küchenunterschrank, stand eine Kaffeemaschine. In der Kanne wartete kalter Kaffee darauf, weg geschüttet, oder wieder aufgewärmt zu werden. Um den Tisch herum waren ein paar Holzstühle verteilt. Rechts schräg gegenüber der Tür, an der langen Wandseite stand ein Schreibtisch. An dem Schreibtisch saß eine Frau in mittlerem Alter. Aus dem mittigen Ausschnitt zwischen den beiden Schubladenabteilen des Schreibtisches schauten ihre Beine hervor. An den Füßen trug sie feste Winterschuhen, aus denen rote Socken kamen, die sie über die Jeans gezogen hatte. Der obere Teil der Frau steckte in einer blauen Daunenjacke. Auf dem Kopf trug sie eine warme Strickmütze. Ihre Nase war gerötet. Sie schaute kurz auf, als ich den Container betrat. Im Container war die Luft kalt und abgestanden. In einer Ecke mühte sich ein Heizofen, warme Luft zu produzieren. Nikotin hatte überall einen gelblichen Film gebildet. Der Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch quoll über. Daneben lag griffbereit eine Schachtel Zigaretten und ein Einwegfeuerzeug. Auf dem Namensschild stand Fr. H. Barnowski. Frau Barnowski konzentrierte sich auf den Röhrenmonitor auf ihrem Schreibtisch. Ich blieb vor dem Schreibtisch stehen und wartete auf den Moment, in dem sie Zeit für mich fand. Als das nicht schnell genug passierte, klopfte ich sachte auf die Tischplatte.

>>Frau Barnowski?<<

Ohne aufzusehen sagte sie:

>>Einen Moment bitte.<<

Ich holte mir einen der Stühle von dem Tisch ran.

>>Darf ich?<<

>>Ja bitte, setzten sie sich.<<

Ich stellte den Stuhl ihr gegenüber an ihren Schreibtisch und setzte mich. Nach wenigen Minuten fand sie Zeit für mich.

>>Ja bitte? Was kann ich für sie tun.<<

>>Kriminalpolizei Duisburg.<<

Ich zeigte ihr den Dienstausweis. Die Gläser ihrer Brille ließen ihre Augen größer erscheinen. Ihr Blick wanderte zu meinem Ausweis und wieder zurück. Wenn sie überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken.

>>Und was kann ich für sie tun?<<

Ich zog die Kopie aus dem Mantel, die ich Büro gemacht hatte und hielt sie ihr über den Schreibtisch hinweg hin.

>>Können sie mir irgendetwas zu dem Mädchen sagen?<<

Sie nahm die Kopie, sah sich kurz an und gab mir die Kopie zurück.

>>Nein das Mädchen ist nicht von hier.<<

>>Maali Malik, neun Jahre alt.<<

Sagte ich. Sie sah sich Maalis Foto noch einmal an und zog die Augenbrauen verwundert zusammen.

>>Und das Kind soll von hier sein?<<

>>Genau das würde ich gerne wissen.<<

Sie schüttelte verneinend den Kopf.

>>Nein, von hier ist das Kind nicht.<<

>>Mhm, ok. Dann wissen sie auch noch nicht, was am Wochenende neben an auf dem Parkplatz passiert ist?<<

>>Nein, am Wochenende, ist die Stelle hier nicht besetzt.<<

Ich warf einen Blick auf die Einrichtung des Bürocontainers und nickte.

>>Verstehe, wir versuchen Informationen über das Mädchen - Maali - zu bekommen. Das Kind kommt aus Syrien und da liegt es natürlich nahe, dass wir uns auch bei ihnen erkundigen.<<

>>Nein - wie ich ihnen schon gesagt habe, von hier ist das Mädchen nicht.<<

Sie griff zu den Zigaretten neben dem Aschenbecher, fummelt eine Zigarette aus der Schachtel und steckte sie sich zwischen die Lippen. Dann legte sie die Schachtel wieder sorgfältig zurück und zündete sich die Zigarette mit ihrem Feuerzeug an. Sie sah mich über den Schreibtisch hinweg an. Das brachte mich dazu zu fragen:

>>Äh, Frau Barnowski, können sie mir sagen, was genau ihre Aufgabe hier ist?<<

Sie sah mich kühl an.

>>Ich weiß zwar nicht, was das mit ihren Ermittlungen zu tun hat, aber das ist natürlich kein Geheimnis, ich kümmere mich hier hauptsächlich um die Belange unserer Bewohner.<<

Ich bat sie, das weiter auszuführen.

>>Das heißt?<<

>>Zum Beispiel Unterstützung bei Behördenangelegenheit, Meldeangelegenheiten - bei persönlichen Problemen - alles was anfällt.<<

Ich nickte.

>>Gibt es noch Mitarbeiterinnen, oder Mitarbeiter, oder sind sie alleine hier?<<

Sie machte ein verächtliches Gesicht.

>>Mitarbeiter? Es reicht ja gerade für eine Halbtagsstelle.<<

Ich verstand was sie meinte.

>Ok. Das wär’s eigentlich schon gewesen. Eine Frage noch.<<

>>Ja?<<

>>Könnten sie sich vielleicht einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Kind und dieser Einrichtung hier vorstellen? Vielleicht gibt es hier Verwandte des Kindes, auch wenn das Kind nicht von hier ist, wie sie sagen.<<

Sie zog an der Zigarette und inhalierte tief.

>>Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.<<

>>Warum nicht?<<

Sie sah mich verwundert an.

>>Also, dass neunjährige Mädchen plötzlich bei uns auftauchen, das ist bis jetzt noch nicht passiert.<<

Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus.

Ich erhob mich von dem Stuhl und fragte:

>>Rein interessehalber: Wie viele Bewohner haben sie hier?<<

>>Im Moment?<<

Sie holte eine Liste aus einer Schublade und warf einen kurzen Blick darauf, bevor sie antwortete:

>>Zweiunddreißig.<<

>>Dauerhaft?<<

>>Nein, das hängt davon ab, wie schnell die Asylanträge der Bewohner bearbeitet werden. Es kommt aber auch vor, dass Bewohner einfach verschwinden.<<

>>Sie verschwinden?<<

Sie zuckte mit den Schultern.

>>Ja das kommt vor. Es kann aber auch passieren, dass plötzlich jemand vor der Tür steht und um Aufnahme bittet.<<

Sie sah mich mit den großen Augen an.

>>Nur eben kleine Mädchen nicht.<<

Ich nahm den Stuhl stellte ihn wieder zu den anderen.

>>Danke Frau Barnowski, eins noch: Ich würde gerne ein Foto von dem Kind hier lassen. Vielleicht weiß ja einer der Bewohner hier etwas über das Kind.<<

Sie sagte, wenig Hoffnung machend:

>>Heften sie es einfach an die Pinnwand.<<

Dann konzentrierte sie sich wieder auf ihren Monitor.

>>Aber erwarten sie nicht zuviel.<<

Ich drehte mich zu ihr um.

>>Es schadet ja nichts, wenn sie trotzdem darauf aufmerksam machen. Meine Dienstnummer steht auf dem Blatt.<<

Ich war froh wieder an die frischen Luft zu kommen, als ich den Container verließ. Ein paar Kinder spielten jetzt auf dem Vorplatz mit einem klapprigen Fahrrad, dass noch vor der Entscheidung stand sein letztes Schutzblech gleich abzuwerfen, oder doch noch ein paar Tage damit zu warten. Die Luft aus den Reifen hatte sich schon zum größten Teil verabschiedet. Die Kinder hatten trotzdem ihren Spaß mit dem Rad. Mir kam eine Idee. Ich ging zu ihnen.

>>Hallo Kinder.<<

Begrüßte ich sie.

>>Guten Tag.<<

>>Antworteten sie im Chor. Es schien ihnen Freude zu machen, ihre Sprachkenntnisse zu zeigen. Ich holte Maalis Foto aus der Manteltasche und glättete das Papier.

>>Habt ihr das Mädchen schon einmal gesehen?<<

Sie sahen sich das Foto an und redeten miteinander. Ich verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Ob sie mich verstanden hatten, wusste ich auch nicht. Einer der Jungen sah sich Maalis Foto besonders genau an. Ich fragte ihn:

>>Kennst du dieses Mädchen? Maali.<<

Er verstand mich, denn er antwortete ohne Zögern.

>>Maali war in Österreich.<<

Ich war überrascht.

>>Und du bist?<<

>>Abdoula.<<

Er war etwa neun oder zehn Jahre alt.

>>Abdoula, bist du sicher, dass du dieses Mädchen hier...<<

Ich zeigte auf Maalis Foto.

>>...tatsächlich in Österreich gesehen hast?<<

>>Ja.<<

>>Weißt du auch wo das war?<<

Er überlegte kurz, fand aber nicht das richtige Wort.

>>An der Grenze?<<

Schlug ich vor.

>>Ja, an der Grenze.<<

>>War Maali alleine?<<

>>Nein, sie war mit ihren Eltern da.<<

Ich fragte noch einmal:

>>Und du bist dir ganz sicher, dass es Maali war? Das ist wichtig.<<

>>Ja, ganz sicher.<<

Ich sagte.

>>Danke Abdoula.<<

Frau Barnowski sah erstaunt auf, als ich den Bürocontainer zum zweiten Mal betrat. Ich trat an das Fenster, von dem man auf die Unterkünfte sehen konnte.

>>Frau Barnowski, könnten sie bitte bitte mal einen Blick auf die Kinder da draußen werfen!<<

Sie erhob sich halb von ihrem Stuhl und beugte vor, um die spielenden Kinder besser sehen zu können.

>>Sehen sie den Jungen in der blauen Trainingsjacke?<<

Als sie Abdoula entdeckt hatte, sagte sie:

>>Ja, das ist Abdoula.<<

Ich nickte zufrieden.

>>Gut, ich brauche alles, was sie über den Jungen haben, vor allem muss ich wissen wie er nach Deutschland gekommen ist.<<

Sie schaute mich mit ihren großen Augen an.

>>Da kann ich ihnen nicht weiterhelfen.<<

>>Frau Barnowski, wir ermitteln in einem Mordfall - hier geht es schließlich nicht um irgendeine Bagatelle.<<

Sie schüttelte den Kopf.

>>Wir geben zum Schutz unserer Bewohner grundsätzlich keine Informationen heraus.<<

>>Frau Barnowski, ich will ja keine persönlichen Informationen über den Jungen, ich will nur wissen auf welchem Weg Abdoula hergekommen ist, das werden sie doch bitte mal eben nachsehen können.<<

Ich wartete. Da sie keine Anstalten machte das zu tun, sagte ich:

>>Könnten sie das bitte mal machen!<<

Das war der falsche Ton, denn sie sah mich mit großen Augen an.

>>Glauben sie, das hier ist ein allgemeines Auskunftsbüro?<<

Ihr Ausbruch erstaunte mich.

>>Entschuldigen sie bitte Frau Barnowski, nachdem was der Junge mir gesagt hat, ist er über Österreich nach Deutschland gekommen. Ist das richtig?<<

>>Sie haben doch nicht etwa gerade eben Abdoula befragt?<<

>>Natürlich habe ich gerade mit dem Jungen geredet.<<

Ich wusste, was kommen würde. Eisiger erklärte sie:

>>Das unterlassen sie bitte. Wenn sie Abdoula befragen müssen, dann nur in Absprache und Beisein des rechtlichen Vormunds.<<

Ich sagte genervt:

>>Frau Barnowski, mit dem Jungen habe ich ja schon gesprochen - was ich jetzt von ihnen brauche, ist Auskunft darüber, über welche Stationen er ins Land gekommen ist.<<

Darauf ging sie nicht mehr ein.

>>Das bekommen sie nur mit einer richterlichen Verfügung, ohne die kann ich ihnen keinerlei Informationen geben.<<

Sie widmete sich endgültig wieder ihrem Monitor.

>>Halten sie Abdoulas Unterlagen schon mal bereit!<<

Sagte ich im Gehen. Noch bevor ich wieder im Alfa saß rief ich Staatsanwältin Medir an. Sie war in ihrem Büro. Ich musste nicht viel erklären.

>>Sie haben die Verfügung - sagen wir in einer Stunde - auf ihrem Schreibtisch.<<

Ich steckte das Telefon weg und setzte mich in den Alfa Es war Mittag geworden. Ein paar jüngere Bewohner der Flüchtlingsunterkunft verließen das Gelände. Sie lachten und schienen guter Dinge zu sein. Die Kinder waren verschwunden und das klapprige Fahrrad lag jetzt verlassen im Matsch. Leichter Schneeregen hatte wieder eingesetzt. Ich warf einen unfreundlichen Blick auf den Bürocontainer und steckte den Zündschlüssel ins Zündschloss. Die Barnowski stand im Hintergrund des Fensters. Ich bemerkte sie nicht gleich. Sie telefonierte. In den Sprechpausen zog sie an einer Zigarette. Ich drehte den Schlüssel und legte den Rückwärtsgang ein. Mein Blick fiel eher zufällig noch einmal, eher zufällig auf die Barnowski. Unsere Blicke trafen sich. Sie stockte einen Moment, dann sprach sie wieder. Ich hatte das Gefühl, dass sie über mich sprach. Ich ließ die Kupplung kommen und setzte in einem Zug zurück auf die Straße. Die tief stehende Wintersonne brach durch die Wolkendecke und reflektierte hart auf dem nassen Asphalt. Das reflektierte Licht brach sich vielfach in den Regentropfen auf dem Glas der Scheiben. Ich schaltete die Scheibenwischer ein. Die Sicht wurde klar. Gegenüber der Ausfahrt, stand jetzt eine große Mercedes Limousine. Ein AMG CLS 6.3 Biturbo. Ex automobile Oberklasse. Heute eine Zuhälterkarre. Den Fahrer sah ich durch die getönten Scheiben nicht. Die jungen Frauen, die vorher das Gelände der Unterkunft verlassen hatten, standen nun auf dem Gehweg neben dem Mercedes. Eines der Mädchen lehnte sich in das offene Fenster der Beifahrerseite. Die anderen Mädchen unterhielten sich lachend. Ich fuhr an dem Mercedes vorbei und behielt den Wagen so lange im Blick, bis er im Rückspiegel verschwand. Beim nächsten Stopp notierte ich mir das Kennzeichen und nahm mir vor die Barnowski mal zu fragen, ob ihr der Wagen bekannt wäre. An einem Schnellimbiss machte ich halt. Während ich Pommes frites aß, ärgerte ich mich noch über die Barnowski. Sie kostete uns nur unnötig Zeit. Ich hatte ein ungutes Gefühl. Nachdem ich gegessen hatte, war noch Zeit für eine Tasse Kaffee. Ich trank in Ruhe den Kaffee, brachte danach die Tasse zurück und wünschte der Frau an der Theke noch einen schönen Tag. Dann machte mich auf den Weg zum Präsidium. Am Eingang winkte mich der Wachhabende Kollege, hinter dem schussfesten Glas, zu sich heran.

>>Ist gerade für sie abgegeben worden.<<

Er schob mir den erwarteten Umschlag mit dem Gerichtsbeschluss unter dem Glas durch. Ich quittierte den Empfang und fuhr ohne Umstände gleich wieder zurück zur Flüchtlingsunterkunft.

4

Frau Barnowski las konzentriert.

>>Und?<<

Fragte ich. Sie legte das Papier aus der Hand und tippte unbeeindruckt auf der Tastatur ihres Computers. Sie fragte unfreundlich:

>>Der Name?<<

>>Abdoula.<<

Sie sah mich groß an.

>>Nachname?<<

Sie wusste genau, dass ich nur den Vornamen des Jungen kannte. Ich sagte:

>>Sie wissen genau, wen ich meine - ich habe ihnen den Jungen gezeigt - also bitte!<<

Sie fand Abdoulas Datei ohne Mühe.

Ich sagte:

>>Wenn sie mir das bitte ausdrucken würden.<<

Kommentarlos klickte sie auf “Drucken”. Neben dem Schreibtisch ratterte der Drucker los. Ich nutzte die Zeit, die der Drucker brauchte und fragte:

>>Ist ihnen vielleicht schon einmal ein so schwarzer Mercedes hier an der Unterkunft aufgefallen.<<

Sie sah mich erstaunt an.

>>Nicht, dass ich wüsste.<<

Ich nahm die Seiten aus dem Papierfach, bedankte mich und verließ Bürocontainer. Im Alfa überflog die Seiten: Abdoula Mohammar, 9 Jahre alt - aus einem kleineren Ort bei Kandahar - Afghanistan. Den Angaben nach, war er über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Kroatien, Slowenien und letztendlich Österreich, nach Deutschland gekommen.

>Wie hat er das geschafft?<

Fragte ich mich verwundert. Er war eine knappe Woche in der Flüchtlingsunterkunft. Von seiner Schwester war Abdoula in Österreich getrennt worden. Ich rechnete die Tage zurück. Er hätte Maali in Österreich treffen können, falls die Unterlagen stimmten. Mit etwas Glück war Maali in Österreich registriert worden. Ich zog mein Telefon aus dem Mantel und rief im Büro an. Mirco nahm ab.

>>Mirco, was gibt’s Neues bei dir? Hast du bei der Bundespolizei etwas ’rausbekommen?<<

>>Nein - konnte noch niemanden erreichen, der mir weiterhelfen konnte. Die Vermisstenmeldungen haben auch nichts ergeben.<<

Ich nickte.

>>Ok, pass auf Mirco! Ich habe hier vielleicht etwas. So wie es aussieht ist Maali über Österreich nach Deutschland gekommen. Ich habe in der Flüchtlingsunterkunft einen Zeugen dafür aufgetrieben. Vielleicht ist Maali in Österreich, oder an einem österreichischen Grenzübergang registriert worden ist. Angeblich war sie mit ihren Eltern unterwegs. Frag doch mal bei den Österreichern nach, ob die etwas über das Mädchen haben.<<

>>Alles klar, ich kümmere mich darum.<<

Versprach er. Ich legte auf. Abdoula hatte es unbeschadet nach Deutschland geschafft, bei Maali hingegen war irgendetwas schief gelaufen. Ich las weiter: Der Vater - Kadir Mohammar - hatte für die deutschen K-Force Kräfte als Dolmetscher gearbeitet, was Abdoulas Sprachkenntnisse erklärte. Den Eltern war klar, dass sie nach Abzug der ausländischen Truppen in Afghanistan nicht mehr sicher sein würden. Abdoulas Mutter - Melisa - hatte mit sechzehn Jahren Kadir geheiratet. Abdoula hatte eine ältere Schwester, Lillie. Beide Eltern waren in Afghanistan getötet worden. Der Vater bei einem Anschlag der Taliban im Dienst, die Mutter war verschleppt und Tage später tot aufgefunden worden. Lillie hatte sich an die Militärverwaltung in Kabul gewandt und darum gebeten, dass man sie außer Landesbringen würde. Ohne Erfolg. Irgendwann Mitte Dezember hatten sie und Abdoula, mit Hilfe eines Onkels, Afghanistan in Richtung Europa verlassen. Ich blätterte weiter. Da waren die Ausweiskopien von Kadir und Melisa. Kadir blickte auf dem Passfoto freundlich und intelligent in die Kamera. Melisa, seine Frau, war auf dem Foto unverschleiert und wirkte weltoffen. Schleuser hatten Lillie und Abdoula bis nach Österreich gebracht. An der deutsch österreichischen Grenze wurden die beiden getrennt. Die Österreicher hatten Abdoula, mit anderen jugendlichen Flüchtlingen zusammen, in einen Bus gesetzt und nach Deutschland geschickt. Ich legte die Unterlagen zur Seite und startete den Motor. Dann wendete ich den Alfa und nahm die Ausfahrt der Unterkunft. Es war schon den ganzen Tag trübe gewesen. Ich schaltete das Licht ein, das scharf durch die wintertrübe Luft schnitt. Der nahe Wald schien den Nebel an sich zu binden. Der schwarze Mercedes war wieder da. Im Vorbeifahren blitze Feuerzeug in dem Mercedes auf. Dann wurde der Innenraum wieder dunkel. Ich trat auf das Gaspedal. Auf dem Weg zum Präsidium, entschied ich mich auf halber Strecke um. Die Pathologie lag auf dem Weg. Im Untergeschoss des Klinik-Gebäudes fand ich Professor Mohn. Er stand über einen Metalltisch gebeugt im Obduktionsraum. Auf dem Tisch lag ein menschlicher Körper, der, meiner Meinung nach, nicht besonders gut aussah. Vielleicht ein Obdachloser, vielleicht aber auch nicht. Die bläulich, schwarzen Hautverfärbungen mussten ja nicht unbedingt durch Erfrierungen und Alkoholismus entstanden sein. Ich hasste Obduktionen und kaum hatte ich den Raum betreten, machte sich mein Magen bemerkbar. Ich blieb in der Nähe der Tür und rief:

>>Professor!<<

Als er sich umdrehte, tropfte Blut, oder irgendeine andere ekelhafte Flüssigkeit, von seinen milchig, transparenten Handschuhen. Der Geruch in dem Raum war umwerfend. Es roch süßlich und modrig zugleich. Verwesungsgeruch vermischte sich mit chemischen Dünsten.

>>Hallo Professor.<<

Begrüßte ich ihn. Wir kannten uns gut.

>>Hallo Herr Frey. Was treibt sie denn her? Doch nicht etwa die Neugier?<<

Ich lächelte gequält.

>>Nicht direkt, ich habe da einen Bericht von ihnen auf den Tisch bekommen, zu dem ich noch ein paar Fragen hätte.<<

>>Soll ich raten, oder sagen sie mir um wen es geht?<<

>>Das syrische Mädchen. Ich bin aus dem Bericht nicht ganz schlau geworden.<<

Er sah nachdenklichen auf die vor ihm liegende Leiche, als ob sie ihm etwas verraten würde und sagte dann:

>>Mhhm, tja, das kann ich verstehen, ich bin mir selber noch nicht sicher, was ich davon halten soll. Was wollen sie denn genau wissen?<<

>>Na die Todesursache und der genaue Todeszeitpunkt, wären schon mal nicht schlecht.<<

Er nickte.

>>Sie wollen wissen, ob es ein Unfall gewesen sein könnte. Ja das wäre möglich. Der Brustbereich des Mädchens war hohem Druck ausgesetzt. Dadurch wurde die Atmung wenigstens schwer behindert. Wie schwer kann ich allerdings nicht sagen , aber wahrscheinlich musste sie um jeden Atemzug kämpfen. Was mich aber stutzig macht ist der hohe Kohlenmonoxydgehalt in ihrem Blut. Dadurch könnte schon vorher eine Bewusstlosigkeit ausgelöst worden sein, was dann, in der speziellen Situation, tödlich gewesen wäre. Also ja, sie ist erstickt.<<

Er schaute auf und sah mich an.

>>Tut mir wirklich Leid, aber genauer kann ich es im Moment wirklich nicht sagen. Vielleicht später, aber dazu müsste ich erst den Körper öffnen. Aber sie sehen ja...,<<

Er warf einen Blick auf den Obduktionstisch.

>>Unsere Kundschaft steht Schlange.<<

Ich sagte schnell, bevor er auf irgendwelche Gedanken kam:

>>Aber das heben wir uns lieber für später auf - muss ja nicht sofort sein.<<

Ich war froh aus der Pathologie zu kommen. Draußen vor der Klinik atmete ich tief die kalte, saubere und regnerische Luft ein. Danach ging es mir besser. Gerade, als ich den Alfa aufschließen wollte klingelte mein Telefon in der Manteltasche. Während ich die Tür auf schloss, nahm ich ab. Mirco meldete sich. Ich ließ mich in den Sitz fallen und zog die Tür ins Schloss.

>>Was gibt’s Mirco?<<

>>Ich habe gerade mit der Bundespolizei gesprochen - keine Chance da was in Erfahrung zu bringen. Die haben nichts. Bei geschätzt drei bis viertausend Grenzübertritten pro Woche - die grüne Grenze nicht mitgezählt - haben die nicht wirklich einen Plan davon, wer ins Land kommt. Wie auch immer - jedenfalls ist Maali an keinem Grenzübergang registriert worden.

>>Scheiße.<<

Fluchte ich.

>>Und die Österreicher? Haben die wenigstens was?<<

>>Nein.<<

Ich fluchte wieder:

>>Mist, das kann doch nicht sein. Mein Zeuge sagt, er hätte Maali in irgendeiner österreichischen Flüchtlingseinrichtung gesehen.<<

Mirco meinte:

>>Kann ja sein, aber die offiziellen Stellen haben nichts über sie.<<

>>Na gut. Hast du schon beim Bamf nachgefragt?<<

>>Ja - heute morgen schon - da kam ich aber nicht durch. Ich rufe da gleich noch einmal an.<<

>Verdammt!<

Dachte ich und sagte:

>>Und mach denen klar, dass es dringend ist. Ich komme jetzt erst mal wieder ins Präsidium.<<

Ärgerlich steckte ich das Telefon in den Mantel und, startete den Motor. Schwungvoll setzte ich zurück und verließ das Klinikgelände. Michaela saß an ihrem Rechner und Mirco telefonierte, als ich unser Büro betrat.

>>Na Michaela, hast du wenigstens etwas mehr erreicht, als wir?<<

Sie drehte ihren Stuhl in meine Richtung.

>>Ich habe das syrischen Konsulat kontaktiert. Die überprüfen Maalis Papiere.<<

>>Wie lange dauert das?<<

>>Ein paar Tage - wenn’s schnell geht. Bei denen läuft es gerade nicht so rund.<<

Mirco ließ den Hörer auf die Gabel fallen.

>>Beim Bamf ist auch nur Chaos - da werden wir so schnell keine Antwort bekommen.<<

Ich warf meinen Mantel über die Lehne meines Drehstuhls und setzte mich. Ich legte Abdoulas Unterlagen auf den Schreibtisch und tippte mit dem Finger darauf.

>>Der Junge hier behauptet Maali in Österreich gesehen zu haben und ich glaube ihm das auch. Michaela nahm sich die Unterlagen, warf einen Blick darauf und gab sie dann Mirco weiter.

>>Über diesen Abdoula haben wir also eine Verbindung zur Flüchtlingsunterkunft?<<

Meinte Michaela. Ich zuckte mit den Schultern.

>>Keine Ahnung, möglich. Aber ich glaube eher an einen Zufall, der erstmal nur bestätigt, dass Maali über Österreich nach Deutschland gekommen ist.<<

Michaela sah mich an.

>>Also gehen wir dem erstmal nicht nach?<<

Ich überlegte kurz und sagte dann:

>>Nein, ich denke wir konzentrieren uns erstmal auf die Flüchtlingsunterkunft, denn dass Maalis Leiche dort abgelegt wurde war bestimmt kein Zufall.<<

Mirco lehnte sich in seinen Drehstuhl zurück.

>>Das ist dünn.<<

Ich nickte.

>>Besser dünn, als gar nichts. Ich denke wir haben zwei Punkte, an denen wir ansetzten können. Der eine ist die Flüchtlingsunterkunft, der andere weist nach Österreich. Da wurde Maali zuletzt lebend gesehen.<<

Mirco rieb sich nachdenklich das Kinn.

>>Wartet mal eine Sekunde! Ich glaube ich hab’ da was.<<

Er klappte seinen Notebook auf. Es dauerte etwas, bis er gefunden hatte, wonach er gesucht hatte.

Er drehte uns das Display und tippte mit dem Finger darauf.

>>Seht mal, was ich bei den Kollegen in Mülheim gefunden habe.<<

Ich lehnte mich vor.

>>Hier.<<

Er zeige auf eine kurze Dienstmitteilung. Im Mülheimer Grenzgebiet zu Duisburg war ein Transporter sichergestellt worden. Noch auf Mülheimer Seite. Der Wagen stand jetzt auf einem Autohof. Ich zuckte mit den Schultern.

>>Ja und? Was hat das mit uns zu tun?<<

Mirco schüttelte de Kopf über meine Begriffsstutzigkeit.

>>Das Kennzeichen! Schau dir mal das Kennzeichen von dem Wagen an!<<

Er vergrößerte das Foto und tippte wieder auf das Display. Der Kleintransporter war heruntergekommen, mehr aber auch nicht. Mirco sagte:

>>Sieh doch mal! Die Zulassung. Der Wagen hat eine österreichische Zulassung - ist doch komisch, dass der Wagen gerade jetzt auftaucht. Oder nicht?<<

Er lehnte sich wieder zurück und sagte überzeugt.

>>Das könnte doch was für uns sein.<<

Ich schüttelte zweifelnd den Kopf.

>>Ich sehe nur eine alte Karre, die liegen geblieben ist und die Kollegen haben das Ding eingesammelt. Wo siehst du da eine Verbindung zu Maali, oder der Flüchtlingsunterkunft? Außer, dass die Karre es von Österreich bis zu uns geschafft hat, sehe ich da nichts bemerkenswertes.<<

Der schlechte Zustand des Wagens war sogar auf dem kleinen Foto zu erkennen. Bräunliche Flecken auf dem weißem Lack deuteten auf Rost hin, ein älterer Streifschaden und der matte Lack, zeigten dass der Wagen über längere Zeit vernachlässigt worden war. Mirco ließ sich nicht davon abbringen.

>>Trotzdem - ich schaue mir den Wagen morgen mal an. Ich hab’ da so ein komisches Gefühl bei der Karre.<<

5

Am nächsten Morgen war noch niemand im Büro, als ich es betrat. Einsam klingelte das Telefon in der Mitte unserer Schreibtische. Ich streifte den Mantel und warf ihn über meinen Stuhl. Dann nahm ich den Hörer ab. Es war Mirco.

>>Ich glaube wir haben hier was.<<

Er klang aufgeregt.

>>Wo haben wir was?<<

Mirco sprach in Rätseln.

>>Pass auf! Setz dich erst mal hin - falls du noch nicht sitzt.<<

>>Mach’s nicht so spannend, sag’s mir einfach!<<

>>Ok, erinnerst du dich an den Transporter, von dem ich gestern gesprochen habe? Ich bin gerade da.<<

>>Mal langsam! Du bist in Mülheim?<<

>>Ja, auf dem Autohof - wo der Wagen steht. Ich stehe direkt neben dem Transporter.<<

Mir dämmerte, was er meinte.

>>Ja, alles klar - was ist mit dem Wagen?<<

Er sagte:

>>Zuerst einmal: Ich habe heute morgen in der Frühe mit der österreichischen Zulassungsbehörde telefoniert. Der Wagen gehört einem Wiener Autoverleih. Irgend so eine kleine Klitsche. Die wissen noch gar nicht, dass ihr Wagen hier aufgelaufen ist.<<

Ich nickte.

>>Ok, verstehe, aber was ist jetzt mit dem Wagen?

>>Ich habe gerade einen Blick in den Laderaum geworfen. Das sieht interessant aus.<<

Ich nahm meinen Mantel vom Drehstuhl, hängte ihn über die Lehne und setzte mich. Mirco kam einfach nicht auf den Punkt. Er fuhr fort:

>>In dem Wagen riecht es bestialisch. Ich gehe da jetzt mal rein.<<

Ich hörte, wie er in den Wagen kletterte. Dann sagte er:

>>Hier auf dem Boden ist Erbrochenes und es riecht echt übel nach Urin und anderen Körperausscheidungen, überall liegt verschmutztes Zeug herum. Kleidungsstücke, Plastiktüten, Flaschen und anderer Müll. Ich will das jetzt nicht unbedingt anfassen, aber sieht so aus, als ob jemand darin gehaust hätte.<<

>>Ja und? War da ein Obdachloser drin, oder was?<<

>>Nein, glaube ich nicht.<<

Ich hörte Mirco etwas über den Boden schieben.

>>Hier ist eine Sommerbluse, ein Sweatshirt, ein kleiner Sneaker, Reste von Toastbrot in einer Tüte.<<

>>Das ist alles? Was steht denn auf den Flaschenetiketten?<<

>>Kann man nicht mehr lesen - scheint Wasser drin gewesen zu sein - keine Marke, die ich kenne. Warum?<<

>>Nur so eine Idee. Kommst du ins Büro, wenn du da fertig bist?<<

>>Ja.<<

Mirco legte auf. Ich war nicht ganz bei der Sache.

>Verdammt.<

Ich lehnte mich zurück. Mirco hatte etwas entscheidendes gesagt, aber ich kam nicht mehr drauf, was es war. Ich klappte mein Notebook auf, startete den Rechner, öffnete den Bericht der Spurensicherung und sah mir noch einmal die Tatortfotos an. Maali unter Unrat, die alte Matratze, alles mit Kärtchen markiert, Maalis Strickweste, die Jeansjacke mit der Stickerei, Maali halb unter den Unrat begraben, dann entdeckte ich, was mich irritiert hatte. Der fehlende Schuh. Ich las den Bericht noch einmal und dann noch einmal. Richtig der Schuh des linken Fußes war nicht gefunden worden. Hecktisch ging ich die Asservatenliste durch. Mit dem gleichen Ergebnis - kein linker Schuh. Ich riss den Hörer von der Gabel und rief Mirco an.

>>Mirco, bist du noch auf dem Autohof?<<

>>Ja - wollte aber gerade los. Warum?<<

>>Bleib da! Geh noch mal in den Transporter! Wenn du drin bist, sag mir was das für ein Schuh ist, den du da gefunden hast.<<

Mirco fragte verwundert:

>>Warum? Ist irgendein Turnschuh - keine Ahnung. Was soll damit sein?<<

>>Sag’ ich dir später. Schau einfach nach und sag mir was das für ein Schuh ist: Rechts, links, Marke und so weiter.<<

Ich hörte am Telefon, wie er mit, den Leuten vom Autohof sprach, wie Türen aufgeschlagen wurden und das quietschen der Fahrwerksfedern, als er in den Wagen kletterte.

>>Isy?<<

Meldete er sich aus dem Laderaum.

>>Ja.<<

>>Das ist ein blau, weißer Sportschuh, Sneaker - warte mal: Größe 34 1/2.<<

>>Rechts, oder links?<<

>>Links.<<

Ich ließ mich in die Lehne zurückfallen.

>>Mirco, sieh zu, dass keiner mehr an dem Wagen ’rum macht. Versiegel den Laderaum und lass die Karre zu uns ’rüberschaffen. Der Wagen muss sofort in die Kriminaltechnik.<<

Er wollte eine Bemerkung über meinen Sinneswandel machen. Ich schnitt ihm das Wort ab.

>>Ok Mirco!? Ich will die Karre schnellstens hier haben.<<

Mirco hatte das richtige Näschen gehabt.

>>Und Mirco..., das war gute Arbeit.<<

Ich legte auf und blieb nachdenklich sitzen und es brodelte in mir, je länger ich so da saß. Als es Mittag wurde hatte ich genug davon. Irgendwas lief hier richtig schief und die Barnowski hatte was damit zu tun. Da war ich mir sicher. Entschlossen, warf ich mir den Mantel über, schaltete den Rechner aus und verließ das Büro Richtung Tiefgarage. Besonders hilfsbereit war die Barnowski nicht gerade gewesen. Im Gegenteil und nicht eine Frage zu Maali hatte sie gestellt. Jetzt wollte ich Antworten. Ich schloss den Alfa auf, ließ mich in den Sitz fallen und startete den Motor. Die Barnowski konnte sich ja schon mal an meine Besuche gewöhnen. Vor der Flüchtlingsunterkunft stand wieder der schwarze Mercedes. Ich dachte:

>Wohnt der hier?<

Ich, beachtetet den Wagen aber nicht weiter und bog in die Flüchtlingsunterkunft ein. Wie am Tag zuvor stoppte den Alfa vor dem Bürocontainer. Drinnen brannte kein Licht. Ich sah auf die Uhr, es war kurz nach halb elf. Ich zog die Augenbrauen zusammen.

>Vedammt, jetzt sag nicht, die Barnowski ist nicht da.<

Ich ging zur seitlichen Bürotür und rüttelte daran. Sie war abgeschlossen.

>>Mist.<<

Ich schaute mich suchend um. Die Barnowski war weit und breit nicht zu sehen. Ich fluchte:

>>Scheiße!<<

Fluchte ich und beschloss die Gelegenheit zu nutzen, um mich etwas auf dem Gelände umzusehen. Es waren zwanzig Wohncontainer in zwei Reihen. Sie bildeten eine breite Gasse. Die letzten Container grenzten beinahe an den Wald. Die meisten Containern waren unbeleuchtet. An einige Containern waren Fahrräder gelehnt und Kinderwagen standen im Freien. In einem beleuchten Fenster trocknete eine Frau Geschirr ab. Hinter der linken Reihe der Wohncontainer, war der all aus Gestrüpp und Gräsern und dahinter war der Parkplatz. Im farblosen, trüben Licht des Wintertages wirkte die Umgebung noch unfreundlicher. Das Grau des verhangene Himmels schluckte jeden Kontrast und jede Farbe. Ich hatte genug gesehen und ging zurück zum Alfa. Der noch warme Motor sprang sofort an. Ich setzte zurück und verließ die Flüchtlingsunterkunft. Der Mercedes stand noch immer auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Allerdings tat sich was. Ein junger Mann versuchte mit Nachdruck eine junge Frauen in den Wagen zu drängen. Sie sträubten sich lautstark und trat um sich. Er gab ihr eine Ohrfeige.

>Idiot.<

Dachte ich und stoppte den Alfa schräg vor dem Mercedes. Der junge Mann war zu beschäftigt, um mich zu bemerken, als ich mich ihm näherte.

>>Hey!<<

Rief ich, als ich direkt hinter ihm stand und zog ihn an der Schulter von dem Mädchen weg.

Er wand sich aus meinem Griff, ohne wirklich von dem Mädchen abzulassen und bemühte sich weiter ihre Beine den Wagen zu bekommen. Ich fasste ihn noch einmal an der Schulter und hielt ihm den Dienstausweis vor die Nase.

>>Lassen sie den Scheiß und wenn es ihnen nicht zu viel Mühe macht, würde ich jetzt ganz gerne mal ihre Papiere sehen.<<

Jetzt begriff er. Überrascht drehte er sich um und spuckte mir ein "verpiss disch" entgegen. Staatsautorität schien ihm nichts zu bedeuten. Mit der linken Hand hielt er noch immer ein Bein der jungen Frau und wollte offenbar die Früchte seiner bisherigen Mühen nicht ohne Weiteres aufgeben. Er drückte und schob das Mädchen weiter in den Wagen. Dabei tauchte sein Oberkörper tauchte in den Mercedes ein. Ich hielt ihn zurück. Aufbrausend schnellte er hoch und schleuderte wütend die Autotür zu, um das Mädchen am Aussteigen zu hindern. Er baute sich vor mir auf.

>>Was willst du Arsch? Willst du Ärger?<<

Ich hielt ihm noch einmal den Dienstausweis vor die Nase.

>>Hast du doch bestimmt schon mal gesehen? Oder?<<

Er trat näher und versuchte mich aus dem Weg zu stoßen. Ich wich der Bewegung aus, griff nach seiner ausgestreckten Hand und bog sie mit einem Ruck auf seinen Unterarm. Das brachte ihn auf die Knie. Mit der linken steckte ich den Dienstausweis in den Mantel zurück und fischte stattdessen Handschellen aus dem Mantel. Dann traf mich ein harter Schlag am Hinterkopf. Soviel bekam ich noch mit. Dann wurde es Dunkel. Dunkel war es auch, als ich meinen Körper wieder spürte - wenigstens Teile davon, schmerzhaft. Kalt, hart und rau drückte etwas gegen mein Gesicht. Daraus schloss ich, dass ich nicht in meinem Bett lag. Ich sah immer noch nichts, aber dumpf, gedämpft wie durch Watte, meldete sich ein gefühlloser, tauber Schmerz an, der vom rechten Arm zu kommen schien. Sicher war ich mir da aber nicht. Vorsichtig versuchte ich den Arm zu bewegen. Es ging nicht. Ich geriet in Panik. Immerhin, der linke Arm schien zu funktionieren. Ich zog ihn zum Körper ran, winkelte ihn an und versuchte die harte Fläche von mir wegzustoßen. Druck baute sich auf und die Fläche bewegte sich tatsächlich etwas von mir weg. Der piksende Schmerz und die Taubheit in meinem Gesicht ließen etwas nach. Das ermutigte mich weiter zu machen. Trotzdem drückte die Fläche weiter gegen mein Gesicht. Ich winkelte die Beine an, um mehr Kraft aufbringen zu können. Das gelang auch überraschend gut. Schwaches Licht drang an meine Augen. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu begreifen, dass nicht die Fläche gegen mich drückte, sondern im Gegenteil, ich gegen die Fläche. Ich lag mit der rechten Gesichtshälfte auf dem nassen Asphalt, dessen grobe Körnung das Piksen in meinem Gesicht verursachte. Mein rechter Arm war unter meinem Körper eingeklemmt und ganz taub geworden. Das erste, was ich sah, war der grüne Lack des Alfas im Schein der Straßenlaterne. Mein Orientierungssinn kehrte langsam wieder zurück. Ich stützte mich mit den Händen ab und schaffte es wieder auf die Beine zu kommen. Noch schwankend setzte ich mich auf die Motorhaube des Alfas und sah mich benommen um. Ich schüttelte den rechten Arm um die Durchblutung wieder in Gang zu bringen. Ich musste lange so gelegen haben, die Abenddämmerung setzte schon ein. Von der Flüchtlingsunterkunft hatte man mich nicht sehen können, weil der Alfa im Weg stand. Auf der anderen Seite war nur der Rangierbahnhof. Meine Erinnerung kehrte zurück. Zusammen mit einer Übelkeit und heftigen Kopfschmerzen. Ich zitterte. Meine Sachen waren nass geworden, während ich auf dem Boden gelegen hatte. Ich stieß mich von der Haube ab. Das war ein Fehler. Ich erstarrte, bis die Übelkeit und der Schwindel nachließen. Der Schlüssel steckte noch im Zündschloss. Vorsichtig, jede Erschütterung vermeidend, öffnete ich die Tür und ließ mich vorsichtig in den Sitz gleiten. Ein paar Minuten bewegte ich mich nicht. Erst als ich mir ziemlich sicher war, fahren zu können, startete ich den Motor und legte vorsichtig den Gang ein. Sachte fuhr ich an. Das ging soweit ganz gut. An der nächsten Ampel betastete ich meinen Hinterkopf. Ich spürte eine Schwellung, die aber nicht zu bluten schien. Ich hatte nur einen Wunsch: Mich hinzulegen und nicht mehr bewegen zu müssen. Der Typ mit dem Mercedes war nicht alleine gewesen. So viel stand fest. Ich hatte Schwierigkeiten die Straße zu fokussieren. Ich sah Doppelkonturen. Irgendwie schaffte ich es zu meiner Wohnung zu kommen, ohne die Straße zu verlassen. Ich schlich die Treppen hoch und stolperte ein paar Mal. An der Wohnungstür stütze ich mich an der Wand ab. Nach ein paar tiefen Atemzügen, schaffte ich es das Türschloss zu treffen. Endlich in der Wohnung, warf ich den Mantel ab und ließ mich ohne weitere Umstände auf mein Bett fallen. Alles drehte sich um mich herum. Ich fluchte. Irgendwann schlief ich ein.

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