Jenseits der Tür - Bernhard Höfellner - E-Book

Jenseits der Tür E-Book

Bernhard Höfellner

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Beschreibung

9 Kurzgeschichten aus dem weiten Feld der Phantastik. Sei es eine bizarre Begegnung mit Außerirdischen auf einer einsamen Landstraße, der Einbruch des Rätselhaften im wohl behüteten Alltag, oder der Besuch eines Spukhauses - hier scheint alles möglich!

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Seitenzahl: 172

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Ähnliche


Bernhard Höfellner

Jenseits der Tür

Phantastische Kurzgeschichten

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Vorwort

Gefangen

Der Friedhof

Die Begegnung

Das Haus auf dem Hügel

Im Schrank

Das Opfer

Nichts

Mein Dorf

Jenseits der Tür

Impressum neobooks

Impressum

Bernhard Hank Höfellner

Alter Pfarrweg 2
84524 Neuötting / Deutschland

Vorwort

Nun liegt sie vor: Meine erste Sammlung von Kurzgeschichten. Als Autor diverser Theaterstücke, von denen das eine und das andere bei verschiedenen Verlagen veröffentlicht wurde, war es eine ganz spezielle Herausforderung, sich an reiner Prosa zu versuchen. Die Herausforderung, eine Geschichte zu schreiben, ist ungleich höher, als ein Stück zu verfassen.

Bei einem Stück liegt der Fokus auf den Dialogen der handelnden Figuren. Das Innenleben erzählen dann auf der Bühne die Schauspieler als Enthüller der von ihnen dargestellten Personen und der Regisseur, der dem ganzen eine Absicht unterstellt.

Geschichten handeln von den Figuren. Man muss also auch ihr Innerstes porträtieren. Diesen Versuch will ich mit diesem Buch wagen und ich freue mich, dass Sie als Leser, diesen Weg gemeinsam mit mir gehen wollen.

Nun aber genug der Vorrede, ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung bei der Lektüre der folgenden Seiten.

Für kreatives Feedback bin ich Ihnen jederzeit dankbar, hoffe auf gut gemeinte Ratschläge und wohlwollendes Entgegenkommen. Schreiben Sie mir unter [email protected] - ich freue mich auf Sie.

Ihr B. Hank Hoefellner

Gefangen

Ich musste kurz eingenickt sein. Mir war kalt. Meine Kleidung lag klamm an meiner Haut. Bevor ich die Augen öffnete, lauschte ich in den Wald hinein. Hatte ich nur geträumt? Ich wartete ab, wagte kaum zu hoffen. Hörte ich etwas? Es blieb still. Das hätte mich warnen können, aber ich war so überrascht, dass ich die Augen aufriss - und da begriff ich: Ich hatte gar nichts gehört.

Die Vögel waren alle still und das obwohl der Morgen hereingebrochen war. Ein Wald am Morgen, die Sonne strahlt und kein Vogel zu hören.

Ich sah mich um, versuchte meine Arme zu drehen. Es gelang mir aber nur Millimeter um Millimeter. Auch der Kopf saß fester als gestern Nacht. dass ich überhaupt in einer solchen Situation, in einer solchen Stellung einschlafen habe können, war mir ein Rätsel.

dass ich mir überhaupt darüber Gedanken machen konnte? Jetzt? Ich hatte dringende Probleme, mein Schlaf war sicher keines davon!

Allerdings war es auch gut. Oder nicht? Ich war ausgeruht, hatte frische Kraft geschöpft und ich war am Leben. Noch? Egal! NICHT TOT!

Ich schrie die letzten beiden Worte hinaus in den Wald und hörte nur mein Echo widerhallen. Es war absurd. Ich hing hier fest, als würden Schraubstöcke meine Gelenke umklammern und rief in einen Wald der mich töten wollte.

Ich war mir sicher, dass er das wollte. Er hatte es geplant! Sicher! Es war seine feste Absicht seit dem Moment als ich ihn das erste Mal nach meiner Reha betreten hatte.

Ich war nach vier wöchiger Reha Maßnahme nach Hause entlassen worden und hatte mich auf meine Familie, zwei Kinder, Gattin, Katze, Hund, gefreut. Tags darauf, es war früher morgen, kaum zu glauben, dass es erst gestern war, verließ ich vor dem Frühstück das Haus. Hatte meine Sportsachen angezogen und war mit flotten Schritten den kleinen Hügel aus dem Dorf hinaus, hoch in den Wald marschiert. Die Luft war klar, die Vögel sangen und doch war niemand in den Gärten oder Einfahrten der Nachbarhäuser zu sehen.

Wahrscheinlich war es doch zu früh am Morgen oder zu spät, so dass alle bereits in ihren Büros, Werkstätten oder an ihren sonstigen Arbeitsplätzen waren. Seltsam, dass ich nicht weiß, welcher Tag gestern war. Dienstag? Dann war jetzt, heute, Mittwoch?

Die ersten zweitausend Schritte gingen wie von selbst. Aus dem Kopfhörer drang der sanfte Rhythmus klassischer Musik. Gustav Mahler. Ich war beschwingt und freute mich bereits auf das Frühstück mit meinen Kindern. Ich genoss die frische laue Morgenluft. Genoss den Tau auf dem Moos und in den Netzen der Spinnen. Es roch nach Sommer.

Nach weiteren zweitausend Schritten setzte plötzlich der Kopfhörer aus. Ich warf einen Blick auf meinen MP3-Player mit Diktierfunktion. Er lief weiter. Aus dem Kopfhörer kam jedoch kein einziger Ton. Vermutlich war der Akku nicht geladen. Ich ärgerte mich kurz, stopfte das schnurlose Teil in meine Tasche, stoppte den Player und dehnte mich an Ort und Stelle.

Da fiel es mir das erste Mal auf: Es war still. Völlig still. Kein Blatt rührte sich im Wind. Kein Luftzug streifte meine Wangen. Kein Vogel sang oder zwitscherte. Kein Rascheln im Gebüsch. Kein verräterisches Knacken im Unterholz. Es war völlig und absolut still. So musste sich ein Astronaut fühlen, wenn er in der Leere des Alls seinen Weltraumspaziergang machte. Aber so sollte sich kein Spaziergänger in einem mitteleuropäischen Mischwald fühlen. Verloren und völlig allein gelassen umgeben von Fichten und Buchen und Birken. In absoluter unheimlicher Stille!

Ich machte einen Schritt und atmete dabei lautstark ein. Damit wollte ich mich gegen die Stille stemmen, dem Wald sagen: Sieh her! ICH BIN DA!

Aber nichts! Der Wald schwieg und die Welt mit ihm. Noch nicht einmal das ferne Rauschen der Autobahn, das dumpfe Dröhnen des Luftverkehrs über mir - es gab kein einziges wie auch immer geartetes Geräusch, abgesehen von jenen, die ich zu fabrizieren in der Lage war. Ich begann zu pfeifen. Ich hörte bald wieder auf damit. Es macht einem mehr Angst allein zu pfeifen als gar nichts zu hören. Es ist das Eingeständnis an sich selbst, jetzt völlig allein zu sein und dass dies nicht in Ordnung war.

Es war absolut nicht in Ordnung! Ich griff nach einem herunterhängenden Ast und riss so fest daran, wie ich nur konnte. Irgendetwas musste ich hören! Etwas das ich tat, musste doch die Tiere aufschrecken, die mich zweifelsohne in nächster Nähe umgaben.

Aber der Wald blieb still. Ein letztes Mal sah ich mich um. Hundert Meter lagen vor mir zur ersten Weggabelung. Vier Kilometer geradeaus würden mich an den Rand der nächsten Ortschaft führen, einer stillgelegten Kiesgrube. Links führte ein Weg zwei Kilometer fast schnurgerade zu einem kleinen Bachlauf und rechts waren es drei Kilometer, bis der Forstweg eine große Kurve nach links machen würde und dann vor einem umzäunten Trafohäuschen endete. Das alles wusste ich. Was jetzt?

Der Weg den ich gekommen war! Er führte mich zurück in eine Welt voller Geräusche, eine Welt voller Leben! Ich riss noch einmal aus purem Trotz an dem tiefhängenden Ast und erschauderte, wie sehr das verursachte Geräusch vom dumpfen Wald verschluckt wurde. Es gab keine Nachhall. Das Rascheln und Knacken erstarb fast augenblicklich.

So wandte ich mich, nicht ohne Angst, meinem Nachhauseweg zu, der sich nun vor mir erstreckte. Viertausend Schritte, das entsprach etwas mehr als drei Kilometern. Davon fast zwei Kilometer durch den Wald, diese Wand aus Stille. War der Wald seit meinem Betreten so still? Ich hatte keine Ahnung. Verfluchte Kopfhörer. Verfluchter Gustav Mahler. Langsam beschleunigte ich meinen Schritt. Die Bäume links und rechts kamen mir mit einem Male völlig neu und fremd vor. Es gab keine Lücken zwischen ihnen, durch die man den fernen Himmel sehen hätte können. Wo stand die Sonne? Es war früh. Sie schien, jenseits der Bäume. Sie sollte im Osten sein, auf dem Weg nach Süden. Sie sollte also links hinter mir stehen. Doch ich warf keinen Schatten. Jeder Schatten den ich werfen hätte können, wurde von den Schatten der stillen Bäume verborgen. Und über allem diese verfluchte Stille!

Ich verfiel in einen leichten Laufschritt. Ich musste raus aus diesem Wald. Vor mir müsste gleich die Kurve nach rechts kommen. Ich würde ein Feld passieren, eine kleine Lichtung am Waldrand. Da würde ich Sonne haben, wieder einen Schatten. Immer schneller setzte ich einen Fuß vor den Anderen und lief. Schweiß rann mir Rücken und Gesicht. Gleich würde die Kurve kommen. Doch warum sah ich keine? Wo war die Lichtung mit dem kleinen Feld auf dem mal Weizen, mal Gerste und mal Raps gepflanzt wurde? Kannte der Bauer um die Stille in diesem Wald?

Ein Zerren in meiner linken Wade kündigte einen Krampf an. Ich hielt dagegen und lief. Schneller werdend wollte ich diese Kurve erreichen, die nicht kam! Das Feld, die Sonne, die Kurve, der Weg aus diesem Wald. Meine Schritte verhallten keine handbreit um meinen Körper. Kein Widerhall aus dem Wald begleitete mich. Mein Schnaufen und Keuchen und Stöhnen umhüllte mich wie eine dumpfe Glocke. Flüssigkeit lief mir über das Gesicht. Es war nur zum Teil der Schweiß. Ich heulte, war verzweifelt, hatte Angst. Ich lief und lief und hoffte auf die Lichtung mit dem Feld. Hoffte auf einen kurzen Blick auf blauen Himmel aber wohin ich schaute, sah ich nur dichte Blätter oder das dunkle grün der Fichten.

Ich blieb stehen. Stoppte aus vollem Lauf und ging in die Hocke. Ich sog mit tiefen Atemzügen Luft in meine Lungen. Diese brannten von der ungewohnten Anstrengung. Nur sehr langsam beruhigte sich mein Puls. Ein Blick auf meine Smartwatch verriet mir, dass ich seit meiner Umkehr viertausendfünfhundert Schritte gelaufen war. Ich hätte längst zuhause sein müssen.

War ich falsch abgebogen? Hatte ich mich von der Stille so verunsichern lassen, dass ich die falsche Richtung eingeschlagen habe? War ich so versunken in Gedanken und Musik, dass ich den Wald durch einen anderen Weg, als den Üblichen betreten hatte?

Alle schien mir möglich. Nichts davon plausibel. Ich lief auf einer Straße die kein Ende nahm. Stand in einem Wald der keinen Himmel hatte. Und ich schrie in eine Stille, die mich nicht hören konnte.

Erschöpft lehnte ich mich an einen Baum und gleitete an seinem Stamm zu Boden bis ich saß. Weiches grünes klammes Moos empfing meinen müden Körper. Nur zehn Minuten ausruhen, zu Kräften kommen, dann würde ich mein Glück in der anderen Richtung versuchen. In Gedanken lief ich den Weg durch den Wald ab, vorbei an drei weiteren Gabelungen, immer geradeaus, durch eine kleine Senke, eine sanfte Anhöhe hinauf, bis sich links die stillgelegte Kiesgrube öffnete. An deren Rand entlang, mit Blick auf blauen Himmel, die Bäume hinter mir, musste ich nur noch wenige hundert Schritte laufen, bis ich die ersten Häuser rechts von mir zu sehen bekam. Der Kindergarten schloss sich gleich nach dem Ortsschild an, eine Bäckerei gleich gegenüber. Dort würde ich mir Kaffee holen und zuhause anrufen um mich abholen zu lassen.

Nach fast einer Stunde stand ich schließlich auf. Ich fühlte mich unendlich müde. Meine Waden brannten. Das konnte unmöglich von der Anstrengung herrühren. Ich war zwar untrainiert, aber nach vier Wochen Reha war ich fitter denn je.

Es war die Stille. Sie saugte mich aus, zehrte an meinen Reserven. Leichte Stretch- und Dehnübungen sollten mich vor Krämpfen bewahren, dann lief ich in leichtem Tempo los. Ich passierte die erste Gabelung - links zum Bachlauf, rechts zum Trafohäuschen - und ich hatte das Gefühl wieder in Form zu kommen. Wurde es nicht auch heller? Während ich lief, achtete ich nicht mehr auf die Stille. Außer meinen Schritten, meinem Atem und dem metallischen Klimpern meiner Schlüssel blendete ich alles aus. Meinen Blick fest auf den Weg vor mir gerichtet lief ich weiter. Jetzt müsste eigentlich eine der nächsten Weggabelungen kommen. Doch so sehr ich mich auch anstrengte, vor mir konnte ich keine Gabelung ausmachen. Der Weg führte sanft ansteigend schnurgerade durch den stillen Wald. Ich verscheuchte die Gedanken an die Stille und summte ein paar Takte aus Mahlers dritter Symphonie. Es half. Zumindest bis ich eine Pause einlegen musste. Ein neuerlicher Blick auf meinen Schrittzähler bestätigte, was ich ich bereits geahnt, nein, gefürchtet, hatte: Ich war nun mehr als viertausend Schritte gelaufen, die Kiesgrube hätte sich links vor mir auftun, der Waldrand zum greifen nah sein müssen. Stattdessen sah ich nur noch dichters Grün um mich. Und mittendrin war ich und schnaufte und keuchte und schwitzte. Ich war am Ende. Konnte nicht mehr. Langsam ging ich auf der Stelle und sah mich um. Ein paar Steine kickte ich mutwillig in die Büsche. Mir war nach heulen zumute, nach schmollen und aufgeben. Warum hatte ich mein Telefon nur zuhause gelassen? Weil es in diesem Wald sowieso nie Empfang gab. Kein Empfang, kein GPS, gar nichts. Noch nicht einmal Geräusche. Es war wie der Aufenthalt in einem Floatingtank.

Dann traf ich eine Entscheidung. Ich wollte warten. Hier. An Ort und Stelle ausharren, bis mich meine Frau vermissen würde, wenn sie es nicht schon längst tat. Für eine Stunde wollte ich weg sein, jetzt war ich seit mehr als drei Stunden unterwegs. Was würde sie tun? Sie wusste wo ich hin wollte. Ich ging vor meiner Reha gern in diesen Wald. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aufmachen würde um mich zu suchen war gegeben. Sie konnte mit dem Fahrrad den Hügel hoch kommen, immer geradeaus in den Wald fahren und mich finden. Alles was ich zu tun hatte, war an Ort und Stelle bleiben und mich finden lassen. Ich suchte mir ein schönes Plätzchen und setzte mich in halbwegs trockenes Moos zu Füßen einer stattlichen Birke. Es roch erdig und leicht nach Moder, nicht unangenehm, unter anderen Umständen. Aber jetzt? Heute? Es war wie der Geruch meines eigenen Grabes. Das satte Grün der dicht gewachsenen Fichten war der Deckel des sich schließenden Sarges, das Moos der Samtbeschlag in seinem Innern. Als ich so darüber nachdachte verfiel ich in ein debiles Lachen. Ich grinste von einem Ohr zum anderen und musste an die Therapeutin in der Rehaklinik denken. Sie hatte mir gegen den Stress viel Ruhe verordnet. Langsame Spaziergänge im Wald. Und jetzt? Was würde sie von dieser Ruhe halten? Diesem Wald, der mich akustisch aushungerte?

Später? Vermutlich. Ich war kurz weg. Mir war etwas kalt geworden. Die Beine waren wegen den kurzen Hosen nur unzureichend gegen Wärmeverlust geschützt. Unter meinem Hintern drückte etwas und ich wollte mich zur Seite neigen um zu sehen, was das war, konnte mich aber nicht bewegen. Etwas hielt mich an den Stamm gedrückt. Um meinen Bauch hatte sich ein dünnes weißes Gespinst gelegt, dass mich mit dem Baum verband. Meine Finger griffen selbständig nach den dünnen Fäden und versuchten diese zu zerreißen. Einzelne Fäden lösten sich, doch gelang es mir nicht auch nur einen zu zerreißen. Stattdessen juckten meine Finger, die die Fäden berührt hatten. Rote dünne Striemen waren auf meinen Handinnenflächen zu sehen. Ich rieb sie auf dem feuchten Moos mit der Absicht, der letzte Rest Tau würde kühlen. Es machte die Sache aber nur noch schlimmer. Ganz plötzlich brannten meine Handflächen entsetzlich und ich riss meine Hände aus dem Moos. Überall um mich herum lag das gleiche Gespinst. Es umgab mich, den Baum und lag dünn auf dem Moos wie extrem dünne Spinnenfäden. Meine Hände bluteten. Ich hatte ganze Stränge des Gespinstes in meine Haut gerieben und offensichtlich reagierte ich allergisch darauf. Nasse blutende Wunden verunzierten meine Hände. Vorsichtig zupfte ich die Fäden, so gut es ging, aus den Wunden und tupfte die Fläche an meinem T-Shirt trocken, peinlich darauf achtend, nicht noch einmal in diese Fäden zu greifen. Was war das? Je länger ich um mich herum die Bäume betrachtete, stellte ich fest, dass alle Birken um mich herum dieses Gespinst zeigten. Mal hatte es sich um den Stamm gelegt. Mal auf dem mit Blättern bedeckten Boden ausgebreitet. Ein Stamm war bis ungefähr zwei Metern Höhe völlig eingesponnen. Bei näherer Betrachtung glaubte ich, etwas in dem dicht gesponnen Flechtwerk aus dünnen Fäden zu erkennen: Vögel, Eichhörnchen, Marder?

War das die Ursache für die Stille? Gigantische Spinnennetze? Ich hatte von Spinnen gelesen, die Vögel jagten - aber Spinnen die so feste Fäden spannen? War es ein Pilzgeflecht? Der dunkle Hallimasch in Nordamerika stellte mit seinem Myzell das größte Lebewesen der Erde dar. Konnte ein Pilz überhaupt oberiridisch gedeihen? Was wusste ich schon über Pilze?

Ich versuchte durch langsames hin- und herschaukeln meine Lage zu verbessern, aber es half nichts. dass meine Hände schmerzten machte es nicht leichter. Schließlich gab ich meine Bemühungen auf. Gleich würde meine Frau herbei radeln und mich aus dieser peinlichen Situation retten. Wir würden beide darüber herzlich lachen und ein paar Pilze aus diesem Wald verspeisen. Langsam verlor ich darüber das Bewusstsein.

Ein heftiger Schmerz in meinen Beinen ließ mich aufschrecken. Ein kurzer Blick verriet, dass meine Beine bereits unter einer dicken Schicht weißer Fäden verschwunden waren. Sie brannten furchtbar. Mein rechter Arm klebte an meinem Bauch fest. Nur meinen Kopf konnte ich noch drehen und meinen linken Arm halbwegs frei bewegen. Tränen traten in meine Augen. Es war dunkel geworden. Wie lange hatte ich geschlafen? Meine Smartwatch konnte ich nicht sehen, sie klebe mit meinem rechten Arm an meinem Körper. Ich versuchte meine Position so gut es ging zu ändern und ließ es sofort bleiben. Blut sickerte bei jedem Versuch einer Bewegung durch die Fäden. An meinen Beinen und, soweit ich das sehen konnte, an meinem Bauch. Hinter meinem Ohr spüre ich bereits wie die Fäden sich an meinem Kopf zu schaffen machen. Wachsen die Fäden aus dem Ohr? Konnte ich deshalb nicht mehr hören? Hatte ich mir unterwegs Pilzsporen eingefangen? Aber welcher Pilz konnte so schnell wachsen?

Wieder dieses debile Lachen. Erwachsener Mann Opfer eines morgendlichen Pilzangriffs! Was für eine Schlagzeile für die regionale Wochenzeitung. Ich lachte. Das tat weh. Ein heftiger Hustenanfall erschütterte meinen Brustkorb und ich spuckte klumpiges Blut. Es saß also bereits in mir fest. War es durch die Haut gewachsen? Hatte ich Sporen eingeatmet?

Meine Linke griff gegen den Widerstand weiterer Fäden in die Hosentasche. Der MP3-Player. Ich schielte mit meinen Augen, der Kopf wurde mittlerweile durch diverse Fäden am Birkenstamm fixiert, zu dem kleinen schwarzen Gerät. Wenn ich es irgendwie schaffen würde…

Ja! Der Knopf. Ich drückte auf Aufnahme, das kleine Blinklicht zeigte an, dass es aufzeichnet. Und so fing ich an meine Geschichte zu erzählen. Bis ich zwischendurch immer wieder eingenickt bin. Wenn das jemand findet, dann wird er hoffentlich meiner Frau und meinen Kindern erzählen können, was mir passiert ist. Ich hoffe allerdings inständig, dass niemand diese Aufzeichnung finden muss. Es würde heißen, der Wald hätte gewonnen, die Stille hätte ein neues Opfer gefunden.

Mittlerweile sehe ich nur noch auf meinem linken Auge etwas. Das rechte wurde vor kurzem durch das Gespinst ersetzt. Es tat höllisch weh, als sich die Fäden von innen nach außen durch den Augapfel fraßen, aber jetzt, jetzt habe ich keine Schmerzen mehr. Ich weiß noch nicht mal, ob ich noch einen Körper habe. Jetzt kommen die Fäden um meinen Mund zu schließen...was ist das? Ich höre...höre wie...höre meinen Namen. Jemand schreit meinen Namen! Ich will schreien, antworten. Es sind Stimmen. Die Stimme meiner Frau und...NEIN! Es sind die Stimmen meiner Kinder. Und das Kläffen unseres Hundes….Fahrradklingeln! NEIN! NEIN! NEIN! NE..!

ENDE

Der Friedhof

Wie jeden Tag zur selben Zeit, hatte ich meinen Lieblingsplatz auf dem Friedhof eingenommen. Ich wartete auf den seltsamen Mann, der mir seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Ein Verdacht hatte sich in mir ausgebreitet und ich wollte der Sache nun endlich auf den Grund gehen. Es war ein überraschend warmer Frühlingsspätnachmittag und die Sonne stand tief am Himmel. Vögel zwitscherten, die Hecke, die Sträucher und die Bäumchen auf den Gräbern, alles hatte bereits das erste zarte Grün hervorgebracht. So saß ich da und wartete.

Die Bank auf der ich für gewöhnlich saß, steht an einem sanft ansteigenden Hang, an einem breiten Weg zwischen den Grabreihen und bietet eine schöne Aussicht über den Friedhof.

Von hier konnte ich gut den Eingang sehen, während sich hinter mir die älteren Gräber, vor allem die Grüfte der vornehmeren Familien, bis zu einer dicht gewachsenen Hecke erstrecken.

Ich mochte den vorderen Teil, der auf den ich gerade sehe. Es ist der freundlichere Teil an diesem Ort. Die älteren Gräber sind oft ungepflegt. Häufig wurden die letzten Mitglieder der dort bestatteten Familien schon vor langer Zeit beigesetzt. Wilde Pflanzen hatten sich ihre Plätze gesucht. Aus zersprungenen Grabplatten wuchs Löwenzahn, wilder Efeu und anderes Gestrüpp und Unkraut. Dicke Wurzeln hatten Grabeinfassungen sowie Grabsteine verschoben. Bei Nebel und nachts war es ein unheimlicher Ort. Ich meidete ihn so gut es geht.

Während ich so meinen Gedanken nachhing, hatte ich ihn und sein plötzliches Erscheinen, wie gewöhnlich, nicht bemerkt. Er musste über die Gabe verfügen, sich völlig lautlos an Menschen heran pirschen zu können. Was für ein ausgezeichneter Jäger er doch geworden wäre.