Jerry Cotton 3024 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3024 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Es war ein sehr ungewöhnlicher Auftrag, den Phil und ich von Mr High erhielten. Sozusagen ein Undercover-Einsatz. Wir sollten den Selbstmord von Jess Wagner, einem pensionierten Richter, untersuchen, der sich erschossen hatte. Alles sah nach einem Suizid aus und wir waren ziemlich ratlos. Dann stießen wir auf ein 25 Jahre altes Urteil des Richters, der einen Mann in den Tod geschickt hatte und uns kamen die ersten Zweifel ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Leben zu viel

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »New York Taxi«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1154-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Ein Leben zu viel

Schweiß tropfte von Wilson Dunes Stirn, der Griff an seiner Schulter war unnachgiebig und der Lauf der Pistole drückte schmerzhaft an seine Schläfe. »Es tut mir leid, ich weiß, dass ich damals falsch gehandelt habe, es war ein furchtbarer Fehler, bitte nicht«, winselte Wilson, denn er war schon lange nicht mehr der harte Detective von einst. Er wollte verdammt noch mal nicht sterben.

»Dein sogenannter Fehler hat zwei Menschen das Leben gekostet und eine Familie zerstört.«

»Aber es ist Jahrzehnte her, warum jetzt«, versuchte Wilson es erneut, doch weiter kam er nicht, schon verteilte sich sein Blut im Zimmer, und was von seinem Kopf übrig war, sackte auf den Schreibtisch.

Angewidert warf der Killer die Karte neben die Leiche und raunte: »Weil Ungerechtigkeit nicht verjährt!«

»Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, John«, meinte Assistant Director James Sheckley und lächelte Mr High an, als dieser sich an den kleinen Bistrotisch setzte.

»Für eine Einladung zum Mittagessen habe ich immer Zeit«, erwiderte der Leiter der Field Operation Section East, wunderte sich jedoch, was sein Kollege von ihm wollte. Es war unüblich, dass zwei Assistant Directors sich zum Mittagessen verabredeten, und wenn, dann nicht an einem so öffentlichen Ort wie der Brasserie Beck.

Auch wenn das Bistro nur eine Viertelstunde vom FBI Headquarter entfernt lag, sah man hier so gut wie nie FBI-Angestellte, weil man sich in diesem Lokal für einen Lunch einfach zu viel Zeit nehmen musste. Dennoch war es heute gut besucht mit Geschäftsleuten und bis auf den letzten Platz besetzt.

»Die Meeresfrüchte sind hier ganz ausgezeichnet«, ergriff Assistant Director Sheckley wieder das Wort und goss sich und Mr High etwas von dem Mineralwasser ins Glas.

»Dann sollten wir die nehmen.« John High nickte der Kellnerin zu, die am Tisch auf die Bestellung gewartet hatte. »Was kann ich wirklich für Sie tun, James, wir sind doch hier nicht nur wegen des guten Essens, oder?«, kam er direkt zum Punkt, als sie wieder allein waren.

»Ich habe eine große Bitte an Sie, John«, erwiderte Assistant Director Sheckley und seine Stimme war leiser geworden. »Ein Freund von mir, Jess Wagner, hat sich angeblich vor zwei Wochen mit einem Kopfschuss das Leben genommen. Der Fall wurde als Selbstmord eingestuft und das Police Department in Richmond hat keine Ermittlungen aufgenommen. Wissen Sie, John, Jess war Richter im Ruhestand, ich kannte ihn fast dreißig Jahre, und seine Tochter Julia ist für mich wie mein eigenes Kind.«

Mr High sah James Sheckley etwas irritiert an, denn normalerweise war Assistant Director Sheckley ein sehr zurückhaltender Mann und sprach kaum über sein Privatleben. Da Richmond sich im Gebiet der Field Operation Section East befindet, konnte er sich bereits vorstellen, worauf die Bitte hinauslaufen würde. »Abgesehen davon, dass Jess kein Mann war, der sich jemals selbst getötet hätte, war er weder krank noch gab es in letzter Zeit ein Ereignis in seinem Leben, das einen Suizid erklären könnte«, fuhr Sheckley fort. In dem Moment hob Mr High sachte die Hand und unterbrach seinen Redefluss.

»James, ich kann verstehen, dass der Freitod eines so guten Freundes schmerzhaft ist, aber was macht Sie so sicher, dass es kein Suizid war? Wir alle wissen, dass man einen Menschen und seine Motivationen nie ganz verstehen kann, selbst wenn er einem sehr nahesteht«, meinte er einfühlsam. Assistant Director Sheckley nickte zustimmend, dann zog er einen kleinen Beweismittelbeutel aus seinem Jackett und legte ihn auf den Tisch.

»Das ist der Grund, warum Julia und ich uns so sicher sind.« Dabei tippte er auf das vergilbte Stück Papier in dem Plastikbeutel, das nicht größer als eine Visitenkarte war. Mr High sah sich den Text an.

»Was nicht gerecht ist, ist kein Gesetz«, las er laut und blickte wieder fragend auf Assistant Director Sheckley.

»Diese alte Karte lag neben der Leiche auf dem Schreibtisch. Dass kein Blut darauf war, kann natürlich ein Zufall sein und muss nicht bedeuten, dass sie erst nach seinem Tod dorthin gelegt wurde, doch mir geht es mehr um den Inhalt. Wissen Sie, Jess und ich stritten selten, doch wenn es dazu kam, ging es immer um die Auslegung des Gesetzestextes. Er war …«, Sheckley unterbrach sich einen Moment und suchte nach Worten. »Um ehrlich zu sein, Jess Wagner war ein sturer Hund, wenn es um die Rechtsprechung ging. Ein äußerst harter Richter, der nur nach dem Gesetz urteilte. Jeglicher Verstoß gegen das Prozessrecht, auch wenn er noch so lächerlich klein war, hat bei Jess Konsequenzen gehabt. Seine Maxime wäre eher gewesen: Was nicht Gesetz ist, ist nicht gerecht!« Er tippte wieder auf die Karte und meinte: »Dieser Satz von William Loyd Garrison wäre bei Jess sofort im Papierkorb gelandet, aber vorher hätte er die Karte zerrissen.«

Mr High seufzte kurz und wartete, bis die Bedienung wieder gegangen war, die ihnen die Meeresfrüchteplatte gebracht hatte. »Sie möchten, dass ich mich um den Fall kümmere?«, fragte er nicht gerade begeistert.

»Ja. Ich weiß, es liegt kein Grund für Ihre Zuständigkeit vor, und was meine Bitte noch unverfrorener macht, der Fall ist noch nicht einmal im Zuständigkeitsbereich des FBI. Könnten Sie trotzdem diskret einen Ihrer Leute darauf ansetzen?«

John D. High runzelte die Stirn und spielte nachdenklich mit der Austernschale in seiner Hand. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, James. Es würde gegen die Dienstvorschriften verstoßen, und gerade wir Assistant Directors haben eine besonders große Verantwortung, uns an die Regeln zu halten.«

»Können Sie nicht inoffiziell einen Ihrer Leute …«, setzte Sheckley an, führte den Satz jedoch nicht zu Ende, sondern meinte: »Ich würde es ja selbst tun, doch wenn ein Agent von der Field Operation Section Mountain in Richmond Fragen stellt, dann fällt das erst recht auf.« Mr High wusste, dass James nicht nur ein guter und hochmotivierter Kollege war, sondern auch, dass er seine Stellung als Director nie ausnutzen würde, es sei denn, es gab einen wirklich triftigen Grund.

»Na gut, James, Ihnen zuliebe. Das kann natürlich nur inoffiziell passieren, und wenn es um unbedingte Diskretion geht, da fallen mir nur zwei meiner Leute ein. Sie werden sich ein paar Tage umhören. Ich sehe, was ich tun kann, doch wenn die beiden zu dem Schluss kommen, dass es ein Selbstmord war, dann wird die Aktion sofort gestoppt«, meinte Mr High bestimmt, auch wenn er sich mit der Entscheidung nicht ganz wohlfühlte.

***

»Wir sollen was?«, polterte Phil los und trat gegen eine Kastanie, die auf dem Parkweg zu den Constitutional Gardens lag. »Du schleppst mich während der Bürozeit in den Park, nur um mir zu sagen, dass wir ins Field Office Richmond fahren müssen zwecks Personalgesprächen?«

Dann berichtigte er sich und legte noch mehr Sarkasmus in seine Worte.

»Oh entschuldige, nicht um Personalgespräche, sondern motivierende Personalgespräche zu führen, bei denen sich die Agents mal so richtig ausweinen können über ihr hartes Leben beim FBI. Spinnt die Personalabteilung endgültig? Als ob wir nichts Besseres zu tun hätten.«

Mir war klar, wie er reagieren würde, daher hatte ich es mir nicht nehmen lassen, diese Information als Erstes an Phil weiterzugeben. Ich blickte ihn mit einem breiten Grinsen an, sodass er stehen blieb und mir ein misstrauisches »Was?« zuraunte.

»Tut mir leid, ich konnte mir das nicht verkneifen. Dass dich das auf die Palme bringen würde, war mir schon klar. Nein, es geht nicht um Personalgespräche, das ist nur eine Art Alibifunktion. Wir sollen uns unter der Hand einen Suizid ansehen, von dem man glaubt, er könnte ein Mord sein.« Sofort sah mich mein Partner aufmerksam an und wir nahmen unseren Spaziergang wieder auf. Es war ein herrlicher Herbsttag, ein richtiger Indian Summer, und ich persönlich hatte nichts dagegen, Washington für ein paar Tage zu verlassen, um über Land zu fahren.

»Das hört sich ziemlich konspirativ an, aber wesentlich interessanter. Erzähl schon!«, forderte mich Phil auf, als wir am Washington Monument angekommen waren.

Wir setzten uns auf eine der weißen Marmorbänke und ich fasste zusammen, was mir unser Chef heute Morgen mitgeteilt hatte. Ich war selbst erstaunt gewesen, als er um halb acht an der Tür meines Apartments erschienen war und sich selbst auf einen Kaffee eingeladen hatte. Phil hatte recht, die Bezeichnung »konspirativ« traf den Nagel auf den Kopf.

»Assistant Director Sheckley und unser Chef?«, fragte er skeptisch, nachdem ich ihm alles erzählt hatte. »Zwei Assistant Directors, die gegen die Dienstvorschrift verstoßen?«

»Jetzt mach mal einen Punkt, das sagt gerade der Richtige. Du bist doch der Erste, der gerne mal die Grenzen überschreitet«, fuhr ich ihm in die Parade. »Wenn unser Chef sich darauf einlässt, dann hat er gute Gründe, und falls sich rausstellt, dass es kein Suizid war, dann war es Mord. Dann sind wir zuständig!«

»Nein, in dem Fall sind die Police Departments zuständig, wir kommen erst ins Spiel bei einer Serie«, erwiderte er dickköpfig. »Vielleicht eine Selbstmordserie, das wäre mal was Neues«, schob er zynisch hinterher.

Ich schüttelte den Kopf. »Du bist manchmal eine Zumutung. Sieh es positiv, so können wir in dem Fall mal wieder richtige Feldarbeit leisten und außerdem den Jaguar nehmen«, erwiderte ich, stand auf und gab ihm einen Klaps auf die Schulter.

»Na gut«, maulte er. »Aber was ist mit diesen Personalgesprächen? Müssen wir die trotzdem führen?«

***

Es war bereits halb fünf, als wir endlich vor Richter Wagners Haus im Riverside Drive ankamen. Er hatte in einer der besten Wohngegenden Richmonds gelebt, denn die Villen in Forest Hill waren begehrt wegen der Nähe zum James River und der herrlichen Waldlandschaft, in der sie lagen.

Als wir auf das Grundstück fuhren, spendeten die Bäume auf der Zufahrt kühlen Schatten und es roch nach Moos und Harz. Nachdem wir heute Morgen in Richmond angekommen waren, hatten wir den ganzen Tag im Field Office verbracht, mit dem Leiter und vielen seiner Agents gesprochen.

Unsere Alibifunktion, die Mr High kreiert hatte, war gar nicht so abwegig. Wie es schien, waren die jungen Agents sehr angetan davon, mit zwei Inspektoren aus Washington zu sprechen und etliche Fragen zu ihren Karrieremöglichkeiten und dem Headquarter zu stellen. Selbst Phil schien Gefallen an den Gesprächen gefunden zu haben, so war der Tag rasant schnell vergangen.

»Kommen Sie bitte rein, ich bin so froh, dass Onkel James Sie mit den Nachforschungen beauftragt hat«, begrüßte uns eine hübsche Frau von Anfang dreißig. Julia Wagner lebte downtown in Richmond und war extra rausgefahren, um uns im Haus ihres Vaters zu erwarten.

Wir wollten uns das Arbeitszimmer ansehen, in dem der Richter gestorben war, und den Autopsiebericht, den Miss Wagner vom Chefpathologen in Richmond besorgt hatte. Aber vor allem wollte ich mich mit Julia Wagner, der Tochter des toten Richters, unterhalten.

»Assistant Director Sheckley ist Ihr Onkel?«, fragte Phil erstaunt, als wir eintraten.

»Nein, kein richtiger Onkel. Wir sind nicht verwandt, doch solange ich denken kann, nenne ich ihn so«, erwiderte Julia und strich sich eine Strähne ihres kurzen schwarzen Haares aus der Stirn. »Wollen Sie erst in Vaters Büro?« Ich nickte bestätigend und sie zeigte auf die Tür. »Ich warte auf der Veranda, noch einmal möchte ich nicht in das Zimmer«, sagte sie und wandte sich bereits ab.

»Das ist verständlich«, erwiderte Phil, doch erst als wir die Tür öffneten, wurde mir schlagartig klar, warum sie nicht mit reingehen wollte. Julia hatte den Tatort unverändert gelassen, genau wie am Tag der Auffindung.

Ein mehr als unangenehmer Geruch schlug uns entgegen, da Schreibtisch und Boden nicht von dem Blut und Gewebe gereinigt worden waren. Auf dem Schreibtisch sahen wir die Umrisse der Leiche, die mit weißem Klebeband markiert worden waren. Der Richter musste nach dem Schuss darauf zusammengebrochen sein.

»Ungewöhnlich, es ist bereits zwei Wochen her und unverändert«, meinte Phil und trat näher an den Schreibtisch heran.

»Sie schien von der ersten Sekunde an nicht an einen Selbstmord zu glauben. Die meisten Angehörigen hätten schon längst eine Reinigungsfirma durch das Haus geschickt. Man muss schon einen stichhaltigen Grund haben, um das hier so zu lassen«, erwiderte ich und sah mich etwas angeekelt im Raum um.

»Vielleicht gar nicht schlecht, denn das Police Department hat keine Fingerabdrücke genommen. Das können unsere Leute jetzt nachholen«, meinte Phil. Nirgends im Raum waren die typischen schwarzen Pulverspuren zu sehen, daher streiften wir uns Latexhandschuhe über und untersuchten den Raum genau. Wir konnten auf den ersten Blick keine wirklich interessanten Dokumente oder auffällige Spuren finden.

»Ich rufe Mr High an, es wäre gut, wenn Gerold und FGF morgen kurz hierherkommen und ein richtiges Forensik-Team sich das Arbeitszimmer noch einmal ansieht. Vielleicht hat FGF dann auch schon Informationen über diese Karte, die man bei der Leiche fand. Komm, wir unterhalten uns jetzt mit Miss Wagner.«

»Ob er Feinde hatte?«, wiederholte Julia und füllte etwas Eistee für uns in Gläser. Wir saßen auf der breiten Veranda, umgeben von alten Bäumen, und ich genoss die frische Luft nach dem Gestank im Arbeitszimmer. »Mein Gott, er war dreißig Jahre Richter und davor ein paar Jahre Staatsanwalt. Natürlich wird es Menschen geben, die ihn für seine Urteile hassen.«

Sie sah uns nachdenklich an und fügte hinzu: »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe meinen Vater geliebt, doch wir hatten unsere Diskrepanzen. Ich bin selbst Anwältin und er hat es nie gutgeheißen, dass ich Strafverteidigerin wurde anstatt Staatsanwältin. Er war nun einmal ein Mann des Gesetzes und vertrat privat die Meinung, dass Angeklagte nur aus einem Grund das Recht auf Verteidigung haben, nämlich weil der normale Bürger das Gesetz in seiner Komplexität nicht versteht.«

Ich runzelte die Stirn und trank einen Schluck Tee, die Eiswürfel klirrten im Glas.

»Er vertrat die Auffassung, dass ein Mensch, der als Angeklagter in einen Gerichtssaal kam, auch etwas auf dem Kerbholz hatte. Ich kenne sogar ein paar Staatsanwälte, die nicht immer zufrieden waren mit seiner Rechtsprechung, da er manchmal Urteile verhängte, die über das geforderte Strafmaß hinausgingen.«

»Hat Ihr Vater jemals einen Angeklagten in den Todestrakt geschickt?«, fragte Phil direkt.

Julia sah Phil an, schluckte sichtlich und nickte dann langsam. »Da war mal ein Fall, ganz zu Anfang seiner Laufbahn als Richter. Damals lebten wir noch in North Carolina, in Raleigh, ich war höchstens vier und habe das eigentlich kaum mitbekommen. Ich weiß nur, dass es ein Mordfall war. Vater hat nie mit mir über seine Fälle gesprochen, noch nicht einmal, als ich mein Jurastudium aufnahm. Er bat mich sogar, keine Akteneinsicht zu nehmen, wenn es um einen seiner Fälle ging. Er wollte, dass ich mein eigenes Rechtsverständnis entwickle. Ich habe mich ihm zuliebe daran gehalten, obwohl wir Strafverteidiger davon leben, ehemalige Präzedenzfälle vor Gericht zu zitieren.« Sie seufzte und meinte: »Daddy konnte wirklich starrköpfig sein!«

»Was wissen Sie noch von dem Fall?« Ich hoffte sehr, sie konnte sich noch an ein paar Details erinnern.

»Nicht viel, wie gesagt, die Sache liegt etwa fünfundzwanzig Jahre zurück und es ging dabei um den Mord an zwei kleinen Mädchen. Aber wenn Sie wollen, kann ich in Raleigh Akteneinsicht beantragen«, meinte sie, für meinen Geschmack etwas zu euphorisch. »Sie denken, der Mord an Vater könnte damit im Zusammenhang stehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Miss Wagner, das haben wir nicht gesagt. Erst einmal verfolgen wir alle Spuren. Wenn er privat keine Feinde hatte, ist es gut möglich, dass der Mord mit seiner Arbeit zu tun hat, falls es überhaupt ein Mord war.« Julia Wagner sah mich aufgebracht an.

»Natürlich war es ein Mord, mein Vater hätte sich nie und nimmer das Leben genommen! Sie kannten ihn nicht«, erwiderte sie entrüstet. »Bitte lassen Sie mich Ihnen helfen. Mein Gott, ich bin Juristin, ich kann mir seine alten Fälle ansehen, das würde Ihnen viel Arbeit ersparen.«

»Miss Wagner, ich muss Sie bitten, sich vollkommen herauszuhalten. Wir machen das! Morgen kommt erst einmal ein Spurensicherungsteam ins Haus und wir sehen uns in der Zwischenzeit seine wichtigsten Fälle selbst an. Vergessen Sie nicht, es gibt keine offizielle Ermittlung, momentan ist es ein Selbstmord, und jedes Eingreifen von Ihrer Seite kann dazu führen, dass man uns sofort abzieht«, machte ich ihr unmissverständlich klar.

***