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Ich hatte in meiner langen Laufbahn schon einiges erfahren, was die Templer anging. Ich kannte ihre Geschichte, ich wusste von den Verfolgungen, hatte ihren Neuanfang erlebt und konnte den momentanen Templerführer als meinen Freund ansehen.
Nie dachte ich daran, noch weitere Überraschungen zu erleben. Aber sie kamen, denn eines Tages lernte ich die Templer-Waise kennen.
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Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Die Templer-Waise
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Frank Fiedler/Rainer Kalwitz
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1628-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Templer-Waise
Trotz des Sonnenscheins, der Alina Grants Körper überflutete, schauderte die Zwölfjährige. Nicht nur das, ihr wurde regelrecht kalt, und den Fuß, den sie nach vorn gesetzt hatte, um auf die breite Treppe vor dem Schulgebäude zuzugehen, zog sie wieder zurück.
Etwas hatte sie gestört!
Alina wusste nicht, was es war. Sie konnte es auch nicht entdecken, aber es war vorhanden, wenn auch nur als Gefühl und nicht als etwas Konkretes …
Ihre Schultasche presste sie fest gegen ihre linke Hüftseite, als könnte sie so ihren Halt finden, den sie jetzt brauchte. In diesen Momenten fühlte sich Alina Grant auch einsam. Abgeholt wurde sie an diesem Tag nicht. Der Vater war unterwegs, und ihre Mutter ebenfalls. Sie musste den Weg von der Schule bis zu ihrem Haus allein zurücklegen. Aber nicht zu Fuß, sondern auf dem knallroten Bike, das sie so liebte.
Noch mal schaute sie nach vorn. Was sie sah, das war normal. Die freie Fläche vor der Treppe. Danach begann die Straße, deren Ränder von Bäumen flankiert wurden. Man hatte der Straße deshalb den Namen Allee gegeben. Allerdings nicht offiziell.
Auch die anderen Kinder hatten das Schulgebäude verlassen. Erst jetzt nahm Alina deren Stimmen wieder wahr. Für einen Moment war sie von der Außenwelt abgekapselt gewesen. Jetzt war sie wieder voll da und konzentrierte sich auf die Realität.
Die meisten Schüler waren schon von dem Gelände verschwunden. Es gab auch Elternteile, die ihre Kinder abholten, sie in die Autos steigen ließen und abfuhren.
Alina Grant würde ihr Bike nehmen. Noch immer stand sie in der Sonne und schaute sich um. Sie wusste nicht, nach was sie direkt suchte, aber sie hatte das Gefühl, in der letzten Zeit beobachtet zu werden und zwar von verschiedenen Männern, die immer an bestimmten Stellen erschienen, sich auf sie konzentrierten und dann wieder verschwanden.
Sie kannte die Männer nicht. Aber die schienen sie zu kennen, und das beunruhigte sie.
Bisher hatte sie ihren Eltern nichts gesagt, aber das konnte sich leicht ändern. Wenn sie wieder einen der Verfolger sah, würde sie mit ihren Eltern sprechen.
Jetzt gab sie sich einen Ruck und lief mit der Geschmeidigkeit einer Zwölfjährigen die Freitreppe hinab. Wenn sie die überwunden hatte, musste sie sich nach rechts wenden, um an einen P1atz zu gelangen, der noch zum Schulgelände gehörte. Dort standen die Räder in ihren Halterungen, und auch das ihre fand Alina dort. Es war knallrot gestrichen. Sie liebte diese Farbe, und an ihr musste immer etwas Knallrotes sein, wenn sie losfuhr. In diesem Fall war es das Halstuch, das sich in seiner Farbe von dem weißen Sweatshirt abhob.
Alina war etwas schneller gelaufen und atmete heftiger. Das mochte auch an der inneren Unruhe liegen, die noch immer nicht verschwunden war. Sie löste das Rad aus der Halterung und öffnete das Schloss. Hier war jedes Rad abgeschlossen, denn Diebe gab es auch in einem Stadtteil wie Kensington.
Sie drehte ihr Bike nach links, um es auf die Straße zu schieben. Zuvor musste sie den Gehsteig überqueren, erreichte ihn auch – und zuckte zusammen, bevor sie anhielt und keinen Schritt mehr weiterging.
Schräg links von ihr sah sie den Mann. Er musste hinter einem der Stämme gestanden haben. Jetzt aber zeigte er sich offen. Das Mädchen musste ihn nur einmal anschauen, um dieses Frösteln erneut zu erleben, das sie von der Treppe her kannte.
Der Mann sagte nichts. Er stand einfach nur da. Aber er war eine fleischgewordene Drohung. Auf dem Kopf trug er eine flache Mütze, die ebenso schwarz war wie sein Mantel, der an den Knien endete. Man konnte bei ihm von einem Gesicht mit neutralem Ausdruck sprechen.
Alina mochte den Kerl nicht. Sie fürchtete sich vor ihm. Er hatte ihr nichts getan und sie nicht mal angesprochen, trotzdem wäre sie am liebsten weggerannt.
Das schaffte sie nicht. Irgendetwas hinderte sie daran, und so blieb sie auf dem Fleck stehen und starrte die Gestalt an. Sie sah auch deren Mund und stellte fest, dass sich die Lippen zu einem hässlichen Grinsen verzogen. Es war nicht nur hässlich, es war auch wissend zugleich, und das bereitete Alina noch mehr Sorge.
Und dann sagte der Typ etwas. Er sprach nicht laut, aber sein Flüstern reichte aus.
»Da bist du ja …«
Alina zuckte zusammen, schluckte dann und hob die Schultern an. Das war ihre Reaktion.
»Wir sind da. Du gehörst zu uns.« Er streckte den rechten Arm aus, und das Mädchen schaute gegen eine Hand mit kräftigen Fingern, von denen sich zwei bewegten. Sie winkten ihr zu. Sie sollte sich in Bewegung setzen und zu dem Fremden kommen.
Alina wollte nicht. Heftig schüttelte sie den Kopf. Dann hörte sie das Lachen des Fremden, das ihr widerlich vorkam. Plötzlich raste in ihr der Wunsch hoch, so schnell wie möglich wegzukommen, und genau das tat sie auch.
Der Typ hatte ihr den Weg versperrt. Deshalb musste sie die andere Richtung nehmen. Sie stemmte ihr Bike hoch, sodass es mit dem Hinterrad nur mehr den Bordstein berührte, dann schwang sie das Bike herum, ließ auch das Vorderrad auf den Boden prallen und schob ihr Fahrzeug an. Sie beeilte sich, und sie wäre beinahe noch gegen einen Baum gelaufen. Im letzten Moment konnte sie ausweichen, schob ihr Fahrzeug noch einige Meter über den Bürgersteig, dann drückte sie es auf die Straße und schwang sich im Gehen in den Sattel.
Alina war eine gute Bikerin. So war es kein Problem für sie, in die Pedale zu treten. Schon nach den ersten Metern ließ die Furcht nach. Sie atmete auf und war jetzt sogar fähig, einen Blick über ihre Schultern zurück zu werfen.
Sie sah keinen Verfolger. Nur eben die Normalität, und das ließ sie wieder aufatmen. Die Spannung war nicht mehr so stark vorhanden, sie fühlte sich wieder besser.
Trotzdem klopfte ihr Herz noch schneller als normal. Fragen hatten sich aufgebaut. Warum wurde gerade sie verfolgt? Was hatte sie den anderen getan? Nichts, gar nichts. Zumindest konnte sie sich an nichts erinnern, was in diese Richtung deutete.
Vielleicht war auch alles ein großer Irrtum, dem sie dann unterlegen war. Damit musste sie auch rechnen. Doch wenn sie näher darüber nachdachte, dann konnte sie sich mit dem Gedanken nicht anfreunden.
Die Straße blieb so, wie sie war. Zu beiden Seiten wuchsen nach wie vor die Bäume, die inzwischen allesamt ihre Blätter bekommen hatten. Sie filterten das Sonnenlicht und zauberten so helle und dunkle Schattenspiele auf die Straße.
Alina fuhr. Sie trampelte. Das Bike war ein Traum, auch ohne Elektroeinsatz glitt es wie auf Kufen dahin. Groß anzustrengen brauchte sich das Mädchen nicht.
Am Ende der Straße musste sie nach links fahren, um dort in eine andere einzubiegen, die allerdings schmaler war und als Einbahnstraße galt. Dort lag dann auch ihr Ziel, das Haus der Eltern.
Es lief alles glatt. Sie hielt sich nahe des Bordsteins, damit andere Fahrzeuge die Chance bekamen, sie locker zu überholen.
Das geschah auch.
Und es waren nicht nur Autos, die an ihr vorbeirauschten, auch Motorräder und der eine oder andere Bike-Fahrer passierten sie. Es war alles easy, es war wie immer, und Alina Grant fühlte sich in diesen Augenblicken fast wie normal.
Ab und zu warf sie noch einen Blick zurück. Da kam sie besser zurecht als mit dem Spiegel.
Und sie sah den Wagen.
Er war dunkel. Er fuhr auf der linken Straßenseite fast in der Mitte. Sie hatte ihn dreimal gesehen, und darüber wunderte sie sich, denn normalerweise hätte sie das Auto längst überholen müssen.
Das aber war nicht der Fall!
Und warum nicht?
Sich darüber Gedanken zu machen war leicht, und es war auch einfach für Alina, eine Lösung zu finden. Der Fahrer wollte gar nicht überholen. Noch nicht. Er war dabei, sie zu verfolgen, und es wäre ihm ein Leichtes gewesen sie zu überholen.
Das tat er nicht. Er blieb hinter ihr, wie sie im Spiegel erkannte. Aber sie sah noch mehr, denn der Wagen holte auf. Näher und näher schob er sich an das Bike heran, und es würden nur mehr Sekunden vergehen, dann fuhr er mit ihr auf gleicher Höhe.
So war es auch!
Alina Grant bekam es mit. Sie musste nur einen leichten Seitenblick riskieren und hoffte jetzt, dass der Wagen sie überholen würde. Für sie war er ein dunkles Ungeheuer.
Er überholte nicht.
Er blieb in gleicher Höhe, und dann fuhr auf der Beifahrerseite das Fenster nach unten. Ein Gesicht erschien in der Öffnung. Alina kannte es. Es gehörte dem Mann, der ihr den Weg versperrt hatte.
Und jetzt war er hier.
Er sprach auch, und er sagte nur einen Satz, der sie erwischte wie ein Hammerschlag.
»Du gehörst zu uns!«
***
Von diesen vier Wörtern war Alina Grant so überrascht, dass sie nicht aufpasste und den Lenker verzog. Weg vom Wagen, also nach links. Da befand sich der Bordstein. Sie sprang förmlich über dessen Kante hinweg, geriet auf den Gehsteig, und da war plötzlich der Baum mit seinem starken Stamm.
Alina sah ihn im letzten Augenblick und bremste. Zum Glück hatte das Rad auch einen Rücktritt. Der brachte es sofort zum Stehen. Die Fahrerin wurde nach vorn gedrückt, kippte aber nicht über den Lenker hinweg und konnte sich fangen.
Rechtzeitig genug streckte sie das Bein aus, und es gelang ihr so, sich abzustützen.
Sofort schaute sie nach rechts.
Dort stand der Wagen. Diesmal blickte kein Gesicht aus dem Beifahrerfenster. Der Typ hatte die Tür geöffnet und schwang sich aus dem Fahrzeug.
Alina wollte verschwinden. Das Rad herumreißen und wegfahren, genau das schaffte sie nicht. Sie kam sich vor wie unter einem Zwang, musste stehen bleiben und sah dann, wie der Typ aus dem Auto einen Schritt näherkam. Danach aber blieb er stehen, und er sah das Mädchen an.
Alina dachte daran, dass er sie schon mal angesprochen hatte. Ihr Herz schlug schneller als gewöhnlich. Für ihre nächste Reaktion brauchte sie viel Mut. Den raffte sie zusammen und konnte endlich eine Frage formulieren.
»Was wollen Sie von mir?«
Der Fremde lächelte nur.
Sie sprach die nächste Frage aus. Sie kam ihr jetzt leichter über die Lippen.
»Warum verfolgen Sie mich?«
Jetzt bekam sie eine Antwort. »Das weißt du doch.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Du gehörst zu uns.«
Alina tat, als hätte sie nichts verstanden. »Was haben Sie da gesagt?«
»Dass du zu uns gehörst.«
Das war zu viel für sie. »Hören Sie zu, Mister. Ich gehöre keinem. Oder höchstens meinen Eltern, verstanden?«
»Ja.«
»Dann ist es ja gut.«
Der Fremde schüttelte den Kopf. »Nichts ist gut, gar nichts. Du unterliegst einem Irrtum.« Er sprach auch so fast nett und freundlich weiter. »Du hast zwar Eltern, aber du kannst nicht sagen, dass es deine richtigen Eltern sind.«
Das Mädchen glaubte, sich verhört zu haben. »Bitte, was haben Sie da gesagt?«
Er wiederholte den Satz, und Alina wurde leicht schwindlig. Wäre etwas in der Nähe gewesen, an dem sie sich hätte festhalten können, sie hätte es getan. So aber tat sie nichts und war froh, dass dieser Schwindel rasch vorbei ging.
»Das – das – kann nicht sein!« Sie hatte sich wieder gefangen und konnte sprechen. »Sie erzählen mir da irgendwelchen Mist. Sie sind ein Fremder für mich. Sie können mich gar nicht kennen.«
»Doch, ich kenne dich.«
»Und weiter?«
»Wir brauchen dich.«
Da schaffte es Alina, zu lachen. Dabei trat sie mit dem rechten Fuß auf. »Und wer ist wir?«
Der Fremde blieb bei seiner Antwort völlig erst. »Wir sind deine wahre Familie.«
Das war ein Satz, der sie schweigen ließ. Es war ihr unmöglich, etwas darauf zu antworten. Zu hart hatte er sie getroffen, und sie brauchte den Fremden nur anzuschauen, um zu wissen, dass er nicht bluffte. Seine gesamte Haltung zeigte diese Wahrheit.
»Finde dich damit ab.«
»Nein, verflixt, nein. Mit so einem Quatsch kann ich mich nicht abfinden. Ich werde in einer Woche dreizehn Jahre alt und …«
»Das wissen wir«, unterbrach er sie. »Du bist eine von uns. Deine Eltern haben dich nur adoptiert und dich praktisch für uns verwahrt. Perfekt, nicht wahr?«
Nichts war perfekt, gar nichts. Alina spürte das Vibrieren in ihrem Innern. Es war einfach nur grauenhaft, was sie sich hier anhören musste. Sie umklammerte den Lenker stärker. Die Haut spannte sich über ihre Knöchel. Sie holte scharf Luft, und dann hatte sie sich wieder gefangen.
Alina brüllte den Kerl an. »Hauen Sie ab!« Noch mal Luft holen. »Verschwinden Sie endlich. Ich will Sie hier nicht mehr sehen!«
Der Fremde tat nichts. Abgesehen davon, dass er lächelte. Danach drehte er sich um und ging seelenruhig zu seinem Fahrzeug zurück. Er setzte sich hinein und fuhr davon.
Alina Grant hatte das Nachsehen. Sie schaute dem Wagen hinterher, schüttelte den Kopf, und dann fragte sie sich, ob das alles wahr gewesen war, was sie in den letzten Minuten erlebt hatte. Das konnte eigentlich nicht wahr sein. So etwas erlebte man nicht. Das war unmöglich, das konnte man träumen.
Das Mädchen wischte über sein Gesicht. Da wusste Alina, dass sie nicht geträumt hatte. Die Begegnung mit dieser fremden Person entsprach den Tatsachen, daran gab es nichts zu rütteln. Alles war so gewesen und man hatte ihr einige brutale Wahrheiten gesagt. Aber Wahrheiten?
Alina konnte sich damit nicht abfinden. Sie glaubte einfach nicht daran, dass es Wahrheiten waren. So etwas gab es nicht. Das konnte es nicht geben, das war verrückt. Das hatte sich jemand ausgedacht.
Aber wer dachte sich so etwas aus?
Auch das war ein Problem, das sie so einfach nicht lösen konnte. Den Mann kannte sie nicht, doch er kannte sie und ihre Eltern.
Genau da hakte es bei ihr. Kannte er sie tatsächlich? Oder hatte der Fremde das nur so gesagt? Es war jetzt besonders wichtig für sie, dass sie Gewissheit bekam, und die konnten ihr nur die Eltern geben. Ihre Mutter, die würde zuerst wieder von der Arbeit zurück sein. Sie war in der Verwaltung eines Krankenhauses beschäftigt, in dem ihr Mann als Hausmeister arbeitete.
Kate Grant arbeitete nur bis zum Mittag. Sie wollte so oft wie möglich bei ihrer Tochter sein und war auch fast immer zu Hause, wenn sie aus der Schule kam.
An diesem Tag würde sich die Mutter auf Fragen gefasst machen müssen. Es war ja Wahnsinn, was man ihr da gesagt hatte, und sie war gespannt, was ihre Mutter dazu sagen würde.
Das war alles Quatsch, das war …
Nein, Alina konnte das nicht mit Bestimmtheit sagen. Sie schauderte zusammen, wenn sie an den Auftritt des Mannes dachte. Der war so echt gewesen, und so fiel es ihr schwer, ihn als Lügner einzustufen.
Sie fuhr jetzt langsamer, weil sie in die Nebenstraße eingebogen war, in der sie wohnte. Es war ein älteres Haus mit insgesamt sechs Wohnungen. An den Außenwänden wuchs Efeu in die Höhe. Daran war das Haus immer zu erkennen. Zudem stand es nicht direkt an der Straße, sondern versetzt. Eine Rasenfläche breitete sich dort aus. Es gab auch ein paar Bäume, dessen Blätter Schatten gaben.
Den brauchte im Moment keiner, denn es war recht kühl für den Monat Mai, und Regen war auch wieder angesagt worden.