John Sinclair 1174 - Jason Dark - E-Book

John Sinclair 1174 E-Book

Jason Dark

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Beschreibung

Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 2000 - 2009!

Blut für Ludmilla.

Nach sehr langer Zeit öffneten die Menschen das Grab der Ludmilla. Sie wollten endlich die Bestätigung dafür bekommen, ob die alte Sage Recht hatte.

Es stimmte. Ludmilla war nicht verwest und so schön und jung wie bei ihrem Tod. Von Stund an wurde sie im Dorf als Heilige verehrt.

Aber die Menschen irrten. Es gab auch andere Gestalten, die nicht vermoderten.

Vampire, zum Beispiel ...

John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.

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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt

CoverJohn Sinclair – Die SerieÜber dieses BuchÜber den AutorImpressumBlut für LudmillaVorschau

John Sinclair – Die Serie

John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.

Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.

Über dieses Buch

Blut für Ludmilla

Nach sehr langer Zeit öffneten die Menschen das Grab der Ludmilla. Sie wollten endlich die Bestätigung dafür bekommen, ob die alte Sage Recht hatte.

Es stimmte. Ludmilla war nicht verwest und so schön und jung wie bei ihrem Tod. Von Stund an wurde sie im Dorf als Heilige verehrt.

Aber die Menschen irrten. Es gab auch andere Gestalten, die nicht vermoderten.

Vampire, zum Beispiel …

Über den Autor

Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve

ISBN 978-3-8387-3907-6

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de

Blut für Ludmilla

Ein dunkler Vogel flog mit flatternden Flügelschlägen durch die finstere Nacht und über die Köpfe der Menschen hinweg, deren flüsternde Gespräche für die Dauer der Schwingenbewegungen verstummten. Mit ängstlichen Blicken schauten sie dem Tier nach, als steckte in ihm der Geist eines verschwundenen Magiers.

Sobald der Vogel nicht mehr zu sehen war, führten sie ihre Zeremonie fort. Die Frauen begannen mit ihren leisen, schwermütigen Gesängen und zündeten noch mehr Kerzen an, deren Flammen durch kleine Glashauben vor dem Wind geschützt wurden.

Die Menschen waren auf den Friedhof gekommen und drängten sich wie eine scheue Herde Schafe um das etwas abseits liegende Grab. Obwohl sie sich eigentlich fürchteten, wollte jeder sehen, ob sich das Unheimliche und Unerklärliche bestätigte …

Noch war es nicht so weit. Aber es würde auch nicht mehr lange dauern, das Loch war bereits recht tief. Bevor die Männer mit dem Graben angefangen hatten, war es wichtig gewesen, das trockene Buschwerk zur Seite zu schaffen, das die alte Grabstätte umwuchert hatte. Um diese letzte Ruhestätte hatte sich niemand gekümmert. Keiner hatte Blumen auf das Grab gestellt. Niemand war gekommen, um zu beten. Hätte er es getan, dann wäre er womöglich von einem gewaltigen Blitzschlag aus der Hölle getroffen worden.

So sagten es zumindest einige aus dem Ort. Aber sie waren in der Minderzahl. Die meisten Bewohner waren der Ansicht, dass die Tote mehr war als ein Mensch.

Sie sahen sie als Heilige an – die heilige Ludmilla!

Sie tauchte als Heilige nirgendwo in den Annalen auf, aber in dieser Umgebung glaubte man fest an sie.

Vier Männer schaufelten im Schein der Kerzen. Es waren diejenigen, die sich nicht fürchteten und endlich Bescheid wissen wollten. Auf der alten und nahen Steinmauer standen Laternen, die zusätzliches Licht über das Grab warfen. Die Kerzen waren in einem größeren Umkreis aufgestellt worden. Sie dienten mehr dem Wohlgefühl der Zuschauer, die in respektabler Entfernung ihren Platz eingenommen hatten. Männer, Frauen, und sogar Kinder befanden sich darunter. Sie klammerten sich ängstlich an den Händen ihrer Eltern fest.

Es war eine Nacht, wie sie auch der Winter hätte bringen können, so dunkel, beinahe schon schwarz, als hätten unheimliche Geister Fässer mit Tinte ausgekippt. Manchmal meldete sich der Wind. Dann rauschte er heran und brachte den trockenen und staubigen Geruch mit. Es fehlte der Regen. Dieser Sommer war hart. Hitze, Staub, eine sengende Sonne, die in die schmalen Täler hineinschien. Es lag auch kein Schnee mehr auf den höchsten Kuppen der Berge. Alles war getaut, und selbst die ins Tal fließenden Bäche waren zu schmalen Rinnsalen geworden.

Die vier Männer schaufelten ohne Unterlass. Immer wieder flog die Erde hoch, um die Hügel zu vergrößern. Die Erde war sehr trocken, und ein Teil davon löste sich unterwegs in Staubfahnen auf. Im Licht der Laternen schimmerten die Gesichter der Männer wie mit Öl eingerieben. Ihre nur mit Unterhemden bedeckten Oberkörper dampften, aber sie gaben nicht auf und legten auch keine Pausen ein.

Die Leiche lag schon einige Jahre unter der Erde. Sie hätte längst verwest sein müssen. Ein Skelett, ohne Haut, ohne Fleisch. Das wäre der natürliche Weg gewesen, aber die alten Schriften sahen es anders. Und wenn es stimmte, was da geschrieben worden war, dann hatte der kleine Ort in den Karpaten eine Sensation, die ihn möglicherweise weltbekannt machte.

Vermodert und verwest. Wie auch der schlichte Sarg. Und genau der war unter dem Druck der Erde nicht zusammengebrochen. Alle hörten, wie die Schaufeln gegen ein Hindernis stießen und dabei einen dumpfen Klang abgaben.

»Wir haben ihn!«, rief einer der Arbeiter halb laut. Er war der Anführer, hielt einen Moment inne und hob seine Schaufel an. Dabei drehte er sich den anderen zu. »Habt ihr es gehört? Habt ihr den Klang gehört?« Er lachte. »Es stimmt. Wir haben das Ziel fast erreicht. Wer den Sarg sehen will, der kann näher kommen. Los, schaut ihn euch an. Es gibt ihn noch. Er ist nicht zusammengebrochen …« Ivo Lasic lachte. »Was ist? Scheut ihr euch?«

Die Menschen schwiegen. Sie hatten ja vieles wissen wollen, und sie waren nahe dran, die Bestätigung zu bekommen. Nun aber, wo es fast so weit war, hatte niemand so richtig den Mut, und Ivo musste sie noch zweimal auffordern, ehe sich ein Mutiger in Bewegung setzte und bis zum Rand des Grabes ging.

Er schaute nach unten.

Selbst im schwachen Schein der Laternen war zu erkennen, wie sehr er sich erschreckte. Er schaute noch mal hin, nickte und drehte sich um. »Es ist wahr«, sprach er gegen die Gesichter der Neugierigen. »Es ist tatsächlich wahr. Der Sarg ist nicht eingefallen. Er hat all die Jahre gehalten.« Aus seinem Mund drang ein unsicher klingendes Lachen. »Ich kann es euch auch nicht sagen, das ist schon der erste Teil des Wunders. Wir werden bald den zweiten sehen, davon bin ich überzeugt. Und dann … dann wird die Welt wissen, was hier geschehen ist. Da erlebt sie das Wunder vom Balkan.«

Keiner gab ihm auf seine Worte eine Antwort. Aber die Zuhörer hatten ihn verstanden, und sie nickten in seine Richtung, wobei das Staunen nicht aus ihren Gesichtern wich. Innerhalb der Kulisse wirkten sie wie Statisten in einer düsteren Oper.

Die vier Schaufler hatten sich die Pause verdient. Erst als der Mann wieder gegangen war und sich zu den anderen Zuschauern gesellt hatte, nahmen sie ihre Arbeit wieder auf.

Diesmal gingen sie behutsam zu Werk. Zwei von ihnen kletterten in das Grab hinein. Unter anderem Ivo Lasic. Das Grab war nicht so tief wie ein normales. Es lag daran, dass der Boden recht felsig war. Die Männer mussten noch die Erde an den Seiten des Sargs lockern, um ihn fassen zu können. Eine schwierige Arbeit lag vor ihnen, wenn sie ihn hochhievten. Sie konnte nur hoffen, dass der Boden ebenfalls in Ordnung war und sich keine Würmer oder Käfer an dem Sarg zu schaffen gemacht hatten.

Mit den Schaufeln, aber auch mit den bloßen Händen verschafften sie sich Platz. Sie schufen Lücken, in die sie hineinfassen konnten, während die Zuschauer in ehrfurchtsvollem Schweigen verharrten. Keiner trat näher an die Grabstätte heran. Die Menschen schwiegen zumeist. Einige Frauen verharrten auch im stummen Gebet, die Augen gegen den Himmel gerichtet.

Minuten vergingen. Hin und wieder wurde Erde in die Höhe geschleudert, und die Lücken zwischen dem Sarg und den Grabwänden erweiterte sich zusehends.

»Alles okay?«, fragte Ivo. Er hatte den Ausdruck in Deutschland gelernt, wo er für zwei Jahre auf dem Bau gearbeitet hatte.

»Wir können es versuchen.«

Ivo gab auch den beiden anderen Helfern Bescheid, die nahe des Grabes warteten. Sie traten noch dichter heran, knieten sich dann nieder und streckten ihre Arme aus. Die Schaufeln wurden nicht mehr gebraucht. Ivo und seine Helfer warfen sie aus dem Grab. Dann bückten sie sich so gut wie möglich und schafften es tatsächlich, die Hände unter den Sarg zu schieben.

»Fertig?«

»Ja!«

»Dann jetzt!«

Zugleich hoben die Männer den nicht zerstörten Sarg in die Höhe. Er war relativ leicht, denn er bestand aus einfachem Fichtenholz. Das Gewicht der Leiche störte sie auch nicht. Nur die Enge des Grabes bereitete ihnen Schwierigkeiten. Das raue Holz berührte ihre Körper, als sie die Totenkiste vor sich her in die Höhe schoben. Dabei keuchten und fluchten sie und waren froh über die Hilfe der anderen beiden Männer, die ihnen die griffbereiten Hände entgegenstreckten.

Sie packten schließlich kräftig zu viert zu, und der Rest war ein Kinderspiel.

Die zuschauenden Menschen staunten, als der nicht zerstörte Sarg über die Kante des Grabes geschoben wurde. Er war nur durch den Schmutz klebrig geworden, aber mehr war nicht mit ihm geschehen. Zwischen zwei Erdhügeln hindurch wurde der Sarg geschoben und kam erst dann zur Ruhe, wo ihn das Licht am besten traf.

Auch jetzt hielten die Zuschauer ihren Abstand ein. Es war warm in dieser Nacht, aber nicht wenigen rann ein kalter Schauer über den Rücken. Auch Ivo und sein Helfer verließen das Grab. Sie klopften sich den Staub von den Hosen.

Die erste Hälfte hatten sie geschafft. Die Zweite lag noch vor ihnen. Die große Überraschung. Nicht alle Menschen glaubten daran, dass Ludmilla nicht verwest war, auch der Pope nicht, sonst wäre er nämlich gekommen. Er hatte den Plan der Leute mit einem Fluch belegt und erklärt, dass er die vier Männer, die Schänder, nicht mehr in seiner Kirche sehen wollte.

Von Ivos Stirn tropfte der Schweiß. Staub lag noch in der Luft und kratzte in seiner Kehle. Es hatte sich nur wenig abgekühlt. Die Sonne war untergegangen, aber die Schwüle hatte sich im Tal erhalten, und das war schlimm.

Wasser wurde den Männern gereicht. Obwohl es lauwarm war, leerten sie die Flaschen fast bis zum Grund. Den Rest kippten sie sich über ihre Köpfe.

Ivo gab die Flasche zurück und stieß ein scharfes Lachen aus. Damit richtete sich die Aufmerksamkeit der anderen auf ihn. Mit scharfer Stimme stellte er seine Frage.

»Wer von euch will mir dabei helfen, den Sarg zu öffnen? Los, ich höre!«

Keiner meldete sich freiwillig. Sie alle wollten den Inhalt sehen, ob verwest oder nicht, aber Ivo Lasic stand hier allein auf verlorenem Posten.

Der Mann, der ihm geholfen hatte, hieß Daniel Vuccu. Er war kleiner als Ivo, aber stämmiger. »Was ist denn mit dir, Daniel? Willst du mich auch im Stich lassen?«, fragte Ivo.

»Nein.«

»Wunderbar, dann los!«

Das Flüstern der Zuschauer verstummte. Die stummen Beter redeten jetzt den Text. Sie flehten die Mutter Maria und die Heiligen an, während sich von ihnen ungesehen am Himmel die Wolken zu einem drohenden Gebilde zusammengezogen hatten. Verschiedene Kräfte prallten aufeinander. Energie wandelte sich um in Elektrizität, und über das Tal hinweg huschte das erste Wetterleuchten. Als hätte der Himmel für einen Moment sein Tor geöffnet, um es dann wieder zu schließen.

In der Ferne grollte Donner, und nicht wenige der Zuschauer empfanden es als eine Warnung. Aber an eine Umkehr dachte niemand. Sie hatten den Anfang gemacht und mussten bis zum bitteren Ende durchhalten.

Ivo gab Daniel ein Zeichen.

Beide bückten sich. Sie schauten sich die Stelle an, wo der Deckel auf dem Unterteil festklemmte. Es war ein Sarg, wie man ihn im Orient benutzte. Eine Kiste, die sich zu den Beinen hin verengte, in der Mitte breiter war und auf der der flache Deckel lag. Wer immer die Person damals begraben hatte, es waren Nägel in das Holz getrieben worden, die den Deckel hielten.

Ivo verlangte nach einem Stemmeisen.

Er bekam es aus der zitternden Hand eines Mannes, der sofort wieder zurücktrat. In Sargnähe hielten sich sowieso nur die vier Helfer auf.

Ivo setzte das schmale Stemmeisen an. Es kratzte, als er die flache Fläche vorn in die Lücke schob. Beim ersten Versuch klappte es noch nicht. Beim zweiten ging es schon besser, und auch Daniel hatte sich ein Werkzeug geben lassen.

Es war ein Schraubenzieher. Damit hatte er mehr Mühe als Ivo Lasic mit dem Stemmeisen. Das malträtierte Holz knirschte, als es auseinander gedrückt wurde. Erste helle Flächen erschienen, der Deckel bewegte sich nach oben. Die rostigen Nägel erschienen. Spätestens jetzt, als ein erster Spalt zwischen den beiden entstanden war, hätte der süßliche Geruch der Verwesung die Nasen der Zuschauer treffen müssen.

Nichts dergleichen passierte. Aus dem Sarg drang so gut wie kein Geruch. Nur die Erde war zu riechen, und der Staub bildete kleine Wolken, die sich auf die schweißnassen Gesichter der Zuschauer legten.

»Vorsichtig«, flüsterte Ivo scharf. »Zerbrich nicht alles.«

»Ja, ja …«

Sie arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts. Die Umgebung hatten sie vergessen. Keiner sah die schattenhaften Gestalten der Zuschauer und ihre angespannten Gesichter.

»Ha!« Aus Daniels Mund drang ein krächzender Laut, als es plötzlich so weit war. Der Deckel verlor auch den letzten Kontakt mit dem Unterteil. Kein Nagel hielt ihn mehr fest, und Ivo, der sein Werkzeug fallen gelassen hatte, schnappte den Deckel mit beiden Händen und drückte ihn dann zur Seite.

Das Licht der Laternen und auch der entfernte Schein der Kerzen leuchtete weich in den offenen Sarg hinein. Es war kein Skelett, das es aus der Dunkelheit riss. Es war auch keine vermoderte oder von Würmern und Käfern angenagte Gestalt.

Es war eine Frau – und eine wunderschöne dazu. Jetzt hatten sie den endgültigen Beweis.

Ludmilla war nicht verwest.

*

Die folgenden Sekunden dehnten sich in die Länge. Statt Sekunden schienen Minuten zu vergehen. Alles war anders geworden. Selbst Ivo war nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen.

Ivo und Daniel standen dem offenen Sarg am nächsten. Sie schauten hinein. Sie dachten gar nicht daran, ihren Blick abzuwenden, denn noch immer konnten sie nicht richtig fassen, was sie mit eigenen Augen zu sehen bekamen.

Ludmilla war nicht verwest. Auch die Kleidung nicht. Sie trug kein helles Totenhemd, sondern ein dunkles Gewand, das um ihren Körper drapiert war.

Schwarzes Haar, ein bleiches Gesicht. Nicht geschlossene Augen, sondern offen stehende, in denen die Pupillen aussahen wie schwarze Perlen. Darin spiegelte sich das Licht der Laternen und Kerzen wider und gab ihnen einen irgendwie lebendigen Ausdruck. Ein klares, ein schönes Gesicht, das wie mit perfekter Hand von einem Künstler gemeißelt wirkte.

Daniel hob die Schultern. Er wollte etwas sagen, doch auch ihm fehlten die Worte. Die anderen beiden Helfer standen etwas weiter entfernt. Auch sie schauten in den Sarg hinein und erkannten, dass dort keine vermoderte Leiche lag.

Das mussten sie weitergeben. Sie drehten sich um. Ihre flüsternden Stimmen erreichten die Zuhörer, während sich über ihren Köpfen das Wetterleuchten fortsetzte.

»Sie ist nicht verwest.«

»Ludmilla ist wunderschön geblieben.«

»Kommt, schaut sie euch an.«

Die Menschen trauten sich nicht so recht. Keiner wollte den Anfang machen, und sie mussten sich gegenseitig anstoßen, um sich zu überwinden.

Der Mann, der schon das Werkzeug gereicht hatte, machte den Anfang. Nach einem tiefen Stöhnlaut ging er den ersten Schritt nach vorn, verfolgt von den Blicken der anderen Menschen, die ihn bewunderten, denn noch brachte niemand den Mut auf.

Daniel trat zur Seite. »Ja, los«, sagte er, »geh noch näher an den Sarg heran. Sie tut dir nichts. Schöne Frauen tun einem nichts.« Er lachte schallend.

Es war das einzige Geräusch in der Stille. Selbst die Schritte des Näherkommenden waren nicht zu hören, und dann sah der Mann das Gleiche wie Daniel und Ivo.

Sein Gesicht veränderte sich. Die Züge erstarrten. Er riss die Augen weit auf und war noch nicht in der Lage, etwas zu sagen. Er konnte nur staunen, und auch seine Angst wich allmählich.

Ludmilla war so schön.

So schön und so tot!

Aber sie war nicht verwest.

Der Mann wusste nicht, wie lange er neben dem Sarg gestanden und geschaut hatte. Ihm kam es wie eine kleine Ewigkeit vor, als er sich endlich wieder zu den anderen Zuschauern hindrehte, zuerst die Schultern und danach die Arme anhob.

Er wusste ja, dass sie von ihm eine Erklärung erwarteten, aber in seinem Mund musste sich erst der Speichel sammeln und die Trockenheit vertreiben.

»Ich habe sie gesehen! Sie ist … sie ist … nicht verwest. Sie ist so wunderschön. Es ist das Wunder. Sie … sie ist wie die heilige Bernadette von Lourdes, die auch nicht verweste. Das … das … ist bei uns geschehen. Ja, bei uns …« Schon bei den letzten Worten war seine Stimme leiser geworden, jetzt versagte sie ihm völlig.

Aber man hatte seine Worte gehört. Und sie hatten es geschafft, den Menschen die Angst zu nehmen.

Vom Himmel fuhr der erste Blitz der Erde entgegen. Er sah aus wie ein gezackter Speer, der in den Tiefen der Wälder verschwand. Recht spät grollte der Donner auf. Ein Zeichen, dass das Gewitter noch ziemlich weit entfernt war.

Der Mann winkte mit beiden Händen, und es waren tatsächlich die Frauen, die ihre Starre als Erste überwanden. Sie kamen auf den Winkenden zu. Die Füße schlurften dabei über den Boden hinweg. Kleine Staubwolken quollen in die Höhe.

Niemand sprach mehr. Nur heftige Atemstöße wehten in den Wind hinein, der von den Bergen kam und wie ein schwülwarmer Schwall alles überschwemmte.

Die Stille war nicht aus der Angst heraus geboren worden, sondern aus der Ehrfurcht. Wie lange war über dieses Phänomen gesprochen worden. Viele hatten es erhofft, die wenigsten erwartet. Nun aber standen sie dicht vor der großen Wahrheit.

Sie stoppten, nachdem sie einen Kreis um den Sarg gebildet hatten. Jeder schaute hinein, jeder sah das Gleiche, und die ersten Kommentare drangen über die Lippen.

»Sie ist tot und nicht verwest!«

»Wie schön sie ist!«

»Wie eine Fee!«

»Nein, wie eine Königin!«

Sätze wie diese hatten auch die letzten Mauern der Furcht niedergerissen. Jetzt trauten sich auch die Männer näher. Schon bald hatte sich ein dichter Menschenpulk um den schlichten Sarg herum gebildet.