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Gernot Schönfeldinger

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Beschreibung

LIEBE wäre zu viel gesagt. Ich MAG meine Familie. Trotzdem sehe ich es als TOTALVERSAGEN der Evolution, dass man sich die Verwandtschaft nicht AUSSUCHEN kann. Das ist die tragikomische GESCHICHTE meiner KINDHEIT in den 70er Jahren. - Johannes Erasmus (Träger großer Vornamen, glückloses Montagskind, unmündiger Katermörder) ----- XXL-Leseprobe!

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Gernot Schönfeldinger

Johannes Erasmus - LESEPROBE

Der Wahnsinn hat Familie und die wohnt bei mir

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Nichts als Gekreische

Kostenlose XXL-LESEPROBE aus dem Roman Johannes Erasmus von Gernot Schönfeldinger, 1. Kapitel (gekürzte Fassung)

Die komplette Fassung dieses Buches ist ausschließlich als gedruckte Ausgabe erhältlich, im Buchhandel oder direkt beim Verlag:

Erste Auflage 2020 © edition lex liszt 12 Raingasse 9b, A-7400 Oberwart, Austria Tel +43(0)3352/33940, [email protected], www.lexliszt12.at ISBN: 978-3-99016-177-7 

 

Nichts als Gekreische 

 

Der schrille Schrei hätte mühelos einen Dahingeschiedenen aus dem ewigen Schlaf zurückgeholt, nicht aber unsere Nachbarin aus ihren Tagträumen, denen sie beim Fensterputzen nachhing. Träume von gleichermaßen steinreichen wie steinalten Männern auf der Suche nach ihr, einer attraktiven, eben erst zur Vollblüte gelangten siebzigjährigen Witwe, die lediglich ein wenig schwerhörig war. Allein die Lautstärke, auf die sie des Abends ihren Fernseher hochquälte, verriet der Nachbarschaft freilich, dass Ilonka stocktaub war. Sie selbst betrachtete dies kokett als geringfügigen, liebenswerten Makel, vergleichbar dem Silberblick einer ansonsten perfekt geratenen Miss World.

 

Jeder wusste, dass Ilonka Toth zwei Ehemänner auf den Friedhof geleitet hatte (wobei ihr Nachname nicht Programm war, sondern im Ungarischen eine andere Bedeutung hat, als sein Klang für uns nahelegt). Beim zweiten Mal waren die am Grab vergossenen Tränen echt gewesen, weil sie nicht vom Seelenschmerz, sondern vom Selbstmitleid herrührten. Ilonkas Pech war, dass ihr Erster ihr auf der stabilen Basis seiner herzinfarktrisikosteigernden Arbeitswut einen Haufen Geld, ihr Zweiter aber auf dem wackeligen Fundament seiner alkoholkonsumfördernden Spielsucht einen Berg Schulden hinterlassen hatte. Dass der sehnlichst herbeigewünschte Dritte vor allem gesunde wirtschaftliche Verhältnisse wiederherstellen und danach rasch abtreten sollte, war ein offenes Geheimnis und wohl der Grund dafür, dass sich die in der Gegend ohnehin dünn gesäten steinreichen Alten selten in Ilonkas Nähe wagten. 

 

Weniger durchschaubar waren Ilonkas Erzählungen von ihrer sprunghaften Karriere als Balletttänzerin. Böse und der Zeit entsprechend politisch gar nicht korrekte Zungen – von denen es in unserer Kleinstadt so viele gab, dass ich sie aus Gründen der Zeitersparnis nicht nennen möchte – behaupteten, dass Ilonka nicht an der Oper in Budapest, sondern in einem Etablissement hinter der Oper in Bukarest engagiert gewesen sei und dort nicht nur getanzt habe. Wer sie jemals bei Vollmond alterslos und barfuß im durchscheinenden Nachthemd durch den Garten schweben gesehen hatte – und dieser erhebende und zugleich die junge Seele zerrüttende Anblick war mir in zartem Alter zuteil geworden! –, der konnte sich tatsächlich vorstellen, dass Ilonka Engel und Teufel, Heilige und Hure in einer Person war. Nur das dritte und größte Geheimnis ihres Lebens blieb für immer unergründet; warum sie nämlich ihre Fenster grundsätzlich an trüben, verregneten Sonntagen putzte. 

 

Jedenfalls ließ der aus dem geöffneten Schlafzimmerfenster unseres Hauses entweichende schrille Schrei aufgrund von Ilonkas beeinträchtigtem Gehörsinn und ihrer tagträumerischen Abwesenheit lediglich Karli zusammenzucken. Der hatte eine Regenpause genutzt, um sich im Garten umzusehen, und suchte nun Schutz hinter einer Reihe von Himbeersträuchern. Dort saß er und spitzte die Ohren, ob da noch mehr kommen würde; und es KAM mehr. 

 

„Lass es raus, lass es raus!“, kreischte meine Großmutter, während sie ihre Schwiegertochter dafür hasste, dass ihrer plötzlich einsetzenden Wehen wegen die Beilage zum Schweinsbraten auf der Herdplatte angebrannt war. Eine warme Mahlzeit täglich, das war Oma Erikas Beitrag zur Erhaltung des Hauses, das sie mit uns bewohnte. Lange noch sollte der Geruch nach Kohlgemüse, das sich auf dem Grund des Topfes zu einer zentimeterstarken Kohleschicht verdichtet hatte, in den Räumen hängen und uns bis in die hintersten Winkel verfolgen. Dabei hätte die ganze Familie von dem pappigen Brei und einem Stückchen Fleisch, dessen Größe an die entbehrungsreichen Kriegszeiten und Oma Erikas an Auszehrung leidende Witwenpensionsgeldbörse gemahnte, satt werden sollen – zuallererst mein Vater. Der Bub war schließlich ihr Ein und Alles. Nun ja, ihr wären noch andere Dinge eingefallen, für die es sich zu leben lohnte, aber eine Frau und Mutter fügt sich eben, hatte sie in der Klosterschule gelernt – einer von Nonnen geführten „Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe“, wie sie damals in diskriminierender Selbstverständlichkeit hieß. 

 

Mein Vater war seit vielen Jahren alles, wofür sie ihre Liebe verschwenden konnte, seit ihr Alfred als Kriegsheld in Russland geblieben war – und das buchstäblich. Als Jahrzehnte später die Archive geöffnet wurden, stellte sich heraus, dass mein Großvater dort nicht sein Leben, sondern sein Herz verloren und nach überstan- dener Lagerhaft und ideologischer Umerziehung mit einer Russin mit dem blumigen Namen Margarita ein neues Glück gefunden und eine kleine, zwölfköpfige Familie voller braver Kommunisten gegründet hatte. Und das, obwohl er einst ein überzeugter Nazi gewesen sein dürfte.