Jackpot gesucht! - A. Speemann - E-Book

Jackpot gesucht! E-Book

A. Speemann

0,0

Beschreibung

Für Mia sind Männer Wegbegleiter: austauschbar wie jedes Hobby oder jeder Arbeitgeber. Ihr Leben dreht sich um immer wiederkehrende Neuanfänge. Damit kommt sie bestens zurecht. Doch als ihre Mutter heiratet, trifft sie auf den Trauzeugen ihres Ziehvaters - für sie ein "Grufti", der in festen Strukturen lebt. Er hält sie für eine Nervensäge und will eigentlich nur seine Ruhe. Trotzdem verbindet die beiden ein impulsiver Kuss über Jahre hinweg. Als Krisenmanager und Vertraute begleiten sie sich durch Höhen und Tiefen, bis aus Freundschaft mehr wird. Nach einer stürmischen Affäre trennen sich ihre Wege - aber kann das Schicksal sie wieder vereinen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 581

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


A. Speemann, geboren und aufgewachsen in Dresden, bestreitet ihren Alltag mit zwei Kindern und zwei Katzen. In ihrer Freizeit taucht sie gelegentlich ab in Fantasiewelten, die sie gerne schriftlich festhält.

Bisherige Veröffentlichungen

In Liebe, Jean (BoD)

Neues Jahr, neues Glück (BoD)

Mia, ich frag mich ab und an, wieso du Schmetterlinge auf deinem Körper trägst – viele kleine bunte. Was inspiriert dich dazu? Seitdem wir uns kennen und ich immer wieder neue kleine Zeichnungen auf deiner Haut entdecke, lautet meine häufigste Suchanfrage: Schmetterlinge. Unterdessen kenne ich viele sogar mit ihrem lateinischen Namen. Ohne dich hätte ich nie gewusst, wie viele verschiedene Arten es gibt. Nichts darüber, wie Schmetterlinge sich fortpflan- zen, nichts über ihre außergewöhnlichen Sinne. Nichts über ihre Lebensdauer – nichts über ihre Schönheit.

Durch dich seh ich jedes Jahr aufs Neue all die kleinen Falter, die es vorher für mich nie gab. Die Abbilder auf dir sind winzige, detailgetreue Kunstwerke. Auf deiner Haut leben sie länger als in der Realität und sind so frei wie du. Wärst du ein Schmetterling, dann wärst du kunterbunt und würdest im Sonnenlicht glitzern.

(Piet)

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Mia (23 Jahre)

Piet (38 Jahre)

Kapitel 1

Mia (27 Jahre)

Kapitel 2

Piet (39 Jahre)

Kapitel 3

Mia

Kapitel 4

Piet

Kapitel 5

Mia

Kapitel 6

Piet

Kapitel 7

Mia

Kapitel 8

Piet

Kapitel 9

Mia

Kapitel 10

Piet

Kapitel 11

Mia

Kapitel 12

Piet

Kapitel 13

Mia

Kapitel 14

Piet

Kapitel 15

Mia

Kapitel 16

Piet

Kapitel 17

Mia

Kapitel 18

Piet

Kapitel 19

Mia

Kapitel 20

Piet

Kapitel 21

Mia

Kapitel 22

Piet

Kapitel 23

Mia

Kapitel 24

Piet

Kapitel 25

Mia

Kapitel 26

Piet

Kapitel 27

Mia

Kapitel 28

Piet

Kapitel 29

Mia

Epilog

Mia (30 Jahre)

Piet (47 Jahre)

Prolog

Mia (23 Jahre)

Wie peinlich! Ich zückte mein Handy und machte einen Mitschnitt. Ohne Beweis würden meine Freunde mir nie im Leben glauben, was hier abging. Gerade begann die nächste Folter. Die Freundinnen meiner Mum hatten sich als Achtziger-Jahre- Popikonen verkleidet und sangen voller Inbrunst. Abartig!

Ich befand mich auf der dritten Hochzeit eines Elternteils – wenigstens war es diesmal die meiner Mum. Meine Begeisterung hielt sich trotzdem in Grenzen.

Diese aufgesetzte Freude, all die gefühlsduseligen Worte, die blöden Glückwünsche, die albernen Traditionen, die man angeblich eben machen sollte. Kitsch. Bäh, nicht mein Fall.

Vor wenigen Minuten hatte ich auch noch den Brautstrauß gefangen. Unabsichtlich. Er war mir direkt an den Kopf geflogen. Meine Mum hatte vor Freude gekreischt, als wäre mein Schicksal damit besiegelt. Quatsch.

Ich fragte mich, auf wie vielen Hochzeitsfeiern meiner Eltern ich noch tanzen sollte? Gut, ich tanzte nicht und meine Mum war beständig – wenn, dann würde nur mein Vater die Frau an seiner Seite austauschen, sobald sie ihm zu alt wurde. So hatte er es zumindest bisher gehandhabt.

Die nächste Frau Fischer würde jünger sein als ich. Ein erschreckender Gedanke. Mein Vater war definitiv dafür verantwortlich, dass ich eine Heirat für nichts Erstrebenswertes hielt.

Es war Mums großer Tag und sie war glücklich. Ich freute mich für sie, denn wenn jemand die große Liebe verdient hatte, dann sie.

Gerade strahlte sie ihren Mann an. Wahrscheinlich konnte sie ihr Glück kaum fassen. Paul, mein Ziehdaddy, war vierzehn Jahre jünger als sie und optische Perfektion. Heute besonders. Er sah aus, als wäre er aus einem Hochzeitsmagazin entstiegen: mit strahlend blauen Augen, die meine Mum schmachtend anblickten. Kennen und lieben gelernt hatten sie sich auf Reisen. Sie waren zehn Monate zusammen unterwegs gewesen.

Meine Mum war an Pauls Seite aufgeblüht. Durch Paul hatte sich nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch meins. Kurz nach ihrer Wiederkehr hatte sie mir ihre Wohnung überlassen und war zu ihm gezogen. In ein Kaff an der Ostsee.

Ich fühlte mich gerade fehl am Platz, aber Verschwinden funktionierte nicht, denn wir befanden uns auf einer Yacht, mitten auf der Ostsee. Keine Fluchtmöglichkeit in Aussicht. Wenigstens gab es genügend Alkohol an Bord und einen Joint in meiner Handtasche. Zeit, mir einen ruhigen Platz zu suchen.

Ich lief jedes Deck ab, um ungestört mein Weinglas zu leeren, in Ruhe eine Zigarette zu rauchen und, um mich danach unbemerkt meinem Joint zu widmen. So der Plan.

Ich fand dieses Plätzchen, aber mein Feuerzeug nicht. Mist. Keine Ahnung, wo ich es liegengelassen hatte. Ich ärgerte mich über mich selbst und führte fluchende Selbstgespräche, bevor ich meine Rettung erblickte. Unweit von mir stand einer von Pauls Trauzeugen, rauchend. Perfekt. Feuer war gesichert.

Der Typ sah genauso lost aus, wie ich mich den gesamten Tag über gefühlt hatte. Er stand an der Reling, den Blick aufs Wasser gerichtet und schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein. Er bemerkte mich nicht einmal, als ich direkt neben ihm stand.

Meine Augen checkten ihn im Schnelldurchlauf ab, bevor sie an seinem linken Unterarm hängen blieben. Sein Hemdärmel war hochgekrempelt, Sehnen spannten sich unter gut gebräunter Haut und Tattoos. Wow! Seit wann faszinierten mich Unterarme? Egal. Feuer. Ich wollte Feuer.

»Hey Trauzeuge, hast du Feuer für mich?«, holte ich ihn zurück in die Realität.

Er zuckte erschrocken zusammen, bevor er den Blick vom Meer löste und sich mir zuwandte. Graue Augen musterten mich sehr intensiv. Danach zuckte ein spöttisches Grinsen über seine Mundwinkel. Er sah mich an, als sei ich ein Teenie und würde ihn nach etwas Verbotenen fragen.

»Bekomme ich Ärger mit Helene, wenn ich dir Feuer gebe?«

Krass. Was war das denn? Seine Stimme klang gleichzeitig nach Honig und Reibeisen. Tief, kratzig und extrem sexy. Holy shit. Dieser Tonklang bescherte mir kurzzeitig ein Kribbeln auf meiner Haut.

»Den würdest du nur bekommen, wenn du mein Feuer entfachst, aber dafür bist du locker zehn Jahre zu alt«, konterte ich.

Ich sah ihm an, dass er über meine Worte nachdachte.

»Rauchen kannst du aber schon selbst?«, fragte er mich, während er mir Feuer gab.

Sein Blick war bohrend. Er ließ mich nicht aus den Augen, als wolle er meine Gedanken lesen.

»Schneewittchen ist unglücklich«, grummelte er.

War das eine Frage oder eine Feststellung?

»What? Ich bin weder Schneewittchen noch unglücklich.«

Er lächelte flüchtig, bevor er sich wieder der Aussicht widmete.

»Du hast schneeweiße Haut und lange schwarze Haare«, erklärte er viel mehr dem Wasser als mir.

»Wenn, dann bin ich Dornröschen. Ich hab den Brautstrauß gefangen und mich glatt daran verletzt.«

Er sah mich wieder an. Erheitert. Grübchen zeichneten sich auf seinen Wangen ab.

»Wie kann man sich an einem Brautstrauß verletzen?«

»Dornen!«

»Okay, dann doch eher Dornröschen. Gott sei Dank bist du nicht auf der Stelle eingeschlafen«, witzelte er.

»Ja, Gott sei Dank. Hier draußen fände mich kein Prinz, um mich wachzuküssen«, sprudelte es aus mir heraus.

Meine Lippen bekamen seine Aufmerksamkeit. Er starrte mir auf den Mund. Freak.

»Das wäre wirklich schade.«

Ich schenkte ihm mein süßestes und unschuldigstes Lächeln, bevor ich neugierig fragte: »Was hat dich von der Party vertrieben? Warum hast du dir ein ruhiges Plätzchen gesucht, um hier alleine abzuhängen?«

Er zündete sich die nächste Zigarette an.

»Ich hänge hier nicht alleine ab.«

Ich sah mich suchend um. Wir waren alleine.

»Ich wusste gar nicht, dass Gruftis noch imaginäre Freunde haben. Hat deiner einen Namen?«, amüsierte ich mich.

Er zog seine rechte Augenbraue hoch und blickte mich ungläubig an. Seine linke Hand massierte kurz seinen Nacken. Er stöhnte genervt.

»Hast du mich eben als Grufti bezeichnet? Ich mag nicht mal Gothic.«

Wie kam er denn auf die Idee? Ganz eindeutig Grufti. Ich kicherte ausgelassen.

»Ich meinte damit, dass du eben alt bist. Hatte gar nichts mit Musik zu tun«, klärte ich ihn auf und kämpfte gegen das schallende Lachen an, das in mir saß.

»Achso.«

Er wirkte aufgewühlt, obwohl seine Antwort nicht so geklungen hatte. Wahrscheinlich fühlte er sich nicht alt, dachte ich. Im Gegensatz zu mir war er das aber. Ich führte selten Gespräche mit reiferen Männern. Da er Pauls Trauzeuge war, nahm ich an, dass die beiden etwa gleich alt waren. Paul war zwar viele Jahre jünger als meine Mum, aber für mich trotzdem ein Grufti.

»Hast du schon einen Schulabschluss?«, holte er mich aus meinen Gedanken.

Wieder lag Spott in seinen Augen. Schon klar. Diese Frage war sein Return auf meine Gruftiaussage. Ich tat ihm den Gefallen und spielte mit. Ich klimperte mit meinen Wimpern und lächelte mein Gegenüber brav an.

»Abi gerade bestanden – vor drei Jahren. Wie heißt nun dein imaginärer Kumpel?«

Er atmete schnaufend durch.

»Keine Ahnung. Nervensäge würde passen.«

Ich schubste ihn.

»Hallo? Ich habe dich noch nicht einmal ansatzweise genervt. Du hast...«

»Doch. Deinen Namen habe ich leider vergessen. Sorry. Nervensäge ist perfekt. Du bist nervig und unverschämt. Hoffentlich existierst du nur in meinem Kopf«, fiel er mir ins Wort.

Genervt klang seine Stimme noch viel geiler. Womöglich würde der Abend doch noch amüsant.

»Mia, ich heiße Mia und wüsste ich deinen Namen, müsste ich nicht unverschämt sein. Ich könnte dich damit ansprechen.«

In seinen Augen spiegelte sich Belustigung. Er spielte also nur den mürrischen, alten Kerl.

»Freut mich, dich kennenzulernen, sage ich besser nicht. Ich bin Piet.«

Ich erinnerte mich, seinen Namen hatte ich schon mal gehört.

»Weshalb bist du nicht am Feiern, sondern nervst jetzt ausgerechnet mich, Mia?«, fragte er.

»Keine Ahnung. Ich finde Hochzeiten total bescheuert«, ließ ich ihn wissen. »Außerdem gibt es hier nicht mal einen Kerl für mich. Bei den Hochzeiten meines Vatis gab es wenigstens immer einen Typen in meinem Alter und damit Unterhaltung für mich. Hier? Alles Paare. Furchtbar. Wo ist deine Frau hin? An Bord ist sie nicht. Bei der Trauung war sie aber noch mit dabei. Ist euer Zwerg noch nicht feiertauglich?«, laberte ich ihn voll.

Er stöhnte.

»Wie alt bist du?«

Kurzzeitig war ich konfus von seiner Gegenfrage.

»Nur ein Thema für Gruftis?«

Er schnaufte und verdrehte seine Augen.

»Ich brauche Alkohol. Du auch?«

Er deutete auf das leere Weinglas, das ich auf dem Boden abgestellt hatte.

»Gerne.«

»Wein oder auch Whisky?«

»Wein. Oder einen Aperol mit Erdbeeren.«

»Wenn ich Glück habe, bist du verschwunden, wenn ich zurückkomme«, ließ er mich wissen.

»Kannst du vergessen. Das hier ist der einzig erträgliche Platz, Grufti. Lässt du mir dein Feuerzeug da?«

Er reichte es mir schweigend, bevor er verschwand.

Ich nahm seinen Platz ein und schaute hinaus aufs Meer. Die Lichterketten spiegelten sich auf der Wasseroberfläche. Musik drang gedämpft zu mir herüber. Lachen, Worte, die zu leise waren, um sie zu verstehen.

Ich fühlte mich augenblicklich wieder lost. Der Moment, in dem mir mein Joint wieder einfiel. Einmal gefühlte Tiefenentspannung an diesem Tag war dringend nötig. Mein Blick fiel auf mein leeres Weinglas. Sicher würde Piet nicht wieder auftauchen – angepisst von meiner vorlauten Klappe. Perfekt. Ich konnte ungestört rauchen. Meine Finger spielten mit seinem Feuerzeug, während meine andere Hand in meiner Tasche kramte. Ich fand, was ich suchte und zündete mir meine Tiefenentspannung an. Mein Kopf war sofort frei. Einbildung, schon klar.

»Es riecht verdächtig nach Gras«, grollte es wenig später hinter mir.

Mist, Piet war doch zurückgekommen. Ertappt, wedelte ich den Rauch in Richtung Meer.

»Das ist kein Gras. Nur eine selbstgedrehte...«

Sein Lachen unterbrach meine Ausrede. Tief, dreckig, sexy. Auweia, schon wieder waren das meine einzigen Gedanken.

»Wem willst du das weismachen? Ich verpetz dich, wenn du mich nicht ziehen lässt!«

Ich ließ ihn ziehen. Nicht, weil ich Angst hatte, er könnte mich verpetzten, sondern weil ich ihn erschreckend sympathisch und attraktiv fand. Also – zumindest für einen Grufti war er erschreckend attraktiv. Er war groß, locker an die eins neunzig und schlank, ohne dürr zu wirken. Dabei fehlte ihm ganz eindeutig Muskelmasse. Seine Haare waren krass. Schwarz, dicht, halblang, wirr. Ich war mir nicht sicher, ob man das Wirre als lockig bezeichnen konnte? Meine Mum und mein Bruder hatten furchtbar springende Kringellocken. Seine sahen anders aus. Größer, ungleichmäßig, wild.

Gott sei Dank, waren mir Mums Locken erspart geblieben, dachte ich. Er war kein Model-Typ wie Paul, aber auf jeden Fall ein Highlight mit markanten Gesichtszügen. Seine Haut schimmerte in der Abendsonne, während er entspannt an meinem Joint zog. Eine mystisch strahlende Aura ging von ihm aus.

»Hand aufs Herz, Prinzessin: Warum hast du dir nicht einfach eine Begleitung mitgebracht? Gab doch sicher kein Verbot von Helene.«

Prinzessin? Ich schnappte kurz nach Luft. Den giftigen Kommentar, der auf meinen Lippen lag, schluckte ich herunter.

»Meine Mum hätte einen Herzkasper bekommen, wenn ich den mitgebracht hätte, den ich gerade date. Ganz einfach. Herzinfarkt am Hochzeitstag hätte gleich wieder Ärger gegeben«, antwortete ich stattdessen.

»Gibt’s da oft Ärger?«

Er musterte mich ungeniert.

»Safe.«

Auf seiner Nasenwurzel hatten sich zwei irritierte Falten gebildet. Ich unterdrückte mir ein Schmunzeln.

»Safe heißt sicher«, klärte ich ihn auf.

»Das war mir klar«, knurrte er. »Wieso gibt es da Ärger? Ist doch deine Angelegenheit.«

»Schön wärs. Ich habe aber viel Talent mir Katastrophen zu angeln, also laut meiner Mum und meinem Bruder. Im letzten Jahr hat eine der Katastrophen Mums Schätze geklaut. Ich habe das nicht einmal mitbekommen.«

Konnte man skeptisch und besorgt gleichzeitig gucken? So sah er mich zumindest an.

»Nicht wirklich? Wieso hast du das nicht mitbekommen?«

Seine Fragen nervten.

»Weil ich verliebt war und blind. Ich habe daraus gelernt. Echt.«

»Du nimmst niemanden mehr mit nach Hause?«

Wie blöd war der denn?

»Doch, aber ich verliebe mich einfach nicht mehr. So was passiert mir nicht noch mal.«

»Was jetzt genau? Das mit dem Verlieben oder dass dir einer die Bude ausräumt?«

Ein verschmitztes Grinsen schlich sich auf seine Lippen.

»Blödi. Tust du so oder bist du so?«

Statt zu antworten setzte er die Whiskyflasche an. Zeit für die Retourkutsche.

»Hand aufs Herz, Grufti: Wieso ist deine Frau nicht mit an Bord?«

Er trank noch einen Schluck, bevor: »Wir sind nicht verheiratet«, über seine Lippen kam.

Diese Aussage war keine Antwort auf meine Frage.

»Okay, dann seid ihr eben nicht verheiratet. Aber ihr seid doch trotzdem zusammen, oder nicht?«, hakte ich nach.

»Joa.«

Ich wartete.

»Kommt da noch mehr oder ist Joa deine Antwort?«

Schweigen.

»Fenja ist kein Fan deiner Mutter und auch keiner von Paul«, antwortete er irgendwann.

»Aber du bist Pauls Trauzeuge. Kann man ja mal über seinen Schatten springen.«

Kurzes Schnaufen, bevor tonlos seine Antwort kam.

»Fenja springt nicht.«

Ich versuchte, seine Mimik zu lesen. Angespannt und angepisst.

»Und weshalb trifft dich das? Du hast dich verkrümelt, dabei könntest du doch mit den Anderen einfach feiern. Du kennst die im Gegensatz zu mir ja sicher alle.«

Seine Hand massierte kurz seinen Nacken.

»Gib mir noch mal deinen Joint.«

»Nur im Austausch gegen eine ehrliche Antwort«, flötete ich und zog noch einmal.

Er nickte. Ich überließ ihm den Rest.

»Wie eng ist der Kontakt zwischen dir und deiner Mutter?«

Hielt er mich für eine Petze?

»Hast du Schiss, dass ich deine Gedanken ausplaudere? Brauchst du nicht. Ich bin schon ziemlich angetrunken. Wenn ich die Flasche hier exe, weiß ich morgen von nichts mehr.«

Gut, das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Ich kannte meine Grenzen. Er mich nicht. Sein Blick war wieder aufs Meer gerichtet.

»Wir hatten Zoff.«

Das war mir klar.

»Weshalb?«

Er fuhr sich durch seine Haare, was vollkommen sinnlos war, denn der Wind blies sie sofort wieder durcheinander.

»Sie meinte, sie habe sich immer als Pauls Braut gesehen.«

Auweia, so etwas behielt man besser für sich und sprach es nicht aus. Nicht einmal, wenn man davon wirklich überzeugt war.

»Autsch. Das klingt beschissen. Kapiere ich aber nicht. Waren die mal ein Paar?«

Er atmete angespannt.

»Kann man so sagen.«

Ich starrte ihn fassungslos an. Den Ex meiner Besten hatte ich noch nie gedatet.

»Du hast also die Freundin deines Freundes übernommen? Darf man so was?«

Seine Anspannung wurde immer deutlicher, während er dazu schwieg.

»Wie lange seid ihr zusammen?«

Meine Neugier war geweckt und ich wollte unbedingt, dass er weitersprach. Er zuckte kurz mit seinen Schultern.

»Keine Ahnung.«

Ich war konfus.

»Keine Ahnung? Du musst doch wissen, seit wann ihr zusammen seid? Gibt’s keinen Jahrestag?«

Bevor er reagierte, verging eine halbe Ewigkeit – so gründlich überdachte er seine Antwort.

»Immer schon.«

»Immer schon? Was heißt das? Und wie passt dann Paul da rein? Hattet ihr eine Dreiecksbeziehung? Du, Paul und sie? Kläre mich auf, sonst habe ich schräge Bilder in meinem Kopf«, forderte ich ihn ungeduldig zum Reden auf.

»Du bist nervig, Dornröschen.«

Meine Rückhand landete auf seinem Bauch, als ich zum Protest gegen seine Worte zuschlug.

»Ich bin nicht nervig. Ich biete dir gerade die einmalige Gelegenheit, dich bei einer Fremden richtig auszukotzen. Nutze die! Was hier passiert, bleibt hier. Versprochen.«

Er schaute erst auf die Hand, die ihn geschlagen hatte und dann in mein Gesicht. Ein Lächeln sollte als Entschuldigung ausreichend sein. Ich sah ihm an, dass er überlegte, ob er das Risiko eingehen konnte – oder besser, die Chance ergreifen sollte. Sein Blick hatte sich verändert: Eben noch rotzig, lag inzwischen ein Hauch Melancholie in seinen grauen Augen. Krass faszinierend. Einmal Haare raufen, einmal Schnaufen, kurzes Nackenkneten und er hatte sich entschieden.

Was er mir erzählte, klang nach der allerschlechtesten Fake-Reality-Soap. Super Vorlage für RTL. Ich hörte ihm zu, bis er am Ende angekommen war. Danach brauchte ich einen Moment, um über seine Worte nachzudenken.

»Ich glaube, sie wollte dich nur provozieren. Womöglich will sie einfach auch gerne Braut sein. Die meisten Frauen in ihrem Alter wollen das«, gab ich mein Urteil ab.

Inzwischen saßen wir nebeneinander auf dem Boden. Meine Weinflasche war halb leer – oder halb voll. Ansichtssache.

»Niemals. Ich heirate nicht. Das ist Mist, den man nicht braucht.«

Er war so sehr auf Ablehnung, dass es mich reizte, ihn zu ärgern.

»Wieso nicht? Ihr seid solange zusammen, da kann man dann auch heiraten. Oder denkst du, dass es da draußen im WWD noch eine andere Frau für dich geben wird?«

Ich grinste, während er mich aufgebracht anstarrte.

»WWD? Was soll das heißen? Einmal bitte so, dass es normale Menschen verstehen, Herzchen.«

Ich kicherte.

»Worldwide-Datingdingsbum. Klar genug?«.

Frustriertes Stöhnen.

»WWD gibt es nicht wirklich, oder doch?«

Sein Blick war finster.

»Nein Grufti, alles gut. Hab ich gerade spontan erfunden.«

Neben mir atmete es erleichtert auf.

»Puh, Gott sei Dank. Deine Worte sind mir zu – creepy. Sagt man das noch?«

Ich schüttelte meinen Kopf.

»Eher nicht.«

»Fuck, du gibst mir echt das Gefühl uralt zu sein.«

Er wirkte leicht verzweifelt. Ich war amüsiert.

»Sorry, ich werde mich bemühen, verständlicher für dich zu sein. Fuck sagen auch nur noch Gruftis.«

Ein paar Minuten herrschte Schweigen zwischen uns.

»Bisher ging es ohne Trauschein. Ich heirate nicht. Steht nicht zur Debatte«, griff er irgendwann das Thema wieder auf und klang dabei trotzig.

Ich schmunzelte in mich hinein, während die nächsten provozierenden Worte nur darauf warteten, ausgesprochen zu werden.

»Du kannst die aber heiraten. Theoretisch lebt ihr sowieso wie ein altes Ehepaar. Dein Leben ist vorbei. Wovor hast du also Angst?«

Sein verstörter Gesichtsausdruck stachelte mich geradezu an.

»Ich habe keine Angst und mein Leben ist nicht vorbei. Ich habe keinen Bock auf den Mist. Es ist nichts weiter als teures Papier«, ging er mich an.

Mein inneres Kind schlug gerade Purzelbäume.

»Dann ist sie eventuell noch nicht die Richtige. Klingt auch nicht so, als hättest du schon massig viel Erfahrung in anderen Beziehungen«, ärgerte ich ihn weiter.

Mürrischer Blick.

»Brauche ich nicht. Anscheinend sammelst du massig Erfahrungen und dabei springt nicht einmal ein Hochzeitsdate für dich heraus. Ganz schön armselig«, versuchte er mich ebenso zu treffen.

Ich lächelte ihn an.

»Findest du? Kann man sehen, wie man will. Ich habe mein Herz nicht an den Erstbesten verschenkt. Ich will Spaß. Mehr nicht. Sollte Mr. Right irgendwann auftauchen, dann Jackpot. Übersetzung für dich: Hurra. Wenn nicht, ist es auch okay. Mein Date im Moment ist nicht Jackpot. Nur Wegbegleiter und das ist gut so. Der ist verrückt und hat sogar Tattoos im Gesicht. Schon alleine deshalb konnte ich den nicht mitbringen. Mum wäre verzweifelt gewesen«, ließ ich ihn an meiner Welt teilhaben.

Jetzt war der Ausdruck in seinem Gesicht angewidert.

»Gott sei Dank hast du den nicht mitgebracht. Der wäre Gesprächsthema gewesen.«

»I know.«

Er starrte mich wieder eine Weile an, als sei ich von einem anderen Planeten.

»Was machst du eigentlich? Ausbildung? Studium? Arbeiten?«

»Ich studiere BWL. Furchtbar langweilig.«

»Wieso ziehst du es dann durch?«

»Wegen Vincent«, gab ich ehrlich zu.

Meine Antwort ließ ihn Falten auf der Stirn bekommen.

»Wer ist Vincent? Dein Tattoo-Typ?«

Vincent und Tattoos? Unvorstellbar.

»Nein, Vincent war am Gymi ein Jahr über mir und mein Fave. Inzwischen ist er eher Bestie. Aber früher war ich in Vincent verknallt und im Stalking-Rausch. Hat sogar funktioniert. Ich hatte seine Aufmerksamkeit und wir haben zusammen gebüffelt. Nach paar Monaten Beziehung habe ich rausgefunden, dass er bi war. Das war schon okay, aber hat sich seltsam angefühlt. Inzwischen ist er gay. Also, ich habe ungeahnte Talente, nimm dich in Acht. Wir verstehen uns immer noch super. Ich studiere eben weiter. Was sollte ich sonst tun? Ich habe keinen blassen Schimmer. Erwachsen zu sein ist anstrengend«, gab ich zu und trank den letzten Schluck Wein aus.

Die Zeit war dahin gerieselt. Die Mischung aus Joint und Wein machte mich redseliger, als ich eh schon war.

»Ich muss unbedingt die nächste Prüfung bestehen. Mein Dozent ist aber in Wissensvermittlung eine Null, oder ich bin zu blöd. Ich brauche aber diesen blöden Schein«, fuhr ich fort.

Sofort war ich wieder frustriert, denn es gab eine einfache Lösung für dieses Problem, nur widerte die mich an. Auch daran ließ ich Piet teilhaben.

»Ich könnte bestehen, ohne es wirklich zu kapieren, aber der Preis ist mir zu hoch.«

Er sah mich fragend an.

»Der Dozent hat angeboten, mir privat seinen Lernstoff näherzubringen, wenn ich mit ihm ausgehe. Also, angeblich macht der das jedes Jahr mit einer Studentin. Ich bin im Zwiespalt. Der ist uralt. Was, wenn ich nicht ausblenden kann, dass er ein alter Sack ist? Was, wenn ich nicht bestehe? Ich habe normalerweise gar kein Problem mit Dates, die mich weiterbringen. Aber – ich war noch nie mit einem alten Mann unterwegs. Immer, wenn ich denke: Mach es einfach!, habe ich meinen Vater vor meinem inneren Auge und die Frauen an seiner Seite, die immer jünger werden. Ekelhaft.«

»Lerne doch mit Vincent. Der hat die Prüfung doch sicher bestanden.«

»Der steckt mitten im Master und ich will ihm nichts schuldig sein.«

»Dann wirst du den Dozenten daten müssen. Wie alt ist denn alt? Fünfzig?«

Ich war schockiert.

»Fünfzig. Spinnst du? Das wäre älter als Grufti. Ich schätze den etwa vierzig.«

Der Laut, der daraufhin seine Kehle verließ, war ein Knurren. Ein sexy Knurren. Ganz offensichtlich war ich high.

»Ich bin nicht alt«, stellte er klar.

»Ansichtssache. Zumindest bist du bedeutend älter als ich. Mein Vater hat einen Schaden in mir ausgelöst. Seine Frau hat beinahe mein Alter. Die Nächste wird jünger sein. Würde ich den Dozenten küssen, hätte ich augenblicklich meinen Vater vor Augen. Bäh, das ist widerlich. Siehste, sogar so widerlich, dass ich mich glatt wiederhole.«

Er dachte über meine Worte nach, bevor er mich provozierend angrinste.

»Ein Trauma für dich. Würde ich dich küssen, wärst du also traumatisiert?«

War das ein Angebot?

»Wenn du meine Vatergedanken aus meinem Kopf bekommst, wäre ein Kuss von dir Traumatherapie. Lass es uns ausprobieren. Ich will unbedingt die Prüfung bestehen.«

Ich war angetrunken und etwas high. Er ganz sicher auch. Was war schon ein Kuss?

»Okay, dann Traumatherapie. Solltest du die Prüfung bestehen, will ich es wissen.«

Ich reichte ihm meine Hand.

»Abgemacht. Küss mich!«

Auffordernd sah ich zu ihm auf. Seine Finger berührten sanft mein Gesicht. Mein Herz galoppierte. Wieder eine neue Erfahrung. Seine Fingerkuppen fühlten sich rau an, als sie federleicht über meine Haut fuhren. Seine Lippen berührten meine, zaghaft und unschuldig.

»Mehr«, forderte ich an seinem Mund.

Ich spürte seine Zungenspitze an meinen Lippen, bevor ich ihn gewähren ließ. Von unschuldig, behutsam, über neckend zu besitzergreifend, erregend und leidenschaftlich war jede Emotion präsent. Wow, der Grufti konnte küssen! Und wie! Ich war geflasht.

Im nächsten Moment wich er von mir zurück, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.

»Fuck! Oh Gott! Paul bringt mich um. Das bleibt unter uns«, stammelte er, verwirrt von sich selbst.

Ich konnte nur kichern.

»Alles gut, Grufti. Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich jemanden freiwillig erzählen würde, dass ich einen alten Sack geküsst habe und mir das gefallen hat?«

Er brauchte einen Moment. Nachdem er sich wieder im Griff hatte, tauschten wir unsere Telefonnummern, damit ich ihm mitteilen konnte, ob die Traumatherapie funktioniert hatte.

Piet (38 Jahre)

Wahrscheinlich sollte ich ein schlechtes Gewissen haben, aber das hatte ich nicht. Zum vierten Mal in zwei Jahren fuhr ich nach Dresden. Mein offizielles Ziel war die Handwerksmesse. Mein inoffizielles Mia. Meine Auszeit vom Alltag.

Das letzte Wochenende hatte mich ausgelaugt und steckte mir noch in den Knochen. Fenja hatte eine Freundin zu uns eingeladen. Eine anstrengende Emanze, die mich das gesamte Wochenende über zur Schnecke gemacht hatte. Fenja hatte es genossen und das Biest sogar angestachelt. Die gesamte letzte Woche waren wir immer wieder aneinandergeraten, denn sie hatte mich wissen lassen, dass ihre Freundin in Bezug auf mich vollkommen im Recht gewesen wäre. Bullshit. Fenja stritt sich einfach wahnsinnig gerne. Das war kein Charakterzug, der mir neu war, nur einer, der mich auslaugte.

Dieses Wochenende würde unbeschwert werden. Mia war unkompliziert und voller Leichtigkeit. Ich freute mich darauf, sie als Messehostess zu sehen. Sicher würde Mia auch diesen Job überzeugend rüberbringen, ganz gleich, ob sie Ahnung hatte von dem, was sie tat. Sie war eine gute Schauspielerin und überzeugend in vielen Rolle.

Der Kontakt, den wir seit zwei Jahren pflegten, war nicht mehr nur sporadisch. Anfangs hatten wir uns nur ab und an Nachrichten geschickt. Inzwischen schrieben wir uns wöchentlich, gelegentlich täglich.

Wir tauschten seit Pauls Hochzeit unsere Lebenserfahrungen miteinander aus. Vollkommen verrückt, denn zwischen uns lagen Welten. Sie war mein anonymer Kummerkasten, ich ihr Krisenmanager.

Krisen gab es bei Mia ständig. Ihr hübscher Kopf war voller Wirrwarr. Ich verspürte Zufriedenheit, wenn ich ihr Chaos lichten konnte und sie mich dafür an ihrer Unbeschwertheit teilhaben ließ.

Diesmal hatte ich Ordner im Gepäck, um Mias Unterlagen zu sortieren. Bei meinem letzten Besuch waren mir all die ungeöffneten Briefe ins Auge gestochen. Ich hatte sie darauf angesprochen.

»Bitte, wenn dir das Spaß macht, kümmere dich eben drum«, hatte sie mir gnädig darauf geantwortet.

Ich würde mich kümmern. Die Beziehung, die wir pflegten, war mir wichtig geworden. Wichtiger, als es mir sein sollte. Ihre Lebendigkeit gab mir Energie und baute mich auf – jedes Mal, selbst wenn sie als Person verwirrend war.

Mia war Desorganisation pur. Sie kam im Grunde mit nichts wirklich klar. Tausend angefangene Dinge, die alle unvollendet blieben. Nur ihr Studium hatte sie geradlinig durchgezogen, wie auch immer ihr das gelungen war. Trotzdem war sie bezaubernd niedlich in all ihrem kreativen Chaos.

Ihre Liebeleien waren ebenso unbeständig. Sie traute keinem Mann und stellte jedes Date über kurz oder lang in Frage. Keine Ahnung, wie viele Beziehungen sie in den letzten Jahren geführt hatte. Es waren einige. Ich kannte ihre verzweifelten Nachrichten, in denen sie mich bat als Männer-Dolmetscher zu fungieren, um klare Entscheidungen treffen zu können. Wahrscheinlich war ich nicht gerade gut in diesem Job, denn meistens trennte sie sich nach meiner Übersetzung. Danach begann für sie derselbe Kreislauf: Dating-Apps. Für mich befremdlich und gruselig. Ich hatte ihr mehrfach ans Herz gelegt, nicht online auf Suche zu gehen. Ich fand das leichtsinnig und gefährlich. Meine Argumente passten allerdings nicht in ihre Welt.

Mia war so übersprudelnd vor Leben, offen für alles, warmund großherzig, dass man sie einfach nur mögen konnte. Ich mochte sie zumindest. In den letzten beiden Jahren waren wir uns emotional sehr vertraut geworden. Nichts, was jemals meine Absicht gewesen war. Nichts, von all dem, was sich zwischen uns abspielte, war beabsichtigt. Es war einfach passiert. Als was man unsere Verbindung zueinander definieren konnte, wusste ich nicht. Es gab keine passende Bezeichnung. Sie war nicht meine Affäre, nicht meine kleine Schwester und Freundschaft war auch das falsche Wort für unseren Kontakt.

Kam sie nach Lubkow, um Helene zu besuchen, tauschten wir nur wenige Worte aus, immer dann waren wir wie Fremde. Niemand ahnte, dass wir uns besser kannten. Es gab keinen Grund daran etwas zu ändern. Paul und Torben hätten mir nur Fragen gestellt, auf die ich keine Lust hatte. Ich konnte den beiden nicht erklären, dass ich meine Fenja-Katastrophen mit Mia teilte. Lieber mit Mia, als mit ihnen. Denn Mia riet mir nie, mich von Fenja zu trennen. Meine Kumpels hingegen drängten mich bei jeder Kleinigkeit dazu, die sie mitbekamen. Sie trauten Fenja nicht. Dabei bemühte sie sich um einen guten Kontakt zu allen. In meinen Augen hatte sie sich verändert. Fenja war nicht mehr so intrigant wie früher. Ihre Impulsivität hatte sie ebenfalls besser unter Kontrolle. Nichts, was die beiden wahrnahmen. Ihrer Meinung nach, war ich nur abgestumpfter.

War ich glücklich? Meistens ja. Ich kam klar. Größtenteils hatte ich Frieden in meiner Beziehung und ich liebte meinen Sohn. Jacob brachte mich dazu, die Welt noch einmal neu zu entdecken, aus seiner Perspektive. Meine Arbeit machte mich ebenfalls glücklich. Als selbstständiger Tischler übernahm ich nur Aufträge, die ich interessant fand. Ich war dankbar, dass ich finanziell in der Lage war, zu entscheiden, womit ich mich beschäftigen wollte. Meistens waren es Restaurationen, gelegentlich baute ich Möbel, ab und an plante ich Großprojekte, deren Umsetzung mich zufrieden stellte. Ich besaß acht Ferienobjekte. Gute Anlagen, die uns ein unbeschwertes Leben garantierten.

Fenja arbeitete stundenweise im Hotel ihrer Eltern. Sie organisierte Events. Ansonsten kümmerte sie sich mit Hingabe um Jacob. Unser Kind war ihr Lebensmittelpunkt. Aus Angst, ihm könnte etwas passieren, war sie oft überfürsorglich. Ein Thema, wegen dem wir gelegentlich aneinandergerieten.

Ich verstand Fenja, sie hatte Stella verloren – wir waren zusammen durch die Hölle gegangen, aber zu viel Fürsorge hinderte Jacob, sich frei zu entfalten und Selbstvertrauen zu entwickeln.

Meistens verlief unser Miteinander harmonisch. Wir kannten uns ein ganzes Leben lang. Wenn Fenja sich beklagte, dann darüber, dass unsere Beziehung zur Gewohnheit geworden sei. Mich störte Gewohnheit nicht. Kein bisschen. Gewohnheit war besser als all die Unsicherheiten und Kämpfe der Vergangenheit.

Auf der Messe herrschte so viel Andrang, dass man kaum zu den einzelnen Ständen durchkam. Viel zu viele Besucher. Nach zwei Stunden gab ich auf. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche, um Mia zu schreiben.

Piet: Nervensäge, wo kann ich dich finden?

Sie antwortete nicht. Klar, sie arbeitete hier und war beschäftigt. Mein Magen knurrte. Ich ging in den Innenhof und stellte mich an einer langen Schlange an.

»Ich sterbe vor Hunger. Ich nehm eine Bratwurst«, tönte Mia dicht hinter mir.

»Mit Ketchup?«, fragte ich nach, ohne mich umzudrehen.

»Viel Ketchup und eine Cola.«

»Zauberwort?«

Sie kicherte, während ihre Hände meinen Rücken berührten.

»Bitte, bitte, Honeybunny.«

Boah.

»Geht’s noch? Honeybunny?«

»Ist das kein Retrokosename? Mir war so«, alberte sie.

»Sehr Retro. Perfekt. Nervensäge.«

Sie schmiegte sich glucksend an meinen Rücken. Mia suchte ständig Körperkontakt. Zu Beginn unserer Treffen hatte mich das verwirrt, inzwischen wusste ich, dass sie eben so war und das nichts zu bedeuten hatte.

Kurze Zeit später aßen wir zusammen. In ihrem dunkelblauen Kostüm sah sie erschreckend seriös aus, stellte ich fest. Seriös beschrieb sonst nicht ihren Kleidungsstil. Normalerweise trug sie sehr bunte und figurbetonte Kleidung, mit Vorliebe Kleider.

»Du starrst mich an, Grufti. Hab ich irgendwo Ketchup?«, fragte sie nach und zappelte dabei vor mir herum.

»Nein. Sorry, aber du siehst so anders aus.«

Sie wackelte mit ihren Augenbrauen.

»Stimmt. Du kennst mich ja noch gar nicht mit meiner Naturhaarfarbe. Aber erzählt habe ich dir das.«

Ja, das hatte sie. Rotbraun stand ihr eindeutig besser als schwarz.

»Ich meinte nicht deine Haare.«

Auf ihrer Stirn tauchten Falten auf.

»Wehe dir gefällt das doofe Kostüm!«, zischte sie.

»Das habe ich nicht gesagt.«

Sie stieß mich an.

»Das brauchst du auch nicht sagen.«

Ihr Finger war voller Ketchup. Im nächsten Moment leckte sie ihn ab.

»Was möchtest du denn nachher machen? Irgendeinen Plan?«, wechselte ich das Thema.

Ihre Antwort war ein Strahlen.

»Jap, den habe ich tatsächlich. Ich würde gerne zur Schlössernacht.«

»Dann Schlössernacht. Was immer das ist?«

Vor Begeisterung klatschte sie, fehlte nur noch, dass sie vor Aufregung hüpfte.

»Super. Ich habe VIP-Tickets bekommen, weil ich heute so perfekt war. Das wollte ich mir schon immer mal angucken. Live-Musik, Lichter, Essen und Trinken so viel wir wollen. Das wird sicher krass.«

Die Parkplatzsuche am Abend gestaltete sich als schwierig. Die wenigen offiziellen waren längst voll.

»Siehst du, wir hätten doch die Straßenbahn nehmen sollen«, stöhnte es neben mir.

»Wir finden schon einen Parkplatz. Ich warte gewiss nicht nachts auf eine Bahn und ich trinke sowieso nicht viel.«

»Spaßbremse«, murmelte sie.

»Einer muss ja die Kontrolle behalten. Dafür kannst du trinken, so viel du willst. Ich bringe dich sicher nach Hause.«

Sie lehnte sich an meine Schulter.

»Hat auch was. Du bist mein Held. Da drüben ist ein Parkplatz.«

Ich wendete und parkte.

Wir aßen bei chilliger Musik im Schloss Albrechtsberg, bevor wir uns ins Getümmel stürzten. Eine perfekte Sommernacht mit vielen kleinen Bühnen und unterschiedlichster Musik. In der Saloppe blieben wir hängen.

Mia hatte schon ein paar Cocktails intus, dementsprechend ausgelassen war sie. Wir blödelten und tanzten zusammen. Ich tanzte gerne mit ihr. Wann immer wir das taten, fühlte ich mich ein paar Jahre jünger als ich war und befreit. Gerade noch hatte ich sie kaum bändigen können, jetzt klammerte sie an mir.

»Sag mir bitte, dass dir nicht übel ist.«

Sie sah amüsiert zu mir auf.

»Mir ist nicht übel. Keine Angst.«

Ihre Hände streichelten meine Brust, während sie mich mit klimpernden Wimpern musterte. Okay, eindeutig wollte sie irgendetwas von mir.

»Spielst du bitte mit?«

»Wobei?«, hakte ich nach.

Ihr Blick hatte sich verändert, jetzt war er schmachtend. Gar nicht gut. Ich wusste, was jetzt kommen würde, und ich wusste auch, dass ich mitspielen würde. Ihre Finger berührten meine Wangen.

»Küss mich!«, forderte sie.

Ich zögerte. Bei jedem Treffen in den letzten Jahren hatte es einen Kuss gegeben. Einen einzigen. Nie mehr.

»Dich kennt hier niemand. Alles safe.«

Ein unschuldiges Lächeln folgte, gepaart mit einem flehenden Blick.

»Du würdest mir einen riesigen Gefallen tun, wenn du mich jetzt küsst. Warum muss man dich immer erst betteln? Bitte, bitte.«

Sie brauchte mich nicht betteln, denn sie zu küssen, fühlte sich sagenhaft an. Jedes einzelne Mal. Jeder Kuss beamte mich kurzzeitig in eine vollkommen andere Welt. Ich beugte mich ihr entgegen. Ihre Lippen berührten meine. Sie schmeckte nach Erdbeeren und Aperol.

Innerhalb kürzester Zeit wurde aus einem zarten Kuss, einer voller Leidenschaft. Dieses Gefühl verwirrte mich regelmäßig. Wir küssten uns so intensiv, als gäbe es kein Morgen. Es gab auch kein Morgen. Nicht für uns. Keuchend lösten wir uns voneinander.

»Ich frag mich immer wieder, wieso du so phänomenal küssen kannst. An Übung kann das nicht liegen«, wisperte sie an meinem Mund, um im nächsten Moment grinsend zu zwitschern: »Ich küss dich gerne. Du kannst dich jetzt wieder entspannen. Ich tu dir nichts. Danke für deinen Kuss. Ich benehme mich jetzt und hole mir noch einen Cocktail.«

Sie verschwand an die Bar. Ich sah ihr hinterher. Mia zog gleich mehrere Blicke auf sich. Kein Wunder. Sie war nicht nur schön und sexy, sondern ihre Art polarisierte. Ihr Kleid trug wahrscheinlich ebenfalls zur Aufmerksamkeit bei. Es war gewagt kurz.

Sie stand noch nicht einmal eine Minute an der Bar, da wurde sie auch schon angebaggert. Gleich drei Typen umringten sie. Ich wusste, das Mia sehr wohl in der Lage war zu entscheiden, ob sie das wollte oder nicht, trotzdem bewegten sich meine Beine automatisch in ihre Richtung.

Aus der Nähe stellte ich fest, dass die Jungs gut im Stoff standen. Mehr als nur angetrunken. Nichts, was mir gefiel. Ich hielt mich zurück und beobachtete aus nächster Nähe, ob Mia meine Unterstützung brauchte. Lange funktionierte das allerdings nicht. In mir brodelte es, als einer der Typen sie anfasste.

»Was willst du trinken? Ich bezahle«, hörte ich ihn sagen.

»Ich bezahle und Finger weg«, unterbrach ich grollend seine Anmache.

Mia drehte sich zu mir um, verwundert und amüsiert.

»Ich bin nicht in Gefahr. Alles gut, Piet. Das sind Freunde von mir. Das ist Vincent, der Erste, das Mattis und das Yves«, klärte sie mich schmunzelnd auf.

Vincent, der Erste? Ich brauchte einen Augenblick, bevor ich begriff, dass vor mir der Typ stand, wegen dem sie BWL studiert hatte. Vincent musterte mich, ich ihn. Er war etwas kleiner als ich und sah aus wie ein italienischer Gigolo. Eine Mischung aus Sunnyboy und Gangster.

Das war also der Typ Mann, auf den Mia stand. Yves war vom Typ her Vincent sehr ähnlich. Yves’ Hals war bis zu seinem Gesicht überzogen mit Tattoos, bei Vincent sah man nichts. Mattis passte nicht zu den beiden. Er sah aus wie ein Leistungssportler. Ich nickte den Jungs zu und bezahlte Mias Drink.

»Das ist Piet?«, fragte Vincent Mia.

Er grinste sie an. Sie grinste zurück.

»Jap.«

Er beäugte mich noch einmal.

»Sehr nice, Mimi.«

»I know. Macht weiter, bei was immer. Wir sehen uns. Bye.«

Sie fasste meine Hand und weg waren wir.

Es war weit nach Mitternacht, als ich Mia nach Hause brachte. Inzwischen war sie sehr angetrunken und kicherte immer wieder.

»Was amüsiert dich, Prinzessin?«

»Du bist cute.«

Ich sah sie fragend an.

»Ich finde es witzig, dass du mich retten wolltest. Deine Stimme klang so krass. Von mir aus kannst du mich öfters retten wollen. Hättest du die im Ernstfall verprügelt?«

Ich schmunzelte.

»Klar, wenn wir zusammen ausgehen, trage ich ja die Verantwortung.«

Sie lehnte ihren Kopf an meinen Oberarm und hielt sich an mir fest.

»Wenn ich einmal erwachsen sein sollte, hoffe ich, dass ich einen Mann wie dich habe. Ich hab dich lieb.«

Sie war nicht angetrunken, eher betrunken.

»Ich hab dich auch lieb, Süße.«

»Danke. Bringst du mich ins Bett?«

»Klar. Ist mein Job.«

Ich beförderte Mia inklusive ihres Kleides ins Bett. Sie wollte sich ausziehen. Nichts, was ich zulassen konnte. Ich drohte ihr an, sofort zu verschwinden, sollte sie es tun.

»Schon gut. Ich bin brav«, säuselte sie.

»Gut so. Ich hole dir noch ein Glas Wasser und Schmerzmittel. Brauchst du notfalls einen Eimer?«

Ein trotziger Blick traf mich.

»Ich brauche keinen Eimer. Ich bin nicht betrunken, nur etwas müde«, schmollte sie.

»Klar, du bist vollkommen nüchtern.«

»Ja, bin ich. Darf ich mir noch etwas wünschen bevor du gehst?«, fragte sie mich hoffnungsvoll.

»Wenn es kein Kuss ist, dann ja.«

»Kein Kuss. Versprochen.«

Sie hatte sich aufgesetzt und klopfte mit ihrer Hand neben sich.

»Setz dich! Sonst geht das nicht.«

Ich gehorchte und sah sie erwartungsvoll an.

»Was willst du Mia?«, fragte ich nach, weil sie mich nur anstarrte, statt zu reden.

Ihre Zungenspitze leckte kurz über ihre Lippen. Ich wich zurück.

»Wollen täte ich viel, aber nichts davon wäre eine gute Idee. Darf ich einmal durch deine Haare fahren?«

Ihre Frage verwirrte mich wieder.

»Was?«

»Vergiss es, Grufti. Anscheinend bist du sogar schon schwerhörig«, zog sie mich auf und brachte mich damit dazu, genau das zu tun, was sie wollte.

Ich beugte meinen Kopf nach unten.

»Bitte, wenn es dich glücklich macht.«

Ihre Finger fuhren über meinen Kopf. Ich bekam Gänsehaut, als sie innehielt und leicht an meinen Haaren zog. Nicht gut. Ich ließ es trotzdem weiter zu.

»Warum musst du nur schon so beschissen alt sein und vergeben und dazu noch der Kumpel von meinem Daddy?«, flüsterte sie.

Das waren keine Worte, die ich hören wollte. Ich befreite mich von ihr.

»Ich würde sagen, Gott sei Dank bin ich so beschissen alt. Sonst hätte ich mich heute mit einreihen können in die Liste deiner Freunde. Du hattest mit jedem von denen was am Start. Das ist mir klar. Ich bin für Beständigkeit, Prinzessin. Die musst du erst noch lernen.«

»Was meinst du mit Beständigkeit? Heißt das, man darf nur einen Partner haben? Ich frage mich manchmal, wenn wir uns küssen und ich davon geflasht bin, wie es erst wäre, mit dir zu schlafen. Ich weiß, das ist verrückt und ich will das nicht wirklich, denn du bist steinalt. Aber hast du darüber schon mal nachgedacht? Hast du noch Lust auf Fenja, nachdem du seit Jahren alles von ihr kennst? Das interessiert mich wirklich. Wie fühlt sich das an?«

Ihr Wortschwall überforderte mich.

»Das sind keine Themen über die wir uns jemals unterhalten werden, Mia. Nicht mal angetrunken. Schlaf gut und träum was Schönes! Von mir aus auch von mir«, verabschiedete ich mich.

Diesmal war ihr Lächeln wehmütig.

»Mach ich. Du bist der anständigste Mann, den ich kenne. Wehe, du träumst nicht von mir. Gute Nacht und danke für den schönen Abend.«

»Gern geschehen.«

Ich fuhr aufgewühlt in mein Hotel. Meine Gedanken blieben bei Mia. Ich war konfus von ihren Worten, dabei sollte ich mir keine Gedanken machen. Wenn man betrunken war, laberte man eben Mist und wurde gefühlsduselig.

Ich wusste, dass sie nichts davon so gemeint hatte. Ich war ihr zu alt. Sie mir viel zu jung. Sie provozierte mich gerne und brachte mich dazu, mit ihr zu flirten. Was das anging, hing ich gewaltig hinterher. Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals geflirtet zu haben. Ich mochte diese Spielchen zwischen uns. Sie bedeuteten nichts. Trotzdem fragte ich mich jetzt, ob ich mir Sex mit ihr vorstellen könnte, hätte ich die Gelegenheit dazu? Nein. Nie. Ich würde sie nie anrühren. Mia zu berühren, führte nur zu gewaltigem Ärger. Betrog ich Fenja, mit diesen Gedanken? Damit sicher nicht, aber Mia zu küssen, zählte ganz sicher unter Betrug. Fuck.

Was wollte ich eigentlich von Mia? Eine Frage, die ich mir immer wieder stellte. Dieser Kontakt zu ihr war nicht gut für meinen Frieden und trotzdem würde ich nicht darauf verzichten. Natürlich träumte ich von ihr und nichts davon war harmlos.

Als ich heimfuhr, hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich saugte sogar mein Auto, um sicher zu stellen, dass sich kein rotes, langes Haar darin befand.

Kapitel 1

Mia (27 Jahre)

»Frau Fischer, kommen Sie sofort in mein Büro!«, dröhnte die Stimme meines Chefs durch die Gegensprechanlage.

Sein Tonfall klang nach Ärger. Nichts anderes erwartete mich. In seinem Büro bekam ich die volle Ladung.

»Kann es sein, dass Sie Ihre Kompetenzen schon wieder maßlos überschritten haben? Neulich erklärten Sie mir, wie ich meine Firma zu leiten habe und eben erfahre ich nach einem Meeting mit der Produktion, dass Sie auch da für Unstimmigkeit und Krawall gesorgt haben. Was hatte ich Ihnen beim letzten Mal gesagt?«, brüllte er mich an.

»Das ich mich raushalten soll.«

»Und warum halten Sie sich nicht raus? Sie sind für nichts mehr als die Buchhaltung hier. Ihre Meinungen sind mir egal. Sie einzustellen war ein großer Fehler. Ich hätte es wissen müssen, bei Ihrem Lebenslauf.«

Er schäumte vor Wut.

»Sie könnten mit ein wenig anderen Strukturen viel mehr Gewinne erzielen. Es wird ineffizient gearbeitet. Ich erkläre Ihnen das gerne«, verteidigte ich mich, was nicht gut ankam.

»Schluss jetzt. Ich habe mehr als einmal beide Augen zugedrückt. Ihre Chancen sind dahin. Gründen Sie doch ihre eigene Firma, dann können Sie all Ihre Innovationen umsetzen. Hier nicht. Ich will Sie morgen nicht mehr sehen.«

Arschloch.

»Geht klar. Ich werde Sie nicht darum betteln, mich zu behalten. Wenn ihre Firma pleite geht, werden Sie meine Bedenken eventuell verstehen. Nicht mein Problem. Kann ich mit leben. Ich habe keine Lust, bis morgen hierzubleiben. Gibt viel Besseres zu tun. Einen schönen Tag noch.«

Damit drehte ich mich um und verließ das Büro meines Chefs. Idiot. Wahrscheinlich wieder so ein Ego-Ding. Sein Problem.

Nein, halt – mein Problem, denn ich würde wieder ins Jobcenter gehen müssen – zu der blöden Kuh, die seit Jahren versuchte, einen passenden Job für mich zu finden. Sicher trug meine Akte längst den Stempel: Schwer vermittelbar!

Ich verließ meinen Arbeitsplatz so zügig, wie ich konnte. Meine Füße trugen mich in die Altmarkt-Galerie zu meiner Freundin Kat. Sie arbeitete seit Jahren in einem Klamottenladen – in dem ich mir keine Klamotten leisten konnte.

»Mimi, es gibt tausend freie Stellen. Du gerätst immer wieder an die Falschen. Du bist viel zu kreativ für einen Job im BWL-Bereich. Dein Studium war eine blöde Wahl, akzeptiere das doch endlich mal.«

»Was sollte ich denn deiner Meinung nach machen? Ich glaube inzwischen, dass der Job, für den ich geboren wurde, erst noch erfunden werden muss.«

Ich hatte resigniert.

»Quatsch. Hier im Center gibt es viele freie Stellen. Alle besser, als die, die du hattest. Dreh doch mal eine Runde und stelle dich vor«, versuchte Kat mir Zuversicht zu schenken.

Ich stöhnte.

»Ich bin keine Verkäuferin.«

»Woher weißt du das?«

»Ganz einfach, ich kann nicht lügen.«

Ich sah mich um.

»Der da drüben würde ich sagen, dass ihr das, was sie kaufen will, nicht steht. Die da hat die falsche Konfektionsgröße an und die sieht aus wie eine Presswurst.«

Die Presswurst hatte mein Urteil leider vernommen und verschwand betrübt in der Umkleide. Kat verdrehte ihre Augen.

»Hau bloß ab, du vergraulst mir die Kunden. Lass uns später telefonieren. Wir könnten am Wochenende ausgehen.«

Ich schüttelte meinen Kopf.

»Kann ich mir nicht leisten.«

»Dann lade ich dich eben ein.«

Den Abend verbrachte ich bei meinem Bruder und seiner Familie. Philipp und ich waren noch nie im Einklang gewesen, aber er war Familie. Ich fand Ablenkung bei meinen Nichten – Zwillinge. Sie waren vier. Wir spielten gemeinsam, bis es Zeit fürs Bett wurde. Danach übernahm ich noch die Hausaufgabenbetreuung für Moritz, meinen großen Neffen.

Später gab es keine Ablenkung mehr. Ich saß mit meinem Bruder und Isi, seiner Liebsten, bei einer Flasche Wein zusammen. Mein Bruder war genervt von mir und meinen Problemen.

»Du musst doch endlich mal begreifen, dass du nicht denken sollst, sondern nur arbeiten. Oder aber denken, aber Klappe halten. So schwer kann das doch nicht sein. Es ist immer wieder dasselbe Spiel. Du bringst dich selbst ins Abseits, weil du immer alles rauslässt, was dir durch den Kopf geht. Das kann niemand leiden. Wann kapierst du das denn mal?«

Ich brauchte niemanden, der meine Miseren für mich zusammenfasste.

»Nicht hilfreich. Ganz dünnes Eis. Ich will nur meinen Frust abladen. Deine Gedanken kannst du für dich behalten. Keine Ratschläge. Kapiert?«, motzte ich ihn an.

»Blöde Kuh«, antwortete er.

»Danke, das weiß ich selbst.«

Er sah mich besorgt an.

»Mum hat keinen blassen Schimmer, oder?«

Seine Frage fand ich beschissen.

»Spinnst du? Sie braucht davon nichts wissen. Sobald ich ein Problem anbringe, spielt Paul Daddy.«

Philipp grinste mich an.

»Wenigstens nimmt der seine Rolle ernst.«

Ich stöhnte verzweifelt auf.

»Ja, viel zu ernst. Mum gibt nie ungefragt Ratschläge. Paul hingegen...«

»Ich mag Paul«, fiel Isi mir ins Wort.

»Mich magst du hoffentlich mehr«, grunzte mein Bruder.

Der Abend wurde zur wilden Diskussion. Ich flüchtete auch aus dieser Situation.

Tanzen half in jeder Lebenslage. Ich tobte mich in einem Schuppen in der Neustadt aus. Kurz nach Mitternacht machte ich mich auf den Heimweg. In ein paar Stunden würde ich wieder das Jobcenter betreten müssen. Besser man war dafür nüchtern und ausgeschlafen.

Mein Handy klingelte. Es war Paul. Ich war sofort wieder angepisst und dachte, dass Philipp mich verpetzt hatte. Kurz überlegte ich, nicht ranzugehen, aber dieses Gespräch wäre dann nur aufgeschoben und nicht aufgehoben.

»Was gibt’s denn, Daddy?«, flötete ich unbeschwert.

»Mia, Süße, du magst doch meine Lieblingstochter bleiben, oder etwa nicht?«

Was? Paul klang angetrunken.

»Klar, Lieblingsdaddy.«

Ich grinste mein Telefon an.

»Gut. Ich hatte es verdrängt und eigentlich für eine Halluzination gehalten, aber heute war das Bild wieder präsent in meinem Kopf.«

Er machte eine Pause. Ich war ahnungslos, was er mir sagen wollte.

»Welches Bild?«, fragte ich nach.

»Ich habe euch gesehen. Du hast letzten Sommer Piet geküsst. In seiner Werkstatt.«

Oh, okay. Warum machte er das beinahe ein Jahr später und dazu noch angetrunken zum Thema?

»Du hattest eine Halluzination«, versuchte ich mich rauszureden.

Wenn er sich sowieso unsicher war, funktionierte das vielleicht.

»Hatte ich nicht. Ich war so schockiert davon, dass mein Hirn das verdrängen musste, deshalb habe ich es bisher nie angesprochen. Aber jetzt will ich wissen, wieso du ihn geküsst hast?«

Er klang nach Oberlehrer, angetrunkenem Oberlehrer.

»Das geht dich nichts an, Daddy. Ich kann tun und lassen, was ich will.«

Das Geräusch, welches er am Telefon machte, glich einem Knurren, bevor er fortfuhr.

»Von mir aus. Ich will trotzdem wissen, wieso?«

»Weil es mir Spaß gemacht hat und ich mal testen wollte, ob alte Kerle noch küssen können oder aber, weil der alte Kerl gut küssen kann«, beantwortete ich seine Frage, in mich hinein schmunzelnd.

Ich wusste, dass er auf zwei Worte sofort anspringen würde. Das tat er immer, auch diesmal.

Er grunzte.

»Wir sind nicht alt!«

»Doch Paul. Ihr seid steinalt im Vergleich zu mir«, zog ich ihn weiter auf.

»Herrje Paul, gib mir dein Telefon«, hörte ich Torben sagen.

»Mia, Herzchen, du musst uns einen riesigen Gefallen tun.«

Torbens Stimme klang weniger angetrunken als Pauls.

»Weshalb sollte ich das und worum geht es?«, hakte ich nach.

»Wir hatten heute Stress und haben uns sogar geprügelt. Kam in den letzten 30 Jahren nie vor und das nur wegen meiner Schwester. Fenja hat Piet erzählt, sie hätte wieder was mit Paul am Laufen. Piet, der Idiot, hat ihr das geglaubt und ist ausgerastet. Jetzt ist sie weg, aber sie wird wiederkommen. Piet sollte froh sein, aber er wird einknicken, sobald sie zurückkommt. Wir wollen nicht, dass sie zurückkommt. Sie ist eine Schlange und wird Piet genauso fertig machen wie Paul.«

Er machte eine Pause.

»Und was habe ich damit zu tun? Ich bin ahnungslos. Kläre mich auf.«

Kurzes Schweigen.

»Wir brauchen eine Frau für Piet.«

Verrückte Vorstellung.

»What? Wo wollt ihr die denn herbekommen?«

»Wir dachten an dich. Wir brauchen eine, die ihm bestenfalls gefällt und wenn ihr geknutscht habt, dann wirst du ihm ja irgendwie gefallen. Es sei denn, es waren Wettschulden. Kann man mit dir wetten und wenn man gewinnt, bekommt man einen Kuss?«

Paul beschimpfte Torben als Hurensohn für diese Frage. Ich unterdrückte die Lachsalve, die in mir saß.

»Gibt keine Wetten, alter Mann. Eure Idee ist weird, total.«

»Nein, ist sie nicht. Paul brauchte deine Mum, um wieder normal zu werden. Piet benötigt auch irgendwen, der ihm zeigt, dass er Fenja nicht braucht. Zeig ihm das einfach. Flirte mit ihm, verdreh ihm den Kopf und halte ihn von meiner Schwester ab, bis er wieder klar denken kann.«

Dieses Gespräch war eine willkommene, urkomische Ablenkung von den Dingen, die mich den gesamten Tag über beschäftigt hatten. Ich grinste vor mich hin, bis ich an Piet dachte.

Unser letztes gemeinsames Wochenende lag keine zwei Wochen zurück. Wir hatten den Samstagabend in der Semperoper verbracht – Piets Wunsch. Er in Jeans und schwarzem Hemd, ich aufgebrezelt. Vor der Oper waren wir im Makamaka essen und unterhielten uns danach ausgiebig über Musik. Anschließend hatte er mich sicher nach Hause gebracht, bevor er erneut aus meinem Leben verschwunden war.

Ich wusste, dass seine Kumpels nicht in seinem Sinn agierten. Klar, die waren beide betrunken.

»Ich kann ihm nicht den Kopf verdrehen, Torben. Das müsste er zulassen, wird er aber nicht, weil er Fenja eben braucht. Abgesehen davon, was sollte das bringen?«

Hoffentlich hatte ich nicht zu viel gesagt.

»Das ist Bullshit. Der braucht einmal Ablenkung. Bitte, Mia! Wenn du den Job nicht übernimmst, kaufen wir Piet eben eine Frau, die mitspielt.«

Oh Gott, Piet tat mir leid. Das hatte er nicht verdient und würde er nicht ertragen können. Ich musste improvisieren, denn abgesehen von dem Kuss, den Paul wohl gesehen hatte, wusste niemand von unserer Verbindung. Da war ich mir ganz sicher, sonst wäre es eher zum Thema geworden.

»Ich mach das nicht umsonst. Das ist euch hoffentlich klar? Piet ist steinalt und Vater noch dazu. Gibt keine Erfolgsgarantie, aber ich könnte versuchen, ihm zu zeigen, dass er Fenja nicht braucht.«

Besser, ich übernahm diesen Job, als eine vollkommen Fremde, die ihn im Nachgang verletzte. Sagte ich ja dazu, konnte ich Piet einfach darüber aufklären, und er konnte selbst entscheiden, ob wir seinen Kumpels diese Rolle vorspielen sollten. Wir waren Freunde, er hatte Ehrlichkeit verdient.

»Du sollst das nicht umsonst tun. Du bekommst, was immer du willst. Im schlimmsten Fall eben Piet«, lachte Torben dreckig.

Gruselige Vorstellung. Was sollte ich mit einem alten Kerl wie Piet? Hoffentlich hatten Paul und Torben nüchtern bessere Einfälle.

»Haben wir einen Deal? Du reichst Urlaub ein, tust so, als würdest du dich hier erholen, und wir bringen Piet dazu, Zeit mit dir zu verbringen. Denk dir eine Katastrophe aus, um die er sich kümmern kann. So was braucht er für seinen Helferkomplex, und währenddessen bezirzt du ihn und flirtest, was das Zeug hält. Darin hast du doch Übung«, sprudelte es weiter aus Torben raus.

Ich hörte Paul stöhnen.

»Mia, vergiss es. Schlechte Idee. Deine Mum bringt mich um, wenn sie das rausbekommt.«

Pauls Hirn funktionierte also langsam wieder.

»Quatsch. Wir halten Lene raus. Sie wird denken, ihre süße, kleine Tochter braucht einfach mal Urlaub«, sprach Torben zu Paul.

»Schlaft da besser noch einmal drüber, Jungs. Ihr seid ziemlich blau.«

»Ja eben und wir können nicht bis an unser Lebensende saufen, nur um meine blöde Schwester zu ertragen.«

Torbens Lachen klang verzweifelt.

»Piet ist euer Kumpel. Ihm eine Frau versorgen zu wollen, die er gar nicht will und die ihn verletzten wird, wenn er herausfindet, dass sie ihm ihr Interesse nur vorspielt, ist keine super gute Lösung«, erklärte ich meine Bedenken.

»Sie hat recht«, hörte ich Paul sagen.

»Nein, hat sie nicht. Piet muss doch nur begreifen, dass es noch andere Alternativen gibt. Danach kann er sich weiterentwickeln und sich selbst jemanden suchen.«

Das irrsinnige Gespräch dauerte noch ein paar Minuten an.

Daheim angekommen schrieb ich Piet.

Mia: Alles gut bei dir? Wie geht’s dir?

Grufti: Beschissen. Hast du irgendeinen siebenten Sinn?

Mia: Meine Ohren sind offen. Wenn du reden willst, meldest du dich, okay? Und kein siebenter Sinn. Deine idiotischen Kumpels haben versucht, mich anzuheuern, um dir den Kopf zu verdrehen. Ich weiß, das willst du nicht. Meinst du, ich sollte den Job annehmen? xd

Grufti: Was? Arschlöcher!!! Ich kann gerade nicht. Bin blau, high und angepisst. Ich habe Paul k.o. geschlagen. Für einen Moment hatte ich Angst, dass ich ihn mit meinem Schlag umgebracht habe.

Ich lächelte in mich hinein. Nie im Leben war ein Lauch wie Piet dazu fähig, Paul, der nur aus Muskeln bestand, umzuhauen.

Mia: Lass meinen Daddy am Leben. Ich glaube nicht, dass Paul mit Fenja rummacht. Die wollte dich verletzen, mehr nicht. Was hast du angestellt?

Grufti: Nichts. Wieso sollte sie mich anlügen und dazu mit so einem Mist?

Mia: Das weiß ich nicht. Aber ich vertraue Paul und wenn er sagt, dass sie lügt, dann ist das die Wahrheit.

Er antwortete nicht mehr. Verständlich. Paul zu vertrauen war nichts, was er sonderlich gut konnte, das wusste ich, nachdem ich ihre Geschichte in den letzten Jahren kennengelernt hatte. Und Fenja? Zu ihr hatte ich keine eigene Meinung. Sie war eben die Frau an seiner Seite, die ihn in regelmäßigen Abständen in den Wahnsinn trieb. Seine Sache.

Kapitel 2

Piet (39 Jahre)

So einen verdammt beschissenen Tag hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Ich war seit den frühen Morgenstunden nur gereizt und geladen. Jacob hatte uns viel zu zeitig geweckt und unser Frühstück war gespickt gewesen mit Fenjas Sticheleien. Das schweigend hinzunehmen war mir nur gelungen, weil ich mich auf meinen Sohn konzentriert hatte. Sobald Jacob in seinem Zimmer verschwunden war, gab es kein Entrinnen mehr.

»Du erfüllst immer nur allen anderen ihre Wünsche. Meine sind dir vollkommen egal. Du bist so ein Ignorant sobald es um uns geht«, fuhr Fenja fort.

Ihr Gemotze nervte mich, aber ich schwieg.

»Da kommt irgendeine Omi und jammert, dass irgendwas kaputt ist und zack, hilfst du. Torben fragt, ob du den Kindern einen Spielplatz bauen kannst, auch das wird natürlich sofort erledigt. Die heilige Helene jammert, weil sie nicht klar kommt bei ihrem Bauprojekt. Du übernimmst. Ich hingegen kann dir tausend Mal sagen, was ich mir wünsche, mich überhörst du.«

Ich kannte Fenjas Wünsche. Wären sie auf Bauprojekte bezogen, hätte ich sie nicht überhört. Statt nicht zu reagieren, fragte ich nach. Riesiger Fehler.

»Was für Wünsche hast du denn?«

»Du kennst meine Wünsche. Ich will noch ein Kind und ich will, dass wir endlich heiraten!«

Joa, genau damit hatte ich gerechnet. Sinnlose Diskussion.

»Ich habe dir nie eine Hochzeit versprochen. Du kennst meine Meinung dazu«, brummte ich.

Sie sah mich kampfbereit an. Fuck.

»Du hast gesagt, dass du nicht dazu genötigt werden willst, aber wenn es dein eigener Wunsch wäre, du dazu bereit wärst. Aber es wird nie dein eigener Wunsch werden, oder?«

»Bestimmt nicht, wenn es so weiterläuft wie im letzten Jahr. Wir zoffen uns wegen jeder Kleinigkeit.«

Das entsprach der Wahrheit. Im letzten Jahr hatte sich die Situation zugespitzt. Gab es vier Wochen ohne Streit, war das ein Rekord.

»Tu nicht so, als wäre das meine Schuld. Ich bin nicht alleine verantwortlich für den Mist. Du bist genauso schuldig. Für dich gibt es nur noch deine Arbeit. Darin verkriechst du dich, weil du dabei deine Ruhe hast. Du weißt nicht erst seit eben, dass ich noch ein zweites Kind möchte. Du wolltest abwarten. Auf was wartest du? Ich bin 37, du fast 40.«

Ich atmete tief durch.

»Ich möchte kein zweites Kind, wenn das erste schon andauernd unsere Streitereien hören muss. Ganz einfach.«

Noch war ich ruhig, während Fenja mich wütend anfunkelte.

»Ich warte nicht mehr, Piet. Deine Gedanken sind mir vollkommen egal. Ich nehme seit acht Wochen keine Pille mehr und als würdest du das erahnen, gehst du mir seit genau der Zeit noch mehr aus dem Weg.«

Ihre Worte überforderten mich und machten mich gleichzeitig rasend.

»Du kannst so eine Entscheidung nicht ohne mich treffen«, fuhr ich sie an.

»Du siehst doch, dass ich es kann. Ich warte gewiss nicht, bis du dich ausgekäst hast.«

In meinem Kopf ließ ich die letzten acht Wochen Revue passieren und hoffte, dass sie nicht bereits schwanger war. Unmöglich. Gott sei Dank! Ich wünschte mir mehr Familie, aber nicht, wenn Familie immer wieder Ärger bedeutete. Zwischen Fenja und mir gab es seit über einem Jahr nur Kämpfe. Das war nichts, was ich mir für ein weiteres Kind wünschte. Ich hatte Jacob gegenüber schon ein schlechtes Gewissen und ließ mir mehr gefallen, als mir guttat, nur damit es nicht eskalierte. Fenja musterte mich.

»Triffst du eine Andere und bist deshalb desinteressiert?«

Keine Ahnung, wie sie darauf kam? Ich hatte keine Affäre.

»Nein. Was soll der Quatsch?«

»Du haust immer wieder ab. Denke nicht, dass mir das nicht aufgefallen ist. Was machst du an den Wochenenden?«

Ich fühlte mich schuldig und ertappt, aber zwischen Mia und mir war nichts. Nichts, was erwähnenswert gewesen wäre.

»Ich arbeite«, würgte ich heraus, wohl wissend, dass es eine Lüge war. Aber wie sollte ich Fenja erklären, dass ich mich gelegentlich mit Mia traf, weil ich Luft zum Atmen brauchte und ein paar Stunden Leichtigkeit.

»Sicher. Gut, dann schweige halt, Arschloch. Wenigstens bist du so desinteressiert, dass dir die wichtigen Details entgehen.«

Ich war ahnungslos und fragte nach, was mir entging?

»Du warst schon immer nur meine zweite Wahl. Ich dachte, dass dir das klar ist. Gerade deshalb hättest du dich mehr bemühen müssen.«

Ihre Worte trafen eine empfindsame Stelle in mir.

»Was willst du mir damit sagen?«

»Was wohl? Denk mal nach! Ich dachte immer, Paul sei der Egoist, aber in Wahrheit bist es du. Mach ruhig weiter dein eigenes Ding, dann habe ich wenigstens mehr Zeit für die Dinge, die mich glücklicher machen als du!«, keifte sie mich an.

»Und was macht dich glücklich?«, hatte ich sie gereizt gefragt.

Noch während mein Kopf damit beschäftigt war, darüber nachzudenken, wie sehr dieser Streit gerade wieder eskalierte, antwortete sie.

»Ich hasse dich. Wenigstens ist Paul inzwischen wieder für mich da.«

Das waren Worte, die mich triggerten. Ein gefährlich wunder Punkt und Fenja wusste das genau.

»Dann gehe doch zu Paul. Ich glaube kaum, dass der jemals wieder mehr als Oberflächlichkeit zulassen wird.«