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Als Kevin King in die Unterwasser-Höhle eintauchte, da war er es, der dafür sorgte, dass sich ein altes Versprechen erfüllte.
Er befreite jemanden.
Es war eine Frau, die einen Schädel aus Knochen hatte, aber einen normalen Körper.
Doch sie war nicht nur das. Sie war noch mehr. Sie war...
DIE TEUFELSMUTTER
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Seitenzahl: 126
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Die Teufelsmutter
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anna Spies/Rainer Kalwitz
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2689-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Teufelsmutter
Eiskalt war das Wasser, in das Kevin King eintauchte. Er war von einem starken Baumast gesprungen und stieß nun wie ein schräg geschossener Pfeil dem Grund entgegen.
Dass Kevin das tat, war für ihn kein Spaß und auch keine Mutprobe. Er wollte etwas herausfinden, das nicht nur für ihn sehr wichtig war, denn es konnte durchaus auch für andere Menschen eine entscheidende Bedeutung haben …
Er tauchte noch tiefer. Das kleine Gewässer lag abseits. Umgeben war es von einem Wald, dessen Büsche bis dicht an das Ufer heranreichten.
Der junge Mann wusste nicht genau, wie tief der See oder Teich war. Es gab Stellen, die höher lagen und dann wieder Senken oder Mulden. Dass Kevin den Grund sah, das lag an der lichtstarken Lampe, die er gegen die Stirn geschraubt hatte. Zwischen den Lippen steckte das Mundstück des Atemgeräts, auf seinem Rücken lag flach die Sauerstoffflasche.
Kevin atmete ruhig und gleichmäßig. Es war nicht sein erster Tauchgang, den er durchzog. Er kannte sich aus und wusste auch, dass er kein Gewässer unterschätzen durfte.
Die Lampe warf einen Kreis über den Grund, der verschwommen aussah und an den Rändern zerfaserte. Kevin war nicht ohne Plan in das Wasser gesprungen. Er wusste genau, wie er sich verhalten musste, wenn er den Grund erreicht hatte. Im Moment glitt er über ihn hinweg, folgte mit seinem Blick dem Strahl der Lampe und sah, dass der Boden an einer bestimmten Stelle leicht anstieg. Er bildete so etwas wie eine Schräge, die auch zu einem Graben gehören konnte.
Das war sein Ziel. Er hatte das Gefühl, hier fündig zu werden. Viele hatten darüber gesprochen, die meisten glaubten nicht an dieses Phänomen, aber er sah es anders. Es war durchaus möglich, dass die alten Sagen oder Geschichten stimmten. Wobei diese hier nicht mal lange zurücklag.
Kevin schwamm langsamer. Er blieb sogar an einer bestimmten Stelle im Wasser stehen und schien die Luftblasen zu verfolgen, die in die Höhe stiegen.
Aber das war es nicht, was ihn interessierte. Er senkte den Kopf ein wenig, sodass sein Licht die Schräge treffen konnte. Sie bestand aus einer dunklen Schlammschicht. Einige Pflanzen hatten sich dort festgesetzt. Fische gab es nicht. Jedenfalls hatte er in der Brühe keine gesehen.
Der Taucher blieb nicht an einer Stelle. Er schwamm an der Schräge entlang und hielt den Lichtstrahl gegen sie gerichtet. Es war die beste Möglichkeit, etwas zu entdecken. Und zwar etwas Bestimmtes. Deshalb war er in diesen Teich gesprungen und suchte ihn ab, um das Bestimmte zu finden.
Noch sah er es nicht. Noch musste er den Skeptikern recht geben, die über sein Vorhaben den Kopf geschüttelt hatten. Aber so einfach gab der Mann nicht auf.
Die Schräge blieb, präsentierte sich aber in einer unterschiedlichen Höhe. Dann entdeckte Kevin King auch die Veränderung. Der Schlamm war geblieben, doch aus ihm schaute etwas hervor. Es sah aus wie eine Steinformation und schimmerte bleich, als es vom Licht der Stirnleuchte getroffen wurde.
Wäre es ihm möglich gewesen, Kevin hätte einen Laut der Überraschung von sich gegeben. So aber blieb er still und näherte sich mit vorsichtigen Schwimmbewegungen dem, was er entdeckt hatte.
Der Gegenstand war jetzt gut zu erkennen, und dann glitt er noch etwas weiter vor.
Ja, jetzt war es deutlich zu sehen. Er jubelte innerlich auf und freute sich darüber, dass er recht behalten hatte. Obwohl das Wasser auch hier recht trübe war, sah er, was sich da am Hang gelehnt abzeichnete.
Es war ein Skelett!
***
Andere hätten den Atem angehalten. Bei ihm passierte genau das Gegenteil.
Er stieß die Luft aus und produzierte Blasen, die schnell an die Oberfläche stiegen.
Dass sie dort zerplatzten, das sah Kevin King nicht, denn seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Skelett. Dass es etwas Besonderes war, stand für ihn fest, denn es war nicht nur der Totenschädel interessant, der im Licht leicht grünlich schimmerte, auch das andere war wichtig.
In diesem Fall war es der Körper.
Er malte sich unter dem eng sitzenden Kleid deutlich ab. Und wo er die Knochen hätte sehen müssen, da gab es sie nicht. Das Kleid endete über der Brust. Und dort gab es eine normale Haut, die bis zum Hals reichte, bevor der Knochenschädel begann.
Es war dieser Totenkopf, das sagte er sich, aber er konnte nicht auf den Schädel schauen. Deshalb sah er auch nicht, ob er normal war. Auf ihm war das Haar zu sehen. Sehr viel Haar sogar und auch irgendwie wuchtig. Kevin glaubte nicht, dass es das normale Haar war, das diese Gestalt einmal besessen haben musste, als sie noch ein Mensch gewesen war.
Jetzt nicht mehr.
Jetzt war die Gestalt ein Skelett. Auch so etwas wie ein Knochen-Monstrum, aber es sollte eine Frau sein, und damit hatte er im Prinzip auch gerechnet.
Kevin hatte sich lange auf den Tauchgang vorbereitet. Jetzt schwamm er im Wasser, trat auf der Stelle und starrte auf einen Arm mit normaler Haut, wobei die Hand aus blanken Knochen bestand.
Ein Phänomen, das gab er gern zu. Die gesamte Gestalt musste man als ein solches bezeichnen. So etwas hatte er noch nie gesehen, und damit hatte er auch nicht gerechnet. Nein, das traf so nicht zu. Er hatte damit gerechnet, dass er etwas finden würde. Es gab genügend Geschichten, die davon erzählten. Sie hatten von einem Skelett gesprochen, das auch weiterhin noch am Leben war.
Davon sah Kevin King nichts. Das Skelett bewegte sich nicht. Und wenn es doch mal geschah, dann war es eine Bewegung des Wassers, die sich auf die Gestalt übertrug.
Das Licht strahlte in das Knochengesicht. Es hatte eine bleich-grüne Farbe bekommen. Die Augen bildeten Höhlen, in denen die Dunkelheit lauerte.
Kevin King bewegte sich wieder. Er glitt zurück und dachte darüber nach, was er jetzt unternehmen sollte. Eigentlich nichts. Er konnte und wollte nichts tun, denn ein Skelett war kein Mensch. Aber etwas tat er doch, obwohl er sich dazu überwinden musste. Er schwamm noch näher an die Gestalt heran und streckte seine Hand nach der Stirn aus.
Zwei Fingerkuppen drückte er dagegen und hatte das Gebein für Sekunden berührt, da zuckte er zusammen.
Das Zeug war warm.
Ja, er hatte Wärme gespürt und keine Kälte. So etwas war seiner Meinung nach unmöglich. Und doch hatte er sich nicht geirrt. Hier unten stand ein Skelett, in dem tatsächlich eine menschliche Wärme steckte.
Das war verrückt, und Kevin zog seine Hand auch schnell wieder zurück. Ihm war es unangenehm, das Skelett berührt zu haben.
Er schwamm etwas zurück.
In diesem Augenblick fiel der linke Arm des Skeletts nach unten. Die Knochenhand glitt nicht mal eine Fingerbreite von ihm entfernt vorbei, und als er das sah, da schauderte er im kalten Wasser noch zusammen.
Eine gewisse Entfernung musste sein. Sonst war seine Sicherheit nicht mehr vorhanden. Er wartete in einer bestimmten Entfernung ab. Wenn das Skelett ihn jetzt berühren wollte, dann musste es sich nach vorn bewegen. Er traute ihm alles zu.
Gewissensbisse bekam er nicht. Er wollte nur verschwinden. Raus aus dem Wasser. Er hatte etwas gesehen. Er hatte gedacht, dass es sich um ein Skelett handelte, und jetzt war er unsicher.
Diese Gestalt besaß nur einen Totenschädel. Ansonsten einen normalen Körper, der nicht mal nackt war, sondern von einem Kleid umschlungen wurde.
Das war verrückt. Das konnte er nicht erklären. Damit hätte er nie gerechnet. Je intensiver die Gedanken wurden, umso schneller schwamm er der Oberfläche entgegen und war froh, als er sie erreicht hatte und durch den Mund normal Atem holen konnte.
Er schwamm noch im See. Nur diesmal ohne Taucherbrille. Die hatte er nach oben geschoben. Das Ufer war da, nur nicht so nah. Er musste hinschwimmen, und das tat er mit kräftigen Kraulbewegungen. Dabei hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden. Er drehte sogar den Kopf, sah aber nur die leicht wellige Wasserfläche.
Wenig später hatte Kevin King das Ufer erreicht. Er war froh darüber, dass seine Füße den Bodenkontakt bekommen hatten. Auch hier lag dick der Schlamm, und er musste seine Füße regerecht durchziehen, um sich fortbewegen zu können.
Als er aus dem Wasser stieg, da merkte er schon, dass er zitterte. Ob es die Kälte war oder seine Entdeckung, wusste er nicht. Das war alles andere als normal.
Er würde sich daran gewöhnen, das stand fest. Und was war denn passiert?
Eigentlich nichts.
Kevin King war mit seinem Rad gekommen. Das hatte er dort abgestellt, wo die Bäume in den Himmel wuchsen und die Sterne zu suchen schienen. Dahin ging er. Es war kein normales Gehen, es glich mehr einem Taumeln. Er hatte Mühe, immer wieder ein Bein anzuheben, was ihm letztendlich doch gelang.
Neben dem Rad lag seine Kleidung. Als er sich aus dem Taucheranzug regelrecht herauspellte, da fing er an zu frieren und stark zu zittern, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen. Er rieb Gesicht und Hals trocken, dann schlüpfte er in seine Winterklamotten. Eine dicke Jeans, ein Wollhemd und ein Pullover. Seine Füße steckte er in halbhohe Stiefel, dann war er bereit, wieder nach Hause zu fahren. Schon jetzt überlegte er, wem er etwas erzählen konnte. Es musste eine Person sein, die ihm glaubte. Davon würde er recht wenige im Ort finden, das wusste er auch.
Kevin stieg in den Sattel, nachdem er die Tauchutensilien in einer Box verstaut hatte, die sich auf dem Gepäckträger befand. Er hätte jetzt direkt nach Hause fahren können, aber das wollte er nicht.
Er wusste auch nicht den Grund zu nennen, aber es zog ihn noch mal in die Nähe des Gewässers. Obwohl er nicht schnell fuhr, schnitt ihm doch der kühle Wind ins Gesicht. Er stoppte am Ufer, wo auch die Wellen ausliefen, wenn sie vorhanden waren.
In diesem Fall nicht. Seit seinem Ausstieg aus dem Wasser hatten sie sich wieder beruhigt, sodass die Oberfläche glatt vor ihm lag. Zudem war sie gut zu sehen. Heller als die Umgebung am Ufer. Es lag daran, dass sich ein Vollmond am Himmel zeigte, der seine Helligkeit auf die Erde schickte und auch den See berührte.
Kevin blieb neben dem Bike stehen. Er hielt es an der Lenkstange fest und hatte sich leicht gedreht, sodass sein Blick über den See gleiten konnte.
Bisher war die Oberfläche des Sees fast glatt gewesen. Das änderte sich jetzt, denn etwa in der Mitte des Gewässers entstanden erste Wellen. Aber nicht, weil jemand etwas in das Wasser geworfen hatte, der Grund dafür war von unten gekommen. Kevin bekam sogar mit, dass das Wasser leicht aufschäumte.
Warum? Eine Quelle, die vom Grund her Wasser in die Höhe drückte? Daran glaubte er nicht, und er tat gut daran, denn plötzlich zeigte sich das, was da aus der Tiefe her für die Wellen gesorgt hatte.
Durch den Mondschein war es auch aus einer gewissen Entfernung gut zu sehen. Kevin sah das Bleiche auf der Oberfläche tanzen, und er fragte sich, was es war.
Fasziniert schaute er hin. Und dann sah er, um was es sich handelte. Es war ein bleicher Knochenschädel, zumindest das Gesicht, und Kevin wusste, wem es gehörte …
***
In diesen Augenblicken war es ihm nicht möglich, normal zu reagieren oder auch nur zu denken. Er stand da, starrte auf den See und wünschte, sich geirrt zu haben.
Aber das war nicht der Fall. Er hatte sich nicht geirrt. Auf der Fläche malte sich der Schädel ab. Das Haar war auch zu sehen, und es war zu einem Spielzeug der Wellen geworden.
Kevins Herz schlug schneller. Es erzeugte einen regelrechten Trommelwirbel. Er merkte auch, dass er nicht mehr so tief durchatmen konnte.
Das Unheil war da!
Hier lief etwas ab, das er nicht begriff. Er kannte den Tod, und er kannte das Leben. Beides war getrennt vorhanden.
Das schien hier aufgehoben zu sein, denn es gab keine Naturgesetze mehr. Der Tod hatte das Leben besiegt oder das Leben den Tod. Es kam auf die Sichtweise an.
Der volle Mond schien. Der Schädel war auch weiterhin auf der Wasserfläche zu sehen und tauchte nicht wieder unter. Im Spiel der Wellen hüpfte er wie ein Korken, als wollte er dem heimlichen Beobachter beweisen, dass er noch da war.
Und er kam dem Ufer mit jeder Sekunde näher. Kevin konnte sich ausrechnen, wann das Skelett ihn erreichte, und er hatte keine Lust, sich ihm zu stellen. Er wusste nicht, welch eine Kraft oder Macht in dieser Gestalt steckte.
Kevin sah auch nicht, ob die Gestalt normal schwamm oder mit den Füßen den schlammigen Boden berührte. Sie war präsent und näherte sich immer mehr dem Ufer und ungefähr der Stelle, an der auch Kevin aus dem Wasser geklettert war.
Ob die andere Seite ihn gesehen hatte, das wusste er nicht, wollte es auch nicht darauf ankommen lassen. Ein Kampf mit dieser Gestalt kam ihm nicht in den Sinn.
Es war sicherlich ganz vernünftig, wenn er sich an die Verfolgung machte. Nur so, dass man ihn nicht entdeckte. Die Nerven hatte er. Wenn er wusste, wohin die Gestalt ging, dann hatte er schon einen Teilsieg errungen. Für ihn war es ein verwegener Plan, den er nicht aus seinem Gedächtnis strich.
Mit Schrecken fiel ihm ein, dass er einen viel zu exponierten Platz hatte. Jeder, der es wollte, würde ihn hier sehen. Er musste weg.
Kevin King zögerte keine Sekunde. Er fand einen guten Platz zwischen den Bäumen. Er hatte auch sein Bike mitnehmen können. Jetzt lehnte es schräg an einem Stamm. Und er wartete.
Wenn sie kam, was würde sie tun? Hatte sie ihn vielleicht entdeckt? Das wäre nicht eben von Vorteil gewesen. Sie war bestimmt jemand, der nächtliche Zeugen nicht unbedingt brauchte.
Ja, sie schwamm weiter. Und sie bewegte sich sehr bald dort, wo das Wasser flacher wurde und sie gehen konnte. Wieder entstanden Wellen, und es sah so aus, als würde sie von diesen Wellen an Land gespült, das sie auch bald erreichte.
Sie stieg nicht wie ein Modell aus einem Bond-Film aus dem Wasser. Bei ihr sah es anders aus. Mit den Beinen schleuderte sie das Wasser hoch, das einen Schaumkranz bildete und vor ihr das Ufer erreichte.
Ihr Körper zuckte hoch. Sie stand jetzt normal, und Kevin sah sie in ihrer vollen Größe.
Das Mondlicht traf sie voll, und Kevin erkannte, dass sie sich nicht verändert hatte. Es gab auf dem Kopf noch immer diesen dichten Haarschopf. Darunter malte sich das Knochengesicht ab. Man musste einfach von einem widerlichen Anblick sprechen.
Das Kleid war nass und klebte am Körper. Sie schüttelte sich, damit Wassertropfen von ihrem Körper weggeschleudert wurden. Das passierte auch mit den Haaren, die sich nach der Bewegung wieder normal legten.
Kevin King hielt den Atem an. Er hatte sich bisher immer als einen recht mutigen Menschen angesehen, das aber war jetzt nicht mehr der Fall. Er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut und war von einer inneren Kälte erfasst worden, die ihn zittern ließ.