John Frum - Wolfgang Weber - E-Book

John Frum E-Book

Wolfgang Weber

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

"Der König ist tot!" - Nicht ganz überraschend kommt diese Nachricht für ein paar Yachties, die sich im "Billfish" am Tresen treffen. Auf Tonga wird das Leben nun eine Weile innehalten. Zeit genug für eine Geschichte, wie im Cargo-Kult des Inselreichs Vanuatu (fast) jeder König werden kann. Der zweifache Weltumsegler Wolfgang Weber versammelt in dieser an Joseph Konrads "Herz der Finsternis" angelehnten Novelle jene schrägen Typen, die auch heute noch auf den Weltmeeren umhersegeln: Machos, Übermütter, Abenteurer und gescheiterte Idealisten. Der König ist tot? Es lebe der König!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2015

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Wolfgang Weber

John Frum

Für ChristianBookRix GmbH & Co. KG81371 München

John Frum

John Frum

 

 

Am diesseitigen Ende des Kieswegs, der vom Gartentürchen bis hierher an die Bar des „Billfish“ führte, stand Wigbert, der auf Tonga den Beinamen „Elektrischer Metzger“ hatte, weil er die Supermärkte, die Segler und die Adeligen der Insel mit Wurst nach deutschem Rezept belieferte, aber eigentlich Starkstromingenieur war. In der Runde, die sich um den Fernseher versammelt hatte, fiel er mit seinem Lebenslauf nicht wirklich auf. Wir alle waren irgendwann hierher gesegelt, würden mehr oder weniger lange bleiben und waren zivilisationsmüde Avatare einer westlichen Bürgerlichkeit, die wir zwar zurückgelassen, aber nie wirklich verabschiedet hatten. Wigbert kam außerdem jeden Abend in die Kneipe am Hafen, weshalb wir alle nur kurz aufschauten, ihm zunickten und uns wieder der Mattscheibe zuwendeten. Elizabeth, die mit ihrer Freundin Susan auf einer betagten 42-Fuß-Ketsch um die Welt oder sonst wohin driftete, war die einzige, die ihn weiter anschaute. Wir nannten sie gerne „Mutti“, weil sie ihre Liebe nicht auf Susan beschränkte, sondern jeden daran teilhaben ließ, der in die Reichweite ihrer Fittiche gelangte. Manchmal störte das, aber sie war eben auch feinfühliger als der Rest von uns – und sie hatte bemerkt, dass der Metzger anders als sonst aussah.

„ Der König ist tot!“ sagte er halblaut, und Muttis Stimme überschlug sich, als sie es wiederholte: „Der König ist tot?!“ Jetzt hatte es der ganze Laden mitbekommen, und als Wigbert sich an das hintere Ende der Theke setzte, da wo all die Trophäen von geangelten Blue Marlins, Segelfischen und gigantischen Snappern hängen, und dann ein kaltes Lager bestellte, formte sich ein loser Kreis aus Meermenschen um ihn.

„Bist du sicher?“ fragte Tom, denn Tom fragte immer komische Fragen. Und zwar jeden. Und zwar so lange, bis er so viele verschiedene Antworten gehört hatte, dass er komplett verwirrt war und garantiert in unmögliches Wetter segelte, vollkommen überflüssige Gadgets auf seinen Kahn schraubte oder sich sinnlos betrank.

„Mein lieber Lieblingskiwi,“ drehte sich Wigbert zu ihm um und wischte sich süffisant etwas Bierschaum von der Oberlippe, „ich komme doch nicht hier rein und verkünde die Nachricht, die wir alle seit Wochen fürchten, ohne tausendprozentig sicher zu sein! Der König isst, nein aß nun mal lieber Schinken ohne Kokosgeschmack. Und meine berühmte Fenchelsalami. Und die Bratwurst. Und der Rest der Familie auch!“

Ich unterbrach ihn schnell, denn weil ich ein guter Freund von ihm war und noch bin, konnte ich das riskieren, ohne angeblafft zu werden. „Erzähl es einfach!“ Niemand hier hatte Interesse an einem Vortrag über die Qualität von neuseeländischen Fleisch – und schon gar nicht an einem Streitgespräch zwischen Big-Meat-Wigbert und Öko-Veganer-Tom, der den Treibhausgasausstoß seines Heimatlandes gerne durch weniger furzende Kühe reduziert gesehen hätte. Wofür hatten wir Stunden vor dem Fernseher verbracht und auf immer spärlicher werdende Kommentare aus dem Krankenhaus, in dem der König gepflegt worden war, gewartet? Um jetzt zu erfahren, dass neuseeländisches Schweinefleisch nach Schweinefleisch schmeckt – und Schweinefleisch aus Tonga eben nach Kokos? Der Metzger hatte einen direkten Draht zur Königsfamilie, jeder wusste das.

„Schon um halb sechs, fast zwei Stunden her, “ brummte Wigbert, „aber ich habe es gerade erst von seiner Nichte erfahren. Kommt bestimmt auch gleich in den Nachrichten.“

„Boy“ George, der massige tonganische Barkeeper, blickte kurz rüber zum Fernseher, den die meisten von uns ja nun im Rücken hatten. Den Ton hatte irgendwer schon rasch abgestellt. Ein kurzes Kopfschütteln, dann polierte er weiter Cocktailgläser. Er hielt sein kleines Königreich erstklassig in Schuss, der Tresen blitzte und blinkte im Widerschein hunderter kleiner Lämpchen, die er überall installiert hatte. In die Eingeweide der Kühltheke oder hinten in die Vorratskammer schauten wir nicht. Hundert Meter die Hafenpromenade runter flitzten um diese Uhrzeit die Ratten um die verlassenen Verkaufsstände, und sie waren sicher auch hier. Aber Boy schlug einfach zwei Fliegen mit einer Klappe: Er hatte eine acht Quadratmeter große Glitzerwelt um sich herum – und das Ungeziefer scheute das Licht. Ein weiteres Glas wanderte kopfüber in den Halter über den Zapfhähnen.

„Sag mal, weinst du, George?“ fragte Elizabeth. Boy Georges Augen schwammen schon, und mit dem nächsten Wimpernschlag würden die ersten Tränen über seine Wangen laufen. Auch glitzernd, es würde also trotz verlaufendem Mascara wenigstens gut aussehen, darauf legte er ja schließlich wert.

„Um einen Scheiß-Kinderficker?“ giftete Wigbert, und während Elizabeth sich unter den Marlin-Schwertern hindurch über den Tresen beugte, um des Königs Namensvetter wenigstens durch ein zartes Streicheln über den Oberarm zu trösten, zischte Andreas, ein schweizerischer Skipper: „Bitte, ich bin mit den Jungs hier, die sollen andere englische Vokabeln lernen!“

„Mein König! Mein König!“ schluchzte Boy George in Richtung Spülbecken, auf dessen Rand er sich aufgestützt hatte, „alles ist tot!“

Der elektrische Metzger nutzte die entstandene Stille, um seinen kurzen Bericht abzugeben: „Als die im Fernsehen immer längere Szenen aus seinem Leben und immer weniger Meldungen aus dem Krankenhaus brachten, habe ich Salote angerufen. Die einzige gute Seele in dem ver-“, er taxierte den Schweizer kurz aus den Augenwinkeln heraus, „in dem ganz und gar zauberhaften Palast. Palästchen. Fertighausholzbruchbude. Gänsestall.“ Ein kurzes Kichern in der Runde, denn jeder hatte die königlichen Gänse natürlich schon bewundert. „Wohnen ja eh alle nicht da. Salote ist bei ihren Eltern. Der jüngste Bruder, wisst ihr ja. Der ist aber am Sterbebett. War dabei und hat Salote gleich angerufen. Ich hab noch gefragt, ob ich es schon weitergeben kann, und sie hat gesagt, kommt eh gleich in den Nachrichten. Sondersendung. Aber die Sondersendung läuft ja schon seit fünf Tagen, also wird es wohl eher eine Eilmeldung. Und wenn sie damit aufgehört haben, darüber zu streiten, wer vor die Kameras darf, dann kommt es wahrscheinlich auch wirklich heute noch. Bis dahin werden es aber zumindest hier auf Tongatapu eh schon alle wissen, bin ja nicht der einzige hier mit Kontakt zum Hofstaat.“