Jerry Cotton 3019 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3019 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Beim Abbruch eines Hauses in Detroit waren Arbeiter auf drei Leichen, eine Frau und zwei Männer, gestoßen. Die ersten Untersuchungen hatten ergeben, dass diese schon einige Jahre dort gelegen haben mussten. Weitere Ermittlungen ergaben, dass es sich dabei um die vor sechs Jahren verschwundene Journalistin Patricia Lincoln, den katholischen Priester Ian O'Malley und den Studenten David Sully handelte. Was hatten diese drei Personen zu Lebzeiten miteinander zu tun? Das herauszufinden war unser Auftrag - und natürlich den Mörder zu finden ...

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Inhalt

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Impressum

Leichen schweigen nicht

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BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »French Connection I«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1050-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Leichen schweigen nicht

Mick Banner kletterte in das Führerhaus des Baggers, ließ den Motor an und versetzte die Abrissbirne am Schwenkarm der Maschine ins Pendeln. Regen prasselte gegen die Glasscheiben des Baggers, als Banner das schwere Gerät gegen die Mauer des letzten Gebäuderestes krachen ließ. Doch plötzlich hielt er inne. Sein Atem stockte. Trotz der vom Himmel herabkommenden Wassermassen sah der Baggerführer nur allzu deutlich, was sich hinter der Wand befunden hatte. Ein Haufen menschlicher Skelette. Die Totenschädel schienen in seine Richtung zu starren.

Phil und ich waren gerade erst wieder nach Washington zurückgekehrt, als Mr High auch schon den nächsten Auftrag für uns hatte. Ein FBI-Inspektor kann sich niemals über Beschäftigungsmangel beklagen.

Und so kam es, dass wir an diesem nebligen Oktobermorgen dem Leiter der Field Operation Section East in seinem Büro am Konferenztisch gegenübersaßen. John D. High kam sofort zur Sache.

»In der vorigen Woche wurden in Detroit die sterblichen Überreste von drei Menschen entdeckt. Bauarbeiter waren damit beschäftigt, ein seit Jahren nicht mehr benutztes Gewerbegebäude abzureißen. Sie fanden die Skelette von einer Frau und zwei Männern.«

Ich hakte nach.

»Das heißt also, die Personen sind schon vor längerer Zeit ums Leben gekommen?«

»Genau, Jerry. Außerdem wurden noch vermoderte Reste der Kleidung sichergestellt, beispielsweise ein Gürtel aus Plastik. Es handelt sich jedenfalls um drei Menschen, die auf unserer Liste vermisster Personen stehen. Sie sind vor sechs Jahren verschwunden, und zwar innerhalb des Zeitraums von acht Wochen. Bisher gab es allerdings noch keine Hinweise darauf, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind.«

»Und das hat sich jetzt geändert? Wir gehen von Mord aus?«

»Ja, Phil. Eine erste gerichtsmedizinische Untersuchung hat ergeben, dass die drei Opfer alle mit demselben Werkzeug erschlagen wurden. Vermutlich war es ein Eispickel. Darauf deuten die sehr ähnlichen Verletzungen der Schädeldecke hin. Und sie wurden alle in demselben Raum abgelegt, offenbar einer ungenutzten Vorratskammer. Das Gebäude wurde schon vor mehr als sechs Jahren nicht mehr benutzt. Es stand leer, diente allenfalls Obdachlosen als Schlafplatz. Der Täter konnte also ziemlich sicher sein, dass die Leichen dort niemals entdeckt wurden. Es sieht so aus, als ob er den Eingang zugemauert hätte. So konnte er auch vor einem Zufallsfund sicher sein.«

»Das spricht gegen eine Tat des organisierten Verbrechens, Sir. Im ersten Moment dachte ich an einen Mafia-Mord, bei dem ein Exempel statuiert werden sollte. Aber in solchen Fällen stellen die Gangster sicher, dass die Opfer gefunden werden, damit Angst und Schrecken verbreitet wird.«

»Genau, Jerry. Von einer Tat des organisierten Verbrechens gehe ich zurzeit auch nicht aus, obwohl ich Ihren Ermittlungen nicht vorgreifen will.«

»Warum ist der Dreifachmord überhaupt ein Fall für das FBI und nicht für das Detroit Police Department?«, wollte Phil wissen.

»Weil die Opfer aus drei verschiedenen Bundesstaaten stammen. Sie konnten aufgrund ihres Zahnstatus bereits identifiziert werden. Es handelt sich um Patricia Lincoln, eine junge Journalistin. Sie hat zuletzt direkt hier in Washington gearbeitet. Der zweite Tote heißt Ian O’Malley, ein katholischer Priester aus Chicago, Illinois. Und die dritte Person war David Sully, der in Philadelphia Betriebswirtschaft studierte.«

»Gibt es eine Verbindung zwischen den Opfern, von dem vermutlich gemeinsamen Mörder einmal abgesehen?«

»Nein, Jerry. Jedenfalls keine, die auf den ersten Blick ersichtlich wäre. Ich schlage vor, dass Sie die Ermittlungen von Detroit aus leiten. Dort befindet sich immerhin der Leichenfundort. Nehmen Sie Ihr SR-Team mit. Dorothy hat sich bereits mit der Reiseabteilung in Verbindung gesetzt, Sie fliegen noch heute.«

»Sehr gut, Sir«, erwiderte ich. »Aber zuvor sollten wir hier in Washington mit dem ehemaligen Boss der Journalistin sprechen.«

***

Nachdem die Besprechung beendet war, rief ich bei Gerold Willson an. Der Mediziner und Forensiker ist so etwas wie der inoffizielle Leiter unseres SR-Teams in Quantico. Ich berichtete von der neuen Mission. Ich konnte seinem Tonfall anhören, dass die Mission ihm gefiel. Die Aufdeckung geheimnisvoller Straftaten war ganz nach seinem Geschmack.

»So, nach Detroit soll es also diesmal gehen«, meinte Willson. »Dann werde ich meine Kollegen mal aufscheuchen, Jerry. Sie treffen sich mit uns am Reagan National Airport, nehme ich an?«

»Diesmal nicht, Gerold. Phil und ich nehmen eine spätere Maschine, weil wir noch einen möglichen Zeugen in Washington befragen wollen. Wir kommen dann nach und haben unsere erste Teambesprechung mit Ihnen am späten Nachmittag im Detroit Field Office.«

Ich beendete das Telefonat. Phil und ich fuhren zur Redaktion der Washington News. Bei dieser Tageszeitung hatte Patricia Lincoln vor ihrem spurlosen Verschwinden gearbeitet.

»Was versprichst du dir von dem Besuch, Jerry?«, fragte Phil, während wir uns durch den Straßenverkehr der Hauptstadt kämpften. »Die Kollegen und Vorgesetzten der Journalistin werden schon bei ihrem Verschwinden ausführlich befragt worden sein. Da wird es keine neuen Erkenntnisse geben.«

»Wahrscheinlich nicht. Aber damals stand noch nicht fest, dass sie nicht mehr lebte. Außerdem wissen wir nicht, ob man vor sechs Jahren schon nach einer Verbindung mit Detroit gesucht hat. Was hat die Reporterin dort gemacht? Reiste sie freiwillig nach Detroit? Wurde sie von ihrem Mörder nach ihrem Tod dorthin geschafft? Und weshalb? Diese Fragen werden wir beantworten müssen.«

Die Washington News ist eine der größten Tageszeitungen Amerikas mit einem entsprechend gut gesicherten Redaktionsgebäude. Man war dort auf mögliche Terrorattacken gut vorbereitet. Wir zeigten am Empfang unsere FBI-Marken. Daraufhin brachte uns ein Security mit schusssicherer Weste ins Innere des Gebäudes, führte uns zum Empfangsbereich. Eine attraktive Lady schaute mich fragend an.

»Es geht um die vermisste Patricia Lincoln«, sagte ich. Daraufhin begann die Mitarbeiterin eifrig zu telefonieren. Nach einigem Hin und Her führte uns ein anderer Security zum Chefredakteur höchstpersönlich.

Richard Burgess war ein Mann in mittleren Jahren mit einem harten Blick. Er residierte in einem Büro, das von Macht und Einfluss dieser Zeitung zeugte. Wir stellten uns noch einmal vor und nahmen dann auf den Stühlen vor seinem Schreibtisch Platz.

»Sie kommen wegen Pat, Inspektor Cotton und Inspektor Decker? Wir haben Patricia alle nur Pat genannt. Ich muss gestehen, dass ich ihr spurloses Verschwinden immer als eine persönliche Niederlage empfunden habe. Für uns Journalisten ist es Ehrensache, jedes Rätsel lösen zu wollen. Dafür werden Sie als FBI-Inspektoren gewiss Verständnis haben. Aber obwohl Pat aus unseren Reihen stammt, ist es uns nicht gelungen, ihre Spur aufzunehmen. Es war, als ob sich der Boden aufgetan und sie verschluckt hätte.«

Patricia Lincoln schien beliebt gewesen zu sein. Aber wir mussten auch damit rechnen, dass unser Gegenüber nicht mit offenen Karten spielte.

»Patricia Lincoln wurde ermordet, die Polizei von Detroit hat ihre sterblichen Überreste gefunden.«

Während ich diesen Satz aussprach, beobachtete ich den Chefredakteur genau. Er zeigte keine Reaktion, aber das wunderte mich nicht. In seiner Position hatte er gewiss gelernt, seine Empfindungen im Zaum zu halten.

»Pat ist tot? Und daran gibt es keinen Zweifel, Inspektor Cotton?«

»Die Leiche wurde eindeutig identifiziert. Könnte der Mord in Zusammenhang mit einem Artikel stehen, an dem Patricia Lincoln gearbeitet hat? Ist sie jemandem zu nahe gekommen, der auch vor Mord nicht zurückschreckt?«

»Das wüsste ich selbst gern«, behauptete Richard Burgess und rieb sich das Kinn. Er starrte aus dem Fenster, als ob dort draußen die Lösung des Rätsels zu erwarten wäre.

»Ihnen ist nicht bekannt, woran Ihre Leute arbeiten?«, hakte Phil ungläubig nach. »Ich dachte immer, der Chefredakteur verteilt bei einer Zeitung die Storys an die Mitarbeiter. Oder er segnet zumindest ihre eigenen Ideen ab.«

»Normalerweise schon, Inspektor Decker. Aber bei Pat lag der Fall anders. Sie war vor ihrem Verschwinden so eine Art Mädchen für alles. Pat hat über Lokalpolitik geschrieben, aber auch weniger bedeutende Schauspieler und Musiker interviewt. Undankbare journalistische Gelegenheitsjobs, sozusagen. Doch sie war ehrgeizig, was ich als Vorgesetzter natürlich gut finde. Einen Monat vor Pats Verschwinden ging unser langjähriger Chef-Kriminalreporter in den Ruhestand. Unter den Kollegen gab es das Gerücht, Pat wäre auf seine Position scharf. Und sie würde angeblich an einem ungelösten Kriminalfall arbeiten, der sie sofort auf die Titelseite bringen würde.«

Ich horchte auf. »Sie sprechen von Gerüchten, Mr Burgess. Was für ein Kriminalfall? Ging es um Mord, Entführung, Schutzgelderpressung oder ein anderes Delikt?«

»Das weiß ich nicht, Inspektor Cotton. Ich habe versucht, es herauszufinden. Pat hat an ihrem Arbeitsplatz keine Unterlagen hinterlassen, die Hinweise enthalten könnten. Außerdem hat das Washington Police Department damals alle Papiere mitgenommen, die wichtig gewesen sein konnten.«

Alle Papiere? Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass Burgess und seine Leute selbst überall geschnüffelt hatten. Es war für Journalisten wohl wirklich eine Frage der Ehre, das Verschwinden einer Kollegin selbst aufzuklären. Es sei denn, der Mörder saß selbst in der Zeitungsredaktion und hatte dort alle Spuren verwischt.

»Gibt es jemanden, mit dem sich Patricia Lincoln vor ihrem Verschwinden bekriegt hatte?«

Der Chefredakteur zögerte mit seiner Antwort auf meine Frage etwas zu lange.

»Sie kriegen den Ärger des Jahrhunderts, wenn Sie einen Verdächtigen decken«, warnte Phil. Burgess warf uns einen wütenden Blick zu.

»Ich decke niemanden, aber ich lege für meine Leute die Hand ins Feuer. Es gibt eine junge Kollegin, mit der sich Pat nie richtig gut verstanden hat. Ich musste die beiden jungen Ladys mehr als einmal abmahnen, weil sie ihren Zickenkrieg hier in den Redaktionsräumen ausgetragen haben. Aber sowohl Pat als auch Maxie Bloom sind oder waren wertvolle Mitarbeiterinnen. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Maxie etwas mit Pats Verschwinden zu tun hat. Sie war damals genauso geschockt wie wir alle.«

»Oder sie konnte ihre wahren Gefühle gut verbergen«, meinte Phil.

***

Angeblich konnte der Chefredakteur die Ermordete auch nicht mit dem Ort Detroit in Verbindung bringen. Immerhin gab er uns die Handynummer von Maxie Bloom. Sie war gerade nicht an ihrem Arbeitsplatz, weil sie im Washingtoner Südosten für eine Story über illegale Textilfabriken recherchierte.

Wir verabschiedeten uns und stiegen wieder in den Ford Interceptor.

»Glaubst du, dass Burgess uns alles gesagt hat, Jerry?«

»Nein. Es war auffällig, dass er die Rivalität zwischen den beiden Frauen am liebsten unter den Teppich gekehrt hätte. Vielleicht hat er ja ein Verhältnis mit dieser Maxie Bloom. Wir müssen natürlich damit rechnen, dass er in dieser Minute mit ihr telefoniert und ihr von unserem Besuch erzählt. Das können wir nicht verhindern. Aber auf jeden Fall sollten wir Maxie Bloom nicht anrufen, denn dann wäre sie vorgewarnt. Ich möchte sie lieber überraschen, falls das noch möglich ist.«

»Also denkst du an eine Handyortung?«

»Sicher, bei Mordverdacht ist das gerechtfertigt.«

Phil rief unsere Informatikerin Mai-Lin an und gab ihr die Handynummer der Journalistin durch. Während unsere chinesischstämmige Kollegin die elektronische Ortung aufbaute, schaltete Phil sein Notebook ein. Noch wussten wir nicht, wie Maxie Bloom aussah. Doch die Washington News hatte auf ihrer Homepage Fotos der Redakteure eingestellt. Maxie Bloom war eine resolut wirkende hübsche Brünette mit Hornbrille.

Mai-Lin rief Phil zurück. Sie hatte den Standort der Journalistin lokalisieren können. Maxie Bloom befand sich zurzeit in der Southwest Street, unweit der Busstation Rhode Island Avenue – nicht die beste Gegend unserer Hauptstadt.

Phil bedankte sich bei der Informatikerin, und ich lenkte unseren Dienstwagen in die Richtung. Währenddessen checkte Phil telefonisch, was für ein Auto die Journalistin fuhr. Es stellte sich heraus, dass ein Chevrolet Volt auf sie zugelassen war.

Ich musste den Block nur einmal umrunden, bis ich das Fahrzeug entdeckt hatte. Dann parkte ich direkt dahinter, und wir stiegen aus. Ein Stück weiter südwärts gab es schäbige Mietskasernen. Direkt vor uns befand sich ein scheinbar verlassenes Fabrikgebäude. Das Gelände war mit Maschendraht eingezäunt. Momentan sah es nicht so aus, als ob hier gearbeitet wurde. Das ganze Umfeld wirkte verwaist, man sah keine Passanten auf der Straße. Auch der Autoverkehr erinnerte eher an eine verschlafene Provinzstadt als an eine Metropole.

Phil schaute sich um.

»Maxie Bloom will also über nicht angemeldete Produktionsstätten schreiben, Jerry. Das ist doch auch ein Verbrechensthema. Übrigens ist sie aktuell laut Homepage die Chef-Kriminalreporterin der Washington News.«

Ich nickte. »Und genau diesen Job hätte das Mordopfer auch gern gehabt. Maxie Bloom sitzt nicht in ihrem Auto. Lass uns schauen, wo sie stecken könnte.«

Wir stiegen aus und gingen an dem Zaun entlang. Der Herbstwind wehte mir Staub ins Gesicht. Ich blieb stehen.

»Hörst du das auch, Phil?«

»Meinst du den weiter entfernten Verkehrslärm? Nein, Moment. Das sind doch Nähmaschinen, oder?«

Wir lauschten beide angestrengt. Man musste sich schon konzentrieren, aber dann vernahm man das Rattern von Nähmaschinen. Es mussten mindestens zehn Stück sein, die gleichzeitig in Betrieb waren. Wahrscheinlich noch mehr.

Und das Geräusch kam aus dem Inneren der scheinbar verlassenen Fabrik. Wer immer hier arbeitete, tat das ohne Genehmigung. Und er würde es nicht mögen, wenn ihm jemand auf die Finger schaute – schon gar nicht eine Reporterin.

Ich zog meine Glock, Phil folgte meinem Beispiel.

»Maxie Bloom riskiert Kopf und Kragen, wenn sie hier irgendwo herumschleicht.«

»Ja, solche Produktionsstätten hat das organisierte Verbrechen unter seiner Kontrolle. Und die lassen sich nicht in die Suppe spucken. Die Frau ist in unmittelbarer Gefahr.«

Ich entdeckte eine schmale Lücke im Maschendrahtzaun. Wir quetschten uns hindurch. Der Fabrikhof war mit Müll übersät und mit Unkraut zugewuchert. Doch das Grünzeug war teilweise niedergetreten, offenbar liefen hier regelmäßig Menschen hin und her. Irgendwie mussten die Arbeiterinnen ja ins Innere und wieder hinaus gelangen.

Die hohen, spitz zulaufenden Erdgeschossfenster des alten Klinkerbaus waren mit Stahlblech verrammelt worden. Aber es musste einen Eingang geben. Wir schlichen an dem Gebäude entlang, bis wir zur westlichen Schmalseite kamen.

Plötzlich ertönte ein gellender Hilfeschrei aus weiblicher Kehle. Es klang, als ob gleich Blut fließen würde.

***

Phil und ich sprinteten los.

Der Schrei war aus der Fabrik gekommen, das hatten wir deutlich gehört. Ich sprang die wenigen Stufen zur Laderampe hoch und bemerkte eine Schiebetür, die einen Spalt weit offen stand. Ich schob sie weiter auf, während Phil mir Deckung gab. Nun registrierten wir auch eine grollende männliche Stimme, die eine Fremdsprache benutzte. Für mich klang es Russisch. Und es hörte sich nicht so an, als ob der Kerl gute Laune hätte.

Wir rannten in das Gebäude. Dort brannten flackernde Neonröhren, die ein kaltes Licht erzeugten. Auf einer steilen Treppe vor uns rang ein muskulöser Glatzkopf mit einer zierlichen Frau, die Jeans und Kapuzenpullover trug. Ich erkannte Maxie Bloom sofort. Die Faust des Gorillas sah so wuchtig aus, dass er der Reporterin mit einer einzigen Bewegung den Arm hätte brechen können.

»FBI!«, rief ich. »Lassen Sie sofort die Frau los!«

Ich wusste nicht, ob der Schlägertyp unsere Sprache verstand. Auf jeden Fall gehorchte er sofort, wenn auch nicht in meinem Sinn. Er stieß nämlich die Frau von sich, sodass sie die Stufen hinabstürzte.

Die Reporterin kreischte erschrocken. Phil und ich befanden uns am unteren Ende der Treppe. Ich fing Maxie Bloom auf, während der Glatzkopf die Stiege hinaufrannte.

»Sind Sie verletzt, Miss Bloom?«

Sie warf mir einen erstaunten und verängstigten Blick zu.

»Sie kennen mich?«

»Nicht direkt. Wir reden später. Phil, bringst du sie in Sicherheit? Ich will mir den Kerl vorknöpfen.«

Mit diesen Worten rannte ich dem Angreifer hinterher, wobei ich mehrere Stufen auf einmal nahm. Obwohl der Mann mit seinen Stiefeln auf der Metalltreppe einen Höllenlärm veranstaltete, registrierte ich das lauter werdende Geräusch der Nähmaschinen. Offenbar befand sich im ersten Stockwerk eine Näherei.

Der Verdächtige hatte die erste Etage beinahe schon erreicht, als ich seinen linken Stiefel zu fassen bekam. Er trat nach mir, versuchte mich abzuschütteln. Doch ich verdrehte sein Fußgelenk.

Er verlor das Gleichgewicht und landete mit einem Schmerzensschrei auf der Treppe. Aber so schnell wollte mein Widersacher nicht aufgeben. Jedenfalls sah ich, dass er einen Teleskop schlagstock aus der Gesäßtasche zog. Auf seiner Visage erschien ein gemeines Grinsen.

Der Kahlköpfige holte aus. Aber bevor er zuschlagen konnte, ließ ich ihn in meine Pistolenmündung starren. Er zögerte kurz. Ich bemerkte das nervöse Zucken seiner Augenlider. Der Kerl stieß einige Worte auf Russisch hervor, die gewiss keine Freundlichkeit waren. Aber er zögerte nicht allzu lange. Dann ließ er sein Schlaginstrument fallen.

Ich durchsuchte schnell seine Taschen, konnte aber keine weiteren gefährlichen Gegenstände sicherstellen. Ich legte ihm Handschellen an.

Inzwischen hatten die Näherinnen bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung war. Einige von ihnen trauten sich aus dem Saal. Die Arbeitsgeräusche verebbten. Die Frauen kreischten erschrocken auf und bekamen Angst, als sie den Glatzkopf in Handschellen bemerkten.