Jerry Cotton Sonder-Edition 3 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 3 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

In einem schäbigen Schnapsladen wurde der Besitzer ermordet. Ein völlig überflüssiges Verbrechen, bei dem es augenscheinlich um 20 Dollar ging. Als aber eine Zeugin gefoltert wurde und sich zwei Verbrecherbande zu bekriegen begannen, wurde uns klar, dass mehr als lumpige 20 Dollar dahinterstecken musste. Phil und ich gerieten in einen Strudel, der uns immer schneller der Katastrophe entgegen zog ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Tod für 20 Dollar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Showdown in L.A.«/ddp-images

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1285-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Tod für 20 Dollar

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer 80seitigen Heft­romanausgabe

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Als die Türklingel schepperte, schlurfte Nathiel Slyman aus dem Hinterzimmer in seinen muffigen Laden, blickte den einzigen Kunden mürrisch an und knurrte: »Was wünschen Sie?«

»Eine Pulle Paul Bones Whisky«, antwortete der hohlwangige Mann und fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen.

Slyman drehte sich um, nahm die Flasche aus dem Regal, wandte sich wieder dem Kunden zu und blickte in die Mündung eines großkalibrigen Revolvers.

»Zurück bis an die Wand, Alter!«, befahl der Fremde und spannte den Hahn seiner Waffe.

Slyman wich zurück und streckte die Arme über den Kopf.

Der Fremde schwang sich mit einer Flanke über die Ladentheke und riss die Kasse auf.

Ohne Slyman aus den Augen zu lassen, grapschte der Räuber Dollarscheine und Kleingeld aus den Fächern und stopfte sie in die Jackentasche.

»Deine Brieftasche«, forderte er dann und näherte sich dem Alten.

Slyman senkte die linke Hand in den Jackenausschnitt und brachte sie mit einer schäbigen, abgegriffenen Brieftasche zum Vorschein.

Der Fremde griff danach und zischte: »Sehr vernünftig. Auf diese Weise wird dir kein Haar gekrümmt.«

In diesem Augenblick griff Slyman zum zweiten Mal in den Jackenausschnitt, dieses Mal blitzschnell und mit der rechten Hand. Er riss eine Pistole heraus.

Der Fremde schoss schneller. Er feuerte zwei Kugeln ab, und beide trafen Nathiel Slyman tödlich.

Die Pistole polterte auf den Boden. Slyman kippte gegen das Regal, warf fünf Flaschen um und sank dann zu Boden, wo er in verkrümmter Haltung liegen blieb.

Der Mörder starrte zwei Sekunden lang auf den Erschossenen, stopfte dann hastig die Brieftasche in seine Jacke, sprang über die Theke und rannte auf den Ausgang des Ladens zu.

Er hatte ihn noch nicht erreicht, als die Tür von außen aufgerissen wurde und Sergeant Walt Movens von der City Police hereinstürmte. Er und der Ladenräuber starrten sich für die Dauer eines Herzschlages an. Der Sergeant hielt die Hand am Griff seiner Dienstwaffe, die noch im Halfter steckte. Der Mörder hob seinen Revolver.

»Weg mit dem Schießeisen, Ragg«, befahl der Sergeant.

»Gib den Weg frei!«, schrie der andere verzweifelt.

»Bring dich nicht auf den Elektrischen Stuhl, Ragg! Las die Kanone fallen.«

»Schon zu spät!«

Sergeant Movens versuchte, seine Dienstwaffe zu ziehen, aber die Kugel des Räubers war schneller.

Der Sergeant brach lautlos zusammen.

2

Ich studierte eins der üblichen Rundschreiben, die jeden Morgen auf unsere WSchreibtische flatterten.

Am 27. dieses Monats wurde der Spirituosenhändler Nathiel Slyman in seinem Ladenlokal Bleecker Street 57 beraubt und ermordet, hieß es im Rundtelegramm der New Yorker Kriminal-Abteilung an alle Polizeidienststellen. Der Sergeant der City Police Walt Movens befand sich in unmittelbarer Nähe des Tatortes, als die Schüsse fielen. Er stellte den Täter noch im Laden, wurde jedoch von ihm niedergeschossen und schwer verwundet. Der Beamte erkannte den Mann als den steckbrieflich gesuchten Donald Ragg. Nachrichten über Ragg bitte an Lieutenant Roon, Kriminal-Abteilung der Stadtpolizei.

Ich stutzte, als ich den Namen des Täters las. Donald Ragg stand seit drei Monaten auf meiner Wunschliste, und er stand ziemlich weit oben. Ich rief Lieutenant Roon an, verabredete mich mit ihm und war eine halbe Stunde später in seinem Büro.

»Interessiert sich das FBI für einen kleinen Schnapshändler in der Bowery?«, fragte Roon.

»Das FBI interessierte sich für Donald Ragg.«

»Sie suchen ihn wegen seiner Beteiligung an der Hudson Gang?«

Ich nickte. »Bis vor drei Monaten war er einer der führenden Leute der Gang. Dann hatte er Krach mit dem Boss, mit John Hudson. Ragg wusste genau, dass ein Krach mit Hudson gefährlich ist. Ragg verschwand, und obwohl ihn zwei Gruppen jagten – nämlich John Hudsons Verein, um ihn umzubringen, und das FBI, um ihn als Zeugen gegen Hudson zu verwenden – wurde er nicht gefunden. Ich vermutete, dass er New York längst verlassen hatte. Bis gestern hatte er keinen Mord auf dem Kerbholz, zumindest keinen Mord, den man ihm nachweisen konnte. Er muss ziemlich am Ende sein, wenn er sich als Ladenräuber betätigt. Sie sagten, dass er achtundzwanzig Dollar erbeutete?«

»Ja, soviel befand sich in der Kasse. Wir konnten es anhand der Kontrollzettel feststellen. Allerdings nahm er auch die Brieftasche des Ermordeten mit. Leider wissen wir nicht, wieviel sich darin befand, aber viel wird’s nicht gewesen sein. Erstaunlich ist, dass der Schnapshändler seine Brieftasche verteidigte. Er trug unter seiner Jacke ein Halfter und eine Pistole. Offenbar zückte er sie erst, als Ragg seine Brieftasche haben wollte. Die Kasse muss Ragg schon ausgeräumt haben. Sergeant Movens befand sich knapp dreißig Yards von dem Laden entfernt, als die Schüsse fielen, die Slyman töteten. Movens brauchte nur ein paar Sekunden, um den Laden zu erreichen. In dieser Zeitspanne wäre es unmöglich gewesen, die Kasse auszuräumen. Sie war aber ausgeräumt.«

»Ich finde es seltsam, dass der Besitzer eines Schnapsladens eine Kanone auf Gangsterart unter der Achsel trägt. Wozu brauchte er das Ding?«

Roon zog die Augenbrauen hoch.

»Ich denke, der Fall Ragg hat bewiesen, wozu Slyman ein Schießeisen benötigte.«

»Irrtum, Lieutenant! Ohne Pistole lebte Slyman heute noch. Ich glaube nicht, dass Ragg ihn erschossen hätte, wenn er nicht auf Widerstand gestoßen wäre.«

Roon zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich hat er sich die Kanone angeschafft, um sich die Tramps vom Leibe zu halten.«

»Hatte er Verwandte?«

»Wir haben in den Unterlagen die Adresse einer Ann Loward gefunden, Slymans Nichte. Vermutlich erbt sie den Laden.«

»Haben Sie etwas Interessantes gefunden?«

Er schüttelte den Kopf. »Kein Geld, keine Kontoauszüge, keine Papiere von Bedeutung.«

»Danke für die Auskünfte, Lieutenant. Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie einen Hinweis erhalten.«

Ich verabschiedete mich von Roon.

Donald Raggs Mord warf meine Pläne um. Seit fast einem Jahr bemühte sich das FBI, die Mitglieder der Hudson Gang hinter Gitter zu bringen, aber John Hudson, der Chef des Vereins, war ein ausgekochter Bursche, der seine Leute stramm an der Kandare hielt und sich keine Blöße gab.

Er hatte einen Buchmacher-Ring im nördlichen Manhattan aufgezogen, dessen Opfer hauptsächlich die Bewohner von Harlem waren. Außerdem gab es Hinweise dafür, dass Hudson sich seit einiger Zeit auch im Marihuana-Geschäft betätigte. Das FBI setzte acht Morde auf sein Konto, ohne ihm einen nachweisen zu können.

Der Krach zwischen Donald Ragg und John Hudson war wegen Tessy White, Hudsons Freundin, entstanden, der Ragg eines Tages besser gefiel als Hudson. Sie verdrehte Ragg den Kopf, und der Gangster glaubte, dass ihm nicht nur die Freundin des Chefs gebühre, sondern auch dessen Platz an der Spitze der Gang.

Ragg hatte sich aber verrechnet, und die Situation wurde im Handumdrehen für ihn brenzlig. Er musste seinen Job im Stich lassen und sich vor Hudson verkriechen. Natürlich verlor er auch gleichzeitig Tessy Whites Sympathie. Sie kehrte in Hudsons Arme zurück, und er nahm sie gnädig und nach einer nur milden Tracht Prügel wieder auf.

Uns hatte diese Auseinandersetzung Hoffnung gegeben, in Donald Ragg endlich einen Zeugen gegen Hudson zu finden, aber Ragg blieb verschwunden, bis zu dem Raubüberfall.

***

Ich fuhr in die Bleecker Street. Ich wollte mir den Laden ansehen. Er lag im Souterrain eines düsteren Miethauses. Zu der schmalen Eingangstür, die von der Polizei versiegelt worden war, führten zwei Stufen hinab. Dicht davor stand eine junge Frau und starrte nachdenklich auf das Firmenschild.

Ich trat hinter sie und sagte: »Der Laden ist geschlossen. Sie müssen sich nach einem anderen Lieferanten umsehen.«

Sie schrak zusammen und fuhr herum. Sie war hübsch, etwa Mitte zwanzig, mit großen, dunklen Augen und einigen Sommersprossen, auf der schmalen Nase. Sie benutzte offensichtlich keine Kosmetik, und ihre Kleidung war schlicht.

»Ich wollte hier nicht einkaufen«, stammelte sie.

»Warum stehen sie dann hier?«

»Der Laden gehört meinem Onkel, er wurde …« Sie brach ab, musterte mich genauer und sagte in schärferem Ton »Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.«

»Sie sind Ann Loward, die Nichte von Nathiel Slyman, der gestern hier ermordet wurde?«

»Oh, Sie sind ein Polizeibeamter. Das konnte ich nicht ahnen.«

Ich lächelte sie an. »Sie wollen sich offenbar auch den Platz ansehen, an dem Ihr Onkel gelebt hat?«

»Ja«, antwortete sie.

»Noch ein anderer Grund?«

»Ich habe Onkel Nathiel seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Er legte keinen Wert auf meine Besuche. Zu erwarten hatte ich nichts von ihm. Er verdiente mit diesem Geschäft gerade genug für sich selbst.« Sie stockte, blickte mich misstrauisch an und fragte: »Sind Sie wirklich Polizeibeamter?«

Ich zeigte ihr meinen Ausweis. Sie nickte und fuhr fort: »Ich werde Ihnen alles erzählen. Heute Morgen kam eine grell geschminkte Frau in meine Wohnung, nannte mich ‚Kindchen’ und ‚meine Liebe’. Sie wusste von der Ermordung meines Onkels durch die Zeitung, dabei war auch mein Name genannt worden. Sie bedauerte Onkel Nathiels Schicksal und versuchte, sich ein paar Tränen abzupressen, aber dann rückte sie mit dem wahren Grund ihres Besuches heraus. Sie behauptete, von Onkel Nathiel regelmäßig einen Zuschuss bekommen zu haben, und sie erwartete von mir, dass ich ihr aus Onkel Nathiels Erbe eine einmalige Abfindung zahlen würde.«

»Nannte sie eine Summe?«

»Sie sprach von zehn- oder zwölftausend Dollar.«

»Wieviel? Miss Loward, das Geschäft ist allenfalls zweitausend Dollar wert.«

»Ja, aber sie sagte, Onkel Nathiel hätte ihr fünfhundert Dollar im Monat gezahlt, die Geschenke nicht gerechnet. Sie hielt zehntausend Dollar für angemessen. Ich dachte, mein Onkel hätte inzwischen aus seiner Bude mindestens eine Brandy-Fabrik gemacht, aber alles sieht noch genauso aus wie früher, eher noch schäbiger.«

»Nannte die geldhungrige Lady einen Namen und eine Adresse?«

»Vera Laroche, West 23rd Street 458.«

»Danke für den Hinweis, Miss Loward. Kann ich etwas für Sie tun?«

»Wenn Sie einen Wagen besitzen, könnten sie mich zu meiner Firma fahren. Ich komme ohnedies zu spät.«

***

Nachdem ich Ann Loward bei ihrer Firma – einer Wäschefabrik, bei der sie als Stenotypistin arbeitete – abgesetzt hatte, fuhr ich zur 23rd Street weiter, stoppte den Jaguar vor Nummer 458 und suchte nach dem Namen Vera Laroche auf einer der vielen Wohnungstüren.

Die Frau wohnte in der dritten Etage. Ich läutete, und nach einigen Augenblicken öffnete eine mittelgroße Blondine, die ihre erste Jugend hinter sich hatte und offenbar heftig bemüht war, die zweite nicht zu verlieren.

»Monsieur?«, fragte sie und zeigte lächelnd alle Jackettkronen.

»Ich bin Agent Cotton vom FBI.«

Ihr Lächeln erlosch wie ausgeknipst.

»Hatte die Kleine nichts Eiligeres zu tun, als zur Polizei zu rennen«, stellte sie seufzend fest. »Und gleich zum FBI! Na, kommen Sie ’rein, G-man.«

Sie führte mich in den Wohnraum, in dem es zu viele Plüschmöbel gab.

»Fragen Sie mich nur nicht, ob ich Nathiel erschossen habe«, sagte sie und ließ sich in einen Sessel fallen. »Niemand beraubt die Bank, bei der er ein Konto unterhält. Eifersucht kommt auch nicht in Frage. Über Eifersucht bin ich schon längst hinaus. Und außerdem wusste ich nicht einmal, wo Nat wohnte.«

»Sie waren mit Slyman befreundet?«

»Ja, ich lernte ihn vor zwei Jahren in einer Bar kennen, in der ich damals arbeitete.«

»Wo lernten Sie ihn kennen?« Ich glaubte, nicht richtig zu hören.

»In einer Bar. Sundown-Club, Fourth Avenue, aber der Laden existiert nicht mehr. Machte vor sechs Monaten Pleite. Na ja, der gute Nat fing ein bisschen Feuer. Er kam häufig. Wir wurden Freunde, und ich gab schließlich meinen Job auf.«

»Wussten Sie, welchen Beruf Slyman ausübte?«

»Mir erzählte er, er sei Direktor von ’ner großen Fabrik, und der Inhalt seiner Brieftasche sprach dafür, dass er die Wahrheit sagte. Als ich in der Zeitung las, dass er einen Schnapsladen in der Bleecker Street hatte, war ich überrascht.«

»Haben Sie sich den Laden einmal angesehen?«

»Nein, aber seine Nichte behauptete, es wäre ein sehr kleiner Laden!«

»Ich schätze, dass es drei- bis vierhundert Dollar im Monat abwarf.«

»Unmöglich! Nat trat nicht auf wie ein Mann, der nur ein paar hundert Dollar im Monat verdient.«

»Wieviel gab er Ihnen?«

»Sie fragen sehr direkt. Mister G-man. Na ja, er schenkte mir hin und wieder einiges, keine feste Summe.«

»Wieviel im Durchschnitt?«

»Zweihundert.«

»Machte er Ihnen Geschenke? Pelze? Kleider? Schmuck?«

Sie lachte.

»Einen Turmalin-Ring für achtzig Dollar, ein paar Schuhe für zwanzig Dollar und die Anzahlung für einen Pelzmantel, Bisam auf Nerz gefärbt. Nicht viel für zwei Jahre, wie?«

»Bei Licht besehen, Miss Laroche, gibt es kein Erbe. Der Laden dürfte zweitausend Dollar wert sein. Es gibt kein Konto, kein Geld, keine Wertpapiere.«

Ihre Augen verengten sich zu Schlitzaugen.

»Sie irren sich. Er war nie knapp bei Kasse, und er besaß ein Konto. Ich habe einmal ein Scheckbuch bei ihm gesehen.«

»Von welcher Bank?«

Sie dachte nach, konnte sich aber nicht mehr erinnern. »Sind Sie eigentlich sicher, Miss Laroche, dass Ihr Nathiel Slyman mit dem Erschossenen identisch ist?«

»Daran gibt es keinen Zweifel. Ich habe der Kleinen sein Bild gezeigt.«

»Zeigen Sie es, bitte!«

Sie holte ihre Handtasche, kramte darin herum und reichte mir dann ein Foto.

Es zeigte Miss Laroche mit einem Käsekuchen-Lächeln hinter einer Flasche Sekt. Neben ihr saß ein Mann, der finster vor sich hin starrte. Ohne Zweifel war es Nathiel Slyman.

3

Ich traf John Hudson nicht in seiner Wohnung in der 116th Street an, aber ich wusste, dass der Boss der Hudson Gang oft seinen Lunch in einem China-Restaurant einnahm, das ganz in der Nähe lag.

Ich fand ihn an einem Tisch, mit Lew Pawell, seinem ersten Gorilla.

Hudson war ein untersetzter Mann mit runden Schultern, spärlich bewachsenem Schädel und Ambosskinn.

Er war damit beschäftigt, eine fernöstliche Delikatesse in sich hineinzuschaufeln. Als ich mich an den Tisch setzte, blickte er kurz auf und legte dann die Stäbchen weg, die er mit erstaunlicher Geschicklichkeit handhabte.

»Lew«, sagte er zu seinem Leibwächter, »muss ich es mir eigentlich gefallen lassen, dass mich ein G-man bei der Mahlzeit stört? Fällt das nicht unter seelische Grausamkeit?«

Lew spuckte eine Fischgräte aus, die ihm zwischen die Zähne geraten war, und grunzte: »Wenn du willst, Chef, bringen wir dem Jungen bei passender Gelegenheit bessere Manieren bei.«

Hudson schüttelte missbilligend den Kopf. »So etwas kündigt man nicht an, Lew. So etwas tut man.« Er nahm die Stäbchen wieder auf und machte sich über sein Gericht her.

»Was hast du Neues von Donald Ragg gehört?«, fragte ich.

Er grinste. »Wenn stimmt, was in der Zeitung stand, brauche ich mich nicht mehr um ihn zu kümmern, ihr werdet ihn auf den Elektrischen Stuhl setzen, sobald ihr ihn gefasst habt.«

»Ich hoffe, er erzählt uns vorher genug über dich. Es ist zu erwarten, denn ein zum Tod Verurteilter schweigt nicht länger.«

»Ragg lässt sich nicht fassen. Ich kenne ihn besser als du, G-man.« Er lachte meckernd.

»Kennst du den Mann, den er getötet hat?«

»Diesen Schnapshändler? Ich habe nie von ihm gehört. Ich las seinen Namen in der Zeitung.«

In diesem Augenblick trat Tessy White an den Tisch. John Hudsons Freundin war eine von diesen Schönheiten, bei deren Anblick sich vernünftige Männer abwenden, während andere sie hingerissen anstarren. Sie hatte eine üppige Figur, ihr Haar leuchtete golden, und ihre Fingernägel schimmerten rot und waren lang wie Tigerkrallen.

Sie besaß ein rundes, süßes Puppengesicht und blaue Augen, die ungefähr so ausdrucksvoll waren wie Glasmurmeln.

Sie liebte Schmuck und war mit Armreifen, Ringen und Halsketten behängt. Sie hatte sich angewöhnt, die Rolle des lieben, törichten Girls zu spielen. Dabei war sie erstaunlich gerissen. Sie verstand es ausgezeichnet, ihre Ziele zu erreichen.

»Hallo, John!«, flötete sie. »Hallo, Lew! Aber Lew, schmatz nicht so schrecklich! Das gehört sich nicht, John, wann wirst du deinen Leuten endlich bessere Manieren beibringen?«

Sie richtete den Blick auf mich.

»Hallo! Ich glaube, ich habe Sie schon einmal gesehen.« Ich war der einzige, der aufstand.

Es entzückte sie. »Nehmt euch ein Beispiel an ihm!«, rief sie und reichte mir die Hand. »Sie sind wirklich ein Gentleman, Mister …?«

»Cotton«, ergänzte ich.

»Er ist ein G-man«, sagte Hudson.

Tessy White zog ihre Hand so rasch zurück, als hätte sie in ein Wespennest gefasst. Ihr Lächeln verschwand wie weggewischt.

»Jetzt weiß ich, woher ich Sie kenne«, sagte sie und setzte sich.

»Na, klar«, knurrte Hudson. »Er schnüffelte damals dauernd in unserer Gegend herum, als ich deinetwegen mit Ragg Ärger hatte, und heute fällt er uns wieder wegen deinem Sonny-Boy auf die Nerven.« Er sah seine Freundin feindselig an. »Wenn ich an die Scherereien denke, die du mir am laufenden Band einbrockst, bekomme ich Lust, dich in die Gosse zu jagen.«

»Was ist mit Ragg?«, fragte Tessy White.

»Dein Romeo hat einen Schnapshändler für eine Handvoll Dollar erschossen«, sagte Lew Pawell, der Gorilla, »und nun läuft der G-man hinter ihm her, damit sie ihn auf Staatskosten ein wenig unter Strom setzen können.«

»Sagt Lew die Wahrheit, G-man?«, wollte Tessy White wissen.

»Sie können es in jeder Zeitung nachlesen. Ragg überfiel gestern Morgen den Händler Nathiel Slyman in der Bleecker Street, raubte die Kasse und erschoss den Mann, als er sich wehren wollte.«

Tessy White rang nervös die Hände. »Bleibt Ragg keine Chance?«

»Leider, Miss White«, antwortete ich, »hat er seine Lage durch den Mord sehr verschlechtert.«

Hudson warf seiner Freundin einen finsteren Blick zu. »Hör zu, du Stückchen!«, fauchte er. »Wenn ich herausfinde, dass du an den Kerl noch Gedanken verschwendest, dann verschreibe ich dir eine Behandlung, die dich zur Vernunft bringt.«

Tessy White spürte, dass sie vorsichtiger sein musste, sie schob sich näher an Hudson heran und legte eine offensichtlich erprobte Platte auf.

»Jonny sag doch nicht so etwas«, miaute sie. »Wärm die alte Geschichte doch nicht wieder auf. Du hast mir doch verziehen. Ich war damals einfach blind. Ich weiß heute noch nicht, wie ich …«

Ich wollte mir nicht zuviel zumuten und stand auf.

»Nur noch eins Hudson.« Ich unterbrach Tessy Whites Geschnurre. »Wir suchen Ragg als Mörder, aber wenn wir ihn als Leiche finden sollten, so werden wir seinen Mörder sehr energisch suchen. Schreibe dir das hinter die Ohren und erzähle es deinen Leuten.«

***

Ich verließ das Restaurant und fuhr zurück zum FBI-Hauptquartier. In meinem Büro wartete ein Mann auf mich, der Seth Prowfield hieß, und von dem ich wusste, dass er als Journalist für eine Skandalzeitung arbeitete. Prowfield war ein windiger, krummrückiger Bursche mit einer großen Nase und kleinen, flinken Mausaugen.

»Hallo, Cotton!«, trompetete er. »Ich komme wegen des Mordes in der Bleecker Street.«

»Warum wenden Sie sich nicht an die City Police?«

»Genügt mir nicht.« Er tippte an sein Riechorgan. »Meine Nase sagt mir, dass mehr dahintersteckt.«

»Unsinn! Es war ein gewöhnlicher Raubmord, und der Täter war Donald Ragg!«

»Auf eigene Rechnung oder für andere?«

»Für wen denn zum Beispiel?«

Prowfield zuckte mit den Schultern.

»Haben sie andere Informationen?«, fragte ich.

»Nein«, sagte er hastig und tippte zum zweiten Mal an seine Nase. »Sie ist meine beste Informationsquelle.«

»Okay, Prowfield, und jetzt verschwinden Sie! Ich habe keine Facts für Sie!«

Er zog sich zur Tür zurück.

»Jedenfalls stimmt es, dass sich der FBI für den Fall sehr interessiert?«

»Raus!«, sagte ich. Prowfield besaß nicht das Stehvermögen eines guten Journalisten. Er verschwand.

4

Am anderen Morgen rief Lieutenant Roon an.

»Ich habe eine Überraschung für Sie, Cotton«, sagte er. »Heute Nacht wurde Slymans Laden durchwühlt. Ein Streifenpolizist sah das zerbrochene Polizeisiegel und rief mich an.«

»Haben Sie sich den Laden schon angesehen?«

»Ich telefoniere aus einem Drugstore in der Bleecker Street.«

»Okay, ich komme zu Ihnen.«