1,99 €
Endlich als E-Book: Die Folgen der Kult-Serie John Sinclair aus den Jahren 2000 - 2009!
Der Mördermönch von Keitum.
Drei tote und schrecklich zugerichtete Frauen auf der Insel Sylt. Ein Horror für das Ferienparadies in der Nordsee. Und die Polizei war nicht in der Lage, den Mörder zu fassen.
Ein gewisser Hotelier erinnerte sich an mich, denn schon zweimal hatte ich in seinem Beisein einen Fall gelöst.
Also fuhr ich auf die Insel. Und dort erwartete mich nicht nur der Spuk, sondern auch der Mördermönch von Keitum.
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung. Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 148
Veröffentlichungsjahr: 2015
John Sinclair ist der Serien-Klassiker von Jason Dark. Mit über 300 Millionen verkauften Heftromanen und Taschenbüchern, sowie 1,5 Millionen Hörspielfolgen ist John Sinclair die erfolgreichste Horrorserie der Welt. Für alle Gruselfans und Freunde atemloser Spannung.
Tauche ein in die fremde, abenteuerliche Welt von John Sinclair und begleite den Oberinspektor des Scotland Yard im Kampf gegen die Mächte der Dunkelheit.
Drei tote und schrecklich zugerichtete Frauen auf der Insel Sylt. Ein Horror für das Ferienparadies in der Nordsee. Und die Polizei war nicht in der Lage, den Mörder zu fassen.
Ein gewisser Hotelier erinnerte sich an mich, denn schon zweimal hatte ich in seinem Beisein einen Fall gelöst.
Also fuhr ich auf die Insel. Und dort erwartete mich nicht nur der Spuk, sondern auch der Mördermönch von Keitum.
Jason Dark wurde unter seinem bürgerlichen Namen Helmut Rellergerd am 25. Januar 1945 in Dahle im Sauerland geboren. Seinen ersten Roman schrieb er 1966, einen Cliff-Corner-Krimi für den Bastei Verlag. Sieben Jahre später trat er als Redakteur in die Romanredaktion des Bastei Verlages ein und schrieb verschiedene Krimiserien, darunter JERRY COTTON, KOMMISSAR X oder JOHN CAMERON.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen RomanheftausgabeBastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG© 2015 by Bastei Lübbe AG, KölnVerlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian MarzinVerantwortlich für den InhaltE-Book-Produktion:Jouve
ISBN 978-3-8387-3975-5
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.dewww.bastei.de
Als großer Mantel umschlang die Dunkelheit mit ihren gewaltigen Armen die Welt. Menschen legten sich zur Ruhe. Tiere suchten ihre Schlafplätze auf. Lichter erloschen. Stille breitete sich aus.
Aber nicht alles schlief. Irgendwo gab es immer etwas, das wachte oder erwachte. Das Böse, das namenloses Grauen brachte.
Wie die Steinfigur, die im Garten des Hauses stand und zudem durch eine halbhohe Mauer vor den neugierigen Blicken der Menschen geschützt war …
Sie war etwas Besonderes, obwohl sie einfach nur da war und sich nicht bewegte.
Wer sie tagsüber sah und nicht Bescheid wusste, der erschrak unweigerlich. Die meisten Menschen blieben stehen. Sie lugten scheu über die Mauer hinweg, sahen die hockende Figur und merkten dann, wie ihnen ganz allmählich ein Schauer über den Rücken rann, der sich sogar bis zum Nacken hin ausbreitete, um von dort den gesamten Kopf zu erfassen.
Sie strömte etwas aus, das keinen Beobachter unberührt ließ. Sie schimmerte in einem dunklen Grün, über das sich an verschiedenen Stellen grauer Schatten gelegt hatte und in die Täler der Falten hineingekrochen war.
Obwohl die Figur aus Stein bestand, war sie »angezogen«. Sie stellte einen Mönch dar, einen Kuttenmann, der hockte, kniete oder saß, so genau war das nicht zu erkennen. Die Kapuze war in die Höhe gezogen worden und über den Kopf gestreift, der allerdings nicht vorhanden war, denn wer diese Figur direkt anschaute, der sah in kein Gesicht, sondern in ein schwarzes ovales Loch hinein, das den Betrachter schauern ließ.
Es war die Schwärze. Nur die Schwärze. So schrecklich dicht. Ohne einen winzigen Lichtschimmer, und der Zuschauer konnte das Gefühl haben, dass das Gesicht von der Schwärze gefressen worden war.
Sie war auch in der Dunkelheit vorhanden. Noch dichter als diese selbst. Ein Fleck, umgeben von einer steinernen Kapuze. Ein Mönch, der verflucht war, weil er Gott verlassen und sich der Hölle zugewandt hatte und nun seine Strafe abbüßte. Für immer und ewig versteinert, als Warnung für die Menschen.
Er stand dort Tag und Nacht. Im Sommer und im Winter. Er war der Hüter und der Wächter zugleich. Nur ein Mönch aus Stein, aber niemand traute sich so recht, sich ihm zu nähern. Die Menschen hielten Abstand.
Der Mönch fror nicht, er schwitzte nicht. Er stand einfach nur in diesem Garten als unheimlicher Wachtposten.
Und doch steckte etwas in ihm, das niemand sah. Es war da, es wartete. Es hielt sich verborgen, es lauerte, und es gab Zeiten, da drückte es sich hervor.
Wie eben in dieser Nacht!
Über Sylt hatte noch am Abend die Klarheit eines Sternenhimmels gelegen, doch der Wind aus Nordwest hatte die Wolken herbeigeschaufelt, die Sterne unsichtbar werden lassen, aber den Himmel nie ganz gefüllt, sodass hin und wieder an den noch blanken Stellen die Sichel des Halbmonds in einer kalten, gelblichen und fast leichenblassen Farbe die Blicke des Betrachters anzog.
Es war zu schwach, um der Erde seinen Glanz zu verleihen, aber auf irgendeine nicht ganz erklärbare Art und Weise erreichte es doch den kleinen Garten und damit die Figur des Mönches.
Sein steinerner Umhang erhielt eine andere Farbe. Die Schatten tauchten weg. Die Haut begann leicht zu glänzen, und vorn, wo sich die tiefe Schwärze des Ovals befand, kam es zu einer ersten Veränderung. Genau da regte sich etwas.
Die Schwärze verschwand. Sie zog sich zurück. Sie rutschte in die Tiefe hinein und schob etwas anderes, das dort verborgen gelauert hatte, nach vorn.
Rot!
Ein düsteres, unheimliches Rot. Vergleichbar mit dunklem Blut, aber trotzdem anders. In der finsteren Umgebung wirkte es vielleicht heller als gewöhnlich, aber dieses Rot war da. Es blieb. Es füllte das Gesicht aus. Es machte die Schwärze vergessen. Es war so schrecklich präsent. Es war einfach nur das kalte Grauen, obwohl sich innerhalb dieser Farbe keine Fratze und auch kein Gesicht abzeichnete.
Aber die Farbe bewegte sich. Sie zitterte. Fast ein Funkeln. Etwas Unheimliches drang hervor. Etwas, das nicht zu fassen war und sich auch ausbreitete.
Es erreichte den Boden und bedeckte das dort liegende Laub mit seinem rötlichen Schein.
Nichts bewegte sich an dieser Figur. Und doch wirkte sie in diesen Momenten so, als hätte sie noch einmal Atem geholt, damit sie ein paar Zentimeter wuchs.
In diesen Augenblicken schien der Wind hin und wieder Pausen einzulegen, um der anderen, der unheimlichen Macht oder Kraft, die sich in diesem Garten aufhielt, den nötigen Schub zu geben.
Wer genau hinhörte, der hätte auch das Geräusch vernommen, das plötzlich durch den Garten wehte und nur aus dem rot glühenden Gesicht des Mönchs stammen konnte.
Da war etwas.
Da steckte etwas in ihm.
Etwas Unerklärliches, das darauf wartete, sich freie Bahn zu verschaffen.
Wehe dem Menschen, der jetzt in diese Nähe kam.
Wehe ihm …
*
Die junge Bedienung in der Friesentracht trat an Nelly Beckers Tisch heran und legte die Rechnung neben den Teller, auf dem sich vor Kurzem noch eine Salatkomposition befunden hatte.
»Sie hatten nach der Rechnung gefragt?«
»Ja, so ist es.«
»Bitte sehr. Das waren der Salat, das Wasser und der Grauburgunder.«
»Genau.«
Nelly Becker legte vierzig Mark auf den Tisch, verzichtete auf das Wechselgeld und dachte mit leichter Wehmut daran, dass die Zeiten der D-Mark in wenigen Wochen vorbei waren. Der Euro würde kommen. Dann wird alles um die Hälfte billiger, dachte sie mit einem gewissen Galgenhumor, aber man würde sich auch an die neue Währung gewöhnen.
»Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend.«
»Danke, ich Ihnen auch.«
Nelly wartete einige Augenblicke, dann stand sie auf. Sie hatte an einem Einzeltisch gesessen und war sich etwas verloren vorgekommen. In der Gaststube saßen zumeist Paare oder Cliquen, aber keine Einzelpersonen.
Nelly hatte es nicht anders gewollt. Sie war auch allein auf die Insel gefahren, um dort Abstand zu gewinnen. Sie brauchte einfach diese Woche, denn nur hier konnte sie durchatmen und hoffentlich auch vergessen, was passiert war.
Fünf lange Jahre hatte die Beziehung mit Thomas gedauert. Mit allen Höhen und Tiefen. Aber jetzt war es vorbei. Dahin. Nie mehr zu kitten. Jeder war seinen eigenen Weg gegangen. Thomas hatte sich längst eine andere Partnerin gesucht, aber Nelly war auf einer Zickzacknbahn durch das Leben geirrt, bis man ihr geraten hatte, sich eine Auszeit zu nehmen und nachzudenken. Weg vom Berufsstress. Raus aus der Enge der Bank, mal tief durchatmen und Ruhe finden.
Sylt im Spätherbst war ideal. Und noch idealer war es, im schönsten Ort der Insel zu wohnen, in Keitum, in einem. sehr persönlich geführten Hotel, in dem man wunderbar entspannen und sich erholen konnte.
Dort konnte man allein bleiben, musste es aber nicht. Und Nelly hatte schon ein Ehepaar kennengelernt, das mit seinem zweijährigen Sohn für eine Woche auf der Insel Urlaub machte. Sie waren tagsüber spazieren gegangen und hatten sich auch am Abend an der Hotelbar getroffen und über Gott und die Welt gesprochen.
Auch an diesem Abend waren sie verabredet. Allerdings erst später. Auf den Spaziergang nach dem Essen wollte Nelly auf keinen Fall verzichten. Es war kühl, aber nicht zu kalt. Es war einsam, aber nicht verlassen, und vom Watt her stiegen graue Dunstschleier wie gewaltige Gespenster in die Höhe.
Nelly Becker freute sich auf den Spaziergang, aber zugleich fürchtete sie sich davor. Dann würden die Gedanken an Thomas wieder zurückkehren. Sie konnte ihn einfach nicht vergessen. Die Zeit der Trennung lag noch nicht lange genug zurück. Da brauchte es eine gewisse Zeit, bis sich die Wunde wieder schloss.
Noch im Lokal zog sie ihre mit Lammfell gefütterte Jacke an, die sie erst vor der Tür nachlässig schloss. Es reichte ihr, wenn sie den Schal um den Hals gewickelt hatte.
Nach der Wärme des Lokals tat ihr die Kühle der Nacht gut. Tief durchatmen. Den Blick nach oben richten. An den Autos vorbeigehen, die wie Tiere aus Metall auf dem Parkplatz standen, und sich nur auf das Knirschen der Schritte zu konzentrieren. Allein sein, tief durchatmen, die Luft genießen und die Stille.
Im Gegensatz zu den Sommermonaten hielt sich im Winter der Verkehr in Grenzen. Nur wenige Autos rollten in der Dunkelheit durch den Ort mit den kleinen Straßen und manchmal richtig engen Gassen, die so ein verwunschenes Flair ausstrahlten. Nelly hatte immer das Gefühl, in einer Märchenwelt zu sein. Obwohl sie öfter durch den kleinen Ort gegangen war, glaubte sie, ihn bei jedem Gang neu zu entdecken. Es war wie ein kleines Wunder, das sich einem Menschen immer mehr öffnete, je länger er sich damit beschäftigte.
Nelly hatte die Hände in die Taschen ihrer Jacke geschoben. Sie schlenderte dahin. Sie schaute mal zu Boden, dann wieder in die Höhe, um den Himmel zu sehen. Sie hielt ihr Gesicht gegen den Wind. Sie nahm den Geruch wahr, der für den Herbst so typisch war. Das feuchte Laub gab ihn ab, die Rinde der Bäume ebenfalls, aber es mischte sich auch ein anderer Geruch mit hinein.
In einigen Häusern loderte das Feuer in den Kaminen. Durch die Öffnungen der Schornsteine wurde der leichte Brandgeruch geschickt, der sich ausbreitete und Nellys Nase traf. Sie mochte ihn und schmeckte ihn sogar auf der Zunge.
Er ließ sie immer an zu Hause denken, denn auch ihre Eltern hatten gern das Feuer im Kamin angezündet, und dieses Flair aus der Kindheit hatte Nelly nie vergessen.
Jetzt war sie 35. Hatte die Mitte des Lebens erreicht und merkte, dass es für sie noch immer mehr offene Fragen gab als Antworten. Die Beziehung war vorbei. Okay, im Beruf lief es ganz gut. In der Bank machte sie ihren Job gut, aber das war nicht alles im Leben.
Das war ihr wieder deutlich vor Augen geführt worden, als sie im Hotel mit der Familie Brass Kontakt bekommen hatte. Beide Eltern waren glücklich mit ihrem kleinen Max, obwohl er sie ständig auf Trab hielt, aber auch das gehörte dazu. Nelly war es fast schon schmerzlich zu Bewusstsein gekommen. Vor allen Dingen, weil sie allein durchs Leben ging. Ein Partner war schnell gefunden, aber auch ebenso schnell wieder weg. In ihrem Alter brauchte sie etwas, auf das sie sich verlassen konnte. Die Zeit des Schaukelns war vorbei.
Mit gesenktem Kopf schritt sie weiter. Die Stirn war gefurcht, als lägen dahinter die schweren Gedanken, und sie merkte plötzlich, dass sich in ihrem Hals wieder so ein verdammter Klumpen gebildet hatte. Zugleich fing sie an zu schaudern, und sie ballte in den Taschen ihre Hände zu Fäusten. Tief holte sie Luft. Nur jetzt nicht wieder die verdammten Tränen. Sie lohnten einfach nicht. Thomas hatte sie verlassen. Er würde nicht mehr zurückkehren. Es ging einfach nicht. Man konnte die Vergangenheit nicht zurückholen. So etwas war unmöglich. Man musste sich der Gegenwart stellen.
Aber es war schwer, so verdammt schwer.
»Nein!«, flüsterte Nelly vor sich hin und trat heftig mit dem rechten Fuß auf. »Nein, ich will es nicht. Ich will mein Leben für mich in die Reihe bringen, verflucht!«
Ein Wagen bog vor ihr in die Straße ein und erwischte sie mit seinem bleichen Scheinwerferteppich. Nelly zuckte unwillkürlich zur Seite und blieb neben dem Stamm einer Platane stehen. Auf die Insassen musste sie wie ein Gespenst wirken, aber der Wagen stoppte nicht und rollte an ihr vorbei.
Nelly ging weiter. Sie wusste nicht, in welcher Gasse sie gelandet war. Irgendwann würde sie wieder an einen bekannten Punkt kommen, und das Hotel hatte sie bisher immer gefunden.
Wieder durchlief sie eine schmale Straße. Rechts und links standen die typischen, mit Reet gedeckten Friesenhäuser, kleine Bauten, die sich in den Gärten regelrecht zusammenduckten und zumeist hinter den vor Wind schützenden Steinmauern lagen.
Da der Oktober ungewöhnlich warm gewesen war, hatten die Bäume ihre Blätter noch nicht verloren. An manchen Zweigen hingen sie wie alte Lappen, und selbst der Sturm hatte nicht alle geschafft.
Manche flogen durch die Luft und taumelten wie übergroße Schmetterlinge dem Boden entgegen. Die Natur legte sich schlafen, und sie würde erst in einigen Monaten wieder erwachen.
Zuvor war Weihnachten.
Nelly biss sich auf die Unterlippe, als sie daran dachte. Das letzte Weihnachtsfest hatte sie noch zusammen mit Thomas verbracht. Es war sogar wunderbar gewesen. In diesem Jahr würde sie allein sein. Da bekam selbst eine Powerfrau wie sie romantische Gefühle. Sie war ja nicht der einzige Mensch, der unter einem derartigen Schicksal litt. So würde sie in den entsprechenden Lokalen zahlreiche Gleichgesinnte finden, um dort die Stunden des Heiligen Abends zu verbringen.
Vom Watt her krochen die ersten Dunsttücher auf das Land und wehten lautlos in den Ort hinein. Sie überschwemmten die kleinen Straßen, sie bedeckten die Häuser, sie krochen an den Wänden hoch und auch in die Gärten hinein. Es würde kein dichter Nebel werden, aber eben ein typischer Novemberdunst, der einfach zu dieser Jahreszeit dazugehörte.
Die Welt versank in Grau, in Schwarz – und in Rot!
Nelly blieb stehen, als hätte sie einen Befehl bekommen. Es sah aus, als wäre sie in der Bewegung eingefroren. Sie schaute nach vorn, aber da war nichts.
Trotzdem hatte sie den roten Fleck gesehen. Das war wirklich alles andere als eine Täuschung gewesen, denn so tief war sie mit ihren Nerven noch nicht gesunken.
Noch im Stehen drehte sie langsam den Kopf nach links. In dieser Richtung hatte sie die farbliche Veränderung bemerkt. Nur um eine Winzigkeit musste sie den Kopf bewegen, um zu erkennen, dass sie sich nicht getäuscht hatte.
Da war etwas Rotes!
Plötzlich hatte sie ihre Grübelei vergessen. Das andere interessierte sie plötzlich, und sie ging zwei kleine Schritte schräg nach links. Eine Mauer stoppte sie. Im Sommer wuchsen daran die herrlichen Sylter Rosen. Jetzt breitete sich nur noch der kahle Strauch aus, der wie dünne braune Zigarren in die Höhe stand und seine Blätter verloren hatte. Nur die Reste der Rosen hingen noch von ihnen herab, auch sie hatten eine braune Farbtönung und schimmerten zugleich feucht.
Nelly Becker öffnete den Mund, ohne ein Wort zu sagen. Sie hörte nur, dass sie ein- und ausatmete und ihren Blick über die Mauer hinweg durch den Garten warf, wo es nur ein Ziel gab.
Das zum Grundstück gehörende Friesenhaus interessierte sie nicht. Es war einzig und allein der rote Fleck, den sie als so schaurig empfand. Er vermittelte ihr eine fürchterliche Botschaft, obwohl nichts mit ihm passierte.
Er stand in der Dunkelheit.
Er bewegte sich nicht.
Nelly versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Es musste eine Erklärung geben. Es hätte eine Laterne mit rotem Licht sein können. Seltsamerweise wollte sie daran nicht glauben, aber sie konnte auch nicht weitergehen, um das Hotel zu erreichen.
Das Oval bannte sie auf der Stelle.
Wie lange sie unbeweglich und einsam vor der Mauer gestanden hatte, wusste sie selbst nicht zu sagen. Irgendwann riss die innere Sperre auf, und sie setzte sich wieder in Bewegung.
Nicht in die normale Richtung. Nicht zum Hotel hin. Nelly ging an der Mauer entlang, als würde sie von unsichtbaren Händen geschoben. Kleine Schritte, und bei jedem Aufsetzen eines Fußes merkte sie ihren Herzschlag.
Dann stand sie vor einer kleinen Pforte. Sie war mehr zur Zierde angebracht worden, denn sie hielt niemand davon ab, das Grundstück zu betreten, wenn er es wirklich wollte.
Mit der rechten Hand fasste sie die Pforte an. Die Finger glitten daran nach unten und fanden einen Riegel, der nur zur Seite geschoben werden musste.
Auch das war für sie kein Problem. Mit dem Knie stieß sie die Pforte auf, die nach innen schwang und dabei leise Kratzgeräusche von sich gab. Laub wurde zur Seite gedrückt und knirschte unter ihren Sohlen, als sie das fremde Grundstück betrat.
Sie ging noch immer wie von einer Leine gezogen. Es gab nur ein Ziel für Nelly Becker.
Das rote Oval leuchtete ihr entgegen. Es war wie ein Magnet für sie.
Die Schuhe schleiften durch das Laub, das mit leichtem Rascheln in die Höhe flog. Auf Sträucher und Bäume achtete sie nicht. Wichtig war der rote Fleck, und je näher sie an ihn herankam, umso deutlicher nahm sie noch etwas anderes wahr.
Es war nicht nur der Fleck, der sich dort befand. Dazu gehörte noch etwas. Nelly nahm es als eine Umgebung wahr, die sich von der allgemeinen abhob. Das rote Oval war ein Teil einer bestimmten Umgebung, sogar einer Gestalt.
Sie sagte nichts. Sie dachte nicht, sie ging einfach nur auf dieses unheimliche Phänomen zu. Und sie spürte die Veränderung in der Nähe. Es wurde plötzlich kalt. Etwas drang durch ihre Kleidung und ließ sich erst recht nicht von der Haut stoppen. Aber es war eine andere Kälte als die, die sie kannte.