Jerry Cotton 3027 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton 3027 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Phil und ich waren überrascht, was Mr High uns mitteilte. Es ging um das Zeugenschutzprogramm. Nichts unterliegt im US-Rechtssystem einer größeren Geheimhaltung. Und dennoch waren zwei US-Marshals enttarnt worden, ohne Zweifel um von ihnen die Tarnnamen der von ihnen betreuten Zeugen zu erfahren. Wie man das versucht hatte, dokumentierten in schrecklicher Form die Bilder der Leichen. Sofort war uns klar, dass wir es mit einem Gegner zu tun hatten, der an Grausamkeit alles in den Schatten stellte, was wir bisher erlebt hatten ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Wer wagt – verliert

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Der Chill Faktor«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1288-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wer wagt – verliert

»Sag uns den verdammten Namen!«, schrie Gordon und sah auf das blutende Gesicht von US-Marshal Walker. Dann holte er aus und schlug wieder zu. Mit einem widerlichen Knacken brach Walkers Jochbein und er verlor kurz das Bewusstsein.

»Der Typ ist härter als die anderen. Ich glaube, der redet nicht«, meinte der zweite Mann und zielte weiter mit der Pistole auf Walker. Gordon zog sich die blutverklebten Lederhandschuhe aus, schmiss sie achtlos auf den Boden und riss Walkers Kopf an den Haaren nach hinten, doch der Mann war immer noch weggetreten.

»Wenn er wieder zu sich kommt, dann schießt du ihm ins Knie, und wenn er dann immer noch nicht redet, ist sein Knöchel dran. Ein Gelenk nach dem anderen, er wird uns sagen, was wir wissen wollen.«

»Assistant Director High, bitte nehmen Sie Platz. Wir sind dann vollständig«, sagte Director Fuller, als John D. High den Besprechungsraum im sogenannten Mahagonitrakt des FBI-Headquarter in Washington betrat. Er nickte Director Fuller, seinen drei Kollegen und auch dem unbekannten Mann zu, die bereits an dem ovalen Tisch saßen.

Die Besprechung war kurzfristig vom obersten Chef des FBI einberufen worden, und wenn alle vier Assistant Directors der Field Operation Sections daran teilnahmen, handelte es sich um eine sehr dringliche Angelegenheit.

»Meine Herren, ich möchte Ihnen den stellvertretenden General Attorney Mr Steinweg vorstellen. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat sich an uns gewandt, mit der Bitte um Unterstützung. Mr Steinweg, berichten Sie, was Sie für mich bereits kurz zusammengefasst haben«, wandte sich Director Fuller an den grauhaarigen schmalen Mann, der ihm ernst zunickte.

»Director Fuller, meine Herren, ich möchte mich als Erstes bei Ihnen bedanken, denn die Bundesstaatsanwaltschaft und der General Attorney brauchen wirklich Ihre Hilfe. Aber es ist auch im Interesse des FBI, denn viele der Menschen, die wir ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen haben, wurden uns von Ihnen überstellt«, sagte Steinweg, machte eine kurze Pause und sah jeden der einzelnen der Anwesenden an. »Wir haben zwei unserer US-Marshals, die für das Zeugenschutzprogramm zuständig waren, verloren. Ein Dritter wird noch immer vermisst. Unsere Männer wurden entführt und regelrecht zu Tode gefoltert.«

Director Fuller drückte auf die Fernbedienung und die Bildschirmwand des fensterlosen Besprechungsraums wurde hell. Selbst Assistant Director Gardner, der für seine Härte und Beherrschung bekannt war, schüttelte den Kopf, als die Fotos der Leichen auf dem Bildschirm erschienen.

Nicht nur waren die Männer erbarmungslos geschlagen worden, man hatte ihnen sukzessive jedes Gelenk mit einer Kugel zertrümmert. Der Schuss in den Kopf, der sie tötete, musste eine Erlösung gewesen sein.

»Wie Sie sehen, wurden die Marshals Seyks und Whealer gefoltert. Leider müssen wir davon ausgehen, dass man von ihnen Informationen über den Verbleib von Zeugen erpressen wollte. Ob die beiden Männer geredet haben, wissen wir nicht, doch ihre Schutzbefohlenen wurden sofort umgesiedelt. Bisher ist Gott sei Dank keiner von ihnen in Gefahr geraten. Doch was für die Bundesstaatsanwaltschaft diese Tragödie so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass Marshal Seyks, Marshal Whealer und auch der noch vermisste Kollege Walker überhaupt als Zeugenschutzprogramm-Beamte enttarnt werden konnten.« Steinweg nahm die Brille von seinem Gesicht und sah nachdrücklich in die Runde.

»Unser Sicherheitssystem wurde, was die Zeugen und auch die zuständigen US-Marshals angeht, in den letzten Jahren perfektioniert. Es ist unmöglich, an Namen, Adressen, überhaupt an Daten heranzukommen. Leider muss ich zugeben, dass wir wohl einen Informanten im eigenen Haus haben.«

»Sie meinen, einer Ihrer eigenen Mitarbeiter?«, fragte Mr High. »Verzeihen Sie mir, wenn ich das so ausdrücke, aber wäre es nicht effektiver gewesen, die Namen der Zeugen selbst zu verkaufen?«

»Die Tarnnamen der Zeugen und ihren Aufenthaltsort kennen nur die zuständigen US-Marshals. Es gibt eine Liste im Justizministerium, die besser gehütet wird als das Gold in Fort Knox. Nur zwei Männer in unserem Land haben diese Liste je gesehen. Nein, Assistant Director High, selbst wenn man diese Namen verkaufen wollte, es ginge nicht. Leider waren wir der Meinung, dass unser Sicherheitssystem so optimiert wurde, dass man das auch von den Namen der US-Marshals behaupten könne. Doch wie Sie sehen«, meinte Steinweg und zeigte auf den Bildschirm, »hat jemand ein Schlupfloch gefunden. An dieser Stelle kommt das FBI ins Spiel. Wir können keine eigenen, offiziellen Ermittlungen führen, ohne den Maulwurf zu warnen.«

»Ich habe mit dem General Attorney gesprochen«, schaltete sich Director Fuller an dieser Stelle ein. »Es geht nicht nur darum, den Verräter in Sicherheit zu wiegen, sondern es ist von größter Wichtigkeit, dass die Öffentlichkeit nichts davon erfährt. Meine Herren, Sie können sich die Konsequenzen vorstellen. Jeder aussagewillige Zeuge würde sich zurückziehen, wenn bekannt würde, dass das Zeugenschutzprogramm nicht mehr sicher ist.«

»Sir, wie sollen wir in dem Fall vorgehen?«, kam Assistant Director Segal zum Punkt.

»Sehr diskret! Die Opfer wurden in Chicago und Los Angeles gefunden, der vermisste Marshal verschwand in der Nähe von Denver, daher sind drei unserer Field Operation Sections betroffen, dennoch werde ich den Fall an Assistant Director High übergeben. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat ihren Hauptsitz, genau wie der General Attorney, hier in DC und damit in der Section East. Beauftragen Sie Ihre Inspektoren. Sie können natürlich auf das Scientific Research Team in Quantico zurückgreifen, doch es sollten so wenig wie möglich Agents involviert werden. Der Fall wird als top secret eingestuft. Sollte Assistant Director High Unterstützung von den anderen Field Operation Sections benötigen, werden Sie ihm Ihre volle Unterstützung zukommen lassen.«

***

»So wenig wie möglich Personal involvieren, was bedeutet das genau?«, fragte Phil mich, nachdem Mr High uns wieder in meinem Büro alleingelassen hatte. Er hatte uns gleich, nachdem er von einer Besprechung mit Director Fuller zurückkam, eine Zusammenfassung gegeben und war mit den Worten »höchste Geheimhaltungsstufe« wieder gegangen.

»Ich würde sagen, wir beide und maximal noch zwei Agents, nicht zu vergessen der Chef des Sicherheitsdienstes der Bundesstaatsanwaltschaft, dieser Greenwich, der uns zur Seite gestellt wird«, beantwortete ich seine Frage und dachte bereits darüber nach, wen wir am besten in das Team nehmen könnten.

»Mai-Lin ist unverzichtbar«, meinte er, als hätte er meine Gedanken gelesen, und stand auf. Er verschränkte die Arme und blickte in Gedanken versunken aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Gebäude des Department of Justice.

»Ja, das denke ich auch, doch um einen Maulwurf zu enttarnen, brauchen wir eine Person vor Ort, undercover.«

»Einer von uns beiden?«, fragte Phil und drehte sich wieder zu mir um. Ich setzte mich auf die Kante des Schreibtischs und ließ mir das kurz durch den Kopf gehen. »Nein, wir beide ziehen im Hintergrund die Fäden, außerdem funktionieren wir im Team besser. Wir brauchen jemanden, der zu Unterlagen Zugang bekommt, und zwar zu sehr vielen, um den Sicherheitsprozess überprüfen zu können.«

»Schleusen wir die Person doch als neuen Mitarbeiter ein, dieser Greenwich kann das bestimmt für uns arrangieren.«

Wieder schüttelte ich den Kopf. »Zu auffällig und langwierig. Wir müssten eine fiktive Bewerbung vorbereiten, ein Personalgespräch, und spätestens, wenn keine Planstelle frei ist, werden die Mitarbeiter im Innendienst hellhörig. Es muss eine Person von außerhalb sein, die dennoch freien Zugang hat.«

»Weißt du was, ich rufe mal Concita an, wenn es um Papier und Ablaufprozesse bei Behörden geht, ist sie die richtige Frau.« Schon stand er neben mir, gab die Kurzwahl ein und drückte die Freisprechtaste. Keine zwei Sekunden vergingen und wir hörten die dunkle Stimme unserer Expertin für Wirtschaftskriminalität in Quantico. Schnell fasste ich unser Problem zusammen, ohne ihr vorerst zu viele Details zu verraten. Eine Ewigkeit schwieg sie und schien nachzudenken.

»Zwar weiß ich nicht, welchen Ablaufprozess Sie genau prüfen wollen, doch was den uneingeschränkten Zugang zu Dokumenten angeht, würde ich jemanden undercover in die Buchhaltung setzen«, meinte sie bestimmt.

»Das ist ausgezeichnet, Concita, doch wir können niemanden als neuen Mitarbeiter einführen«, erklärte ich.

»Das müssen Sie auch nicht, Jerry. Viel einfacher ist es, einen Agent als Buchprüfer dort hinzuschicken. Am besten eine Steuerprüfung, die Mitarbeiter der IRS haben das Recht, sich alle Papiere anzusehen. Niemand würde so auf dumme Gedanken kommen, wenn Ihr Agent zum Beispiel nach Lohn- und Gehaltsabrechnungen fragt.«

Diese Frau ist genial, ging es mir durch den Kopf. Phil sah mich an, zog die Augenbrauen hoch und grinste breit. Was er jetzt sagen würde, wusste ich bereits, darum nickte ich ihm bestätigend zu.

»Gratuliere, Concita, Sie haben sich gerade zum Undercover-Agent qualifiziert. Packen Sie ein paar Sachen und kommen Sie noch heute nach Washington. Wir leiten alles in die Wege, damit Sie bereits morgen Ihre Tätigkeit als Buchprüferin bei der Bundesstaatsanwaltschaft aufnehmen können.«

»Oh«, rutschte es ihr heraus. »Na, dann fahre ich mal nach Hause, packen!«

»Ach, Concita! Warten Sie noch einen Moment. Wir sprechen noch kurz mit Mai-Lin, dann können Sie beide zusammen nach Washington fahren.«

***

Wir benutzten mein Büro als eine Art Schaltzentrale. Mai-Lin hatte einiges an Equipment aus Quantico mitgebracht und das eine Ende des Besprechungstisches in der Ecke sah aus wie der Arbeitsplatz in einem Flughafentower. Sie jonglierte mit drei Laptops gleichzeitig. Am anderen Ende sortierte Concita Papiere, als Phil wieder zurückkam.

»So, Mrs Maria Alvarez, hier ist Ihr Ausweis der Steuerbehörde, ein neuer Führerschein und die Unterlagen, die Sie brauchen, damit es morgen losgehen kann«, meinte Phil und legte alles vor Concita auf den Tisch.

»Maria Alvarez? Da war jemand bei der Namensfindung nicht gerade kreativ«, meinte sie und sah auf den IRS-Ausweis. Wir hatten den Vormittag damit verbracht, Concitas Tarnung vorzubereiten. Aufgrund der Geheimhaltungsstufe hatten Phil und ich bei vielen Sachen selbst Hand anlegen müssen. Doch jetzt war alles erledigt und wir warteten auf Mr Greenwich, damit er uns und unserem kleinen Team die Sicherheitsvorkehrungen erklärte.

»Tut mir leid, was anderes ist mir auf die Schnelle nicht eingefallen«, erwiderte Phil und zuckte die Schultern, als es an der Tür klopfte.

John Greenwich, der Sicherheitschef, sah ganz anders aus, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er war im Gegensatz zu mir und Phil ein recht kleiner, drahtiger Mann mit pechschwarzen Haaren. Wie der Name Greenwich in seine Familie gekommen war, stand in den Sternen, denn vor uns stand ein Mann, der eindeutig Asiat war und, wie ich schätzte, chinesische Wurzeln hatte.

»Schön, Sie zu sehen, Mr Greenwich«, sagte ich und bat ihn, am Besprechungstisch Platz zu nehmen.

»Bitte nennen Sie mich John«, erwiderte er, und in dem Moment spielte ich mit dem Gedanken, dass auch Mr Greenwich einen Decknamen trug. Als Sicherheitschef der Bundesstaatsanwaltschaft war das gar nicht so abwegig.

»Nǐhǎo«, sagte Mai-Lin auf Chinesisch, was ich für eine Begrüßung hielt.

»Tut mir leid, Ma’am, ich spreche kein Chinesisch«, erwiderte er höflich, was ich ihm komischerweise nicht abnahm. Wer weiß, woher die Justizbehörde den Mann abgeworben hatte. CIA oder Secret Service, grübelte ich. Phils Miene konnte ich entnehmen, dass er Greenwich genauso kritisch observierte wie ich.

»Gut, fangen wir an«, ergriff ich das Wort, stellte uns alle erst einmal vor und erklärte ihm, wie wir mit Concita undercover vorgehen wollten. Er stellte keine Fragen und hörte uns sehr konzentriert zu. »Könnten Sie uns den Sicherheitsprozess für Ihre US-Marshals darlegen?«, beendete ich meine Ausführungen.

Greenwich erhob sich und begann langsam vor uns auf und ab zu gehen. »Um diesen zu erklären, sollten Sie ein wenig den Hintergrund kennen, der zu unseren verstärkten Sicherheitsmaßnahmen geführt hat. Wie Sie wahrscheinlich wissen, teilt sich unsere Organisation in zwei Abteilungen, einmal in den United States Marshals Service, der für Schutz, Gesundheit und Sicherheit der Menschen im Zeugenschutzprogramm zuständig ist. Es handelt sich momentan um etwa achttausend Zeugen und noch einmal um circa zehntausend ihrer Familienangehörigen. Ein anderer Teil ist die OEO, die Vollzugsbehörde, die die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm prüft und autorisiert.« An der Stelle machte er eine kurze Pause.

»Jedoch hat das letzte Wort, ob ein Zeuge aufgenommen wird, immer das Büro des General Attorney, denn jeder einzelne Zeuge im Programm kostet den Staat ein Vermögen. Sowohl bei der OEO als auch im General Attorney Office wissen die Entscheidungsträger nicht, wie die neue Vita eines Zeugen aussehen wird.« Greenwich blieb vor uns stehen und legte die Hände auf die Stuhllehne vor ihm.

»Nur der Marshals Service hat Kenntnis davon, wer ein Mensch im Programm wirklich ist. Damit ist dieser Teil der Organisation am verletzlichsten. Zwar gibt es eine Liste, doch diese kann rechtlich nicht offengelegt werden. Der General Attorney kann nur mit der Zustimmung des Präsidenten der Vereinigten Staaten die Liste einsehen, und das auch nur in einer absoluten Krisensituation. Sie werden auch keine digitalen Aufzeichnungen mit Namen und Adressen irgendwo finden. Stellen Sie sich das so vor: Auf der Liste stehen Namen, zum Beispiel Smith und daneben Williams, also der richtige Name und der Deckname.«

»Aber nicht die Namen der zuständigen US-Marshals, oder?«, fragte Mai-Lin.

»Nein«, erwiderte Greenwich knapp. »Der einzige Mensch, der alle Informationen über den Zeugen hat, ist der betreuende US-Marshal.«

»Und wie kommen Sie dann an Ihre versteckten Zeugen ran, wenn wie in diesem Fall zwei US-Marshals sterben? Die Zeugen, die er betreute, sind doch jetzt in Lebensgefahr«, warf Phil ein.

»Wir kennen natürlich die Decknamen und die Sicherheitsstufe der beiden Zeugen von Marshal Seyks und Marshal Whealer und haben sofort nach dem Auffinden ihrer Leichen die Zeugen gesichert. Sie haben jetzt einen neuen Betreuer, eine neue Identität und wurden umgesiedelt.«

»Dann wissen die neuen US-Marshals nicht, wer diese Leute einmal waren?«, fragte ich etwas verwirrt.

Greenwich grinste mich an. »Doch!«

»Aber wie?«, meinte Phil ungeduldig.

»Sehen Sie, dieses System ist in der Hinsicht so einfach, dass man nicht darauf kommt. Der neue betreuende US-Marshal spricht mit seinem Klienten. Denn es ist wichtig, dass er weiß, welche Art von Gefahr seinem Zeugen drohen kann. Verständlich, denn jemand, der den obersten Boss eines Kartells verraten hat und auf den ein Kopfgeld ausgesetzt ist, wird wesentlich gefährdeter sein als jemand, der einen Wirtschaftsverbrecher ans Messer geliefert hat. Na ja, in den meisten Fällen jedenfalls. Was noch dazukommt: Der US-Marshal braucht mehr Informationen, denn man würde in dem Beispiel des mexikanischen Kartellbosses den Zeugen nicht gerade in den Südstaaten ansiedeln. So ein Zeuge würde eher in North Dakota oder Montana untertauchen.«

»Verstehe«, meinte ich. »Also ist der einzelne US-Marshal am meisten gefährdet, da er alles weiß.«

»Genau! Daher entwickelten wir ein System, das auch unsere Mitarbeiter schützt. Der verstorbene Frank Whealer, was sein richtiger Name ist, hatte in seinem Berufsleben einen anderen Namen, den ich Ihnen nicht nennen darf. »

Als Greenwich das sagte, runzelte ich die Stirn und fragte mich, wie bei solchen Sicherheitsvorkehrungen überhaupt jemand die Männer enttarnen konnte.

»Das bedeutet, Frank Whealer lebte irgendwo unter seinem richtigen Namen, vielleicht mit Familie, und wenn er zur Arbeit ging, wechselte er seine Identität«, stellte Concita klar.

Ich schüttelte den Kopf und sprach endlich aus, was ich von der ganzen Sache hielt. »Ich habe den Eindruck, es ist fast unmöglich, die wahre Identität Ihrer US-Marshals aufzudecken.«

Greenwich setzte sich wieder zu uns an den Tisch. »Das dachte ich auch«, meinte er und seufzte.

»Es tut mir leid, doch ich habe noch mehr Fragen«, sagte Concita bestimmt. »Wie haben Ihre Kollegen denn ihr Gehalt bekommen, wenn keine richtigen Namen verwendet wurden? Sie verteilen doch keine Lohntüten mehr«, meinte sie vollkommen ernst, und der so kontrollierten Mimik Greenwichs entwich ein Schmunzeln.

»Natürlich nicht, Agent Mendez, doch das werden Sie sich morgen alles selbst ansehen müssen. Sie werden in der Buchhaltung mit Ihrer Prüfung anfangen. Ich denke, um den Maulwurf aufzudecken, muss man den Fehler im Prozess finden, und das kann man nur, wenn man jedes Detail davon versteht.«

***

Nachdem Greenwich gegen achtzehn Uhr gegangen war, fuhren wir Mai-Lin und Concita zu ihrem Hotel. Das Monaco lag zwar nur sieben Minuten Fußweg vom Headquarter entfernt, doch die Temperaturen waren an diesem Oktobertag merklich gefallen, und ein leichter Nieselregen suchte die Stadt schon seit Tagen heim.

»Wollen wir noch etwas zusammen essen gehen?«, fragte ich in die Runde, als wir vor dem bemerkenswerten Gebäude mit den roten Markisen über dem Eingang angehalten hatten.

»Gerne, ich habe heute Abend nichts vor. Wie sieht es aus, die Damen, dürfen wir Sie einladen?« Phil sah die beiden auf dem Rücksitz erwartungsvoll an.

»Mir wäre das sehr recht, ich würde gerne noch ein wenig über die anstehende Aufgabe sprechen«, erwiderte Concita. Ich hatte den Eindruck, dass sie schon länger nicht mehr im Außendienst tätig gewesen und wegen ihrer Undercover-Tätigkeit etwas nervös war. Mai-Lin blieb still und nickte nur.

»Gut, dann holt Ihnen Phil schnell das Gepäck aus dem Kofferraum und wir fahren in die Parkgarage.«

»Es gibt eine anständige Brasserie in dem Hotel. Treffen wir uns in zwanzig Minuten«, schickte Phil hinterher und war bereits ausgestiegen.