Jack Frost. Geküsst von Eis und Schnee - C. R. Scott - E-Book
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Jack Frost. Geküsst von Eis und Schnee E-Book

C. R. Scott

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Beschreibung

**Bezwinge den König des Winters** Nichts verabscheut Kristen mehr als Kälte und Schnee. Doch als die Studentin dem mysteriösen Jack begegnet, kommt sie der verhassten Jahreszeit näher, als sie ahnt. Denn der Mann mit den faszinierenden hellblauen Augen ist niemand Geringeres als der Wächter des Winters. Verärgert darüber, dass die Erde sich immer weiter erwärmt, setzt er sich über die geltenden Naturgesetze hinweg und überzieht die ganze Welt mit einer eisig-weißen Schicht. Nur Kristen scheint noch in der Lage zu sein, den Bann zu brechen. Aber dafür muss sie nicht nur das Eisschloss des gefährlich attraktiven Jack betreten, sondern sich auch ihren schlimmsten Ängsten stellen … Hast du den Mut, den Winter selbst zum Schmelzen zu bringen?   //»Jack Frost. Geküsst von Eis und Schnee« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//  

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C. R. Scott

Jack Frost. Geküsst von Eis und Schnee

**Bezwinge den König des Winters**

Nichts verabscheut Kristen mehr als Kälte und Schnee. Doch als die Studentin dem mysteriösen Jack begegnet, kommt sie der verhassten Jahreszeit näher, als sie ahnt. Denn der Mann mit den faszinierenden hellblauen Augen ist niemand Geringeres als der Wächter des Winters. Verärgert darüber, dass die Erde sich immer weiter erwärmt, setzt er sich über die geltenden Naturgesetze hinweg und überzieht die ganze Welt mit einer eisig-weißen Schicht. Nur Kristen scheint noch in der Lage zu sein, den Bann zu brechen. Aber dafür muss sie nicht nur das Eisschloss des gefährlich attraktiven Jack betreten, sondern sich auch ihren schlimmsten Ängsten stellen …

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Vita

Glossar

Danksagung

© privat

C. R. Scott, bürgerlich Carina Regauer, wurde 1984 in Schleswig-Holstein geboren und hat Literatur studiert. Egal ob fantastisch, prickelnd oder verträumt – ihre Liebesromane begeistern ihre Leser*innen. Sie ist als Bestseller-Autorin Mitglied im Montségur Autorenforum und in der Jury für den Selfpublishing-Buchpreis. Wenn sie mal nicht schreibt, geht sie am liebsten mit ihrem Mann und dem gemeinsamen Hund im Wald spazieren und lässt sich für neue Geschichten inspirieren.

Für alle, die nicht nur den eiskalten Schnee sehen, sondern auch die einzelne und strahlend weiße Flocke, ihren sagenhaften Schimmer, all ihre kleinsten sowie feinsten Verästelungen … und so vieles, vieles mehr, was dem bloßen Auge im winterlichsten Winter verborgen bleibt.

Flockenzauber, Spiegeleis,

Zuckerwelten, magisch weiß.

Knisterofen, Weihnachtsglanz,

Watteschnee und Schneemannstanz.

Doch in diese Wunderfülle,

diese Winterwaldidylle

schreitet starr die Lawinenarmee,

zertrampelt den Zauber und reinsten Schnee,

schneidet mit der Kälte Wut

alles zunichte, was eben noch gut.

~ Lilia Ellis

Prolog

Jack

Ich verstehe dich nicht, Mutter. Warum hast du das getan? Nun kann also ein einzelner Mensch uns Wächter sehen. Eine junge Studentin, die sich wenig mit der Umwelt befasst und kaum einen Sinn für die Bedeutung der Jahreszeiten hat, schon gar nicht für den Winter. Was versuchst du damit zu bezwecken? Diese junge Frau könnte mich wahrnehmen, sobald ich mich ihr zeigen würde, hast du mir erzählt. Aber wozu soll das gut sein? Das wird nichts ändern – hat uns das die Vergangenheit nicht gelehrt? Die Gabe, die du Kristen Miller verliehen hast, ohne dass sie davon überhaupt etwas ahnt, ist nichts weiter als ein Tropfen auf dem heißen Stein … genau genommen auf dem riesigen, brennenden Felsbrocken, der uns schon bald zu zermalmen droht.

Aber gut, Mutter, du hast deine Gründe, die sich mir eines Tages erschließen werden. Nichts anderes hast du mir zugesichert und meine Neugierde auf diesen Tag kennt keine Grenzen. Wenn ich ehrlich bin, spiele ich sogar mit dem Gedanken, dein Angebot anzunehmen und mich Kristen zu offenbaren. Womöglich erkennst du etwas in dieser jungen Menschenfrau, das ich noch nicht sehe.

Dennoch muss ich auf Nummer sicher gehen, denn uns rennt die Zeit davon. Ich verstehe deine Motivation, deine Verzweiflung, deinen Frust, dein Leid. Das sind die Dinge, die du und ich seit geraumer Zeit miteinander teilen, und dies haben wir den Menschen zu verdanken. Die Lage, in die sie uns gebracht haben, lässt uns keine andere Wahl: Wir müssen handeln, neue Wege gehen, umdenken, mutig sein, zu radikalen Mitteln greifen.

Wie so oft inspirierst du mich, Mutter. Jüngst habe ich meine eigenen Pläne geschmiedet, um unser Schicksal in die Hand zu nehmen und zum Guten zu wenden. Nur für den Fall, dass dein ungewöhnlicher Versuch, der mit dieser Kristen zu tun hat, nicht ausreicht. Unsere beiden Maßnahmen könnten sich sogar ergänzen. Ich für meinen Teil denke jedenfalls in größeren Dimensionen. Was ich vorhabe, könnte alles verändern. Vielleicht wirst du sogar stolz auf mich sein.

Nie war ich fester entschlossen den Schneid aufzubringen, den es jetzt braucht, und durchzugreifen.

I.

Kristen

Die Sonnenstrahlen kitzeln mich an der Nase, als ich zurückgelehnt auf dem Beifahrerplatz sitze und mein Gesicht zum Himmel gereckt halte. Die große, pechschwarze Sonnenbrille schützt meine Augen vor dem grellen Licht, während der Fahrtwind für eine angenehme Kühlung sorgt.

»Soll ich die Belüftung in der Rückenlehne einschalten?«, fragt Teresa mich und ihr Blick schwenkt für einen kurzen Moment von der Straße herüber zu mir.

Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht sehe ich sie an. »Nein, du weißt doch, wie sehr ich es liebe, wenn es so warm ist.«

Grinsend gibt sie Gas und überholt einen Lastkraftwagen, was den warmen, trockenen Fahrtwind für einige Sekunden verstärkt. Damit habe ich kein Problem. Um dem Klischee einer Cabrio-Mitfahrerin zu entsprechen, habe ich es mir nicht nehmen lassen, mir ein Seidentuch mit Leopardenmuster um die braunen, schulterlangen Haare zu wickeln.

Außerdem lenkt Teresa den Wagen ihres Vaters sogar besser über den Asphalt, als ich gedacht habe, und so kann ich mich entspannen und die Landschaft, die an uns vorbeizieht, auf mich wirken lassen.

Im roten Cabriolet rollen wir über die Interstate 25 quer durch Colorado. Mit ihren kurvigen und hügeligen Abschnitten gleicht die Fahrt auf der zweispurigen Autobahn fast schon einem Achterbahntrip und dank Teresas gutem Fahrstil rollen wir wie auf Schienen. Mal fahren wir an riesigen Agrarfeldern vorbei und mal ist die Landschaft grün bewachsen. Vor uns in der Ferne sieht man die imposante Gebirgsformation der Rocky Mountains, an dessen Rand nicht nur Denver, sondern auch Colorado Springs liegt. Nach wie vor fühlt es sich an, als würde die Sonne mit ihrer wohligen Wärme meine Haut streicheln. Da ich Shorts und ein Tanktop trage, kann sie das an vielen Stellen meines Körpers tun. Einen Moment lang mache ich die Augen zu, strahle vor mich hin und genieße den Moment, der es mir erlaubt, meine Seele baumeln zu lassen.

Ich liebe den Sommer und wünschte er würde das ganze Jahr bleiben.

Einige Zeit später erreichen wir das Zwischenziel unserer kurzen Spritztour, mit der wir den Kopf vom Lernen freibekommen wollen, und fahren in Colorado Springs ein. Am Garden of the Gods parkt meine beste Freundin den Wagen und wir schnallen uns ab.

Im nächsten Moment ist mir ihr Lächeln sicher. »Und, Kristen, bist du zufrieden mit meinen Fahrkünsten?«

Lachend nehme ich das Kopftuch ab. »Ich werde dich vor deinem Dad gut dastehen lassen, wenn du das wissen willst.«

Sie grinst zufrieden und steigt aus. »Sehr gut. Dann wird er mir Sebi auch anvertrauen, wenn wir übernächste Woche zum Taylor-Swift-Konzert wollen.«

Darüber, dass sie den Chrysler Sebring ihres Vaters mal wieder liebevoll Sebi nennt, schmunzele ich. »Das wäre super.« Ich tue es ihr gleich, öffne die Tür auf meiner Seite und verlasse das feuerrote Fahrzeug.

Kaum habe ich die Tür wieder zugemacht, betrachte ich die Kulisse, die wir vor der Nase haben: Inmitten von saftigen Pflanzen ragen braune Felsformationen hervor, dahinter sieht man grün bewachsenes Gebirge, das schließlich im viertausend Meter hohen Pikes Peak wortwörtlich gipfelt. Der obere Teil des Berges ist mit Schnee bedeckt, weil er in eisiger Höhe liegt. Bei der bloßen Vorstellung daran, mich dort oben aufzuhalten, lege ich wenig begeistert die Stirn in Falten. Bergsteiger, die sich in gefährliche Höhenmeter und unberechenbare Windstürme vorwagen, müssen unfassbar mutig sein – nein, verrückt trifft es eher.

Wir setzen uns in Bewegung und vertreten uns die Beine.

»Wie kalt ist es dort oben wohl genau?«, frage ich und halte mir die Hand an die Stirn, um im Gehen noch mal zum Berg hochzuschauen, ohne dass das Sonnenlicht mich blendet, denn meine große Sonnenbrille habe ich im Auto gelassen.

»Kalt genug, um deinen Fuß erfrieren zu lassen«, ärgert Teresa mich und richtet sich die kurzen blonden Haare, ebenso wie ihre Sommer-Latzhose. »Bis er ganz dunkel ist und abfällt.«

»Igitt«, mache ich und merke, wie mir meine blühende Fantasie zum Verhängnis wird.

»So ein Quatsch«, meint ein Mann, den ich auf Mitte zwanzig und somit etwas älter als uns schätze. Offenbar wollte er uns gerade überholen und hat unseren Wortwechsel mitbekommen. Nickend deutet er auf den Berg. »Auf dem Pikes Peak ist doch kaum noch Schnee übrig, so schnell, wie der schmilzt.«

Teresa bleibt stehen, genau wie der Typ und ich. »Ich sehe es doch aber klar und deutlich«, entgegnet sie. »Dieses weiße Zeug da oben. Noch muss es da also kalt sein.«

»Aber hast du den Schnee mal mit der Menge verglichen, die noch vor dreißig, vierzig Jahren dort herumgelegen hat?«, fragt er streng.

Sie zieht die hellen Brauen hoch. »Äh, nein?«

»Hättest du das gemacht«, fährt der Fremde, der uns einfach angesprochen hat, nüchtern fort, »dann wäre dir aufgefallen, dass der Schnee auf dem Pikes Peak rückläufig ist, so wie eigentlich überall auf der Welt. Das liegt natürlich an der ansteigenden Durchschnittstemperatur, aber das interessiert ja kaum jemanden.« Der Kerl ist nicht zu bremsen. »Der heutige Tag ist leider ein gutes Beispiel für den Klimawandel. So heiß, wie es gerade ist, war es in Colorado früher nur selten. Unser Bundesstaat war immer für seine milden Temperaturen bekannt, aber das gehört langsam der Vergangenheit an, ebenso wie bald Eis und Schnee.«

»Das mag sein«, stimmt Teresa ihm zu und verzieht nachdenklich den Mund.

»Aber mal angenommen«, werfe ich ein, »es würden sich plötzlich alle Menschen für den Umweltschutz interessieren, oder sagen wir zumindest mal die Hälfte aller Menschen.«

Ernsten Blickes nickt der Mann. »Das wäre ja ein Traum, damit ließe sich viel bewirken.«

»Aber was könnte diese Hälfte deiner Meinung nach tun, so ganz konkret?«, frage ich und zucke mit den Achseln.

»Ich habe auch keine Universallösung parat.« Überfragt hebt er die Hände.

»Wir hätten zum Beispiel nicht mit dem Auto herkommen dürfen, was?«, mutmaßt Teresa und zeigt sich schon fast reuevoll.

Allerdings, lese ich daraufhin in seinem vorwurfsvollen Blick und dem tiefen Seufzen, das er von sich gibt. »Der Punkt ist: Jeder kann schon mit Kleinigkeiten seinen Teil zum großen Ganzen beitragen. Allein schon wenn jeder zweite Mensch auf der Welt …«

Mehr bekomme ich von ihrem Gespräch nicht mit, denn obwohl ich es nicht uninteressant finde, zieht mich der Anblick des Pikes Peak aus irgendeinem Grund magisch an. Er fasziniert mich und ich verspüre plötzlich das starke Bedürfnis, mich ihm zu nähern. Wie gebannt schaue ich auf den großen Berg und halte ihn mit den Augen fixiert, während ich einen Schritt auf ihn zugehe. Normalerweise halte ich mich von Gebirgen und Schnee fern. Das mag seltsam erscheinen, bin ich doch in Denver aufgewachsen, einer Stadt, die ebenfalls nahe der Rocky Mountains liegt und als Anlaufstelle für viele Touristen gilt, die von dort aus in die umliegenden Skigebiete fahren. Aber so ist es. Dunkelheit und Kälte sind nichts für mich. Vor allem Kälte, denn selbst wenn Schnee das Tageslicht grell reflektiert, kann ich mich beim besten Willen nicht für den Winter begeistern. Kälte macht mich lustlos und müde, macht es mir schwer, fürs Marketingstudium zu lernen oder für meinen Nebenjob im Restaurant aufzustehen. Der Schnee, der im Winter auf Denver fällt, führt nicht selten zum Verkehrschaos, dann passieren Unfälle und Menschen werden ernsthaft verletzt. Darüber hinaus hat Kälte für mich schon als Kind für das Gegenteil von Leben gestanden … eben für den Tod. Als unsere damalige Schulklasse einen Skiausflug gemacht hat und ich den Hang hinabgestürzt bin, wurde mir das klar. Dass ich mir dabei das Bein gebrochen habe, war die eine Sache, aber wie groß letztlich die Lawine wurde, die ich ausgelöst habe, als sie unten im Tal ankam, hat mich erschreckt und sich in mich eingebrannt. Seitdem meide ich Skigebiete und halte mich im Winter, so gut es geht, drinnen auf – verreisen mag ich dann schon mal gar nicht.

Der schneebedeckte Gipfel des Pikes Peak erinnert mich an alle meine Ängste. Diese eisig kalte Bergspitze steht für all das, was jede Faser in mir fürchtet: Kälte, Höhe, Härte. Eis, Schnee, Lawinen. Weiße Flocken, die wie Zuckerwatte wirken und in Wahrheit eine unberechenbare Gefahr darstellen.

Ich starre noch immer auf den großen vereisten Berg und stelle erst nach einigen Augenblicken fest, dass ich mich inzwischen viele Meter von Teresa entfernt habe. Genau genommen bin ich ein gutes Stück den Wanderweg entlanggegangen und stehe nun umgeben von anderen Touristen hinter einer braunen Felsformation, die mir die Sicht auf den Parkplatz versperrt. Als ich zu dieser Erkenntnis komme, erschrecke ich vor mir selbst und frage mich, was mich gerade dazu gebracht hat, wie in Trance auf den Pikes Peak zuzusteuern, obwohl ich dort auf keinen, wirklich gar keinen Fall hinmöchte. Irgendetwas in mir hat mich zu dem Schnee, den ich gesehen habe, hingezogen, dabei lässt sich das beim besten Willen nicht logisch erklären. Zweifellos bin ich heute irgendwie komisch drauf. Es ist, als hätte sich irgendetwas tief in mir verändert, ohne dass ich sagen kann, ob das eben gerade passiert ist oder schon vor einigen Tagen. Ich wüsste auch gar nicht, was genau das sein sollte. Es ist so verwirrend!

Wie auch immer, denke ich mir und will zurückgehen. Dabei schwenkt mein Augenmerk vom Berg in Richtung Felsformation, bleibt jedoch auf halber Strecke an einem kontrastreichen Blickfang haften: Fernab des Wanderweges, zwischen immergrünen Büschen, steht ein junger Mann. So hell, wie seine Haut aussieht, so dunkel sind sein Haar und seine Kleidung. Vor allem die pechschwarze Lederjacke irritiert mich, ist sie doch für einen so heißen Sommertag wie heute viel zu warm. Aber das ist es nicht allein, was mir an dem Fremden auffällt: Seit er in meinem Blickfeld aufgetaucht ist, scheint auch er mich für keine Sekunde aus den Augen zu lassen.

Kann das sein?

Zunächst bin ich mir auf der Entfernung nicht sicher. Als ich aber die Augen hinter meiner Sonnenbrille etwas zusammenkneife und ihn schärfer in den Fokus nehme, habe ich keinen Zweifel mehr. Ohne auch nur einmal zu blinzeln, starrt der Typ mit der Lederjacke, die hier völlig fehl am Platz ist, mich an. Und ich gaffe zurück.

Wie unheimlich ist das denn?

Als wäre das nicht schon seltsam genug, habe ich den Eindruck, dass er enttäuscht von mir ist, denn nun schüttelt er mit gemächlichen Bewegungen den Kopf, nach wie vor ohne den Blick von mir abzuwenden. Dabei ergibt das erst recht keinen Sinn.

Leicht öffnet sich sein Mund, als wolle er etwas zu mir sagen, und zwar …

»Kristen!«, ertönt es laut von rechts. Ich reiße den Kopf in jene Richtung. Hinter dem braunen Felsen sehe ich Teresa zum Vorschein kommen und mich zu sich winken. »Was machst du denn?«

»Ich komme!«, rufe ich.

Instinktiv schwenke ich den Blick zurück auf die Stelle, an der eben noch der mysteriöse Fremde gestanden hat, doch nun ist er nicht mehr da.

Wie im Film, kommt es mir in den Sinn. In einem Horrorfilm.

Dementsprechend beunruhigt schaue ich mich um, allerdings kann ich den Mann nirgendwo entdecken. Schulterzuckend wende ich mich ab und begebe mich zu Teresa.

»Wolltest du auf große Wanderung gehen?«, empfängt sie mich amüsiert. »Dafür haben wir definitiv die falschen Klamotten und vor allem Schuhe an.«

»Ich habe mir nur kurz die Beine vertreten«, rechtfertige ich mich.

»Aha«, macht sie, gefolgt von einem Schnaufen. »Sorry, dass ich im ersten Moment gar nicht gemerkt habe, wie du weggegangen bist. Aber dieser Ben hat ein paar echt gute Fragen gestellt, über die wir dann gesprochen haben.«

»Dann war es sowieso gut, dass du dich mit ihm allein unterhalten konntest«, antworte ich, während wir zum Cabrio zurückgehen, »denn anscheinend hat er es dir angetan.« Amüsiert schmunzle ich. »Ben also, ja?«

»Hey«, stellt sie klar und hebt den Finger, »ich will nichts von dem Kerl.«

»Dann ist er nicht dein Typ?«

Teresa steckt die Hände in die Seitentaschen ihrer blauen Latzhose. »Noch immer habe ich keinen bestimmten Typ Mann. Wozu auch? Ich bin jung und gehe auf die Uni, da hat die Liebe Zeit.«

»Absolut.« Darauf schlage ich mit ihr ein.

***

Wir steigen zurück in Sebi und schnallen uns für die Rückfahrt an. Während ich mir das Kopftuch wieder umbinde, startet Teresa den Motor.

Kurze Zeit später haben wir Colorado Springs hinter uns gelassen und rollen über die Interstate 25, diesmal auf der entgegengesetzten Fahrbahn.

Kaum fahren wir wieder zurück in Richtung Denver, bin ich mit meinen Gedanken bei dem wundersamen Erlebnis, das ich hinter der Felsformation hatte.

Habe ich mir den Kerl in den pechschwarzen Klamotten nur eingebildet? Das klingt einerseits verrückt, würde aber andererseits zumindest zu meinem seltsamen Verhalten gegenüber dem Pikes Peak passen. Mit seinen perfekten Gesichtszügen hat der Fremde wortwörtlich zu fantastisch ausgesehen, um wahr zu sein.

Angestrengt kneife ich die Augen zusammen und fasse mir an die Schläfe.

Dies bemerkt Teresa sofort, obwohl sie die Fahrerin ist. »Alles okay?«

»Ja, ich denke, ich habe einfach einen Sonnenstich. Wahrscheinlich hätte ich mehr trinken sollen.« Ich nehme die warme Wasserflasche aus dem offenen Fach in der Beifahrertür und schraube sie auf.

»Hättest du wohl«, höre ich sie sagen, während ich den ersten großen Schluck nehme. »Mit so etwas ist nicht zu spaßen, okay?«

»Alles gut.« Ich schraube den Verschluss wieder aufs Gewinde der Flasche. »Ist ja nichts passiert.« Ich hatte bloß kurz Halluzinationen, wie es scheint.

Aber Teresa ist nun mal fürsorglich, wenn es um mich geht. Dass sie eben zunächst gar nicht mitbekommen hat, wie ich mich von ihr entfernt habe, war eine Ausnahme und muss wirklich daran gelegen haben, dass sie sich angeregt mit diesem Ben unterhalten hat.

Nur zu gut kann ich mich daran erinnern, wie Teresa auf der Grundschule einem Jungen mal die Nase blutig gehauen hat, nachdem dieser mich zu Boden gerempelt und ausgelacht hatte. Seit einer Ewigkeit sind Teresa und ich die besten Freundinnen und haben dafür gesorgt, dass wir an derselben Uni studieren und uns eine Studentenwohnung teilen. Genauso lang fühlt sie sich schon dafür verantwortlich, dass es mir gut geht.

Aber auch wenn ich sie noch nie vor einem Typen verteidigen musste, beruht das natürlich auf Gegenseitigkeit. Wir sind füreinander da. Und sollte es eines Tages erforderlich sein, dass ich mich für sie einsetze, um sie zu beschützen, dann würde ich es ohne zu zögern tun.

»Kann ich Musik anmachen?«, frage ich.

»Na klar – solange es gute ist.«

Lachend kopple ich mein Smartphone mit den Lautsprechern des Cabrios und will das neue Album von Taylor Swift auswählen. Doch plötzlich gerät der Wagen ins Schleudern und es drückt mich ruckartig zur Seite.

»Teresa!«, rufe ich panisch aus und halte mich reflexartig am grauen Armaturenbrett fest.

»O mein Gott«, höre ich sie noch verängstigt kreischen, »was ist das?«

II.

Kristen

Stöhnend und blinzelnd komme ich zu mir und versuche mich zu orientieren, versuche überhaupt irgendetwas zu erkennen. Um mich herum ist alles weiß, als wäre ich im Himmel bei den Wolken gelandet. Mir dröhnt der Kopf und ich fühle mich benommen. Meine Sonnenbrille ist zerbrochen und hängt schief auf meinem einen Ohr, sodass ich sie mir abstreife und neben meine Füße fallen lasse.

Bin ich tot? Was ist passiert?

Als das Bild vor meinen Augen schärfer wird, habe ich ein Déjà-vu: Inmitten der grellweißen Fläche bleibt mein Blick an etwas Dunklem haften, das durch seinen starken Kontrast, den es zur Umgebung darstellt, sofort heraussticht. Es ist der geheimnisvolle, gutaussehende Fremde, den ich vorhin schon einmal gesehen habe. Auch diesmal trägt er tiefschwarze Klamotten, doch im Gegensatz zu eben kommt er auf mich zu. Er könnte meiner Fantasie entspringen, weil es meinem Körper alles andere als gut geht. Oder – nachdem sich seine Nähe so real anfühlt – ein Todesengel sein.

Dann bin ich wirklich gestorben und er hat in Colorado Springs bereits auf mich gewartet.

»Was …«, bringe ich nur hervor und will die Hand nach ihm ausstrecken. So viele Fragen schwirren durch meinen Kopf, womit soll ich nur anfangen?

»Das wollte ich nicht«, sagt er leise.

Gemächlich bewege ich mich, doch die Nackenschmerzen, die ich habe, machen es mir schwer. »Was …«, wiederhole ich überfordert und sehe an mir herunter, nur um festzustellen, dass ich noch immer im Cabrio auf dem Beifahrerplatz sitze.

»Entschuldige«, höre ich den Fremden noch flüstern.

Als ich jedoch wieder zu ihm aufschaue, ist er verschwunden. Wie letztes Mal. Verwirrt schaue ich ins weiße Nichts, das mich zu umgeben scheint. Dann ertönt neben mir ein Geräusch. Ich drehe den Kopf nach rechts und entdecke Teresa auf dem Fahrersitz.

»O Mann …«, bringt sie stöhnend hervor und fasst sich an die Stirn. Auch sie hat damit zu kämpfen, zu sich zu kommen. »Was war das?«

In dem Moment wird mir endgültig klar, dass ich nicht tot und im Himmel oder in der Hölle gelandet bin, sondern Teresa und ich am Leben sind.

»Geht es dir gut?«, frage ich.

Teresa blinzelt dem Weiß mit zusammengekniffenen Augen entgegen und wird davon offensichtlich geblendet. »Wo sind wir?« Auch sie wirkt überfordert vom Schock und dem Schmerz.

Vorsichtig steigen wir aus und schauen uns um.

»Wir sind von der Straße abgekommen«, bringt sie es auf den Punkt, als auch ich sehe, dass wir uns viele Meter von der Interstate entfernt auf einem Feld befinden.

Wie konnte das passieren? So schnell waren wir doch gar nicht und mit einem anderen Auto sind wir auch nicht kollidiert. Oder etwa doch?

Nach wie vor fällt es mir schwer klar zu denken. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er mit einem Vorschlaghammer bearbeitet werden. Außerdem ist mir auf einmal verdammt kalt, an meinen Armen habe ich Gänsehaut und meine Zähne klappern. Ich kann nur noch unscharf sehen und habe Probleme, meine Umgebung richtig wahrzunehmen.

Sogleich will ich mich nach weiteren Verletzten umsehen, doch noch immer tut mir der Nacken weh. Außerdem verspüre ich einen stechenden Schmerz am Handgelenk, auch das muss ich mir beim Unfall angeknackst haben.

»Wir sind ins Schleudern gekommen«, ist sich Teresa inzwischen sicher und begutachtet die Blutergüsse, die sie an ihren Armen davongetragen hat. »Zum Glück haben wir uns nicht überschlagen.«

»Ja, das wäre bei einem Cabrio echt übel«, gebe ich ihr recht.

Dann schaut sie besorgt zu mir und legt die Hand auf meine Schulter. »Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, ich denke schon«, erwidere ich verunsichert und noch immer etwas neben der Spur. »Ich hatte zwar gerade wieder Wahnvorstellungen von irgend so einem Kerl …«

»Wenn es weiter nichts ist?«, kommentiert sie mein Geständnis. »Anscheinend sind wir alle mit dem Schrecken davongekommen. Und ein paar blauen Flecken.«

Ächzend reibe ich mir den schmerzenden Hals und hoffe, dass es stimmt und ich keine schlimmeren Verletzungen habe. Dann fällt mir auf, dass Teresa sich erschrocken umschaut und als Erste von uns zu begreifen scheint, warum alles so weiß geworden ist. »Was ist das denn?« Hörbar stockt ihr der Atem. »Wie ist das möglich?«

Ich muss schlucken und kann es selbst kaum glauben. Noch immer zittern meine Finger vor Schreck und ich komme erst jetzt dazu, das, was ich vor mir sehe, richtig zu verarbeiten. »Das ist ja … verrückt …«, gebe auch ich verblüfft von mir.

Wohin ich auch blicke, zeigt sich mir die reinste Winterlandschaft. Schnee, Eis, Frost, all das mitten im Hochsommer, scheinbar von der einen Sekunde auf die nächste hat sich alles verwandelt.

Das hat unseren Unfall verursacht. Die Tatsache, dass mit einem Schlag die Interstate vereist ist.

Wie kann das sein?

***

Unglück schweißt zusammen, denke ich mir, als ich vor dem Fernseher sitze und mir seit Stunden die Nachrichten ansehe.

Schließlich habe ich nach wie vor nicht den besten Draht zu meinen Eltern, die sich, seit ich denken kann, nur für ihre Arbeit interessieren. Und doch bin ich nun hier bei ihnen in ihrer Wohnung und bleibe ein paar Tage. Die Universität ist vorübergehend geschlossen und auch sonst haben viele Einrichtungen und Geschäfte auf unbestimmte Zeit dichtgemacht, um sich neu zu organisieren. Endzeitstimmung ist aufgekommen, das hat Teresa und mich dazu bewegt, unsere Familien zu besuchen.

»Mittlerweile hat sich bestätigt, dass der plötzliche Wintereinbruch auf der ganzen Welt stattgefunden hat«, trägt die Nachrichtensprecherin ernst vor. »Selbst in der Wüste Dascht e Lut, dem offiziell heißesten Ort der Erde im Iranischen Hochland, wo im Jahr 2016 eine unglaubliche Höchsttemperatur von über achtundsiebzig Grad gemessen worden ist, herrschen extreme Schneeverwehungen.«

Als ich das höre, schlage ich die Hand vor den Mund und schüttle fassungslos den Kopf. Dabei spüre ich noch immer leichte Schmerzen im Nacken und im Handgelenk, die aber schon weniger geworden sind und glücklicherweise meine einzigen Nachwirkungen vom Unfall darstellen.

Mom befindet sich neben mir und macht ebenfalls nichts anderes, als wie versteinert dazusitzen und all die erschreckenden Eilmeldungen über sich ergehen zu lassen. Steif hält sie das rote Sofakissen umklammert und gibt keinen Ton von sich. Das wundert mich nicht. Genau wie alle anderen versteht sie nicht, was los ist. Absolut niemand scheint das zu tun, nicht einmal die klügsten Köpfe unseres Landes.

»Hier«, sagt Dad, als er ins Wohnzimmer zurückkommt, und gibt mir einen Kräutertee.

Ich schaue auf die hellgrüne Tasse, aus der es dampft, dann richte ich die Augen auf meinen Vater. »Normalerweise trinke ich ja keinen heißen Tee im Juli, das ist irgendwie ein seltsamer Gedanke.«

»Der wärmt dich und ist außerdem gut für die Nerven«, meint er und hält mir das Gefäß direkt vor die Nase.

Er hat recht. Im Moment ist einfach alles anders.

Lächelnd nehme ich die Tasse an mich. »Danke, Dad.«

Zwischen Mom und mir nimmt er Platz und stellt seine eigene Tasse, die er in der anderen Hand gehalten hat, auf dem Couchtisch ab. Merklich atmet er durch und bemerkt, dass Mom ihren Tee nicht angerührt hat, obwohl dieser inzwischen kalt ist. Besorgt sieht er ihr in die Augen. »Weiß man inzwischen mehr?«, fragt er.

»Nein …«, murmelt sie angespannt und kann ihren Blick nicht vom großen LED-Fernseher lösen. So habe ich sie noch nie erlebt. »Gerade wurde noch mal gesagt, dass sämtliche Wissenschaftler vor einem großen Rätsel stehen.«

»Das habe ich befürchtet.« Trübsinnig schaut er zu mir.

Ratlos zucke ich mit den Achseln und halte die Tasse fest, die meine Finger wärmt. Zwar ist es im Wohnzimmer meiner Eltern nicht kalt, doch durch den Stress ist meine Durchblutung momentan nicht die beste und ich bin sowieso schon immer eine Frostbeule gewesen, die schnell friert. »Natürlich sprechen schon viele darüber, dass die Vorkommnisse mit dem Klimawandel zu tun haben«, sage ich und muss dabei an Teresas Gespräch mit diesem Ben denken, »aber das allein ist noch keine plausible, vollständige Erklärung.«

Nüchternen Blickes nickt Dad. »Heißt es nicht, dass die Erde sich immer weiter aufwärmt?« Mit einer weiteren Kopfbewegung deutet er auf den Fernseher. »Wie kann dann so etwas passieren?«

Auf dem riesigen Bildschirm sieht man in HD-Auflösung, was er meint: den zugeschneiten Eiffelturm. Den zugefrorenen Loch Ness. Kamele, die nicht über Sanddünen, sondern Schneehügel stapfen. Sorgenfreie Kinder, die vergnügt draußen spielen und sich eine Schneeballschlacht nach der anderen liefern. Aber auch alarmierte Politiker, die verzweifelt über das Phänomen debattieren, und darüber, was zu tun ist. Umweltaktivisten gehen nun erst recht auf die Straße und protestieren, vielleicht ist Ben unter ihnen. Gewisse Gruppierungen sehen das Ende der Welt gekommen. Neue Sekten gründen sich. All das sind schon nach wenigen Tagen Folgen des globalen Winters, der mit einem Schlag über den gesamten Planeten hergefallen ist und seitdem unser aller Leben beherrscht.

»Eins ist klar«, bricht Dad die aufgekommene Stille. »Lange werden wir das nicht durchhalten.« Er nippt an seinem Tee.

Mehr als besorgt sehe ich auf meine Tasse, betrachte den aufsteigenden Dampf und stelle mir vor, wie eine Schneelawine ihn ersticken lässt. »Kein Mensch und kein Tier ist für den ewigen Winter geschaffen, oder?« Mit dieser Frage wende ich mich wieder meinen Eltern zu.

»Eskimos und Eisbären würden es wohl länger als viele andere durchhalten«, mutmaßt Mom.

»Aber ja«, ergänzt Dad ernst. »Sollten die Temperaturen nicht bald zumindest an einigen Stellen auf der Welt wieder steigen, haben wir ein riesiges Problem.«

»Hätten wir auf einmal überall Sommer und der würde für immer bleiben, wäre es das Gleiche in Grün«, wirft Mom ein und winkt traurig ab. »Jedenfalls ist da irgendetwas aus dem Gleichgewicht geraten, und zwar extrem.«

Das ist übel, geht es mir durch den Kopf und ich widme mich wieder den Nachrichten, die im Moment einer apokalyptischen Hollywood-Dystopie entsprungen zu sein scheinen.

Tatsächlich fühle ich mich, als wäre ich im falschen Film gelandet. Mehr als einmal habe ich in den vergangenen zwei Wochen gehofft, dass ich bloß in einem abgedrehten Albtraum gefangen bin. Doch dann vergeht wieder ein Tag, ohne dass ich aus diesem Horrorszenario erwache. Zwischendurch kneife ich mich und merke einmal mehr, dass dieser ganze Wahnsinn unsere neue Realität ist. Wenn wir Pech haben, ist sie das für immer. So jedenfalls prophezeien es bereits die Pessimisten unter uns, nicht zuletzt Verschwörungstheoretiker und Sektenanhänger, eben Leute, die ich vor kurzem noch belächelt hätte. Mittlerweile jedoch frage ich mich, ob sie recht haben könnten. Denn das, was momentan auf der ganzen Welt vorgeht, gab es noch nie. Höchstens vor Tausenden von Jahren in der Eiszeit und die ist für die damaligen Lebewesen bekanntlich nicht gut ausgegangen. Aber wie lässt sich der jetzige Wetterumschwung erklären, wenn er urplötzlich und auf dem ganzen Planeten auftritt? In dem Zusammenhang an höhere Mächte oder Aliens zu glauben erscheint mir inzwischen weniger gewagt, als ich vor ein paar Tagen noch gedacht hätte.

Dad lehnt sich zurück und sagt mit unheilvoller Stimme: »Uns rennt die Zeit davon.«

III.

Kristen

Über den dicken roten Wollpulli, den ich anhabe, streife ich mir meinen beigen Wintermantel. Dann setze ich mir die weiße Mütze auf und stecke die dazu passenden Handschuhe in die Manteltaschen, um sie griffbereit zu haben. Schließlich wickle ich mir den gleichfarbigen Schal um den Hals. In den schwarzen gefütterten Stiefeln, in die ich geschlüpft bin, marschiere ich zur Haustür.

Unweigerlich fällt mir damit ein weiterer Grund dafür ein, warum ich mich nicht für den Winter begeistern kann, egal ob er zur Adventszeit oder völlig unerwartet und entgegen jeder Logik Ende Juli kommt: Bei winterlichen Temperaturen nach draußen zu gehen ist ein umständliches Unterfangen, denn bis man sich fertig angezogen und in genügend Schichten gepackt hat, dauert es ewig. Ich hasse das, dafür fehlt mir die Geduld.

Aber es nützt nichts. Da die Uni erst nächste Woche wieder ihre Pforten öffnet und auch viele andere Einrichtungen in einer Art Lockdown-Modus ausharren, weil niemand versteht, was los ist, fällt mir die Decke auf den Kopf. Meine Eltern lenken sich mit ihrer Arbeit als hochangesehene Ingenieure im Homeoffice ab, das geht für mich jedoch nicht, denn ich kann weder in die Bibliothek gehen noch ins Restaurant zum Jobben. Inzwischen bin ich zwar wieder in der Studentenwohnung, aber im Gegensatz zu Teresa bin ich ein Einzelkind und habe keinen großen Bruder, den ich in dieser verrückten Zeit besuchen kann, so wie sie es gerade tut. Nachdem ich gefühlt die letzten achtundvierzig Stunden ununterbrochen vor dem Laptop verbracht habe, um die Horrornachrichten weiter zu verfolgen, muss ich unbedingt an die frische Luft und mir die Beine vertreten. Ganz freiwillig, ohne Ziel. Dass ich das mache, obwohl es draußen saukalt ist, will echt etwas heißen.

Genau in dem Moment, als ich das Gebäude verlasse, in welchem ich mit Teresa zur Miete wohne, fängt es an zu schneien.

Das war ja klar.

Ich ziehe die Mütze weiter nach unten über meine Stirn, in der Hoffnung, dass mir dadurch etwas weniger von den eiskalten Flocken ins Gesicht und vor allem in die Augen wehen. Anschließend setze ich mich in Bewegung und stapfe mitten im eigentlich sommerlichen Denver durch den Schnee. Beißende Kälte frisst sich in meine Wangen, Nasenspitze und auch Lungen. Bibbernd ziehe ich die Handschuhe schon nach wenigen Minuten an.

Es ist so bizarr. Dort, wo jetzt Restaurants geöffnet haben und Menschen davor an den Outdoor-Tischen sitzen sollten, sehe ich verbarrikadierte Geschäfte, vor denen Schneeschieber an die Wand gelehnt stehen. Kaum ein Auto rollt über die Straße, denn zu viele haben Angst davor, einen weiteren Wetterumschwung zu erleben und einen schlimmen Unfall zu haben, wie es beim plötzlichen Wintereinbruch passiert ist. Stattdessen tollen Kinder auf der Straße und haben den Spaß ihres Lebens, weil sie sich mit kleinen und größeren Schneebällen bewerfen. Außerdem habe ich die Innenstadt noch nie so … leer erlebt. Man könnte fast meinen, dass der sogenannte Sommerwinter Denver guttut und der Metropole ermöglicht sich einmal von den Menschen- und Automassen, die sich hier normalerweise tummeln, zu erholen. Aber ich weiß es besser und bin mir darüber im Klaren, dass das, was gerade mit der Welt passiert, auf lange Sicht eine Katastrophe ist.

Nachdem ich eine Weile gen Südosten spazieren gegangen bin, erreiche ich den Cherry Creek State Park. Inmitten von einigen anderen Fußgängern gehe ich den Weg entlang, vorbei an den schlagartig kahl gewordenen Bäumen, die in den letzten Tagen erschrocken ihre Blätter abgeworfen haben. Letztlich stehe ich vor dem Stausee, für den Denver über die nordamerikanischen Grenzen hinaus bekannt ist. Staunend lasse ich den Blick schweifen und betrachte den einst künstlich angelegten Cherry Creek Lake. Schnee ist im Winter zwar nicht ungewöhnlich an diesem Ort, aber da der See über drei Quadratkilometer groß ist und bis zu acht Meter Tiefe hat, kann ich mich nicht daran erinnern, ihn jemals komplett zugefroren gesehen zu haben. Nun hingegen haben sich ein paar wahnwitzige Jugendliche aufs Eis vorgewagt und springen gerade grölend auf dem See herum, wohl ohne genau zu wissen, wie dick die gefrorene Schicht ist und wie lange es im Park noch so kalt bleiben wird. Drei junge Männer, die ich auf höchstens siebzehn schätze, zähle ich auf dem Eis. Stolz posieren sie und winken den jungen Frauen, die am Ufer stehen, zu. Als würden sie gerade grenzenlosen Mut beweisen anstatt puren Leichtsinn. Darüber kann ich nur verständnislos den Kopf schütteln und ihnen wünschen, dass keiner von ihnen ins Eis einbricht.

Ich wende mich ab und setze meinen Weg, der kein Ziel kennt, fort. Als ich tiefer in den Park hineingelange, erreiche ich eine Stelle, an der die kahlen Bäume besonders dicht nebeneinanderstehen. Zwischen ihnen sehe ich Kinder vergnügt im Schnee herumtollen und merke, wie sehr ich mich für die Kleinen freue, weil sie nicht in Panik geraten sind, sondern das Hier und Jetzt feiern … eben das Beste aus der Situation machen, anstatt sich zu verkriechen.

Als Kind kann man das ja machen. Aber als Erwachsener …

Plötzlich überkommt mich ein Gefühl der Einsamkeit. Ich bleibe stehen, ziehe den einen Handschuh aus und krame mein Handy hervor, um zu prüfen, ob mir jemand geschrieben hat. Wie ich sehe, gibt es ein paar neue Nachrichten in der Chatgruppe, die ich mit Teresa und ein paar anderen Kommilitoninnen habe:

Was macht ihr dieses Wochenende?

Keine Ahnung, so weit plane ich nicht im Voraus.

Genau, bestimmt ist bis dahin die Welt sowieso untergegangen.

Mal was anderes: Habt ihr schon die neuen Fotos von Sebastian auf Instagram gesehen?

Ja! Nicht zu fassen, dass er sein Motorrad zum Schneemobil umgebaut hat.

Ich finde es eher erstaunlich, dass er mit dieser Laien-Konstruktion immer noch am Leben ist.

Ist er das denn? Seit vorgestern hat er kein neues Bild mehr gepostet.

Nachdem ich die neuen Zeilen gelesen habe, ziehe ich auch den anderen Handschuh aus und schreibe meinen Freundinnen zurück:

Also vor unserer Wohnung kann Sebastian gerne jeden Morgen schneeschieben, oder Teresa? Er schuldet uns sowieso noch …

Platsch!

Weiter komme ich nicht mit dem Tippen, denn auf einmal sehe ich nichts mehr und meine Wangen werden innerhalb weniger Sekunden unangenehm kalt. Soeben ist mir ein dicker Schneeball ins Gesicht geflogen und da ich nicht hingesehen habe, habe ich nicht einmal ansatzweise versucht auszuweichen. Dementsprechend hat mich der große, gefrorene Ball wortwörtlich eiskalt erwischt und schiebt sich gerade der Schwerkraft zum Opfer fallend über meinen Mund nach unten.

Entgeistert wische ich den Schneebrocken mit der freien Hand aus meinem Gesicht.

»Ups!«, höre ich eine piepsige Stimme rufen, darauf folgt Gekicher.

Blinzelnd stecke ich das Smartphone weg und befreie mein Gesicht vom restlichen Schnee. Dann entdecke ich die Kindergartenkinder, denen ich die Abreibung zu verdanken habe: Rechts und links vom Weg stehen sie zwischen den Bäumen, anscheinend bekämpfen sich zwei Fronten, in deren Schusslinie ich geraten bin.

»Passt doch auf!«, schimpfe ich genervt und verenge vorwurfsvoll die Augen.

»Entschuldigung«, beteuert ein Mädchen im türkis-gelben Schneeanzug.

Kopfschüttelnd schnaufe ich und klopfe mir die restlichen Flocken vom beigen Mantel. Dann bemerke ich, dass sämtliche Kinder, die in die Schneeballschlacht verwickelt gewesen sind, noch immer stocksteif dastehen und mich angucken.

Wenn ich so darüber nachdenke, haben sie mir unbeschwert und fröhlich besser gefallen.

Wann genau habe ich eigentlich aufgehört, wie sie zu sein, wenn es um den Winter geht? Das muss an dem Tag gewesen sein, als ich meinen Skiunfall hatte.

Eben noch habe ich daran gedacht, wie toll es ist, dass die Kinder im Hier und Jetzt leben und das Beste aus der Situation machen. Wie kann auch ich aus der Situation das Beste machen, und zwar für uns alle?

Ich kneife die Augen weiter zusammen und setze ein Grinsen auf. »Na wartet«, murmle ich und ziehe mir die Handschuhe wieder an. Dann gehe ich in die Knie und nehme eine gehörige Portion Schnee in die Hände, damit erhebe ich mich wieder und fange an einen großen Ball zu kneten.

»Oh-oh«, macht eins der Kinder und lacht vorfreudig, als ihm klar wird, was ich vorhabe.

Auch die anderen fangen an zu quietschen und zu prusten.

»Meine Rache wird grausam sein«, verkünde ich mit alberner Stimme, stapfe auf die Jungen und Mädchen links von mir zu und knete den Schneeball fester.

»In Deckung!«, ruft der eine Junge und rennt los.

Ein Mädchen schreit auf und ergreift ebenfalls die Flucht. »Das Monster kommt!«

»Frechheit«, kommentiere ich meinen neuen Spitznamen mit einem Schmunzeln und gehe ebenfalls ins Laufen über.

Gespielt panisch hetzen die Kinder zwischen den Bäumen von mir weg, dicht gefolgt von mir, dem attackierenden Monster.

Schließlich bremse ich ab, ziele auf den Jungen, der als Erstes in meinen Fokus gerät, und feuere meinen Racheball ab. »Nimm das!«

»Daneben, daneben!«, ärgert er mich und führt einen Tanz auf, der mich zweifellos provozieren soll.

Ich mache ein Geräusch, das gruselig klingen soll, und stürme auf die Bande zu. Kreischend und lachend rennen sie wieder vor mir weg.

»Jetzt haben wir sie!«, erklingt es hinter mir von einem Mädchen.

Also bleibe ich stehen und drehe mich um.

»Auf das Monster!«, führt sie ihre Soldaten an, die sich unterdessen mit neuen Schneebällen bewaffnen.

Auch die Kinder, denen ich nachgejagt bin, versammeln sich um mich und schaufeln sich Schnee vom Boden, um ihn zusammenzupressen und zu Kugeln zu formen.

»Alle gegen einen, wirklich?«, beschwere ich mich, kann allerdings immer noch nicht aufhören zu grinsen und forme ebenfalls meinen nächsten Schneeball.

Bevor ich jedoch dazu komme ihn abzufeuern, weist das Mädchen die anderen Kinder an mich mit vereinten Kräften niederzustrecken: »Los, Angriff!«

Mehr Schneebälle, als ich zählen könnte, werden aus sämtlichen Richtungen auf mich gefeuert. Kreischend lasse ich den Schnee fallen und reiße die Hände schützend vors Gesicht. Nicht alle Bälle treffen mich, dennoch sind es mehrere, die gegen mich prallen. Obwohl mir natürlich keiner davon ernsthaften Schaden zufügt und ich diesmal auf den Kälteschock, den sie auslösen, vorbereitet bin, gebe ich leiderfüllte Geräusche von mir und fasse mir theatralisch an die Brust. »Das … ist unfair …«, wimmere ich und sacke zu Boden, als hätten sie mich, das Monster, erlegt.

Die Kleinen brechen in Jubel aus und feiern ihren Sieg.

»Kinder!«, höre ich eine Frau rufen. »Kommt, wir gehen weiter!«

Während ich mich aufrichte, laufen sie davon und folgen dem Ruf der Erwachsenen.